L 6 SB 1771/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 8 SB 2581/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 SB 1771/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 13. April 2016 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Feststellung eines Grades der Behinderung (GdB) von mindestens 50.

Der im Jahr 1962 geborene Kläger ist verheiratet, hat zwei Kinder und arbeitet als angestellter Ingenieur in Vollzeit (acht Stunden pro Tag). Längere Arbeitsunfähigkeitszeiten bestehen nicht. Im Urlaub unternimmt der Kläger regelmäßig Kreuzfahrten.

Er stellte am 31. Juli 2014 beim Beklagten den Antrag, seine Gesundheitsstörungen als Behinderung und deren Grad festzustellen. Zur Begründung verwies er auf Schwerhörigkeit, einen Tinnitus, ein Schlafapnoe-Syndrom, Beschwerden an der Wirbelsäule, der linken Schulter, beider Knie, der Hüften, Sehschwierigkeiten bei Grauem Star sowie auf Bluthochdruck. Nach weiterer medizinischer Sachaufklärung (Beizug von Behandlungsunterlagen bei der Hausärztin Dr. M., dem Facharzt für Augenheilkunde Dr. E. und der HNO-Fachärztin Dr. F.) setzte der Beklagte den GdB mit Bescheid vom 21. Oktober 2014 auf 20 ab dem 1. Januar 2014 fest. Dieser Feststellung lag folgende versorgungsmedizinische Einschätzung von der Ärztin Dauth zugrunde:

Schwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen Teil-GdB 20 Funktionsbehinderung des linken Schultergelenks Teil-GdB 10 Funktionsstörung durch rechtsseitige Fußfehlform Teil-GdB 10 Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, muskuläre Verspannungen Teil-GdB 10 eingepflanzte Kunstlinse beidseits Teil-GdB 10 Schlafapnoe-Syndrom Teil-GdB 10

Im hiergegen angestrengten Widerspruchsverfahren wies der Kläger auf die Auswirkungen seines doppelten Bandscheibenvorfalls hin, die der Beklagte nicht berücksichtigt habe. Zudem sei er mittlerweile wegen nächtlicher Atemaussetzer im Schlaflabor untersucht und auf eine nächtliche Maskenbeatmung eingestellt worden. Außerdem leide er an einem beidseitigen Tinnitus. Insgesamt werde er durch seine Erkrankungen sowohl im beruflichen als auch im Privatleben stark beeinträchtigt. Viele seiner Verwandten seien krankheitsbedingt früh verstorben. Er schleppe sich zur Arbeit bei wenigen Tagen Arbeitsunfähigkeit. Reha nehme er nicht in Anspruch.

Nach weiterer medizinischer Sachaufklärung bei Dr. F. sowie beim behandelnden Orthopäden K. erhöhte der Beklagte den GdB durch Teil-Abhilfebescheid vom 3. Juni 2015 auf 40 ab dem 1. Januar 2014. Er legte dabei folgende ärztliche Stellungnahme von Dr. W. zugrunde:

Schwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen Teil-GdB 20 Funktionsbehinderung des linken Schultergelenks Teil-GdB 10 Funktionsstörung durch rechtsseitige Fußfehlform, Knorpelschäden am rechten Kniegelenk Teil-GdB 10 Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, muskuläre Verspannungen, Bandscheibenschaden Teil-GdB 20 eingepflanzte Kunstlinse beidseits Teil-GdB 10 Schlafapnoe-Syndrom Teil-GdB 20

Dr. W. führte an, dass nur der vorliegende Gesundheitszustand und nicht familiäre Belastungen oder drohende Gesundheitsstörungen bewertet würden.

Im Übrigen hatte der Widerspruch keinen Erfolg (Widerspruchsbescheid vom 25. Juni 2015).

Deswegen hat der Kläger am 14. August 2015 Klage beim Sozialgericht Karlsruhe (SG) erhoben. Zur Begründung führt er aus, die Auswirkungen seiner Beeinträchtigungen an der Wirbelsäule aufgrund des Bandscheibenvorfalls und der Wirbelsäulenverkrümmung, die mit erheblichen Schmerzen einhergingen, seien vom Beklagten nicht ausreichend gewürdigt worden. Dasselbe gelte für die schmerzhaften Funktionsbeeinträchtigungen an den Kniegelenken, der linken Schulter, der Schwerhörigkeit mit Ohrgeräuschen sowie dem Schlaf-Apnoe-Syndrom. Schließlich liege auch eine psychische Erkrankung vor, welche bislang gänzlich unberücksichtigt geblieben sei. Schmerzmedikamente nehme er nur nach Bedarf, Antidepressiva nicht.

