L 8 SB 4417/14

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 3 SB 3221/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 4417/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 11.09.2014 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten darüber, ob in den nach § 69 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) festgestellten gesundheitlichen Verhältnissen des Klägers eine derartige wesentliche Änderung eingetreten ist, dass ein Grad der Behinderung (GdB) von mehr als 80 festzustellen ist.

Bei dem 1955 geborenen Kläger stellte das Landratsamt L. – Versorgungsangelegenheiten (LRA) auf seinen Antrag vom 03.07.2009 mit Bescheid vom 11.08.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.10.2009 in der Gestalt des Anerkenntnisses vom 14.02.2011 (Ausführungsbescheid vom 05.04.2011) wegen einer Depression (Teil-GdB 40) und degenerativen Veränderungen der Wirbelsäule, Nervenwurzelreizerscheinungen (Teil-GdB 20) einen GesamtGdB von 50 seit dem 03.07.2009 fest.

Am 08.04.2013 stellte der Kläger beim LRA einen Antrag auf Erhöhung des Grades der Behinderung wegen Verschlimmerung der bisher berücksichtigten bzw. neu aufgetretenen Gesundheitsstörungen und gab an, bei ihm sei ein Plattenepithelkarzinom festgestellt worden. Er legte zugleich den histologischen Befundbericht der Dermatopathologie Friedrichshafen vom 07.03.2013 vor.

Entsprechend der versorgungsärztlichen Empfehlung des Dr. W.vom 24.04.2013 stellte das LRA mit Bescheid vom 26.04.2013 bei dem Kläger einen GdB von 80 seit dem 08.04.2013 fest. Folgende Funktionsbeeinträchtigung lägen vor: Degenerative Veränderungen der Wirbelsäule, Nervenwurzelreizerscheinungen (GdB 20), Depression (GdB 40) und eine Hauterkrankung – in Heilungsbewährung – (GdB 50). Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse sei insofern eingetreten, als sich der Gesundheitszustand des Klägers wesentlich verschlechtert habe.

Hiergegen erhob der Kläger am 28.05.2013 Widerspruch und führte zur Begründung an, dass durch die Krebserkrankung eine bislang nicht bewertete Erkrankung in den Vordergrund gerückt sei. Im Rahmen der erstmaligen Feststellung des GdB habe das psychovegetative Erschöpfungssyndrom keine Berücksichtigung gefunden. Diese Auffassung sei nunmehr überholt. Der Kläger leide unter einer Neurasthenie. Es bestehe eine vermehrte Müdigkeit nach geistigen Anstrengungen verbunden mit abnehmender Arbeitsleistung und/oder Effektivität bei der Bewältigung täglicher Aufgaben. Der Kläger leide unter den Gefühlen einer körperlichen Schwäche und Erschöpfung nach nur geringer Anstrengung, begleitet von muskulären Schmerzen und der Unfähigkeit, sich zu entspannen. Die Krebserkrankung trage dazu bei. Er habe Sorgen über ein abnehmender geistiges und körperliches Wohlbefinden, es bestehe eine Reizbarkeit, Freudlosigkeit, Depression und Angst. Sein Schlaf sei gestört. Die Neurasthenie müsse daher mit einem Teil-GdB von mindestens 30 bewertet werden. Das Plattenepithelkarzinom sei zudem ein bösartiges Karzinom, dass trotz Chemotherapie zu Rückfällen führe. Es frage sich daher, ob diese Erkrankung mit einem Teil-GdB von 50 zutreffend bewertet sei.

Mit Widerspruchsbescheid vom 19.08.2013 wies das Regierungspräsidium Stuttgart – Landesversorgungsamt – den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück. Die vorgenommene Erhöhung des GdB auf 80 gebe das Ausmaß der tatsächlich eingetretenen Änderung im Gesundheitszustand des Klägers wieder, eine weitere Erhöhung des GdB lasse sich nicht begründen. Bei der bisher schon als Funktionsbeeinträchtigung festgestellten "Depression" handele es sich um eine zusammenfassende Bezeichnung der Funktionsbeeinträchtigung auf psychiatrischem Fachgebiet. Bei Erkrankungen, bei denen sich Phasen der Besserung mit Phasen der Verschlimmerung abwechselten, sei nicht alleine der Leidenszustand während der akuten Phase (hier also während einer schweren depressiven Episode) zugrundezulegen, vielmehr sei ein sogenannter "Durchschnitts-GdB" zu bilden. Der festgesetzte Gesamt-GdB von 80 schließe Schmerzen, seelische Begleiterscheinungen und Beeinträchtigungen bei der täglichen Lebensführung mit ein.

Hiergegen erhob der Kläger am 16.09.2013 Klage bei dem Sozialgericht Heilbronn (SG). Zur Begründung führte er an, dass er unter einem bösartigen Hautkrebs leide. Das Plattenepithelkarzinom neige zu Rezidiven. Er befinde sich deshalb in einer Panikstimmung. Die Neurasthenie, unter der der Kläger leide, müsse mit einem GdB von 30 bewertet werden. Er habe erhebliche Probleme, sich zu konzentrieren und geistige Anstrengungen zu unternehmen. Auch könne er sich nicht auf neue Gegebenheiten einstellen. Er befinde sich quasi immer in Panik- und Angststimmung. Hierzu trage die Krebserkrankung wesentlich bei.

Zur Aufklärung des medizinischen Sachverhalts erhob das SG Beweis durch schriftliche Befragung des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. A. als sachverständigen Zeugen. Dr. A. gab an (Auskunft vom 23.04.2014), bei dem Kläger bestünden schwere depressive Episoden, eine Störung des Sozialverhaltens, eine Hyposomnie, ein chronisches HWS-LWS-Syndrom, ein degeneratives BWS-LWS-Syndrom, Cervikobrachialgien und Hauterkrankungen. Er stimme der Beurteilung mit einem GdB von 80 zu. Er reichte zudem Befundberichte des Neurologen und Psychiaters Dr. von Z. sowie des Hautarztes Wirth und einen Entlassbrief der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und psychosomatischer Medizin zu den Akten.

