L 4 P 1629/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 19 P 1523/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 P 1629/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 12. April 2016 wird zurückgewiesen. Die Klage wegen des Widerspruchsbescheides vom 9. Juni 2016 wird abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung von Pflegegeld nach Pflegestufe I ab dem 26. September 2014.

Der am 1957 geborene, bei der Beklagten pflegeversicherte Kläger wohnt alleine in einer Wohnung im ersten Stock eines Mehrfamilienhauses. Die Räume liegen auf einer Ebene. Zur Wohnungstür führt eine Treppe mit 21 Stufen.

Am 26. September 2014 beantragte der Kläger die Gewährung von Geldleistungen der Pflegeversicherung. Unter Vorlage eines Attests des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. W. gab er an, nicht laufen und die Wohnung verlassen zu können. Er sei auf Krücken und einen Rollstuhl angewiesen.

Im Auftrag der Beklagten erstellte Pflegefachkraft K., Medizinischer Dienst der Krankenversicherung (MDK), am 22. Oktober 2014 aufgrund einer Untersuchung am 21. Oktober 2014 ein Gutachten. Beim Kläger bestehe - gestützt auf Krankenhausberichte der BG-Klinik T. vom 30. April 2014 und des Krankenhauses L. vom 20. Juni 2013 - eine Mobilitätsbeeinträchtigung beim Stehen und Gehen nach bimalleolärer Sprunggelenksfraktur links und hoher Fibulafraktur links, einhergehend mit postoperativen Komplikationen. Der Kläger trete bei Fehlstellung des linken Fußes nicht vollständig auf die linke Fußsohle auf. In der Wohnung bewege er sich selbständig an zwei Unterarmgehstützen oder einer Unterarmgehstütze und halte sich an Möbeln fest. Der Kläger berichte über eine seit der Jugend bestehende Traumatisierung mit regelmäßigem unwillkürlichem Einnässen nachts. Der Kläger habe über depressive Phasen mit verstärkter Antriebsminderung berichtet, die bei der Begutachtung nicht bestanden habe. In der Grundpflege bestehe ein Hilfebedarf nur in Form der Teilübernahme und der Beaufsichtigung einmal wöchentlich beim Transfer in die Badewanne (eine Minute täglich im Wochendurchschnitt) sowie beim Baden bzw. Duschen selbst einmal wöchentlich (zwei Minuten täglich im Wochendurchschnitt). Im Vordergrund stehe ein Hilfebedarf bei hauswirtschaftlichen Tätigkeiten sowie bei Einkäufen.

Mit Bescheid vom 24. Oktober 2014 lehnte die Beklagte daraufhin den Antrag des Klägers unter Hinweis auf das Gutachten ab, da der Grundpflegebedarf 45 Minuten täglich nicht übersteige.

Auf den dagegen eingelegten Widerspruch des Klägers wurde ein am 10. Dezember 2014 nach Aktenlage erstelltes Gutachten des Arztes Dr. T., MDK, eingeholt, in dem dieser die pflegebegründende Diagnose und den im Gutachten der Pflegefachkraft K. beschriebenen Grundpflegebedarf bestätigte.

Mit Widerspruchsbescheid vom 26. Februar 2015 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch aus den Gründen des Ausgangsbescheides als unbegründet zurück.

Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 1. März 2015 "Widerspruch" ein, der bei der Beklagten am 3. März 2015 einging und an das Sozialgericht Stuttgart (SG) weitergeleitet wurde (Eingang am 10. März 2015). Gegenüber diesem führte der Kläger zur Begründung aus, er benötige Pflegestufe I. Er sei nicht in der Lage, sich selbst zu versorgen, könne nicht laufen (Rollstuhl), habe psychische Störungen (Trauma, Depressionen) und könne ohne fremde Hilfe nichts unternehmen. Mit Krücken könne er ca. 10 Meter gehen; im Übrigen benötige er einen Rollstuhl. Die Wohnung könne er ohne fremde Hilfe nicht verlassen. In hausärztlicher Behandlung sei er einmal wöchentlich, fachärztliche Behandlungen fänden einmal im Quartal statt. Vorgelegt wurde ein Attest des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. N. vom 23. Dezember 2010 (umständliche Wesensänderung, nach Angaben des Klägers auch nächtliches Einnässen und Gedächtnisstörungen).

