L 2 AL 7/16

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 14 AL 41/13
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 2 AL 7/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Berufung wird zurückgewiesen. 2. Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten. 3. Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrte die Neubescheidung seines Antrags auf Gründungszuschuss.

Der am xxxxx 1967 geborene Kläger war zuletzt vom 1. Februar 2011 bis zum 31. Juli 2012 bei der Firma x. GmbH (i.F.: Arbeitgeber) beschäftigt. Das monatliche Entgelt lag bei 5.833,34 Euro brutto. Nachdem der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis zum 30. April 2012 gekündigt hatte, erhob der Kläger, der sich am 2. Februar 2012 arbeitssuchend gemeldet hatte, Klage vor dem Arbeitsgericht Hamburg. Das Verfahren vor dem Arbeitsgericht endete dadurch, dass das Gericht durch Beschluss vom 10. April 2012 (Az. 29 Ca 97/12) das Zustandekommen eines Vergleichs feststellte, wonach das Arbeitsverhältnis zum 31. Juli 2012 sein Ende finden und der Kläger bis dahin unwiderruflich von der Arbeitspflicht freigestellt werde. Der Kläger teilte der Beklagten am 3. April 2012 mit, das Arbeitsverhältnis habe sich vom 1. Mai 2012 bis zum 31. Juli 2012 verlängert.

Am 16. April 2012 schlossen die Beteiligten eine Eingliederungsvereinbarung mit dem Ziel einer "Arbeitsaufnahme als Leiter-Vertrieb in H. und Umgebung (50km)". In einem Vermerk vom selben Tag heißt es, ein Stellenangebots-Suchlauf habe keinen Erfolg gehabt. Nach Angaben des Klägers würden entsprechende Angebote nicht der Beklagten gemeldet. Allerdings plane der Kläger, sich im August als Headhunter und Personalvermittler selbstständig zu machen.

In einem Telefongespräch zwischen den Beteiligten am 27. Juli 2012 erklärte der Kläger, er bereite derzeit seine Selbstständigkeit vor, die er zum 2. August 2012 aufnehmen wolle. Der Businessplan sei bereits teilweise erstellt, und er nehme derzeit an einem Seminar für Existenzgründer teil. Er beantrage einen Gründungszuschuss. Weiter heißt es in dem Vermerk, die Beklagte habe die Voraussetzungen für einen Gründungszuschuss geschildert: "1 Tag alos, Anspruch auf Alg, mind. 150 T. Restanspruch auf Alg". In seinem vom 27. August 2012 datierenden schriftlichen Antrag auf Gründungszuschuss teilte der Kläger mit, er habe am 2. August 2012 eine selbstständige Tätigkeit als Personalberater aufgenommen, nachdem er eine solche Tätigkeit zuletzt bereits als Nebentätigkeit ausgeübt habe.

Am 31. Juli 2012 meldete sich der Kläger arbeitslos mit Wirkung zum 1. August 2012 und beantragte Arbeitslosengeld, wobei er erklärte, er werde alle Möglichkeiten zur Beendigung der Beschäftigungslosigkeit nutzen. Die Beklagte bewilligte daraufhin mit Bescheid vom 7. August 2012 Arbeitslosengeld befristet für den 1. August 2012 und gab als Grund für die Befristung die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit an.

Mit Bescheid vom 10. Oktober 2012 lehnte die Beklagte den Antrag auf Gründungszuschuss ab: Im Rahmen der gebotenen Ermessensentscheidung falle zulasten des Klägers ins Gewicht, dass angesichts seiner Ausbildung und seiner besonderen Qualifikation eine Vermittlung in eine Beschäftigung als Vertriebsleiter in angemessener Zeit möglich gewesen wäre, auch wenn Stellen im oberen Gehaltssegment weniger zahlreich seien. Auch reichten die im Businessplan angegebenen Gewinne, die ab Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit erzielt würden, zur Sicherung des Lebensunterhalts aus.

