L 8 SB 23/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 27 SB 298/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 23/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 26.11.2013 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten im Rahmen des Nachteilsausgleichs nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) über die Zuerkennung des Merkzeichen "Bl" (Blindheit).

Bei dem 1947 geborenen Kläger stellte das Landratsamt R.-M.-Kreis – Fachbereich Schwerbehindertenrecht (LRA) mit Bescheid vom 12.01.2011 wegen einer Sehminderung beidseits, eingepflanzte Kunstlinse beidseits, seelische Störung, Funktionsbehinderungen der Wirbelsäule, Kopfschmerzsyndrom, Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke, Funktionsbehinderung beider Kniegelenke, Teilverlust des Dickdarms, Bronchialasthma, Funktionsbehinderung beider Schultergelenke sowie einer Funktionsbehinderung des Ellenbogengelenkes, einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 seit dem 21.05.2010 sowie zusätzlich zu dem bereits zuerkannten Merkzeichen "RF" (Befreiung von der Rundfunkgebührenpflicht) die Merkzeichen "G" (erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr) und "B" (Notwendigkeit ständiger Begleitung) fest.

Am 17.02.2011 beantragte der Kläger im Rahmen des Nachteilsausgleichs die Zuerkennung des Merkzeichens "Bl". Das LRA holte daraufhin einen Befundschein der behandelnden Augenärztin Dipl.-Med. Z. ein, die unter dem 14.03.2011 angab, der Visus des Klägers betrage rechts 0,05 und links 0,3. Der Visus binokular betrage 0,3. Die vorderen Augenabschnitte seien reizfrei, rechts und links bestehe eine Pseudophakie mit Hinterkammerlinse sowie ein Sekundärglaukom rechts. Das Gesichtsfeld rechts zeige eine konzentrische Einengung mit oberer Grenze bei 10 Grad, unten bei 20 Grad, nasenwärts bei 20 Grad und schläfenwärts 30 Grad. Das Gesichtsfeld links zeige konzentrische Gesichtsfeldeinschränkungen bis auf 10 Grad. Der Augenbinnendruck sei unter Therapie im Normbereich. Das LRA zog zudem den Entlassbericht aus der Prof. Georg-L. Klinik vom 11.03.2011 über den stationären Aufenthalt des Klägers in der Zeit vom 11.01.2011 bis 15.02.2011 bei. Dr. S. nennt beim Kläger folgende Gesundheitsstörungen: Zustand nach Amotio retinae (H 330 nach ICD-10), hohe Myopie (H 442 nach ICD-10), chronische Konjunktivitis sicca (H 104 nach ICD-10), psychovegetative Erschöpfung, bekannte Depression (F 480 nach ICD-10) sowie ein HWS- und LWS-Syndrom (M 5499 nach ICD-10). Bei dem Kläger handele es sich um eine hohe Myopie mit Zustand nach mehrmaligen Augenoperationen wegen Netzhautablösung beidseits mit resultierender erheblicher Visus-Minderung links mehr als rechts und deutlicher Gesichtsfeldeinschränkung beidseits. Bei der Entlassung habe der Fern-Visus rechts 0,05 mühsam und links 0,2 mühsam betragen.

Nach versorgungsärztlicher Auswertung durch Dr. S. (gutachterliche Stellungnahme vom 14.06.2011) lehnte das LRA den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 27.06.2011 ab und führte zur Begründung an, dass die Voraussetzungen zur Feststellung des Merkzeichens "Bl" nicht erfüllt seien.

Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 17.07.2011 Widerspruch ein und machte geltend, dass ihm bei Abschluss seiner Reha in der Prof. L.-Klinik in M. dringend angeraten worden sei, den Antrag auf Blindengeld zu stellen, da die Voraussetzungen bei seinen Diagnosen erfüllt würden. Das LRA erhob daraufhin das Gutachten des Augenarztes Dr. S. vom 01.09.2011. Dieser führte nach Untersuchung des Klägers am 31.08.2011 aus, bei dem Kläger bestünden folgende Diagnosen: Myopie, Astigmatismus, Presbyopie bei reizfreier Pseudofacie rechtes Auge stärker ausgeprägt als links, periphere myopie-bedingte Netzhautdegeneration mit Vernarbungen, rechtes Auge Narbenareal um ein saniertes Netzhautforamen, zentrale Pigmentverschiebung des rechten Auges, Netzhautgefäßsklerose sowie ein Verdacht auf Glaukom. Der Kläger betrete die Praxis alleine und finde sich in fremder Umgebung sehr zielsicher zurecht. Er greife einen Kugelschreiber sehr zielsicher und fülle zügig ein dargebotenes Formular aus. Die Sehschärfe betrage mit Vollkorrektur rechts unter 0,1 (suchend) und links 0,5. Mit eigener Brille betrage die Sehschärfe links 0,12, rechts könne keine Angabe gemacht werden. Es bestehe eine Einschränkung des Gesichtsfelds beidseits auf Werte zwischen 7 und 10 Grad, fingerperimetrisch würden jedoch auch im Bereich von 60 Grad Angaben gemacht. Ein vorhandenes Zentralskotom des rechten Auges könne nicht gefunden werden, sei dem Visus nach jedoch zu vermuten. Die äußeren Gesichtsfeldisopteren werden konzentrisch eingeengt angegeben. Dies entspreche weder der Beobachtung noch dem Befund. Es sei in diesem Falle eher eine Aggravation zu vermuten. Die von dem Kläger angegebene Gesichtsfeldeinschränkung entspreche weder dem organischen Befund noch dem Verhalten des Klägers. Er könne in der Peripherie angereichte Dinge zielsicher greifen, er könne im abgedunkelten Raum sehr zielsicher seine Brille an den Bügeln aus einem engen Holzkasten greifen. Die Angaben zur schlechten Sehschärfe des rechten Auges seien anatomisch durch den Netzhautbefund erklärbar. Die herabgesetzte Sehschärfe des linken Auges entspreche nicht unbedingt einem anatomischen Korrelat. Am linken Auge sei somit auch mit anderen Brillengläsern und mit Benutzung von Zahlenreihen ein Visus von 0,5 gemessen worden. Die ärztliche Beobachtung sowie die objektiven Befunde sprächen zusammenfassend für eine bessere Funktion, als der Kläger angebe.

