L 6 SF 24/13 EK KR

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Sonstige Angelegenheiten
Abteilung
6
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 SF 24/13 EK KR
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 10 ÜG 4/16 R
Datum
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Einer Verzögerungsrüge bedarf es gem. Art. 23 Satz 4 ÜGRG ausnahmsweise nicht, wenn die Verzögerung bereits in der zum Zeitpunkt des Inkrafttreten des ÜGRG abgeschlossenen ersten Instanz eingetreten ist, unabhängig davon, wie das Verfahren in zweiter Instanz Fortgang genommen hat.

2. Für Entschädigungsklagen wegen überlanger Dauer eines sozialgerichtlichen Verfahrens genügt für einen hinreichend bestimmten Klageantrag, dass nach Auslegung des Klägervortrags ein in das Ermessen des Gerichts gestellter Geldbetrag wegen eines konkreten Gerichtsverfahrens verlangt wird. Ein Mindestbetrag muss hierfür nicht genannt werden.

3. Eingereichte Schriftsätze, die einen gewissen Umfang haben und sich inhaltlich mit Fragen des Verfahrens befassen, bewirken generell eine Überlegungs- und Bearbeitungszeit beim Gericht von einem Monat. Dies gilt insbesondere, wenn auch Parallelverfahren desselben Klägers anhängig sind.
I. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger wegen überlanger Dauer des vor dem Sozialgericht Gießen unter dem Aktenzeichen S 6 KN 146/05 KR geführten Verfahrens eine Entschädigung in Höhe von 1.200 EUR zzgl. Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 20. Dezember 2011 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.

III. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt eine Entschädigung für die Dauer eines krankenversicherungsrechtlichen Gerichtsverfahrens vor dem Sozialgericht Gießen (S 6 KN 146/05 KR). In der Sache stritten die Beteiligten um Erstattung von Kosten in Höhe von 4.887,04 EUR zuzüglich Zinsen für eine in der Zeit vom 9. April bis 11. Mai 2006 durchgeführte Rehabilitations-Maßnahme.

Am 6. Oktober 2005 erhob der Kläger Klage auf Übernahme der Kosten einer Kur vor dem Sozialgericht Gießen und begründete sie. Die Klageerwiderung der Beklagten ging am 23. Dezember 2005 beim Sozialgericht ein. Am 20. Februar 2006 forderte das Sozialgericht einen Befundbericht beim Arzt Dr. B. an, der am 14. März 2006 beim Gericht einging und der Beklagten zur Stellungnahme übersandt wurde. In der Zeit vom 9. April bis 11. Mai 2006 führte der Kläger die beantragte Kur durch.

Am 6. Juni 2006 verfügte das Sozialgericht das Verfahren zur Sitzung.

Am 21. August 2006 stellte der Kläger seine Klage auf Erstattung der für die Kur entstandenen Kosten um und legte eine Kostenaufstellung und den Rehabilitationsbericht der Kureinrichtung vor. Das Sozialgericht übersandte den Schriftsatz an die Beklagte zur Stellungnahme, die am 17. Oktober 2006 einging. Hiernach verfügte das Gericht das Verfahren erneut zur Sitzung. Im November 2006 und Januar 2007 legte der Kläger jeweils weitere Schriftsätze vor.

In der Zeit von Februar 2007 bis Oktober 2008 wurde das Gericht mit Ausnahme der Weiterreichung zweier weiterer Schriftsätze des Klägers an die Beklagte in diesem Verfahren nicht weiter tätig.

Am 20. Oktober 2008 legte der Kläger einen Schriftsatz mit ärztlichen Befunden vor, den das Gericht der Beklagten zur Stellungnahme übersandte. Am 11. Dezember 2008 teilte die Beklagte auf die Erinnerung des Sozialgerichts vom 3. Dezember 2008 mit, den Schriftsatz dem beratungsärztlichen Dienst vorgelegt zu haben. Am 15. Januar 2009 erinnerte das Gericht die Beklagte erneut an die Vorlage einer Stellungnahme, die am 29. Januar 2009 beim Gericht einging.

Am 3. Februar 2009 ordnete das Sozialgericht die Beweiserhebung durch Einholung eines Gutachtens beim Facharzt für Innere Medizin Dr. C. an. Hiergegen legte der Kläger Beschwerde ein, die das Sozialgericht dem Hessischen Landessozialgericht zur Entscheidung weiterleitete. Unter dem 16. Juni 2009 teilte das Sozialgericht dem Sachverständigen Dr. C. mit, dass das Landessozialgericht die Beschwerde des Klägers als unzulässig verworfen habe und das Gutachten nun erstellt werden könne. Im Oktober 2009 schrieb der Sachverständige dem Sozialgericht, dass der Kläger derzeit in stationärer Behandlung sei, weshalb kein Untersuchungstermin zustande gekommen sei. Im November 2009 erinnerte das Sozialgericht den Sachverständigen erstmalig an die Gutachtenserstellung. Am 2. März 2010 setzte das Sozialgericht dem Sachverständigen durch Beschluss eine Frist zur Vorlage des Gutachtens bis zum 16. April 2010, gewährte auf dessen Antrag vom 16. April 2010 aber eine Fristverlängerung bis Ende April 2010. Am 5. Mai 2010 legte der Sachverständige sein 71-seitiges fachinternistisches Gutachten vor, in dem er zu dem Ergebnis kam, eine stationäre Heilbehandlung sei in den Jahren 2005 bis 2008 medizinisch nicht notwendig gewesen. Das Sozialgericht fragte daraufhin beim Kläger an, ob die Klage in Kenntnis des Gutachtens zurückgenommen werde.

Mit Schriftsatz vom 25. Mai 2010 nahm der Kläger zu dem Sachverständigengutachten umfangreich Stellung. Hierzu beauftragte das Sozialgericht am 7. Juni 2010 eine ergänzende Stellungnahme beim Sachverständigen Dr. C., die am 30. Juni 2010 einging. Am 20. Juli 2010 beantragte der Kläger eine weitere ergänzende Stellungnahme beim Sachverständigen und legte in den folgenden Wochen mit weiteren Schriftsätzen zahlreiche weitere medizinische Unterlagen vor.

Am 23. August 2010 lud das Sozialgericht die Beteiligten zur mündlichen Verhandlung am 13. September 2010. Die zehnminütige mündliche Verhandlung schloss mit der Verkündung eines klageabweisenden Urteils, das den Beteiligten am 20. bzw. 21. September 2010 zugestellt wurde.

