L 4 R 3262/15

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 2 R 3259/12
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 3262/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 14. Juli 2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ab dem 1. März 2011.

Die am 1961 in Polen geborene Klägerin, anerkannte Vertriebene (Aussiedlerin) nach § 1 Abs. 2 Nr. 3 Bundesvertrieben- und Flüchtlingsgesetz, erlernte im Herkunftsland die Berufe einer Bautechnikerin und einer Dipl.-Verwaltungswirtin. Nach ihrer Übersiedlung in die Bundesrepublik Deutschland am 10. Oktober 1999 legte sie ab dem 1. August 2003 Pflichtbeitragszeiten zurück, ab dem 11. Juli 2005 aufgrund einer versicherungspflichtigen Beschäftigung, zuletzt als Maschinenarbeiterin. Ab dem 1. September 2010 war sie arbeitslos, ab dem 1. Januar 2011 bezog sie - unterbrochen durch die Gewährung von Übergangsgeld - Krankengeld. Bereits seit dem 2. Januar 2008 übt sie eine geringfügige Beschäftigung als Reinigungskraft im Umfange von drei Stunden wöchentlich, zuletzt als Messnerin zweimal wöchentlich aus.

Vom 18. Januar bis 15. Februar 2011 befand sie sich in stationärer Rehabilitation in der Reha-Klinik K., Fachklinik für Innere Medizin, Neurologie und Orthopädie, Schwerpunktklinik für Hirnfunktionsstörungen. Im Abschlussbericht vom 21. Februar 2011 beschrieb Dr. D. einen Zustand nach (Z.n.) Dissektion der Arteria carotis interna (ACI) rechts im distalen Verlauf mit komplettem Verschluss 12/09; einen Z.n. TIA (transitorische ischämische Attacke) mit flüchtiger Parese des linken Arms 10/10, vorbefundlich einen Z.n. Horner-Syndrom rechts, einen Verdacht auf (V.a.) rezidivierenden vestibulären Vertigo, eine rezidivierende Migräne mit Aura seit der Kindheit, eine psychovegetative Erschöpfungssymptomatik mit intermittierender gemischter Angst- und depressiver Störung, ein chronisch rezidivierendes pseudoradikuläres Halswirbelsäulen- (HWS) und Lendenwirbelsäulen- (LWS)-Syndrom bei leichter muskulärer Dysbalance sowie rezidivierend Epicondylitis humeri. Die Entlassung erfolgte als arbeitsunfähig zur psychophysischen Stabilisierung über einen Zeitraum von weiteren drei bis vier Wochen. Im Anschluss daran sei die Klägerin wieder vollschichtig leistungsfähig für überwiegend leichte, maximal mittelschwere vollschichtige Tätigkeiten in regelmäßigem Wechsel vom Gehen, Stehen und Sitzen. Ausgeschlossen seien Arbeiten mit erhöhter Verletzungsgefahr, mit Absturzgefahr (z.B. auf Leitern, Gerüsten, Treppen), unter Zeitdruck oder in Nachtarbeit. Einseitige Belastungen in HWS- oder LWS-Zwangshaltungen seien nicht zumutbar.

Am 21. März 2011 beantragte sie bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung und verwies zur Begründung auf die durchgeführte Dissektion der ACI sowie Depressionen, Angstzustände und Schwindel.

In einem unter Einbeziehung des Reha-Berichtes von Dr. D. am 6. August 2011 erstellten ärztlichen Befundbericht stellte Dr. G., Ärztin für Allgemeinmedizin, über die im Reha-Bericht genannten Gesundheitsstörungen hinaus die Diagnose Herzrhythmusstörungen und beschrieb ein vollschichtiges Leistungsvermögen als Maschinenbedienerin sowie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Ausgeschlossen seien häufiges Bücken, Heben und Tragen von Lasten, Klettern oder Steigen, Tätigkeiten mit Absturzgefahr, in Nachtschicht oder unter besonderen Zeitdruck. In der prüfärztlichen Stellungnahme vom 7. Juli 2011 ergänzte Dr. F.-D. den Ausschluss von häufigem Knien und Hocken sowie von Arbeiten mit häufigem Armvorhalt und Überkopf.

Mit Bescheid vom 29. August 2011 lehnte die Beklagte den Rentenantrag ab, da bei einem mindestens sechsstündigen Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt Erwerbsminderung nicht vorliege.

Zur Begründung des dagegen eingelegten Widerspruches legte die Klägerin einen Arztbrief des Chefarztes T., Akut-Abteilung für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der L.-klinik, Zentrum für Verhaltensmedizin, über den dortigen stationären Aufenthalt vom 12. September bis 25. Oktober 2011 vor (Angst und depressive Störung gemischt; Z.n. Dissektion der ACI rechts, Migräne, arterielle Hypertonie; deutlich gebesserte depressive Symptomatik).

Im Auftrag der Beklagten erstellte Dr. M., Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, aufgrund einer Untersuchung am 19. Juli 2012 unter dem 20. August 2012 ein sozialmedizinisches Gutachten. Er diagnostizierte eine Anpassungsstörung mit Angst und zeitweiser depressiver Symptomatik sowie somatoformen Störungen nach Dissektion der ACI rechts im Dezember 2009, einen Z.n. Dissektion der ACI rechts im distalen Verlauf mit vollständigem Verschluss und anschließender Rekanaliserung ohne Zeichen einer Ischämie, einen Z.n. TIA, Migräne sowie Wirbelsäulenbeschwerden im HWS- und LWS-Bereich ohne neurologische Defizite. Sowohl die Dissektion der ACI rechts als auch die TIA-Attacke seien offensichtlich ohne schwerwiegende Folgen geblieben. Leichte Tätigkeiten ohne häufiges Bücken, Heben und Tragen von Lasten, Klettern oder Steigen, Tätigkeiten mit Absturzgefahr, in Nachtschicht, unter Einwirkung von Nässe und Kälte oder unter besonderen Zeitdruck seien der Klägerin möglich. Auch die zuletzt ausgeübte Tätigkeit einer Maschinenbedienerin könne sie in Vollzeit verrichten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 29. Oktober 2012 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch als unbegründet zurück.