Mit Gerichtsbescheid vom 11.09.2014 wies das SG die Klage ab. Zwar sei in den gesundheitlichen Verhältnissen des Klägers insoweit eine Änderung eingetreten, dass nunmehr ein GdB von 80 bestehe, wie von dem Beklagten zutreffend festgesetzt. Der Beklagte habe damit der eingetretenen Veränderung ausreichend Rechnung getragen. Schwerwiegendste Erkrankung des Klägers sei das Plattenepithelkarzinom, das mit einem Teil-GdB von 50 ausreichend bemessen sei. Die depressive Symptomatik des Klägers bedinge allenfalls einen Teil-GdB von 40. Der Kläger befinde sich nicht in fachpsychiatrischer Behandlung. Die vom Kläger angeführte Diagnose einer Neurasthenie sei von keinem Arzt bestätigt worden. Die von ihm geschilderten Beeinträchtigungen – vermehrte Müdigkeit, Konzentrationsprobleme, Gefühl körperliche Schwäche, schnelle Erschöpfbarkeit, Schlafstörungen – seien vielmehr unter dem vorhandenen und ärztlicherseits bestätigten Krankheitsbild einer Depression zu fassen. Auch die Erkrankung der Wirbelsäule des Klägers sei mit einem Teil-GdB von 20 ausreichend bewertet. Ein höherer Gesamt-GdB als 80 könne daher nicht festgestellt werden. Diese Einschätzung werde insbesondere auch von dem behandelnden Hausarzt Dr. A. in seiner sachverständigen Zeugenaussage bestätigt.

Gegen den seinem Bevollmächtigten am 18.09.2014 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 09.10.2014 Berufung beim SG erhoben (Eingang beim LSG Baden-Württemberg am 23.10.2014). Zur Begründung führte der Kläger an, es treffe zwar zu, dass im Hinblick auf das Plattenepithelkarzinom ein Teil-GdB von 50 angemessen sei. Diese Erkrankung habe jedoch die depressive Symptomatik, unter der der Kläger leide, weiter befeuert. Er sei nach wie vor auf der Suche nach einem Psychiater, der bereit sei, ihn als Patienten anzunehmen. Bislang befinde er sich lediglich auf einer Warteliste. Zu der psychischen Erkrankung und der Hauterkrankung kommen noch die Erkrankung des Halteapparats. Die Wirbelsäule des Klägers sei in drei Abschnitten betroffen. Er bewege sich heute am Stock, wenn er ausgehe und längere Strecken zurücklegen müsse, weil er unter erheblichen Schmerzen und Unsicherheiten leide. Für die Erkrankung der Wirbelsäule sei daher ein Teil-GdB von 30 anzusetzen, der Bereich der psychische Erkrankung müsse mit einem Teil-GdB von 50 bewertet werden.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 11.09.2014 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 26.04.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.08.2013 zu verurteilen, bei dem Kläger einen höheren GdB als 80 seit dem 08.04.2014 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Zur weiteren Aufklärung des medizinischen Sachverhalts hat der Senat Beweis erhoben durch Einholung eines sozialmedizinischen Gutachtens des Internisten, Betriebs- und Sozialmediziner Dr. S. vom 03.09.2015, der sein Gutachten unter Berücksichtigung von Zusatzgutachten auf orthopädischem Fachgebiet (Gutachten des Facharztes für Orthopädie Dr. H. vom 22.05.2015) und auf psychiatrischem Fachgebiet (Gutachten der Fachärztin für Psychiatrie, Suchtmedizin und Sozialmedizin F. vom 01.09.2015) erstellt hat. Auf orthopädischem Fachgebiet leide der Kläger nach Feststellung des Facharztes für Orthopädie Dr. H., welcher den Kläger am 20.05.2015 persönlich untersucht hat, unter einem Zervikalsyndrom, degenerative Veränderungen C5 bis C7, pseudoradikuläre Ausstrahlung in den linken Arm, einem Morbus Forestier, einem chronischen Lumbalsyndrom, degenerativen Veränderungen L3 bis S1, einer Spondylolyse L5 links ohne Wirbelgleiten, einer Lumboischialgie links, diskreten Bewegungseinschränkungen linker Ellenbogen, Senk-Spreizfuß beidseits sowie Adipositas. Es fänden sich radiologische nachweisbare Veränderungen, die das altersentsprechende Ausmaß überschritten, im Bereich der Hals-, der Brust-und der Lendenwirbelsäule. Die Funktion der Wirbelsäule sei im Bereich der Hals-und der Brustwirbelsäule jeweils geringgradig und im Bereich der Lendenwirbelsäule mittelgradig eingeschränkt. Neurologische Defizite oder Wurzelreizerscheinungen ließen sich weder im Bereich der Hals- noch der Lendenwirbelsäule objektivieren. Motorische Ausfälle seien nicht dokumentiert. Es bestünden geringgradige Funktionseinschränkung im Bereich der Hals-und der Brustwirbelsäule und mittelgradige im Bereich der Lendenwirbelsäule sowie radiologische nachweisbare Veränderungen im Bereich aller drei Wirbelsäulenabschnitte. Die Wirbelsäulenveränderungen bedingten daher einen Teil-GdB 20. Darin eingeschlossen sei die Bewertung der durch diese Veränderung ausgelösten Schmerzsyndrome. Die Funktionsstörung durch beidseitige Fußfehlform bedinge einen GdB von unter 10. Der GdB sei unter Berücksichtigung aller auf orthopädischem Fachgebiet vorliegenden Gesundheitsstörungen mit 20 zu bewerten. Nach Angabe der Fachärztin für Psychiatrie, Suchtmedizin, Sozialmedizin F., welche den Kläger am 08.06.2015 persönlich untersucht hat, bestünden bei dem Kläger auf fachpsychiatrischen Gebiete folgenden Diagnosen: Anpassungsstörung mit depressiven Symptomen bei familiärer Konfliktsituation. Durch die Erkrankung auf psychiatrischem Fachgebiet sei von einer leichten Störung und leichten Funktionsbeeinträchtigungen im Alltag auszugehen. Seit Februar 2013 seien wieder fachpsychiatrische noch psychotherapeutische Behandlungsmaßnahmen durchgeführt worden, zum Begutachtungszeitpunkt seien auch die vom Kläger angegebenen Medikamente anlässlich einer Serumspiegelbestimmung im Blut nicht nachweisbar, was dafür spreche, dass diese nicht regelmäßig eingenommen würden. Somit sei von einem minder schweren Leidensdruck bei dem Kläger und einem minder schweren Störungsbild auszugehen. Im Rahmen der Untersuchung habe der Kläger weder die klassischen Symptome einer Neurasthenie noch die einer depressiven Episode geschildert. Aufgrund der festgestellten Befunde und Diagnosen sei daher von leichteren psychovegetativen und psychischen Störungen auszugehen, welche mit einem Teil-GdB von max. 20 zu bewerten seien. Eine höhere Einstufung aufgrund der erhobenen Befunde sei nicht möglich, dabei sei zudem die Tatsache, dass der Kläger seit Februar 2013 keine Behandlung aufgrund seiner seelischen Störung in Anspruch nehme, zu berücksichtigen, als auch, dass davon auszugehen sei, dass dem Kläger bei einer stärker behindernden Störung mit einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis-und Gestaltungsfähigkeit oder gar schwereren Störung mit mittelgradigen oder schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten eine vollschichtige Tätigkeit als Maschinenbediener im Zwei-Schichtdienst nicht durchgängig bis heute möglich sei. Dr. S. hat in seinem Gutachten den Gesamt-GdB mit 60 bewertet. Auf internistischen Fachgebiet sei eine Krebserkrankung von Bedeutung. Am linken Unterarm sei 2013 ein Tumor entfernt worden, welcher histologisch als Karzinom identifiziert worden sei. Es handele sich um einen Tumor von 3 mm Dicke, welcher in das Stadium T1 einzuordnen sei und insgesamt eine gute Prognose aufweise. Dementsprechend hätten sich auch keine Zeichen einer Progredienz bzw. eines Rezidivs eingestellt. Da die Therapie in einer einfachen Exzision bestanden habe, lägen keine relevanten negativen Therapiefolgen vor. Es handele sich somit um ein Tumorleiden in Heilungsbewährung, welches vom ärztlichen Dienst der Beklagten mit einem Teil-GdB von 50 korrekt eingestuft worden sei. Bei der Laboruntersuchung habe eine leichte Eiweißausscheidung im Urin festgestellt werden können. Auf der Hand liegende Gründe für einen sekundären Nierenschaden in Form eines Diabetes oder eines Bluthochdruck lägen nicht vor. Eine funktionale Auswirkung habe der Befund nicht, eine Einschränkung der Nierenfunktion sei nicht vorhanden. Insgesamt liege durch die Hauterkrankung in Heilungsbewährung eine schwere Funktionsbeeinträchtigung vor, die Funktionsbeeinträchtigungen auf orthopädischem Fachgebiet seien leicht bis mittelschwer, auf psychiatrischem Fachgebiet bestünde nur noch eine leichte Funktionsbeeinträchtigung.