Am 1. Oktober 2010 legte der Kläger Berufung ein und begründete sie. Die Berufung wurde unter dem Aktenzeichen L 1 KR 284/10 geführt. Am 9. November 2010 ging die Berufungserwiderung der Beklagten beim Landessozialgericht ein. Hierzu nahm der Kläger im Dezember 2010 und Januar 2011 weiter Stellung. In den Monaten Februar bis August 2011 wurde das Gericht nicht weiter tätig. Am 21. September 2011 hörte das Landessozialgericht die Beteiligten zu seiner Absicht an, die Berufung durch Beschluss ohne Beteiligung ehrenamtlicher Richter gem. § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) als unbegründet zurückweisen zu wollen. Im Oktober und November 2011 reichte der Kläger weitere Schriftsätze ein. Mit Verfügung vom 17. November 2011 lud die Berichterstatterin zu einem Erörterungstermin am 14. Dezember 2011. Im Rahmen des einstündigen Termins erörterten die Beteiligten mit der Berichterstatterin die Verfahren L 1 KR 284/10, L 1 KR 285/10 und L 1 KR 295/10, sie stellten die Anträge und erhielten bis zu einer weiter beabsichtigten Entscheidung gem. § 153 Abs. 4 SGG eine abschließende Frist zur Stellungnahme bis 31. Dezember 2011.

Mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2011 trug der Kläger vor:

"Der Antrag des Klägers auf Entscheidung über Entschädigung in Geld wegen prozessualer Überlänge wurde nicht erörtert und in den Klageantrag aufgenommen. Der Kläger hält an diesem Antrag fest und erwartet dazu gerichtliche Entscheidung. Der Bundestag hat bekanntlich im Oktober 2011 einem entsprechendem Gesetz zugestimmt."

Mit Beschluss des Senats vom 19. Januar 2012 wies das Landessozialgericht die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Gießen vom 13. September 2010 zurück.

Ebenfalls am 19. Januar 2012 hat das Landessozialgericht hinsichtlich des Antrags auf Entschädigung wegen überlanger Verfahrensdauer das Verfahren abgetrennt und es unter dem Aktenzeichen L 1 KR 20/12 weitergeführt. Mit Verfügung vom 26. März 2012 hat der 1. Senat des Hessischen Landessozialgerichts das Verfahren zuständigkeitshalber an den 3. Senat des Hessischen Landessozialgerichts abgegeben, der es zunächst unter dem Aktenzeichen L 3 SF 2/12 EK KR fortgeführt hat. Am 2. Januar 2013 hat der 3. Senat das Verfahren an den nun zuständigen 6. Senat abgegeben, der das Verfahren unter dem Aktenzeichen L 6 SF 2/12 EK KR fortgeführt hat. Am 2. Mai 2013 hat der Senat auf Antrag des Klägers beschlossen das Verfahren auszusetzen, um den Erfolg des Wiederaufnahmeverfahrens zum Verfahren L 1 KR 284/10 abzuwarten.

Nach Beendigung des Wiederaufnahmeverfahrens hat das Gericht das Verfahren am 17. Oktober 2013 fortgesetzt.

Der Kläger beantragt (sinngemäß),
den Beklagten zu verurteilen, ihm eine angemessene Entschädigung für die Überlänge des Verfahrens S 6 KN 146/05 KR vor dem Sozialgericht Gießen zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Er hält die Entschädigungsklage für unbegründet. Es sei bis zum Zeitpunkt der Klageerhebung am 20. Dezember 2011 noch keine Verzögerungsrüge erhoben worden. Es fehle daher an einer zwingenden Entschädigungsvoraussetzung. Der Klageantrag beziehe sich offenkundig auf beide Instanzen und sei einer anderweitigen Auslegung nicht zugänglich. Daher sei nicht Art. 23 Satz 4 des Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren (ÜGRG) anzuwenden, sondern es verbleibe bei der Regelung des Art. 23 Satz 2 ÜGRG und der hier nicht erfüllten – Notwendigkeit, unverzüglich eine Verzögerungsrüge einzulegen. Er meint im Übrigen, der Klageantrag sei zu unbestimmt. Der Kläger habe entweder einen Mindestentschädigungsbetrag nennen müssen oder aber inhaltlich die Verzögerung substantiieren müssen. Zudem sei das Verfahren – trotz der ungewöhnlichen Verfahrensdauer des Ausgangsverfahrens – nicht unangemessen lang. Die notwendige Aufklärung des medizinischen Sachverhalts habe sich als besonders umfangreich erwiesen und der Kläger selbst habe durch ständige Einführung neuen medizinischen Vortrags und weiterer medizinischer Befunde die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert. Damit habe er selbst eine wesentliche Ursache für die Dauer des Verfahrens gesetzt, die dem Gericht nicht angelastet werden könne.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten des Entschädigungs- und des Ausgangsverfahrens, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung war, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig und in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Im Übrigen ist die Klage unbegründet.

Die Klage ist zulässig. Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG), der am 3. Dezember 2011 in Kraft getreten ist, wird, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet, angemessen entschädigt. Nach Absatz 3 der Bestimmung erhält ein Verfahrensbeteiligter Entschädigung nur, wenn er bei dem mit der Sache befassten Gericht die Dauer des Verfahrens gerügt hat (Verzögerungsrüge). Die Verzögerungsrüge kann erst erhoben werden, wenn Anlass zur Besorgnis besteht, dass das Verfahren nicht in einer angemessenen Zeit abgeschlossen wird; eine Wiederholung der Verzögerungsrüge ist frühestens nach sechs Monaten möglich, außer wenn ausnahmsweise eine kürzere Frist geboten ist. Die Verzögerungsrüge hat Doppelfunktion sowohl für die Zulässigkeit als auch für die Begründetheit einer Entschädigungsklage (Steinbeiß-Winkelmann/Ott, Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren, Kommentar, 2013, § 198 GVG, Rn. 247). Nach § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG kann eine Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach Absatz 1 frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Mangels Verzögerungsrüge wurde die Wartefrist des § 198 Abs. 5 Satz 1 GVG nicht in Lauf gesetzt mit der Folge der Unzulässigkeit der Klage.

Art. 23 ÜGRG bestimmt als Übergangsvorschrift daneben u.a., dass für anhängige Verfahren, die bei seinem Inkrafttreten schon verzögert sind, § 198 Absatz 3 GVG mit der Maßgabe, dass die Verzögerungsrüge unverzüglich nach Inkrafttreten erhoben werden muss. In diesem Fall wahrt die Verzögerungsrüge einen Anspruch nach § 198 GVG auch für den vorausgehenden Zeitraum. Ist bei einem anhängigen Verfahren die Verzögerung in einer schon abgeschlossenen Instanz erfolgt, bedarf es keiner Verzögerungsrüge. Auf abgeschlossene Verfahren gemäß Satz 1 ist § 198 Absatz 3 und 5 GVG nicht anzuwenden. Die Klage zur Durchsetzung eines Anspruchs nach § 198 Absatz 1 GVG kann bei abgeschlossenen Verfahren sofort erhoben werden und muss spätestens am 3. Juni 2012 erhoben werden.

