L 4 KR 2897/16 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 11 KR 2508/16 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 2897/16 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 27. Juli 2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gründe:

I.

Die Klägerin begehrt die Feststellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gegen einen die Krankengeldzahlung ablehnenden Bescheid der Beklagten.

Die Klägerin ist 1971 geboren und war bei der Beklagten zuletzt seit 1. April 2009 als Arbeitslo-se zum Teil mit Bezug von Leistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III) und nachgehenden Leistungsansprüchen und vom 1. Juni bis 30. September 2016 als Bezieherin von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) gesetzlich krankenversichert.

Unter dem 14. April 2016 bescheinigte Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie Prof. Dr. H. der Klägerin das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit für die Zeit vom 14. bis voraussichtlich 30. April 2016, unter dem 28. April 2016 bis voraussichtlich 13. Mai 2016, unter dem 12. Mai 2016 bis zum 31. Mai 2016 sowie unter dem 31. Mai 2016 bis voraussichtlich 28. Juni 2016. Als die Arbeitsunfähigkeit begründende Diagnosen gab er ICD-10 F41.2G (Angst und depressive Störung, gemischt), F43.1G (Posttraumatische Belastungsstörung) F45.41G (chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren) und I25.19G (atherosklerotische Herzerkrankung, nicht näher bezeichnet) an. Unter dem 29. April 2016 stellte Facharzt für Allgemeinmedizin Eggert das Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit bis voraussichtlich 9. Mai 2016, unter dem 13. Mai 2016 bis voraussichtlich 27. Mai 2016 sowie unter dem 27. Mai 2016 bis voraussichtlich 10. Juni 2016 unter Angabe der Diagnose ICD-10 M54.12G (Radikulopathie Zervikalbereich) und der zusätzlichen Angabe "Schulter-Arm-Syndrom rechts" fest.

Die Beklagte lehnte die Gewährung von Krankengeld ab 14. April 2016 mit Bescheid vom 19. Mai 2016 ab, weil ein neuer Anspruch auf Krankengeld für diese Erkrankung nicht entstanden sei. Mit der Arbeitsunfähigkeit vom 17. Juli 2014 habe die Klägerin am 27. November 2015 die Höchstbezugsdauer von Krankengeld von 78 Wochen erreicht. Ein neuer Krankengeldanspruch könne nur dann entstehen, wenn ein neuer Dreijahreszeitraum begonnen habe, bei Eintritt der erneuten Arbeitsunfähigkeit eine Versicherung mit Krankengeld bestehe und zwischen dem Ablauf des Krankengeldbezugs von 78 Wochen und dem erneuten Eintritt von Arbeitsunfähigkeit für mindestens sechs Monate keine Arbeitsunfähigkeit wegen der bisherigen Krankheit vorgelegen habe sowie eine Erwerbstätigkeit ausgeübt worden sei oder der Versicherte dem Arbeitsmarkt zur Verfügung gestanden habe. Es sei davon auszugehen, dass die während des vorangegangenen Krankengeldbezugs vorliegende Arbeitsunfähigkeit weiter fortbestanden habe. Die zwischenzeitliche Meldung der Klägerin bei der Agentur für Arbeit ab 28. November 2015 sei kein ausreichender Nachweis von Arbeitsfähigkeit.

Hiergegen erhob die Klägerin unter dem 31. Mai 2016 Widerspruch. Die Annahme, die Arbeitsunfähigkeit habe nach Ablauf des vorangegangenen Krankengeldbezugs fortbestanden, sei eine "kühne Behauptung". Das Rückenleiden, das bis November 2015 Arbeitsunfähigkeit verursacht habe, bedinge keine Arbeitsunfähigkeit mehr. Sie forderte die Beklagte unter Fristsetzung zum 8. Juni 2016 zur Zahlung von Krankengeld nach Ablauf des Sechswochenzeitraums der Leistungsfortzahlung auf und forderte von der Beklagten die Bestätigung, dass sie die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs beachte.

Am 22. Juni 2016 beantragte die Klägerin beim Sozialgericht Freiburg (SG) die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes und begehrte die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid der Beklagten vom 19. Mai 2016 anzuordnen bzw. festzustellen. Im unter dem Aktenzeichen S 11 KR 2506/16 ER geführten Eilverfahren beantragte sie am selben Tag die Verpflichtung der Beklagten zur vorläufigen Zahlung von Krankengeld ab 26. Mai 2016. Sie vertrat die Auffassung, der Widerspruch habe kraft Gesetzes aufschiebende Wirkung, und trug zur Begründung dasselbe wie im einstweiligen Rechtsschutzverfahren betreffend die vorläufige Zahlung von Krankengeld vor.

Die Beklagte trat dem Antrag entgegen. Die Klägerin begehre letztlich die Zahlung von Krankengeld. Was die Klägerin mit dem Antrag im hiesigen Verfahren bezwecke, erschließe sich ihr nicht.

Mit Beschluss vom 27. Juli 2016 lehnte das SG den Antrag der Klägerin ab. Die Klägerin könne die begehrte Anordnung nicht erwirken. Es liege weder ein Fall des § 86b Abs. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG), noch ein Fall der Nichtbeachtung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs vor. Da die Klägerin im Hauptsacheverfahren die Gewährung von Krankengeld mit einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage geltend mache, sei kein denkbarer Anwendungsbereich der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs ersichtlich. Dies müsse ihr auch im Hinblick auf den weiteren Antrag im Verfahren S 11 KR 2506/16 ER bewusst sein.