Mit Schreiben vom 24.09.2015 hat der Kläger mitgeteilt, dass er an der Distanz des Hauptgutachters Dr. S. zu ihm zweifle. Vor dem OLG Stuttgart sei ein Unterhaltsprozess anhängig zwischen dem Kläger und seiner geschiedenen Frau. In diesem Verfahren stünde im Streit, ob ein Gutachten des Sachverständigen Dr. S. hinsichtlich der Leistungsfähigkeit der geschiedenen Ehefrau verwertbar sei oder nicht. Zudem komme die von Dr. S. vorliegend zu Rate gezogene Fachärztin für Psychiatrie F. zu einer falschen Einschätzung der bei dem Kläger bestehenden Einschränkungen auf psychiatrischen Fachgebiet. Sein Gesundheitszustand habe sich zudem verschlechtert. Er sei an der Blase operiert worden und habe nunmehr einen Schlaganfall erlitten, der zu einer linksseitigen Lähmung geführt habe. Er reichte das Gutachten des Dr. H. des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 18.08.2015 sowie Unterlagen der Fachärztin für Urologie Dr. H. zu den Akten.

Der Senat hat daraufhin die ergänzende Stellungnahme des Dr. S. vom 18.10.2015 eingeholt. Dr. S. teilte darin mit, es sei ihm bei Annahme des Gutachtens nicht bewusst gewesen, dass die von ihm Begutachtete die Ehefrau des Klägers sei, insbesondere da sie nicht den gleichen Nachnamen trage. Auch wenn ihm diese Tatsache bereits bei Annahme des Gutachtens in der Sozialgerichtssache gegenwärtig gewesen wäre, hätte dies einer Übernahme nicht entgegengestanden. Da er grundsätzlich keine "Parteigutachten" erstelle, sondern seine Gutachten unter rein fachlichen Gesichtspunkten anfertige, sehe er keine Anhaltspunkte für eine mangelnde Distanz zu dem Kläger. Zudem beträfe die vorgebrachte Kritik an der medizinischen Bewertung die Feststellungen der Fachkollegin, an welcher er keine Änderungen vorgenommen habe. Die abschließende Bewertung des Gesamt-GdB folge den Regeln der Versorgungsmedizinischen Grundsätze. Insofern könne er nicht erkennen, wo sich die behauptete fehlende Distanz hätte auswirken können.

