Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
4
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 5 KR 1126/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 KR 3299/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 23. August 2016 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Erstattung und zukünftige Übernahme der Kosten für das Arzneimittel Prostagutt forte.
Der 1944 geborene Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert. Er beantragte mit Schreiben vom 16. Februar 2016 eine Kostenbeteiligung an dem Medikament Prostagutt forte. Es sei ihm 16 Jahre lang von verschiedenen Urologen (das verschreibungspflichtige Medikament) Tamsulosin (0,4 mg pro Kabsel) verordnet worden. Tamsulosin führe zu einer verstopften Nase und zu Problemen in den Nebenhöhlen mit starken Kopfschmerzen als Folge. Wegen der Kopfschmerzen habe er sich Unmengen von Schmerzmitteln verschreiben lassen müssen. Vor einem Jahr habe er die Dosis Tamsulosin reduziert mit dem Erfolg, dass sich die Nebenhöhlenprobleme behandeln ließen und er jetzt kopfschmerzfrei sei. Es gebe jedoch keine Kapsel Tamsulosin in der Stärke von 0,1 mg. Deswegen habe er in Absprache mit dem Urologen die Medikation auf vier Kapseln Prostagutt forte umgestellt. Die Wirkung von vier Kapseln Prostagutt forte täglich bewirke bei ihm dasselbe wie 0,1 mg Tamsulosin, nur ohne weitere Nebenwirkungen, die auch bei 0,1 mg Tamsulosin noch vorhanden seien. Wegen der Kostenverminderung für die Beklagte bei Einnahme von Prostagutt forte statt Tamsulosin, da praktisch keine Verschreibung von Schmerzmitteln wegen Kopfschmerzen mehr erfolge, wegen Verminderung der Gesundheitsrisiken durch Einnahme von Prostagutt forte statt Tamsulosin, wegen seiner beschränkten finanziellen Möglichkeiten (Rentnerehepaar mit gemeinsamer Rente von etwa EUR 2.500,00 brutto) und nicht zuletzt, da es kein entsprechendes verschreibungspflichtiges Medikament gäbe (es gäbe z.B. kein Tamsulosin in einer Stärke von 0,1 mg, während 0,4 mg Tamsulosin für ihn vollständig überdosiert sei), solle die Beklagte die halben Kosten, die ihm durch den Kauf von Prostagutt forte entstünden, übernehmen. Er zahle für 200 Kapseln Prostagutt forte zur Zeit etwa EUR 50,00.
Die Beklagte lehnte die Kostenübernahme mit Bescheid vom 22. Februar 2016 (ohne Rechtsbehelfsbelehrung) ab. Prostagutt forte sei ein apothekenpflichtiges, nicht verschreibungspflichtiges Arzneimittel. Nach § 34 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) seien nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel von der Versorgung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen. Hiervon gebe es drei Ausnahmen, nämlich bei Kindern bis zum 12. Lebensjahr, entwicklungsgestörten Jugendlichen bis zum 18. Lebensjahr sowie im Fall einer schwerwiegenden Erkrankung. Bei einer schwerwiegenden Erkrankung dürfe ein Medikament in Ausnahmefall zu Lasten der Krankenkassen verordnet werden, wenn es zum Therapiestandard gehöre. Eine verbindliche Liste der Wirkstoffe von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln (Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses [GBA] über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung – Arzneimittel-Richtlinie [AM-RL]), die als Standardtherapeutika bei bestimmten Erkrankungen weiter verordnet werden dürfen, habe der GBA erstellt. In dieser Liste sei Prostagutt forte nicht berücksichtigt. Eine Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung sei für Erwachsene damit ausgeschlossen.
Hiergegen erhob der Kläger am 3. März 2016 Widerspruch. Er wiederholte seine Ausführungen aus seinem Antrag. Das Absetzen von Tamsulosin habe eine Blockade beim Wasserlassen zur Folge gehabt. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 7. März 2016 (nunmehr mit Rechtsbehelfsbelehrung versehen) die Kostenübernahme erneut ab. Der Kläger hielt seinen Widerspruch aufrecht.
Der Kläger erhob sodann am 18. März 2016 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG). Er wiederholte und vertiefte sein bisheriges Vorbringen. Die von Tamsulosin in der Dosierung mit 0,4 mg verursachten Kopfschmerzen hätten ihn in den letzten Jahren gezwungen, fast jeden zweiten Tag Schmerzmittel zu konsumieren. Dies habe zumindest ein blutiges Geschwür im Dünndarm zur Folge gehabt. Einen Rückgang der Störungen im Gleichgewichthalten habe er festgestellt, da er seit dem Absetzen von Tamsulosin wieder auf einem Bein stehend die Hose anziehen könne. Als er noch Tamsulosin genommen habe, habe er sich dabei festhalten müssen. Die Ursache hierfür seien auch angeschwollene Schleimhäute gewesen. Als Patient sehe er keine Möglichkeit, Prostagutt forte oder die arzneimittelwirksamen Bestandteile daraus in irgendeiner Art und Weise in die Liste der verordnungspflichtigen Medizinprodukte zu bringen, obwohl die Bestandteile in der Liste sein sollten. Prostagutt forte erfülle für seine persönliche Gesundheitssituation die Voraussetzungen der §§ 29 und 33 AM-RL. Eine Ausnahmesituation im Sinne von § 2 Abs. 1 a SGB V liege vor. Das von der Beklagten vorgelegte sozialmedizinisches Gutachten (dazu unten) sei unrichtig. Es existiere zumindest eine hochkarätige Studie, die die Wirksamkeit von Prostagutt forte bei Prostatahyperplasie bestätige. Die Beklagte sei daher verpflichtet, zumindest einen Teil der Kosten, die ihn durch den Kauf von Prostagutt forte entstünden, zu übernehmen. Die Beklagte habe die Möglichkeit, ihre Satzungsleistungen zu erweitern oder zu ändern und auf diesem Weg eine (teilweise) Erstattung der Kosten zu genehmigen. Der Kläger legte unter anderem eine Bescheinigung des Facharztes für Innere Medizin und Kardiologie Dr. Hübner vom 4. März 2016 vor. Danach habe der Kläger seit Jahren unter Kopfschmerzen gelitten, weshalb er regelmäßig Schmerzmittel (insbesondere Ibuprofen und Metamizol) eingenommen habe. Irgendwann habe der Kläger herausgefunden, dass Tamsulosin seine Kopfschmerzen sowie seine chronische Sinusitis mit Schleimbildung wie auch die Störung des Gleichgewichtssinnes triggerten. Er habe versucht, Tamsulosin abzusetzen, habe aber eine Verschlechterung seiner Miktionsbeschwerden bei bekannter Prostatahyperplasie gehabt. Die suppressive Reduktion des Tamsulosin auf zuletzt 0,1 mg (wobei ihm unklar bleibe, wie diese Dosierung bewerkstelligt werden könnte, da kommerziell nicht verfügbar), hätten sich die Kopfschmerzen und Nasennebenhöhlenbeschwerden nach und nach gebessert. Durch den Ersatz von Tamsulosin durch Prostagutt forte seien die Kopfschmerzen fast vollständig verschwunden. Der Kläger legte ferner eine Bescheinigung des Facharztes für Urologie Dr. G. vom 8. Juni 2016 vor, in dem dieser bestätigte, dass das Medikament Prostagutt forte beim Kläger hinsichtlich der Restharnbildung den gleichen Effekt wie Tamsulosin erzielt habe. Schließlich reichte der Kläger Kopien von Dr. G. ausgestellten Privatverordnungen über Prostagutt forte 160/120 mg (Kosten insgesamt EUR 247,95) ein.