Der Kläger erhob hiergegen am 8. November 2012 Widerspruch und führte aus, die Beklagte sei ermessensfehlerhaft von der Möglichkeit einer Vermittlung in Arbeit in angemessener Zeit ausgegangen. Entsprechende offene Stellen habe sie nicht nachgewiesen. Eine in der Verwaltungsakte enthaltene Stellensuche seitens der Beklagten habe nur Ergebnisse gebracht, die mit dem Qualifikations- und Tätigkeitprofil des Klägers nicht übereinstimmten. Die Beklagte habe auch die Zumutbarkeitskriterien aus § 140 Sozialgesetzbuch Drittes Buch (SGB III) nicht berücksichtigt. Weiterhin dürfe die Beurteilung der Eigenleistungsfähigkeit nicht auf eine vermutete Ertragslage gestützt werden.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 28. Dezember 2012 zurück: Der berufliche Werdegang und umfangreichen fachlichen Kompetenzen des Klägers zeigten, dass er sich auf neue Aufgabenfelder schnell einstellen könne. Angesichts seiner prognostizierten Einkünfte im ersten Geschäftsjahr könne er seinen Lebensunterhalt auch ohne einen Gründungszuschuss sichern.

Hiergegen hat der Kläger am 15. Januar 2013 Klage – gerichtet auf eine Verurteilung der Beklagten zur Neubescheidung seines Antrags – erhoben. Beide Beteiligte sind bei ihrer jeweiligen Rechtsauffassung geblieben.

Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 7. Oktober 2015 (dem Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt am 7. Dezember 2015) abgewiesen: Es hätten bereits die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Gründungszuschuss nicht vorgelegen, so dass es auf etwaige Ermessensfehler nicht ankomme. Der Kläger habe bis zur Aufnahme seiner Tätigkeit am 2. August 2012 keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld gehabt, da er nicht verfügbar gewesen sei. Für ihn habe bereits vor Eintritt der Arbeitslosigkeit am 1. August 2012 festgestanden, dass er ab dem 2. August 2012 selbstständig sein werde. Damit habe am 1. August 2012 keine Arbeitsbereitschaft im Sinne von § 138 SGB III und also auch keine Arbeitslosigkeit vorgelegen. Hieran ändere auch die Bewilligung von Arbeitslosengeld für den 1. August 2012 nichts, die rechtswidrig erfolgt sei. Denn § 48 Abs. 3 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch sei der Rechtsgedanke zu entnehmen, dass auf eine bestandskräftig festgestellte rechtswidrige Leistung nicht noch eine weitere Leistung aufgepropft werden dürfe.

Der Kläger hat am 5. Januar 2016 Berufung eingelegt.

Er führt aus, der Gründungszuschuss stelle eine Quasi-Pflichtleistung dar, und es spreche bei Vorliegen der gesetzlichen Tatbestandsvoraussetzungen alles für eine positive Entscheidung. Im vorliegenden Fall seien alle Voraussetzungen aus § 93 SGB III erfüllt, allerdings solle nur ein Antrag auf Neubescheidung verfolgt werden. Auf einen Vermittlungsvorrang könne sich die Beklagte aus den bereits im Widerspruchs- und Klageverfahren genannten Gründen nicht mit Erfolg berufen. Der Kläger habe sich bereits am 2. Februar 2012 bei der Beklagten [arbeitssuchend] gemeldet und danach ununterbrochen der Arbeitsvermittlung zur Verfügung gestanden. Dennoch habe die Beklagten in den sechs Monaten, die zwischen dieser Meldung und der Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit gelegen hätten, kein einziges Vermittlungsangebot vorgelegt. Sie habe nicht einmal das Qualifikations- und Tätigkeitsprofil des Klägers korrekt erhoben und hiervon ausgehend die Lage auf dem betreffenden Arbeitsmarktsegment ermittelt.