Das SG hat die behandelnden Ärzte des Klägers - die Hausärztin Dr. M., den Facharzt für Augenheilkunde Dr. E., die HNO-Fachärztin Dr. F., den Orthopäden K. sowie den Allgemeinmediziner und Psychotherapeuten Dr. R. - schriftlich als sachverständige Zeugen gehört.

Dr. M. hat bekundet, sie habe den Kläger im Zeitraum von Januar 2014 bis September 2015 nur zweimal gesehen - wegen einer Blutentnahme und wegen Insomnie. Dr. F. hat die Diagnosen einer beidseitigen Innenohrschwerhörigkeit (mittelgradig rechts und leichtgradig links) mit Anpassung eines Hörgerätes beidseits sowie einer mittelschweren obstruktiven Schlafapnoe mit Einleitung einer nächtlichen Überdruckbeatmung (nCPAP) im Januar 2015 mitgeteilt und sich der Auffassung des versorgungsärztlichen Dienstes hinsichtlich der Teil-GdB auf ihrem Fachgebiet angeschlossen. Herr K. hat ausgeführt, er habe beim Kläger seit April 2014 eine Halswirbelsäulenblockierung, einen Bandscheibenvorfall im Segment L4/5 links, ein Impingement der linken Schulter, einen Morbus Köhler sowie einen Spreizfuß rechts diagnostiziert. Durch Infiltration der Schulter und Krankengymnastik sei es zu einer Besserung der Beschwerden gekommen. Die Behinderung sei leicht bis mittelschwer. Den Einschätzungen des versorgungsärztlichen Dienstes hat Herr K. sich angeschlossen. Dr. E. hat bekundet, beim Kläger liege beidseits ein Zustand nach einer Operation wegen Grauen Stars mit Einpflanzung einer Kunstlinse vor; links sei es zu einem geringen Nachstar gekommen. Hier bestünden peripher geringe Einschränkungen im Gesichtsfeld von oben. Die Sehschärfe betrage ohne Korrektur rechts 0,8 und links 0,7. Ein GdB von 10 für diese Beeinträchtigungen sei angemessen. Dr. R. schließlich hat berichtet, der Kläger sei im November 2015 zum ersten Mal bei ihm vorstellig geworden. Als Diagnosen hat er eine Anpassungsstörung sowie eine schwergradig depressive Episode mitgeteilt. Es bestehe der dringende Verdacht auf das Vorliegen einer schweren depressiven Erkrankung. Der Kläger habe ein depressiv getöntes Begehren nach Höhereinstufung des GdB gezeigt. Dr. R. hat eine psychiatrische Mitbehandlung empfohlen.

Nach mündlicher Verhandlung hat das SG mit Urteil vom 13. April 2016, dem klägerischen Bevollmächtigten zugestellt am 27. April 2016, die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es angeführt, dass dem Kläger ein Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 40 nicht zustehe. Auf orthopädischem Fachgebiet seien die Wirbelsäulenbeschwerden mit einem Teil-GdB von 20 und die Knieprobleme mit einem Teil-GdB von 10 zu bewerten. Auch für das Impingement-Syndrom des linken Schultergelenks komme mangels wesentlicher Bewegungseinschränkungen ein höherer GdB als 10 nicht in Betracht. Das Schlafapnoe-Syndrom sei mit einem Teil-GdB von 20 zu bewerten. Die mit Hörgeräten versorgte beidseitige Innenohrschwerhörigkeit bedinge einen Teil-GdB nicht höher als 20. Den Zustand nach Operation eines Grauen Stars mit Einpflanzung einer Kunstlinse an beiden Augen und einem geringen Nachstar links habe der Beklagte korrekt mit einem GdB von 10 berücksichtigt. Bezüglich der psychiatrischen Erkrankung könne noch nicht von einer nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörung ausgegangen werden, da bei einer Aufnahme der psychotherapeutischen Behandlung im November 2015 objektivierbare Anhaltspunkte für das Vorliegen einer derartigen Erkrankung noch keine sechs Monate vorgelegen hätten. Selbst wenn man zumindest seit Klageerhebung eine depressive Erkrankung annehmen würde, so könnte hierfür jedenfalls bis zur Aufnahme der Psychotherapie im November 2015 kein höherer GdB als 20 angesetzt werden, denn wesentliche Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit des Klägers seien nicht erkennbar. Der Kläger übe zwar keines seiner früheren Hobbys (insbesondere Sport) mehr aus und leide aufgrund der Schlafstörungen unter erheblicher Tagesmüdigkeit. Eine Beeinträchtigung seiner Arbeitsleistung - der Kläger arbeite in Vollzeit - sei jedoch nicht festzustellen. Der Kläger sei mit Ausnahme der Zeit für die Abklärung seiner Schlafapnoe im Schlaflabor nicht einen Tag krankgeschrieben gewesen. Zudem hätte er keine Antidepressiva genommen und sei nicht in fachpsychiatrischer Behandlung gestanden.

