Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 3 U 38/09
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 9 U 111/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 2 U 37/17 B
Datum
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Beklagte hat 1/4 der außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten sich über die Anerkennung von Berufskrankheiten nach der Nr. 2108 und Nr. 2110 der Anlage 1 der Berufskrankheitenverordnung (BKV).
Der 1967 geborene Kläger war in der Zeit vom 01.08.1984 bis zum 01.04.1986 als Zimmerer bei der Firma C. in C-Stadt beschäftigt. Seit 1988 war der Kläger als Kraftfahrer bzw. Müllwerker und -fahrer tätig bei verschiedenen Firmen:
Datum Betrieb
15.11.1988 – 28.02.1991 D. Entsorgungs-GmbH
01.04.1992 – 19.06.1992 F. GmbH
16.07.1992 – 06.12.1993 F. G.
01.02.1994 – 31.12.1995 AEV F. H Abfall-Entsorgung und Verwertungsgesellschaft mbH
01.01.1996 – 30.11.1999 WMD I. & J., Niederlassung A-Stadt
24.01.2000 – 30.09.2000 K. GmbH
23.10.2000 – 22.10.2001 L. Süd-West eG
16.04.2002 – 15.04.2003 M. GmbH
16.04.2003 – 15.04.2004 N. Städtereinigung GmbH & Co. KG
Nachdem der Kläger am 23.01.2008 telefonisch bei der Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltungen, der Rechtsvorgängerin der Beklagten, eine Erkrankung der Lendenwirbelsäule angezeigt hatte, begann diese ein entsprechendes Feststellungsverfahren. Es wurden u.a. Berichte über CT-Aufnahmen beigezogen, aus denen sich ein Nachweis eines linksmediolateral betonten Bandscheibenvorfalls im Segment LWK4/5 ergab. Nachdem der beratende Arzt Dr. O. in seiner Stellungnahme von 16.03.2008 ein belastungskonformes Schadensbild nicht erkennen konnte und eine berufsbedingte Verursachung der Bandscheibenerkrankung auch unter Berücksichtigung der beruflichen Anamnese nicht für wahrscheinlich hielt, lehnte die Beklagten mit Bescheid vom 19.03.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.01.2009 die Feststellung einer Berufskrankheit nach den Nummern 2108 oder 2110 der BKV ab.
Dagegen hat der Kläger am 09.03.2009 Klage zum Sozialgericht Darmstadt erhoben. Zur Sachverhaltsaufklärung von Amts wegen hat die Kammer die in der Gerichtsakte zum Rentenverfahren des Klägers mit dem Aktenzeichen befindlichen medizinischen Gutachten beigezogen sowie ein Sachverständigengutachten bei dem Orthopäden und Sozialmediziner Dr. P. in Auftrag gegeben. Der Sachverständige hat nach Erhalt des Gutachtenauftrags mitgeteilt, dass er eine Ermittlung der Arbeitsplatzbelastungen hinsichtlich der geltend gemachten Berufskrankheiten entsprechend dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) für erforderlich halte. Diese Ermittlungen hat die Beklagte im Folgenden vorgelegt unter Einbeziehung ihres Präventionsdienstes, des Präventionsdienstes der für die Tätigkeiten des Klägers für die R. Personal-Leasing GmbH zuständigen Verwaltungs-BG (VBG), des Präventionsdienstes der Berufsgenossenschaft Handel- und Warendistribution (BGHW; für die Tätigkeiten des Klägers für die Firma S. Süd-West eG und die T. GmbH) und des Präventionsdienstes der Berufsgenossenschaft Holz und Metall (BGHM; für die Tätigkeit des Klägers bei der Firma U.). Insgesamt ergab sich nach dem MDD eine Lebensbelastungsdosis des Klägers von 21,3 MNh. In seinem Sachverständigengutachten vom 15.02.2012 hat der Sachverständige Dr. D. daraufhin als Gesundheitsbeeinträchtigung bei dem Kläger festgestellt:
1. "Wiederkehrendes Lendenwirbelsäulensyndrom mit lumboischialgieformer Schmerz- und Reizsymptomatik bei kernspintomographisch nachgewiesenem Bandscheibenvorfall in Höhe L4/5 ohne wesentliche knöcherne Begleitreaktion in Form einer Spondylosenbildung mit Wirbelgelenksverschleißveränderungen in Höhe L4/5, L5/S1 sowie Kreuzdarmbeinfugenasymmetrie leichtgradig zu Ungunsten links, leichtgradige Lendenwirbelsäulenseitverbiegung linksseitig mit korrespondierenden thorakolumbalen Gegenschwung rechtsseitig.