Die Beklagte verwies auf die Gutachten der Pflegefachkraft K. vom 22. Oktober 2014 und des Dr. T. vom 10. Dezember 2014.

Außerhalb des gerichtlichen Verfahrens stellte der Kläger am 23. September 2015 einen neuen Antrag auf Leistungen nach Pflegestufe I mit der Begründung, seine Alltagskompetenz sei sehr eingeschränkt. In einem aufgrund einer Untersuchung am 23. Oktober 2015 unter dem 26. Oktober 2015 erstellten Gutachten beschrieb Pflegefachkraft B., MDK, Bewegungseinschränkungen bei Zustand nach Sprunggelenks- und Wadenbeinbruch links mit Komplikationen und Wundheilungsstörungen bei Übergewichtigkeit, Gicht, Arthrose und Rückenproblemen, eine leichte Blasen-Tröpfcheninkontinenz, einen insulinpflichtigen Diabetes mellitus, eine Prostatavergrößerung, Depressionen, einen Bluthochdruck sowie einen Zustand nach Alkohol- und Nikotinmissbrauch. Eine Einschränkung der Alltagskompetenz bestehe nicht. Innerhalb der Wohnung gehe der Kläger an Unterarmgehstützen langsam, aber ausreichend sicher. Die Gehstrecke sei insgesamt jedoch verringert. Das Treppensteigen gelinge nicht mehr alleine. Außerhalb benötige er meist einen Rollstuhl. Das linke Bein sei etwas verkürzt; der Kläger trage orthopädische Schuhe. Wegen Schmerzen im linken Bein beim Auftreten sei das Stehen etwas unsicher. Der Kläger benötige Hilfestellungen beim Transfer in die Badewanne sowie beim Aufstehen von der Toilette bei beengten Verhältnissen. Aufgrund der Standunsicherheit sei eine Hilfestellung beim Richten der Bekleidung nachvollziehbar. Der Kläger verwende Inkontinenzvorlagen. Hilfestellungen benötige er beim Waschen des Intimbereichs, der Unterschenkel und Füße sowie beim Einstieg in Hose, Socken, Unterwäsche und Schuhe. In der Grundpflege bestehe ein Hilfebedarf jeweils in Form der Teilübernahme im Umfange von insgesamt 23 Minuten wöchentlich im Tagesdurchschnitt (Körperpflege 15 Minuten, Ernährung 0 Minuten, Mobilität acht Minuten).

Mit Bescheid vom 27. Oktober 2015 lehnte die Beklagte daraufhin den Antrag des Klägers unter Hinweis auf das Gutachten ab, da der Grundpflegebedarf 45 Minuten täglich nicht übersteige. Zur Begründung des dagegen eingelegten Widerspruches trug der Kläger vor, man könne eine Pflegeleistungen nicht nach einem Minuten-Takt bemessen. Dies sei nicht realistisch. Der früher angenommene Grundpflegebedarf von lediglich drei Minuten sei eine Zumutung; dies reiche nicht mal für das Kämmen.

Im Auftrag der Beklagten erstattete daraufhin Pflegefachkraft K., MDK, aufgrund einer Untersuchung am 21. März 2016 das Gutachten vom 23. März 2016, in dem sie als pflegebegründende Diagnosen eine eingeschränkte Bewegung bei Zustand nach Sprunggelenks- und Wadenbeinbruch links 2013, eine Arthrose, eine Gicht und eine leichte Blasen-Tröpfcheninkontinenz beschrieb. Es liege eine demenzbedingte Fähigkeitsstörung, geistige Behinderung oder psychische Erkrankung ohne eingeschränkte Alltagskompetenz vor. Zu berücksichtigen sei ein Hilfebedarf jeweils im Form der Teilübernahme beim Richten der Bekleidung nach dem Toilettengang, beim Waschen der Füße, des Rückens und des Intimbereiches am Abend, beim An- und Ausziehen der Schuhe, Socken und beim Hineinschlüpfen in die Hose sowie beim Transfer in die Badewanne. Auch beim Treppensteigen benötige er Hilfestellung. In der Grundpflege bestehe ein Hilfebedarf im Umfang von insgesamt 20 Minuten (Körperpflege 15 Minuten, Ernährung 0 Minuten, Mobilität fünf Minuten).

