L 11 R 3585/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 7 R 427/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 R 3585/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 26.08.2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt Rente für besonders langjährig Versicherte anstelle einer wegen Abschlägen um 9% niedrigeren Rente für langjährig Versicherte.

Die am 15.11.1952 in der ehemaligen Sowjetunion geborene Klägerin besuchte von August 1968 bis Februar 1972 die Lebensmittelindustrie-Fachschule (Technikum) der Stadt K., Fachrichtung Bäckereierzeugnisse. Mit Diplom am 28.02.1972 wurde ihr die Qualifikation einer Verfahrensingenieurin zuerkannt. Anschließend war sie durchgehend berufstätig mit Ausnahme von wenigen Monaten Unterbrechung wegen Schwangerschaft/Mutterschutz bzw Kindererziehung anlässlich der Geburt ihrer drei Kinder. Am 03.09.1994 übersiedelte die Klägerin in die Bundesrepublik Deutschland, sie ist anerkannte Spätaussiedlerin. Hier hat sie bis 01.07.2008 durchgehend Pflichtbeitragszeiten (überwiegend für Pflegetätigkeit) zurückgelegt, vom 02.07.2008 bis 28.02.2009 bestand Arbeitslosigkeit ohne Leistungsbezug, vom 01.03.2009 bis 30.11.2015 wurden wieder durchgehend Pflichtbeitragszeiten zurückgelegt. Nach dem Versicherungsverlauf liegen bis 30.11.2015 insgesamt 512 Kalendermonate mit Beitragszeiten sowie weitere vier Monate mit Berücksichtigungszeiten (ohne Überschneidung mit Pflichtbeitragszeiten) vor. Die Zeit vom 15.11.1969 bis 26.02.1972 ist als Anrechnungszeit wegen Fachschulausbildung berücksichtigt.

Am 03.08.2015 beantragte die Klägerin die Gewährung von Rente für langjährig Versicherte und für besonders langjährig Versicherte, beginnend ab 01.12.2015. Mit Bescheid vom 10.11.2015 bewilligte die Beklagte ihr Altersrente für langjährig Versicherte ab 01.12.2015 mit einem Zahlbetrag von 765,46 EUR. Wegen vorzeitiger Inanspruchnahme der Rente um 30 Kalendermonate verminderte sich der Zugangsfaktor um 0,09 mit der Folge einer um 9% niedrigeren Rente. Die Beklagte verwies darauf, dass die Wartezeit von 45 Jahren für die Altersrente für besonders langjährig Versicherte nicht erfüllt sei.

Hiergegen richtet sich der am 18.11.2015 eingelegte Widerspruch der Klägerin. Die gesamte Zeit der Ausbildung am Technikum von August 1968 bis 26.02.1972 müsse ebenfalls berücksichtigt werden, da sie in dieser Zeit immer wieder verschiedene Praktika gemacht habe. Die Zeit vom 03.12.1970 bis 19.02.1971 (Zeugnis über Betriebspraktikum) sei nur ein Teil hiervon.

Mit Widerspruchsbescheid vom 27.01.2016 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Der Besuch des Technikums sei mit einer Anrechnungszeit zutreffend berücksichtigt. Das Arbeitsbuch der Klägerin enthalte erst ab dem 13.03.1972 Eintragungen zu den Beschäftigungsverhältnissen.

Hiergegen richtet sich die am 08.02.2016 zum Sozialgericht Ulm (SG) erhobene Klage, mit welcher die Klägerin weiterhin die Gewährung einer Rente für besonders langjährig Versicherte begehrt. Sinngemäß trägt sie vor, über einen von August 1968 bis November 2015 lückenlosen Versicherungsverlauf zu verfügen. Ergänzend hat sie (neben bereits im Verwaltungsverfahren vorgelegten Unterlagen) ihr Semester- und Prüfungsverzeichnis zum Diplom und ein Dokument zu ihrer Gewerkschaftszugehörigkeit seit 1968 vorgelegt. Nachweise über weitere Praktika habe sie nicht.

Die Beklagte ist der Klage entgegen getreten und hat ausgeführt, aus dem Diplom sowie dem Semester- -und Prüfungsverzeichnis ergebe sich eindeutig, dass es sich bei der Ausbildung zur Verfahrensingenieurin nicht um eine berufliche Ausbildung, sondern ein Studium gehandelt habe.