Zur weiteren Aufklärung des medizinischen Sachverhalts hat der Senat Beweis erhoben durch schriftliche Vernehmung der behandelnden Ärzte des Klägers als sachverständige Zeugen. Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. A. hat angegeben (Auskunft vom 23.02.2016), der Gesundheitszustand des Klägers habe sich seit September 2014 verschlechtert. Er leide unter Kopfschmerzen, Schwindel, einer ständigen Müdigkeit, Rückenschmerzen, Kreislaufdysregulation, einer inneren Unruhe, Aufregung, Angst, Panikattacken, einer familienbezogenen Störung des Sozialverhaltens, schweren depressiven Episoden mit psychotischen Symptomen und Sensibilitätsstörungen. Den Gesamt-GdB schätze er auf 80. Ärztlicher Direktor der Klinik für Neurologie Prof. Dr. S. hat mitgeteilt (Auskunft vom 03.03.2016), der Kläger sei vom 21.09.2015 bis zum 24.09.2015 stationär in seiner Abteilung wegen plötzlich auftretender Taubheits- und Kribbelmißempfindungen in der linken Gesichtshälfte und im linken Arm und Bein behandelt worden. Der neurologische Befund sei normal gewesen. Die Computertomographie des Kopfes und die MR-Tomographie hätten keine Durchblutungsstörungen, keine Blutungen und keinen Tumor ergeben. Insgesamt sei in den bildgebenden Untersuchungen keine Ursache für die Symptomatik gefunden worden. Die Symptomatik sei leicht und bedeute im Alltag keine relevanten Einschränkungen. PD Dr. J. von der Klink für Urologie hat bekundet (Auskunft vom 11.03.2016), bei dem Kläger sei im Rahmen eines stationären Aufenthaltes eine Blasenspiegelung durchgeführt worden. Die Gewebsuntersuchung habe eine Krebserkrankung ausschließen können. Facharzt für Psychiatrie, Psychotherapie Dr. S. hat angegeben (Auskunft vom 18.05.2016), der Kläger befinde sich seit dem 07.04.2016 in stationärer Behandlung in der psychosomatischen Klinik. Die Rehabilitationsmaßnahme sei vom 11.04.2016 bis 15.04.2016 wegen eines Unfallereignisses unterbrochen worden. Entsprechende Befundberichte lege er bei. Fachärztin für Urologie Dr. H. hat bekundet (Auskunft vom 29.06.2016), urologischerseits bestünden derzeit keine Beeinträchtigungen, diese lägen eher im Bereich der Psyche.

Der Senat hat zur weiteren Aufklärung des medizinischen Sachverhalts Beweis erhoben durch Einholung des nervenärztlichen Gutachtens des Dr. S. vom 19.09.2016, der den Kläger am 01.08.2016 persönlich untersucht hat. Bei dem Kläger bestünden folgende Diagnosen: Depressive Störung, derzeit leicht ausgeprägt sowie ein Alkoholmissbrauch aktuell ohne schwerwiegende Folgeschäden. Auf nervenärztlichen Fachgebiet liege eine Depression vor, welche zusammen mit dem Alkoholmissbrauch einen Teil-GdB von 20 bedinge. Den Gesamt-GdB schätze er auf 60.

Der Senat hat zur weiteren Aufklärung des medizinischen Sachverhalts Befundberichte des Facharztes für Neurochirurgie Dr. K. beigezogen (Bl. 249-258 der Senatsakte), wonach bei dem Kläger ein Sulcus ulnaris-Syndrom links vorliegt, welches am 31.10.2016 operativ behandelt wurde.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Schriftsatz des Beklagten vom 17.11.2016, Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 29.11.2016).

Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhaltes sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Akten des Senats sowie die beigezogenen Akten des SG, auch des Verfahrens S 6 SB 3827/09, und auf einen Band Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat gemäß § 124 Abs. 2 SGG im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte, ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, aber unbegründet.

Der angefochtene Bescheid des LRA vom 26.04.2013 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 19.08.2013, mit welchem bei dem Kläger ein GdB von 80 festgestellt und eine höhere Feststellung abgelehnt worden war, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB von mehr als 80 seit dem 08.04.2013.

Rechtsgrundlage für die vom Kläger begehrte Neufeststellung eines höheren GdB ist § 48 Abs. 1 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X). Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Wesentlich ist eine Änderung dann, wenn sich der GdB um wenigstens 10 erhöht oder vermindert. Im Falle einer solchen Änderung ist der Verwaltungsakt aufzuheben und durch eine zutreffende Bewertung zu ersetzen (vgl. BSG SozR 1300 § 48 SGB X Nr. 29 m.w.N.). Die den einzelnen Behinderungen, welche ihrerseits nicht zum sogenannten Verfügungssatz des Bescheides gehören, zugrunde gelegten Einzel-GdB-Sätze erwachsen nicht in Bindungswirkung (BSG 10.09.1997 - 9 RVs 15/96 -, BSGE 81, 50 bis 54). Hierbei handelt es sich nämlich nur um Bewertungsfaktoren, die wie der hierfür (ausdrücklich) angesetzte Teil-GdB nicht der Bindungswirkung des § 77 SGG unterliegen. Ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, muss durch einen Vergleich des gegenwärtigen Zustands mit dem bindend festgestellten früheren Behinderungszustand ermittelt werden.

Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die GdB-Bewertung sind die Vorschriften des SGB IX. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Die der Zuerkennung eines GdB zugrundeliegende Behinderung wird gemäß § 69 Abs. 1 SGB IX im Hinblick auf deren Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Dabei stellt die Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10.12.2009 (BGBl. I, 2412), den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VG) – wie auch die zuvor geltenden Anhaltspunkte (AHP) - auf funktionelle Beeinträchtigungen ab, die im Allgemeinen zunächst nach Funktions-systemen zusammenfassend (dazu vgl. Teil A Nr. 2 Buchst. e) VG) und die hieraus gebildeten Einzel-GdB (vgl. A Nr. 3a) VG) nach § 69 Abs. 3 SGB IX anschließend in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen sind. Die Feststellung der jeweiligen Einzel-GdB folgt dabei nicht einzelnen Erkrankungen sondern den funktionellen Auswirkungen aller derjenigen Erkrankungen, die ein einzelnes Funktionssystem betreffen.