2. Initiale Verschleißveränderungen der untern Halswirbelsäule der Etage C6/7 klinisch kompensiert."
Der Sachverständige hat eine Berufskrankheit zur Anerkennung vorgeschlagen, weil bei dem Kläger ein mehr als deutliches Überschreiten des hälftigen Richtwertes von 12,5 MNh vorliege sowie konkurrierende Ursachen fehlten. Nach Einwänden der Beklagten bzw. ihres Präventionsdienstes dagegen hat der Sachverständige in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 31.01.2013 an seiner Auffassung festgehalten mit der Begründung, dass bei dem Kläger ein bandscheibenbedingter Schaden mit Ausmaß einer Chondrose Grad II in der Etage L4/5 vorliege und seines Erachtens unter Auswertung der Belastungsermittlungen zumindest eine B2-Konstellation nach den Konsensempfehlungen vorliege. Nach erneuter Kritik hieran hat der Sachverständige zuletzt mit einer ergänzenden Stellungnahme vom 15.03.2013 ausgeführt, dass "in Anbetracht der Gesamtanamnese, fehlenden konkurrierenden Faktoren und der durchaus diskussionswürdigen Belastungsermittlung ( ) eine berufsbedingte Bandscheibenerkrankung durchaus vorliegen könnte" (Zitat).
Auf Veranlassung der Kammer hat der Präventionsdienst der Beklagten eine erneute MDD-Berechnung unter Zugrundelegung eines Mülltonnengewichtes vo 50 kg vorgenommen, nachdem die zunächst erfolgte Berechnung ein Gewicht von 25 kg zu Grunde gelegt hatte. Dadurch erhöhte sich die Gesamtbelastungsdosis der von der Beklagten zu beurteilenden Beschäftigungszeiträume vom 14,6 auf 20,2 MNh.
Der Kläger vertritt die Auffassung, dass aufgrund seiner beruflichen Belastungen, insbesondere in der Zeit als Müllwerker und -fahrer, die Voraussetzungen für die Feststellung einer Wirbelsäulenberufskrankheit gegeben seien.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 19.03.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.01.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, bei ihm eine Berufskrankheit nach der Nr. 2108 und / oder Nr. 2110 der Berufskrankheitenverordnung festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte stützt sich auf die Ermittlungen der Präventionsdienste und vertritt die Auffassung, dass keine der Zusatzkriterien in den Konsensempfehlungen zu der Konstellation B2 vorliege und insoweit eine berufliche Verursachung der Bandscheibenerkrankung nicht wahrscheinlich sei.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten, auch im Hinblick auf das Vorbringen der Beteiligten, wird auf die Gerichts- und der Beklagtenakten verwiesen, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid vom 19.03.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.01.2009 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung einer Berufskrankheit nach der Nr. 2108 oder Nr. 2110 der Anlage 1 zur BKV.
Berufskrankheiten sind nach § 9 Abs. 1 S. 1 SGB VII Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden.
In der Anlage 1 zur BKV sind unter Nr. 2108 bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können, als Berufskrankheiten bezeichnet.
Voraussetzung für die Feststellung jeder Erkrankung als Berufskrankheit ist, dass die versicherte Tätigkeit, die schädigenden Einwirkungen sowie die Erkrankung, für die Entschädigungsleistungen beansprucht werden, im Sinne des Vollbeweises nachgewiesen sind. Dazu ist erforderlich, dass eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit vorliegt, wonach kein vernünftiger Mensch mehr am Vorliegen der genannten Tatbestandsmerkmale zweifelt.
Zur Anerkennung einer Berufskrankheit muss zudem ein doppelter ursächlicher Zusammenhang bejaht werden. Die gesundheitsgefährdende schädigende Einwirkung muss ursächlich auf die versicherte Tätigkeit zurückzuführen sein (sog. haftungsbegründende Kausalität) und diese Einwirkung muss die als Berufskrankheit zur Anerkennung gestellte Krankheit verursacht haben (sog. haftungsausfüllende Kausalität). Für den Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkungen und Erkrankungen gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05). Die Theorie der wesentlichen Bedingung basiert auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie, nach der Ursache eines Erfolges jedes Ereignis ist, das nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (sog. condicio sine qua non). Aufgrund der Unbegrenztheit der Bedingungstheorie werden im Sozialrecht als rechtserheblich aber nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. "Wesentlich" ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die anderen Ursachen keine überragende Bedeutung haben. Als Beweismaßstab genügt für den Ursachenzusammenhang statt des Vollbeweises die Wahrscheinlichkeit, d.h., dass bei vernünftiger Abwägung aller für und gegen den Zusammenhang sprechenden Umstände die für den Zusammenhang sprechenden Erwägungen so stark überwiegen müssen, dass die dagegen sprechenden billigerweise für die Bildung und Rechtfertigung der richterlichen Überzeugung außer Betracht bleiben können. Der Ursachenzusammenhang ist jedoch nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (vgl. LSG Hessen, Urteil vom 27.03.2011, L 3 U 81/11 m.w.N.).