Vorliegend kommt es nicht darauf an, ob in dem Antrag des Klägers in seinem Schriftsatz vom 20. Dezember 2011, über eine Entschädigung in Geld wegen Überlänge zu entscheiden, auch eine (gleichzeitige) Verzögerungsrüge gesehen werden kann. Der Rüge bedurfte es gem. Art 23 Satz 4 ÜGRG ausnahmsweise nicht, weil die Verzögerung bereits in der zum Zeitpunkt des Inkrafttreten des ÜGRG am 3. Dezember 2011 abgeschlossenen ersten Instanz eingetreten ist. Das Verfahren hat in der ersten Instanz insgesamt 59 Monate gedauert. Einer Entschädigung für diese abgeschlossene, überlange Instanz würde auch dann nicht die Grundlage entzogen, wenn in der zweiten Instanz keine Verzögerungsrüge mehr erhoben worden wäre. Jedenfalls für die bereits abgeschlossene erste Instanz kann die Verzögerungsrüge ihre Präventivfunktion nicht mehr entfalten (vgl. BT-DS 17/3802 S. 31). Der weitere Fortgang des Verfahrens in der zweiten Instanz ist daher für das Entschädigungsverfahren in erster Instanz ohne Bedeutung. Eine andere Auffassung würde zu folgendem widersprüchlichen Ergebnis führen: Wenn – wie hier – eine Verzögerung in erster Instanz gegeben wäre und eine Verzögerungsrüge unterblieben wäre, würde ein Kläger dann eine Entschädigung erhalten können, wenn die zweite Instanz zügig, ohne Verzögerung, entscheidet. Wäre dagegen auch die zweite Instanz verzögert, wäre eine Entschädigungsklage für die Verzögerung in erster Instanz unzulässig, wenn in zweiter Instanz keine Verzögerungsrüge erhoben worden wäre. Soweit in der Gesetzesbegründung angeführt wird: "Kommt es bei der befassten Instanz [also der zweiten Instanz] zu einer weiteren Verzögerung, bleibt es bei der allgemeinen Regelung des § 198 Abs. 3 GVG", kann sich diese Einschränkung aus dem vorgenannten Grund nur auf einen evtl. Entschädigungsanspruch für die zweite Instanz beziehen, nicht hingegen auf die abgeschlossene erste Instanz. Sollte die gesetzgeberische Intention weitergehend gewesen sein, hätte sie jedenfalls keinen Niederschlag im Gesetz gefunden.

Der aufgrund des Schriftsatzes des Klägers vom 20. Dezember 2011 anzunehmende Klageantrag ist hinreichend bestimmt. Gem. § 92 Abs. 1 Satz 3 SGG soll die Klage einen bestimmten Klageantrag enthalten. Hinreichend bestimmt ist ein Antrag grundsätzlich, wenn er als Urteilstenor übernommen werden könnte und als solcher vollstreckungsfähig wäre (Jaritz, in Roos/Wahrendorf, SGG, 1. Aufl. 2014 § 92 Rn. 38). Ein bestimmter Klageantrag "soll" gestellt werden, sein Fehlen führt daher zunächst nicht bereits zur Unzulässigkeit der Klage. Allerdings muss ein bestimmter sachdienlicher Antrag bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vorliegen. Dies kann entweder dadurch erfolgen, dass der Kläger den Antrag nach Eingang der Klage ergänzt oder, dass der Vorsitzende auf die Stellung eines sachdienlichen Antrags hinwirkt (Jaritz, in Roos/Wahrendorf, SGG, 1. Aufl. 2014 § 92 Rn. 44). Ist der Kläger zur Stellung eines sachdienlichen Antrags nicht in der Lage, hat das Gericht einen sachdienlichen Antrag durch Auslegung des klägerischen Begehrens als "sinngemäßen Antrag" anzunehmen (Müller, in Roos/Wahrendorf, SGG, 1. Aufl. 2014 § 106 Rn. 13). Im Zweifel ist dabei das gewollt, was nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage des Klägers entspricht (Meistbegünstigungsprinzip). Nur wenn dies nicht der Fall ist, ist die Klage unzulässig (Müller, in Roos/Wahrendorf, SGG, 1. Aufl. 2014 § 106 Rn. 13).

Im vorliegenden Fall entspricht es dem recht verstandenen Interesse des Klägers seinen Antrag im Sinne einer Beschränkung der Entschädigungsforderung wegen Überlänge auf das erstinstanzliche Verfahren zu verstehen, um zulässigerweise eine Entschädigungsforderung für diese Instanz begehren zu können. Der Höhe nach ist davon auszugehen, dass die Entschädigungssumme in das Ermessen des Gerichts gestellt wird.

Dass das Entschädigungsbegehren der Höhe nach nicht konkretisiert wurde, insbesondere der Kläger auch keinen Mindestbetrag benannt hat, ist unschädlich. Zwar setzt die zivilgerichtliche Rechtsprechung zu § 253 Abs. 2 Nr. 2 Zivilprozessordnung (ZPO), der die bestimmte Angabe des Gegenstandes und des Grundes des erhobenen Anspruchs sowie einen bestimmten Antrag verlangt, für die Zulässigkeit der Klage grundsätzlich einen zahlenmäßig bezifferten Klageantrag voraus. Ein unbezifferter Klageantrag wird aber auch in der Zivilgerichtsbarkeit dann als zulässig erachtet, wenn zugleich die tatsächlichen Grundlagen für die Ermessensausübung des Gerichts mitgeteilt werden (BGH, Beschluss vom 7. April 2009 - KZR 42/08). Wenn der Umfang der Leistung im richterlichen Ermessen steht, muss danach kein konkreter Betrag geltend gemacht werden. Die zivilgerichtliche Rechtsprechung verlangt aber aufgrund des Bestimmtheitsgebots, dass wenigstens die ungefähre Größenordnung des begehrten Betrages angegeben wird, um das Gericht und den Gegner darüber zu unterrichten, welchen Umfang letztlich der Streitgegenstand haben soll (BGH a.a.O.). Deshalb fehle es danach an der von § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO geforderten Bestimmtheit des unbezifferten Klageantrags, wenn der Kläger keine verbindlichen Angaben zur Größenordnung des begehrten Schmerzensgeldes mache (BGH, Urteil vom 28. Februar 1984 - VI ZR 70/82 Rn. 21).

