L 9 KR 164/14

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 208 KR 2497/11
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 164/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1. Eine Diagnose, deren Behandlung hinweggedacht werden könnte, ohne dass sich an der sonstigen Behandlung etwas ändert, verbraucht nicht die meisten Ressourcen i.S.d. Kodierrichtlinie D002f der DRK 2010 und darf daher nicht als Hauptdiagnose kodiert werden.

2. Das Wirtschaftlichkeitsgebot gebietet es, dass das Krankenhaus bei gleichhohem Ressourcenverbrauch für zwei Diagnosen diejenige als Hauptdiagnose kodiert, die zu einer höher bewerteten DRG führt.

3. Mit den gesetzlichen Wertungen unvereinbar wäre es, wenn ein Krankenhaus, um seine zivilrechtliche Haftung möglichst zu verringern, eine wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode gegenüber den Versicherten als neu und noch nicht hinreichend erprobt darstellt. Es riskiert damit, dass es in anderen Zusammenhängen an einer solchen unzutreffenden Darstellung festgehalten wird.

4. Die Wiederherstellung einer erloschenen Schuld ist nicht durch einen einfachen Verzicht (z.B. auf die Tilgungsbestimmung) möglich. Allerdings kann bei Rückgabe eines bereits getilgten Schuldbetrages entweder die Schuld bei entsprechendem Parteiwillen wieder aufleben oder neu begründet werden.
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. April 2014 wird zurückgewiesen. Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Vergütung für eine Krankenhausbehandlung in der Zeit vom 30. Juni bis 5. Juli 2010.

Der klagende Verein ist Träger eines Krankenhauses, das die 1926 geborene, bei der Beklagten krankenversicherte Patientin I B (im Folgenden: die Versicherte) im o.g. Zeit-raum stationär behandelte. Dieses Krankenhaus hatte anlässlich einer ambulanten Vor-stellung der Patientin am 21. Juni 2010 diverse Diagnosen (beginnender externer Prolaps, Stuhlinkontinenz II. Grades, muskuläre Sphinkterschwäche, descending peri-neum syndrom (DPS), Intussuszeption, mittelgroße ventrale Rektozele) gestellt und aufgrund dessen eine "operative Therapie im Sinne einer transanalen Resektion der distalen Rektumampulle (Contour-Transtar-Operation)" empfohlen. Am darauf folgen-den Tag verordnete der Arzt für Innere Medizin Dr. K der Versicherten Krankenhausbe-handlung im Hinblick auf ähnlich lautende Diagnosen (Analprolaps, Sphinkterinsuffizienz mit Stuhlinkontinenz). Im Bericht über die am 1. Juli 2010 durchgeführte Operation heißt es u. a., es zeige sich ein deutlicher innerer und beginnender externer Rektum-prolaps, jedoch so klein (etwa zwei bis drei Zentimeter Vollwandprolaps), dass für sie eine konventionelle STARR-OP ausreichend sei. Ausweislich des Berichts über die am 1. Juli 2010 durchgeführte Operation (transanale Resektion der distalen Rektumampulle [STARR]) erfolgte diese wegen der Diagnose "vordere Rektozele, innerer und begin-nend externer Rektumprolaps".

Der Kläger stellte der Beklagten am 5. August 2010 unter Hinweis auf die Hauptdiagno-se N81.6 (Rektozele) und die DRG N06Z einen Betrag von 3.610,14 Euro in Rechnung. Die Beklagte bezahlte diesen Betrag. Der von ihr eingeschaltete Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) gelangte in seinen Stellungnahmen vom 6. April und 24. Juni 2011 zum Ergebnis, dass das Krankenhaus als Hauptdiagnose K62.3 (Rek-tumprolaps) hätte codieren müssen, was die DRG G21B nach sich zöge. Nachdem die Beklagte den Differenzbetrag zwischen den beiden DRG i.H.v. 1.036,34 Euro zurückge-fordert hatte, zahlte der Kläger versehentlich den vollen Betrag (3.610,14 Euro) an die Beklagte zurück, die daraufhin den unstrittigen Betrag erneut an den Kläger überwies. Diese erhob am 28. Dezember 2011 Zahlungsklage.