Hiergegen hat der Kläger am 12. Mai 2016 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt, zu deren Begründung er vorträgt, dass seine erheblichen seelischen Störungen nur unzureichend berücksichtigt worden seien. Auch die Funktionsbeeinträchtigungen des Bewegungsapparates und die erhebliche Schmerzsymptomatik seien zu niedrig bewertet. Er könne seinen früheren Hobbys nicht mehr nachgehen und könne Urlaubsreisen nur noch bedingt durchführen. Erhebliche Fehlzeiten habe er wegen der Angst um seinen Arbeitsplatz nicht. Er solle psychiatrisch und orthopädisch begutachtet werden.

Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),

das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 13. April 2016 aufzuheben und den Bescheid vom 21. Oktober 2014 in der Gestalt des Teilabhilfebescheides vom 3. Juni 2015 und des Widerspruchsbescheides vom 25. Juni 2015 teilweise aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, bei ihm einen Grad der Behinderung von mindestens 50 festzustellen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Der Beklagte tritt der Berufung entgegen. Bei Fortbestehen der psychischen Erkrankung wäre allenfalls ein Neufeststellungsantrag angezeigt.

Der Senat hat Dr. R. als sachverständigen Zeugen befragt. Er hat mit Schreiben vom 18. Juni 2016 mitgeteilt, dass seit November 2015 keine weitere Behandlung erfolgt sei. Kenntnisse über medikamentöse, gesprächstherapeutische und psychiatrische Mitbehandlung habe er nicht.

Darauf hat der Kläger noch mitgeteilt, dass er inzwischen am 20. Juni 2016 in der Sprechstunde von Dr. R. gewesen und keine Verbesserung der seelischen Störung festgestellt worden sei. Der Termin habe schon längerfristig festgestanden.

Der Berichterstatter hat mit Schreiben vom 28. Juni 2016 eine Entscheidung durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) angekündigt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die von dem Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat entscheidet über die Berufung nach § 153 Abs. 4 SGG ohne mündliche Verhandlung und ohne Mitwirkung ehrenamtlicher Richter durch Beschluss, weil die Berufsrichter des Senats die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich halten. Den Beteiligten ist Gelegenheit zur Stellungnahme zu dieser Verfahrensweise gegeben worden. Ein Einverständnis der Beteiligten mit dieser Vorgehensweise ist nicht erforderlich.

Die Berufung des Klägers ist form- und fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden sowie im Übrigen zulässig, insbesondere statthaft (§ 143, § 144 SGG), aber unbegründet. Das SG hat die als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG, vgl. zur Klageart Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 17. April 2013 - B 9 SB 6/12 R, juris, Rz. 25 m.w.N.) zulässige Klage zu Recht abgewiesen. Auch nach der ergänzenden Beweisaufnahme im Berufungsverfahren lässt sich bei dem Kläger kein Gesamt-GdB von 50 feststellen. Der Kläger ist nicht schwerbehindert. Daher ist die angefochtene Verwaltungsentscheidung rechtmäßig und verletzt diesen nicht in seinen Rechten.

Der Anspruch des Klägers richtet sich nach § 69 Abs. 1 und 3 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX). Danach stellen auf Antrag des Menschen mit Behinderung die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes (BVG) zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB fest (§ 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Menschen sind nach § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist. Schwerbehindert sind gemäß § 2 Abs. 2 SGB IX Menschen, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt. Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt. Hierfür gelten gemäß § 69 Abs. 1 Satz 4 und 5 SGB IX die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der auf Grund des § 30 Abs. 16 BVG (bis 30. Juni 2011: § 30 Abs. 17 BVG) erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. Von dieser Ermächtigung hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales Gebrauch gemacht und die am 1. Januar 2009 in Kraft getretene Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, des § 30 Abs. 1 und des § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung - VersMedV) vom 10. Dezember 2008 (BGBl I S. 2412) erlassen, um unter anderem die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG zu regeln (vgl. § 1 VersMedV). Die zugleich in Kraft getretene, auf der Grundlage des aktuellen Standes der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin erstellte und fortentwickelte Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 VersMedV ist an die Stelle der bis zum 31. Dezember 2008 heranzuziehenden "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im Sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (AHP) getreten. In den VG wird der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben (BSG, Urteil vom 1. September 1999 - B 9 V 25/98 R -, SozR 3-3100 § 30 Nr. 22). Hierdurch wird eine für den Menschen mit Behinderung nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht.