Am 26. November 2012 erhob die Klägerin dagegen Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG) und verwies zur Begründung auf den Arztbrief des Arztes T. über den stationären Aufenthalt vom 12. September bis 25. Oktober 2011 in der L.-klinik, das Gutachten von Dr. Gr. (dazu unten) und legte ein Attest der Psychologischen Psychotherapeutin Dr. Dipl.-Psych. Dü.-A. vom 15. April 2015 (Diagnosen: Angst und depressive Störung gemischt, chronische Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren) vor.

Die Beklagte trat der Klage unter Vorlage beratungsärztlicher Stellungnahmen des Facharztes für Psychiatrie Gri. vom 23. Mai und 1. August 2014 sowie von Dr. F.-D. vom 5. März 2015 entgegen.

Das SG holte schriftliche Aussagen der behandelnden Ärzte der Klägerin als sachverständige Zeugen ein. Neurologe und Psychiater Dr. M. führte unter dem 14. Februar 2013 aus, bei der Klägerin bestehe in erster Linie eine Beeinträchtigung im psychischen und psychosomatischen Bereich mit Ängsten, Gesichtsschmerzen, Migräneattacken mit Aura sowie Herz-Rhythmus-Störungen mit rezidivierenden Tachykardien und Blutdruckerhöhung. Gegen eine mindestens sechsstündige Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt bestünden Bedenken. Internist und Kardiologe Dr. Pf. sah von Seiten des Herzens keine Bedenken gegen eine leichte Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im Umfange von sechs Stunden täglich (Auskunft vom 15. Februar 2013). Dr. Mo., Anästhesiologie/Spezielle Schmerztherapie, gab unter dem 13. Februar 2013 an, die Klägerin schwerpunktmäßig wegen Rückenschmerzen behandelt zu haben, zuletzt am 27. Juni 2012. Es hätten beinahe tägliche Kopfschmerzen unterschiedlichen Charakters, rezidivierende lumbale Beschwerden, Anpassungsstörung und Depression bestanden. Leichte Tätigkeiten könne die Klägerin noch verrichten, aber nicht mehr sechs Stunden täglich. Der die Klägerin hausärztlich behandelnde Facharzt für Allgemeinmedizin Sz. nannte die von den Fachärzten angegebenen Diagnosen und gab keine Leistungseinschätzung ab (Auskunft vom 12. Februar 2013).

Das SG bestellte die Ärztin für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. Wi. zur gerichtlichen Sachverständigen. Diese beschrieb in ihrem aufgrund einer Untersuchung am 3. September 2013 unter dem 12. September 2013 erstatteten Gutachten einen dringenden V.a. Analgetika induzierten Dauerkopfschmerz (differenzialdiagnostisch Spannungskopfschmerz), unklare Schwindelattacken (möglicherweise Blutdruckschwankungen oder Ausdruck von Angstsymptomatik), eine Störung mit Angst und Depression gemischt, möglicherweise eine undifferenzierte Somatisierungsstörung, eine Migräne ohne Aura, eine Dissektion der ACI im Bereich des Felsenbeins 2009 ohne aktuelle Restsymptomatik, einen V.a. TIA 2010 mit flüchtiger Lähmung des linken Armes (bei stationärer Aufnahme bereits vollständig zurückgebildet). Arbeiten mit Lärm- oder Geruchsbelastung, unter hohem Zeitdruck, mit hohen Anforderungen an das Konzentrationsvermögen und die Verantwortung sowie mit Störungen des Tag-Nacht-Rhythmus seien nicht leidensgerecht. Unter Beachtung dieser Ausschlüsse könne die Klägerin leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ohne betriebsunübliche Pausen sechs Stunden und mehr täglich ausüben. Die Klägerin könne viermal 500 m arbeitstäglich zumutbaren Zeitaufwand zurücklegen.

Auf Antrag der Klägerin nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) bestellte das SG Dr. Gr. zum gerichtlichen Sachverständigen, der aufgrund einer Untersuchung am 18. März 2014 unter dem 24. März 2014 ein nervenärztliches Gutachten erstattete. Er beschrieb einen Z.n. Dissektion der rechten ACI im Bereich des Felsenbeins, einen Z.n. TIA im Oktober 2010 mit leichten neurologischen Restzeichen, eine Migräne seit Kindheit, einen Spannungskopfschmerz, pseudoradikuläre Schmerzen im HWS- und BWS-Bereich; eine Angst- und depressive Störung sowie eine somatoforme Störung. Im neurologischen Befund fielen diskrete Restzeichen der durchgemachten Hirndurchblutungsstörung (diskrete Veränderungen der Muskeleigenreflexe) auf, weshalb trotz nicht nachweisbarer Gewebeschäden nicht von einer vollständigen Remission des Verschlusses der ACI auszugehen sei. Das Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten über 10 kg, Arbeiten in gleichförmigen Körperhaltungen, mit häufigem Bücken, Akkord- und Fließbandarbeiten, Arbeiten in Wechsel- und Nachtschicht, in Hitze, Kälte, Zugluft und Nässe sowie unter Einwirkung von Staub, Gas oder Dämpfen seien ausgeschlossen, ebenso besondere geistige Beanspruchung und besondere Verantwortung. Die Klägerin könne eine Erwerbstätigkeit nur noch maximal vier Stunden täglich mit besonderen Pausen ausführen. Nach Abschluss einer anstehenden stationären Rehabilitationsmaßnahme müsse eine erneute Beurteilung erfolgen. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 15. Juli 2014 bestätigte Dr. Gr. diese Leistungseinschätzung.