Teilweise wird in der Rechtsprechung angenommen, diese Grundsätze müssten auch für Entschädigungsklagen gem. § 198 GVG Geltung finden (so BGH, Urteil vom 2. Dezember 2015 – X K 7/14 Rn. 15 ff.; BVerwG Urteil vom 26. Februar – 5 C 5/14 D Rn. 15; LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 18. Dezember 2014 – L 10 SF 11/14 EK; a.A. LSG Berlin-Brandenburg, 25. Juni 2014, L 38 SF 304/13 EK AS; LSG Baden-Württemberg, 27. Mai 2014, L 2 SF 3228/13 EK). Diese Rechtsprechung verkennt aber, dass es gerade dem unvertretenen Kläger in der Regel kaum möglich sein dürfte, hinsichtlich des geltend gemachten immateriellen Schadens einen zutreffenden Betrag zu beziffern (vgl. auch - allerdings mit abweichendem Ergebnis - OVG Berlin-Brandenburg, 12. September 2012, OVG 3 A 2.12 Rn. 19). Hieran ändert auch die in § 198 Abs. 2 Satz 3 GVG geregelte Entschädigungspauschale für immaterielle Nachteile nichts, denn jedenfalls dem mit der Gerichtsaktenführung nicht vertrauten, nicht anwaltlich vertretenen Kläger ist es selbst nach Einsichtnahme in der Akte kaum möglich, aus dem Akteninhalt mit hinreichender Sicherheit darauf zu schließen, ob Zeiten der Untätigkeit des Gerichts vorlagen oder ob das Verfahren ordnungsgemäß seinen Lauf genommen hat. Hierzu sind weitere Kenntnisse bspw. über sachgerechte Wiedervorlagefristen oder übliche Laufzeiten bei der Einholung von Sachverständigengutachten, sowie über die Besonderheiten und typischen Abkürzungen in der Verfügungstechnik erforderlich. Im Übrigen wiederspräche ein derartiges Substantiierungserfordernis dem in der Sozialgerichtsbarkeit geltenden Grundsatz der Klägerfreundlichkeit. Hiernach ist der sozialgerichtliche Rechtsschutz mit einer besonders niedrigen Zugangsschwelle und größtmöglicher "Waffengleichheit" verknüpft, was gerade hinsichtlich der Substantiierungspflicht eine weitgehende Zurückhaltung gebietet (Plagemann, NJW 1986, 2082, 2087&8201;f.; Tabbara, NZS 2008, 8, 9; Mecke, SozSich 2005, 311; Müller, JuS 2014, 324, 327). Im Übrigen ist es im vorliegenden Fall mitnichten so, dass sich der Kläger zum Umfang der Überlänge gar nicht geäußert hat; so hat er mit Schriftsatz vom 8. April 2013 (Bl. 43 der Gerichtsakte des Entschädigungsverfahrens) mitgeteilt, dass die Klage in erster Instanz mehr als 5 Jahre "unerledigt gelegen" habe.

Die Klage ist auch teilweise begründet.

Nach § 198 Abs. 1 Satz 1 GVG wird angemessen entschädigt, wer infolge unangemessener Dauer eines Gerichtsverfahrens als Verfahrensbeteiligter einen Nachteil erleidet. Ob ein Verfahren als unangemessen lang zu bewerten ist, richtet sich nicht nach starren Fristen. Gem. § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG richtet sich die Angemessenheit der Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach der Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und nach dem Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Eine generelle Festlegung, wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, ist nicht möglich (am Maßstab von Art. 19 Abs. 4 GG: BVerfG, Beschluss vom 30. August 2016 – 2 BvC 26/14 – Vz 1/16; BVerfG, Beschluss vom 27. September 2011 – 1 BvR 232/11), zumal Zügigkeit oder Verfahrensbeschleunigung keine absoluten Werte sind, sondern stets im Zusammenhang mit den übrigen Verfahrensgrundsätzen, insbesondere dem Amtsermittlungsgrundsatz und dem damit korrespondierenden Interesse der Verfahrensbeteiligten an einer gründlichen und zutreffenden Bearbeitung durch das Gericht zu sehen sind. § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG ist nach Entstehungsgeschichte und Zielsetzung unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 19 Abs. 4 GG und Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG sowie des EGMR zu Art. 6, 13 EMRK auszulegen (BGH, Urteil vom 14. November 2013 – III ZR 376/12 – juris Rn. 29; Schenke, NVwZ 2012, 257, 258). § 198 Abs. 1 Satz 2 GVG benennt insoweit nur beispielhaft und ohne abschließenden Charakter Umstände, die für die Beurteilung der Angemessenheit besonders bedeutsam sind. Maßgebend bei der Beurteilung der Verfahrensdauer sind danach Schwierigkeit und Bedeutung des Verfahrens und das Verhalten der Verfahrensbeteiligten und Dritter. Während die rechtliche wie tatsächliche Schwierigkeit, der Umfang und die Komplexität des Falls sowie die Bedeutung des Rechtsstreits Faktoren für eine notwendige Dauer angemessener Sachbehandlung und Verfahrensförderung sind, ist insbesondere das Verhalten des Entschädigungsklägers für die Frage relevant, welche Dauer der Kläger aufgrund eigenen Verhaltens als noch angemessen hinzunehmen hat. Auf der anderen Seite kann sich der Staat nicht auf solche Umstände berufen, die in seinem Verantwortungsbereich liegen (st. Rspr. des BVerfG, aus jüngerer Zeit z.B. Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 14. Dezember 2010 – 1 BvR 404/10 Rn. 11). Überlastungstypische Verfahrensweisen können ebensowenig gegen eine Unangemessenheit angeführt werden wie die durchschnittliche Verfahrensdauer einer überlasteten Gerichtsbarkeit (vgl. zur Sozialgerichtsbarkeit, BVerfG, vom 14. Dezember 2010 – 1 BvR 404/10 – a.a.O.). Die Beurteilung der Angemessenheit erfolgt daher im Rahmen einer Zurechnung, ob eine Verzögerung überwiegend auf das Verhalten der Beteiligten oder auf eine Untätigkeit des Gerichts zurückzuführen ist (Magnus, ZZP 125 (2012), 75, 81 m.w.N.). Ungeachtet dessen haben die Gerichte aber auch die Gesamtdauer des Verfahrens zu berücksichtigen und sich mit zunehmender Dauer nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens zu bemühen (BVerfG, vom 14. Dezember 2010 – 1 BvR 404/10 – a.a.O.). Insoweit beeinflusst die absolute Verfahrensdauer die Würdigung der Verfahrensförderung in einzelnen Abschnitten des Gerichtsverfahrens: Einerseits kann bei ungewöhnlich langen Laufzeiten im Einzelfall eine Vermutung für die Unangemessenheit ohne weitere Würdigung des Verhaltens der Beteiligten oder der Verfahrensförderung durch das Gericht sprechen (EGMR, Urteil vom 5. Oktober 2006 – 66491/01); andererseits kann eine (relative) Verzögerung in einem bestimmten Verfahrensstadium vertretbar sein, wenn die Gesamtverfahrensdauer nicht als unangemessen erachtet werden kann (EGMR, Urteil vom 2. Juni 2009 – 36853/05 Rn. 45 m.w.N.).

