S 3 AS 1751/14

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 3 AS 1751/14
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Hält sich ein Kind im Wege des sog. "echten Wechselmodells" ca. hälftig bei beiden Elternteilen auf und reicht der kindergeldberechtigte Elternteil ohne rechtliche Verpflichtung Kindergeld anteilig an den nicht kindergeldberechtigten Elternteil weiter, so ist grundsätzlich von vollen bereiten Mitteln in der kindergeldberechtigten Bedarfsgemeinschaft auszugehen. Etwas anderes gilt nur wenn und soweit das tatsächlich durchgereichte Kindergeld in der nicht kindergeldberechtigten Bedarfsgemeinschaft zur Deckung des Bedarfs des Kindes benötigt wird.

2. Das Kindergeld ist gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 SGB II solange auf den Bedarf des Kindes anzurechnen, bis dieser gedeckt ist, unabhängig von der Anzahl der Aufenthaltstage des Kindes in der BG.
I. Der Festsetzungsbescheid des Beklagten vom 15.01.2014 und der Änderungsbescheid des Beklagten vom 15.01.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.03.2014 werden aufgehoben, soweit der Beklagte von der Klägerin zu 1 die Erstattung von 226,35 EUR fordert. II. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen. III. Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Kläger zu 5/6. IV. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Die Kläger wenden sich gegen die endgültige Leistungsfestsetzung für den Zeitraum Februar bis Juli 2013 und die Erstattungsforderung in Höhe von 272,91 EUR insbesondere Anrechnung des vollen Kindergeldbetrages in der Bedarfsgemeinschaft (BG) als Einkommen. Die Klägerin zu 1 lebt mit ihrem am 2007 geborenen Sohn, dem Kläger zu 2, seit dem 01.02.2013 getrennt von ihrem Ehemann bzw. dem Kindsvater und beide beziehen seither Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II. für die Wohnung mit 55 Quadratmetern ist eine Bruttokaltmiete von 363,00 EUR zuzüglich Heizkosten von 75,00 EUR monatlich zu zahlen. Die Klägerin zu 1 bezieht für den Kläger zu 2 monatlich Kindergeld in Höhe von 184,00 EUR. Die Klägerin ist selbständig tätig mit einem Online-Shop und im Kosmetik-Bereich und absolvierte in der Zeit von Januar 2013 bis Januar 2014 eine Ausbildung zur Heilpraktikerin, die gemäß Bescheid des Landkreises Sächsische Schweiz vom 06.032013 bereits dem Grunde nach nicht nach dem BAföG förderfähig ist. Bei Stellung des Erstantrages gab sie im Rahmen der Erklärung über Einkommen aus selbständiger Tätigkeit an, dass sie die Einnahmen für die Zeit von Januar bis Juli 2013 mit 2072,00 EUR, die Ausgaben mit 2435,80 EUR prognostiziere und daher nicht mit Gewinn aus der Tätigkeit rechne. Verwertbares Vermögen über den Freibeträgen ist nicht vorhanden. Weiter teilte die Klägerin zu 1 dem Beklagten mit, dass der Kläger zu 2 im wechselnden Wochenrhythmus, nämlich in allen "ungeraden" Kalenderwochen bei seinem Vater lebe und nur in den "geraden" Kalenderwochen bei ihr und legte entsprechend markierte Kalenderblätter vor. Unterhalt wurde für den Kläger zu 2 durch den Vater nicht gezahlt. Für Zeiten, in denen der Kläger zu 2 sich bei seinem Vater aufhalte, beziehe er keine Sozialleistungen. Mit vorläufigem Bewilligungsbescheid vom 20.03.2013 (Bl. 18 Gerichtsakte) bewilligte der Beklagte den Klägern Leistungen der Grundsicherung in Höhe von monatlich 918,29 EUR für die Zeit vom 01.02.2013 bis 31.07.2013, dabei der Klägerin zu 1 monatlich Regelleistungen sowie Alleinerziehungszuschlag in Höhe von 432,40 EUR, dem Kläger zu 2 Sozialgeld in Höhe von 122,89 EUR und beiden jeweils Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 181,50 EUR. Der Beklagte wies darauf hin, dass die Leistung nach Vorlage des Betriebsergebnisses endgültig festgesetzt werde. Das Kindergeld wurde bei den Klägern je zur Hälfte angerechnet (vgl. Berechnungsbogen Bl. 107 Verwaltungsakte), wobei bei der Mutter dieses Einkommen um die Versicherungspauschale in Höhe von 30,00 EUR sowie die Beiträge zur Kfz-Versicherung in Höhe von 34,53 EUR monatlich bereinigt wurde, so dass nur ein Anrechnungsbetrag von 27,47 EUR verblieb. Mit vorläufigem Bescheid vom 22.03.2013 (Bl. 23 Gerichtsakte) korrigierte der Beklagte die Bewilligung dahingehend, dass der Kläger zu 2 nur für die tatsächlichen Anwesenheitstage in der mütterlichen BG Leistung (Sozialgeld und Unterkunftskosten) erhielt, die hierdurch "offenen" Unterkunftskosten wurden der Klägerin zu 1 zugeschlagen. Als Einkommen rechnete der Beklagte bei der Klägerin zu 1 die Hälfte des Kindergeldes an, beim Kläger zu 2 von der weiteren Hälfte den sich nach monatlich tatsächlichen Anwesenheitstagen anteilig ergebenden Betrag. Somit erhielt die Bedarfsgemeinschaft für Februar, März und Juli 2013 monatlich