Die Bemessung des Gesamt-GdB (dazu s. unten) erfolgt nach § 69 Abs. 3 SGB IX. Danach ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel-GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. A Nr. 3 VG). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung der VersMedV einschließlich der VG in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3 3879 § 4 Nr. 5 zu den AHP). Es ist also eine Prüfung vorzunehmen, wie die einzelnen Behinderungen sich zueinander verhalten und ob die Behinderungen in ihrer Gesamtheit ein Ausmaß erreichen, das die Schwerbehinderung bedingt.

Der Senat ist nach eigener Prüfung zu der Überzeugung gelangt, dass die beim Kläger vorliegenden Funktionsbehinderungen in ihrer Gesamtschau seit dem 08.04.2013 jedenfalls keinen höheren Gesamt-GdB als 80 rechtfertigen.

Im Funktionssystem der Haut besteht bei dem Kläger ein Plattenepithelkarzinom am rechten Unterarm (Carcinom spinocellulare), Tumorstadium pT1, NxMxG1. Dies entnimmt der Senat dem Befundbericht des Hautarztes W. vom 18.03.2013 sowie dem histologischen Befund vom 07.03.2013. Nach Teil B Nr. 17.13 der VG ist bei Vorliegen eines malignen Tumors der Haut in den ersten fünf Jahren nach der Entfernung eine Heilungsbewährung abzuwarten, die vorliegend ab der Operation des Klägers am 01.03.2013 (Bericht Dr. W. vom 18.03.2013; Histologie-Bericht PD Dr. K. u. Koll. vom 07.03.2013) beginnt und somit zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats noch andauert. Während dieser Zeit ist nach der Entfernung eines Melanoms im Stadium I ([pT1 bis T2] pN0 M0) ein Teil-GdB von 50 vorgesehen, den der Beklagte auch zutreffend berücksichtigt hat. Ein die Heilungsbewährung verlängerndes Rezidiv mit einen höheren GdB begründendem Tumorstadium ist bislang nicht aufgetreten. Die im Februar 2014 erfolgte Entfernung einer Verwachsung im Nacken (Dr. Z. vom 20.07.2015) erwies sich nach eigenem Vorbringen des Klägers (Schriftsatz des Klägerbevollmächtigten vom 20.01.2015) als nicht kanzerogen.

Im Funktionssystem des Gehirns einschließlich der Psyche leidet der Kläger unter einer depressiven Störung - derzeit leicht ausgeprägt sowie unter einem Alkoholmissbrauch - aktuell ohne schwerwiegende Folgeschäden. Dies entnimmt der Senat dem nervenärztlichen Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. S., der den Kläger am 01.08.2016 persönlich untersucht hat. Nach Teil B Nr. 3.7 der VG sind leichtere psychovegetative oder psychische Störungen mit einem GdB von 0 - 20 zu bewerten. Stärker behindernde Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) bedingen einen GdB von 30 - 40. Schwere Störungen (z.B. schwere Zwangskrankheiten) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten sind mit einem GdB von 50 - 70 zu bewerten.

Bei der Untersuchung durch Dr. S. war der Kläger bewusstseinsklar, örtlich, zeitlich und zur Person orientiert. Der Gedankengang war formal und inhaltlich nicht auffällig, insbesondere lagen keine Hinweise auf eine etwaige psychotische Symptomatik vor. Auch ansonsten ergaben sich keine Hinweise auf eine akute Psychose des schizophrenen oder zyklothymen Formenkreises. Ein höhergradiges hirnorganisches Psychosyndrom lag nicht vor, die mnestischen und intellektuellen Funktionen waren ausreichend. Eine Affektlabilität bestand nicht. Bei der Kontaktaufnahme wirkte der Kläger zunächst etwas dysphorisch, vermochte aber rasch aufzulockern. Er zeigte insgesamt ein eher erhöhtes Mitteilungsbedürfnis, wobei er nicht immer den "roten Faden" zu halten vermochte. Der Kläger berichtete, er habe keinen rechten Antrieb mehr, keine Lust und fühle sich oft frustriert. Selbstvorwürfe, Selbstwertstörungen und negative Zukunftserwartungen waren nicht erfragbar. Der Kläger berichtete nicht über eine mangelnde affektive Schwingungsfähigkeit und zeigte auch im Kontaktverhalten keine zu einer belangvollen Depression korrelierenden wesentlichen Auffälligkeiten. Bei orientierender Prüfung fielen leichte Merkstörungen auf, der Kläger lag aber noch im Normbereich. Dies alles entnimmt der Senat dem Gutachten des Dr. S ... Ein höherer Teil-GdB als 40, wie von dem Beklagten angenommen, lässt sich nach alledem jedenfalls nicht feststellen. Schwere Störungen mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten, die Voraussetzung für die begehrte Feststellung eines Einzel-GdB 50 wären, ergeben sich nicht. Der Kläger ist in der Lage, seinen Alltag und sein Sozialleben zu gestalten und daran auch emotional und geistig teilzuhaben. Nach den Angaben des Klägers im Rahmen der Untersuchung durch Dr. S. steht er etwa um 7:30 Uhr auf und setzt sich an den Computer, wo er auch im Internet lese. Er koche und unternehme Spaziergänge. Den Haushalt erledige er, auch wenn er bestimmte Arbeiten, wie etwa Bügeln, nicht selbst bewältige. Er habe einen kleinen Bekanntenkreis, darunter einen "guten Nachbarn". Vor drei Jahren sei er eine neue Partnerschaft mit einer Frau eingegangen. Diese Beziehung sei stabil. Eine höhere Bewertung ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung einer aufgrund der Angaben des Klägers bei der Untersuchung durch Dr. S. zu vermutenden Alkoholkrankheit. Korrelierende körperlich neurologische Befunde sind – nach dem überzeugenden Gutachten des Dr. S. – allenfalls diskret und nicht funktionsbehindernd ausgeprägt.