Nach erneuter versorgungsärztlicher Stellungnahme durch Dr. S. vom 30.09.2011 wies das Regierungspräsidium Stuttgart – Landesversorgungsamt – den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 27.06.2011 zurück. Die angefochtene Entscheidung sei nicht zu beanstanden. Die Zuerkennung des Merkzeichens "Bl" lasse sich nicht begründen. Wie sich aus dem Gutachten des Herrn Dr. Schmidtborn entnehmen lasse, bestehe bei dem Kläger links eine Sehschärfe mit eigener Brille von 0,12, rechts seien keine Angaben erfolgt. Mit Vollkorrektur wäre eine Sehschärfe rechts von unter 0,1 bescheinigt, links eine solche von 0,5. Die Auswertung der ärztlichen Unterlagen habe daher ergeben, dass der Kläger einer blinden Person nicht gleichgestellt werden könne.

Am 22.11.2011 beantragte der Kläger erneut im Rahmen des Nachteilsausgleichs die Zuerkennung des Merkzeichens "Bl". Das LRA holte daraufhin erneut einen Befundschein bei der behandelnden Augenärztin Dipl.-Med. Z. ein, die unter dem 07.02.2012 angab, der Visus rechts betrage bei dem Kläger 0,05, links betrage der Visus annähernd 0,3.

Der Versorgungsarzt Dr. L. bewertete die Funktionsbeeinträchtigungen wie folgt (gutachterliche Stellungnahme vom 09.03.2012):

Sehminderung beidseits, eingepflanzte Kunstlinse beidseits, (Teil-GdB 60),

seelische Störung (Teil-GdB 30),

Funktionsbehinderung der Wirbelsäule,

Kopfschmerz-Syndrom (Teil-GdB 20),

Funktionsbehinderung beider Hüftgelenke, Funktionsbehinderung beider Kniegelenke (Teil-GdB 10),

Teilverlust des Dickdarms (Teil-GdB 10),

Bronchialasthma (Teil-GdB 10),

Funktionsbehinderung beider Schultergelenke, Funktionsbehinderung des rechten Ellenbogen- gelenkes (Teil-GdB 10).

Insgesamt liege ein GdB von 80 vor. Nach den vorgelegten Befundunterlagen sei eine Besserung belegt. Anhand der aktuellen Daten werde für die Sehminderung beidseits, eingepflanzte Kunstlinse beidseits eine Reduzierung des GdB auf 60 sowie der Entzug der Merkzeichen "G" und "B" empfohlen.

Das Landratsamt erhob daraufhin das Gutachten des Prof. Dr. R. (Landesarzt für Sehbehinderte und Blinde in Baden-Württemberg) vom 27.02.2012, der den Kläger am 11.07.2012 persönlich untersuchte. Bei dem Kläger könne eine korrigierte Sehschärfe von 0,1 am linken Auge und 0,12 bei beidäugiger Prüfung festgestellt werden. Dies liege deutlich unter dem zuletzt erhobenen Werten. Der Befund des Muster-VEP mit beidseits nachweisbaren Reizantworten, die jedoch in der Latenz verlängert seien, sichere eine Funktionseinschränkung, könne jedoch das Ausmaß nicht objektivieren. Allerdings sei bei einer deutlich besseren Sehschärfe des linken Auges eine höhere Amplitude zu erwarten. Bezüglich der Sehschärfenangaben der behandelnden Augenärztin sei wahrscheinlich zu beachten, dass diese nicht unter gutachtlichen Bedingungen erhoben würden. Grundsätzlich sei bei Prüfung mit Zahlen eine bessere Sehschärfe zu erwarten. Bei der Gesichtsfelduntersuchung finde sich rechts eine hochgradige konzentrische Einengung auf maximal 15 Grad nach rechts, auch kleinere Reizmarken würden zentral noch erkannt. Links zeige sich eine deutliche Einengung von außen auf 15 bis 19 Grad nach links oben, mit der größeren Reizmarke V/4 sei noch ein Gesichtsfeld innerhalb von 30 bis 40 Grad feststellbar, hier sei auch der blinde Fleck detektierbar. Bei der Muster-VEP seien sowohl monokular rechts und links als auch binokular Antworten mit sehr niedriger Amplitude und minimal verlängerter Latenz ableitbar. Es bestehe kein wesentlicher Seitenunterschied zwischen rechtem und linkem Auge. Der Befund des Elektroretinogramms bestätige eine schwerwiegende Schädigung des rechten Auges, so dass hier durchaus ein so stark eingeengtes Restgesichtsfeld glaubhaft sei. Obwohl grundsätzlich nach einer schweren Netzhautablösung, die einer Operation mit Glaskörperausschneidung und Auffüllung des Glaskörperraums erforderlich mache, ganz erhebliche Schädigungen der Netzhaut eintreten könnten und auch eine Schädigung des Sehnervens denkbar sei, seien solche Folgen am linken Augen weder durch den morphologischen Befund noch durch die elektrophysiologischen Untersuchungen erklärbar. Selbst nach den subjektiven Angaben des Klägers sei bei einer beidäugigen Sehschärfe von 0,12 und einem fast allseits bis jenseits von 15 Grad reichenden Gesichtsfeld die für die Zuerkennung des Merkzeichens Bl erforderliche Blindheit nicht vorhanden. Da die Sehschärfe nicht wesentlich besser sei und auch die Angaben zum Gesichtsfeld des rechten Auges glaubhaft seien, könne selbst bei einer gewissen Aggravation am linken Auge eine schwerwiegende Seheinschränkung nachgewiesen werden. Aufgrund der operativen Eingriffe und der Veränderungen am peripheren Augenhintergrund sei zumindest mit einer Einengung im Bereich zwischen 30 und 50 Grad zu rechnen. Es sei daher ein GdB von 100 von Seiten der Augen und auch die Merkzeichen "RF", "B", "G" und "H" zuzuerkennen.