Das Sozialgericht veranlasste das Gutachten des medizinischen Sachverständigen Dr. K vom 23. Dezember 2013 und wies die Klage mit Urteil vom 30. April 2014 ab. Zur Begründung hat das Sozialgericht ausgeführt, die für die Codierung relevante Hauptdi-agnose sei K62.3 (Rektumprolaps). Vor dem möglichen Hintergrund uneinheitlich do-kumentierter Diagnosen komme es nach Auffassung der Kammer entscheidend auf den OP-Bericht vom 1. Juli 2010 an. Dort werde als Indikation ausgeführt: "Die Patientin hat einen beginnenden externen Rektumprolaps mit partieller Stuhlinkontinenz und kommt zur transanalen Resektion der distalen Rektumampulle". Diese Indikation sei nach den durchgeführten Untersuchungen – also auch nach "Analyse" i.S.d. Kodierrichtlinie – an-gegeben worden. Bei der Befundbeschreibung zu Anfang des OP-Berichtes finde die Rektozele ebenfalls keine Erwähnung. Für die Kammer sei nicht nachvollziehbar, wes-halb die Auffassung des Chefarztes Dr. S, dass beide Diagnosen (Rektumprolaps und -zele) für den stationären Aufenthalt ursächlich gewesen seien, nicht im OP-Bericht do-kumentiert worden sei, obwohl er selbst diesen verfasst habe. Die Unstimmigkeit müsse zu lasten des Klägers gehen, der dafür Sorge zu tragen habe, dass die Dokumentation auch den tatsächlichen Verhältnissen entspräche.