Die Prüfung der Unangemessenheit hat demnach in zwei Schritten zu erfolgen (vgl. zum Folgenden: BGH, Urteil vom 14. November 2013 – III ZR 376/12 Rn. 30; Ott in: Steinbeiß-Winkelmann/Ott, a.a.O. § 198 GVG Rn. 97 ff.; ähnl. Breitkreuz in: Breitkreuz/Fichte, SGG, Ergänzung zu § 202 SGG, Rn. 32, beide m.w.N.): Zunächst ist das Verfahren nach Feststellung der Schwierigkeit und Bedeutung daraufhin zu untersuchen, ob in den einzelnen Verfahrensabschnitten eine angemessene Sachbehandlung im Sinne der Gewährung effektiven Rechtsschutzes stattgefunden hat, und ist im Wege der Abwägung der o.g. Faktoren festzustellen, ob der Entschädigungskläger diese Dauer aufgrund einer Zurechnung der Verfahrensdauer, insbesondere wegen des Verhaltens der Verfahrensbeteiligten, im jeweiligen Abschnitt hinzunehmen hat oder aber diese dem Staat als unzureichende Verfahrensförderung zuzurechnen ist. Im Rahmen einer umfassenden Abwägung vor dem Hintergrund der Gesamtverfahrensdauer ist sodann zu prüfen, ob Verzögerungen kompensiert wurden oder aber eine unangemessene Gesamtverfahrensdauer ohne relative Verzögerungen eingetreten ist.

Vorliegend ist die Schwierigkeit des Verfahrens als leicht überdurchschnittlich, die Bedeutung des Ausgangsverfahrens als leicht unterdurchschnittlich anzusehen.

Rechtliche Schwierigkeiten sind dann anzunehmen, wenn grundsätzliche Rechtsfragen zu beantworten sind, für die noch keine höchstrichterliche Judikatur existiert, und die das Gericht daher nicht ohne intensive Auswertung der Fachliteratur beantworten kann. Die Beantwortung auch schwieriger Rechtsfragen gehört allerdings zu den originären Aufgaben des Gerichts. Der Tatrichter muss sich also – nach Lektüre der einschlägigen Literatur – zu einer Auffassung durchringen und diese in seiner Entscheidung knapp, aber nachvollziehbar begründen. Das kann nur in seltenen Ausnahmefällen eine mehrmonatige Verzögerung rechtfertigen, wenn etwa über mehrere komplexe Rechtsfragen gleichzeitig entschieden werden muss. Tatsächlich schwierig kann ein Verfahren sein, wenn die zu klärenden Sachfragen eine komplizierte und lang andauernde Beweisaufnahme erforderlich machen. (Roderfeld, Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, GVG § 198 Rn. 8 ff.). Welche Verfahrenslänge tolerierbar ist, hängt ferner auch davon ab, welche Bedeutung dem Verfahren für die Verfahrensbeteiligten oder die Allgemeinheit zukommt. Für die Praxis der Verfahrensbearbeitung bedeutet dies, dass das Gericht nicht jedes eingehende Verfahren schematisch gleich behandeln kann, sondern Verfahren mit besonderer Bedeutung – möglicherweise auch zulasten anderer, früher eingegangener Verfahren – bevorzugt und beschleunigt bearbeiten muss. Die Tatsache, dass eine Partei die Sache für wichtig oder bedeutend hält, kann freilich für sich allein betrachtet noch kein besonderes Beschleunigungsbedürfnis auslösen. Vielmehr muss es darauf ankommen, ob vom Standpunkt eines objektiven Beobachters, der die Lebenssituation der Klagepartei kennt, eine besondere, die Verfahrensbeschleunigung erfordernde Bedeutung vorliegt (Roderfeld, Gesetz über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und strafrechtlichen Ermittlungsverfahren, GVG § 198 Rn. 11).

Es handelt es sich bei dem Ausgangsverfahren um eine krankenversicherungsrechtliche Streitigkeit um die Notwendigkeit einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme für die zunächst Kostenübernahme und nach ihrer Durchführung Kostenerstattung begehrt wurde.

Von besonderen rechtlichen Schwierigkeiten war für das Ausgangsverfahren nicht auszugehen. Allerdings sind die tatsächlichen Schwierigkeiten bei der Ermittlung insbesondere des medizinischen Sachverhalts von Amts wegen als leicht überdurchschnittlich einzuschätzen. Das Gericht hatte sich eine Vielzahl medizinischer Unterlagen, die insbesondere vom Kläger eingereicht worden waren, zu erschließen und diese zu würdigen. Hinzu kommen die vom Gericht eingeholten Befundberichte, ein medizinisches Sachverständigengutachten und eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen sowie ein umfassender Beteiligtenvortrag mit teilweise medizinischem Inhalt. Die Amtsermittlung und Würdigung des medizinischen Sachverhalts hatte zudem mit einzubeziehen, dass ein deutliches Auseinanderfallen zwischen objektivierbarem Krankheitsgeschehen und klinisch nachvollziehbaren bzw. gesicherten Befunden zu erkennen ist. Hinzu kommt, dass aufgrund der Umstellung der Ausgangsklage von einem Antrag auf Kostenübernahme zu einem Antrag auf Kostenerstattung für eine durchgeführte Rehabilitationsmaßnahme nicht nur ein gegenwärtiger medizinischer Ist-Zustand festzustellen war, sondern eine retrospektiver Nachweis geführt werden musste. Andererseits war die Schwierigkeit der Ermittlung des medizinischen Sachverhalts auch nicht deutlich überdurchschnittlich, weil nur die finale medizinische Situation aufzuklären war, nicht hingegen Kausalitätsfragen streitentscheidend waren. Zudem war für die Aufklärung nur ein internistisch-sozialmedizinisches Sachverständigengutachten einschließlich einer ergänzenden Stellungnahme erforderlich, nicht aber die sachverständige Begutachtung auf verschiedenen medizinischen Sachgebieten. Auch waren keine widersprüchlichen Gutachten im Hinblick aufeinander auszuwerten, sondern nur das gem. § 106 SGG eingeholte Gutachten mit dem Beteiligtenvortrag in Einklang zu bringen, wozu das Gericht eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen ebenfalls gem. § 106 SGG einholte.

