L 12 AL 216/03

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
12
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 3 AL 121/02
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 12 AL 216/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 7 AL 26/04 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 22.05.2003 abgeändert. Die Beklagte wird unter Abänderung des Bescheides vom 07.02.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.04.2002 sowie der Bescheide vom 26.07.2002, 17.01.2003 und 28.07.2003 verurteilt, dem Kläger Arbeitslosenhilfe ohne Einkommensanrechnung zu gewähren. Die Beklagte hat die erstattungsfähigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen zu tragen. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Höhe der Arbeitslosenhilfe für die Zeit vom 01.01.2002 bis 31.12.2003.

Der Kläger bezieht seit November 1995 Arbeitslosenhilfe, die zuletzt jeweils für einen Bewilligungsabschnitt vom 01.01. bis 31.12. eines Jahres bewilligt worden ist. Am 15.11.2001 beantragte er die Fortzahlung für das Jahr 2002. Er gab an, zusammen mit seiner Ehefrau im letzen Jahr Zinsen in Höhe von 530 DM (270,98 Euro) erhalten zu haben. Des Weiteren teilte er mit, jährlich 160,- DM für eine Hausratversicherung, 118,31 DM für ein private Haftpflichtversicherung und 600,60 DM für eine Kfz-Versicherung aufzuwenden.

Mit Bescheid vom 07.02.2002 bewilligte die Beklagte Arbeitslosenhilfe für den Bewilligungsabschnitt vom 01.01.2002 bis 31.12.2002 in Höhe von 234,50 Euro wöchentlich. Der Berechnung lag ein gerundetes wöchentliches Arbeitsentgelt von 650,00 Euro (Leistungsgruppe C, ohne Kindermerkmal) zugrunde. Aufgrund der Angaben des Klägers zu den Zinseinnahmen rechnete die Beklagte einen Betrag in Höhe von 2,53 Euro (nach den Zahlungsnachweisen sogar 3,57 Euro) wöchentlich auf die Arbeitslosenhilfe an.

Hiergegen legte der Kläger mit der Begründung Widerspruch ein, dass die Anrechnung der Zinsen als Einkommen rechtswidrig sei. Sein Einkommen im Jahr 2001 habe sich aus Arbeitslosenhilfe und Zinsen (insgesamt 24.924,00 DM) zusammengesetzt. Davon sei nach den gesetzlichen Regelungen ein Pauschalbetrag von 3 %, also 382,30 Euro anrechnungsfrei. Für Versicherungen habe er 367,51 Euro jährlich bezahlen müssen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 30.04.2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung führte sie aus: Der Kläger habe Zinseinnahmen in Höhe von 135,49 Euro jährlich bzw. 11,29 Euro monatlich erzielt. Der Pauschbetrag von 3 % betreffe nur das Einkommen, das auf die Arbeitslosenhilfe angerechnet werde und nicht die Arbeitslosenhilfe selbst. Beim Kläger müssten daher 3 % der Zinseinnahmen, mithin 0,34 Euro wöchentlich, als Einkommen anrechnungsfrei bleiben. Der übrige Betrag in Höhe von 10,95 Euro monatlich bzw. 2,53 Euro wöchentlich müsse auf die Arbeitslosenhilfe angerechnet werden.

Dagegen hat der Kläger am 03.05.2002 vor dem Sozialgericht (SG) Detmold Klage erhoben, mit der er die Bewilligung von Arbeitslosenhilfe ohne Einkommensanrechnung begehrt. Er hat weiter die Auffassung vertreten, der Pauschbetrag von 3 % für Versicherungsleistungen müsse vom gesamten Einkommen und damit auch von der Arbeitslosenhilfe abgezogen werden. Die Zinseinnahmen würden damit unter den Freibetrag fallen.

Im Laufe des Klageverfahrens hat die Beklagte mit Änderungsbescheid vom 26.07.2002 das Bemessungsentgelt ab 01.07.2002 auf 645 Euro vermindert und Leistungen nur noch in Höhe von 233,31 Euro wöchentlich - wiederum unter Einkommensanrechnung von 2,53 oder 3,57 Euro wöchentlich - bewilligt.