In dem vom SG beigezogenen Entlassungsbericht der Fachklinik E. vom 26. November 2014 über den stationären Aufenthalt der Klägerin im dortigen Interdisziplinären Schmerzzentrum vom 21. Oktober bis 18. November 2014 beschrieb Dr. Wa. ein chronisches Schmerzsyndrom Stadium III nach Gerbershagen bei myofaszial und degenerativ bedingtem Zervikobrachial-Syndrom, chronischer Zervikozephalgie, atypischem Gesichtsschmerz, Migräne mit Aura, Z.n. TIA, arterieller Hypertonie und Z.n. Dissektion der rechten ACI sowie einen V.a. anhaltende somatoforme Schmerzstörung und eine generalisierte Angststörung. Der neurologische Befund war unauffällig. Die Entlassung erfolgte als arbeitsfähig für leidensgerechte Tätigkeiten.

Mit Urteil vom 14. Juli 2015 wies das SG die Klage ab. Die Voraussetzungen für die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung lägen nicht vor. Den Einschätzungen von Prof. Dr. Wi. folgend sei die Leistungsfähigkeit nicht in zeitlicher Hinsicht eingeschränkt. Die abweichende Einschätzung von Dr. Gr. überzeuge dagegen - auch unter Berücksichtigung der stationären Behandlungen in der Fachklinik E. und der Reha-Klinik K. – nicht.

Gegen dieses ihr am 23. Juli 2015 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 31. Juli 2015 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt und zur Begründung ausgeführt, die im Bericht der Fachklinik E. festgehaltene Entlassung als arbeitsfähig für leidensgerechte Tätigkeiten beziehe sich auf eine Vorbeschäftigung im Umfange von vier Stunden. Entgegen der Annahme von Prof. Dr. Wi. könne sie (die Klägerin) öffentliche Verkehrsmittel nur in Begleitung benutzen. Die Sachverständige setze sich nicht mit den im Vordergrund stehenden angstbesetzten Situationen auseinander. Wie sie zu der Diagnose Migräne ohne Aura komme, sei nicht nachvollziehbar. Bei einer Schlaflaboruntersuchung vom 12. bis 14. Januar 2017 sei festgestellt worden, dass sie wegen Sauerstoffmangels nachts eine Maske tragen müsse. Die Klägerin hat den Arztbrief des Chefarztes T. der L.-klinik vom 4. Mai 2016 über den dortigen stationären Aufenthalt vom 23. März bis 4. Mai 2016 (Diagnosen: rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode, Agoraphobie mit Panikstörung, Z.n. Dissektion der rechten ACI, Migräne, arterielle Hypertonie; Entlassung in körperlich und psychisch gebessertem Zustand), den Arztbrief der pneumologischen Praxis Dres. Z. und Mü. vom 15. September 2016 (unspezifische bronchiale Hyperreagibilität, V.a. schlafbezogene Atmungsstörung) sowie den Arztbrief des Orthopäden Dr. Ko. vom 12. Dezember 2016 (chronisches Schmerzsyndrom, Skoliose, Sakroiliitis condensans, V.a. Fibromyalgie, Migräne, Somatisierungsstörung) vorgelegt.

Die Klägerin beantragt (sachgerecht gefasst),

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 14. Juli 2015 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 29. August 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Oktober 2012 zu verurteilen, ihr ab dem 1. März 2011 Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend. Gestützt auf eine beratungsärztliche Stellungnahme des Facharztes für Psychiatrie Dr. Bo. vom 8. Juli 2016 hat sie ausgeführt, der Bericht über den letzten stationären Aufenthalt in der L.-klinik zeige einen recht guten Therapieerfolg. Selbst wenn man von einer zwischenzeitlichen Verschlechterung ausgehe, möge eine akute Erkrankung einer depressiven Episode vorgelegen haben, aber keine dauerhafte Leistungseinbuße.

Der Berichterstatter hat mit den Beteiligten einen Erörterungstermin durchgeführt. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verfahrensakten des Senats und des SG sowie der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

1. Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten nach § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig, insbesondere statthaft gemäß § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG. Denn die Klägerin begehrt laufende Rentenleistungen für mehr als ein Jahr.

2. Die Berufung der Klägerin ist nicht begründet. Das SG hat die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage zu Recht abgewiesen. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung ab dem 1. März 2011 (vgl. § 99 Abs. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch [SGB VI]). Der streitbefangene Bescheid vom 29. August 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. Oktober 2012 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.

a) Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 1. Januar 2008 geändert durch Artikel 1 Nr. 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20. April 2007, BGBl. I, S. 554), wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).

b) Nach diesen Maßstäben steht für den Senat aufgrund der im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren durchgeführten Beweisaufnahme fest, dass die Klägerin in der Lage ist, zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes wenigstens sechs Stunden täglich zu verrichten. Zwar liegen bei ihr gesundheitliche und daraus resultierende funktionelle Einschränkungen vor. Diese mindern ihre berufliche Leistungsfähigkeit jedoch nur in qualitativer, nicht aber in quantitativer Hinsicht.