Mit Urteil vom 26.08.2016 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe keinen Anspruch auf die Gewährung von Altersrente für besonders langjährig Versicherte gemäß § 236b Abs 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI). Zwar sei sie vor dem Stichtag 01.01.1964 geboren und habe zum 01.12.2015 das 63. Lebensjahr vollendet, sie erfülle jedoch nicht die erforderliche Wartezeit von 45 Jahren. Es seien nur 42 Jahre und 8 Monate mit nach § 51 Abs 3a Satz 1 Nr 1 und 2 SGB VI anrechenbaren Zeiten zurückgelegt worden. Da die Klägerin als Spätaussiedlerin anerkannt sei, seien auch die in der Sowjetunion zurückgelegten Pflichtbeitrags- und Kindererziehungszeiten auf die Wartezeit anzurechnen. Die Zeit von August 1968 bis Februar 1972, in welcher die Klägerin am Technikum studiert habe, erfülle dagegen nicht die Voraussetzungen von § 51 Abs 3a Satz 1 SGB VI. Es handele sich um eine Zeit der Fachschul- oder Hochschulausbildung, für die nach § 58 Abs 1 Satz 1 Nr 4 SGB VI nur eine Anrechnungszeit zu berücksichtigen sei. Aus dem Arbeitsbuch ergebe sich, dass in diesem Zeitraum keine beitragspflichtige Beschäftigung vorgelegen habe. Vielmehr werde ausdrücklich von einem "bis zur Aufnahme der Beschäftigung" durchgeführten "Studium an der Lebensmittel-Fachschule" gesprochen. Für eine Einordnung als nicht beitragspflichtige Ausbildungszeit spreche auch das Diplom und das Semester- und Prüfungsverzeichnis. Das kurze Praktikum vom 03.12.1970 bis 19.02.1971 mache das Studium nicht zu einer beitragspflichtigen Beschäftigung. Weitere Praktika seien nicht nachgewiesen. Die Gewerkschaftszugehörigkeit der Klägerin ab 1968 ändere nichts an der Qualifizierung der Studienzeit als bloße Anrechnungszeit.

Gegen das ihr am 31.08.2016 zugestellte Urteil richtet sich die am 26.09.2016 eingelegte Berufung der Klägerin. Es sei ungerecht, Berufsausbildungsjahre, die in K. als Arbeitszeit berechnet worden seien, jetzt nicht anzurechnen. Sie sei 1968 Gewerkschaftsmitglied geworden, das sei nur an Berufsschulen möglich gewesen, nicht an Fach- oder Hochschulen. Im Technikum habe sie mehr Praktika gehabt als Unterricht. Im Praktikum vom 03.12.1970 bis 19.02.1971 habe sie eine Qualifikation zuerkannt bekommen (Teigmacherin der Qualifikationsstufe 5) und könne deshalb ein Zeugnis vorlegen. Die IHK habe bestätigt, dass ihre Ausbildung zu einer Facharbeiterqualifikation geführt habe; alles, was von der IHK komme, sei versicherungspflichtig.

Die Klägerin beantragt sinngemäß,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 26.08.2016 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheids vom 10.11.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.01.2016 zu verurteilen, ihr ab 01.12.2015 statt der gewährten Altersrente für langjährig Versicherte Altersrente für besonders langjährig Versicherte ohne Abschläge zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Mit Schreiben vom 13.10.2016 sind die Beteiligten darauf hingewiesen worden, dass eine Zurückweisung der Berufung durch Beschluss des Senats ohne mündliche Verhandlung und ohne Beteiligung ehrenamtlicher Richter beabsichtigt ist.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.

Der Senat weist die Berufung nach § 153 Abs 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch Beschluss zurück, da er sie einstimmig für unbegründet hält. Die Beteiligten sind zu dieser Verfahrensweise gehört worden. Einwände gegen diese Vorgehensweise haben sie nicht vorgebracht.

Die Berufung ist form- und fristgerecht eingelegt (§ 151 Abs 1 SGG) und auch ansonsten statthaft (§§ 143, 144 SGG) und damit zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Der angefochtene Bescheid vom 10.11.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27.01.2016 enthält mit der Gewährung der Altersrente für langjährig Versicherte und der Ablehnung der Altersrente für besonders langjährig Versicherte zwei Regelungen. Nur die zweite hat die Klägerin mit ihrer Klage angefochten. Streitgegenstand des Verfahrens ist daher allein, ob die Klägerin Anspruch auf die begehrte Altersrente für besonders langjährig Versicherte hat. Dies ist nicht der Fall. Der angefochtene Bescheid ist insoweit rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