Allgemein gilt, dass der GdB auf alle Gesundheitsstörungen, unabhängig ihrer Ursache, final bezogen ist. Der GdB ist ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens. Ein GdB setzt stets eine Regelwidrigkeit gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand voraus. Dies ist insbesondere bei Kindern und älteren Menschen zu beachten. Physiologische Veränderungen im Alter sind bei der Beurteilung des GdB nicht zu berücksichtigen. Als solche Veränderungen sind die körperlichen und psychischen Leistungseinschränkungen anzusehen, die sich im Alter regelhaft entwickeln, also für das Alter nach ihrer Art und ihrem Umfang typisch sind. Demgegenüber sind pathologische Veränderungen, also Gesundheitsstörungen, die nicht regelmäßig und nicht nur im Alter beobachtet werden können, bei der Beurteilung des GdB auch dann zu berücksichtigen, wenn sie erstmalig im höheren Alter auftreten oder als "Alterskrankheiten" (etwa "Altersdiabetes" oder "Altersstar") bezeichnet werden (VG, Teil A, Nr. 2 c). Erfasst werden die Auswirkungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben. Da der GdB seiner Natur nach nur annähernd bestimmt werden kann, sind beim GdB nur Zehnerwerte anzugeben. Dabei sollen im Allgemeinen Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden (VG, Teil A, Nr. 2 e). Liegen mehrere Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft vor, so wird nach § 69 Abs. 3 SGB IX der GdB nach den Auswirkungen der Beeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festgestellt. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Teil-GdB anzugeben; bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen jedoch die einzelnen Werte nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung eines Gesamt-GdB ungeeignet. Bei der Beurteilung des Gesamt-GdB ist in der Regel von der Funktionsbeeinträchtigung auszugehen, die den höchsten Teil-GdB bedingt und dann im Hinblick auf alle weiteren Funktionsbeeinträchtigungen zu prüfen, ob und inwieweit hierdurch das Ausmaß der Behinderung größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Die Beziehungen der Funktionsbeeinträchtigungen zueinander können unterschiedlich sein. Die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen können voneinander unabhängig sein und damit ganz verschiedene Bereiche im Ablauf des täglichen Lebens betreffen. Eine Funktionsbeeinträchtigung kann sich auf eine andere besonders nachteilig auswirken, vor allem dann, wenn Funktionsbeeinträchtigungen paarige Gliedmaßen oder Organe betreffen. Funktionsbeeinträchtigungen können sich überschneiden. Eine hinzutretende Gesundheitsstörung muss die Auswirkung einer Funktionsbeeinträchtigung aber nicht zwingend verstärken. Von Ausnahmefällen abgesehen, führen leichte Gesundheitsstörungen, die nur einen GdB von 10 bedingen, nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung. Dies gilt auch dann, wenn mehrere derartige leichte Gesundheitsstörungen nebeneinander bestehen. Auch bei leichten Funktionsbeeinträchtigungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen.

Der Gesamt-GdB ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung, gegebenenfalls unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten, in freier richterlicher Beweiswürdigung festzulegen (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2004 - B 9 SB 1/03 R, juris, Rz. 17 m. w. N.). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die auf der ersten Prüfungsstufe zu ermittelnden nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen und die sich daraus abzuleitenden Teilhabebeeinträchtigungen ausschließlich auf der Grundlage ärztlichen Fachwissens festzustellen sind. Bei den auf zweiter und dritter Stufe festzustellenden Teil- und Gesamt-GdB sind über die medizinisch zu beurteilenden Verhältnisse hinaus weitere Umstände auf gesamtgesellschaftlichem Gebiet zu berücksichtigen (vgl. BSG, Beschluss vom 9. Dezember 2010 - B 9 SB 35/10 B, juris, Rz. 5).

Eine rechtsverbindliche Entscheidung nach § 69 Abs. 1 Satz 1 SGB IX umfasst nur die Feststellung einer unbenannten Behinderung und des Gesamt-GdB. Die dieser Feststellung im Einzelfall zugrundeliegenden Gesundheitsstörungen, die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen und ihre Auswirkungen dienen lediglich der Begründung des Verwaltungsaktes und werden nicht bindend festgestellt (BSG, Urteil vom 24. Juni 1998 - B 9 SB 17/97 R, juris, Rz. 13). Der Teil-GdB ist somit keiner eigenen Feststellung zugänglich. Er erscheint nicht im Verfügungssatz des Verwaltungsaktes und ist nicht isoliert anfechtbar. Es ist somit auch nicht entscheidungserheblich, ob von Seiten des Beklagten oder der Vorinstanz Teil-GdB-Werte in anderer Höhe als im Berufungsverfahren vergeben worden sind, wenn der Gesamt-GdB hierdurch nicht beeinflusst wird.