Die Beklagte trat der Klage entgegen. Ihre Satzung sehe keine Kostenbeteiligung an over the counter (OTC)-Präparaten vor. Sie legte ein sozialmedizinisches Gutachten des Dr. W. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) vom 13. Mai 2016 vor. Als nicht verschreibungspflichtiges Arzneimittel sei Prostagutt forte nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung rezeptierbar. Es finde sich auch nicht auf der Liste der nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die im Ausnahmefall bei Vorliegen einer schweren Erkrankung dennoch zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung rezeptiert werden könnten. Es liege auch keine Ausnahmesituation im Sinne von § 2 Abs. 1 a SGB V vor.
Der Widerspruchsausschuss der Beklagten entschied mit Widerspruchsbescheid vom 3. Mai 2016, dem Widerspruch des Klägers nicht stattzugeben. Der Widerspruchsausschuss wiederholte die Begründung aus dem Ausgangsbescheid vom 22. Februar 2016. Dass durch das nicht verschreibungspflichtige Präparat Prostagutt forte Kosten eingespart würden, könne keine andere Entscheidung rechtfertigen. Der Kostenerstattungsanspruch bestehe nicht schon deshalb, weil die Krankenkasse dadurch, dass der Versicherte Leistungen außerhalb des Leistungssystems der gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch genommen habe, vermeintliche Aufwendungen anderer Art spare.
Das SG wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 23. August 2016 ab. Die Klage sei zulässig, weil während des Klageverfahrens das Vorverfahren abgeschlossen worden sei und der bis dahin bestehende prozessuale Mangel geheilt sei. Die Klage sei jedoch unbegründet. Prostagutt forte sei ein apothekenpflichtiges, nicht verschreibungspflichtiges Arzneimittel und damit grundsätzlich von der Verordnungspflicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen. Ein Ausnahmefall liege nicht vor. Der GBA habe in Abschnitt F der AM-RL die benigne Prostatahyperplasie nicht als schwerwiegende Erkrankung berücksichtigt, weshalb er auch keine Indikation für Prostagutt forte aufgenommen habe. Nur zur Behandlung schwerer und schwerster Schmerzen habe er Acetylsalicylsäue (ASS) und Paracetamol in Co-Medikation mit Opioiden als verordnungsfähig angesehen. Soweit der Kläger geltend mache, bei ihm hätten letztlich als Nebenwirkung des Tamsulosin derartige schwere bis schwerste Schmerzen vorgelegen, weshalb der GBA auch das Ausweichen auf Prostagutt forte hätte erlauben müssen, sei dem nicht zu folgen. Das genannte Beispiel (Behandlung schwerer und schwerster Schmerzen) beziehe sich auf eine Schmerzbehandlung mit Opioiden, neben der der GBA einer ASS- oder Paracetamol-Behandlung zulasse. Der Kläger habe nie mit Opioiden behandelt werden müssen. Seine aus seiner Sicht nebenwirkungsbedingten Schmerzen hätten das Niveau einer schwerwiegenden Erkrankung nicht erkrankt. Abwegig sei seine Argumentation, seine Schmerzen stellten sogar eine lebensbedrohliche Erkrankung dar.