vorläufig Leistungen in Höhe von 847,89 EUR, für April und Juni 856,69 EUR und für Mai 861,09 EUR. Die überzahlten Leistungen für Februar und März wurden zurückgefordert. Mit weiterem vorläufigem Änderungsbescheid vom 08.05.2013 (Bl. 35 Gerichtsakte) bewilligte der Beklagte den Klägerin für Februar, März und Juli je 922,89 EUR, für April und Juni 93,69 EUR und für Mai 936,09 EUR, weil im Rahmen der Unterkunftskosten auch Heizkosten in Form von Nachtstromabschlägen zu berücksichtigen waren. Im Übrigen bleib die Berechnung unverändert. Auf den Widerspruch der Klägerin zu 1 dahingehend, dass auch ein Mehrbedarf für die Warmwasserbereitung zu berücksichtigen sei, bewilligte der Beklagte den Klägern mit vorläufigem Abhilfebescheid vom 30.07.2013 (Bl. 47 Gerichtsakte) weiterhin Leistungen nunmehr in Höhe von 932,52 EUR für Februar, März und Juli 2013, 941,44 EUR für April und Juni 2013 und 945,90 EUR für Mai 2013. Auch hier blieb die Berechnung im Übrigen unverändert, d.h. es wurde weiterhin die Hälfte des Kindergeldes in Höhe von 92,00 EUR um Versicherungspauschale und Kfz-Versicherungsbeiträge bereinigt und bei der Klägerin zu 1, sowie monatlich ca. ein weiteres Viertel (die zweite Hälfte des Kindergeldes anteilig nach Anwesenheitstagen) beim Kläger zu 2 als Einkommen angerechnet. Im Einzelnen erhielt die Klägerin zu 1 für Februar, März und Juli jeweils 436,45 EUR Regelleistung und anteiligen Alleinerziehungszuschlag sowie Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 335,78 EUR; der Kläger zu 2 erhielt für je 14/30 Leistungstage Sozialgeld in Höhe von 58,07 EUR und Unterkunftskosten in Höhe von 102,22 EUR. Für April und Juni 2013 erhielt die Klägerin zu 1 437.09 EUR Regelleistung und Alleinerziehungszuschlag und 321,18 EUR Unterkunftskosten; der Kläger zu 2 erhielt für 16/30 Leistungstage 66,35 EUR Sozialgeld und 116,82 EUR Unterkunftskosten. Für Mai 2013 erhielt die Klägerin zu 1 437,17 EUR Regelleistung und Alleinerziehungszuschlag nebst 321,18 EUR Unterkunftskosten; der Kläger zu 2 erhielt für 17/30 Leistungstage 70,73 EUR Sozialgeld und 116,82 EUR Unterkunftskosten. Am 26.08.2013 legte die Klägerin zu 1 die abschießenden Angaben zum Einkommen aus selbständiger Tätigkeit für Februar bis Juli 2013 nebst Belegen vor, wonach kein Gewinn erzielt wurde. Mit Änderungsbescheid vom 15.01.2014 (Bl. 59 Gerichtsakte) bewilligte der Beklagte dem Klägern endgültig Leistungen für Februar, März und Juli 2013 in Höhe von 883,46 EUR, für April und Juni in Höhe von 898,51 EUR und für Mai 2013 in Höhe von 906,03 EUR. Dabei erhielt die Klägerin zu 1 für Februar, März und Juni 2013 Regelleistungen und Alleinerziehungszuschlag in Höhe von 395,23 EUR, der Kläger zu 2 Sozialgeld in Höhe von 50,23 EUR. Für April und Juni erhielt die Klägerin zu 1 Regelleistung und Alleinerziehungszuschlag in Höhe von 401,99 EUR, der Kläger zu 2 Sozialgeld in Höhe von 58,52 EUR. Für Mai 2013 erhielt die Klägerin zu 1 Regelleistung und Alleinerziehungszuschlag in Höhe von 404,68 EUR, der Kläger zu 2 Sozialgeld von 63,35 EUR. Die bewilligten Unterkunftskosten entsprachen denen im Bescheid vom 30.07.2013. Dabei wurde nunmehr beim Kläger zu 2 auf den Bedarf Einkommen in Form von Kindergeld ausgehend von der Hälfte des Gesamtbetrages (92,00 EUR) anteilig für Anwesenheitstage angerechnet, mithin im Februar, März und Juni in Höhe von 42,94 EUR, bei der Klägerin zu 1, ausgehend vom Restbetrag zum Gesamtkindergeldbetrag (184,00 EUR) in Höhe von 141,06 EUR, nach Bereinigung um Versicherungspauschale und Kfz-Versicherung noch 76,53 EUR; für April und Juni rechnete der Beklagte beim Kläger zu 2 Kindergeld in Höhe von 49,07 EUR an, bei der Klägerin zu 1, ausgehend von 134,93 EUR, bereinigt 70,40 EUR. Im Mai 2013 wurde beim Kläger zu 2 ein Einkommen aus Kindergeld in Höhe von 52,13 EUR angerechnet, bei der Klägerin zu 1, ausgehend von 131,87 EUR, bereinigte 67,34 EUR. Mit Erstattungsbescheid (Bl. 70 Gerichtsakte) vom 15.01.2014 forderte der Beklagte für die Zeit vom 01.02.2013 bis 31.07.2013 von der Klägerin zu 1 insgesamt 226,35 EUR (für Februar, März und Juli je 41,22 EUR, für April und Juni je 35,10 EUR und für Mai 32,49EUR) und vom Kläger zu 2 46,56 EUR (Februar, März und Juli je 7,84 EUR, April, Mai und Juni je 7,83 EUR) zurück, wobei die Forderung nach Monaten und Leistungsarten individuell aufgeschlüsselt wurden. Zur Begründung wurde in beiden Bescheiden ausgeführt, dass das Kindergeld (doch) vollumfänglich in der mütterlichen BG als Einkommen zu berücksichtigen sei. Mit Schreiben vom 23.01.2014 erhob die Klägerin zu 1 Widerspruch gegen den Rückforderungsbescheid vom 15.01.2014 und führte aus, dass es zwar richtig sei, dass sie als Kindergeldberechtigte das Kindergeld zunächst