In Anwendung dieser durch den Gesetz- und Verordnungsgeber vorgegebenen Grundsätze sowie unter Beachtung der höchstrichterlichen Rechtsprechung steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die behinderungsbedingten Funktionseinschränkungen des Klägers keinen höheren GdB als 40 begründen.

Für das Funktionssystem "Ohren" ist ein Einzel-GdB von 20 zu vergeben. Maßgebend für die Bewertung des GdB bei Hörstörungen ist die Herabsetzung des Sprachgehörs ohne Hörhilfe. Sind mit der Hörstörung andere Erscheinungen verbunden, z.B. Ohrgeräusche, Gleichgewichtsstörungen, Artikulationsstörungen oder außergewöhnliche psychoreaktive Störungen, so kann der GdB entsprechend höher bewertet werden (VG, Teil B, Nr. 5). Bei Ohrgeräuschen mit Tinnitus ist dabei ohne nennenswerte psychische Begleiterscheinungen ein GdB von 0 bis 10, mit erheblichen psychovegetativen Begleiterscheinungen ein GdB von 20 und mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägte depressive Störungen) ein GdB von 30 bis 40 anzunehmen.

Die beim Kläger vorliegende und mit Hörgeräten versorgte beidseitige Innenohrschwerhörigkeit ist mittelgradig rechts und leichtgradig links (vgl. Stellungnahme Dr. F. vom 21. September 2015, Bl. 47 der SG-Akte und Ton- und Sprachaudiogramme vom 18. März 2014 und 23. April 2014, Bl. 22 f. der Verwaltungsakte). Eine solche bedingt nach VG, Teil B, Nr. 5.2.4 einen GdB von 20. Ohrgeräusche in nennenswertem Ausmaß bestehen darüber hinaus nicht. Dies entnimmt der Senat aus dem Umstand, dass der Kläger einen Tinnitus gegenüber seinen behandelnden Ärzten, insbesondere gegenüber seiner HNO-Ärztin Dr. F., ausweislich des Schreibens vom 8. September 2014 (Bl. 25 der Verwaltungsakte) überhaupt nicht thematisiert hat. Auch in der späteren sachverständigen Zeugenaussage von Dr. F. vor dem SG finden Ohrgeräusche keine Erwähnung. Mit Ohrgeräuschen zusammenhängende psychische Begleiterscheinungen (vgl. VG, Teil B, Nr. 5.3) sind ebenfalls nicht ersichtlich, so dass es nach Überzeugung des Senats und in Übereinstimmung mit Dr. F. und dem Beklagten insoweit zu keinem höheren GdB als 20 kommt.

Das Funktionssystem "Rumpf" bedingt einen Teil-GdB ebenfalls von 20. Der Kläger leidet an degenerativen Veränderungen der Lenden- und Halswirbelsäule bei einem Zustand nach Bandscheibenvorfall im Segment L4/5 links mit Wurzelkompression im Jahr 2013 und Halswirbelsäulenblockierung. Dies entnimmt der Senat aus dem Bericht vom Orthopäden K. vom 15. September 2015 (Bl. 67 der SG-Akte) und dem MRT-Befund vom 18. März 2013 (Bl. 58 der Verwaltungsakte).

Nach den VG, Teil B, Nr. 18.1 wird der GdB für Schäden an den Haltungs- und Bewegungsorganen entscheidend durch die Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen (Bewegungsbehinderung, Minderbelastbarkeit) und die Mitbeteiligung anderer Organsysteme bestimmt, wobei sich das Funktionsausmaß der Gelenke nach der Neutral-Null-Methode bemisst. Die üblicherweise auf-tretenden Beschwerden sind dabei mitberücksichtigt. Außergewöhnliche Schmerzen sind gegebenenfalls zusätzlich zu werten (vgl. VG, Teil A, Nr. 2j). Für Wirbelsäulenfunktionseinschränkungen sind die maßgeblichen Bewertungskriterien in Teil VG, Teil B, Nr. 18.9 vorgegeben. Danach folgt der GdB bei Wirbelsäulenschäden primär aus dem Ausmaß der Bewegungseinschränkung, der Wirbelsäulenverformung, der Wirbelsäuleninstabilität sowie aus der Anzahl der betroffenen Abschnitte der Wirbelsäule. Nach VG, Teil B, Nr. 18.9 rechtfertigen erst mittelgradige funktionelle Auswirkungen von Wirbelsäulenschäden in einem Wirbelsäulenabschnitt, z.B. eine anhaltende Bewegungseinschränkung oder eine Instabilität mittleren Grades, einen Einzel-GdB von 20. Funktionsstörungen geringeren Grades bedingen allenfalls einen Einzel-GdB von 10. Schwere funktionelle Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) rechtfertigen einen GdB von 30, mittelgradige bis schwere in zwei Wirbelsäulenabschnitten einen GdB von 30 bis 40. Ein GdB von 50 setzt besonders schwere Auswirkungen (z.B. Versteifung großer Teile der Wirbelsäule, anhaltende Ruhigstellung durch Rumpforthese, die drei Wirbelsäulenabschnitte erfasst; schwere Skoliose) voraus. Anhaltende Funktionsstörungen infolge Wurzelkompression mit motorischen Ausfallerscheinungen - oder auch intermittierende Störungen bei einer Spinalkanalstenose - sind zusätzlich zu berücksichtigen.