Am 13.11.2002 hat der Kläger die Fortzahlung der Arbeitslosenhilfe für den nächsten Bewilligungsabschnitt beantragt. Die Zinseinnahmen des letzten Jahres gab er mit 210,77 Euro an. Seine Aufwendungen für Versicherungen bezogen auf das Jahr hat er mit 367,51 Euro beziffert, davon 77,15 Euro für eine Hausratversicherung, 61,02 Euro für eine private Haftpflichtversicherung und 229,34 Euro für eine Kfz-Versicherung inklusive Vollkasko.

Mit Bescheid vom 17.01.2003 hat die Beklagte Arbeitslosenhilfe bewilligt für den Bewilligungsabschnitt vom 01.01.2003 bis 31.12.2003 in Höhe von 231,91 Euro wöchentlich unter Anrechung eines Einkommens von 3,57 Euro wöchentlich.

Der Kläger hat beantragt,

den Bescheid der Beklagten vom 07.02.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.04.2002 aufzuheben und ihm Arbeitslosenhilfe ab dem 01.01.2002 ohne Anrechnung von Einkommen zu bewilligen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Mit Urteil vom 22.05.2003 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung folgendes ausgeführt: Der Kläger habe keinen Anspruch auf Bewilligung von Arbeitslosenhilfe ohne Anrechnung von Einkommen. Nach § 190 Abs. 1 Nr. 5 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) habe Anspruch auf Arbeitslosenhilfe, wer unter anderem bedürftig ist. Bedürftig sei nach § 193 Abs. 1 SGB III ein Arbeitsloser, soweit er seinen Lebensunterhalt nicht auf andere Weise als durch Arbeitslosenhilfe bestreitet oder bestreiten kann und das zu berücksichtigende Einkommen die Arbeitslosenhilfe nicht erreicht. Zu berücksichtigendes Einkommen sei nach § 194 Abs. 1 S. 1 SGB III das Einkommen des Arbeitslosen, soweit es nicht als Nebeneinkommen anzurechnen ist. Die Legaldefinition des Einkommens finde sich in § 194 Abs. 2 S. 1 SGB III, wonach unter den Einkommensbegriff alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert fielen einschließlich der Leistungen, die von Dritten beansprucht werden können. Zu den Einnahmen gehörten insbesondere auch Kapitalerträge, wie Zinsen oder Dividenden. Der Kläger habe im Jahr 2001 Zinseinnahmen in Höhe von 135,49 Euro jährlich bzw. 11,29 Euro monatlich erzielt. Abzusetzen von diesem Einkommen seien nach § 194 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 SGB III unter anderem Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung sowie Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen soweit diese Beträge gesetzlich vorgeschrieben oder nach Grund und Höhe angemessen sind. Aufgrund der Ermächtigung nach § 206 Nr. 3 SGB III habe das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen bei der Arbeitslosenhilfe-Verordnung vom 13.12.2001 (AlhiVO 2002) bestimmt, welche Pauschbeträge für die vom Einkommen abzusetzenden Beträge zu berücksichtigen seien. Die AlhiVO 2002 sei am 01.01.2002 in Kraft getreten. Die Übergangsvorschriften des § 4 AlhiVO 2002 fänden vorliegend keine Anwendung. Nach § 3 Abs. 2 AlhiVO 2002 sei als Pauschbetrag für die nach § 194 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 SGB III vom Einkommen abzusetzenden Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen, die gesetzlich vorgeschrieben oder nach Grund und Höhe angemessen sind, ein Betrag in Höhe von 3 % des Einkommens abzusetzen, wenn der Arbeitslose und sein Partner in der gesetzlichen Sozialversicherung versicherungspflichtig sind, in den übrigen Fällen die tatsächlichen Aufwendungen. Da der Kläger in der gesetzlichen Sozialversicherung versicherungspflichtig sei, gelte für ihn der dreiprozentige Pauschbetrag. Durchgreifende Zweifel an der Recht- und Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift des § 3 Abs. 2 AlhiVO 2002 habe die Kammer nicht, da dem Verordnungsgeber im Bereich der steuerfinanzierten Arbeitslosenhilfe ein weiter Gestaltungsspielraum zur Verfügung stehe und die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zur zulässigen Pauschalierung nicht überschritten würden. Wie die Beklagte zu Recht ausführe, sei das Einkommen, von dem der dreiprozentige pauschale Freibetrag abzusetzen sei, das Einkommen, welches auf die Arbeitslosenhilfe angerechnet wird. Zwar definiere § 194 Abs. 2 S. 1 SGB III Einkommen im Sinne der Vorschriften über die Arbeitslosenhilfe als alle Einnahmen in Geld oder Geldeswert. Entgegen der Auffassung des Klägers könne jedoch nicht die Arbeitslosenhilfe selbst als Einkommen anzusetzen sein. Aus der Systematik des Gesetzes gehe hervor, dass Einkommen im Sinne des § 194 SGB III nicht die Arbeitslosenhilfe sei, da § 193 Abs. 1 SGB III ausdrücklich bestimme, dass Arbeitslosenhilfe nur dann zu zahlen ist, wenn das Einkommen die Arbeitslosenhilfe nicht erreicht. Die gleiche Auslegung müsse für die Vorschrift des § 3 Abs. 2 AlhiVO 2002 gelten. Das Urteil ist dem Kläger am 17.06.2003 zugestellt worden. Es enthielt in der Rechtsmittelbelehrung den Hinweis, dass es nur dann mit der Berufung angefochten werden könne, wenn diese nachträglich zugelassen werde.