Gegen den ihm am 26. August 2016 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 1. September 2016 Berufung eingelegt. Am 20. Oktober 2014 sei ihm vom Nervenarzt K. Tilidin 100 mg/8 mg, ein Opioid, wegen des zu großen Konsums von Schmerzmitteln wegen zu starker und zu häufiger Kopfschmerzen verordnet worden. Der übergroße Schmerzmittelkonsum habe bei ihm zumindest zu einen Dünndarmgeschwür geführt. Diese Situation sei für ihn letztlich lebensbedrohend gewesen. Es habe eine weitere Verschlimmerung der Darmgeschwüre und ein weiterer Dünndarmverlust gedroht. Er habe keinen Dickdarm mehr, stattdessen einen Dünndarmpouch, in dem sie sich eines der früher blutenden Geschwüre befunden habe. Da er auch keinen Zwölffingerdarm mehr habe, habe der sowieso schon gekürzte Dünndarm nur sehr schwer weiter verkürzt werden können. Prostagutt forte sei auch in den von ihm wegen der bestehenden Prostatavergrößerung eingenommenen höheren Dosis gut verträglich und frei von Nebenwirkungen. Die lebensgefährdenden Probleme durch den Einsatz von Tamsulosion (unerträglicher Kopfschmerz und akutes Harnverhalten beim Absetzen von Tamsulosion) würden durch Prostagutt forte beseitigt. Durch die Einnahme von Prostagutt forte werde eine Prostata-Operation vermieden. Prostagutt forte unterstützt von Magnesium wirke nebenwirkungsfrei auf den gesamten Harntrakt, inklusive der Prostata. Ob er eine benigne Prostatahyperplasie habe oder nicht, wisse er nicht. Er habe dies nie behauptet. Kein Urologe habe bisher irgendeine Diagnose genannt. Beziehe sich diese Diagnose auch auf Miktionsbeschwerden, treffe sie bei ihm zu. Der Kläger hat einen Arztbrief des Facharztes für Urologie F. vom 14. Juli 2008 (Diagnose u.a.: Restharnbildung bei Prostataadenom), Arztbriefe des Dr. G. vom 16. Dezember 2015 und 15. November 2016 (jeweils Diagnose: benigne Prostatahyperplasie) und die ärztliche Bescheinigung der Ärztin für HNO-Heilkunde Dr. D. vom 8. März 2016 (Schleimhautschwellung im Bereich der rechten Kieferhöhle als Zeichen einer Sinusitis) sowie weitere Privatverordnungen des Dr. G. vom 29. Juni und 11. November 2016 über Prostagutt forte 160/120 mg (Kosten insgesamt EUR 156,37) vorgelegt.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 23. August 2016 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 22. Februar 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Mai 2016 zu verurteilen, EUR 404,32 und zukünftig entstehende Kosten für das Medikament Prostagutt forte zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verweist auf ihr Vorbringen in der ersten Instanz sowie die Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheides. Soweit der Kläger behaupte, die geklagten Kopfschmerzen seien Folge der jahrelangen Einnahme des Medikaments Tamsulosin, könne dies nicht belegt werden. Der Kläger beziehe eine Vielzahl von Medikamenten, die als Nebenwirkungen Kopfschmerzen bereiteten.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogene Akte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
1. Die gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht erhobene und gemäß § 143 SGG statthafte Berufung des Kläger, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte (§ 124 Abs. 2 SGG) ist auch im Übrigen zulässig. Die Berufung bedurfte insbesondere nicht der Zulassung, da der Kläger die Erstattung und Übernahme der Kosten für das Medikament Prostagutt forte für länger als ein Jahr begehrt (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).
2. Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn die Klage ist zwar nach Durchführung des Vorverfahrens zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 22. Februar 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Mai 2016 ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung bereits entstandener und zukünftig entstehender Kosten für die Anschaffung des Medikaments Prostagutt forte.
a) Gegenstand des Rechtsstreits ist allein der Bescheid der Beklagten vom 22. Februar 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Mai 2016. Soweit die Beklagte unter dem 7. März 2016 es erneut ablehnte, Kosten für das Medikament Prostagutt forte zu übernehmen, kommt dem keine gesonderte Regelung zu. Denn die Beklagte nahm Bezug auf ihren Bescheid vom 22. Februar 2016. Es handelt sich insoweit um eine wiederholende Verfügung, die kein Verwaltungsakt im Sinne des § 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ist (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 13. August 2014 – B 6 KA 38/13 R – juris, Rn. 27).
b) Als Rechtsgrundlage für die begehrte Kostenerstattung – nach den vom Kläger vorgelegten Privatverordnungen in Höhe von insgesamt EUR 404,32 – kommt ausschließlich § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V in Betracht. Danach sind, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind, diese Kosten von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war.
Da der Anspruch auf Kostenerstattung nicht weiter reicht als ein entsprechender Naturalleistungsanspruch, setzt der Kostenerstattungsanspruch voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BSG, Urteil vom 28. Februar 2008 – B 1 KR 16/07 R – juris, Rn. 13; BSG, Urteil vom 7. Mai 2013 – B 1 KR 44/12 R – juris, Rn. 11). Ein Anspruch des Kläger auf Versorgung mit Prostagutt forte bestand und besteht jedoch nicht.
aa) Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V u.a. die Versorgung mit Arzneimitteln. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V erhalten die Versicherten die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen. Der Anspruch eines Versicherten auf Behandlung unterliegt nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB V den sich aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Nach diesen Vorschriften müssen die Leistungen der Krankenkassen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen (§ 12 Abs. 1 SGB V). Außerdem müssen Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V).
Gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen sind. Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V sind nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel von der Versorgung nach § 31 SGB V ausgeschlossen. § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V bestimmt, dass der GBA in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V festlegt, welche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten, zur Anwendung bei diesen Erkrankungen mit Begründung vom Vertragsarzt ausnahmsweise verordnet werden können (§ 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V).
Der Leistungsausschluss des § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V gilt gemäß § 34 Abs. 1 Satz 5 SGB V nicht für versicherte Kinder bis zum vollendeten zwölften Lebensjahres und versicherte Jugendliche bis zum vollendeten 18. Lebensjahr mit Entwicklungsstörungen. Der seit 1. Januar 2004 geltende Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ist mit Grundgesetz (GG) vereinbar (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Nichtannahmebeschluss vom 12. Dezember 2012 – 1 BvR 69/09 – juris, Rn. 6 ff.).
bb) Der Kläger leidet zwar unter einer Krankheit im Sinne des § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V, nämlich unter beninger Prostatahyperplasie. Dies entnimmt der Senat den Arztbriefen des Dr. G. vom 16. Dezember 2015 und 15. November 2016 sowie dem Arztbrief des Facharztes für Urologie F. vom 14. Juli 2008, der unter dem synonymen Begriff "Prostataadenom" dieselbe Diagnose gestellt hat.
Jedoch war und ist das Arzneimittel Prostagutt forte im streitgegenständlichen Zeitraum vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung nicht umfasst. Denn Prostagutt forte ist ein nicht verschreibungspflichtiges Arzneimittel und daher nach § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen ausgeschlossen. Die Ausnahmetatbestände des § 34 Abs. 1 Satz 5 SGB V greifen nicht ein, weil der Kläger 1944 geboren ist und damit das 12. bzw. 18. Lebensjahr bereits vollendet hat.