Gegen dieses ihm am 7. Mai 2014 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Klä-gers vom 20. Mai 2014, zu deren Begründung er vorträgt: Das Urteil des Sozialgerichts sei nicht nachvollziehbar. Im Arztbrief vom 5. Juli 2010 werde als erste Diagnose expli-zit die Rektozele aufgeführt, darüber hinaus sei ihm auch zu entnehmen, dass sich die Versicherte zur operativen Therapie einer Rektozele und eines externen Rektumprolaps vorgestellt habe. Beide Befunde könnten nicht voneinander getrennt werden und ver-brauchten somit die gleichen Ressourcen. Der Sachverständige, ein ehemals orthopä-disch tätiger Arzt, könne den medizinischen Sachverhalt nicht ausreichend beurteilen. Beide Diagnosen seien gleichsam ursächlich für die Beschwerden der Patientin. Auch im OP-Bericht vom 1. Juli 2010 werde die Rektozele als erste Diagnose bezeichnet. Die nach Analyse festgestellte Hauptdiagnose müsse nicht der Aufnahme- oder Einwei-sungsdiagnose entsprechen. Die Rektozele habe mehr Beschwerden als der Prolaps verursacht. Anlässlich einer umfangreichen Diagnostik vor der Operation im sogenann-ten Enddarmlabor des Krankenhauses habe sich ursächlich für die Inkontinenzproble-matik der Versicherten ein Enddarmvorfall mit Ausbildung einer Ausbuchtung in die Scheide (sog. Rektozele) und ein kleiner Vorfall des Enddarms vor dem Schließmuskel (Rektumprolaps) gezeigt. Durch beide Befunde sei es zu einer Entwicklung der Stuhlin-kontinenz gekommen, durch die Ausstülpung komme es zu einer Ausdünnung des Schließmuskels, wodurch dann der Enddarm nach Außen treten könne. Ursächlich für diese Ausbuchtung und Ausdünnung des Schließmuskels sei ein Dammriss im Rahmen einer Geburt vor vielen Jahren und eine allgemeine Schwächung der Beckenboden-muskulatur durch das Alter. Bei der Operation sei mit Hilfe von zwei sog. Stapler-Nahtgeräten der Enddarm gekürzt und damit sowohl die Ausbuchtung in die Scheide (Rektozele) als auch der Rektumvorfall beseitigt worden. Beide miteinander zusam-menhängenden Krankheiten hätten somit die gleichen Ressourcen verbraucht. Nach der Kodierrichtlinie könne bei gleichem Ressourcen-Verbrauch die Diagnose als Haupt-diagnose verwendet werden, die im Endeffekt zu einer besseren Vergütung führe. Dies sei auch notwendig, da sonst die sehr schonende und effektive STARR-Operation (transanale Entfernung des unteren Enddarms bei vorderer Rektozele und Rektum-prolaps) nicht kostendeckend durchführbar sei. Dies würde möglicherweise zu aufwän-digeren abdominellen Operationen führen, die im Endeffekt weit mehr Kosten verur-sachten. Eine Rektozele sei eine Ausstülpung des Rektums zur Vagina hin und ohne vorangehenden Rektumprolaps bei Frauen extrem selten. Die Operationsmethode STARR werde grundsätzlich auch eingesetzt, wenn nur ein Rektumprolaps zu behan-deln sei. Typische Beschwerden bei einer Rektozele seien Stuhlentleerungsstörungen sowie ein ständiges Druckgefühl. Mit Hilfe des bei der STARR-Methode eingesetzten Staplers werde die Rektozele (Ausstülpung) in den Darm hineingezogen und die über-schüssige Darmhaut abgeschnitten.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. April 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.036,34 Euro nebst Zinsen hieraus i.H.v. zwei Prozentpunkten über den Basiszinssatz ab dem 2. Dezember 2011 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und trägt ergänzend vor: Nach ihrem Verständnis entstehe eine ventrale Rektozele überwiegend dann, wenn der Ute-rus sich in die Vagina absenke, weil die Scheidenhinterwand und die Rektumvorder-wand aneinander anschlössen und letztere mit nach vorne gezogen werde. Rektozelen würden daher nach ihrem Verständnis primär gynäkologisch behandelt, und zwar in der Form, dass die "Aufhängung" des Uterus angehoben werde, so dass die Rektumwand gleichzeitig gestrafft werde. Bei der Versicherten habe daher nach ihrem Verständnis keine Rektozele vorgelegen. Wenn durch Chirurgen ein Rektumprolaps entfernt werde, bestehe gleichzeitig auch keine Rektozele mehr. Eine isolierte Behandlung der Rekto-zele bei gleichzeitig bestehenden Rektumprolaps habe nicht vorgelegen und wäre auch nicht sinnvoll gewesen.

Der Berichterstatter hat die Sach- und Rechtslage mit den Beteiligten am 25. Februar 2016 erörtert und hierbei den Operateur (Dr. S) als auch einen Arzt des MDK (Dr. M) gehört.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten, die dem Senat vorgelegen hat, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage ab-gewiesen. Denn dem Kläger steht aufgrund der Behandlung der Versicherten in der Zeit vom 30. Juni bis 5. Juli 2010 kein weitergehender Zahlungsanspruch gegen die Beklag-te zu.

I. Der Senat kann offen lassen, ob der geltend gemachte Zahlungsanspruch des Klä-gers auf der ursprünglichen Vergütungsforderung, deren Neubegründung oder auf ei-nem öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch beruht.