Dieses Ergebnis wird auch durch das psychiatrische Zusatzgutachten der Fachärztin für Psychiatrie, Suchtmedizin, Sozialmedizin F. vom 01.09.2015 gestützt, die auf psychiatrischen Fachgebiet von einer leichten Störung und leichten Funktionsbeeinträchtigungen im Alltag ausging. An der Verwertung des Zusatzgutachtens ist der Senat nicht gehindert. Ein Antrag auf Ablehnung wegen der Besorgnis der Befangenheit (§§ 406 Abs. 1 Satz 1, 42 ZPO, § 202 SGG), der im Übrigen nach dem Vorbringen des Klägers auch nur den Hauptgutachter betreffen dürfte, wurde nicht gestellt. Trotz richterlicher Auflage das Vorbringen dahingehend zu konkretisieren, ob ein Befangenheitsantrag gestellt wird, hat der Kläger in seiner Beantwortung der Anfragen (Schriftsätze des Klägerbevollmächtigten vom 20.11.2015 und 07.03.2016) einen ausdrücklichen Befangenheitsantrag nicht formuliert. Ein solcher wäre im Übrigen auch unzulässig. Der Ablehnungsantrag ist nach § 406 Abs. 2 Satz 1 ZPO iVm § 202 SGG vor der Vernehmung des Sachverständigen zu stellen, spätestens jedoch binnen zwei Wochen nach Verkündung oder Zustellung des Beschlusses über die Ernennung. Nachdem sich der Kläger vorliegend auf eine fehlende Distanz des Hauptgutachters Dr. S. beruft, der in einem Unterhaltsverfahren die geschiedene Frau des Klägers begutachtet hatte und dessen Gutachten dort vom Kläger angezweifelt wurde, hätte der Kläger die Umstände für einen Ablehnungsantrag mit der Ernennung des Gutachters Dr. S. erkennen können. Er hat diese jedoch erst nach Übersendung des schriftlichen Gutachtens vorgetragen. Der Senat hat daher das klägerische Vorbringen als bloßen Beitrag zur Beweiswürdigung des Gutachtens von Dr. S. gewertet. Entgegen der Auffassung des Klägers hat der Senat keine Veranlassung, an der Aussagekraft des Gutachtens von Dr. S. zu zweifeln. Der Senat hat keine Anhaltspunkte dafür gewinnen können, dass das Gutachten von sachfremden Erwägungen geprägt ist und nicht von fachlich fundierten Untersuchungsmethoden und allein medizinischer Überzeugungsbildung getragen ist. Der Sachverständige Dr. S. hat in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 18.10.2015 schlüssig und überzeugend dargelegt, dass er aufgrund der unterschiedlichen Nachnamen der geschiedenen Ehefrau des Klägers und des Klägers keine Verbindung mit seiner bereits erfolgten Begutachtung der Ehefrau des Klägers im Unterhaltsprozess bei der Gutachtenserstattung des Klägers gezogen hat. Eine Voreingenommenheit wegen der Vorgutachten im Unterhaltsprozess ist daher nicht naheliegend. Darüber hinaus sind vom Kläger keinerlei Anknüpfungspunkte dafür genannt worden, woraus sich im vorliegenden Gutachten von Dr. S. eine nicht fachmedizinisch geleitete gutachterliche Würdigung ergibt. Soweit der Kläger darauf abstellt, dass der Sachverständige Gesundheitsstörungen, deren Beurteilung nicht in sein medizinisches Fachgebiet falle, bewertet habe, ist diese pauschale Behauptung nicht hinreichend nachvollziehbar gemacht worden. Dr. S. war als Hauptgutachter bestimmt und daher auch dazu berufen, die seitens der Zusatzgutachter auf anderen medizinischen Fachgebieten abgeklärten Gesundheitsstörungen integrierend in einer Gesamtwürdigung zu berücksichtigen, wozu er als Sozialmediziner im besonderem Maße befähigt ist.

Gegen einen höheren Leidensdruck spricht auch, dass eine Behandlung durch Dr. von Z. nach den eigenen Angaben des Klägers lediglich alle drei Monate erfolgt.

Etwas anderes ergibt sich weder aus dem Entlassbericht der V.Klinik vom 01.06.2016, wo sich der Kläger in der Zeit vom 07.04.2016 bis 19.05.2016 in einer stationären Rehabilitationsmaßnahme befand, noch aus der sachverständigen Zeugenauskunft des dortigen Chefarztes Dr. S. vom 18.05.2016. Zwar stellte Dr. S. eine depressive Symptomatik im Sinne einer mittelgradigen depressiven Störung fest (im Unterschied zu Dr. S., der von einer leichtgradigen Symptomatik ausgeht), eine höhere Bewertung des GdB resultiert hieraus jedoch nicht. Insbesondere lassen sich auch aus den Angaben des Dr.S. keine Anhaltspunkte für eine schwere Störung mit mittelgradigen sozialen Anpassungsstörungen ableiten. So zeigten sich Antrieb und Psychomotorik unauffällig, die affektive Schwingungsfähigkeit war vorhanden. Der Kläger berichtete von sozialen Kontakten und konnte Hobbys benennen. Die Teilnahme am gesellschaftlichen Leben wurde lediglich als leicht eingeschränkt beschrieben, es bestünde jedoch familiäre Unterstützung. Dies alles entnimmt der Senat dem Entlassbericht der Vesalius-Klinik.