Die Bedeutung des Rechtsstreits war aus Sicht eines objektiven Beobachters in Kenntnis der Lebenssituation des Klägers leicht unterdurchschnittlich. Aufgrund der Höchstpersönlichkeit und Intimität der eigenen Gesundheit sind Rechtsstreitigkeiten zu medizinischen Fragestellungen aus Sicht eines Beteiligten stets von herausgehobener Bedeutung. Bei der Feststellung der medizinischen Notwendigkeit einer Rehabilitationsfrage handelt es sich um ein typisches krankenversicherungsrechtliches Verfahren. Andererseits lag, anders als bei vergleichbaren leistungsrechtlichen Streitigkeiten, keine Fragestellung mit existentieller Bedeutung für den Kläger vor. Dies gilt insbesondere im Hinblick darauf, dass der Kläger offenkundig in der Lage war die Kosten für die Maßnahme selbst vorzufinanzieren und entsprechend das Prozessrisiko bewusst einzugehen. Dass die Maßnahme sodann im weiteren Fortgang des Verfahrens bereits durchgeführt war und lediglich noch deren Kosten im Streit standen, also ein gesundheitlicher Schaden durch eine Verzögerung für den Kläger nicht (mehr) drohte, nimmt dem Verfahren weiter an Bedeutung. Andererseits ist zu beachten, dass der Kläger mitnichten über umfangreiche finanzielle Mittel verfügte und verfügt. Der Kläger ist ausweislich des Gutachtens vom 30. April 2010 aus dem Ausgangsverfahren Erwerbsminderungsrentner. Erhebliche finanzielle Rücklagen stehen ihm nicht zur Verfügung, wie aus seinen Einlassungen zur Gerichtskostenvorschusspflicht im Entschädigungsverfahren erkennbar ist, aus denen sich ergibt, dass er sich zu einer Beschränkungen des Klagegegenstands gezwungen sah, weil er nicht in der Lage war, für alle aus seiner Sicht entschädigungswürdigen Verfahren den notwendigen Vorschuss aufzubringen.

Neben diesen Faktoren ist in die Betrachtung mit einzustellen, dass aus dem Anspruch auf Rechtsschutz in angemessener Zeit kein Recht auf sofortige Befassung des Gerichts mit jedem Rechtsschutzbegehren und dessen unverzügliche Erledigung folgt. Bereits aus nachvollziehbaren Gründen der öffentlichen Personalwirtschaft ist es gerichtsorganisatorisch mitunter unvermeidbar, Richtern oder Spruchkörpern einen relativ großen Bestand an Verfahren zuzuweisen. Eine gleichzeitige inhaltlich tiefgehende Bearbeitung sämtlicher Verfahren, die bei einem Gericht anhängig oder einem Spruchkörper bzw. Richter zugewiesen sind, ist insoweit schon aus tatsächlichen Gründen nicht möglich und wird auch von Art. 20 Abs. 3 GG bzw. Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK nicht verlangt (BFH, Zwischenurteil vom 7. November 2013 - X K 13/12). Je nach Bedeutung und Zeitabhängigkeit des Rechtsschutzziels und abhängig von der Schwierigkeit des Rechtsstreits sowie vom Verhalten des Rechtschutzsuchenden sind ihm gewisse Wartezeiten zuzumuten. Grundsätzlich muss dabei jedem Gericht eine ausreichende Vorbereitungs- und Bearbeitungszeit zur Verfügung stehen (BGH, Urteil vom 13. März 2014 - III ZR 91/13 Rn. 34). Ebenso sind Gerichte - unter Beachtung des Gebots effektiven Rechtsschutzes - berechtigt, einzelne (ältere und jüngere) Verfahren aus Gründen eines sachlichen, rechtlichen, persönlichen oder organisatorischen Zusammenhangs zu bestimmten Gruppen zusammenzufassen oder die Entscheidung einer bestimmten Sach- oder Rechtsfrage als dringlicher anzusehen als die Entscheidung anderer Fragen, auch wenn eine solche zeitliche "Bevorzugung" einzelner Verfahren jeweils zu einer längeren Dauer anderer Verfahren führt.

Obwohl die maßgebliche Gesamtabwägung nach den Vorgaben des § 198 Abs. 1 S. 2 GVG in jedem Einzelfall durchzuführen ist und der Gesetzgeber von der Einführung bestimmter Grenzwerte (Fristen) für die Dauer unterschiedlicher Verfahrenstypen abgesehen hat (BT-Drucks. 17/3802 S 18: BSG, Urteil vom 21. Februar 2013 - B 10 ÜG 1/12 KL und B 10 ÜG 2/12 KL), lässt es sich zur Gewährleistung möglichst einheitlicher Rechtsanwendung und damit aus Gründen der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit andererseits nicht vermeiden, in Entschädigungssachen zeitraumbezogene Konkretisierungen vorzunehmen. Dies jedenfalls dort, wo derartige Konkretisierungen aufgrund vorgefundener Übereinstimmungen sowohl in der Struktur zahlreicher sozialgerichtlicher Verfahren als auch ihrer Bearbeitung durch die Gerichte vertretbar sind (vgl. dazu BFH, Zwischenurteil vom 7. November 2013 - X K 13/12 Rn. 64). Es ist zu diesem Zweck aufgrund der besonderen Natur sozialgerichtlicher Verfahren in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 3. September 2014 – B 10 ÜG 12/13 R Rn. 53) derzeit von folgenden Grundsätzen auszugehen: Die persönliche und sachliche Ausstattung der Sozialgerichte muss einerseits so beschaffen sowie die gerichtsinterne Organisation der Geschäfte (Geschäftsverteilung, Gestaltung von Dezernatswechseln etc.) so geregelt sein, dass ein Richter oder Spruchkörper die inhaltliche Bearbeitung und Auseinandersetzung mit der Sache wegen anderweitig anhängiger ggf. älterer oder vorrangiger Verfahren im Regelfall nicht länger als zwölf Monate zurückzustellen braucht.