Die vom Kläger zunächst eingelegte Nichtzulassungsbeschwerde hat der Senat mit Beschluss vom 29.08.2003 als unzulässig verworfen, weil er die Berufung entgegen der Rechtsmittelbelehrung des SG für zulässig gehalten hat.

Am 16.09.2003 hat der Kläger Berufung eingelegt, mit der er an seiner Rechtsauffassung festhält.

Unter dem 28.07.2003 hat die Beklagten einen weiteren Änderungsbescheid erlassen, mit dem sie das Bemessungsentgelt ab 01.07.2003 auf wöchentlich 625 Euro abgesenkt und bei der Berechung der Leistungshöhe wiederum Einkommen (3,57 Euro wöchentlich) angerechnet hat. Sie hat dem Kläger ab 01.07.2003 Arbeitslosenhilfe in Höhe von 230,72 Euro wöchentlich bewilligt. Einen weiteren Bewilligungsbescheid für den Bewilligungsabschnitt ab 01.01.2004 hat die Beklagte im Januar 2004 erteilt. Durch einen Teilvergleich vom 04.02.2004 haben die Beteiligten den Streitgegenstand allerdings auf den Zeitraum bis 31.12.2003 begrenzt.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 22.05.2003 zu ändern und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 07.02.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.04.2002 sowie der Bescheide vom 26.07.2002, 17.01.2003 und 28.07.2003 zu verurteilen, ihm Arbeitslosenhilfe ohne Einkommensanrechung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das Urteil des SG für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der den Kläger betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Diese Akten waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig, denn Streitgegenstand sind laufende Leistungen für die Zeit vom 01.01.2002 bis 31.12.2003 und damit für mehr als ein Jahr (§ 144 Abs. 1 S. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG -). Die Bescheide vom 26.07.2002 und 17.01.2003 sind in entsprechender Anwendung des § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden, denn der Kläger hat den Streitgegenstand nicht ausdrücklich auf den Bewilligungsabschnitt 2002 beschränkt. Zwar hat das SG über diese Bescheide - verfahrensfehlerhaft - nicht ausdrücklich entschieden, was aber im Berufungsverfahren auf Antrag nachgeholt werden kann (vgl Meyer-Ladewig, § 96 SGG, RdNr 12). Über den Bescheid vom 28.07.2003 ist auf Klage zu entscheiden, weil er erst nach Verkündung des Urteils erlassen worden ist (vgl Meyer-Ladewig, § 96 SGG, RdNr 7 f.). Der Bescheid von Januar 2004 ist aufgrund des Teilvergleichs der Beteiligten nicht mehr Gegenstand des Verfahrens.

Die Berufungsfrist gegen das am 17.06.2003 zugestellte Urteil beträgt wegen der unzutreffenden Rechtsmittelbelehrung des SG ein Jahr (§ 66 Abs. 2 SGG) und ist durch die am 16.09.2003 eingelegte Berufung gewahrt.

Die Berufung ist auch begründet. Der Kläger hat in dem hier streitigen Zeitraum vom 01.01.2002 bis 31.12.2003 einen Anspruch auf Arbeitslosenhilfe gem § 190 Abs. 1 SGB III, denn er bezog bereits bis zum 31.12.2001 Arbeitslosenhilfe, war weiter arbeitslos und auch beim Arbeitsamt arbeitslos gemeldet. Er ist des weiteren bedürftig, denn er konnte in dem genannten Zeitraum seinen Lebensunterhalt nicht auf andere Weise als durch Arbeitslosenhilfe bestreiten (§ 193 Abs. 1 SGB III).