Mit Widerspruchsbescheid vom 9. Juni 2016 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch aus den Gründen des Ausgangsbescheides als unbegründet zurück.

Ohne von dem neuerlichen Verwaltungsverfahrens Kenntnis erlangt zu haben, wies das SG mit Gerichtsbescheid vom 12. April 2016 die Klage ab. Beim Kläger sei der für einen Anspruch auf Pflegegeld nach Pflegestufe I vorausgesetzte Hilfebedarf im Bereich der Grundpflege von täglich mehr als 45 Minuten seit Antragstellung nicht erreicht. Ein weitergehender Hilfebedarf als in den als schlüssig angesehenen Gutachten der Pflegefachkraft K. und von Dr. T. beschrieben, sei nicht erkennbar. Angesichts der vollen Gebrauchs- und Bewegungsfähigkeit beider Arme und Hände könne sich der Kläger innerhalb seiner Wohnung mittels Unterarmgehstützen oder mit Stabilisierung an den Möbeln selbständig bewegen. Außerhalb könne er sich im Rollstuhl eigenständig fortbewegen. Als Hilfebedarf im Zusammenhang mit dem Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung seien nur solche Maßnahmen außerhalb der Wohnung zu berücksichtigen, die unmittelbar für eine Aufrechterhaltung der Lebensführung zu Hause notwendig seien und das persönliche Erscheinen des Versicherten erforderten, wenn diese regelmäßig (mindestens einmal wöchentlich) und auf Dauer (voraussichtlich mindestens sechs Monate) anfielen. Der Kläger habe zwar angegeben, seinen Hausarzt einmal wöchentlich aufzusuchen; medizinische Gründe hierfür seien jedoch nicht ersichtlich. Eine solche Notwendigkeit der Arztbesuche ergebe sich auch nicht aus den Pflegegutachten, in denen ein wöchentlicher Praxisbesuch nicht festgehalten sei. Selbst bei Berücksichtigung eines einmal wöchentlich anfallenden Praxis- oder Therapiebesuches ergäbe sich keine Überschreitung der insgesamt erforderlichen 45 Minuten Grundpflegebedarf für die Pflegestufe I. Innerhalb der Wohnung befänden sich alle pflegerelevanten Räume auf einer Ebene, so dass ein Hilfebedarf beim Treppensteigen insoweit nicht anfalle.

Gegen diesen ihm am 15. April 2016 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger Berufung eingelegt, die am 25. April 2016 beim SG eingegangen ist. Zu deren Begründung hat er ausgeführt, massiv auf fremde Hilfe angewiesen zu sein. Er verwahrlose, könne die Wohnung kaum verlassen, habe keine Kraft in den Armen z.B. für das Einkaufen, Reinigen der Wohnung, Kochen oder Anziehen. Nach missglückter Sprunggelenksoperation könne er kaum laufen. Die Ärzte hätten ihm berichtet, dass das Sprunggelenk nicht richtig eingesetzt worden und daher das Bein verdreht und schief sei. Er leide an Diabetes, hohen Blutdruck, Kreislaufproblemen und Schwindelanfällen. Des Weiteren sei er traumatisiert und schreie nachts sehr oft. Ergänzend hat er seinen Schwerbehindertenausweis mit Merkzeichen B vorgelegt.

Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 12. April 2016 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 27. Oktober 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juni 2016 zu verurteilen, ihm ab dem 26. September 2014 Pflegegeld nach Pflegestufe I zu gewähren.

Die Beklagte beantragt (sachdienlich gefasst),

die Berufung zurückzuweisen und die Klage abzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid im Ergebnis für zutreffend. Auch die aktuellen Gutachten des MDK vom 26. Oktober 2015 und 23. März 2016 hätten mit 23 bzw. 20 Minuten keinen Grundpflegebedarf von mehr als 45 Minuten täglich ergeben.