1. Die Beklagte hat die ursprüngliche Vergütungsforderung des Klägers i.H.v. 3.610,14 Euro zunächst vollständig beglichen. Die Erfüllung dieser Forderung führte zu ihrem Erlöschen (§ 362 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -), zumal keine Anhaltspunkte erkennbar sind, dass die Beklagte nur unter Vorbehalt geleistet hat (zu den Konse-quenzen einer Zahlung unter Vorbehalt: BSG, Urteil vom 30. Juni 2009 – B 1 KR 24/08 R –, juris; allgemein: Kerwer in: Herberger/Martinek/Rüßmann u.a., jurisPraxisKommentar-BGB, 7. A., § 362 Rd. 33; Münchener Kommentar zum BGB / Fetzer, 7. A. § 362 Rn. 5; Olzen, in: Staudinger, Kommentar zum BGB, 2016, § 362 Rd. 26ff; jeweils m.w.N.). Der Eintritt der Erfüllungswirkung und somit das Erlöschen der Schuld ist als rechtsvernichtende Einwendung von Amts wegen zu berücksichtigen (Buck-Heeb in: Erman, BGB, 14.A., Vorbemerkung vor § 362ff, Rn. 1) und kann nicht rückgängig gemacht werden (BGH, Urteil vom 27. Juni 2008 – V ZR 83/07 –, Rn. 26, juris).

2. Eine Wiederherstellung des Schuldverhältnisses ist nicht durch einen einfachen Ver-zicht (z.B. auf die Tilgungsbestimmung) möglich (Kerwer a.a.O. Rd. 11; Buck-Heeb a.a.O.). Allerdings kann bei Rückgabe eines bereits getilgten Schuldbetrages entweder die Schuld bei entsprechendem Parteiwillen wieder aufleben (BAG, Urteil vom 10. Feb-ruar 1972 – 5 AZR 393/71 –, Rn. 29, juris) oder neu begründet werden (Landessozial-gericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 27. März 2007 – L 30 AL 34/04 –; Kerwer a.a.O.; Fetzer, a.a.O. Vorbemerkung vor § 362ff, Rd. 9; jeweils m.w.N.). Welche Ansicht insoweit vorzugswürdig ist, kann dahinstehen, da dies allenfalls bei bestellten Sicherheiten Auswirkungen hat (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O.). Infolge der Rückzahlung wäre es dem Kläger daher grundsätzlich möglich, wegen der Behandlung der Versicherten einen weiteren Betrag geltend zu machen.

3. Denkbar wäre indes auch, dass der Kläger, nachdem er versehentlich der Beklagten den gesamten Betrag zurücküberwies, im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Erstat-tungsanspruchs den Teil dieser Zahlung zurückfordert, der zwischen den Beteiligten strittig ist. Dieses aus den allgemeinen Grundsätzen des öffentlichen Rechts abgeleitete Rechtsinstitut setzt voraus, dass im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Rechtsverhält-nisses Leistungen ohne rechtlichen Grund erbracht wurden oder eine sonstige rechts-grundlose Vermögensverschiebung stattgefunden hat, und ein Recht auf Herausgabe des Erlangten verschafft (BSG, Urteil vom 22. August 2013 – B 14 AS 75/12 R –, juris, m.w.N.).

4. Die Frage nach der zutreffenden Anspruchsgrundlage kann aber offen bleiben, weil dem Kläger wegen der o.g. Behandlung der Versicherten kein weiter gehender An-spruch zusteht.

II. Dem Kläger stand – dies ist unstreitig – ein Vergütungsanspruch für die Behandlung der Versicherten i.H.v. 2.573,80 EUR auf der Grundlage der DRG G21B (Adhäsiolyse am Peritoneum, Alter ) 3 Jahre und ohne äußerst schwere oder schwere CC oder andere Eingriffe an Darm oder Enterostoma ohne äußerst schwere CC, Alter ) 15 Jahre) zu. Eine darüber hinaus gehende Forderung i.H.v. 1.036,34 EUR auf der Grundlage der DRG N06Z (Komplexe rekonstruktive Eingriffe an den weiblichen Geschlechtsorganen) be-stand demgegenüber nicht, weil der Kläger die bei der Versicherten vorliegende Rekto-zele nicht als Hauptdiagnose zugrunde legen durfte. In Höhe dieser Überzahlung be-steht der öffentlich-rechtliche Erstattungsanspruch der Beklagten.