Zu Recht hat die Beklagte die Arbeitslosenhilfe bis 30.06.2002 auf der Grundlage eines wöchentlichen Bemessungsentgelts von 650 Euro, anschließend bis zum 30.06.2003 von 645 Euro und danach von 625 Euro errechnet. Die Absenkung des Bemessungsentgelts ab 01.07.2002 beruht auf § 201 SGB III, der zum 01.01.2003 aufgehoben wurde. Die Absenkung ab 01.07.2003 ergibt sich aus § 200 Abs. 3 SGB III. Rechtsanwendungsfehler werden insoweit nicht geltend gemacht und sind auch nicht ersichtlich.

Entgegen der Auffassung der Beklagten ist allerdings kein Einkommen des Klägers bei der Berechnung der Arbeitslosenhilfe zu berücksichtigen, so dass dem Kläger entsprechned höhere Arbeitslosenhilfe zusteht.

Zwar sind die Zinseinkünfte des Klägers und seiner Ehefrau in Höhe von 270,98 Euro (2001) bzw 210,77 Euro (2002) vom Grundsatz her als Einkommen im Sinne des § 194 Abs. 1 SGB III anzusehen, welches dem Kläger zur Hälfte zu zurechnen ist. Nach 194 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 SGB III sind vom anrechenbaren Einkommen aber ua. abzusetzen Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen, soweit diese Beiträge gesetzlich vorgeschrieben oder nach Grund und Höhe angemessen sind. Hier übersteigen die Aufwendungen des Klägers für die Kfz-Versicherung, die Hausratversicherung und die private Haftpflichtversicherung in Höhe von 878,91 DM =449,38 Euro (2002) bzw 367,51 Euro (2003) das anrechenbare Einkommen. Bereits die Beiträge für die gesetzlich vorgeschriebene Kfz-Haftpflichtversicherung dürfte hier das anrechenbare Einkommen übersteigen. Dies kann jedoch dahingestellt bleiben, denn die weiteren Versicherungen sind jedenfalls noch Grund und Höhe als angemessen zu beurteilen. Hausrat-, private Haftpflichtversicherung und auch eine Vollkaskoversicherung werden üblicherweise abgeschlossen zur Absicherung typischer Risiken des Alltags (vgl. Spellbrink in Kasseler Handbuch des Arbeitsförderungsrechts, § 13 RdNr 126).

Etwas anderes folgt entgegen der Auffassung des SG nicht aus § 3 Abs. 2 AlhiVO 2002. Diese Vorschrift ist zur Überzeugung des Senats rechtswidrig und daher nicht anzuwenden, weil sie gegen höherrangiges Recht verstößt (vgl. Urteile des Senats vom 28.01.2004, - Az L 12 AL 175/03 - und - L 12 AL 104/03 -).

Nach § 206 Nr. 4 SGB III wird das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Finanzen durch Rechtsverordnung zu bestimmen, ob und welche Pauschbeträge für die von dem Einkommen abzusetzen Beträge zu berücksichtigen sind. Auf dieser Verordnungsermächtigung beruht die AlhiVO 2002 vom 13.12.2001 (BGBl I S 3734), welche zum 01.01.2002 mit folgender Neuregelung in Kraft getreten ist:

§ 3 Abs. 2: Als Pauschbetrag für die nach § 194 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch vom Einkommen abzusetzenden Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen, die gesetzlich vorgeschrieben oder nach Grund und Höhe angemessen sind, ist ein Betrag in Höhe von 3 Prozent des Einkommens abzusetzen, wenn der Arbeitslose und sein Partner in der gesetzlichen Sozialversicherung versicherungspflichtig sind, in den übrigen Fällen die tatsächlichen Aufwendungen.