Mit Schreiben vom 22. Juli 2016 hat der Berichterstatter den Kläger auf die fehlende Erfolgsaussicht der Berufung hingewiesen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtszüge und der Verwaltungsakten der Beklagten (2 Bände) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die gemäß § 151 Abs. 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§ 124 Abs. 2 SGG), ist zulässig, insbesondere statthaft. Sie bedurfte nicht der Zulassung, da der Kläger die Gewährung von Pflegegeld für einen Zeitraum für mehr als einem Jahr begehrt (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

2. Gegenstand des Verfahrens ist das Begehren des Klägers auf Gewährung von Pflegegeld nach Pflegestufe I ab dem 26. September 2014. Streitgegenständlich ist vorliegend allein der Bescheid der Beklagten vom 27. Oktober 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 9. Juni 2016. Mit diesem Bescheid hat die Beklagte, wie schon zuvor durch den Bescheid vom 24. Oktober 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. Februar 2015, erneut den - nicht mit einer Änderung der Verhältnisse begründeten - Antrag des Klägers auf Gewährung von Pflegegeld abgelehnt. Infolgedessen hat sie mit dem Bescheid vom 27. Oktober 2015 eine neue sachliche Entscheidung im Sinne eines sogenannten Zweitbescheides erteilt, der den Klageweg (neu) eröffnet hat. Der schon früher ergangene Bescheid der Beklagten vom 24. Oktober 2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26. Februar 2015 ist nicht (mehr) Gegenstand des hier geführten Rechtsstreits. Diese frühere Ablehnung hat sich i.S.d. § 39 Abs. 2 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch auf andere Weise erledigt (vgl. Senatsurteil vom 30. März 2012 – L 4 P 342/10 –, juris Rn. 25 m.w.N.). Über den bereits während des sozialgerichtlichen Verfahrens ergangenen Bescheid vom 27. Oktober 2015 entscheidet der Senat auf Berufung, über den im Berufungsverfahren erlassenen Widerspruchsbescheid vom 9. Juni 2016 auf Klage (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 25. Februar 2010 – B 13 R 61/09 R – juris, Rn. 15).

3. Die Berufung ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Pflegegeld nach Pflegestufe I. Damit verletzt ihn auch der Widerspruchsbescheid vom 9. Juni 2016 nicht in seinen Rechten.

a) Nach § 37 Abs. 1 Satz 1 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI) können Pflegebedürftige anstelle der häuslichen Pflegehilfe ein Pflegegeld beantragen. Die Pflegebedürftigkeit bestimmt sich vorliegend aus §§ 14, 15 SGB XI in der noch bis zum 31. Dezember 2016 geltenden Fassung. Pflegebedürftig sind nach § 14 Abs. 1 SGB XI Personen, die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen des täglichen Lebens, die im Einzelnen in § 14 Abs. 4 SGB XI genannt sind, auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate in erheblichem oder höherem Maß (§ 15 SGB XI) der Hilfe bedürfen.

Pflegebedürftige der Pflegestufe I (erheblich Pflegebedürftige) sind nach § 15 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XI Personen, die bei der Körperpflege, der Ernährung oder der Mobilität für wenigstens zwei Verrichtungen aus einem oder mehreren Bereichen mindestens einmal täglich der Hilfe bedürfen und zusätzlich mehrfach in der Woche Hilfen bei der hauswirtschaftlichen Versorgung benötigen. Der Zeitaufwand, den ein Familienangehöriger oder eine andere nicht als Pflegekraft ausgebildete Pflegeperson benötigt, muss wöchentlich im Tagesdurchschnitt in der Pflegestufe I mindestens 90 Minuten betragen; hierbei müssen auf die Grundpflege mehr als 45 Minuten entfallen (§ 15 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI). Die vom Kläger kritisierte Bestimmung der Pflegestufe nach einem "Minuten-Takt" ist somit durch die gesetzliche Regelung vorgegeben. Die durch Art. 2 Nr. 7 Zweites Pflegestärkungsgesetz (PSG II) vom 21. Dezember 2015 (BGBl. I S. 2424) eingeführte Einstufung nach der Schwere der Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten tritt erst zum 1. Januar 2017 in Kraft (Art. 8 Abs. 2 PSG II).