1. Der Vergütungsanspruch für die Krankenhausbehandlung und damit korrespondie-rend die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse entsteht – unabhängig von einer Kostenzusage – unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versi-cherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus er-folgt und i.S.v. § 39 Abs. 1 S. 2 SGB V erforderlich und wirtschaftlich ist.

a. Die Höhe der Vergütung für die Behandlung Versicherter im Jahr 2010 bemisst sich bei DRG-Krankenhäusern wie dem des Klägers nach § 109 Abs. 4 S. 3 SGB V i.V.m. § 7 S. 1 Nr. 1 Krankenhausentgeltgesetz (KHEntgG) und § 17b Krankenhausfinanzie-rungsgesetz (KHG), jeweils in der 2010 geltenden Fassung. Der Anspruch wird auf Bundesebene durch Normsetzungsverträge (Normenverträge, Fallpauschalenvereinba-rungen (FPV)) konkretisiert. Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Verband der privaten Krankenversicherung gemeinsam vereinbaren nach § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 KHEntgG mit der Deutschen Krankenhausgesellschaft als "Vertragsparteien auf Bundesebene" mit Wirkung für die Vertragsparteien nach § 11 KHEntgG einen Fallpau-schalen-Katalog einschließlich der Bewertungsrelationen sowie Regelungen zur Grenz-verweildauer und der in Abhängigkeit von diesen zusätzlich zu zahlenden Entgelte oder vorzunehmenden Abschläge. Ferner vereinbaren sie insoweit Abrechnungsbestimmun-gen in den FPV auf der Grundlage des § 9 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 KHEntgG.

b. Welche DRG-Position abzurechnen ist, ergibt sich rechtsverbindlich nicht aus einem schriftlich festgelegten abstrakten Tatbestand, sondern aus der Eingabe von im Einzel-nen von einem Programm vorgegebenen, abzufragenden Daten in ein automatisches Datenverarbeitungssystem und dessen Anwendung. Nach § 1 Abs. 6 S. 1 FPV 2010 sind in diesem Sinne zur Einstufung des Behandlungsfalls in die jeweils abzurechnende Fallpauschale Programme (Grouper) einzusetzen. Zugelassen sind nur solche Pro-gramme, die von der InEK GmbH (InEK = Institut für das Entgeltsystem im Kranken-haus), einer gemeinsamen Einrichtung der o.g. Vertragspartner auf Bundesebene, zertifiziert worden sind.

Das den Algorithmus enthaltende und ausführende Programm greift dabei auch auf Da-teien zurück, die entweder als integrale Bestandteile des Programms mit vereinbart sind (z.B. die Zuordnung von ICD-10-Diagnosen und Prozeduren zu bestimmten Untergrup-pen im zu durchlaufenden Entscheidungsbaum) oder an anderer Stelle vereinbarte Re-gelungen wiedergeben. Zu letzteren gehören die Fallpauschalen selbst, aber auch die Internationale Klassifikation der Krankheiten (ICD-10) in der jeweiligen vom Deutschen Institut für Medizinische Dokumentation und Information (DIMDI) im Auftrag des Bun-desministeriums für Gesundheit (BMG) herausgegebenen deutschen Fassung (hier in der Version 2010) sowie die Klassifikation des vom DIMDI im Auftrag des BMG heraus-gegebenen OPS (hier in der Version 2010). Die Verbindlichkeit der in dem jeweiligen Vertragswerk angesprochenen Klassifikationssysteme folgt allein aus dem Umstand, dass sie in die zertifizierten Grouper einbezogen sind.