Nach diesen Maßstäben sind die das Funktionssystem betreffenden Funktionseinschränkungen mit einem Teil-GdB von 20 zu bewerten. Als Folge des Bandscheibenvorfalls im Bereich der Lendenwirbelsäule mit Wurzelkompression im Segment L4/5 litt der Kläger an einer Fußheberschwäche mit dem Kraftgrad 3 (vgl. Befundbericht K. vom 24. März 2015, Bl. 60 der Verwaltungsakte). Während zunächst sowohl das Bragard- als auch das Lasègue-Zeichen positiv waren, bestanden später keine Nervendehnzeichen mehr (vgl. Auskunft K. vom 15. September 2015, Bl. 67 der SG-Akte). Von erhebliche Einschränkungen der Wirbelsäulenbeweglichkeit oder weitergehenden Lähmungen wird nicht berichtet. Zudem konnten laut Mitteilung von Herrn K. die Beschwerden durch Krankengymnastik reduziert werden. Im Bereich der Halswirbelsäule liegen nach den Angaben von Herrn K. lediglich Blockierungen vor, die mit leichten Einschränkungen der Rotationsbewegung einhergehen. Nervenwurzelreizerscheinungen sind nicht ersichtlich. Eine Spinalkanalstenose besteht nicht (vgl. MRT-Bericht vom 18. März 2013, Bl. 58 der Verwaltungsakte).

Insgesamt bestehen damit weder mindestens mittelgradige funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten, noch sind die Funktionsbeeinträchtigungen in einem Wirbelsäulenabschnitt so erheblich, dass sie als schwere funktionelle Auswirkungen bewertet werden müssten. Die mit den Wirbelsäulenerkrankungen des Klägers einhergehenden Beschwerden, etwa die Schmerzen und die Ausstrahlungen in die Beine, sind übliche Begleiterscheinungen und deshalb bereits in den GdB-Tabellenwerten berücksichtigt (VG, Teil A, Nr. 2 j). Für eine eigenständige Schmerzerkrankung bestehen keine Anhaltspunkte. Eine spezielle schmerztherapeutische Behandlung findet nicht statt. Schmerzmittel werden nur bei Bedarf eingenommen. Der Senat erachtet daher einen Teil-GdB von 20 für angemessen, was in Übereinstimmung mit dem Beklagten und Herrn K. steht.

Für das Funktionssystem "Arme" beträgt der Einzel-GdB 10. Der Kläger leidet unter einem schmerzhaften Impingement-Syndrom des linken Schultergelenks. Der Jobe-Test war positiv. Die Außenrotation ist aber frei (Arztbrief K. vom 17. April 2014, Bl. 12 der Verwaltungsakte und Bericht K. vom 15. September 2015, Bl. 67 der SG-Akte). Die Schulterbeschwerden haben sich durch Infiltration und Krankengymnastik gebessert, stellen also keinen schwererwiegenden Dauerzustand dar. Anhaltspunkte für wesentliche Bewegungseinschränkungen etwa im Schultergelenk (vgl. hierzu VG, Teil B, Nr. 18.13) liegen auch nicht vor, so dass ein höherer GdB als 10 nicht in Betracht kommt.

Im Funktionssystem der "Beine" ist bei dem Kläger ein Teil-GdB von 10 anzusetzen. Beim Kläger bestehen Knorpelschäden am rechten Kniegelenk in Form einer retropatellaren Chondropathie mit geringem Reizerguss. Dies folgt für den Senat aus dem MRT-Befund vom 9. September 2014 (Bl. 59 der Verwaltungsakte).