Die Verordnung von Prostagutt forte ist auch nicht nach § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V ausnahmsweise zulässig. Die nach § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V dem GBA aufgegebene Umsetzung zur Bestimmung ausnahmsweise zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähiger Arzneimittel, die nicht zu beanstanden ist (BSG, Urteil vom 22. Oktober 2014 – B 6 KA 34/13 R – juris, Rn. 31), ist durch die AM-RL erfolgt. Nach § 12 AM-RL sind nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel von der Versorgung nach § 31 SGB V ausgeschlossen (Abs. 1). Die Verordnung dieser Arzneimittel ist nach § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V ausnahmsweise zulässig, wenn die Arzneimittel bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten (Abs. 2). Eine Krankheit ist schwerwiegend, wenn sie lebensbedrohlich ist oder wenn sie aufgrund der Schwere der durch sie verursachten Gesundheitsstörung die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt (Abs. 3). Ein Arzneimittel gilt als Therapiestandard, wenn der therapeutische Nutzen zur Behandlung der schwerwiegenden Erkrankung dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht (Abs. 4). Schwerwiegende Erkrankungen und Standardtherapeutika zu deren Behandlung sind in Anlage I aufgeführt (Abs. 5). Für die in der Anlage I aufgeführten Indikationsgebiete kann der behandelnde Arzt bei schwerwiegenden Erkrankungen auch Arzneimittel der Anthroposophie und Homöopathie verordnen, sofern die Anwendung dieser Arzneimittel für diese Indikationsgebiete und Anwendungsvoraussetzungen nach dem Erkenntnisstand als Therapiestandard in der jeweiligen Therapierichtung angezeigt ist (Abs. 6 Satz 1). Der behandelnde Arzt hat zur Begründung der Verordnung die zugrunde liegende Diagnose in der Patientendokumentation aufzuzeichnen (Abs. 6 Satz 2).
Die Anlage 1 (Zugelassene Ausnahmen zum gesetzlichen Verordnungsausschluss nach § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V [OTC-Übersicht]) zur AM-RL regelt nach ihrem Einleitungssatz ausdrücklich abschließend, unter welchen Voraussetzungen nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel zur Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig sind. Weder das Medikament Prostagutt forte noch dessen Wirkstoffe – Früchte der Sägepalme (Sabal) und Wurzeln der Brennenessel – sind in Anlage 1 aufgeführt.
cc) Ein Leistungsanspruch des Klägers lässt sich auch nicht auf § 2 Abs. 1a SGB V, eingefügt mit Wirkung vom 1. Januar 2012 durch Art. 1 Nr. 1 Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-VStG) vom 22. Dezember 2011 (BGBl. I, S. 2983), begründen. Diese Vorschrift setzt die Rechtsprechung des BVerfG zur Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für neue Behandlungsmethoden in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung (Beschluss vom 6. Dezember 2005 – 1 BvR 347/98 – juris, Rn. 47 ff.) und die diese Rechtsprechung konkretisierenden Urteile des BSG (z.B. Urteile vom 4. April 2006 – B 1 KR 12/04 R und B 1 KR 7/05 R –; Urteil vom 16. Dezember 2008 – B 1 KR 11/08 R – alle juris) um. Nach § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine von § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht.
Eine für die Bejahung des Leistungsanspruchs unter diesem Gesichtspunkt erforderliche notstandsähnliche Situation liegt nur dann vor, wenn ohne die streitige Behandlung sich ein tödlicher Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird oder ein nicht kompensierbarer Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion akut droht (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2013 – B 1 KR 70/12 R – juris, Rn. 29; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 26. März 2014 – 1 BvR 2415/13 – juris, Rn. 14). Gerechtfertigt ist eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen gesetzlichen Regelungen u.a. nur, wenn eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik vorliegt, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. November 2015 – 1 BvR 2056/12 – juris, Rn. 18).
Eine solche notstandsähnliche Situation ist im vorliegenden Fall des Klägers ersichtlich nicht gegeben. Der Kläger leidet "lediglich" unter einer benignen Prostatahyperplasie. Hierbei handelt es sich nicht um eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung. Etwas anderes gilt auch dann nicht, wenn man zusätzlich berücksichtigt, dass der Kläger nach eigener Darstellung bei Medikation von Tamsulosin statt Prostagutt forte unter Nasennebenhöhlenbeschwerden und Kopfschmerzen leidet.
dd) Vor diesem Hintergrund kommt es auf den Umstand, dass der Kläger jedenfalls mit Blick auf die vor Antragstellung bei der Beklagten angeschafften Prostagutt forte-Produkte auch den sog. Beschaffungsweg – ein auf die unrechtmäßige Verweigerung der Sachleistung gestützter Erstattungsanspruch scheidet nach der ständigen Rechtsprechung des BSG regelmäßig aus, wenn sich der Versicherte die Leistung besorgt hat, ohne die Krankenkasse einzuschalten und ihre Entscheidung abzuwarten (BSG, Urteil vom 20. Mai 2003 – B 1 KR 9/03 R – juris, Rn. 17; BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 – B 1 KR 31/07 R – juris, Rn. 16; BSG, Beschluss vom 2. Juli 2015 – B 3 KR 3/15 BH – juris, Rn. 9) – nicht eingehalten hat, nicht mehr an.
b) Mangels Sachleistungsanspruch hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Erstattung ihm zukünftig entstehender Kosten für die Anschaffung des Medikaments Prostagutt forte.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.
4. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Erstattung und zukünftige Übernahme der Kosten für das Arzneimittel Prostagutt forte.