Zur Überzeugung der Kammer steht unter Berücksichtigung der soeben aufgeführten Kriterien fest, dass bei dem Kläger die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 der BKV nicht vorliegen.
Zwar sind die versicherte Tätigkeit, die schädigenden Einwirkungen sowie die Erkrankung, für die Entschädigungsleistungen beansprucht werden, im Sinne des Vollbeweises nachgewiesen. Der Kläger war nach seiner beruflichen Tätigkeit gemäß § 2 Abs.1 SGB VII als Beschäftigter versichert und währenddessen gefährdenden Tätigkeiten im Sinne der BK 2108 ausgesetzt. Er erfüllt unter Berücksichtigung der vom Bundessozialgericht in dessen Urteil vom 30. Oktober 2007 (B 2 U 4/06 R) dazu festgesetzten Richtwerte die sogenannten arbeitstechnischen Voraussetzungen mit einer von der Beklagten bzw. den Präventionsdiensten errechneten MDD-Gesamtdosis von über 20 MNh. Auch die Erkrankungen, für die der Kläger Entschädigungsleistungen beansprucht, nämlich ein Bandscheibenvorfall in Höhe L4/5 mit Wirbelgelenksverschleißveränderungen in Höhe L4/5, L5/S1 sind nachgewiesen.
Nach Auffassung der Kammer sind die bei dem Kläger an der LWS vorliegenden Bandscheibenerkrankungen jedoch nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die physikalischen Einwirkungen zurückzuführen, denen er während seines Berufslebens ausgesetzt gewesen ist. Als wissenschaftliche Grundlage für die Beurteilung des Ursachenzusammenhangs bei der BK 2108 legt die Kammer die Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung der auf Anregung des Hauptverbandes der Berufsgenossenschaften (HVBG) eingerichteten interdisziplinären Arbeitsgruppe ("Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule", Bolm-Audorff, Franz, Grosser, Schröter, Seidler u.a., Trauma und Berufskrankheit 2005, S. 211 ff.) zugrunde. In den Konsensempfehlungen werden typische Fallkonstellationen definiert und die Einschätzung der Experten zur Beurteilung des Ursachenzusammenhangs entsprechend der jeweiligen Befundkonstellation wiedergegeben.
Im vorliegenden Fall ist die Konstellation B 3 der Konsensempfehlungen gegeben, bei der ein Zusammenhang als nicht wahrscheinlich beurteilt werden muss.
Für sämtliche B-Konstellationen wird nach den Konsensempfehlungen vorausgesetzt, dass die gesicherte bandscheibenbedingte Erkrankung nach ihrer Lokalisation die Segmente L5/S1 und/oder L4/L5 betrifft und eine Ausprägung als Chondrose Grad II oder höher und/oder Vorfall hat. Für sämtliche Fallkonstellationen nach den Konsensempfehlungen wird im Übrigen als Grundvoraussetzung für die Anerkennung eines Ursachenzusammenhanges zwischen Erkrankung und beruflicher Belastung verlangt, dass die berufliche Belastung eine plausible zeitliche Korrelation zur Entwicklung der bandscheibenbedingten Erkrankung aufweist ("z.B. ausreichende Exposition muss der Erkrankung vorausgehen; Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs nimmt mit der Länge des Zeitraums zwischen Ende der Exposition und erstmaliger Diagnose der Erkrankung ab"). Bei bereits länger zurückliegender Aufgabe der belastenden Tätigkeit ist nach den Konsensempfehlungen der Befund zum Zeitpunkt der belastenden Tätigkeit wegweisend.