Nach versorgungsärztlicher Auswertung durch Dr. F. (gutachterliche Stellungnahme vom 07.08.2012) stellte das LRA mit Bescheid vom 07.08.2012 das Vorliegen des Merkzeichens "H" ab 22.11.2012 fest und lehnte die Feststellung des Merkzeichens "Bl" ab.

Hiergegen legte der Kläger mit Schreiben vom 17.08.2012 Widerspruch ein und führte zur Begründung aus, dass bei ihm eine konzentrische beidseitige Gesichtsfeldeinschränkung vorliege. Diese Gesichtsfeldeinschränkung habe einen Schweregrad, der einer sehr schweren Funktionsstörung zuzuordnen sei.

Nach versorgungsärztlicher Auswertung durch Dr. S. (gutachterliche Stellungnahme vom 18.11.2012) wies das Regierungspräsidium Stuttgart – Landesversorgungsamt – mit Widerspruchsbescheid vom 18.12.2012 den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Zur Begründung führte es aus, dass der Kläger nach Auswertung der vorhandenen ärztlichen Unterlagen nicht blind sei bzw. einem Blinden gleichgestellt werden könne.

Hiergegen erhob der Kläger unter dem 14.01.2013 Klage zum Sozialgericht Stuttgart. Der Kläger sei zwar unstreitig nicht blind im Sinne des vollständigen Verlustes seines Sehvermögens, es bestehe jedoch eine hochgradige Sehbehinderung, die einen solchen Schweregrad erreiche, dass die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "Bl" vorlägen. In einem augenfachärztlichen Gutachten vom 16.06.2010 sei die Sehschärfe mit 1/50 am rechten und 0,1 am linken Auge angegeben worden. Hinzu käme, dass bereits im Jahr 2010 eine Gesichtsfelduntersuchung ergeben hätte, dass das Gesichtsfeld am rechten Auge auf 10 bis 30 Grad eingeengt und am linken Auge auf allenfalls 10 Grad eingeengt gewesen sei. Bei einer weiteren Untersuchung an der Universitäts-Augenklinik in Heidelberg sei festgestellt worden, dass die Sehschärfe "deutlich unter den zuletzt erhobenen Werten liege". Der von der Beklagten beauftragte Sachverständige Prof. R. wähle in seiner Stellungnahme Formulierungen, die eine klare Objektivität vermissen ließen. Das Gutachten des Prof. R. leide unter mehreren gravierenden Mängeln. Im Einzelnen sei zu dem Befund am 11.07.2012 "Tensio" auszuführen, dass der Wert R/L 17/17 mmHg nur unter Therapie erreicht werde. Die Feststellung zu den Abschnitten "Fundus, Gesichtsfeld (Goldmann-Perimetrie mit Reizmarke III/4e und Muster-VEP) seien falsch. Entgegen den Angaben des Sachverständigen sei die Pupille (R) farbarm mit glaukomatöser Trübatrophy. Sowohl am linken als auch am rechten Auge liege eine epiretinale Gliose der Makula vor. Am rechten Auge finde sich eine konzentrische Einengung auf 5 bis 10 Grad bzw. eine Gesichtsfeldeinengung bis auf 10 Grad bei irreversibler Schädigung. Ergänzend zu den Feststellungen des Sachverständigen sei festzustellen, dass der Kläger kleinere Reizmarken nicht erkennen könne. Aus dem Gutachten werde nicht klar, was der Sachverständige mit "fingerperimetrisch" meine. Tatsache sei, dass beim Kläger die Sehschärfe mit Korrektur rechts 0,05 und links 0,2 betrage. Entgegen den Ausführungen im Sachverständigengutachten sei es nicht möglich "mit anderen Brillen einen Visus von 0,5 zu messen". Entgegen den Mutmaßungen des Sachverständigen liege der morphologische Befund einer Makula-Gliose links vor. Hingegen seien die Sehschärfenangaben des Klägers nachvollziehbar. Im Alltag habe er Schwierigkeiten, selbst im bekannten Umfeld Türrahmen zu erkennen, d. h. nicht am Türrahmen anzurempeln oder Personen – auch im häuslichen Bereich – anzurempeln. Der Kläger habe Mechanismen erlernt, die es, ähnlich einem völlig blinden Menschen, ihm ermöglichten, mit der Behinderung zurecht zu kommen. Er stehe somit eindeutig Personen gleich, deren beidäugige Gesamtschärfe nicht mehr als 1/50 betrage, d. h. bei denen dem Schweregrad dieser Sehschärfe gleich zu achtenden, nicht nur vorübergehende Störung des Sehvermögens vorlägen.