Der 1944 geborene Kläger ist bei der Beklagten krankenversichert. Er beantragte mit Schreiben vom 16. Februar 2016 eine Kostenbeteiligung an dem Medikament Prostagutt forte. Es sei ihm 16 Jahre lang von verschiedenen Urologen (das verschreibungspflichtige Medikament) Tamsulosin (0,4 mg pro Kabsel) verordnet worden. Tamsulosin führe zu einer verstopften Nase und zu Problemen in den Nebenhöhlen mit starken Kopfschmerzen als Folge. Wegen der Kopfschmerzen habe er sich Unmengen von Schmerzmitteln verschreiben lassen müssen. Vor einem Jahr habe er die Dosis Tamsulosin reduziert mit dem Erfolg, dass sich die Nebenhöhlenprobleme behandeln ließen und er jetzt kopfschmerzfrei sei. Es gebe jedoch keine Kapsel Tamsulosin in der Stärke von 0,1 mg. Deswegen habe er in Absprache mit dem Urologen die Medikation auf vier Kapseln Prostagutt forte umgestellt. Die Wirkung von vier Kapseln Prostagutt forte täglich bewirke bei ihm dasselbe wie 0,1 mg Tamsulosin, nur ohne weitere Nebenwirkungen, die auch bei 0,1 mg Tamsulosin noch vorhanden seien. Wegen der Kostenverminderung für die Beklagte bei Einnahme von Prostagutt forte statt Tamsulosin, da praktisch keine Verschreibung von Schmerzmitteln wegen Kopfschmerzen mehr erfolge, wegen Verminderung der Gesundheitsrisiken durch Einnahme von Prostagutt forte statt Tamsulosin, wegen seiner beschränkten finanziellen Möglichkeiten (Rentnerehepaar mit gemeinsamer Rente von etwa EUR 2.500,00 brutto) und nicht zuletzt, da es kein entsprechendes verschreibungspflichtiges Medikament gäbe (es gäbe z.B. kein Tamsulosin in einer Stärke von 0,1 mg, während 0,4 mg Tamsulosin für ihn vollständig überdosiert sei), solle die Beklagte die halben Kosten, die ihm durch den Kauf von Prostagutt forte entstünden, übernehmen. Er zahle für 200 Kapseln Prostagutt forte zur Zeit etwa EUR 50,00.
Die Beklagte lehnte die Kostenübernahme mit Bescheid vom 22. Februar 2016 (ohne Rechtsbehelfsbelehrung) ab. Prostagutt forte sei ein apothekenpflichtiges, nicht verschreibungspflichtiges Arzneimittel. Nach § 34 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) seien nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel von der Versorgung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen. Hiervon gebe es drei Ausnahmen, nämlich bei Kindern bis zum 12. Lebensjahr, entwicklungsgestörten Jugendlichen bis zum 18. Lebensjahr sowie im Fall einer schwerwiegenden Erkrankung. Bei einer schwerwiegenden Erkrankung dürfe ein Medikament in Ausnahmefall zu Lasten der Krankenkassen verordnet werden, wenn es zum Therapiestandard gehöre. Eine verbindliche Liste der Wirkstoffe von nicht verschreibungspflichtigen Arzneimitteln (Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses [GBA] über die Verordnung von Arzneimitteln in der vertragsärztlichen Versorgung – Arzneimittel-Richtlinie [AM-RL]), die als Standardtherapeutika bei bestimmten Erkrankungen weiter verordnet werden dürfen, habe der GBA erstellt. In dieser Liste sei Prostagutt forte nicht berücksichtigt. Eine Verordnung zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung sei für Erwachsene damit ausgeschlossen.
Hiergegen erhob der Kläger am 3. März 2016 Widerspruch. Er wiederholte seine Ausführungen aus seinem Antrag. Das Absetzen von Tamsulosin habe eine Blockade beim Wasserlassen zur Folge gehabt. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 7. März 2016 (nunmehr mit Rechtsbehelfsbelehrung versehen) die Kostenübernahme erneut ab. Der Kläger hielt seinen Widerspruch aufrecht.
Der Kläger erhob sodann am 18. März 2016 Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG). Er wiederholte und vertiefte sein bisheriges Vorbringen. Die von Tamsulosin in der Dosierung mit 0,4 mg verursachten Kopfschmerzen hätten ihn in den letzten Jahren gezwungen, fast jeden zweiten Tag Schmerzmittel zu konsumieren. Dies habe zumindest ein blutiges Geschwür im Dünndarm zur Folge gehabt. Einen Rückgang der Störungen im Gleichgewichthalten habe er festgestellt, da er seit dem Absetzen von Tamsulosin wieder auf einem Bein stehend die Hose anziehen könne. Als er noch Tamsulosin genommen habe, habe er sich dabei festhalten müssen. Die Ursache hierfür seien auch angeschwollene Schleimhäute gewesen. Als Patient sehe er keine Möglichkeit, Prostagutt forte oder die arzneimittelwirksamen Bestandteile daraus in irgendeiner Art und Weise in die Liste der verordnungspflichtigen Medizinprodukte zu bringen, obwohl die Bestandteile in der Liste sein sollten. Prostagutt forte erfülle für seine persönliche Gesundheitssituation die Voraussetzungen der §§ 29 und 33 AM-RL. Eine Ausnahmesituation im Sinne von § 2 Abs. 1 a SGB V liege vor. Das von der Beklagten vorgelegte sozialmedizinisches Gutachten (dazu unten) sei unrichtig. Es existiere zumindest eine hochkarätige Studie, die die Wirksamkeit von Prostagutt forte bei Prostatahyperplasie bestätige. Die Beklagte sei daher verpflichtet, zumindest einen Teil der Kosten, die ihn durch den Kauf von Prostagutt forte entstünden, zu übernehmen. Die Beklagte habe die Möglichkeit, ihre Satzungsleistungen zu erweitern oder zu ändern und auf diesem Weg eine (teilweise) Erstattung der Kosten zu genehmigen. Der Kläger legte unter anderem eine Bescheinigung des Facharztes für Innere Medizin und Kardiologie Dr. Hübner vom 4. März 2016 vor. Danach habe der Kläger seit Jahren unter Kopfschmerzen gelitten, weshalb er regelmäßig Schmerzmittel (insbesondere Ibuprofen und Metamizol) eingenommen habe. Irgendwann habe der Kläger herausgefunden, dass Tamsulosin seine Kopfschmerzen sowie seine chronische Sinusitis mit Schleimbildung wie auch die Störung des Gleichgewichtssinnes triggerten. Er habe versucht, Tamsulosin abzusetzen, habe aber eine Verschlechterung seiner Miktionsbeschwerden bei bekannter Prostatahyperplasie gehabt. Die suppressive Reduktion des Tamsulosin auf zuletzt 0,1 mg (wobei ihm unklar bleibe, wie diese Dosierung bewerkstelligt werden könnte, da kommerziell nicht verfügbar), hätten sich die Kopfschmerzen und Nasennebenhöhlenbeschwerden nach und nach gebessert. Durch den Ersatz von Tamsulosin durch Prostagutt forte seien die Kopfschmerzen fast vollständig verschwunden. Der Kläger legte ferner eine Bescheinigung des Facharztes für Urologie Dr. G. vom 8. Juni 2016 vor, in dem dieser bestätigte, dass das Medikament Prostagutt forte beim Kläger hinsichtlich der Restharnbildung den gleichen Effekt wie Tamsulosin erzielt habe. Schließlich reichte der Kläger Kopien von Dr. G. ausgestellten Privatverordnungen über Prostagutt forte 160/120 mg (Kosten insgesamt EUR 247,95) ein.