(1) Bei der Klägerin aufgetretenen neurologischen Störungen (Dissektion der rechten ACI im Dezember 2009 und TIA im Oktober 2010) haben keine signifikanten neurologischen Funktionsstörungen hinterlassen. Bereits dem Reha-Bericht von Dr. D. vom 21. Februar 2011 ist eine lediglich flüchtige Parese des linken Armes nach der TIA zu entnehmen. Fortbestehende Lähmungserscheinungen werden weder dort noch in der Folge von Dr. M., Dr. M., dessen Gutachten der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwerten konnte (vgl. etwa Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 14. November 2013 – B 9 SB 10/13 B – juris, Rn. 6; BSG, Urteil vom 5. Februar 2008 – B 2 U 8/07 R – juris, Rn. 51) und Prof. Dr. Wi. beschrieben. Dr. M. beschrieb als verbliebene Störung allein eine leichte Miosis (Engstellung der Pupille), bei ansonsten unauffälligem Hirnnervenstatus. Prof. Dr. Wi. vermochte bei ihrer Untersuchung am 3. September 2013 - wie zuvor schon Dr. M. - keine neurologischen Funktionsstörungen feststellen. Dr. Gr. beschrieb zwar im neurologischen Befund diskrete Restzeichen der Dissektion in Form von Veränderungen der Muskeleigenreflexe (Fingereinschlagphänomen; geringfügig betonter Patellasehnenreflex links gegenüber rechts). Des Weiteren geht er von einer Störung der Augenfeinkoordinierung aus und führt die beklagten vegetativen Störungen im Sinne von Schwindel und die Kopfschmerzen zumindest teilweise auf diese neurologischen Gesundheitsstörungen zurück. Allerdings räumte er ein, dass eine kernspintomographische Untersuchung des Gehirnschädels am 5. Dezember 2011 eine Rekanalisierung der rechten ACI gezeigt habe und keine Veränderungen des Hirnparenchyms in der Signalgebung zu sehen gewesen seien. Dies wird auch im Entlassungsbericht von Dr. Wa. vom 26. November 2014 so wiedergegeben. Das Horner-Syndrom (leichte Lidsenkung, Pupillenverengung, Rückzug des Augapfels) beschreibt Dr. Gr. als mit dem bloßen Auge kaum mehr nachweisbar. Einer möglichen Irritation der Wahrnehmung hierdurch sei aber durch Verordnung von Sehschule zu begegnen. Die von ihm angenommenen Restzeichen der Dissektion bezeichnet er selbst als diskret. Im Entlassungsbericht von Dr. Wa. vom 26. November 2014 wird ein unauffälliger neurologischer Befund beschrieben; Gleiches gilt für den Arztbrief des Chefarztes T. der L.-klinik vom 4. Mai 2016.

Eine eigenständige und dauerhafte depressive Erkrankung liegt bei der Klägerin nicht vor. Dies entnimmt der Senat insbesondere den Gutachten von Prof. Dr. Wi. und Dr. M ... Letzterer hatte die Diagnose einer Anpassungsstörung mit Angst und zeitweiser depressiver Symptomatik gestellt. Bei der dortigen Untersuchung zeigte sich die affektive Schwingungsfähigkeit unauffällig, die Stimmungslage ausgeglichen und situationsadäquat. Störungen der Konzentration, Aufmerksamkeit, Auffassung und Gedächtnisfunktionen bestanden nicht. Bei der von Prof. Dr. Wi. gestellten Diagnose einer Störung mit Angst und Depression gemischt handelt es sich um eine Störung, bei der Angst und Depression nicht so ausgeprägt sind, dass die Diagnose einer depressiven Episode oder einer eigenständigen Angststörung gerechtfertigt ist (Erläuterung zu ICD-10 F41.2). Anhand des erhobenen psychiatrischen Befundes ist dies nachvollziehbar. Die Stimmung zeigte sich auch hier meist ausgeglichen. Die Klägerin wirkte nur kurz bedrückt und ängstlich angespannt, insbesondere wenn ihre Angst vor einer erneuten Erkrankung thematisiert wurde. Die affektive Resonanzfähigkeit war gut, der Antrieb normal. Es bestand ein gutes Aufmerksamkeitsniveau ohne Kurzzeit- oder Langzeitgedächtnisstörungen. Bestätigt wird diese Beurteilung durch den Reha-Bericht von Dr. D. vom 21. Februar 2011, in dem ebenfalls eine lediglich intermittierender gemischter Angst-und depressive Störung bei psychovegetativer Erschöpfungssymptomatik diagnostiziert wurde. Dr. M. bestätigte diese Diagnose in der angegebenen Diagnosekodierung (F41.2) und beschrieb die Klägerin in seiner Auskunft vom 14. Februar 2013 als bewusstseinsklar, allseits orientiert, im Auffassungs- und Reaktionsvermögen nicht verlangsamt. Rapport und Kontaktverhalten waren nicht beeinträchtigt. Mnestische oder Denkstörungen wurden ausgeschlossen. Beschrieben wurde eine erhöhte ängstliche Anspannung bei leicht gedrückter Stimmungslage. Der stationäre Aufenthalt der Klägerin in der L.-klinik vom 12. September bis 25. Oktober 2011 führte ebenfalls zur Diagnose Angst und depressive Störung gemischt bei gedrückter Stimmung, aber erhaltener Schwingungsfähigkeit und unauffälligem Antrieb. Auch Dr. Gr. bestätigte diese Diagnose, was angesichts des auch von ihm erhobenen Befundes nachvollziehbar ist. So gibt er zwar depressive Gedankeninhalte an, beschreibt die Stimmungslage aber als subdepressiv und den Antrieb als (lediglich) gering reduziert. Im Verlauf der Exploration zeigten sich auch dort keine nennenswerten Einschränkungen der Konzentrationsfähigkeit. Während des stationären Aufenthaltes in der Fachklinik E. vom 21. Oktober bis 18. November 2014 zeigten sich zwar auch depressive Symptome, jedoch nur in leichter Ausprägung. So war die affektive Schwingungsfähigkeit leicht beeinträchtigt, die Stimmung ängstlich und besorgt. Der Antrieb war (lediglich) leicht reduziert. Eine eigenständige depressive Störung diagnostizierte auch Dr. Wa. in seinem Entlassungsbericht vom 26. November 2014 nicht. Dr. Dipl.-Psych. Dü.-A. bezeichnete im Attest vom 15. April 2015 ebenfalls die Diagnose einer Angst- und depressiven Störung gemischt. Dr. Mo., der die Klägerin zuletzt im Juni 2012 behandelt hatte, stellte in seiner Auskunft vom 13. Februar 2013 zwar unter anderem die Diagnose einer Depression in gegenwärtig mittelgradiger Episode, gab jedoch keinerlei dies stützenden psychiatrischen Befund wieder. Erst im Rahmen des letzten stationären Aufenthaltes in der L.-klinik vom 23. März bis 4. Mai 2016 stellte Arzt T. in seinem Arztbrief vom 4. Mai 2016 nunmehr die Diagnose einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig mittelgradige Episode. Er beschrieb einen trauriger Gesichtsausdruck, eine gedrückte Stimmung, eine eingeschränkte Schwingungsfähigkeit und einen geminderter Antrieb. Aufmerksamkeit und Auffassung, Konzentration und Merkfähigkeit waren jedoch auch hier jeweils unauffällig. Zu Recht weist Dr. Bo. in seiner Stellungnahme vom 8. Juli 2016 insoweit darauf hin, dass hieraus allenfalls eine zwischenzeitliche Verschlechterung der Symptomatik zu entnehmen ist und angesichts des recht guten Therapieerfolgs nur von einer akuten, aber keiner dauerhaften Erkrankung auszugehen ist. So beschriebt Arzt T., dass die Klägerin erlernt habe, über positive Aktivitäten und Konfrontation mit sozialen Situationen Einfluss auf ihr Befinden zu nehmen, ihre eigenen Grenzen wahrzunehmen. Sie habe begonnen, sich auch in der therapiefreien Zeit mit sozialen Aktivitäten zu beschäftigen und hierüber ihr Selbstwertgefühl stabilisiert. Es zeigte sich eine Verbesserung der Stimmung, Entspannungsfähigkeit und des Selbstwertgefühls. Die Klägerin hat soziale Kontakte geknüpft und Pläne für die Zeit nach der Entlassung entwickelt.