Auch aus dem Befundbericht des Neurologen und Psychiaters Dr. von Z. vom 20.07.2015 über eine notfallmäßige Untersuchung am gleichen Tag vermag der Senat keine höhere Bewertung des Teil-GdB ableiten. Zwar diagnostizierte Dr. von Z. eine schwere depressive Episode mit psychotischen Symptomen. Entsprechende Befunde ließen sich jedoch bei der annähernd zeitgleichen Untersuchung am 08.06.2015 durch Fachärztin für Psychiatrie F. nicht objektivieren. Sie hat sich außerdem in ihrem Gutachten mit dem ihr nachgereichten Befundbericht vom 20.07.2015 auseinandergesetzt (Seite 15 des Zusatzgutachtens = Bl. 51 der Senatsakte) und gleichwohl an dem von ihr erhobenen hiervon abweichenden psychischen Befund festgehalten. Die von der Sachverständigen dargelegten Aggravationstendenzen finden sich zur Überzeugung des Senats auch in dem Befundbericht von Dr. von Z., in dem u.a. eine seit dem Gerichtsprozess im Oktober 2014 andauernde wechselnden Suizidalität vom Kläger behauptet wird, die in der ausführlichen Beschwerdeanamnese der Sachverständigen F. nicht angeführt wird. Im Gutachten von Dr. S. werden aktuelle Suizidtendenzen verneint und es wird darauf hingewiesen, dass sie auch in den übrigen Angaben nicht zum Tragen gekommen sind. Die Diagnosen und Einschätzung des Schweregrads des psychischen Leidens im Befundbericht von Dr. von Z. waren für den Senat daher nicht überzeugend.

Im Funktionsbereich des Gehirns einschließlich der Psyche leidet der Kläger zudem unter einem Z. n. Apoplex mit Hemiparese links. Dies entnimmt der Senat dem Entlassbericht der Vesalius Klinik vom 01.06.2016 sowie dem Entlassbericht der Klinik für Neurologie vom 24.09.2015. GdB-relevante Einschränkungen ergeben sich hieraus jedoch nicht. Bei der Untersuchung des Klägers durch Dr. S. zeigte sich ein symmetrischer Bulbusstand, keine Lidspaltendifferenz. Die Pupillen waren seitengleich und nicht entrundet, die Okulopupillomotorik intakt. Die Sensibilität im Trigeminusversorgungsbereich war seitengleich, die Kaumuskulatur nicht paretisch. Die Innervation der facialisversorgten Muskulatur war seitengleich intakt, Hinweise für Geschmacksstörungen zeigten sich nicht. Hinweise für systemischen Schwindel fanden sich nicht. Die Muskeldehnungsreflexe waren seitengleich mittellebhaft auslösbar, pathologische Reflexe fanden sich nicht. Es bestanden keine Paresen der Extremitäten oder der Stammmuskulatur. Hinweise auf segmentale Reiz- oder Ausfallerscheinungen lagen nicht vor, das Laségue’sche Zeichen war negativ. Der Finger-Nasen- und Knie-Hackenversuch gelang beidseits zielsicher. Die erschwerten Gehprüfungen gelangen nur eingeschränkt, insgesamt war der Kläger aber auch zum kombinierten Seiltänzer- und Blindgang ausreichend in der Lage. Beim Unterberger’schen und Romberg’schen Versuch zeigte sich kein pathologischer Befund. Dies alles entnimmt der Senat dem Gutachten des Dr. S ... Restfolgen des angegebenen Schlaganfalls liegen mithin nicht vor. Dieses Ergebnis stützt auch die sachverständige Zeugenauskunft des Prof. Dr. S. vom 03.03.2016, der ebenfalls davon ausgeht, dass beim Kläger keine relevanten Einschränkungen im Alltag bestehen.

Vor diesem Hintergrund konnte der Senat für das Funktionssystem des Gehirns einschließlich der Psyche jedenfalls keinen höheren GdB als 40 feststellen.

Im Funktionssystem des Rumpfes, zu dem der Senat die Wirbelsäule einschließlich der Halswirbelsäule zählt, leidet der Kläger unter einem Zervikalsyndrom, degenerativen Veränderungen C5 bis C7, einer pseudoradikulären Ausstrahlung in den linken Arm, einem Morbus Forestier, einem chronischen Lumbalsyndrom, degenerative Veränderungen L3 bis S1, Spondylolyse L 5 links ohne Wirbelgleiten und einer Lumboischialgie links. Dies entnimmt der Senat dem orthopädischen Zusatzgutachten des Facharztes für Orthopädie Dr. H. vom 22.05.2015.

Nach Teil B Nr. 18.9 VG ist bei Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurz dauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) ein GdB von 10, mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) ein GdB von 20, mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) ein GdB von 30 und mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten ein GdB von 30 bis 40 gerechtfertigt.

Bei der Untersuchung durch Dr. H. am 20.05.2015 stand die Wirbelsäule im Lot bei Schulter- und Beckengradstand. Die Halswirbelsäule wurde steilgestellt gehalten. Insgesamt bestand eine leicht vorgebeugte Haltung mit nach vorne hängenden Schultern. Die Brustwirbelsäulenkyphose war leicht vermehrt. Insgesamt zeigte sich das Profil der Wirbelsäule noch physiologisch. Es zeigte sich weder eine Seitausbiegung noch Rotationszeichen an allen Wirbelsäulenabschnitten. Der Langsitz wurde ohne Schmerzangabe beibehalten. Es zeigten sich weder Beckenstauchungs- noch Verwringschmerz. Die Beweglichkeit der Hals- und Lendenwirbelsäule wurde als schmerzhaft angegeben. Beim Vorwärtsbeugen des Rumpfes mit gestreckten Kniegelenken wurde ein Finger-Boden-Abstand von 34 cm erreicht. Die Entfaltung der Dornfortsatzreihe war bei der Re- und Inklination lumbal gering eingeschränkt. Die Rechtsneigung betrug 20 Grad, die Linksneigung ebenfalls 20 Grad. Die Rumpfdrehung betrug rechts und links jeweils 25 Grad. Das Ott’sche Zeichen der Brustwirbelsäule betrug 28,5/30,0/32,0 cm, das Schobersche Zeichen der Lendenwirbelsäule 8,5/10,0/13,0 cm. Es bestanden Muskelverspannungen im Bereich der Brust- und Lendenwirbelsäule und Muskelverhärtungen im Bereich der Rückenstrecker im Bereich des lumbo-sakralen Überganges. Es wurden paravertebral Druckbeschwerden an den Nackenstreckern, in Höhe des cervico-thorakalen Überganges, im Bereich des Kyphosescheitels und über den caudalen Etagen der Lendenwirbelsäule angegeben. Die Röntgenaufnahmen zeigten im Bereich der Halswirbelsäule degenerative Veränderungen in den Etagen C5 bis C7, im Bereich der Brustwirbelsäule spondylotische Veränderungen entsprechend einem Morbus Forestier und im Bereich der Lendenwirbelsäule degenerative Veränderungen in den Etagen L3 bis S1 sowie eine Unterbrechung des linken Wirbelbogen L5 ohne Gleitvorgang. Dies alles entnimmt der Senat dem überzeugenden Gutachten des Dr. H ...