Gegen den ihr am 27. Juli 2016 zugestellten Beschluss hat die Klägerin am 4. August 2016 Beschwerde eingelegt. Die Rechtsauffassung des SG sei für sie nicht verständlich und nicht nachvollziehbar. Allein das Feststellen oder die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs, die kraft Gesetzes bestehe, habe zur Folge, dass die Beklagte zur Zahlung von Krankengeld verpflichtet sei.

Die Klägerin beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Freiburg vom 27. Juli 2016 aufzuheben und die "aufschiebende Wirkung des Widerspruchs gegen den Bescheid der Beklagten vom 19. Mai 2016 anzuordnen bzw. festzustellen".

Die Beklagte beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie verweist auf die Ausführungen des SG im angefochtenen Beschluss. Zudem hat sie im weiteren anhängigen Beschwerdeverfahren mitgeteilt, die Klägerin habe am 21. Oktober 2016 Untätigkeitsklage beim SG erhoben, da sie (die Beklagte) noch nicht über deren Widerspruch entschieden habe, und die Klägerin sei seit 1. Oktober 2016 nicht mehr bei ihr versichert.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

II.

1. Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Klägerin ist zulässig. Sie ist insbesondere nicht nach § 172 Abs. 3 Nr. 1 SGG ausgeschlossen. Im Hinblick auf die in der Hauptsache streitige Forderung von Krankengeld für die Zeit vom 26. Mai bis zur Beendigung der Mitgliedschaft der Klägerin bei der Beklagten am 30. September 2016 (128 Kalendertage) wäre die Berufung in der Hauptsache nicht nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG ausgeschlossen, da der Beschwerdewert EUR 750,00 überschritten ist. Denn es ist davon auszugehen, dass der kalendertäglichen Zahlbetrag des Krankengelds mehr als EUR 5,86 beträgt.

3. Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet. Das SG hat es zu Recht abgelehnt, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs der Klägerin gegen den Bescheid der Beklagten vom 19. Mai 2016 anzuordnen oder festzustellen. Der Antrag der Klägerin, die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs anzuordnen oder festzustellen, ist bereits nicht statthaft.

Nach § 86b Abs. 1 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag 1. in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben, die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise anordnen, 2. in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen, 3. in den Fällen des § 86a Abs. 3 SGG die sofortige Vollziehung ganz oder teilweise wiederherstellen. Wenn zwischen den Beteiligten zweifelhaft ist, ob die aufschiebende Wirkung eines Widerspruches oder einer Anfechtungsklage eingetreten ist, kann in entsprechender Anwendung des § 86b Abs. 1 SGG durch deklaratorischen Beschluss die aufschiebende Wirkung festgestellt werden (Landessozialgericht [LSG] Baden-Württemberg, Beschluss vom 15. Juli 2013 - L 11 KR 2293/13 ER-B -, juris, Rn. 21 m.w.N.). Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann, soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt, das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Bereits der Gesetzeswortlaut des § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG ("soweit ein Fall des Absatzes 1 nicht vorliegt") zeigt, dass der einstweiligen Rechtsschutz nach § 86b Abs. 1 SGG und nach § 86b Abs. 2 SGG sich ausschließen. Für die Abgrenzung, ob der einstweiligen Rechtsschutz sich nach § 86b Abs. 1 SGG oder § 86b Abs. 2 SGG richtet, ist auf die Klageart in der Hauptsache abzustellen. Danach ist die Anordnung bzw. Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eines Widerspruchs oder einer Klage (Abs. 1) die richtige Form des einstweiligen Rechtsschutzes, wenn in der Hauptsache die Anfechtungsklage die statthafte Rechtsschutzform ist, während bei den anderen Hauptsacheklagearten (Verpflichtungs-, allgemeine Leistungs- und Feststellungsklage) der entsprechende einstweilige Rechtsschutz über einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung (Abs. 2) erfolgt.

Richtige Klageart für die von der Klägerin begehrte Zahlung auf Krankengeld ist die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG). Demgemäß ist das Begehren auf vorläufigen Rechtsschutz mit der einstweiligen Anordnung nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG zu verfolgen, wie dies die Klägerin im weiteren Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes (L 4 KR 2896/16 ER-B) auch tat.

Der Widerspruch gegen den Bescheid vom 19. Mai 2016 hat entgegen ihrer Auffassung zudem keine aufschiebende Wirkung. Gemäß § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG haben Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Diese entfällt gemäß § 86a Abs. 2 Nr. 3 SGG für die Anfechtungsklage in Angelegenheiten der Sozialversicherung bei Verwaltungsakten, die eine laufende Leistung herabsetzen oder entziehen. Nach § 86a Abs. 1 Satz 1 SGG haben nur der (Anfechtungs-)Widerspruch und die Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung. Dagegen kommt der von der Klägerin zur weiteren Gewährung von Krankengeld zu erhebenden kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 4 SGG) schon nach dem Wortlaut des Gesetzes keine aufschiebende Wirkung zu. Denn die Ablehnung einer Leistung (Krankengeld) durch Verwaltungsakt ist einer aufschiebenden Wirkung nicht zugänglich, da eine solche Regelung keine über den Zeitpunkt der Bekanntgabe des Verwaltungsaktes hinausgehende Wirkungen hat. Die Ablehnung der Leistung selbst ist kein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung (Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 19. September 2008 - B 14 AS 44/08 B - juris, Rn. 8). Der Widerspruch sowie eine gegebenenfalls noch zu erhebende Klage richten sich nicht gegen einen eingreifenden Verwaltungsakt, der eine bereits bewilligte Leistung entzieht (Beschluss des Senats vom 2. März 2016 - L 4 KR 4998/15 ER-B -, nicht veröffentlicht).

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

4. Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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