Der bei dem Kläger festgestellt Befund am Segment L4/5 erfüllt die Grundvoraussetzung. Es liegt jedoch keine Konstellation B1 vor, die eine Begleitspondylose (Randzackenbildung an den Wirbelkörpern) voraussetzt. Nach den insoweit überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. D. liegt im Falle des Klägers keine Begleitspondylose vor. Die hier zu berücksichtigende Bandscheibenerkrankung erfüllt auch nicht die Voraussetzungen der Konstellation B2. Bei dieser Konstellation fehlt die Begleitspondylose und der Zusammenhang wird nur dann als wahrscheinlich angesehen, wenn mindestens eines der dort genannten drei Zusatzkriterien erfüllt ist. Die Zusatzkriterien "besonders intensive Belastung" und "besonderes Gefährdungspotential" liegen hier nicht vor. Die Kammer stützt sich für diese Feststellung auf die ausführlich dokumentierten und überzeugenden MDD-Berechnungen und Ausführungen der herangezogenen Präventionsdienste der Berufsgenossenschaften. Den Richtwert für die Lebensdosis von 25 MNh hat der Kläger nicht in weniger als 10 Jahren erreicht. Der TAD der Beklagten hat in seiner Stellungnahme vom 05.08.2013 nachvollziehbar ausgeführt, dass der Kläger innerhalb von 8,1 Jahren nur eine Gesamtbelastungsdosis von 16,5 MNh erreicht hat. Diesem Wert liegt bereits ein Mülltonnengewicht von 50 kg zugrunde. Auch lassen die Ausführungen der Präventionsdienste kein besonderes Gefährdungspotential durch hohe Belastungsspitzen erkennen, selbst wenn man das Mülltonnengewicht von 50 kg zugrunde legt. Wenn Dr. D. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 31.01.2013 gleichwohl die Zusatzkriterien "besonders intensive Belastung" und "besonderes Gefährdungspotential" annimmt, verkennt er die insoweit klaren Aussagen des Präventionsdienstes der Beklagten. Zudem scheint er für das Zusatzkriterium "besonders intensive Belastung" den hälftigen Grenzwert für die Lebensdosis als ausreichend anzusehen. Dabei verlässt er sein medizinisches Fachgebiet und überträgt unreflektiert die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 30.10.2007, B 2 U 4/06 R) auf dieses Zusatzkriterium in der Konstellation B 2. Das Bundessozialgericht hat in der genannten Entscheidung argumentiert, dass es eines Sicherheitsabschlages bedarf, wenn die Gesamtbelastungsdosis als Ausschlusskriterium für das Vorliegen einer BK 2108 verwendet werden soll. In der Konstellation B 2 wird die Gesamtbelastungsdosis jedoch gerade nicht als Ausschlusskriterium herangezogen, sondern sie stellt eines von mehreren Elementen zur Beurteilung des Ursachenzusammenhangs dar. Ein Sicherheitsabschlag bzw. eine Halbierung ist daher nicht angezeigt (vgl. dazu auch Bayerisches LSG, Urteil vom 31.01.2013, L 17 U 244/06; Revision anhängig B 2 U 6/13 R). Auch das weiter Zusatzkriterium für die Konstellation B 2 "Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben – bei monosegmentaler/m Chondrose/Vorfall in L5/S1 oder L4/L5 "black disc" im MRT in mindestens 2 angrenzenden Segmenten" ist nicht erfüllt. Dieses folgt aus dem insoweit überzeugenden Sachverständigengutachten von Dr. D. Da keines der Zusatzkriterien der Konstellation B 2 vorliegt, ist die bei dem Kläger festgestellte bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS der Konstellation B3 zuzuordnen. Bei dieser Konstellation bestand bezüglich der Beurteilung des Zusammenhangs kein Konsens unter den Teilnehmern der Arbeitsgruppe. Die Kammer hält bei dieser Konstellation grundsätzlich den Zusammenhang nicht für wahrscheinlich, da für ihn die Argumente der Mitautoren der Konsensempfehlungen überzeugender sind, die der Begleitspondylose als Positivkriterium maßgebliche Bedeutung beimessen und nach denen ihr Fehlen in der Konstellation B3 gegen eine Expositionsabhängigkeit der bandscheibenbedingten Erkrankung spricht (vgl. ständige Rechtsprechung des Hessischen LSG, etwa LSG Hessen, Urteil vom 27.03.2011, L 3 U 81/11).
Die Feststellung der Berufskrankheit Nr. 2110 der Anlage 1 zur BKV war ebenfalls abzulehnen. In der Anlage 1 zur BKV sind unter Nr. 2110 bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS durch langjährige, vorwiegend vertikale Einwirkungen von Ganzkörperschwingungen im Sitzen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können, als Berufskrankheiten bezeichnet. Zur Überzeugung der Kammer liegen die Voraussetzungen für die Feststellung dieser Berufskrankheit bei dem Kläger nicht vor. Auf die oben zur BK 2108 angeführten Ausführungen, insbesondere zum Ursachenzusammenhang, wird verwiesen. Aus den nachvollziehbaren Ausführungen der Präventionsdienste der Beklagten und der Beigeladenen geht zudem hervor, dass der Kläger keine gefährdende Tätigkeit nach der BK 2110 ausgeübt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Durch die fehlenden Ermittlungen des Präventionsdienstes der Beklagten zur Arbeitsbelastung des Klägers und entsprechenden Berechnung nach dem MDD im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren hat die Beklagte jedenfalls teilweise Veranlassung zur Klageerhebung gegeben. Daher ist es für die Kammer sachgerecht, die Beklagte teilweise, mit einem Viertel, mit der Kostentragung zu belasten. Darüber hinaus findet keine Kostenerstattung unter den Beteiligten statt.
2. Die Beklagte hat 1/4 der außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten sich über die Anerkennung von Berufskrankheiten nach der Nr. 2108 und Nr. 2110 der Anlage 1 der Berufskrankheitenverordnung (BKV).