Die Beklagte trat der Klage entgegen. Ihre Satzung sehe keine Kostenbeteiligung an over the counter (OTC)-Präparaten vor. Sie legte ein sozialmedizinisches Gutachten des Dr. W. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) vom 13. Mai 2016 vor. Als nicht verschreibungspflichtiges Arzneimittel sei Prostagutt forte nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung rezeptierbar. Es finde sich auch nicht auf der Liste der nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die im Ausnahmefall bei Vorliegen einer schweren Erkrankung dennoch zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung rezeptiert werden könnten. Es liege auch keine Ausnahmesituation im Sinne von § 2 Abs. 1 a SGB V vor.
Der Widerspruchsausschuss der Beklagten entschied mit Widerspruchsbescheid vom 3. Mai 2016, dem Widerspruch des Klägers nicht stattzugeben. Der Widerspruchsausschuss wiederholte die Begründung aus dem Ausgangsbescheid vom 22. Februar 2016. Dass durch das nicht verschreibungspflichtige Präparat Prostagutt forte Kosten eingespart würden, könne keine andere Entscheidung rechtfertigen. Der Kostenerstattungsanspruch bestehe nicht schon deshalb, weil die Krankenkasse dadurch, dass der Versicherte Leistungen außerhalb des Leistungssystems der gesetzlichen Krankenversicherung in Anspruch genommen habe, vermeintliche Aufwendungen anderer Art spare.
Das SG wies die Klage mit Gerichtsbescheid vom 23. August 2016 ab. Die Klage sei zulässig, weil während des Klageverfahrens das Vorverfahren abgeschlossen worden sei und der bis dahin bestehende prozessuale Mangel geheilt sei. Die Klage sei jedoch unbegründet. Prostagutt forte sei ein apothekenpflichtiges, nicht verschreibungspflichtiges Arzneimittel und damit grundsätzlich von der Verordnungspflicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeschlossen. Ein Ausnahmefall liege nicht vor. Der GBA habe in Abschnitt F der AM-RL die benigne Prostatahyperplasie nicht als schwerwiegende Erkrankung berücksichtigt, weshalb er auch keine Indikation für Prostagutt forte aufgenommen habe. Nur zur Behandlung schwerer und schwerster Schmerzen habe er Acetylsalicylsäue (ASS) und Paracetamol in Co-Medikation mit Opioiden als verordnungsfähig angesehen. Soweit der Kläger geltend mache, bei ihm hätten letztlich als Nebenwirkung des Tamsulosin derartige schwere bis schwerste Schmerzen vorgelegen, weshalb der GBA auch das Ausweichen auf Prostagutt forte hätte erlauben müssen, sei dem nicht zu folgen. Das genannte Beispiel (Behandlung schwerer und schwerster Schmerzen) beziehe sich auf eine Schmerzbehandlung mit Opioiden, neben der der GBA einer ASS- oder Paracetamol-Behandlung zulasse. Der Kläger habe nie mit Opioiden behandelt werden müssen. Seine aus seiner Sicht nebenwirkungsbedingten Schmerzen hätten das Niveau einer schwerwiegenden Erkrankung nicht erkrankt. Abwegig sei seine Argumentation, seine Schmerzen stellten sogar eine lebensbedrohliche Erkrankung dar.
Gegen den ihm am 26. August 2016 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 1. September 2016 Berufung eingelegt. Am 20. Oktober 2014 sei ihm vom Nervenarzt K. Tilidin 100 mg/8 mg, ein Opioid, wegen des zu großen Konsums von Schmerzmitteln wegen zu starker und zu häufiger Kopfschmerzen verordnet worden. Der übergroße Schmerzmittelkonsum habe bei ihm zumindest zu einen Dünndarmgeschwür geführt. Diese Situation sei für ihn letztlich lebensbedrohend gewesen. Es habe eine weitere Verschlimmerung der Darmgeschwüre und ein weiterer Dünndarmverlust gedroht. Er habe keinen Dickdarm mehr, stattdessen einen Dünndarmpouch, in dem sie sich eines der früher blutenden Geschwüre befunden habe. Da er auch keinen Zwölffingerdarm mehr habe, habe der sowieso schon gekürzte Dünndarm nur sehr schwer weiter verkürzt werden können. Prostagutt forte sei auch in den von ihm wegen der bestehenden Prostatavergrößerung eingenommenen höheren Dosis gut verträglich und frei von Nebenwirkungen. Die lebensgefährdenden Probleme durch den Einsatz von Tamsulosion (unerträglicher Kopfschmerz und akutes Harnverhalten beim Absetzen von Tamsulosion) würden durch Prostagutt forte beseitigt. Durch die Einnahme von Prostagutt forte werde eine Prostata-Operation vermieden. Prostagutt forte unterstützt von Magnesium wirke nebenwirkungsfrei auf den gesamten Harntrakt, inklusive der Prostata. Ob er eine benigne Prostatahyperplasie habe oder nicht, wisse er nicht. Er habe dies nie behauptet. Kein Urologe habe bisher irgendeine Diagnose genannt. Beziehe sich diese Diagnose auch auf Miktionsbeschwerden, treffe sie bei ihm zu. Der Kläger hat einen Arztbrief des Facharztes für Urologie F. vom 14. Juli 2008 (Diagnose u.a.: Restharnbildung bei Prostataadenom), Arztbriefe des Dr. G. vom 16. Dezember 2015 und 15. November 2016 (jeweils Diagnose: benigne Prostatahyperplasie) und die ärztliche Bescheinigung der Ärztin für HNO-Heilkunde Dr. D. vom 8. März 2016 (Schleimhautschwellung im Bereich der rechten Kieferhöhle als Zeichen einer Sinusitis) sowie weitere Privatverordnungen des Dr. G. vom 29. Juni und 11. November 2016 über Prostagutt forte 160/120 mg (Kosten insgesamt EUR 156,37) vorgelegt.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 23. August 2016 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 22. Februar 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Mai 2016 zu verurteilen, EUR 404,32 und zukünftig entstehende Kosten für das Medikament Prostagutt forte zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte verweist auf ihr Vorbringen in der ersten Instanz sowie die Entscheidungsgründe des angefochtenen Gerichtsbescheides. Soweit der Kläger behaupte, die geklagten Kopfschmerzen seien Folge der jahrelangen Einnahme des Medikaments Tamsulosin, könne dies nicht belegt werden. Der Kläger beziehe eine Vielzahl von Medikamenten, die als Nebenwirkungen Kopfschmerzen bereiteten.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge sowie auf die beigezogene Akte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
1. Die gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht erhobene und gemäß § 143 SGG statthafte Berufung des Kläger, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte (§ 124 Abs. 2 SGG) ist auch im Übrigen zulässig. Die Berufung bedurfte insbesondere nicht der Zulassung, da der Kläger die Erstattung und Übernahme der Kosten für das Medikament Prostagutt forte für länger als ein Jahr begehrt (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).
2. Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn die Klage ist zwar nach Durchführung des Vorverfahrens zulässig, aber unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 22. Februar 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Mai 2016 ist rechtmäßig. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung bereits entstandener und zukünftig entstehender Kosten für die Anschaffung des Medikaments Prostagutt forte.
a) Gegenstand des Rechtsstreits ist allein der Bescheid der Beklagten vom 22. Februar 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Mai 2016. Soweit die Beklagte unter dem 7. März 2016 es erneut ablehnte, Kosten für das Medikament Prostagutt forte zu übernehmen, kommt dem keine gesonderte Regelung zu. Denn die Beklagte nahm Bezug auf ihren Bescheid vom 22. Februar 2016. Es handelt sich insoweit um eine wiederholende Verfügung, die kein Verwaltungsakt im Sinne des § 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) ist (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 13. August 2014 – B 6 KA 38/13 R – juris, Rn. 27).
b) Als Rechtsgrundlage für die begehrte Kostenerstattung – nach den vom Kläger vorgelegten Privatverordnungen in Höhe von insgesamt EUR 404,32 – kommt ausschließlich § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V in Betracht. Danach sind, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte oder sie eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat und dadurch dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind, diese Kosten von der Krankenkasse in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war.
Da der Anspruch auf Kostenerstattung nicht weiter reicht als ein entsprechender Naturalleistungsanspruch, setzt der Kostenerstattungsanspruch voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BSG, Urteil vom 28. Februar 2008 – B 1 KR 16/07 R – juris, Rn. 13; BSG, Urteil vom 7. Mai 2013 – B 1 KR 44/12 R – juris, Rn. 11). Ein Anspruch des Kläger auf Versorgung mit Prostagutt forte bestand und besteht jedoch nicht.
aa) Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst nach § 27 Abs. 1 Satz 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V u.a. die Versorgung mit Arzneimitteln. Nach § 2 Abs. 2 Satz 1 SGB V erhalten die Versicherten die Leistungen als Sach- und Dienstleistungen. Der Anspruch eines Versicherten auf Behandlung unterliegt nach § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB V den sich aus § 2 Abs. 1 und § 12 Abs. 1 SGB V ergebenden Einschränkungen. Nach diesen Vorschriften müssen die Leistungen der Krankenkassen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein und sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen (§ 12 Abs. 1 SGB V). Außerdem müssen Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V).
Gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Versorgung mit apothekenpflichtigen Arzneimitteln, soweit die Arzneimittel nicht nach § 34 SGB V oder durch Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V ausgeschlossen sind. Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V sind nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel von der Versorgung nach § 31 SGB V ausgeschlossen. § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V bestimmt, dass der GBA in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V festlegt, welche nicht verschreibungspflichtigen Arzneimittel, die bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten, zur Anwendung bei diesen Erkrankungen mit Begründung vom Vertragsarzt ausnahmsweise verordnet werden können (§ 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V).
Der Leistungsausschluss des § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V gilt gemäß § 34 Abs. 1 Satz 5 SGB V nicht für versicherte Kinder bis zum vollendeten zwölften Lebensjahres und versicherte Jugendliche bis zum vollendeten 18. Lebensjahr mit Entwicklungsstörungen. Der seit 1. Januar 2004 geltende Ausschluss nicht verschreibungspflichtiger Arzneimittel aus dem Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung ist mit Grundgesetz (GG) vereinbar (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Nichtannahmebeschluss vom 12. Dezember 2012 – 1 BvR 69/09 – juris, Rn. 6 ff.).
bb) Der Kläger leidet zwar unter einer Krankheit im Sinne des § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V, nämlich unter beninger Prostatahyperplasie. Dies entnimmt der Senat den Arztbriefen des Dr. G. vom 16. Dezember 2015 und 15. November 2016 sowie dem Arztbrief des Facharztes für Urologie F. vom 14. Juli 2008, der unter dem synonymen Begriff "Prostataadenom" dieselbe Diagnose gestellt hat.
Jedoch war und ist das Arzneimittel Prostagutt forte im streitgegenständlichen Zeitraum vom Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenversicherung nicht umfasst. Denn Prostagutt forte ist ein nicht verschreibungspflichtiges Arzneimittel und daher nach § 34 Abs. 1 Satz 1 SGB V von der Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen ausgeschlossen. Die Ausnahmetatbestände des § 34 Abs. 1 Satz 5 SGB V greifen nicht ein, weil der Kläger 1944 geboren ist und damit das 12. bzw. 18. Lebensjahr bereits vollendet hat.