erhalte. Aufgrund des gemeinsamen Sorgerechts und des Wechselmodells reiche sie aber das hälftige Kindergeld in Höhe von 92,00 EUR an den Vater weiter. Dies geschehe meist ca. eine Woche nach Erhalt des Kindergeldes in bar. Das Kindergeld stehe ihr somit nicht in vollem Umfang zur Verfügung. Die Klägerin zu 1 legte monatliche Quittungen aus der Zeit von Februar bis Juli 2013 vor, mit der der Kindsvater bestätigte, monatlich 92,00 EUR als Anteil des Kindergelds erhalten zu haben. Mit Widerspruchsbescheid vom 03.03.2014 (Bl. 271 Verwaltungsakte) wies der Beklagte den Widerspruch zurück und führte zur Begründung aus, dass über die Leistung zunächst vorläufig entschieden und nunmehr infolge der Vorlage der Einkommensnachweise endgültig festgesetzt worden sei. Es hätten sich insoweit keine Änderungen ergeben, lediglich das Kindergeld sei voll in der BG als Einkommen anzurechnen. Nach den "Fachlichen Hinweisen" des Beklagten bleibe der Teil des Kindergeldes, der auf die Aufenthalte des Kindes in der "zeitweisen" (gemeint ist hier "väterlichen") BG entfalle Einkommen der kindergeldberechtigten Person, da in dieser Zeit kein Kindergeld zur Sicherung des Lebensunterhaltes des Kindes benötigt werde. Etwas anders gelte auch nicht deshalb, weil die Klägerin zu 1 tatsächlich das hälftige Kindergeld an den Kindsvater durchreiche. Dies sei zwar praktisch und moralisch nachvollziehbar, rechtlich aber unbeachtlich, da dies nicht zur Belastung der Solidargemeinschaft gehen könne. Die Berechnung sei daher korrekt. Dabei teilte der Beklagte das Kindergeld zunächst dergestalt auf, dass die Hälfte bei der Klägerin zu 1, die andere Hälfte zunächst beim Kläger zu 2 angesetzt wurde. Beim Kläger zu 2 wurden dann soviel Dreißigstel dieser Hälfte als Einkommen berücksichtigt, wie tatsächlichen Anwesenheitstagen in der mütterlichen BG entsprachen. Der nicht angerechnete Differenzbetrag zur Kindergeldhälfte des Sohnes wurde wiederum bei der Mutter angerechnet. Gemäß § 328 SGB II sei die Überzahlung in Höhe von 272,91 EUR durch die Kläger zu erstatten. Hiergegen erhoben die Kläger am 14.03.2014 Klage mit dem Ziel, dass die an den Kindsvater durchgereichte Hälfte des Kindergeldes nicht als Einkommen in der BG angerechnet und somit keine Erstattung gefordert werde. Seit der Trennung werde der Sohn im wöchentlichen Wechsel durch die Eltern, die beide das Sorgerecht haben, betreut und auch das Kindergeld geteilt. Da der BG aber nicht das volle Kindergeld zur Verfügung stehe, aber nur der anteilige Bedarfssatz fürs Kind gezahlt werde, sei Klage geboten. Zudem habe der Beklagte ursprünglich das volle Kindergeld je hälftig bei den Klägern angerechnet und im Änderungsbescheid vom 15.01.2014 letztlich ebenfalls das volle Kindergeld angerechnet. Es ergebe sich so gar keine Differenz, die erstattet werden könnte. Das Problem entstehe erst mit dem zwischenzeitlichen Änderungsbescheid vom 30.07.2014, bei dem zwar bei der Klägerin weiterhin 92,00 EUR Kindergeld angerechnet worden seien, nicht aber der durch den Sohn nicht verbrauchte Rest. Dies habe die Klägerin aber nicht erkennen können und sie müsse insoweit Vertrauensschutz genießen. Es sei auch nicht nachvollziehbar, warum überhaupt von Anfang an das Kindergeld aufgeteilt worden sei, denn es müsse doch beim Kläger zu 2 zur Bedarfsdeckung eingesetzt werden. Mit Schreiben vom 05.11.2014 stimmte der Vater des Klägers zu 2 der Klageerhebung zu. Die Kläger beantragen, sachdienlich gefasst den Erstattungsbescheid des Beklagten vom 15.01.2014, in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.03.2014 aufzuheben und den endgültigen Festsetzungsbescheid des Beklagten vom 15.01.2014 dahingehend abzuändern, dass nur das hälftige Kindergeld als Einkommen angerechnet wird.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Der Bedarfsgemeinschaft fließe das volle Kindergeld zu und sei deshalb auch voll anzurechnen. Soweit es beim Kläger zu 2 aufgrund seines nur temporären Aufenthaltes in der Bedarfsgemeinschaft dort nicht zur Bedarfsdeckung benötigt werde, sei es bei der Kindergeldberechtigten anzurechnen. Hilfebedürftige hätten ihr gesamtes Einkommen zur Deckung des Bedarfs einzusetzen. Die Weitergabe des Kindergeldes an den Kindsvater mag zwar moralisch geboten, nicht aber rechtlich verpflichtend sein. Die Beteiligten wurden mit gerichtlichem Schreiben vom 19.08.2016 zu einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 SGG angehört und erklärten ihr Einverständnis. Für das weitere Vorbringen der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsakten des Beklagten (Nr. 07702BG0021795), deren Inhalt Gegenstand der Entscheidung war, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Anfechtungsklage ist teilweise begründet.