c. Die Anwendung der Deutschen Kodierrichtlinien (DKR) und der FPV-Abrech¬nungs¬be-stim¬mun¬gen einschließlich des ICD-10-GM und des OPS ist nicht automatisiert und un-terliegt als Mitsteuerung der prozesshaften Tatbestandsbildung im Zusammenspiel mit den Vorgaben zertifizierter Grouper ihrerseits grundsätzlich den allgemeinen Ausle-gungsmethoden der Rechtswissenschaft. Die Abrechnungsbestimmungen sind gleich-wohl wegen ihrer Funktion im Gefüge der Ermittlung des Vergütungstatbestandes in-nerhalb eines vorgegebenen Vergütungssystems eng am Wortlaut orientiert und unter-stützt durch systematische Erwägungen auszulegen. Eine Vergütungsregelung, die für die routinemäßige Abwicklung von zahlreichen Behandlungsfällen vorgesehen ist, kann ihren Zweck nur erfüllen, wenn sie allgemein streng nach ihrem Wortlaut sowie den da-zu vereinbarten Anwendungsregeln gehandhabt wird und keinen Spielraum für weitere Bewertungen sowie Abwägungen belässt. Da das DRG-ba¬sier¬te Vergütungssystem vom Gesetzgeber als jährlich weiterzuentwickelndes (§ 17b Abs. 2 S. 1 KHG) und damit "lernendes" System angelegt ist, sind bei zutage tretenden Unrichtigkeiten oder Fehlsteuerungen in erster Linie die Vertragsparteien berufen, diese mit Wirkung für die Zukunft zu beseitigen (BSG, Urteil vom 14. Oktober 2014 – B 1 KR 25/13 R –, juris, m.w.N.).

2. Die Anwendung der DKR und der FPV-Abrechnungsbestimmungen einschließlich des ICD-10-GM und des OPS erfolgt eng am Wortlaut orientiert und unterstützt durch systematische Erwägungen; Bewertungen und Bewertungsrelationen bleiben außer Betracht. Es ist für die Bestimmung der Hauptdiagnose ohne Belang, wenn innerhalb eines abrechenbaren Behandlungsfalls nach der Aufnahme ins Krankenhaus weitere Krankheiten oder Beschwerden auftreten, die ebenfalls für sich genommen stationäre Behandlung bedingen, selbst wenn die stationäre Behandlungsbedürftigkeit aufgrund der ersten Diagnose wegfällt. Bestehen bei der Aufnahme ins Krankenhaus zwei oder mehrere Krankheiten oder Beschwerden, die jeweils für sich genommen bereits statio-närer Behandlung bedurften, kommt es darauf an, welche von ihnen bei retrospektiver Betrachtung objektiv nach medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnis hauptsächlich die stationäre Behandlung erforderlich machte. Das ist die Diagnose mit dem größten Res-sourcenverbrauch. Dies folgt aus Wortlaut (hierzu a.) und System der DKR (hierzu b.). Dabei kommt auch den in den DKR 2010 enthaltenen Erläuterungen zu den einzelnen Kodierrichtlinien normative Wirkung zu, soweit sie ergänzende Regelungen enthalten.

a. Die Kodierrichtlinie D002f der DKR 2010 (im Folgenden: D002f) definiert die Hauptdi-agnose wie folgt: "Die Diagnose, die nach Analyse als diejenige festgestellt wurde, die hauptsächlich für die Veranlassung des stationären Krankenhausaufenthaltes des Pati-enten verantwortlich ist." Zentraler Begriff ist für D002f die "Veranlassung" des stationä-ren Krankenhausaufenthalts. Sie meint die ursächliche Auslösung des stationären Be-handlungsgeschehens. Das zeitliche Moment als ein wesentliches Definitionsmerkmal grenzt dabei von später hinzugetretenen Diagnosen ab, die ebenfalls stationäre Be-handlungsbedürftigkeit bedingen. Ein bereits – objektiv zutreffend – veranlasster statio-närer Krankenhausaufenthalt kann nicht später, nach Aufnahme in das Krankenhaus, nochmals veranlasst, sondern allenfalls aufrechterhalten werden. Diagnosen, die erst nachfolgend Behandlungsbedürftigkeit begründen, sind irrelevant. Insbesondere kommt es nicht darauf an, dass die den stationären Krankenhausaufenthalt veranlassende Di-agnose zugleich den größeren Anteil am Ressourcenverbrauch hat. Dies belegt Anmer-kung 1 zu D002f: "Es ist nicht auszuschließen, dass diese Definition der Hauptdiagnose vereinzelt im DRG-System keine adäquate Abbildung der Krankenhausleistung erlaubt. Im Rahmen der Entwicklung und Pflege des Entgeltsystems werden solche Fälle ver-folgt und auf ggf. notwendige Maßnahmen geprüft." Die Normgeber waren sich be-wusst, dass Veranlassung des stationären Krankenhausaufenthalts nicht notwendig Veranlassung des überwiegenden Teils des Ressourcenverbrauchs bedeutet.