Der 1967 geborene Kläger war in der Zeit vom 01.08.1984 bis zum 01.04.1986 als Zimmerer bei der Firma C. in C-Stadt beschäftigt. Seit 1988 war der Kläger als Kraftfahrer bzw. Müllwerker und -fahrer tätig bei verschiedenen Firmen:
Datum Betrieb
15.11.1988 – 28.02.1991 D. Entsorgungs-GmbH
01.04.1992 – 19.06.1992 F. GmbH
16.07.1992 – 06.12.1993 F. G.
01.02.1994 – 31.12.1995 AEV F. H Abfall-Entsorgung und Verwertungsgesellschaft mbH
01.01.1996 – 30.11.1999 WMD I. & J., Niederlassung A-Stadt
24.01.2000 – 30.09.2000 K. GmbH
23.10.2000 – 22.10.2001 L. Süd-West eG
16.04.2002 – 15.04.2003 M. GmbH
16.04.2003 – 15.04.2004 N. Städtereinigung GmbH & Co. KG
Nachdem der Kläger am 23.01.2008 telefonisch bei der Berufsgenossenschaft für Fahrzeughaltungen, der Rechtsvorgängerin der Beklagten, eine Erkrankung der Lendenwirbelsäule angezeigt hatte, begann diese ein entsprechendes Feststellungsverfahren. Es wurden u.a. Berichte über CT-Aufnahmen beigezogen, aus denen sich ein Nachweis eines linksmediolateral betonten Bandscheibenvorfalls im Segment LWK4/5 ergab. Nachdem der beratende Arzt Dr. O. in seiner Stellungnahme von 16.03.2008 ein belastungskonformes Schadensbild nicht erkennen konnte und eine berufsbedingte Verursachung der Bandscheibenerkrankung auch unter Berücksichtigung der beruflichen Anamnese nicht für wahrscheinlich hielt, lehnte die Beklagten mit Bescheid vom 19.03.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.01.2009 die Feststellung einer Berufskrankheit nach den Nummern 2108 oder 2110 der BKV ab.
Dagegen hat der Kläger am 09.03.2009 Klage zum Sozialgericht Darmstadt erhoben. Zur Sachverhaltsaufklärung von Amts wegen hat die Kammer die in der Gerichtsakte zum Rentenverfahren des Klägers mit dem Aktenzeichen befindlichen medizinischen Gutachten beigezogen sowie ein Sachverständigengutachten bei dem Orthopäden und Sozialmediziner Dr. P. in Auftrag gegeben. Der Sachverständige hat nach Erhalt des Gutachtenauftrags mitgeteilt, dass er eine Ermittlung der Arbeitsplatzbelastungen hinsichtlich der geltend gemachten Berufskrankheiten entsprechend dem Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) für erforderlich halte. Diese Ermittlungen hat die Beklagte im Folgenden vorgelegt unter Einbeziehung ihres Präventionsdienstes, des Präventionsdienstes der für die Tätigkeiten des Klägers für die R. Personal-Leasing GmbH zuständigen Verwaltungs-BG (VBG), des Präventionsdienstes der Berufsgenossenschaft Handel- und Warendistribution (BGHW; für die Tätigkeiten des Klägers für die Firma S. Süd-West eG und die T. GmbH) und des Präventionsdienstes der Berufsgenossenschaft Holz und Metall (BGHM; für die Tätigkeit des Klägers bei der Firma U.). Insgesamt ergab sich nach dem MDD eine Lebensbelastungsdosis des Klägers von 21,3 MNh. In seinem Sachverständigengutachten vom 15.02.2012 hat der Sachverständige Dr. D. daraufhin als Gesundheitsbeeinträchtigung bei dem Kläger festgestellt:
1. "Wiederkehrendes Lendenwirbelsäulensyndrom mit lumboischialgieformer Schmerz- und Reizsymptomatik bei kernspintomographisch nachgewiesenem Bandscheibenvorfall in Höhe L4/5 ohne wesentliche knöcherne Begleitreaktion in Form einer Spondylosenbildung mit Wirbelgelenksverschleißveränderungen in Höhe L4/5, L5/S1 sowie Kreuzdarmbeinfugenasymmetrie leichtgradig zu Ungunsten links, leichtgradige Lendenwirbelsäulenseitverbiegung linksseitig mit korrespondierenden thorakolumbalen Gegenschwung rechtsseitig.