Das SG holte daraufhin eine ergänzende Stellungnahme des Prof. Dr. R. in Hinblick auf die vom Kläger erhobenen Einwendungen gegen das im Verwaltungsverfahren erstellte Gutachten ein. Dieser gab unter dem 25.05.2013 an, der Augeninnendruck (Tensio) habe primär keine direkten Auswirkungen auf das Sehvermögen. Wesentlich für die Beurteilung sei grundsätzlich der vorhandene Augeninnendruck, dabei spiele es auch keine Rolle, wie dieser erreicht werde. Tatsächlich sei jedoch in seinem Gutachten ein wesentlicher Fehler enthalten, bei der Beschreibung des Fundus sei versehentlich der Befund der Papille vom rechten und linken Auge vertauscht worden. So liege am rechten Auge ein zwar nicht abgeblasster, aber doch deutlich und oben randständig ausgehöhlter (exkavierter) Sehnerv vor, was unstrittig auf eine glaukomatöse Schädigung zurückführen sei. Im Befund der Gesichtsfelduntersuchung sei ersichtlich, dass für Reizmarke III/4e (zweitgrößte Linie) einer Ausdehnung bis etwa 8 Grad nach links, 7 Grad nach oben, 15 Grad nach rechts und 10 Grad nach unten bestehe. Die Beschreibung einer Ausdehnung bis maximal 15 Grad sei somit zutreffend. Gerade für die Frage der gesetzlichen Blindheit sei vor allem die maximale Ausdehnung wesentlich. Es werde nicht bestritten, dass anlässlich anderer Untersuchungen möglicherweise andere Außengrenzen gefunden würden, schließlich handele es sich um eine subjektive Untersuchung. Allerdings sei ebenfalls festzuhalten, dass noch im Mai 2010 lediglich eine konzentrische Einengung des Gesichtsfeldes des rechten Auges auf 10 bis 30 Grad bestanden habe. Ob der Kläger irgendwelche Reizmarken erkenne oder nicht, könne anhand objektiver Untersuchungsergebnisse nur innerhalb einer gewissen Spannbreite überprüft werden. Zunächst werde anhand rein subjektiver Angaben ein Ergebnis einer Sehschärfeprüfung erreicht. Die Antworten im Muster-VEP stellten hingegen objektive Ergebnisse dar, die einen gewissen Rückschluss auf die wirklich vorhandene Sehschärfe gäben. Insgesamt sei damit zwar zutreffend eine versehentlich fehlerhafte Beschreibung des Augenhintergrundes bzw. der Schädigung von rechtem und linkem Sehnervenkopf in seinem Gutachten enthalten, die anderen Befunde und insbesondere Schlussfolgerungen auch unter Berücksichtigung der weiteren vorliegenden Befunde seien aber vollkommen zutreffend und es bestehe damit keinerlei gravierender Mangel.

Mit Gerichtsbescheid vom 26.11.2013 wies das SG die Klage ab.

Am 02.01.2014 hat der Kläger gegen den seinem Prozessbevollmächtigten am 04.12.2013 zugestellten Gerichtsbescheid Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Zu Unrecht gehe das Sozialgericht davon aus, dass beim Kläger die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "Bl" nicht vorliegen würden. Tatsächlich hätten sich die Sehverhältnisse des Klägers seit der letzten mündlichen Verhandlung noch weiter verschlechtert. Gemäß Untersuchungsbefund der Augenärztin Dipl.-Med. Z. vom 16.12.2013 betrage die Gesichtsfeldeinengung beim Kläger beidseitig zwischenzeitlich 5 Prozent, so dass die Voraussetzungen für die Gewährung des Merkzeichens "Bl" nunmehr jedenfalls vorlägen.

Der Kläger beantragt sinngemäß,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 26. November 2013 aufzuheben sowie den Bescheid des Landratsamtes Rems-Murr-Kreis vom 7. August 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums Stuttgart vom 18. Dezember 2012 abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens "Bl" festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält den angefochtenen Gerichtsbescheid für zutreffend.

Der Senat hat zur weiteren Aufklärung des medizinischen Sachverhalts Beweis erhoben durch Einholung des augenärztlichen Gutachtens des Prof. Jonas sowie des Prof. K. vom 24.07.2015, die den Kläger am 07.08.2014 und am 10.09.2014 persönlich untersucht haben. Bei dem Kläger bestünde beidseits eine hohe Kurzsichtigkeit: Myopie durch übergroßes Längenwachstum der Augen, beidseits ein Zustand nach Kunstlinsenimplantation, rechts mehr als links Zustand nach Netzhautablösung, operativ wieder angelegt, im OCT rechts mehr als links, Rarefikation der makulären Sehzellenaußensegmente der Netzhaut, rechts sektoriell reduzierte, links grenzwertige Nervenfaserdicke, rechts mehr als links reduzierte Lichtanworten im Elektroretinogramm, ein Verdacht auf Glaukom-Frühstadium sowie eine epiretinale Gliose rechts. Ohne Korrektur finde sich am rechten Auge eine Sehschärfe von 0,01, am linken Auge eine Sehschärfe von 0,05, beidäugig eine solche von 0,05. Mit Korrektur finde sich am rechten Auge eine Sehschärfe von 0,05, am linken Auge eine von 0,1. Beidäugig betrage die Sehschärfe korrigiert 0,3. Bei der Gesichtsfelduntersuchung liege die Außengrenze am rechten Auge für die gutachtlich relevante Prüfmarke III/4e bei 3 Grad bis 5 Grad Exzentrizität. Die Marke II/4 werde teils weiter innen, teils weiter außen angegeben. Die Außengrenze für die größte verfügbare Marke V/4 liege bei 5 Grad bis 8 Grad Exzentrizität. Die Marken I/4 und I/3 werden nur zentral angegeben, bei weniger als 5 Grad Exzentrizität. Am linken Auge liege die Außengrenze für die gutachterlich relevante Prüfmarke III/4e bei 5 Grad bis 8 Grad Exzentrizität. Die Außengrenze für die größte verfügbare Marke V/4 werde teils weiter außen (10 Grad), teils weiter innen (3 Grad) angegeben. Die Außengrenzen für I/4 und 1/3 lägen innerhalb von 5 Grad Exzentrizität und könnten nicht klar gegeneinander abgegrenzt werden. Es ergäbe sich damit ein extrem eingeschränktes Gesichtsfeld aus rechts unter 5 Grad, links unter 10 Grad für die gutachtlich relevante Prüfmarke III/4e bei manueller kinetischer Perimetrie. Für die angegeben extrem eingeschränkten Gesichtsfelder fände sich kein objektives Korrelat. Gleiches gelte für die angegebene Sehschärfenreduktion.