Dem Vorbringen des Klägers ist der Antrag zu entnehmen,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 7. Oktober 2015 sowie den Bescheid der Beklagten vom 10. Oktober 2012 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Dezember 2012 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, über den Antrag des Klägers auf Gründungszuschuss 26. Juli 2012 unter Beachtung der Rechtsauffassung des Klägers neu zu entscheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die angegriffene Entscheidung.

Die Beteiligten haben sich mit Schriftsätzen vom 28. September 2016 und vom 7. Oktober 2016 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Prozessakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten (Bestandsakte, Verwaltungsakte betreffend den Gründungszuschuss sowie einen Hefter mit Beratungsvermerken) verwiesen, die dem Senat bei seiner Entscheidung vorgelegen haben.

Entscheidungsgründe:

Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung.

Die Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 151 SGG). Sie ist jedoch unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Neubescheidung seines Antrags auf Gründungszuschuss, denn es fehlt bereits an den tatbestandlichen Voraussetzungen von § 93 SGB III, so dass eine Ermessensentscheidung der Beklagten nicht in Betracht kommt.

I.) Gemäß § 93 Abs. 1 SGB III (in der seit dem 1. April 2012 geltenden und damit im vorliegenden Fall einschlägigen Fassung) können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die durch Aufnahme einer selbstständigen, hauptberuflichen Tätigkeit die Arbeitslosigkeit beenden, zur Sicherung des Lebensunterhalts und zur sozialen Sicherung in der Zeit nach der Existenzgründung einen Gründungszuschuss erhalten. Dieser kann gemäß § 93 Abs. 2 Satz 1 SGB III geleistet werden, wenn die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer 1. bis zur Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit einen Anspruch auf Arbeitslosengeld hat, dessen Dauer bei Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit noch mindestens 150 Tage beträgt und nicht allein auf § 147 Absatz 3 SGB III beruht, 2. der Agentur für Arbeit die Tragfähigkeit der Existenzgründung nachweist und 3. ihre oder seine Kenntnisse und Fähigkeiten zur Ausübung der selbstständigen Tätigkeit darlegt.

Im vorliegenden Fall fehlt es an der Voraussetzung der durch Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit eintretenden Beendigung der Arbeitslosigkeit im Sinne von § 93 Abs. 1 SGB III, denn der Kläger war am 1. August 2012 nicht verfügbar im Sinne von § 138 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 5 SGB III und damit nicht – wie in § 93 Abs. 1 SGB III gefordert – arbeitslos.

1.) § 93 Abs. 1 SGB III enthält mit dem Erfordernis der Beendigung von Arbeitslosigkeit eine eigene Anspruchsvoraussetzung. Die Vorschrift stellt weder einen reinen Programmsatz dar, noch macht sie der Arbeitsagentur Vorgaben hinsichtlich des mit der Formulierung "können" eingeräumten Ermessens. Vielmehr enthält das Gesetz insoweit eine eigene tatbestandliche Voraussetzung für die auf der Rechtsfolgenseite stehende Ermessensausübung (so im Ergebnis auch Hassel in Brand, SGB III. 6. Aufl., 2012, § 93 Rn. 9; Ross in LPK-SGB III, § 93 Rn. 9; Petzold in Hauck/Noftz, SGB, 06/16, § 93 SGB III Rn. 8).