Der Festsetzungsbescheid des Beklagten vom 15.01.2014 sowie der Erstattungsbescheid vom 15.01.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 03.03.2014 sind insoweit rechtswidrig, als der Beklagte die Leistungen von der Klägerin zu 1 zurückgefordert hat.

I. Die Klage ist zulässig, auch soweit sie sich gegen den Änderungsbescheid, richtet. Die Klägerin zu 1 hat in ihrem Widerspruchsschreiben vom 23.01.2014 zum Ausdruck gebracht, dass sie mit der vollen Anrechnung des Kindergeldes nicht einverstanden ist, hat also insoweit die Leistungsberechnung aus dem Festsetzungsbescheid angegriffen. Zudem wendete sie sich ausdrücklich gegen den Rückforderungsbescheid. Das Anliegen der Kläger war im Sinne des Meistbegünstigungsprinzips so auszulegen, dass nicht nur der Erstattungsbescheid, sondern auch der Änderungsbescheid vom 15.01.2014 angegriffen wurde. Dies hat auch der Beklagte so gesehen, der sich im Widerspruchsbescheid zu beiden Bescheiden äußerte und im Widerspruchsverfahren beide Bescheide geprüft hat. Die Kläger begehren in der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage, dass die Berechnung korrigiert und die Rückforderung aufgehoben wird. Höhere Leistungen als bislang erhalten machen die Kläger dagegen nicht geltend. Auch die Klage des Klägers zu 2 ist zulässig, da der ebenfalls sorgeberechtigte Vater der klage zugestimmt hat (vgl. zur Erforderlichkeit der Zustimmung BSG, Urteil vom 02. Juli 2009 – B 14 AS 54/08 R).