Die Angstsymptomatik erreicht ebenfalls nicht den Umfang einer eigenständigen und dauerhaften Gesundheitsstörung. Dies ergibt sich im Wesentlichen bereits aus den vorstehenden Ausführungen zur jeweils gestellten Diagnose einer Angst- und depressiven Störung gemischt. Die Angst der Klägerin bezieht sich dabei auf ein mögliches Auftreten einer Erkrankung i.S.d. Dissektion oder einer TIA. Erstmals im Februar 2013 gab die Klägerin gegenüber Dr. M. an, es seien Atembeklemmungszustände mit Panik aufgetreten. Bei der Begutachtung durch Prof. Dr. Wi. schilderte die Klägerin diesbezüglich ein Vermeidungsverhalten aus Angst vor dem Auftreten von Schwindelattacken. So fährt sie nicht mehr mit dem Pkw oder dem Fahrrad. Sie berichtete über Ängste, wenn sie alleine das Haus verlassen müsse. Sie lasse sich in der Regel begleiten. Als unmöglich wurde es aber nicht angegeben. Im Rahmen des von Prof. Dr. Wi. durchgeführten Mini-ICF nach Linden gab die Klägerin wiederum an, Auto und Fahrrad nicht zu benutzen; öffentliche Verkehrsmittel könne sie aber benutzen. Der Einwand der Klägerin, es sei nicht nachvollziehbar, wie die Sachverständige zu dieser Aussage komme, ist daher ausgeräumt. Zu berücksichtigen ist weiterhin, dass die Klägerin zu diesem Zeitpunkt keinerlei Psychotherapie, insbesondere keine hiergegen gerichtete Verhaltenstherapie in Anspruch nahm und sich lediglich mit einer Frequenz von dreimal jährlich in fachärztlicher psychiatrischer Behandlung befand. Ein ausgeprägter Leidensdruck wird hieraus nicht erkennbar. Überzeugend wies Prof. Dr. Wi. daher darauf hin, dass die Angststörung innerhalb von sechs Monaten gut behandelbar sei. Dr. Gr. beschrieb die Klägerin als insgesamt "etwas ängstlich" und gab ohne nähere Konkretisierung phobische Reaktionen in Bezug auf die Symptomatik und abgelaufener TIA im Zusammenhang mit der ACI-Dissektion an. Eine eigenständige Angsterkrankung diagnostizierte er nicht; es bestehe hinsichtlich der Ängste Aufklärungs- und Therapiebedarf. Im Entlassungsbericht vom 26. November 2014 bezeichnete Dr. Wa. zwar - unter Einschluss der depressiven Verstimmung - die Diagnose einer generalisierten Angststörung und beschrieb generalisierte Ängste und Sorgen mit vegetativen Symptomen (innerliche Unruhe, Anspannung, Atemnot, Schwindel, Druck auf der Brust). Angesichts der Entlassung als arbeitsfähig (dazu unten) kann eine schwerere Ausprägung der Angstsymptomatik nicht angenommen werden. Des Weiteren wird ebenfalls eine – bis dahin noch immer nicht in Anspruch genommene – Behandlungsmöglichkeit (Verhaltenstherapie) angenommen und eine entsprechende Therapieempfehlung abgegeben. Im Rahmen des stationären Aufenthalts in der L.-klinik vom 23. März bis 4. Mai 2016 wurde zuletzt die Diagnose einer Agoraphobie mit Panikstörung gestellt. Die Klägerin hatte hier eine Verschlechterung ihres Gesundheitszustandes angegeben bezüglich der Kopfschmerzen, Schwindel und Angst. Sie habe auch Angst in Räumen mit vielen Menschen, bekomme Panikattacken mit Herzrasen, Schwindel und Druckgefühl auf der Brust. Auch hier zeigt der Arztbrief des Arztes T. vom 4. Mai 2016 jedoch die oben bereits dargelegte Besserung durch die stationäre Behandlung. Angstbesetzte Situationen wurden zusammengestellt, Expositionsübungen durchgeführt und nachbesprochen. In der Epikrise hielt er fest, dass sich die Angstsymptomatik deutlich gebessert habe. Er empfahl eine ambulante psychiatrische-psychotherapeutische Weiterbehandlung. Die kurz- bis mittelfristige Prognose sei günstig, die langfristige vorsichtig günstig zu beurteilen. Der Senat folgt daher der Bewertung von Dr. Bo. in dessen Stellungnahme vom 8. Juli 2016, dass allenfalls von einer akuten Verschlechterung, aber keiner dauerhaften Erkrankung auszugehen ist.