Die Hauptdiagnose – als Singular formuliert – impliziert, dass es überhaupt nur eine, nicht aber zugleich mehrere "Hauptdiagnosen" geben kann. Dies steht in Einklang mit der Eingabemaske der zertifizierten, in das Normanwendungsprogramm mit normativer Wirkung einbezogenen Grouper. Hiernach ist die ersteinzutragende Diagnose immer die Hauptdiagnose. Bedingen gleichzeitig anfänglich zwei oder mehrere Diagnosen den stationären Krankenhausaufenthalt, sieht die Erläuterung zu D002f – vorbehaltlich spe-zieller Regelungen – eine Auffangregelung vor. Sie stellt ausnahmsweise auf den quan-titativen Aspekt des Ressourcenverbrauchs ab: "Wenn zwei oder mehrere Diagnosen in Bezug zu Aufnahme, Untersuchungsbefunden und/oder der durchgeführten Therapie gleichermaßen die Kriterien für die Hauptdiagnose erfüllen und ICD-10-Verzeichnisse und Kodierrichtlinien keine Verschlüsselungsanweisungen geben, muss vom behan-delnden Arzt entschieden werden, welche Diagnose am besten der Hauptdiagnose-Definition entspricht. Nur in diesem Fall ist vom behandelnden Arzt diejenige auszuwäh-len, die für Untersuchung und/oder Behandlung die meisten Ressourcen verbraucht hat. Hierbei ist es unerheblich, ob die Krankheiten verwandt sind oder nicht."

Soweit die Erläuterung hierbei darauf verweist, dass "der behandelnde Arzt" die Haupt-diagnose auszuwählen hat, ist dies nur in einem tatsächlichen Sinn zu verstehen. Die Beurteilung, ob eine Diagnose als Hauptdiagnose zu kodieren ist, bemisst sich nach objektiven Maßstäben. Sie erfordert kein an eine bestimmte Person gebundenes höchstpersönliches Fachurteil, sondern kann jederzeit durch einen unabhängigen Sachverständigen nachvollzogen werden. Sie unterliegt im Streitfall der vollen richterli-chen Nachprüfung. Ein anderes Verständnis widerspräche höherrangigem Recht. Der Große Senat des BSG hat früheren Versuchen, die im Ergebnis dazu führten, dass im Vergütungsstreit die Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit zugunsten des Kranken-hauses vermutet wird, eine klare Absage erteilt. Nichts anderes gilt, wenn der Vergü-tungsanspruch nicht dem Grunde, sondern der Höhe nach streitig ist. Aus den Vor-schriften, welche die Stellung und die Funktion der Krankenhäuser innerhalb des Ver-sorgungssystems der gesetzlichen Krankenversicherung regeln, lässt sich ein solcher Vorrang nicht herleiten. Die zugelassenen Krankenhäuser erbringen kraft gesetzlicher Aufgabenzuweisung die den Versicherten von den Krankenkassen als Naturalleistung geschuldete Krankenhausbehandlung; sie sind gemäß § 109 Abs. 4 S. 2 SGB V im Rahmen ihres Versorgungsauftrags zur Behandlung der Versicherten nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften verpflichtet. Vereinbarungen in Normsetzungsverträgen können nicht bewirken, dass die Vergütungshöhe entgegen dem Gesetz nicht nach ob-jektiven Maßstäben festgelegt wird, sondern nach der subjektiven Einschätzung des Krankenhausarztes. Soweit sich aus der Rechtsprechung des früher auch für das Leis-tungserbringungsrecht der Krankenhäuser zuständigen 3. Senats des BSG etwas hier-von Abweichendes ergibt, hat der nunmehr ausschließlich für diese Verfahren zuständi-ge 1. Senat des BSG diese Rechtsprechung ausdrücklich aufgegeben.