2.) Der Begriff der Arbeitslosigkeit in § 93 Abs. 1 SGB III entspricht dem des § 138 SGB III. Er setzt mithin – wie in § 138 Abs. 1 Nrn. 1 bis 3 SGB III niedergelegt – Beschäftigungslosigkeit, Eigenbemühungen und Verfügbarkeit voraus. Entgegen der wohl h.M. im Schrifttum (Link in Eicher/Schlegel, SGB III nF, Stand Oktober 2013, § 93 Rn. 84; Winkler in Gagel, SGB III, Stand April 2012, § 93 Rn. 14; Hassel in Brand, SGB III, 6. Aufl. 2012, § 93 Rn. 9) sowie einem jedenfalls nicht hinreichend eindeutigen obiter dictum (dessen Aussagekraft das LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28. Mai 2014 – L 18 AL 236/13, juris Rn. 18 a.E. zu Recht in Zweifel zieht) im Urteil des Bundessozialgerichts vom 5. Mai 2010 (B 11 AL 11/09 R, SozR 4-4300 § 57 Nr. 6 = juris, Rn. 26), wonach zu beachten sein soll, "dass für das Merkmal der Beendigung von "Arbeitslosigkeit" iS des § 57 Abs 1 SGB III grundsätzlich Beschäftigungslosigkeit beendet worden sein muss", genügt es zur Erfüllung der Anspruchsvoraussetzung einer Beendigung der Arbeitslosigkeit im Sinne von § 93 Abs. 1 SGB III nicht, wenn der Betreffende lediglich beschäftigungslos gewesen ist. Für die Schaffung eines eigenen Arbeitslosigkeitsbegriff im Sinne des Gründungszuschussrechts besteht kein Bedürfnis. Der Senat schließt sich wie bereits in seinen Urteilen vom 3. Februar 2016 (L 2 AL 23/15, juris) und vom 29. Juni 2016 (L 2 AL 27/16, juris) der Rechtsprechung namentlich der Landessozialgerichte Berlin-Brandenburg und Nordrhein-Westfalen an, die ebenfalls den Begriff der Arbeitslosigkeit in § 93 Abs. 1 SGB III als Zusammentreffen von Beschäftigungslosigkeit, Eigenbemühungen und Verfügbarkeit aufgefasst (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 28. Mai 2014 – L 18 AL 236/13; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 25. September 2014 – L 9 AL 219/13, beide in juris; offen gelassen im Urteil des Senats vom 23. September 2015 – L 2 AL 20/14, juris) und insbesondere auch das Vorliegen subjektiver Verfügbarkeit gefordert haben (LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 16. April 2014 – L 9 AL 297/13; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 25. September 2014 – L 9 AL 219/13, LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10. Dezember 2015 – L 9 AL 83/14, alle in juris).

Die Vorschriften über den Gründungszuschuss bezwecken die Förderung von "Existenzgründungen aus der Arbeitslosigkeit" (BT-Drs. 16/1696 S. 30), wobei dem Gründungszuschuss die Funktion zukommt, das wegfallende Arbeitslosengeld zu kompensieren (BT-Drs. 16/1696 S. 30 zu § 57 Abs. 1). Die Kompensation eines solchen Anspruchs kommt aber nur dann in Betracht, wenn tatsächlich alle seine Voraussetzungen und nicht nur einzelne davon erfüllt sind. Dies zeigt sich – worauf insbesondere das Landessozialgericht Berlin-Brandenburg abstellt (Urteil vom 28. Mai 2014 – L 18 AL 236/13, juris, Rn. 18 a.E.) – deutlich am Vergleich mit dem in § 57 SGB III in der bis zum 31. Juli 2006 geltenden Fassung (a.F.) geregelten Überbrückungsgeld, an dessen Stelle der Gründungszuschuss getreten ist. Ein Anspruch auf Überbrückungsgeld bestand bis zur Streichung dieser Leistung durch das Gesetz zur Fortentwicklung der Grundsicherung für Arbeitssuchende (vom 20. Juli 2006, BGBl. I 1706) auch, wenn durch die Aufnahme einer selbstständigen Tätigkeit Arbeitslosigkeit vermieden wurde. Es kam mithin auch in den Konstellationen in Betracht, in denen sich der Versicherungsfall der Arbeitslosigkeit überhaupt nicht realisiert hatte. Anders als beim Überbrückungsgeld alten Rechts genügt es für den Gründungszuschuss nicht, den drohenden Eintritt des Versicherungsfalls zu vermeiden. Dies gilt nicht zuletzt deswegen, weil sonst Mitnahmeeffekte drohen, wenn eine seit längerer Zeit geplante Aufnahme einer selbstständigen Beschäftigung mit dem Eintritt von Arbeitslosigkeit synchronisiert wird (ähnlich auch LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10. Dezember 2015 – L 9 AL 83/14, juris).