2. Initiale Verschleißveränderungen der untern Halswirbelsäule der Etage C6/7 klinisch kompensiert."
Der Sachverständige hat eine Berufskrankheit zur Anerkennung vorgeschlagen, weil bei dem Kläger ein mehr als deutliches Überschreiten des hälftigen Richtwertes von 12,5 MNh vorliege sowie konkurrierende Ursachen fehlten. Nach Einwänden der Beklagten bzw. ihres Präventionsdienstes dagegen hat der Sachverständige in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 31.01.2013 an seiner Auffassung festgehalten mit der Begründung, dass bei dem Kläger ein bandscheibenbedingter Schaden mit Ausmaß einer Chondrose Grad II in der Etage L4/5 vorliege und seines Erachtens unter Auswertung der Belastungsermittlungen zumindest eine B2-Konstellation nach den Konsensempfehlungen vorliege. Nach erneuter Kritik hieran hat der Sachverständige zuletzt mit einer ergänzenden Stellungnahme vom 15.03.2013 ausgeführt, dass "in Anbetracht der Gesamtanamnese, fehlenden konkurrierenden Faktoren und der durchaus diskussionswürdigen Belastungsermittlung ( ) eine berufsbedingte Bandscheibenerkrankung durchaus vorliegen könnte" (Zitat).
Auf Veranlassung der Kammer hat der Präventionsdienst der Beklagten eine erneute MDD-Berechnung unter Zugrundelegung eines Mülltonnengewichtes vo 50 kg vorgenommen, nachdem die zunächst erfolgte Berechnung ein Gewicht von 25 kg zu Grunde gelegt hatte. Dadurch erhöhte sich die Gesamtbelastungsdosis der von der Beklagten zu beurteilenden Beschäftigungszeiträume vom 14,6 auf 20,2 MNh.
Der Kläger vertritt die Auffassung, dass aufgrund seiner beruflichen Belastungen, insbesondere in der Zeit als Müllwerker und -fahrer, die Voraussetzungen für die Feststellung einer Wirbelsäulenberufskrankheit gegeben seien.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 19.03.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.01.2009 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, bei ihm eine Berufskrankheit nach der Nr. 2108 und / oder Nr. 2110 der Berufskrankheitenverordnung festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte stützt sich auf die Ermittlungen der Präventionsdienste und vertritt die Auffassung, dass keine der Zusatzkriterien in den Konsensempfehlungen zu der Konstellation B2 vorliege und insoweit eine berufliche Verursachung der Bandscheibenerkrankung nicht wahrscheinlich sei.
Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.
Wegen der weiteren Einzelheiten, auch im Hinblick auf das Vorbringen der Beteiligten, wird auf die Gerichts- und der Beklagtenakten verwiesen, deren Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Der Bescheid vom 19.03.2008 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 30.01.2009 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung einer Berufskrankheit nach der Nr. 2108 oder Nr. 2110 der Anlage 1 zur BKV.
Berufskrankheiten sind nach § 9 Abs. 1 S. 1 SGB VII Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden.
In der Anlage 1 zur BKV sind unter Nr. 2108 bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können, als Berufskrankheiten bezeichnet.
Voraussetzung für die Feststellung jeder Erkrankung als Berufskrankheit ist, dass die versicherte Tätigkeit, die schädigenden Einwirkungen sowie die Erkrankung, für die Entschädigungsleistungen beansprucht werden, im Sinne des Vollbeweises nachgewiesen sind. Dazu ist erforderlich, dass eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit vorliegt, wonach kein vernünftiger Mensch mehr am Vorliegen der genannten Tatbestandsmerkmale zweifelt.
Zur Anerkennung einer Berufskrankheit muss zudem ein doppelter ursächlicher Zusammenhang bejaht werden. Die gesundheitsgefährdende schädigende Einwirkung muss ursächlich auf die versicherte Tätigkeit zurückzuführen sein (sog. haftungsbegründende Kausalität) und diese Einwirkung muss die als Berufskrankheit zur Anerkennung gestellte Krankheit verursacht haben (sog. haftungsausfüllende Kausalität). Für den Ursachenzusammenhang zwischen Einwirkungen und Erkrankungen gilt die Theorie der wesentlichen Bedingung (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006, B 2 U 1/05). Die Theorie der wesentlichen Bedingung basiert auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie, nach der Ursache eines Erfolges jedes Ereignis ist, das nicht hinweg gedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (sog. condicio sine qua non). Aufgrund der Unbegrenztheit der Bedingungstheorie werden im Sozialrecht als rechtserheblich aber nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. "Wesentlich" ist nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die anderen Ursachen keine überragende Bedeutung haben. Als Beweismaßstab genügt für den Ursachenzusammenhang statt des Vollbeweises die Wahrscheinlichkeit, d.h., dass bei vernünftiger Abwägung aller für und gegen den Zusammenhang sprechenden Umstände die für den Zusammenhang sprechenden Erwägungen so stark überwiegen müssen, dass die dagegen sprechenden billigerweise für die Bildung und Rechtfertigung der richterlichen Überzeugung außer Betracht bleiben können. Der Ursachenzusammenhang ist jedoch nicht schon dann wahrscheinlich, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (vgl. LSG Hessen, Urteil vom 27.03.2011, L 3 U 81/11 m.w.N.).