Internistisch besteht lediglich eine leichte Füllungsstörung der linken Herzkammer. Die Funktion des Herzens ist hingegen gut. Die linke Herzkammer ist normal groß, es besteht eine gute Kontraktion und keine Muskelverdickung. Die Klappen sind intakt. Die Klägerin erreichte beim Belastungs-EKG 100 Watt. Der Blutdruck ist medikamentös gut eingestellt. Hinweise auf Durchblutungsstörungen am Herzen bestehen nicht. Dies entnimmt der Senat der Auskunft von Dr. Pf. vom 15. Februar 2013. Abweichende Befunde diesbezüglich sind den Akten nicht zu entnehmen.

Orthopädisch bestehen chronisch rezidivierende Wirbelsäulenbeschwerden im HWS- und LWS-Bereich ohne neurologische Defizite. Dies entnimmt der Senat dem Reha-Bericht von Dr. D., den Gutachten von Dr. G. und Dr. M. sowie dem von Prof. Dr. Wi. und Dr. Gr. darstellten allgemeinärztlichen und neurologischen Befund. Danach waren HWS und BWS sowie alle Gelenke der oberen und unteren Gliedmaßen frei beweglich. Nacken- und Kreuzgriff wurden regelrecht durchgeführt. Die Sensibilität war allseits unauffällig, die Kraft nicht gemindert, das Gangbild ohne Auffälligkeiten. Den Arztbriefen über die stationären Aufenthalte in der Fachklinik E. und der L.-klinik lassen sich keine verschlechterten Befunde entnehmen. Gleiches gilt für den zuletzt vorgelegten Arztbrief von Dr. Ko. vom 12. Dezember 2016. Nach dem dort wiedergegebenen Befund zeigte sich an der HWS eine lediglich leichte, altersentsprechende Bewegungseinschränkung. An der BWS bestand kein Funktionsschmerz; die Klägerin erreichte einen Finger-Boden-Abstand von 0 cm. Die Schultern waren frei, die Funktionsgriffe durchführbar. Eine entzündlich-rheumatische Erkrankung konnte ausgeschlossen werden; die im MRT nachgewiesene Sakroiliitis wurde nicht als entzündliche Veränderung eingestuft.

Unabhängig von der Frage, inwieweit diese ihre Ursache in der Angstsymptomatik oder einer anderen Erkrankung haben, sind die bei der Klägerin auftretenden Schwindelattacken zu berücksichtigen. Diese haben bislang nicht zu Bewusstseinsverlusten oder Stürzen geführt und traten unabhängig von körperlicher Arbeit auf. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten von Prof. Dr. Wi. und den dort wiedergegebenen Angaben der Klägerin selbst. Aus den übrigen ärztlichen Unterlagen und Stellungnahmen ist nichts Abweichendes zu entnehmen.

Zu berücksichtigen sind schließlich die von der Klägerin angegeben Kopfschmerzen. Dass diese tatsächlich vorliegen, ist zwischen den die Klägerin behandelnden Ärzten und den Gutachtern nicht umstritten. Lediglich deren Ursache wird unterschiedlich beurteilt. Darauf kommt es aber für die hier relevante Frage des beruflichen Leistungsvermögens nicht an. Die daneben tretende Migräne besteht bereits seit der Kindheit. Teils wird sie mit Aura angegeben, so zuletzt im Entlassungsbericht von Dr. Wa. vom 26. November 2014. Prof. Dr. Wi. diagnostizierte hingegen eine Migräne ohne Aura, nachdem die Klägerin migränebezogene Sehstörungen verneint hatte. Auch im Arztbrief des Arztes T. vom 4. Mai 2016 wird eine Migräne ohne Aura (kodiert als G43.0) diagnostiziert. Für die Frage der beruflichen Leistungsfähigkeit wird dies jedoch nicht relevant (dazu unten). Gleiches gilt für die Frage, ob daneben noch eine eigenständige Schmerzstörung besteht.

(2) Die festgestellten Gesundheitsstörungen schränken das berufliche Leistungsvermögen der Klägerin in qualitativer Hinsicht ein. Überzeugend hat Prof. Dr. Wi. dargelegt, dass wegen der Dauerkopfschmerzen Arbeiten unter Lärm- und Geruchsbelastung, unter hohem Zeitdruck sowie mit hohen Anforderungen an die Konzentration ausgeschlossen sind. Wegen der Schwindelattacken sind Arbeiten mit erhöhter Verletzungs- und Absturzgefahr (z.B. auf Leitern, Treppen oder Gerüsten) nicht mehr leidensgerecht. Da sie aber unabhängig von einer körperlichen Tätigkeit auftreten und bislang nicht zu Bewusstseinsverlusten oder Stürzen geführt haben, sind weitere Einschränkungen nicht notwendig. Wegen der ängstlich depressiven Symptomatik sind darüber hinaus auch Tätigkeiten mit hohen Anforderungen an die Verantwortung sowie mit Störung des Tag-Nachtrhythmus auszuschließen. Dies entnimmt der Senat den übereinstimmenden Bewertungen von Dr. D., Dr. M. und Prof. Dr. Wi ... Entsprechende qualitative Ausschlüsse hat auch Dr. Gr. bezeichnet. Aufgrund der Wirbelsäulenbeschwerden sind Tätigkeiten in HWS- und LWS-Zwangshaltungen, im Knien oder Hocken sowie häufiges Bücken, Heben, Tragen oder Bewegen von Lasten über 10 kg, Arbeiten über Kopf oder mit häufigem Armvorhalt sowie in Hitze, Kälte, Nässe oder Zugluft nicht mehr zumutbar. Dies entnimmt der Senat den Reha-Bericht von Dr. D. und den Gutachten von Dr. G., Dr. M., Prof. Dr. Wi. und der beratungsärztlichen Stellungnahme von Dr. F.-D ...