Vor diesem Hintergrund konnte der Senat die Funktionsbeeinträchtigungen im Funktionssystem des Rumpfes mit einem Einzel-GdB von 20 bewerten. Die Funktion der Wirbelsäule ist im Bereich der Hals- und Brustwirbelsäule jeweils geringgradig und im Bereich der Lendenwirbelsäule mittelgradig eingeschränkt. Der Kinn-Sternum-Abstand betrug 19/1 cm (normal 21/1 cm). Das Ott’sche Zeichen wurde mit 30/32,0 cm (normal 30/33 cm) und der Schober-Index mit 10/13,0 cm (normal 10/15 cm) bestimmt. Neurologische Defizite oder Wurzelreizerscheinungen ließen sich weder im Bereich der Hals- noch der Lendenwirbelsäule objektivieren. Auch motorische Ausfälle ließen sich nicht feststellen. Ein höherer Einzel-GdB als 20 ist folglich nicht anzunehmen.

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Entlassungsbericht der V.-Klinik vom 15.04.2016, wo sich der Kläger vom 11.04.2016 bis 15.04.2016 wegen traumatischer Kompressionsfrakturen LWK 1 und 2 bei Z. n. Sturz am 11.04.2016 in Behandlung befunden hat. Bei der Entlassung waren die Stand- und Gangvaria beidseits oder monopedal durchführbar. Ein Anhalt für sensomotorische Defizite der unteren Extremitäten bestand nicht. Zentral neurologische Auffälligkeiten wurden nicht festgestellt. Unter dem Therapieregime kam es zu einem Rückgang der Beschwerden sowie zu einer Verbesserung der Mobilität, insbesondere bei alltäglich notwenigen Aktivitäten. Eine OP-Indikation bestand nicht. Dauerhafte Funktionsbeeinträchtigungen durch die Kompressionsfrakturen lassen sich aus dem Entlassbericht nach alledem nicht herleiten.

Im Funktionssystem der Arme leidet der Kläger unter einem Sulcus ulnaris-Syndrom links. Dies entnimmt der Senat sowohl dem Gutachten des Dr. S. sowie dem Befundbericht des Facharztes für Neurochirurgie Dr. K. vom 02.11.2016. Eine GdB-relevante Störung ergibt sich hieraus jedoch nicht. Eine entsprechende Beeinträchtigung wurde erstmals bei der Untersuchung durch Dr. S. am 01.08.2016 festgestellt. Insbesondere im Hinblick auf die am 31.10.2016 durch Dr. K. durchgeführte Operation ist nicht davon auszugehen, dass der Zustand des Klägers für länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht. Ein Einzel-GdB für das Funktionssystem der Arme ist daher nicht festzustellen.

Weitere GdB-relevante Gesundheitsstörungen konnte der Senat ebenfalls nicht feststellen. Dies gilt auch für das Funktionssystem der Harnorgane. Fachärztin für Urologie Dr. H. hat insoweit mitgeteilt (Aussage vom 29.06.2016), dass urologischerseits keine Beeinträchtigungen vorliegen. Auch die im Funktionssystem der Beine bestehenden Senk- und Spreizfußverbildungen bedingen nach Angabe des Dr. H. nur eine mäßig ausgeprägte Fehlstatik und sind daher nicht GdB-relevant.

Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt. Der Senat hält weitere Ermittlungen nicht für erforderlich. Die vorliegenden ärztlichen Unterlagen haben mit den sachverständigen Zeugenauskünften und den Gutachten dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs. 1 ZPO). Denn der festgestellte medizinische Sachverhalt bietet die Basis für die alleine vom Senat vorzunehmende rechtliche Bewertung des GdB unter Einschluss der Bewertung der sich zwischen den einzelnen Erkrankungen und Funktionsbehinderungen ergebenden Überschneidungen und Wechselwirkungen.

Nach Würdigung aller Umstände ist der Senat davon überzeugt, dass unter Zugrundelegung der oben dargestellten Grundsätze bei dem Kläger ein höherer GdB als 80 nicht in Betracht kommt.

Soweit im Gutachten von Dr. S. unter Berücksichtigung der Zusatzgutachten auf nervenärztlichem und orthopädischem Gebiet der Gesamt-GdB mit 60 seit April 2013 eingeschätzt wird, ist dies im vorliegenden Rechtsstreit durch den Senat nicht weiter zu erörtern. Der streitgegenständliche Bescheid des Beklagten vom 26.04.2013 hat für den Kläger bestandskräftig einen GdB 80 festgestellt. Entscheidungserheblich ist, dass ein höherer GdB sich auch aus dem Gutachten von Dr. S. nicht ergibt.

Der Gerichtsbescheid des SG sowie die angefochtenen Bescheide sind nicht rechtswidrig, der Kläger wird nicht in seinen Rechten verletzt.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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