Die vom Kläger daraufhin zur Akte gereichten OP-Berichte des Universitätsklinikums T. sowie den Befundbericht der Augenärztin Dr. H. vom 22.10.2015 legte der Senat sodann Prof. Dr. Jonas und Prof. Dr. K. mit der Bitte um ergänzende Stellungnahme vor. Unter dem 18.06.2016 gaben diese an, dass die Werte der Sehschärfe des Klägers in 2006 mit rechts 0,05 bis 0,08 (als mittlerer Wert 0,063), links 0,4 bis 0,6 (als mittlerer Wert 0,5) seien, bei unverändertem objektiven sehschärferelevanten Befunden zum Zeitpunkt der hiesigen Begutachtung als bestehend anzusehen. Die objektiven gesichtsfeldrelevanten Befunde hätten seit 2006 keine erkennbare Änderung erfahren. Die in der Klinik M. 2006 ermittelten Gesichtsfelder seien mit den objektiven Befunden vereinbar, ebenso die Angabe voller Außengrenzen links im Befund von Frau Dr. Z ... Die Aussage im Befund von Frau Dr. Z. "Gesichtsfeld rechts nicht durchführbar" dürfte sich auf methodische Schwierigkeiten bei geschwächtem Fixationsvermögen des rechten Auges beziehen. Die späteren Angaben röhrenförmig eingeschränkter Gesichtsfelder würden durch die objektiven Befunde des ERG, des Wechselbelichtungstests der Pupille und des Sehnervenbefundes einschließlich des bildgebenden Verfahrens des OCT nicht gestützt, sondern widerlegt. Die im OCT am rechten Auge sichtbaren Spuren nur mäßigen Grades eines Glaukoms seien nicht in der Lage, das Röhrengesichtsfeld zu klären. Vor einer GdB-relevanten Gesichtsfeldeinschränkung könne deshalb nicht ausgegangen werden.

Das Sach- und Streitverhältnis ist durch die Berichterstatterin in der nicht-öffentlichen Sitzung am 21.12.2016 erörtert worden. Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil einverstanden erklärt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie zwei Band Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat gemäß § 124 Abs. 2 SGG mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist gemäß den §§ 143, 144 SGG zulässig, aber unbegründet. Der angegriffene Bescheid des LRA vom 07.08.2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides des Regierungspräsidiums vom 18.12.2012 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Dem Kläger steht gegen den Beklagten kein Anspruch auf Feststellung des Merkzeichens "Bl" zu. Der angefochtene Gerichtsbescheid des SG ist nicht zu beanstanden.

Anspruchsgrundlage für die begehrte Feststellung des Merkzeichens "Bl" ist § 69 Abs. 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX). Danach stellen die zuständigen Behörden neben einer Behinderung auch gesundheitliche Merkmale fest, die Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen für schwerbehinderte Menschen sind. Nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 der Schwerbehindertenausweis-Verordnung (SchwbAwV) ist auf dem Schwerbehindertenausweis das Merkzeichen "Bl" einzutragen, wenn der schwerbehinderte Mensch blind im Sinne des § 72 Abs. 5 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) oder entsprechender Vorschriften ist. Nach § 72 Abs. 5 SGB XII stehen Personen blinden Menschen gleich, deren beidäugige Gesamtsehschärfe nicht mehr als 1/50 beträgt oder bei denen dem Schweregrad dieser Sehschärfe gleichzusetzende, nicht nur vorübergehende Störungen des Sehvermögens vorliegen. § 72 SGB XII enthält jedoch keine Definition des Begriffes "Blindheit", sondern in Abs. 5 eine Gleichstellungsvorschrift. Nach welchen Maßstäben einzelne Behinderungen zu bewerten sind und welche Voraussetzungen für die Vergabe des Merkzeichens "Bl" maßgeblich sind, richtet sich seit 01.01.2009 nach der Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV), die die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (Teil 2 SGB IX), zuletzt Ausgabe 2008, ersetzen. Damit hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales von der Ermächtigung nach § 30 Abs. 16 BVG (in der Fassung vom 01.07.2011) zum Erlass einer Rechtsverordnung Gebrauch gemacht.

Die Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens "Bl" ergeben sich aus Teil A Ziffer 6 der VG. Zwar enthielten nach ständiger Rechtsprechung des Senats weder § 30 Abs. 16 BVG, der nicht auf die im Schwerbehindertenrecht im SGB IX geregelten Nachteilsausgleiche verweist (vgl. Dau, jurisPR-SozR 4/2009, Anm. 4), noch andere Regelungen des BVG eine gesetzliche Ermächtigung für den Verordnungsgeber, die Grundsätze für die nach dem Schwerbehindertenrecht zu beurteilenden Nachteilsausgleiche durch Verordnung regeln zu können. (vgl. Urteile des Senats vom 23.07.2010 - L 8 SB 3119/08 -, veröffentlicht in juris und www.sozialgerichtsbarkeit.de sowie vom 24.09.2010 - L 8 SB 4533/09 -, unveröffentlicht; ebenso 6. Senat des LSG Baden-Württemberg, vgl. stellvertretend Urteil vom 04.11.2010 - L 6 SB 2556/09 -, unveröffentlicht; offen lassend der 3. Senat, vgl. Urteil vom 17.07.2012 - L 3 SB 523/12 - unveröffentlicht). Mit der Übergangsregelung des § 159 Abs. 7 SGB IX (i.d.F. vom 07.01.2015) ist wirksam und mit hinreichend bestimmtem Gesetzeswortlaut die Rechtsgrundlage für die Feststellung der in den VG genannten Merkzeichen geschaffen worden. Danach sind vorübergehend bis zum Erlass der neuen, auf § 70 Abs. 2 SGB IX beruhenden Verordnung die Bewertungsmaßstäbe der bisherigen VG Teil D unmittelbar als gesetzliche Regelung anzuwenden (Senatsurteil vom 22.05.2015 - L 8 SB 70/13 -, juris, www.sozi¬algerichtsbarkeit.de; ebenso der 6. Senat des LSG Ba.-Württ., Urteil vom 21.04.2015 - L 6 SB 3121/14 -; juris, www.sozialgerichtsbarkeit.de; offen lassend der 3. Senat des LSG Ba.-Württ., Urteil vom 13.05.2015 - L 3 SB 1100/14 - unveröffentlicht). Diese Übergangsregelung für die Feststellung der Merkzeichen nach Vorgabe der VG Teil D entfaltet keine Rückwirkung, sondern ist erst ab dem Datum des Inkrafttretens am 15.01.2015 wirksam (Senatsurteil vom 22.05.2015 a.a.O.). Dagegen ergab sich nach ständiger Rechtsprechung des Senats (vgl. Senatsurteil vom 21.11.2014 - L 8 SB 4830/13 - , unveröffentlicht) aus § 30 Abs. 16 i.V.m. § 35 Abs. 1 BVG bereits vor Inkrafttreten der Übergangsregelung nach § 159 Abs. 7 SGB IX eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage zur Aufstellung der Kriterien für die medizinische Bewertung der Nachteilsausgleiche "H" und "Bl" mit den Regelungen in Teil A Nr. 4 (Hilflosigkeit) und Nr. 6 (Blindheit) der Versorgungsmedizinischen Grundsätze.