Die Grundpflege umfasst die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen aus den Bereichen der Körperpflege (§ 14 Abs. 4 Nr. 1 SGB XI), der Ernährung (§ 14 Abs. 4 Nr. 2 SGB XI) und der Mobilität (§ 14 Abs. 4 Nr. 3 SGB XI). Zur Grundpflege zählt ein Hilfebedarf im Bereich der Körperpflege beim Waschen, Duschen, Baden, der Zahnpflege, dem Kämmen, Rasieren, der Darm- und Blasenentleerung, im Bereich der Ernährung beim mundgerechten Zubereiten der Nahrung und der Aufnahme der Nahrung sowie im Bereich der Mobilität beim selbständigen Aufstehen und Zu-Bett-Gehen, dem An- und Auskleiden, Gehen, Stehen, Treppensteigen und dem Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung.

Das Ausmaß des Pflegebedarfs ist nach einem objektiven ("abstrakten") Maßstab zu beurteilen. Denn § 14 SGB XI stellt allein auf den "Bedarf" an Pflege und nicht auf die unterschiedliche Art der Deckung dieses Bedarfs bzw. die tatsächlich erbrachte Pflege ab (vgl. BSG, Urteil vom 21. Februar 2002 – B 3 P 12/01 R – juris, Rn. 12 ff.; Urteil des Senats vom 30. März 2012 – L 4 P 342/10 – juris, Rn. 27; Urteil des Senats vom 3. August 2012 – L 4 P 5324/11 – juris, Rn. 26). Bei der Bestimmung des erforderlichen Zeitbedarfs für die Grundpflege sind als Orientierungswerte die Zeitkorridore der Richtlinien der Spitzenverbände der Pflegekassen zur Begutachtung von Pflegebedürftigkeit nach dem SGB XI (Begutachtungs-Richtlinien) zu berücksichtigen. Diese Zeitwerte sind zwar keine verbindlichen Vorgaben; es handelt sich jedoch um Zeitkorridore mit Leitfunktion (Abschnitt F Nr. 1 der Begutachtungs-Richtlinien; vgl. BSG, Urteil vom 19. Februar 1998 – B 3 P 7/97 R – juris, Rn. 17; BSG, Urteil vom 13. Mai 2004 – B 3 P 7/03 R – juris, Rn. 32 m.w.N.; BSG, Urteil vom 6. Februar 2006 – B 3 P 26/05 B – juris, Rn. 8; Urteil des Senats vom 30. März 2012 – L 4 P 342/10 – juris, Rn. 27; Urteil des Senats vom 3. August 2012 – L 4 P 5324/11 – juris, Rn. 26). Dabei beruhen die Zeitkorridore auf der vollständigen Übernahme der Verrichtungen durch eine Laienpflegekraft. Die Zeiten für den Hilfebedarf bei den einzelnen Verrichtungen beruhen regelmäßig auf Schätzungen, denen eine gewisse und auf wenige Minuten beschränkte Unschärfe nicht abgesprochen werden kann und die dennoch hinzunehmen sind (BSG, Urteil vom 10. März 2010 – B 3 P 10/08 R – juris, Rn. 20 m.w.N.).

b) Diese Voraussetzungen für die Gewährung von Pflegegeld nach Pflegestufe I liegen beim Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum nicht vor.

(1) Beim Kläger bestehen Bewegungseinschränkungen bei Zustand nach Sprunggelenks- und Wadenbeinbruch links mit Komplikationen und Wundheilungsstörungen bei Übergewichtigkeit, Gicht, Arthrose und Rückenproblemen, eine leichte Blasen-Tröpfcheninkontinenz, ein insulinpflichtiger Diabetes mellitus, eine Prostatavergrößerung, Depressionen, ein Bluthochdruck sowie ein Zustand nach Alkohol- und Nikotinmissbrauch. Dies entnimmt der Senat den aktuellen Gutachten der Pflegefachkräfte B. und K. vom 26. Oktober 2015 und 23. März 2016. Die Mobilitätsbeeinträchtigung beim Gehen und Stehen nach Sprunggelenksoperation links mit postoperativen Komplikationen war bereits in den Gutachten von Dr. T. und der Pflegefachkraft K. vom 22. Oktober und 10. Dezember 2014 beschrieben worden. Des Weiteren leidet er nach seiner Behauptung an nächtlichen Schreiattacken mit unwillkürlichem Einnässen, die nach seinen Angaben auf eine Traumatisierung aus der Jugendzeit zurückgehen. Diese treten, wie sich aus dem Gutachten der Pflegefachkraft K. ergibt, etwa zweimal wöchentlich auf. Die Gesundheitsstörungen sind zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.