(3) Die bei der Klägerin als rentenrelevant zu berücksichtigen Gesundheitsstörungen führen jedoch nicht zu einem Absinken des tatsächlichen Restleistungsvermögen auf ein unter sechsstündiges Maß; sie ist weiterhin in der Lage, zumindest leichte Tätigkeiten sechs Stunden und mehr täglich auszuüben. Der Senat stützt sich auch insoweit insbesondere auf die überzeugenden Gutachten von Dr. G., Dr. M. und Prof. Dr. Wi., deren Einschätzung durch den Reha-Bericht von Dr. D. bestätigt werden.

Unter Beachtung der genannten qualitativen Ausschlüsse bedingt der Dauerkopfschmerz keine zeitliche Begrenzung des Leistungsvermögens. Die Klägerin selbst hat diesen gegenüber Prof. Dr. Wi. ausdrücklich als nicht unerträglich geschildert; sie könne "funktionieren". Im Rahmen der Begutachtung zeigte sich ein gutes Aufmerksamkeitsniveau, Konzentrationsstörungen traten nicht auf. Kurz- und Langzeitgedächtnis waren ungestört. Eine Einschränkung der Durchhaltefähigkeit trat nicht zu Tage. Der erhobene Tagesablauf zeigte sich strukturiert, mit Aktivitäten belegt, ohne schmerzbedingte Einschränkungen. Die Klägerin führte den Vier-Personen-Haushalt weitgehend selbst; allein das Einkaufen erfolgt gemeinsam mit dem Ehemann. Als Hobbies konnte sie Lesen, Nordic Walking und Spazierengehen benennen. Sie war geringfügig beschäftigt als Messnerin mit Vorbereitung der Messe zweimal wöchentlich. Die von Prof. Dr. Wi. durchgeführte Beurteilung der Fähigkeits- und Teilhabestörungen mittels des anhand von Befund und Anamnese kritisch abgeglichenen Mini-ICF nach Linden zeigt, dass die abgefragten tatsächlichen Beeinträchtigungen in dreizehn abgefragten Bereichen allenfalls leichter Art sind. Überwiegend werden keine Probleme angegeben. Lediglich die Bereiche Durchhaltefähigkeit, Kontaktfähigkeit zu Dritten, Fähigkeit zu familiären bzw. intimen Beziehungen, Fähigkeit zu außerberuflichen Aktivitäten und die Wegefähigkeit sind mit dem Schweregrad 1 bezeichnet (= einige leichtere Schwierigkeiten oder Probleme, die beschriebenen Fähigkeiten/Aktivitäten auszuüben; es resultieren daraus keine wesentlichen negativen Konsequenzen). Der von Dr. Gr. wiedergegebene Befund und Tagesablauf stimmt damit im Wesentlichen überein. Allein eine im Verlauf der Exploration "etwas" abfallende Konzentration wird angegeben. Aus dem Entlassungsbericht von Dr. Wa. vom 26. November 2014 ergibt sich nichts anderes. Der Arztbrief des Arztes T. vom 4. Mai 2016 zeigt, wie oben dargelegt, eine nur vorübergehende Verschlechterung.

Den orthopädischen Gesundheitsstörungen, die weder zu Einschränkungen in der Bewegungsfähigkeit der Wirbelsäule und der Extremitäten noch zu neurologischen Defiziten führen, ist durch die oben genannten qualitativen Ausschlüsse ausreichend Rechnung getragen. Von internistisch-kardiologischer Seite ergibt sich keine Einschränkung. Dies entnimmt der Senat der Stellungnahme von Dr. Pf. vom 15. Februar 2013. Dies ist angesichts einer guten Herzfunktion und einer im Belastungs-EKG erreichten Belastung mit 100 Watt gut begründet. Die im zuletzt vorgelegten Arztbrief vom 15. September 2016 genannte schlafbezogene Atemstörung wird nach eigenen Angaben der Klägerin nunmehr mittels nächtlicher Atemmaske behandelt. Eine Leistungseinschränkung vermag sie aber angesichts fehlender Konzentrations- und Aufmerksamkeitsstörungen sowie Tagesmüdigkeit - schon vor der Behandlung mittels Atemmaske - nicht zu begründen. Die neben den Dauerkopfschmerz tretende Migräne besteht bereits seit der Kindheit und stand bereits bisher einer Tätigkeit der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht entgegen. Migräneattacken treten bis zu dreimal monatlich mit einer Dauer von bis zu fünf Stunden auf. Dies entnimmt der Senat den im Gutachten von Prof. Dr. Wi. festgehaltenen Angaben der Klägerin. Ein häufigeres Auftreten ist den weiteren ärztlichen Unterlagen nicht zu entnehmen. Die von Dr. Mo. angegebene Anfallshäufigkeit von vier bis fünfmal wöchentlich bezieht sich auf Kopfschmerzen insgesamt, nicht allein die Migräne. Das Auftreten von Migräneattacken kann daher im Einzelfall zu einer - vorübergehenden - Arbeitsunfähigkeit führen, aber keine dauerhafte Leistungsminderung begründen.