Die Verordnung von Prostagutt forte ist auch nicht nach § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V ausnahmsweise zulässig. Die nach § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V dem GBA aufgegebene Umsetzung zur Bestimmung ausnahmsweise zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähiger Arzneimittel, die nicht zu beanstanden ist (BSG, Urteil vom 22. Oktober 2014 – B 6 KA 34/13 R – juris, Rn. 31), ist durch die AM-RL erfolgt. Nach § 12 AM-RL sind nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel von der Versorgung nach § 31 SGB V ausgeschlossen (Abs. 1). Die Verordnung dieser Arzneimittel ist nach § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V ausnahmsweise zulässig, wenn die Arzneimittel bei der Behandlung schwerwiegender Erkrankungen als Therapiestandard gelten (Abs. 2). Eine Krankheit ist schwerwiegend, wenn sie lebensbedrohlich ist oder wenn sie aufgrund der Schwere der durch sie verursachten Gesundheitsstörung die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt (Abs. 3). Ein Arzneimittel gilt als Therapiestandard, wenn der therapeutische Nutzen zur Behandlung der schwerwiegenden Erkrankung dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entspricht (Abs. 4). Schwerwiegende Erkrankungen und Standardtherapeutika zu deren Behandlung sind in Anlage I aufgeführt (Abs. 5). Für die in der Anlage I aufgeführten Indikationsgebiete kann der behandelnde Arzt bei schwerwiegenden Erkrankungen auch Arzneimittel der Anthroposophie und Homöopathie verordnen, sofern die Anwendung dieser Arzneimittel für diese Indikationsgebiete und Anwendungsvoraussetzungen nach dem Erkenntnisstand als Therapiestandard in der jeweiligen Therapierichtung angezeigt ist (Abs. 6 Satz 1). Der behandelnde Arzt hat zur Begründung der Verordnung die zugrunde liegende Diagnose in der Patientendokumentation aufzuzeichnen (Abs. 6 Satz 2).
Die Anlage 1 (Zugelassene Ausnahmen zum gesetzlichen Verordnungsausschluss nach § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V [OTC-Übersicht]) zur AM-RL regelt nach ihrem Einleitungssatz ausdrücklich abschließend, unter welchen Voraussetzungen nicht verschreibungspflichtige Arzneimittel zur Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig sind. Weder das Medikament Prostagutt forte noch dessen Wirkstoffe – Früchte der Sägepalme (Sabal) und Wurzeln der Brennenessel – sind in Anlage 1 aufgeführt.
cc) Ein Leistungsanspruch des Klägers lässt sich auch nicht auf § 2 Abs. 1a SGB V, eingefügt mit Wirkung vom 1. Januar 2012 durch Art. 1 Nr. 1 Gesetz zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-VStG) vom 22. Dezember 2011 (BGBl. I, S. 2983), begründen. Diese Vorschrift setzt die Rechtsprechung des BVerfG zur Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenversicherung für neue Behandlungsmethoden in Fällen einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlich verlaufenden Erkrankung (Beschluss vom 6. Dezember 2005 – 1 BvR 347/98 – juris, Rn. 47 ff.) und die diese Rechtsprechung konkretisierenden Urteile des BSG (z.B. Urteile vom 4. April 2006 – B 1 KR 12/04 R und B 1 KR 7/05 R –; Urteil vom 16. Dezember 2008 – B 1 KR 11/08 R – alle juris) um. Nach § 2 Abs. 1a Satz 1 SGB V können Versicherte mit einer lebensbedrohlichen oder regelmäßig tödlichen Erkrankung oder mit einer zumindest wertungsmäßig vergleichbaren Erkrankung, für die eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht, auch eine von § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V abweichende Leistung beanspruchen, wenn eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf Heilung oder auf eine spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf besteht.
Eine für die Bejahung des Leistungsanspruchs unter diesem Gesichtspunkt erforderliche notstandsähnliche Situation liegt nur dann vor, wenn ohne die streitige Behandlung sich ein tödlicher Krankheitsverlauf innerhalb eines kürzeren, überschaubaren Zeitraums mit großer Wahrscheinlichkeit verwirklichen wird oder ein nicht kompensierbarer Verlust eines wichtigen Sinnesorgans oder einer herausgehobenen Körperfunktion akut droht (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 17. Dezember 2013 – B 1 KR 70/12 R – juris, Rn. 29; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 26. März 2014 – 1 BvR 2415/13 – juris, Rn. 14). Gerechtfertigt ist eine verfassungskonforme Auslegung der einschlägigen gesetzlichen Regelungen u.a. nur, wenn eine notstandsähnliche Situation im Sinne einer in einem gewissen Zeitdruck zum Ausdruck kommenden Problematik vorliegt, wie sie für einen zur Lebenserhaltung bestehenden akuten Behandlungsbedarf typisch ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. November 2015 – 1 BvR 2056/12 – juris, Rn. 18).
Eine solche notstandsähnliche Situation ist im vorliegenden Fall des Klägers ersichtlich nicht gegeben. Der Kläger leidet "lediglich" unter einer benignen Prostatahyperplasie. Hierbei handelt es sich nicht um eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung. Etwas anderes gilt auch dann nicht, wenn man zusätzlich berücksichtigt, dass der Kläger nach eigener Darstellung bei Medikation von Tamsulosin statt Prostagutt forte unter Nasennebenhöhlenbeschwerden und Kopfschmerzen leidet.
dd) Vor diesem Hintergrund kommt es auf den Umstand, dass der Kläger jedenfalls mit Blick auf die vor Antragstellung bei der Beklagten angeschafften Prostagutt forte-Produkte auch den sog. Beschaffungsweg – ein auf die unrechtmäßige Verweigerung der Sachleistung gestützter Erstattungsanspruch scheidet nach der ständigen Rechtsprechung des BSG regelmäßig aus, wenn sich der Versicherte die Leistung besorgt hat, ohne die Krankenkasse einzuschalten und ihre Entscheidung abzuwarten (BSG, Urteil vom 20. Mai 2003 – B 1 KR 9/03 R – juris, Rn. 17; BSG, Urteil vom 17. Juni 2008 – B 1 KR 31/07 R – juris, Rn. 16; BSG, Beschluss vom 2. Juli 2015 – B 3 KR 3/15 BH – juris, Rn. 9) – nicht eingehalten hat, nicht mehr an.
b) Mangels Sachleistungsanspruch hat der Kläger auch keinen Anspruch auf Erstattung ihm zukünftig entstehender Kosten für die Anschaffung des Medikaments Prostagutt forte.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.
4. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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BWB
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