So ermächtigt § 30 Abs. 16 BVG das Bundesministerium für Arbeit und Soziales im Einvernehmen mit dem Bundesministerium der Verteidigung mit Zustimmung des Bundesrates durch Rechtsverordnung die Grundsätze aufzustellen, die für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des Abs. 1 maßgebend sind sowie die für die Anerkennung einer Gesundheitsstörung nach § 1 Abs. 3 maßgebenden Grundsätze und die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und der Stufen der Pflegezulage nach § 35 Abs. 1 aufzustellen und das Verfahren für deren Ermittlung und Fortentwicklung zu regeln. In § 35 Abs. 1 BVG sind die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit benannt. § 35 Abs. 1 Satz 6 BVG enthält als Kriterium für die Stufen der Pflegezulage auch den Begriff der Blindheit, weshalb der Senat hierin eine ausreichende Ermächtigungsgrundlage zur Regelung der Voraussetzungen des Nachteilsausgleichs "Bl" durch den Verordnungsgeber sieht. Anders als die AHP, die aus Gründen der Gleichbehandlung in allen Verfahren hinsichtlich der Feststellung des GdB anzuwenden waren und dadurch rechtsnormähnliche Wirkungen entfalteten, ist die VersMedV als Rechtsverordnung verbindlich für Verwaltung und Gerichte. Sie ist indes, wie jede unter gesetzliche Rechtsnorm, auf inhaltliche Verstöße gegen höherrangige Rechtsnormen, insbesondere § 69 SGB IX, zu überprüfen (BSG, Urteil vom 23.04.2009 - B 9 SB 3/08 R, Rn. 27, 30 mit weiteren Nachweisen). Die VersMedV (nebst Anlage) ist im Lichte der rechtlichen Vorgaben des § 69 SGB IX auszulegen und bei Verstößen dagegen nicht anzuwenden (BSG, Urteil vom 30.09.2009 - B 9 SB 4/08 R, juris).

Nach Teil A Nr. 6 VG ist blind ein behinderter Mensch, dem das Augenlicht vollständig fehlt. Als blind ist auch ein behinderter Mensch anzusehen, dessen Sehschärfe auf keinem Auge und auch nicht beidäugig mehr als 0,02 (1/50) beträgt oder wenn andere Störungen des Sehvermögens von einem solchen Schweregrad vorliegen, dass sie dieser Beeinträchtigung der Sehschärfe gleichzustellen sind. Eine der Herabsetzung des Sehschärfe auf 0,02 (1/50) oder weniger gleichzusetzende Sehbehinderung, liegt nach den Richtlinien der Deutschen Opthalmologischen Gesellschaft bei folgenden Fallgruppen vor:

a) Bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,033 (1/30) oder weniger die Grenze des Rest-Gesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 30 Prozent vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeld-Reste jenseits von 50 Prozent unberücksichtigt bleiben,

b) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,05 (1/20) oder weniger die Grenze des Rest-Gesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 15 Grad vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeld-Reste jenseits von 50 Grad unberücksichtigt bleiben,

c) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, wenn bei einer Sehschärfe von 0,1 (1/10) oder weniger die Grenze des Rest-Gesichtsfeldes in keiner Richtung mehr als 7,5 Grad vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeld-Reste jenseits von 50 Grad unberücksichtigt bleiben,

d) bei einer Einengung des Gesichtsfeldes, auch bei einer normalen Sehschärfe, wenn die Grenze der Gesichtsfeld-Insel in keiner Richtung mehr als 5 Grad vom Zentrum entfernt ist, wobei Gesichtsfeld-Reste jenseits von 50 Grad unberücksichtigt bleiben,

e) bei großen Skotomen im zentralen Gesichtsfeldbereich, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und im 50 Grad-Gesichtsfeld unterhalb des horizontalen Median mehr als die Hälfte ausgefallen ist,

f) bei homonymen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und das erhaltene Gesichtsfeld in der Horizontalen nicht mehr als 30 Grad Durchmesser besitzt,

g) bei bitemporalen oder binasalen Hemianopsien, wenn die Sehschärfe nicht mehr als 0,1 (1/10) beträgt und kein Binokular-Sehen besteht. Blind ist darüber hinaus auch ein behinderter Mensch mit einem nachgewiesenen vollständigen Ausfall der Sehrinde (Rindenblindheit), nicht aber mit einer visuellen Agnuvie oder anderen gnostischen Störungen.

Der Senat konnte sich unter Berücksichtigung der vorliegenden ärztlichen Unterlagen, den vom Beklagten eingeholten Gutachten, des Ergebnisses der Beweisaufnahme vor dem SG sowie des vom Senat eingeholten Gutachten nicht davon überzeugen, dass der Kläger die Voraussetzungen des Merkzeichens "Bl" erfüllt.