Nach VG, Teil B, Nr. 18.14 sind ausgeprägte Knorpelschäden der Kniegelenke (z. B. Chondromalacia patellae Stadium II - IV) mit anhaltenden Reizerscheinungen, einseitig, ohne Bewegungseinschränkung mit einem GdB von 10 bis 30, mit Bewegungseinschränkung mit einem GdB von 20 bis 40 zu bewerten. Unabhängig von Knorpelschäden rechtfertigt eine Bewegungseinschränkung im Kniegelenk geringen Grades (z. B. Streckung/Beugung bis 0-0-90°) einseitig einen GdB von 0 bis 10; eine Bewegungseinschränkung mittleren Grades (z. B. Streckung/Beugung 0-10-90°) einseitig einen GdB von 20.

Der Kläger leidet zwar besonders im Gehen an Schmerzen im rechten Knie. Angaben von Bewegungseinschränkungen finden sich in der Aussage des sachverständigen Zeugen K. jedoch nicht. Angesichts dessen kann auch unter zusätzlicher Berücksichtigung der von Herrn K. mitgeteilten Gesundheitsstörungen am rechten Fuß in Form eines Morbus Köhler sowie eines Spreizfußes, weswegen der Kläger mit Einlagen versorgt wurde, mangels statischer Auswirkungen und funktioneller Einbußen (vgl. hierzu VG, Teil B, Nr. 18.14) für das Funktionssystem "untere Gliedmaßen" in Übereinstimmung mit der Einschätzung von Herrn K. lediglich ein Teil-GdB von 10 anerkannt werden.

Das Funktionssystem "Atmung" ist mit einem GdB von 20 zu bewerten. Der Kläger leidet unter einer obstruktiven Schlafapnoe, die inzwischen mit einer nächtlichen nasalen Überdruckbeatmung behandelt wird. Nach VG, Teil B, Nr. 8.7 führt ein Schlafapnoesyndrom ohne Notwendigkeit einer kontinuierlichen nasalen Überdruckbeatmung zu einem Teil-GdB von 0 bis 10, mit Notwendigkeit einer kontinuierlichen nasalen Überdruckbeatmung von 20 und erst bei nicht durchführbarer nasaler Überdruckbeatmung von 50. Anhaltspunkte dafür, dass die Maskenbeatmung vom Kläger nicht toleriert wird, liegen jedoch nicht vor. Der Senat schließt sich deshalb der Ansicht der Fachärztin Dr. F. und dem Beklagten an und bewertet das Schlafapnoe-Syndrom mit einem Teil-GdB von 20.

Im Funktionssystem "Augen" ist ein GdB von 10 zu berücksichtigen. Beim Kläger besteht ein Zustand nach Operation eines Grauen Stars mit Einpflanzung einer Kunstlinse auf beiden Seiten und einem geringen Nachstar links (vgl. Auskunft Dr. E. vom 8. Oktober 2015, Bl. 72 der SG-Akte). Dies hat der Beklagte im Einklang mit den Vorgaben der VG angesichts der noch vorhandenen Sehschärfe beim Kläger zutreffend mit einem GdB von nur 10 berücksichtigt, den auch Dr. E. bestätigt hat. Nach VG, Teil B, Nr. 4.2 rechtfertigt nämlich der Linsenverlust eines Auges korrigiert durch intraokulare Kunstlinsen oder Kontaktlinsen bis zu einer Sehschärfe von 0,4 einen GdB von 10. Bei Kläger besteht lediglich eine geringfügige Sehminderung. Die Sehschärfe beträgt (unkorrigiert) links 0,7 und rechts 0,8. Für eine Unverträglichkeit der Kunstlinsen finden sich keine Anhaltspunkte. Die von Dr. E. zudem mitgeteilte peripher geringe Gesichtsfeldeinschränkung links oben bedingt nach VG, Teil B, Nr. 4.5 bei Normalbefund im zentralen Gesichtsfeld keinen GdB von mindestens 10.

Funktionsbeeinträchtigungen aufgrund der depressiven Erkrankung, worauf sich der Kläger zur Begründung seiner Berufung maßgeblich mit beruft, sind allenfalls mit einem Einzel-GdB von 20 zu bewerten. Nach VG, Teil B, 3.7 ist bei Neurosen, Persönlichkeitsstörungen oder Folgen psychischer Traumen mit leichteren psychovegetativen oder psychischen Störungen der GdB mit 0 bis 20, bei stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) der GdB mit 30 bis 40 und bei schweren Störungen (z.B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten der GdB mit 50 bis 70 und mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten der GdB mit 80 bis 100 zu bewerten.