Soweit eine Sichtweise, die allein auf Beschäftigungslosigkeit abstellt, einen Anspruch auf Gründungszuschuss auch in solchen Fällen offenhalten will, in denen der Betroffene nicht mehr verfügbar, aber noch beschäftigungslos ist, bedarf es hierfür keines speziell auf den Gründungszuschuss zugeschnittenen Begriffs der Arbeitslosigkeit. Vielmehr lassen sich diese Fallkonstellationen auf dem Wege lösen, dass darauf abgestellt wird, ob der Betroffene im Rahmen seiner Vorbereitungshandlungen einen "point of no return" erreicht hat, das heißt, ob er seine Existenzgründung nur noch unter Inkaufnahme erheblicher wirtschaftlicher Nachteile rückgängig machen kann (hierzu Urteil des Senats vom 3. Februar 2016 – L 2 AL 23/15, juris; zu einer vergleichbaren Konstellation bereits Urteil des Senats vom 23. September 2015 – L 2 AL 57/13, juris). Drohenden Härten, die sich speziell aus den für den Betroffenen nicht immer steuerbaren Abläufen einer Existenzgründung ergeben, lässt sich auch auf diesem Weg begegnen.

3.) Der Kläger war am 1. August 2012, dem einzigen Tag, für den er Arbeitslosengeld bezogen hat, nicht verfügbar im Sinne von § 138 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 5 SGB III und somit nicht arbeitslos im Sinne von § 93 Abs. 1 SGB III.

a) Dies ergibt sich nicht aus der bestandskräftigen Bewilligung von Arbeitslosengeld für den Zeitraum vom Eintritt der Arbeitslosigkeit (am 1. August 2012) bis zur Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit am Folgetag. Die durch Bestandskraft der Bewilligung eingetretene Bindungswirkung (§ 77 SGG) erstreckt sich auf die Frage nach einem den Vorgaben des § 93 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB III entsprechenden Restanspruch auf Arbeitslosengeld, nicht aber auf das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen eines solchen Anspruchs (so im Ergebnis auch LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 10. Dezember 2015 – L 9 AL 83/14, juris). In Bestandskraft erwächst der – ggf. unter Heranziehung der wesentlichen Begründung auszulegende – Tenor eines Bescheides, nicht aber einzelne Begründungselemente (BSG, Urteil vom 25. März 2015 – B 6 KA 22/14 R, SozR 4-2500 § 85 Nr. 82 = juris, Rn. 30 m.w.N.). Eine darüber hinausgehende Feststellungswirkung einzelner Entscheidungs(begründungs)elemente kennt das Recht nur in Ausnahmefällen (Breitkreuz in Berliner Kommentar zum SGG, 2. Aufl. 2014, § 77 Rn. 11 und 8).

b) Der Kläger war am 1. August 2012 nicht subjektiv verfügbar. Den Vermittlungsbemühungen der Agentur für Arbeit steht gemäß § 138 Abs. 5 SGB III zur Verfügung, wer 1. eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende zumutbare Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für sie oder ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarktes ausüben kann und darf, 2. Vorschlägen der Agentur für Arbeit zur beruflichen Eingliederung zeit- und ortsnah Folge leisten kann, 3. bereit ist, jede Beschäftigung im Sinne der Nummer 1 anzunehmen und auszuüben (sog. subjektive Verfügbarkeit), und 4. bereit ist, an Maßnahmen zur beruflichen Eingliederung in das Erwerbsleben teilzunehmen.