(2) Hieraus folgen im streitbefangenen Zeitraum verschiedene funktionelle Beeinträchtigungen des Klägers, die einen Grundpflegebedarf begründen. Dies betrifft insbesondere die Funktionsfähigkeit des linken Beines. Dieses ist leicht verkürzt. Der Kläger ist jedoch mit orthopädischen Schuhen zum Ausgleich versorgt. Wegen Schmerzen beim Auftreten mit dem linken Fuß und zuletzt auch im Bereich der linken Hüfte (Gutachten der Pflegefachkräfte B. und K.) ist seine Gehfähigkeit beeinträchtigt. Die mögliche Gehstrecke ist verringert; das Treppensteigen ist ihm alleine nicht mehr möglich. Innerhalb der Wohnung kann sich der Kläger aber - wenn auch langsam - ausreichend sicher an zwei Unterarmgehstützen oder mit einer Gehstütze und Stabilisierung an Möbeln bewegen. Dies wurde bei den jeweiligen Untersuchungen durch die Pflegefachkräfte K., B. und K. jeweils übereinstimmend festgestellt. Im Außenbereich ist der Kläger überwiegend auf einen Rollstuhl angewiesen. Dass er diesen nicht selbst steuern könnte, lässt sich nicht feststellen. Hierauf hatte bereits das SG unter Verweis auf ausreichende Kraft und Beweglichkeit der oberen Extremitäten hingewiesen. Dem hat auch der Kläger nicht widersprochen. Aufgrund der Standunsicherheit ist seine Fähigkeit, die Kleidung nach dem Toilettengang zu richten, eingeschränkt. Der Toilettengang selbst ist ihm hingegen selbständig möglich. Wegen der Urininkontinenz verwendet der Kläger Vorlagen. Im Vergleich zur Begutachtung durch Pflegefachkraft K. ergab sich bei der Begutachtung durch Pflegefachkraft B. erstmals eine Einschränkung beim Vorbeugen; so erreichte der Kläger im Sitzen mit Mühe Knöchelhöhe. Hingegen zeigten sich bei allen Untersuchungen keine wesentlichen Einschränkungen in den oberen Extremitäten. Auch bei den Untersuchungen im Oktober 2015 und März 2016 waren die Handkraft beidseits ausreichend kräftig, der Faustschluss komplett, die Fingerfeingriffe sowie der Nacken- und Schürzengriff vollständig möglich. Das Aufstehen aus dem Sitzen und Liegen ist dem Kläger - teils mit Abstützen oder Aufschaukeln - noch selbständig möglich; dies gilt auch für nächtliche Positionswechsel. Eine Einschränkung der Alltagskompetenz besteht auch unter Berücksichtigung der psychischen Störung nicht. Der Kläger zeigte sich durchgehend vollständig orientiert. Eine kognitive Leistungsminderung besteht nicht. Eine Tagesstruktur ist vorhanden. Antriebsstörungen wurden von keinem Gutachter beschrieben.

All dies entnimmt der Senat den schlüssigen Feststellungen der im Verwaltungsverfahren gutachterlich tätigen Pflegefachkräfte K., B. und K., deren Gutachten der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwerten konnte (vgl. etwa BSG, Beschluss vom 14. November 2013 – B 9 SB 10/13 B – juris, Rn. 6; BSG, Urteil vom 5. Februar 2008 – B 2 U 8/07 R – juris, Rn. 51). Die vom Kläger geschilderten Beschwerden wurden dabei berücksichtigt. Substantiierte Einwendungen gegen diese Feststellungen hat er nicht erhoben.