Der Kläger hat erstmals während des erstinstanzlichen Klageverfahrens - und auf Anraten seines Prozessbevollmächtigten (vgl. Bl. 7 LSG-Akte) - im November 2015 einen Psychotherapeuten, Dr. R., aufgesucht. Eine weitere Vorstellung erfolgte im Juni 2016. Dr. R. hat zwar den Verdacht auf eine schwere depressive Erkrankung geäußert und eine Anpassungsstörung sowie eine schwergradige depressive Episode diagnostiziert. Gegen eine nennenswerte Krankheit spricht jedoch, dass der Kläger die von Dr. R. empfohlene psychiatrische Mitbehandlung nicht aufgenommen hat. Auch sonst fehlt jegliche Behandlung seiner seelischen Erkrankung. Es erfolgt keine antidepressive Medikation. Auch führt der Kläger - anders als es das SG angenommen hat - keine Psychotherapie durch. Dr. R. hat den Kläger nur nämlich dreimal zur Untersuchung gesehen, jedoch keine Psychotherapie begonnen. Zum fehlenden Behandlungsinteresse des Klägers passt, dass er Dr. R. mit dem Wunsch der Höherstufung des GdB aufgesucht hatte (Bericht Dr. R. vom 1. Dezember 2015, Bl. 84 der SG-Akte). Bei einem ausgeprägteren Leidensdruck wäre davon auszugehen, dass eine fachärztliche Behandlung in Anspruch genommen würde (ständige Rechtsprechung des Senats, so zuletzt Urteil vom 21. April 2016 - L 6 SB 461/15; vgl. hierzu auch: LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 17. Dezember 2010 - L 8 SB 1549/10, juris). Der Therapieaufwand korreliert nämlich mit der Ausprägung der psychischen Erkrankung, je höher der Leidensdruck, desto mehr ist eine therapeutische Intervention erforderlich.

Maßgebend für die Bewertung mit einem GdB sind schließlich ohnehin die daraus folgenden Funktionsbeeinträchtigungen. Hier fehlt es beim Kläger an der wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, die für einen GdB von 30 oder mehr erforderlich wäre. Er übt seine berufliche Tätigkeit weiterhin vollschichtig ohne wesentliche Krankheitszeiten aus. Er fährt auch regelmäßig in den Urlaub. Ein Teil-GdB von allenfalls 20 für die seelische Störung ist danach angemessen.

Weitere relevante Behinderungen liegen bei dem Kläger nicht vor. Die vom Kläger begehrte weitere Sachaufklärung durch Einholung eines psychiatrischen und orthopädischen Gutachtens hält das Gericht nach den vorliegenden Befundberichten und Auskünften der behandelnden Ärzte nicht für erforderlich. Der Sachverhalt ist medizinisch hinreichend geklärt. Die Amtsermittlungspflicht des Gerichtes bestimmt sich nach dem Einzelfall und dem Vortrag der Beteiligten (vgl. Leitherer in Meyer-Ladewig, Komm. zum SGG, 11. Auflage 2014, § 103 Rn. 4). Ein neuer medizinischer Sachverhalt wurde vom Kläger nicht substantiiert dargelegt.

Nicht zu beanstanden ist letztlich die Bildung des Gesamt-GdB. Der Gesamt-GdB ist nicht nach starren Beweisregeln, sondern aufgrund richterlicher Erfahrung, gegebenenfalls unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten, in freier richterlicher Beweiswürdigung festzulegen (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2004 - B 9 SB 1/03 R, juris). Dabei ist zu berücksichtigen, dass die auf der ersten Prüfungsstufe zu ermittelnden nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen und die sich daraus abzuleitenden Teilhabebeeinträchtigungen ausschließlich auf der Grund-lage ärztlichen Fachwissens festzustellen sind. Bei den auf zweiter und dritter Stufe festzustellenden Teil- und Gesamt-GdB sind über die medizinisch zu beurteilenden Verhältnisse hinaus weitere Umstände auf gesamtgesellschaftlichem Gebiet zu berücksichtigen (vgl. BSG, Beschluss vom 9. Dezember 2010 - B 9 SB 35/10 B, juris).

Gemessen an diesen Voraussetzungen begründen der Teil-GdB von jeweils 20 für die Funktions-systeme "Ohren", "Rumpf", "Atmung" und "Gehirn einschließlich Psyche" einen Gesamt-GdB von 40. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass kein Teil-GdB von mindestens 30 vorliegt. Die mit lediglich 10 bewerteten Behinderungen (u.a. Knie, Schulter, Augen) sind demgegenüber zu vernachlässigen (vgl. VG, Teil A, Nr. 3 d ee). Ein GdB von 50 und damit die Schwerbehinderteneigenschaft kommen nicht in Betracht.

Die Berufung war deshalb zurückzuweisen, wobei die Kostenentscheidung auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG beruht.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.
Rechtskraft
Aus
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