Ein vollständiger Verlust der Sehfähigkeit ist bei dem Kläger zu keinem Zeitpunkt diagnostiziert worden und wird von diesem auch nicht behauptet. Ebenso wenig liegt ein vollständiger Ausfall der Sehrinde vor. Der Kläger kann jedoch auch nicht einem Blinden gleichgestellt werden, denn weder kann eine Herabsetzung seiner beidäugigen Gesamtsehschärfe auf 1/50 noch eine dem Schweregrad dieser Sehminderung gleich zu achtende, nicht nur vorübergehende Störung des Sehvermögens (faktische Blindheit) nach den genannten Fallgruppen a) bis g) festgestellt werden.

Der Senat stützt sich dabei auf den Befundschein der behandelnden Augenärztin Dipl.-Med. Z. vom 14.03.2011, auf den Entlassbericht der Dr. S. vom 11.03.2011 (Prof. Georg-L. Klinik), das Gutachten des Augenarztes Dr. S. vom 01.09.2011, das Gutachten des Prof. Dr. R. vom 27.07.2012 sowie dessen ergänzende Stellungnahme vom 25.05.2013 und das Gutachten des Prof. Dr. J. sowie des Prof. Dr. K. vom 24.07.2015 und deren ergänzende Stellungnahme vom 18.06.2016. Die darin angegebenen Befunde zur Sehschärfe und dem verbliebenen Gesichtsfeld weichen teilweise deutlich voneinander ab, wobei die Abweichungen keinen kontinuierlichen Verlauf im Sinne einer Besserung oder Verschlechterung erkennen lassen (vgl. u.a. Tabellenübersicht im Gutachten von Prof. Dr. J./K. vom 24.07.2015, Seite 10 des Gutachtens). Medizinische Gründe für die schwankenden Messergebnisse sind von keinem behandelnden Arzt bzw. keinem Gutachter mitgeteilt worden. Im Befundschein der Augenärztin Dipl.-Med. Z. vom 14.03.2011 wird ein Visus binokular von 0,3 beschrieben. Bei dem Gesichtsfeld zeigte sich rechts eine konzentrische Einengung mit oberer Grenze bei 10 Grad, unten bei 20 Grad, nasenwärts bei 20 Grad und schläfenwärts bei 30 Grad. Links zeigte sich eine konzentrische Gesichtsfeldeinschränkung bis auf 10 Grad. Dr. S.beschreibt in dem Entlassungsbericht der Prof. Georg-L.-Klinik, in der sich der Kläger vom 11.01.2011 bis zum 15.02.2011 stationär behandeln ließ, einen Visus von rechts 0,05 mühsam sowie links 0,2 mühsam. Es fanden sich deutliche zirkuläre Gesichtsfeldeinschränkungen, rechts auf 10 bis 15 Grad, links auf 15 Grad. Bei der Untersuchung durch Augenarzt Dr. Schmidtborn (Gutachten vom 01.09.2011) betrug die Sehschärfe mit eigener Brille links 0,1, rechts wurden keine Angaben gemacht. Die Sehschärfe mit Vollkorrektur betrug rechts unter 0,1 und links 0,5. In der manuell-kinetischen Perimetrie am Oculus-Twinfield wird am rechten Auge eine Einengung auf etwa 8 bis 15 Grad und am linken Auge auf 7 bis 13 Grad angegeben. Fingerperimetrisch wurden jedoch auch im Bereich bis 60 Grad Angaben gemacht. Bei der Untersuchung durch Prof. Dr. R. (Gutachten vom 27.07.2012) wurde eine korrigierte Sehschärfe von 0,1 am linken und 0,12 bei beidäugiger Prüfung festgestellt. Bei der Gesichtsfeld-Untersuchung fand sich rechts eine hochgradige konzentrische Einengung auf maximal 15 Grad nach rechts, auch kleinere Reizmarken wurden zentral noch erkannt. Links fand sich eine deutliche Einengung von außen auf 15 bis 19 Grad nach links oben, mit der größeren Reizmarke V/4 war noch ein Gesichtsfeld innerhalb von 30 bis 40 Grad feststellbar, hier war auch der blinde Fleck detektierbar. Bei der Untersuchung durch Prof. Dr. J. und Prof. Dr. K. (Gutachten vom 24.07.2015) betrug die Sehschärfe mit Korrektur rechts 0,05, links 0,1 und beidäugig 0,3. Bei der Gesichtsfeld-Untersuchung zeigte sich rechts eine Einengung auf maximal 5 Grad und links eine Einengung auf maximal 8 Grad. Diese unterschiedlichen Befunde ergeben aus Sicht des Senats keine zuverlässige belastbare Grundlage zur Beurteilung des Sehvermögens des Klägers.