Zur Überzeugung der Kammer steht unter Berücksichtigung der soeben aufgeführten Kriterien fest, dass bei dem Kläger die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 2108 der Anlage 1 der BKV nicht vorliegen.
Zwar sind die versicherte Tätigkeit, die schädigenden Einwirkungen sowie die Erkrankung, für die Entschädigungsleistungen beansprucht werden, im Sinne des Vollbeweises nachgewiesen. Der Kläger war nach seiner beruflichen Tätigkeit gemäß § 2 Abs.1 SGB VII als Beschäftigter versichert und währenddessen gefährdenden Tätigkeiten im Sinne der BK 2108 ausgesetzt. Er erfüllt unter Berücksichtigung der vom Bundessozialgericht in dessen Urteil vom 30. Oktober 2007 (B 2 U 4/06 R) dazu festgesetzten Richtwerte die sogenannten arbeitstechnischen Voraussetzungen mit einer von der Beklagten bzw. den Präventionsdiensten errechneten MDD-Gesamtdosis von über 20 MNh. Auch die Erkrankungen, für die der Kläger Entschädigungsleistungen beansprucht, nämlich ein Bandscheibenvorfall in Höhe L4/5 mit Wirbelgelenksverschleißveränderungen in Höhe L4/5, L5/S1 sind nachgewiesen.
Nach Auffassung der Kammer sind die bei dem Kläger an der LWS vorliegenden Bandscheibenerkrankungen jedoch nicht mit Wahrscheinlichkeit auf die physikalischen Einwirkungen zurückzuführen, denen er während seines Berufslebens ausgesetzt gewesen ist. Als wissenschaftliche Grundlage für die Beurteilung des Ursachenzusammenhangs bei der BK 2108 legt die Kammer die Konsensempfehlungen zur Zusammenhangsbegutachtung der auf Anregung des Hauptverbandes der Berufsgenossenschaften (HVBG) eingerichteten interdisziplinären Arbeitsgruppe ("Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule", Bolm-Audorff, Franz, Grosser, Schröter, Seidler u.a., Trauma und Berufskrankheit 2005, S. 211 ff.) zugrunde. In den Konsensempfehlungen werden typische Fallkonstellationen definiert und die Einschätzung der Experten zur Beurteilung des Ursachenzusammenhangs entsprechend der jeweiligen Befundkonstellation wiedergegeben.
Im vorliegenden Fall ist die Konstellation B 3 der Konsensempfehlungen gegeben, bei der ein Zusammenhang als nicht wahrscheinlich beurteilt werden muss.
Für sämtliche B-Konstellationen wird nach den Konsensempfehlungen vorausgesetzt, dass die gesicherte bandscheibenbedingte Erkrankung nach ihrer Lokalisation die Segmente L5/S1 und/oder L4/L5 betrifft und eine Ausprägung als Chondrose Grad II oder höher und/oder Vorfall hat. Für sämtliche Fallkonstellationen nach den Konsensempfehlungen wird im Übrigen als Grundvoraussetzung für die Anerkennung eines Ursachenzusammenhanges zwischen Erkrankung und beruflicher Belastung verlangt, dass die berufliche Belastung eine plausible zeitliche Korrelation zur Entwicklung der bandscheibenbedingten Erkrankung aufweist ("z.B. ausreichende Exposition muss der Erkrankung vorausgehen; Wahrscheinlichkeit des Ursachenzusammenhangs nimmt mit der Länge des Zeitraums zwischen Ende der Exposition und erstmaliger Diagnose der Erkrankung ab"). Bei bereits länger zurückliegender Aufgabe der belastenden Tätigkeit ist nach den Konsensempfehlungen der Befund zum Zeitpunkt der belastenden Tätigkeit wegweisend.