Nach § 236b Abs 1 SGB VI (idF vom 23.06.2014, BGBl I 787) haben Versicherte, die vor dem 01.01.1964 geboren sind, frühestens Anspruch auf Altersrente für besonders langjährig Versicherte, wenn sie (1.) das 63. Lebensjahr vollendet und (2.) die Wartezeit von 45 Jahren erfüllt haben. Versicherte, die vor dem 01.01.1953 geboren sind, haben Anspruch auf diese Altersrente nach Vollendung des 63. Lebensjahres (§ 236b Abs 2 Satz 1 SGB VI). Nach § 51 Abs 3a SGB VI werden auf die Wartezeit von 45 Jahren Kalendermonate angerechnet mit 1. Pflichtbeiträgen für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit, 2. Berücksichtigungszeiten, 3. Zeiten des Bezugs von (a) Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung, (b) Leistungen bei Krankheit und (c) Übergangsgeld, soweit sie Pflichtbeitragszeiten oder Anrechnungszeiten sind; dabei werden Zeiten nach Buchstabe a in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn nicht berücksichtigt, es sei denn, der Bezug von Entgeltersatzleistungen der Arbeitsförderung ist durch eine Insolvenz oder vollständige Geschäftsaufgabe des Arbeitgebers bedingt, und 4. freiwilligen Beiträgen, wenn mindestens 18 Jahre mit Zeiten nach Nr 1 vorhanden sind; dabei werden Zeiten freiwilliger Beitragszahlung in den letzten zwei Jahren vor Rentenbeginn nicht berücksichtigt, wenn gleichzeitig Anrechnungszeiten wegen Arbeitslosigkeit vorliegen. Auf die Wartezeiten werden auch Kalendermonate mit Ersatzzeiten (Fünftes Kapitel) angerechnet (§ 51 Abs 4 SGB VI).

Vom 13.03.1972 bis zum 30.11.2015 hat die Klägerin insgesamt 512 Kalendermonate an anrechnungsfähigen Pflichtbeitragszeiten zurückgelegt. Dazu gehören nicht nur die Pflichtbeitragszeiten wegen versicherungspflichtiger Beschäftigung, sondern auch die nach § 55 Abs 2 Nr 2 SGB VI gleichgestellten Pflichtbeiträge, für die aus den in § 3 oder § 4 genannten Gründen Beiträge gezahlt worden sind oder als gezahlt gelten (hier insbesondere für Kindererziehung bzw Pflegetätigkeit). Daneben sind weitere vier Monate mit Berücksichtigungszeiten anzurechnen (April 1974, Mai/Juni 1981 und September 1993). Die in der ehemaligen Sowjetunion zurückgelegten Zeiten sind dabei bereits berücksichtigt (§§ 1, 14, 15, 28b Fremdrentengesetz (FRG)). Insgesamt sind damit auf die Wartezeit von 45 Jahren anrechenbar 516 Kalendermonate, dh 43 Jahre, so dass die erforderliche Wartezeit von 45 Jahren nicht erfüllt ist.

Zutreffend hat das SG bereits ausgeführt, dass die Zeit der Fachschulausbildung am Technikum von August 1968 bis 19.02.1971 nicht als Pflichtbeitragszeit angerechnet werden kann. Aus dem Arbeitsbuch ergibt sich eindeutig, dass eine Beschäftigung erst am 13.03.1972 aufgenommen wurde. Die Zeit davor wird ausdrücklich als Studium an der Lebensmittel-Fachschule bezeichnet, so dass ausgeschlossen ist, dass das Arbeitsbuch insoweit lediglich unvollständig ist. Auch wenn mehrere Praktika absolviert wurden (bescheinigt ist ein Betriebspraktikum vom 03.12.1970 bis 19.02.1971) ändert sich der Charakter der Ausbildung als Fachschulausbildung nicht. Auch die Bescheinigung über die Gewerkschaftszugehörigkeit ab 1968 kann insoweit nicht zu einer anderen Beurteilung führen. Ob die IHK den erlernten Beruf als gleichwertig mit einem bundesdeutschen Ausbildungsberuf (Fachkraft für Lebensmitteltechnik) einstuft, spielt für die Frage, ob eine Beitrags- oder Beschäftigungszeit iSv §§ 15, 16 FRG vorliegt, ebenfalls keine Rolle. Schon aufgrund der Angaben im Arbeitsbuch erscheint die Annahme einer Beitrags- oder Beschäftigungszeit ausgeschlossen. Die Ausbildung am Technikum wurde in K. entgegen der Mitteilung der Klägerin gerade nicht als "Arbeitszeit" bewertet, sonst wären entsprechende Beiträge abgeführt worden mit Nachweis im Arbeitsbuch. Es handelt sich auch nicht um eine Beschäftigung zur Berufsausbildung (§ 16 FRG, § 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI), denn nach den Angaben im Arbeitsbuch (Studium), dem vorliegenden Diplom und dem Auszug aus dem Semester- und Prüfungsverzeichnis ist von einer Fachschulausbildung auszugehen. Da nach alledem weitere, auf die Wartezeit von 45 Jahren anrechenbare Zeiten nicht ersichtlich sind, ist die Entscheidung der Beklagten und des SG nicht zu beanstanden.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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