II. Klage ist teilweise begründet.

1. Der Erstattungsbescheid ist formal rechtmäßig, insbesondere können die Kläger keinen Vertrauensschutz geltend machen. Die Leistung war vorläufig bewilligt gemäß § 328 SGB III i.V.m. § 40 Abs. 2 Ziff. 2 SGB II, da die Klägerin zu 1 selbständig tätig war und dass sich daraus ergebene Einkommen nicht bei Leistungsbewilligung bekannt war. Gemäß § 328 SGB Abs. 3 Satz 1 und 2 III sind auf Grund der vorläufigen Entscheidung erbrachte Leistungen auf die zustehende Leistung anzurechnen. Soweit mit der abschließenden Entscheidung ein Leistungsanspruch nicht oder nur in geringerer Höhe zuerkannt wird, sind auf Grund der vorläufigen Entscheidung erbrachte Leistungen zu erstatten. Demnach sind bei endgültiger Festsetzung vorläufig gewährter Leistungen Überzahlungen in jedem Fall zu erstatten, auf ein Verschulden oder eine Kenntnis des Leistungsempfängers kommt es nicht an. Bei nur vorläufig gewährten Leistungen ist Vertrauensschutz ausgeschlossen, weil auf eine nur vorläufig gewährte Leistung per se nicht vertraut werden kann.

2. Der Erstattungsbescheid ist materiell insoweit rechtmäßig, als vom Kläger zu 2 Leistungen zurückgefordert wurden, nicht aber, soweit auch von der Klägerin zu 1 Leistungen zurückgefordert wurden. Dem zugrunde liegt eine fehlerhafte teilweise Anrechnung des Kindergeldes als Einkommen im "Änderungs"-(Festsetzungs-)Bescheid auf den Bedarf der Klägerin zu 1.

a) Den Bedarf, der sich aus Regelleistung gemäß § 20 SGB II und anteiligem Alleinerziehungsmehrbedarf gemäß § 21 SGB II für die Klägern zu 1 (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 12. November 2015 – B 14 AS 23/14 R), Sozialgeld für den Kläger zu 2 gemäß § 23 SGB II sowie Leistungen für Unterkunft und Heizung gemäß § 22 SGB II für beide Kläger zusammensetzt, hat der Beklagte korrekt ermittelt, insbesondere monatlich nach tatsächlichen Anwesenheitstagen des Klägers zu 2 aufgrund des sog. "echtem Wechselmodells" berechnet. Dabei ist der Leistungsmonat gemäß § 41 Abs. 1 Satz 2 SGB II immer mit 30 Tagen anzunehmen und dann entsprechend der Anwesenheitstage der Bedarf des Klägers zu 2 an Sozialgeld und Unterkunftskosten anteilig zu berechnen (vgl. BSG, Urteil vom 12. Juni 2013). Für die Zeiten, in denen der Kläger zu 2 abwesend ist, wächst der entsprechende Anteil an Unterkunftskosten der Klägerin zu 1 zu. Auf die Berechnung im Änderungsbescheid vom 15.01.2014 wird insoweit Bezug genommen.

b) Die Kläger konnten ihren Bedarf auch nicht vollständig durch eigene Mittel decken, hatten also Leistungsanspruch. Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann. Vermögen im Sinne des § 12 SGB II ist in der BG der Kläger nicht vorhanden, aber Einkommen gemäß § 11 SGB II. Allerdings war die Bedürftigkeit der Klägerin zu 1 höher, als durch den Beklagten berechnet, die des Klägers zu 2 dagegen geringer, als berechnet. Fehlerhaft war die Art und Weise der Kindergeldanrechnung.

aa) Zwar ist es nach Auffassung der Kammer korrekt, dass im vorliegenden Fall das gesamte Kindergeld in der kindergeldberechtigten Bedarfsgemeinschaft angerechnet wurde, obwohl Teile davon an den Vater durchgereicht werden.