Der bei dem Kläger festgestellt Befund am Segment L4/5 erfüllt die Grundvoraussetzung. Es liegt jedoch keine Konstellation B1 vor, die eine Begleitspondylose (Randzackenbildung an den Wirbelkörpern) voraussetzt. Nach den insoweit überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Dr. D. liegt im Falle des Klägers keine Begleitspondylose vor. Die hier zu berücksichtigende Bandscheibenerkrankung erfüllt auch nicht die Voraussetzungen der Konstellation B2. Bei dieser Konstellation fehlt die Begleitspondylose und der Zusammenhang wird nur dann als wahrscheinlich angesehen, wenn mindestens eines der dort genannten drei Zusatzkriterien erfüllt ist. Die Zusatzkriterien "besonders intensive Belastung" und "besonderes Gefährdungspotential" liegen hier nicht vor. Die Kammer stützt sich für diese Feststellung auf die ausführlich dokumentierten und überzeugenden MDD-Berechnungen und Ausführungen der herangezogenen Präventionsdienste der Berufsgenossenschaften. Den Richtwert für die Lebensdosis von 25 MNh hat der Kläger nicht in weniger als 10 Jahren erreicht. Der TAD der Beklagten hat in seiner Stellungnahme vom 05.08.2013 nachvollziehbar ausgeführt, dass der Kläger innerhalb von 8,1 Jahren nur eine Gesamtbelastungsdosis von 16,5 MNh erreicht hat. Diesem Wert liegt bereits ein Mülltonnengewicht von 50 kg zugrunde. Auch lassen die Ausführungen der Präventionsdienste kein besonderes Gefährdungspotential durch hohe Belastungsspitzen erkennen, selbst wenn man das Mülltonnengewicht von 50 kg zugrunde legt. Wenn Dr. D. in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 31.01.2013 gleichwohl die Zusatzkriterien "besonders intensive Belastung" und "besonderes Gefährdungspotential" annimmt, verkennt er die insoweit klaren Aussagen des Präventionsdienstes der Beklagten. Zudem scheint er für das Zusatzkriterium "besonders intensive Belastung" den hälftigen Grenzwert für die Lebensdosis als ausreichend anzusehen. Dabei verlässt er sein medizinisches Fachgebiet und überträgt unreflektiert die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 30.10.2007, B 2 U 4/06 R) auf dieses Zusatzkriterium in der Konstellation B 2. Das Bundessozialgericht hat in der genannten Entscheidung argumentiert, dass es eines Sicherheitsabschlages bedarf, wenn die Gesamtbelastungsdosis als Ausschlusskriterium für das Vorliegen einer BK 2108 verwendet werden soll. In der Konstellation B 2 wird die Gesamtbelastungsdosis jedoch gerade nicht als Ausschlusskriterium herangezogen, sondern sie stellt eines von mehreren Elementen zur Beurteilung des Ursachenzusammenhangs dar. Ein Sicherheitsabschlag bzw. eine Halbierung ist daher nicht angezeigt (vgl. dazu auch Bayerisches LSG, Urteil vom 31.01.2013, L 17 U 244/06; Revision anhängig B 2 U 6/13 R). Auch das weiter Zusatzkriterium für die Konstellation B 2 "Höhenminderung und/oder Prolaps an mehreren Bandscheiben – bei monosegmentaler/m Chondrose/Vorfall in L5/S1 oder L4/L5 "black disc" im MRT in mindestens 2 angrenzenden Segmenten" ist nicht erfüllt. Dieses folgt aus dem insoweit überzeugenden Sachverständigengutachten von Dr. D. Da keines der Zusatzkriterien der Konstellation B 2 vorliegt, ist die bei dem Kläger festgestellte bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS der Konstellation B3 zuzuordnen. Bei dieser Konstellation bestand bezüglich der Beurteilung des Zusammenhangs kein Konsens unter den Teilnehmern der Arbeitsgruppe. Die Kammer hält bei dieser Konstellation grundsätzlich den Zusammenhang nicht für wahrscheinlich, da für ihn die Argumente der Mitautoren der Konsensempfehlungen überzeugender sind, die der Begleitspondylose als Positivkriterium maßgebliche Bedeutung beimessen und nach denen ihr Fehlen in der Konstellation B3 gegen eine Expositionsabhängigkeit der bandscheibenbedingten Erkrankung spricht (vgl. ständige Rechtsprechung des Hessischen LSG, etwa LSG Hessen, Urteil vom 27.03.2011, L 3 U 81/11).
Die Feststellung der Berufskrankheit Nr. 2110 der Anlage 1 zur BKV war ebenfalls abzulehnen. In der Anlage 1 zur BKV sind unter Nr. 2110 bandscheibenbedingte Erkrankungen der LWS durch langjährige, vorwiegend vertikale Einwirkungen von Ganzkörperschwingungen im Sitzen, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können, als Berufskrankheiten bezeichnet. Zur Überzeugung der Kammer liegen die Voraussetzungen für die Feststellung dieser Berufskrankheit bei dem Kläger nicht vor. Auf die oben zur BK 2108 angeführten Ausführungen, insbesondere zum Ursachenzusammenhang, wird verwiesen. Aus den nachvollziehbaren Ausführungen der Präventionsdienste der Beklagten und der Beigeladenen geht zudem hervor, dass der Kläger keine gefährdende Tätigkeit nach der BK 2110 ausgeübt hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Durch die fehlenden Ermittlungen des Präventionsdienstes der Beklagten zur Arbeitsbelastung des Klägers und entsprechenden Berechnung nach dem MDD im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren hat die Beklagte jedenfalls teilweise Veranlassung zur Klageerhebung gegeben. Daher ist es für die Kammer sachgerecht, die Beklagte teilweise, mit einem Viertel, mit der Kostentragung zu belasten. Darüber hinaus findet keine Kostenerstattung unter den Beteiligten statt.
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