Die systematische Verfehlung dieses Ziels ist der Hauptgrund dafür, dass die für Ausstattung der Gerichte zuständigen Gebietskörperschaften Bund und Land mit den Kosten der Entschädigungszahlungen belastet werden, wenn Gerichtsverfahren eine angemessene Dauer überschreiten. Eine Verfahrensdauer von bis zu zwölf Monaten je Instanz ist damit regelmäßig als angemessen anzusehen, selbst wenn sie nicht durch konkrete Verfahrensförderungsschritte begründet und gerechtfertigt werden kann. Diese Zeitspanne muss und wird in der Regel nicht vollständig direkt im Anschluss an die Erhebung der Klage bzw. die Einlegung der Berufung liegen, in der das Gericht normalerweise für einen Schriftsatzwechsel sorgt und Entscheidungsunterlagen beizieht. Die Vorbereitungs- und Bedenkzeit kann vielmehr auch am Ende der jeweiligen Instanz liegen und in mehrere, insgesamt zwölf Monate nicht übersteigende Abschnitte unterteilt sein. Für diese Zwölfmonatsregel spricht u.a. die Regelung des § 198 Abs. 5 S. 1 GVG; danach kann eine Klage zur Durchsetzung des Anspruchs aus Abs. 1 der Vorschrift frühestens sechs Monate nach Erhebung der Verzögerungsrüge erhoben werden. Eine gewisse Vorbereitungs- und Bedenkzeit der Gerichte akzeptiert auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), dessen Rechtsprechung maßgeblich dem Gesetz zugrunde liegt. Wie die Analyse seiner Urteile zeigt, beanstandet der Gerichtshof regelmäßig nicht die Dauer solcher Verfahren, die nicht besonders eilbedürftig sind und die je Instanz nicht länger als zwei Jahre und insgesamt nicht länger als fünf Jahre dauern (so auch BSG, Urteil vom 3. September 2014 – B 10 ÜG 12/13 R Rn. 54).

Nicht jede Periode gerichtlicher Untätigkeit führt nach der Rechtsprechung des EGMR zwingend zu einem Entschädigungsanspruch; vielmehr ist sie in einem gewissen Verfahrensstadium vertretbar, solange die Gesamtverfahrensdauer nicht als überlang erachtet werden kann (vgl. u.a. EGMR, Individualbeschwerde Nr. 32842/96 Nuutinen/Finnland, Rn. 110; Individualbeschwerde Nr. 7759/77 Buchholz/Deutschland, Rn. 63). Beruht die Verfahrensdauer, die die genannte Dauer von zwölf Monaten je Instanz übersteigt, auf vertretbarer aktiver Verfahrensgestaltung (z.B. Zeit für Einholung von Auskünften, Zeugenaussagen, Sachverständigengutachten, Beiziehung von Akten) oder wird sie maßgeblich durch das Verhalten des Klägers, anderer Verfahrensbeteiligter oder Dritter verlängert, so macht selbst dies die Verfahrensdauer in der Regel ebenfalls noch nicht unangemessen. Anderes gilt für Zeiten, in denen eine Sache über zwölf Monate hinaus ("am Stück" oder immer wieder für kürzere Zeiträume) ohne sachlichen Grund "auf Abruf" liegt, ohne dass das Verfahren zeitgleich inhaltlich betrieben wird oder sich auf sog. Schiebeverfügungen beschränkt. Die genannten Orientierungswerte gelten allerdings nur, wenn sich nicht aus dem Vortrag des Klägers oder aus den Akten besondere Umstände ergeben, die vor allem mit Blick auf die Kriterien von § 198 Abs. 1 S. 2 GVG im Einzelfall zu einer anderen Bewertung führen. Damit ändert die Zwölfmonatsregel nichts am Vorrang der Einzelfallbetrachtung, sondern verschiebt lediglich die sachlichen Anforderungen an die Verfahrensförderung entlang zeitlicher Grenzen.

Unter Beachtung dieser Kriterien ergibt sich aus der Verfahrensdauer in zweiter Instanz von 16 Monaten auch unter Beachtung von sieben Monaten (Februar bis August 2011) ohne aus der Akte ersichtlichen Verfahrensfortgang eine angemessene Sachbehandlung zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes. Sieben Monate der Inaktivität in dem konkreten Verfahren befinden sich deutlich innerhalb des zwölfmonatigen Regelwertes für die Vorbereitungs- und Bedenkzeit.

Die Sachbehandlung in erster Instanz genügte dagegen nicht während der gesamten Anhängigkeit vor dem Sozialgericht von 59 Monaten diesem Maßstab. Auch wenn man im Rahmen der notwendigen Einzelfallbetrachtung in die Erwägung einstellt, dass medizinische Ermittlungen im Rahmen des Amtsbetriebs eines sozialgerichtlichen Verfahrens stets in der Sache und damit auch zeitlich anspruchsvoll und aufwendig sind, muss hier im Ergebnis davon ausgegangen werden, dass immerhin während 24 Monaten der Anhängigkeit vor dem Sozialgericht ein dem Verfahren Fortgang gebendes Tätigwerden des Gerichts in der Akte nicht dokumentiert ist:

- Mai 2006: Akte zur Wiedervorlage,
- Juni bis Juli 2006: Akte zur Sitzung verfügt,
- Februar bis Oktober 2007: Akte zur Sitzung verfügt,
- Dezember 2007 bis September 2008: Akte zur Sitzung verfügt,
- Januar und Februar 2010: Akte zur Wiedervorlage.

Während dieser Monate lag ausweislich der Gerichtsakte das Verfahren entweder zur Wiedervorlage vor oder war zur Sitzung verfügt. Hierin ist keine Aktivität des Gerichts in dem konkreten Verfahren zu sehen.

Zusätzlich ergeben sich aus der Akte sechs weitere Monate, in denen sich die dokumentierte Tätigkeit des Gerichts darauf beschränkte, Schriftsätze des Klägers (Bl. 24 bis 56 der Gerichtsakte; Bl. 57 bis 67 der Gerichtsakte) zur Kenntnis zu nehmen und an die Beklagte zu übersenden:

- September 2006 bis Januar 2007 und
- November 2007.

Bereinigt um die auch hier im Regelumfang von zwölf Monaten einzubeziehende Vorbereitungs- und Bedenkzeit verbleibt mithin zunächst ein weiter zu betrachtender Zeitraum von insgesamt 18 Monaten.

Im Rahmen einer Gesamtabwägung, die auch das prozessuale Verhalten des Klägers miteinbezieht, ist dieser Zeitraum weiter zu bereinigen (BSG, Urteil vom 3. September 2014 – B 10 ÜG 12/13 R Rn. 57). Dieses ist ins Verhältnis zu setzen und kann insbesondere während Phasen der Inaktivität des Gerichts im Rahmen der Verfahrensführung eine sachliche Rechtfertigung der Verzögerung begründen. Sofern der Kläger also während Phasen der Inaktivität des Sozialgerichts selbst durch das Einreichen von Schriftsätzen eine Bearbeitung des Vorganges durch das Gericht bewirkt hat, liegt keine inaktive Zeit der Verfahrensführung durch das Sozialgericht vor und damit keine überlange Verfahrensdauer. Insoweit geht der Senat davon aus, dass eingereichte Schriftsätze, die einen gewissen Umfang haben und sich inhaltlich mit Fragen des Verfahrens befassen, generell eine Überlegungs- und Bearbeitungszeit beim Gericht bewirken, die mit einem Monat zu Buche schlägt. Darunterliegende Zeitmaßstäbe erscheinen vor dem Hintergrund der vom Gesetz vorgegebenen Rechengröße von 1200 Euro pro Jahr der Überlänge (vgl. § 198 Abs. 2 S. 3 GVG) nicht mehr als sinnvoll.