(1) Das Kindergeld war vollständig in der Bedarfsgemeinschaft (BG) zu berücksichtigen, zu der das kindergeldberechtigte Elternteil gehört, obwohl die Hälfte des Kindergeldes durchgereicht wurde und somit nicht zur Verfügung stand. Kindergeld ist Einkommen des kindergeldberechtigten Elternteils und wird nur aufgrund der Vorschrift des § 11 Abs. 1 Satz 4 SGBII bei der Bedarfsberechnung ausnahmsweise zuerst beim Kind angerechnet. Nach der Rechtsprechung ist das Kindergeld grundsätzlich in der BG anzurechnen, in der der Kindergeldberechtigte lebt. So entschied das Bundessozialgericht in seinem Urteil vom 02.07.2009 (Az. B 14 AS 75/08 R, Leitsatz 2 und Rn20 und 21), dass das Kindergeld nur dann als Einkommen eines minderjährigen Kindes zu berücksichtigen sei, wenn der Kindergeldberechtigte selbst Mitleid der temporären BG ist. Dabei lag dieser Entscheidung insoweit ein anderer Sachverhalt als der hier zu Beurteilende zugrunde, als dort der Sozialleistungsträger das Kindergeld, obwohl es nicht durchgereicht wurde, als Einkommen des Kindes in der BG anrechnete, in dem das nicht-kindergeldberechtigte Elternteil lebte. Dagegen entschied das hessische Landessozialgericht mit Urteil vom 24.04.2013 (Az.: L 6 AS 376/11, 2. Orientierungssatz und Rn. 28), dass Kindergeld, das von einem nicht zur BG gehörenden Elternteil an das (bedürftige) Kind weitergeleitete wird, bei diesem als Einkommen zu berücksichtigen ist. Der Entscheidung liegt der Gedanke zugrunde, dass durch die Durchleitung des Kindergeldes in der bedürftigen Bedarfsgemeinschaft tatsächlich Einkommen zufließt, das gemäß § 11 SGB II auch anzurechnen ist. Nach Kenntnis der Kammer liegt bislang aber kein Urteil zu der Frage vor, wie es sich mit der Anrechnung verhält, wenn aus der (bedürftigen) BG heraus im Fall des Wechselmodells aufgrund moralischen Pflichtempfindens die Hälfte des Kindergeldes an das nicht kindergeldberechtigte Elternteil weitergeleitet wird, das selbst (mit dem teilweise anwesenden Kind) keine Sozialleistungen bezieht. Denn nach Auffassung der Kammer ist hier zu unterscheiden, ob das Kind beim nicht-kindergeldberechtigten Elternteil bedürftig ist, oder nicht.

(2) Die Kammer kam nach Abwägung aller bekannter Rechtsprechung und von Sinn und Zweck der Leistungen nach dem SGB II als Sicherung des Existenzminimums zu dem Ergebnis, dass das Kindergeld auf den Bedarf des Kindes anzurechnen ist, soweit es mit dem kindergeldberechtigten Elternteil bedürftig ist. Etwas anderes gilt auch nicht unter Berücksichtigung des Umstandes, dass das Geld der BG tatsächlich nicht mehr zur Verfügung steht, weil die kindergeldberechtigte Mutter es an den Vater hälftig weitergeleitet hat. Es greift hier nicht der Gedanke der sogenannten "bereiten Mittel", denn die Kindergeldberechtigte konnte frei von rechtlichen Zwängen über die Verwendung des Kindergeldes entscheiden, das Kindergeld war ihr vollumfänglich zugeflossen und bereite Mittel zunächst vorhanden. So entschied das Bundessozialgericht, dass nur dann nicht von "bereiten Mitteln" bei Einnahmen auszugehen ist, wenn diese zu Beginn des Bewilligungsabschnittes tatsächlich nicht (mehr) zur Verfügung stehen, sei es auch, dass diese vorab aus freien Stücken und ohne rechtliche Verpflichtung weggegeben wurden (vgl. BSG, Urteil vom 12. Juni 2013 – B 14 AS 73/12 R –, juris). Wenn das Geld aber einmal zugeflossen ist, und ohne rechtliche Verpflichtung z. B. abgetreten wurde, ist es als Einkommen zu berücksichtigen (vgl. zur Abtretung Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 27. Juli 2016 – L 3 AS 2898/15 –, juris). Vorliegend folgte die kindergeldberechtigte Klägerin zu 1 lediglich einer moralisch empfundenen Verpflichtung, das vom Staat an die Eltern für die Erziehung der Kinder geleistete Kindergeld an das andere Elternteil teilweise durchzureichen, das sich im Wechselmodell ebenfalls hälftig um das Kind kümmert und daher im Übrigen auch keinen Unterhalt für das Kind zu zahlen verpflichtet war. Nur eine rechtliche Verpflichtung kann aber die Weggabe von Einkommen rechtfertigen, wenn Bedürftigkeit besteht, die durch die Solidargemeinschaft abgefedert wird. Andernfalls würde durch die Weitergabe (eines Teils) des Kindergeldes beim nicht kindergeldberechtigten Elternteil der Aufwand für das Kind geschmälert, dies aber in der kindergeldberechtigten BG durch höhere Sozialleistungen ausgeglichen, unabhängig davon, ob das nicht-kindergeldberechtigte Elternteil auf diese Leitung finanziell angewiesen ist, oder nicht. Zwar wird Kindergeld an die Eltern gezahlt, weil diese den Aufwand haben, die Kinder zu finanzieren und diesen Aufwand haben beide Elternteile im Fall des Wechselmodells gleichermaßen. Dies haben allerdings die Eltern bei der Entscheidung zu berücksichtigen, wer kindergeldberechtigt sein soll. Nach Überzeugung der Kammer hat in dem vorliegend zu entscheidenden Fall die Mutter das Kindergeld zuerst innerhalb der eigenen Bedarfsgemeinschaft für das Kind aufzuwenden.