Allerdings hat der Gesetzgeber mit der Differenzierung in § 194 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 SGB III zwischen Pflicht- und gesetzlich vorgeschriebenen Beiträgen einerseits und "angemessenen" Privatversicherungsbeiträgen andererseits den Rahmen für eine ermächtigungskonforme Festlegung von Pauschbeträgen bereits vorgegeben: Während Pflichtbeiträge zur Sozialversicherung im Umfang der Beitragspflicht abzusetzen sind ebenso wie gesetzlich vorgeschriebene Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen, gibt es nur für die übrigen freiwilligen Privatversicherungen einen Anwendungsbereich zur Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffs der Angemessenheit, welcher in Form von Pauschalen auch Raum lässt für eine Unterschreitung der tatsächlichen Prämienaufwendungen (SG Berlin, info also 2003, 23 ff). Diesen Rahmen hat der Verordnungsgeber mit § 3 Abs. 2 AlhiVO 2002 überschritten, denn er bezieht auch gesetzlich vorgeschriebene Beiträge in die Pauschalierung mit ein. Der Senat hält eine Beschränkung des Anwendungsbereichs von § 3 Abs. 2 AlhiVO 2002 auf angemessene, nicht gesetzlich vorgeschriebenen Versicherungen angesichts des eindeutigen Wortlauts des § 3 Abs. 2 AlhiVO 2002 nicht für möglich.

Im Übrigen ist es - wie der vorliegende Fall exemplarisch zeigt - unter Zugrundelegung eines generellen Pauschbetrags in Höhe von 3 % des Einkommens gerade bei geringen Einkommen in der Regel nicht mehr möglich, die vom Gesetz nach § 194 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 SGB III in Abzug zu bringenden Beiträge vollständig zu berücksichtigen, so dass auch die Grenzen zulässiger Pauschalisierung überschritten sind.

Der Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG verbietet es nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts nämlich, dass eine Gruppe von Normadressaten im Vergleich zu anderen Normadressaten anders behandelt wird, obwohl zwischen beiden Gruppen keine Unterschiede von solcher Art und solchem Gewicht bestehen, dass sie die ungleiche Behandlung rechtfertigen könnten. Die rechtliche Unterscheidung muss in sachlichen Unterschieden eine ausreichende Stütze finden. Bei der Ordnung von Massenerscheinungen braucht der Gesetzgeber allerdings nicht um die differenzierende Berücksichtigung aller denkbaren Fälle besorgt zu sein. Er ist vielmehr berechtigt, von einem Gesamtbild auszugehen, das sich aus den ihm vorliegenden Erfahrungen ergibt. Auf dieser Grundlage darf er generalisierende, typisierende und pauschalierende Regelungen verwenden, ohne allein schon wegen der damit unvermeidlich verbundenen Härten gegen den allgemeinen Gleichheitssatz zu verstoßen. Die Typisierung setzt allerdings voraus, dass die durch sie eintretenden Härten und Ungerechtigkeiten nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Personen betreffen und der Verstoß gegen den Gleichheitssatz nicht sehr intensiv ist. (so BVerfGE 87, 234 ff., ebenfalls zur Arbeitslosenhilfe).

Diesen Vorgaben wird § 3 Abs. 2 Alhi VO 2002 nicht gerecht. Der Verordnungsgeber hat nämlich verkannt, dass die Höhe zu entrichtender Beiträge für Privatversicherungen sich am versicherten Risiko und nicht - wie im Falle der Sozialversicherungen - am Einkommen orientiert. Sein Ansatzpunkt, zur sachlichen Unterscheidung am anzurechnenden Einkommen anzuknüpfen, ist daher von vornherein verfehlt. Dieser Anknüpfungspunkt führt allein dazu, dass insbesondere Bezieher von niedrigen Einkommen durch die Begrenzung auf 3% nur noch Beiträge geltend machen können, die unter den tatsächlichen Aufwendungen liegen. Im vorliegende Fall ist das offenkundig. Solche Folgen widersprechen dem Gleichheitsgrundsatz.

Weil die Höhe der für Privatversicherungen zu entrichtenden Beiträge sich nicht am Einkommen orientiert, muss letztlich auch in Frage gestellt werden, ob die Höhe der gewählten Pauschale auf praktischen Erfahrungen oder Erhebungen beruhen kann (vgl. SG Berlin, info also 2003, 23 ff, das auf andere Erhebungen mit anderen Ergebnissen verweist).

§ 3 Abs. 2 AlhiVO 2002 ist demnach rechtswidrig. Da hinsichtlich Rechtsverordnungen eine Verwerfungskompetenz der Gerichte besteht (vgl. BSG Urteil vom 24.11.1998 - B 1 A 1/96 R -), ist diese Vorschrift zu verwerfen mit der Folge, dass allein § 194 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 SGB III anzuwenden ist.

Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183, 193 SGG.

Die Revision wird zugelassen, weil der Frage grundsätzliche Bedeutung zukommt, ob § 3 Abs. 2 AlhiVO 2002 rechtwidrig ist.
Rechtskraft
Aus
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