Unter Zugrundelegung der subjektiven Angaben des Klägers sind damit die medizinischen Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens "Bl" nicht gegeben. Letztlich konnten die Gutachter die subjektiv angegebenen Einschränkungen auch nicht objektivieren. Für die angegebenen extrem eingeschränkten Gesichtsfelder fand sich, zuletzt bei der Untersuchung durch Prof. Dr. J. und Prof. Dr. K., kein objektives Korrelat. Weder leidet der Kläger unter einem Netzhautschaden mit perizentralem Feldverlust im OCT noch unter einem Sehnervschaden von adäquatem Ausmaß. Bei einer durch Sehnervschaden bedingten Gesichtsfeldeinschränkung dieser Größenordnung wäre ein subtotaler Faserverlust im RNFL OCT zu erwarten. Im Elektroretinogramm waren keine retinal bedingten Gesichtsfeldeinschränkungen dieser Größenordnung fassbar. Die hohe Achsenkurzsichtigkeit erklärte verminderte elektroretinale Antworten, bei einer retinal bedingten Gesichtsfeldeinschränkung dieser Größenordnung wäre aber ein Ganzfeld-Elektroretinogramm unter der Erfassungsgrenze zu erwarten. Auch für die angegebene Sehschärfenreduktion fand sich bei der Untersuchung durch Prof. Dr. J. und Prof. Dr. K. weder rechts noch links ein ausreichend erklärendes objektives Korrelat. Beim rechten Auge wurde ohne Korrektur ein Visus von 0,01, mit Korrektur ein Visus von 0,05 angegeben. Adäquate Befundveränderungen im OCT in der Makula und der RNFL waren nicht zu erfassen. Die VEP-Antworten belegten eine seitengleiche Auflösung des Lichtreizmusters. Im Gesichtsfeld müsste sich als Korrelat einer Sehschärfenreduktion dieses Ausmaßes ein zentraler Ausfall zeigen, nicht eine konzentrische Einschränkung mit zentraler Wahrnehmung kleiner Marken. Am linken Auge wurde ohne Korrektur ein Visus von 0,05, mit Korrektur ein Visus von 0,1 angegeben. Für eine Sehschärfenminderung dieses Ausmaßes waren keine adäquaten Befundveränderungen im OCT der Makula und der RNFL zu erfassen. Im OCT zeigte sich eine zentrale Fixation. Im Gesichtsfeld müsste sich als Korrelat einer solchen Sehschärfenreduktion zumindest ein relativer zentraler Ausfall zeigen, nicht eine konzentrische Einschränkung mit zentraler Wahrnehmung kleiner Prüfmarken. Dies alles entnimmt der Senat dem Gutachten des Prof. Dr. J. und des Prof. Dr. K ... Bei der Untersuchung durch Prof. Dr. R. sicherte der Befund des Musters-VEP mit beidseits nachweisbaren Reiz-Antworten, die jedoch in der Latenz verlängert waren, eine Funktionseinschränkung, konnte jedoch das Ausmaß nicht objektivieren. Allerdings wäre bei einer deutlich besseren Sehschärfe des linken Auges eine höhere Amplitude zu erwarten. Der Befund des Elektroretinogramms bestätigte eine schwerwiegende Schädigung des rechten Auges, so dass hier nach Auffassung des Prof. Dr. R. durchaus ein so stark eingeschränktes Rest-Gesichtsfeld glaubhaft ist. Bei fehlender Veränderung des Sehnerven sowie unauffälligen Elektroretinogramm kann die Gesichtsfeld-Einschränkung am linken Auge weder durch den morphologischen Befund noch durch die elektrophysiologischen Untersuchung erklärt werden. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten des Prof. Dr. R ... Darüber hinaus hat auch Dr. S. angegeben, dass die von dem Kläger angegebenen Gesichtsfeldeinschränkungen weder dem organischen Befund noch dem Verhalten des Klägers entsprechen. Der Kläger kann in der Peripherie angereichte Dinge zielgriffsicher greifen, er kann im abgedunkelten Raum zielsicher seine Brille an den Bügeln aus einem engen Holzkasten greifen. Dies entnimmt der Senat dem Gutachten des Dr. S ...

Damit ist für den Senat eine Reduzierung der Sehschärfe auf 0,02 oder weniger bzw. eine Störung des Sehvermögens von einem einer derartigen Reduzierung der Sehschärfe gleichzustellenden Schweregrad nicht erwiesen. Daran ändert auch der Befundschein der Dipl.-Med. Z. vom 07.02.2012 nichts. Danach bestand rechts ein Visus von 0,05 und links ein Visus von 0,3. Das Gesichtsfeld war eingeengt bis auf einen zentralen Gesichtsfeld-Rest von 5 Grad, was die Fallgruppe b) erfüllen würde. Bei der nachfolgenden Untersuchung durch Prof. Dr. R. zeigte sich jedoch keine entsprechende Gesichtsfeldeinschränkung. Auch der Befundbericht der Dr. H. vom 22.10.2015 vermag an diesem Ergebnis nichts zu ändern. Zwar wird dort eine Sehschärfe rechts von 1/35 und links von 0,12 angegeben. Bei der Gesichtsfelduntersuchung zeigte sich eine hochgradige konzentrische Gesichtsfeldeinschränkung auf maximal 5 Grad beidseits. Entsprechende Werte hatte auch Frau Dipl.-Med. Z. im Befundschein vom 07.02.2012 mitgeteilt. Wie dargelegt, konnten diese jedoch im Rahmen der gutachterlichen Untersuchung nicht objektiviert werden.

Nach alldem hat sich der Senat nicht davon überzeugen können, dass der Kläger an einer Herabsetzung seiner Sehfähigkeit auch auf 1/50 oder einer dieser Sehminderung gleichzustellenden Sehstörung leidet. Lässt sich eine Tatsache nicht nachweisen, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast (Feststellungslast) zulasten dessen, der einen Anspruch aus den erwiesenen Tatsache für sich herleitet (BSGE 19, 52, 53; 30, 121, 123; 43, 110, 112), hier zulasten des Klägers.

Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt. Der Senat hält weitere Ermittlungen nicht für erforderlich. An seiner Anregung, noch ein psychosomatisches Gutachten einzuholen, hat der Sachverständige Prof. Dr. J. nach Auswertung der vom Kläger nachgereichten Unterlagen des Universitätsklinikums Tübingen (Bl. 60 bis 80 der Senatsakte) nicht mehr festgehalten (ergänzende gutachterliche Stellungnahme vom 18.06.2016). Die vorliegenden ärztlichen Unterlagen haben mit den vom Beklagten, dem SG sowie dem Senat eingeholten Gutachten dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs. 1 ZPO). Denn der festgestellte medizinische Sachverhalt bietet die Basis für die alleine vom Senat vorzunehmende rechtliche Bewertung des Vorliegens der Voraussetzungen des Merkzeichens "Bl".

Nach alledem konnte die Berufung des Klägers keinen Erfolg haben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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