(3) Etwas anders gilt aus Sicht der Kammer allerdings dann, wenn das Kind auch beim nicht-kindergeldberechtigten Elternteil bedürftig ist. Da nach der Rechtsprechung (vgl. hessisches LSG, a.a.O.) durchgeleitetes Kindergeld in diesem Fall in der anderen BG als Einkommen des Kindes zu berücksichtigen ist, kann es nicht doppelt angerechnet werden. Soweit hier tatsächlich Kindergeld durchgereicht und maximal in dem Umfang, in dem es in der anderen BG zur Bedarfsdeckung des Kindes benötigt wird, ist es dann in der kindergeldberechtigten BG nicht und statt dessen in der nicht-kindergeldberechtigten BG anzurechnen. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nicht alle getrennten Kindergeldberechtigten, die das sog. Wechselmodell durchführen, die moralische Pflicht verspüren werden, Teile des Kindergeldes abzugeben. Auch hier liegt die Grenze aber im tatsächlichen Bedarf des Kindes. Wird mehr Kindergeld durchgereicht, als in der zweiten BG benötigt wird, so ist der Überschuss bei der kindergeldberechtigten BG (als Einkommen des Kindes gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 SGB II oder als Überhang beim Kindergeldberechtigten) zu berücksichtigen, zumal es nicht als Einkommen des nicht-kindergeldberechtigten Elternteils auf dessen Bedarf angerechnet werden kann.

Im vorliegenden Fall stand das Kind mit dem nicht kindergeldberechtigten Vater nicht im Leistungsbezug, Bedürftigkeit des Kindes war dort nicht gegeben. Demnach war das Kindergeld vollständig in der (kindergeldberechtigten) BG der Kläger als Einkommen zu berücksichtigen.

bb) Allerdings hat der Beklagte das Kindergeld individuell falsch angerechnet, denn gemäß § 11 Abs. 1 Satz 4 SGB II ist das Kindergeld solange auf den Bedarf des Kindes anzurechnen, bis dessen Bedarf gedeckt ist. Nur ein evtl. Kindergeld-"Überhang" wäre beim Kindergeldberechtigten anzurechnen.