(3) Aufgrund der Funktionsbeeinträchtigungen besteht beim Kläger ein Hilfebedarf in Form der Teilübernahme bei der Ganzkörperwäsche (Füße und Rücken), beim Waschen des Intimbereichs sowie beim Transfer in die Badewanne, beim An- und Ausziehen der Kleidung über die Füße sowie beim Richten der Kleidung nach dem Toilettengang. Für die übrigen grundpflegerischen Verrichtungen benötigt er keine personelle Hilfe. Dies gilt insbesondere auch für die Fortbewegung innerhalb der Wohnung, in der alle pflegerelevanten Räume auf einer Ebene liegen. Die erforderliche Hilfe beim Treppensteigen wird somit nur relevant, wenn der Kläger seine Wohnung verlässt, da von dieser zur Straße eine Treppe mit 21 Stufen zu überwinden ist. Beim Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung sind berücksichtigungsfähig jedoch nur solche Verrichtungen außerhalb der Wohnung, die für die Aufrechterhaltung der Lebensführung zu Hause unumgänglich sind. Erfasst sind damit solche auswärtigen Termine, die Krankenhausaufenthalte und die stationäre Pflege in einem Pflegeheim vermeiden und die das persönliche Erscheinen des Pflegebedürftigen notwendig machen. Dies ist gegeben beim Besuch von Ärzten oder bei Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation, wenn sie zur Behandlung einer Krankheit ärztlich verordnet worden sind (BSG, Urteil vom 28. Mai 2003 – B 3 P 6/02 R –, juris Rn. 17). Zu berücksichtigen sind solche Termine nur, wenn sie regelmäßig mindestens einmal wöchentlich anstehen (vgl. § 15 Abs. 3 SGB XI). Wege zum Einkaufen sind hingegen nicht der Grundpflege, sondern der hauswirtschaftlichen Versorgung zuzuordnen. Mindestens einmal wöchentlich notwendige Termine für Arztbesuche oder ärztlich verordnete Maßnahmen der medizinischen Rehabilitation treten nicht auf. Zwar hat der Kläger in der dem SG übersandten Schweigepflichtentbindungserklärung angegeben, wöchentlich in hausärztlicher Behandlung zu sein. Ob er hierzu dessen Praxis aufsucht oder es sich um Hausbesuche handelt, ist dem nicht zu entnehmen. In den Gutachten der Pflegefachkräfte K., B. und K. wurde hingegen durchgängig und übereinstimmend festgehalten, dass Praxisbesuche weniger als einmal wöchentlich stattfinden. Hierauf hatte bereits das SG im angefochtenen Gerichtsbescheid hingewiesen. Dennoch hat der Kläger im Berufungsverfahren nichts dazu vorgetragen, obwohl im Schreiben des Berichterstatters vom 22. Juli 2016 auch ausdrücklich auf die Ausführungen des SG zum Verlassen und Wiederaufsuchen der Wohnung verwiesen wurde. Zu weiteren Ermittlungen diesbezüglich sah sich der Senat daher nicht veranlasst.

(4) Damit steht zur Überzeugung des Senats fest, dass der tägliche Hilfebedarf des Klägers im Wochendurchschnitt für die Grundpflege 45 Minuten nicht überschreitet, sondern bei höchstens 23 Minuten liegt. Das Gericht folgt auch insoweit den gut begründeten Bewertungen der Pflegefachkräfte B. und K., die den zeitlichen Aufwand für die notwendige Pflege bei den einzelnen Verrichtungen, anhand der Zeitkorridore der Begutachtungs-Richtlinien nachvollziehbar, ermittelt haben. Besondere Erschwernisse, die die Annahme von Zeitwerten über die jeweiligen Zeitkorridore hinaus rechtfertigen könnten, liegen beim Kläger nicht vor. Hieraus wird auch ersichtlich, dass ein Grundpflegebedarf von mehr als 45 Minuten täglich auch bei Berücksichtigung eines einmal wöchentlich stattfindenden Arztbesuches nicht erreicht wäre. Der entsprechende Hilfebedarf müsste sich auf 155 Minuten belaufen, um bei der Verteilung auf sieben Wochentage (vgl. § 15 Abs. 3 SGB XI: wöchentlich im Tagesdurchschnitt) den grundpflegerischen Gesamthilfebedarf auf mehr als 45 Minuten täglich zu erhöhen. Hierfür fehlen jegliche Anhaltspunkte.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

5. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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