Der für die Verzögerung zu betrachtende Zeitraum ist daher in der Gesamtabwägung um weitere sechs Monate zu bereinigen, in denen der Kläger umfangreiche Schriftsätze mit schwerpunktmäßig medizinischem Inhalt oder Anlagen eingereicht hat. Diese musste das Gericht daraufhin untersuchen, ob sie Anträge enthielten oder es in tatsächlicher Hinsicht notwendig machten, erneut in die (medizinische) Amtsermittlung einzusteigen oder jedenfalls eine Stellungnahme der Beklagten anzufordern. Es war dabei zu berücksichtigen, dass die Schriftsätze des Klägers eine Konzentration auf den Streitgegenstand vermissen ließen und zudem Parallelverfahren (L 1 KR 285/10 und L 1 KR 295/10) anhängig waren, deren Streitgegenstände gegeneinander abzugrenzen waren. Die tatsächliche Verzögerung des Rechtsstreits, die mit der Beschwerde des Klägers gegen die Beweisanordnung des Sozialgerichts einherging, war hier nicht mit in die Betrachtung einzubeziehen, weil in diesen Monaten auch durch die Einholung und die Vorlage von Befundberichten eine gerichtliche Inaktivität nicht vorlag.

Es verbleiben daher im Ergebnis zwölf entschädigungsrelevante Monate.

Eine Kompensation dieser Überlänge durch eine zügige Entscheidung in zweiter Instanz ist nicht eingetreten. Zwar liegt für das zweitinstanzliche Verfahren keine unangemessene lange Verfahrensdauer vor. Jedoch kommt eine Kompensation der Überlänge im ersten Rechtszug im Hinblick auf die vorerwähnten sieben Monate der Inaktivität nicht in Betracht.

Durch die überlange Verfahrensdauer in erster Instanz hat der Kläger einen Nachteil nicht vermögenswerter Art erlitten. Dies folgt bereits aus § 198 Abs. 2 Satz 1 GVG, wonach ein Nachteil, der nicht Vermögensnachteil ist, vermutet wird, wenn ein Gerichtsverfahren unangemessen lange gedauert hat. Umstände, die diese gesetzliche Vermutung zu widerlegen geeignet erscheinen lassen, sind nicht erkennbar und auch von dem Beklagten nicht vorgebracht worden.

Eine Wiedergutmachung auf andere Weise gemäß § 198 Abs. 4 GVG, insbesondere durch die Feststellung des Entschädigungsgerichts, dass die Verfahrensdauer unangemessen war, ist zur Überzeugung des Senats nicht ausreichend (§ 198 Abs. 2 Satz 2 GVG). Unter Würdigung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 6 und Art. 41 EMRK, nach der eine derartige Kompensation eines Nichtvermögensschadens nur ausnahmsweise in Betracht kommt, besteht vorliegend kein Anlass, von der gesetzlich als Normalfall vorgesehenen Zahlung einer Entschädigung abzusehen. Entsprechende Gründe hat auch der Beklagte nicht geltend gemacht.

Ausgehend von der im Umfang von zwölf Monaten überlangen Dauer des gerichtlichen Verfahrens und dem in § 198 Abs. 2 S. 3 GVG vorgegebenen Richtwert von 1.200,00 EUR für jedes Jahr der Verzögerung beläuft sich die dem Kläger zustehende angemessene Entschädigung auf 1.200,00 EUR. Raum, in Anwendung des § 198 Abs. 2 S. 4 GVG einen höheren Betrag anzusetzen, besteht nicht. § 198 Abs. 2 Satz 4 GVG erlaubt eine Abweichung nur bei Unbilligkeit "nach den Umständen des Einzelfalls". Dabei kann es nur um atypische Einzelfälle gehen (vgl. BSG, Urteil vom 3. September 2014 – B 10 ÜG 9/13 R Rn. 51, Roderfeld, a.a.O., § 198 Rn. 82). Denn die Pauschalierung dient gerade dazu, unter Verzicht auf einen einzelfallbezogenen Nachweis Streitigkeiten über die Höhe der Entschädigung möglichst zu vermeiden und damit eine zügige Abwicklung des Entschädigungsverfahrens zu gewährleisten (vgl. BT-Drucksache 17/3802, Seite 20). Derartige besondere Umstände, sind weder von dem Kläger nachvollziehbar geltend gemacht noch sonst ersichtlich.

Da die Klage der Höhe nach nicht beziffert war und nach dem Vortrag des Klägers, das Verfahren habe in erster Instanz mehr als 5 Jahre "unerledigt gelegen" (Schriftsatz vom 8. April 2013 - Bl. 43 der Gerichtsakte des Entschädigungsverfahrens), davon ausgegangen werden muss, dass er sich eine höhere Entschädigung versprochen hätte, war die Klage bezüglich der Höhe der Entschädigung im Übrigen abzuweisen.

Da der Entschädigungsanspruch nach § 198 GVG außerhalb des Systems der sozialrechtlichen Ansprüche steht, für die Prozesszinsen nach Maßgabe des § 44 SGB I grundsätzlich nicht beansprucht werden kann (vgl. BSG, Urteile vom 3.9.2014 – B 10 ÜG 9/13 R – Rn. 52, – B 10 ÜG 12/13 R –, Rn. 61 und – B 10 ÜG 2/14 R – Rn. 54; Müller, SGb, 2010, 336), war der Beklagte weiter gemäß §§ 288 Abs. 1, 291 Satz 1 BGB analog zur Zahlung von Prozesszinsen in Höhe von Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz zu verurteilen. Diese sind ab Rechtshängigkeit, d.h. nach § 94 SGG ab Klageerhebung am 20. Dezember 2011 zu zahlen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG i.V.m. § 155 Abs. 1 VwGO und berücksichtigt, dass der Kläger durch den summenmäßig unbestimmten Klageantrag das Kostenrisiko in der Höhe nicht vollständig auf den Beklagten abwälzen konnte.

Die Revision war gem. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
Saved