Die ängstlich depressive Symptomatik ist, wie oben ausgeführt, dauerhaft nur leicht ausgeprägt. Dem letzten stationären Aufenthalt in der L.-klinik ist aus den bereits genannten Gründen nur eine vorübergehende Verschlechterung bei recht gutem Therapieerfolg zu entnehmen, die eine dauerhafte Leistungsminderung nicht begründen kann. Der Senat vermag der Leistungsbeurteilung von Dr. Gr., die Klägerin könne leichte Tätigkeiten nur noch bis zu vier Stunden und unter Einhaltung betriebsunüblicher Pausen verrichten, nicht zu folgen. Eine belangvolle Minderung der Durchhaltefähigkeit ist dem von ihm wiedergegebenen Befund gerade nicht zu entnehmen. Lediglich ein leichtes Absinken der Konzentration im Verlauf der Exploration wird angegeben. Weder die zeitliche Einschränkung noch die Notwendigkeit von Pausen wird anhand von Funktionsbeeinträchtigungen begründet. Sie sind auch unter Berücksichtigung der von ihm diagnostizierten somatoformen Störung nicht nachvollziehbar. Seine Annahme einer reduzierten Belastbarkeit hat Dr. Gr. nicht ausreichend mit den tatsächlich im Alltag auftretenden Fähigkeits- und Teilhabestörungen abgeglichen. Die auch im Tagesablauf einschließlich der Haushaltsführung, der geringfügigen Beschäftigung und den Freizeitbeschäftigungen erkennbaren Ressourcen der Klägerin wurden nicht ersichtlich in die Beurteilung mit einbezogen. Gegenüber Prof. Dr. Wi. hatte die Klägerin ausdrücklich angegeben, sie sei trotz der Schmerzen in der Lage, die Haushaltstätigkeiten zu verrichten. Diese umfassen aber nicht nur leichte Tätigkeiten. Trotz des dort beschriebenen chronischen Schmerzsyndroms, der generalisierten Angststörung und der als Verdachtsdiagnose geführten anhaltenden somatoformen Schmerzstörung erfolgte die Entlassung aus dem stationären Aufenthalt in der Fachklinik E. ausweislich des Entlassungsberichts von Dr. Wa. als "arbeitsfähig für leidensgerechte Tätigkeiten". Weder dem Wortlaut noch dem Inhalt ist - entgegen der Behauptung der Klägerin - zu entnehmen, dass sich diese Bewertung auf eine vierstündige Tätigkeit beziehe. Eine zeitliche Einschränkung des beruflichen Leistungsvermögens wurde dort vielmehr gerade nicht angenommen. Den nicht näher begründeten Leistungseinschätzungen von Dr. M., Dr. Mo. und Dr. Dipl.-Psych. Dü.-A. vermochte der Senat aus diesen Gründen ebenfalls nicht zu folgen.

(4) Ob der Klägerin ein Arbeitsplatz vermittelt werden kann oder nicht, ist für den geltend gemachten Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung nicht erheblich. Die jeweilige Arbeitsmarktlage ist nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Maßgebend ist, ob die Klägerin mit dem ihr verbliebenen Restleistungsvermögen – wenn auch mit qualitativen Einschränkungen – in der Lage ist, zumindest körperlich leichte Tätigkeiten arbeitstäglich für mindestens sechs Stunden zu verrichten, sie also in diesem zeitlichen Umfang unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts erwerbstätig sein kann, wovon im Regelfall ausgegangen werden kann (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2010 – B 13 R 78/09 R – juris, Rn. 31). Dies bejaht der Senat wie zuvor dargelegt.

(5) Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegen nicht vor. In einem solchen Fall kann der Arbeitsmarkt selbst bei einem noch vorhandenen sechsstündigen Leistungsvermögen ausnahmsweise als verschlossen gelten (siehe – auch zum Folgenden – etwa Urteil des Senats vom 21. November 2014 – L 4 R 4797/13 – nicht veröffentlicht). Dem liegt der Gedanke zugrunde, dass eine Verweisung auf noch vorhandenes Restleistungsvermögen nur dann möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten.

Dies ist hier nicht der Fall. Die qualitativen Leistungseinschränkungen der Klägerin (siehe oben) sind nicht als ungewöhnlich zu bezeichnen. Darin ist weder eine schwere spezifische Leistungsbehinderung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen zu sehen. Eine schwere spezifische Leistungsbehinderung liegt nur vor, wenn bereits eine erhebliche (krankheitsbedingte) Behinderung ein weites Feld von Verweisungsmöglichkeiten versperrt. Hierzu können – unter besonderer Berücksichtigung der jeweiligen Einzelfallumstände – beispielsweise Einäugigkeit, Einarmigkeit und Einschränkungen der Arm- und Handbeweglichkeit sowie besondere Schwierigkeiten hinsichtlich der Gewöhnung und Anpassung an einen neuen Arbeitsplatz zählen (vgl. BSG, Urteil vom 9. Mai 2012 – B 5 R 68/11 R – juris, Rn. 28 m.w.N.). Keine dieser Fallkonstellationen ist hier gegeben, insbesondere besteht aus den oben genannten Gründen keine Notwendigkeit zusätzlicher, betriebsunüblicher Pausen.

6) Auch die Wegefähigkeit der Klägerin war und ist gegeben. Neben der zeitlich ausreichenden Einsetzbarkeit eines Versicherten am Arbeitsplatz gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine Arbeitsstelle in zumutbarer Zeit aufsuchen zu können. Das BSG hat dieses Vermögen nur dann für gegeben erachtet, wenn es dem Versicherten möglich ist, Entfernungen von über 500 Metern zu Fuß zurückzulegen, weil davon auszugehen ist, dass derartige Wegstrecken üblicherweise erforderlich sind, um Arbeitsstellen oder Haltestellen eines öffentlichen Verkehrsmittels zu erreichen (zum Ganzen z.B. BSG, Urteil vom 17. Dezember 1991 – 13/5 RJ 73/90 – juris, Rn. 16 ff.; Urteil vom 12. Dezember 2011 – B 13 R 21/10 R – juris, Rn. 21 f.; Urteil vom 12. Dezember 2011 – B 13 R 79/11 R – juris, Rn. 19 f.). Die Klägerin ist in der Lage, eine Gehstrecke von 500 Metern viermal in weniger als 20 Minuten täglich zurückzulegen und öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Die Gehfähigkeit selbst ist bei der Klägerin nicht eingeschränkt, wie sich auch an ihren Hobbies (Spazierengehen und Nordic Walking) zeigt. Sie war und ist aber auch in der Lage, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen. Dem steht die Angststörung nicht entgegen. Diese war und ist dauerhaft, wie oben ausgeführt, nicht schwerer ausgeprägt und darüber hinaus einer gezielten Therapie zugänglich. Dies hat sich nicht zuletzt auch im Rahmen der stationären Behandlung in der L.-klinik gezeigt.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

4. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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