Die subjektive Verfügbarkeit ist eine innere Tatsache, deren Fehlen lediglich dann anzunehmen ist, wenn der Betreffende durch sein Verhalten begründete Anhaltspunkte dafür gegeben hat, dass er sich willkürlich nur auf einen Teil seiner objektiven Möglichkeiten beschränkt (Valgolio in Hauck/Noftz, SGB, 05/15, § 138 SGB III, Rn. 279, 280). Den Erklärungen auf dem zur Stellung eines Arbeitslosengeldantrags vorgehaltenen Formular kommt insoweit lediglich Indizwirkung zu; insbesondere handelt es sich nicht um Willenserklärungen im rechtlichen Sinne (Bayerisches LSG, Urteil vom 30. September 2015 – L 10 AL 278/14, juris, Rn. 16).

Im vorliegenden Fall überwiegen die tatsächlichen Anhaltspunkte, die dafür sprechen, dass der Kläger nicht bereit war, am 1. August 2012 eine versicherungspflichtige, mindestens 15 Stunden wöchentlich umfassende zumutbare Beschäftigung unter den üblichen Bedingungen des für ihn in Betracht kommenden Arbeitsmarktes auszuüben. Den Beratungsvermerken der Beklagten ist zu entnehmen, dass der Kläger bereits vor seiner Arbeitslosmeldung geplant hatte, am 2. August 2012 eine selbstständige Tätigkeit aufzunehmen. Da Gegenstand der Beschäftigungssuche nach § 138 Abs. 5 Nr. 1 SGB III nur eine Beschäftigung sein kann, die nach § 140 SGB III zumutbar ist (Valgolio, a.a.O., Rn. 206) und § 140 SGB III zwar nicht das Qualifikations-, wohl aber nach Maßgabe seines Abs. 3 das Entgeltniveau schützt, wären für den Kläger jedenfalls nur solche Beschäftigungen in Frage gekommen, die ganz überwiegend nicht nur tageweise verrichtet werden. Somit wäre eine Vermittlung in eine den Anforderungen des § 138 Abs. 5 Nr. 1 SGB III entsprechende Beschäftigung unweigerlich mit der bereits fest eingeplanten Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit kollidiert.

An diesem Ergebnis ändert sich auch dann nichts, wenn der Senat davon ausgeht, dass der zuletzt unwiderruflich von der Arbeitsleistung freigestellte Kläger bereits vor seiner Arbeitslosmeldung beschäftigungslos im Sinne von § 138 Abs. 1 Nr. 1 SGB III war und zwischen der Beendigung des arbeitsgerichtlichen Verfahrens und seinem "endgültigen" Entschluss, sich selbstständig zu machen, noch einige Zeit verstrichen war. Denn die Umstände sprechen auch bei Annahme einer länger als nur einen Tag dauernden Arbeitslosigkeit umso mehr gegen das Vorliegen subjektiver Verfügbarkeit je näher der geplante Termin zur Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit rückt.

Schließlich ergibt sich auch aus dem Inhalt der Beratungsvermerke nichts, was für ein anderes Ergebnis spricht. Denn bei der subjektiven Verfügbarkeit handelt es sich um eine Tatsache, die im gerichtlichen Verfahren von Amts wegen zu prüfen und einer Fiktion nicht (auch nicht im Wege eines auf den Vorwurf der Falschberatung gestützten sozialrechtlichen Herstellungsanspruchs) zugänglich ist.

4.) Da es somit am Tatbestandsmerkmal der Beendigung von Arbeitslosigkeit im Sinne von § 93 Abs. 1 SGB III fehlt, hat der Kläger keinen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Neubescheidung seines Antrags. Der Senat hat daher nicht über die Frage zu entscheiden, ob sich die Beklagte zu Recht auf den Vorrang der Vermittlung berufen hat.

II.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

III.) Der Senat hat die Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG zugelassen.
Rechtskraft
Aus
Saved