(1) Für die Kammer ist nicht nachvollziehbar, weshalb der Beklagte von dieser gesetzlich vorgegebenen Berechnungsweise abgewichen ist. Nach der hier vertretenen Ansicht ist es gleichgültig, wie viele Tage das Kind in der Bedarfsgemeinschaft anwesend ist. Das Kindergeld ist ganz grundsätzlich auf seinen Bedarf anzurechnen, bis dieser gedeckt ist. Lediglich soweit sich dann ein Überhang ergibt, das Kindergeld also, z. B. aufgrund weiteren Einkommens wie Unterhalt, beim Kind nicht vollständig zur Bedarfsdeckung benötigt wird, ist dieser bei der Mutter als Einkommen anzurechnen und dort um Versicherungspauschale und ggf. Kfz-Versicherungsbeträge zu bereinigen. Eine Aufteilung im Sinne des § 9 Abs. 2 Satz 3 SGB II dieses Kindergeldes mit dem Kind für das es gezahlt wurde ist dann nicht mehr vorzunehmen. Eine Bereinigung des Kindergeldes beim Kläger zu 2 ist nicht vorzunehmen. In Frage käme allein der pauschale Versicherungsfreibetrag gemäß § 11 b Abs. 1 Ziff. 3a SGB II. Dieser kann gemäß § 6 Abs. 1 Ziff. 2 Alg II-Verordnung aber in Höhe von 30,00 EUR nur dann von Einkommen des Kindes abgezogen werden, wenn für das Kind selbst eine übliche Versicherung tatsächlich abgeschlossen ist. Dies ist nach Aktenlage vorliegend nicht der Fall gewesen. Somit sind auf den Bedarf des Klägers zu 2 monatlich 184,00 anzurechnen gewesen. Der Bedarf des Klägers zu 2 lag über 184,00 EUR monatlich, nämlich für Februar, März und Juli 2013 bei 207,60 EUR, April und Juni 237,25 EUR, Mai 244,77 EUR). Damit ergab sich kein Kindergeld-Überhang, der bei der Klägerin zu 2 hätte angerechnet werden können. Die Klägerin hatte individuell einen höheren Leistungsanspruch, als durch den Beklagten endgültig festgesetzt. Da die Klägerin aber keine höheren Leistungen eingeklagt, sondern sich lediglich gegen die Rückforderung gewendet hat, findet insoweit keine Korrektur statt. Die Erstattungsforderung war allerdings rechtswidrig, weil keine Aufhebung ergehen durfte.

Der Klage war daher insoweit stattzugeben und der Erstattungsbescheid insoweit aufzuheben, als von der Klägerin zu 1 Leistungen zurückgefordert wurden.

(2) Im Ergebnis jedoch war aufgrund der vollen Kindergeldanrechnung beim Kläger zu 2 sein individuell ungedeckter Bedarf erheblich niedriger, als im Änderungsbescheid vom 15.01.2014 bewilligt. Bedürftigkeit bestand nach Anrechnung des vollen Kindergeldes tatsächlich nur in Höhe von je 23,60 EUR für Februar, März und Juli, 53,25 EUR für April und Juni sowie 60,77 EUR für Mai 2013. Der Beklagte hat in der endgültigen Festsetzung allerdings dem Kläger zu 2 Leistungen in Höhe von 152,45 EUR (Februar, März, Juli), 175,34 EUR (April und Juni) bzw. 180,17 EUR bewilligt und mit Erstattungsbescheid vom 15.01.2014 monatlich aufgeschlüsselt insgesamt Leistungen in Höhe von (nur) 46,56 EUR zurückgefordert. Der Kläger zu 2 ist weit über die Rückforderung des Beklagten hinaus überzahlt. Die Rückforderung hätte im Gegenzug erheblich höher ausfallen müssen. Somit war es korrekt, die Erstattung von Leistungen vom Kläger zu 2 zu fordern. Aufgrund oben beschriebener Berechnungsfehler hat der Beklagte allerdings zu geringe Leistungen vom Kläger zu 2 zurückgefordert. Aufgrund des sogenannten Verböserungsverbotes (Verbot der reformatio in peius) ist es dem Gericht aber untersagt, etwa eine höhere Rückforderung festzusetzen. Es verleibt damit bei den vom Kläger zu 2 bislang zurückgeforderten Beträgen.

Soweit die Klage sich gegen die Erstattungsforderung gegenüber dem Kläger zu 2 richtete war sie daher abzuweisen.

III. Die Kostenentscheidung folgt der Entscheidung in der Hauptsache, § 193 SGG. Die Kläger haben nur ca. 1/6 der ursprünglichen Rückforderungssumme zu erstatten, so dass der Beklagte 5/6 der außergerichtlichen Kosten zu tragen hat.

IV. Die Berufung ist nicht kraft Gesetzes zulässig, da der Berufungsstreitwert nicht erreicht ist, § 144 Abs. 1 SGG. Aus Sicht der Kammer kommt allerdings der Rechtsfrage, wie das Kindergeld im Falle des tatsächlichen Durchreichens anzurechnen ist, grundsätzliche Bedeutung zu. Entscheidungen zu der vorliegend streitgegenständlichen Konstellation, des Durchreichens durch den bedürftigen an einen nicht hilfebedürftigen Elternteil im echten Wechselmodell, sind der Kammer nicht bekanntgeworden. Die Kammer hat daher die Berufung zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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