Das zweite wesentliche Definitionsmerkmal der Hauptdiagnose ist der Begriff "nach Analyse". Er verdeutlicht, dass es weder auf die subjektive oder objektiv erzielbare Ein-weisungs- oder Aufnahmediagnose ankommt, sondern allein auf die objektive ex-post-Betrachtung der Aufnahmegründe am Ende der Krankenhausbehandlung. Es ist für die Bestimmung der Hauptdiagnose ohne Belang, dass die Diagnose des einweisenden Arztes und des aufnehmenden Krankenhausarztes unter Berücksichtigung der ex ante vorhandenen Informationen objektiv lege artis erfolgte. Maßgeblich ist allein die objektiv zutreffende ex-post-Betrachtung.

b. Dieser sich aus der Wortlautauslegung ergebende Regelungsgehalt der Definition der Hauptdiagnose steht auch in Einklang mit der Systematik. Denn die Kodierrichtlinie D003i der DKR 2010 definiert die Nebendiagnose als: "Eine Krankheit oder Beschwer-de, die entweder gleichzeitig mit der Hauptdiagnose besteht oder sich während des Krankenhausaufenthaltes entwickelt." Eine Diagnose, die sich während des Kranken-hausaufenthalts entwickelt, ist ungeachtet des damit verbundenen Ressourcenver-brauchs zwingend keine Hauptdiagnose. Im Übrigen verweisen die Erläuterungen zu D003i darauf, dass für Kodierungszwecke Nebendiagnosen als Krankheiten interpretiert werden müssen, die das Patientenmanagement in der Weise beeinflussen, dass ir-gendeiner der folgenden Faktoren erforderlich ist: therapeutische Maßnahmen, diag-nostische Maßnahmen oder erhöhter Betreuungs-, Pflege- und/oder Überwachungs-aufwand. Sie erfordern einen solchen Ressourcenverbrauch. Eine Krankheit oder Be-schwerde, die gleichzeitig mit anderen Krankheiten oder Beschwerden die Aufnahme in das Krankenhaus veranlasst, ist Nebendiagnose, wenn sie nicht für Untersuchung und/oder Behandlung die meisten Ressourcen verbraucht hat (BSG, Urteile vom 21. April 2015 – B 1 KR 9/15 R – und vom 05. Juli 2016 – B 1 KR 40/15 R –, juris).

3. Auf dieser Grundlage durfte der Kläger nicht die DRG N06Z (in der Fassung des als Anlage 1 zur FPV 2010 vereinbarten Fallpauschalenkatalogs 2010) abrechnen.

a. Diese DRG umfasst "komplexe rekonstruktive Eingriffe an den weiblichen Ge-schlechtsorganen" und wird nach den Vereinbarungen der Vertragspartner für das Jahr 2010 (vgl. Definitionshandbuch 2010, Bd.3, S. 567ff, insbesondere S. 569, 571) nur bei einer Hauptdiagnose aus der MDC (Major Diagnostic Category = Hauptdiagnosegrup-pe) 13 angesteuert. Dieser MDC sind Krankheiten und Störungen der weiblichen Ge-schlechtsorgane zugewiesen. Die DRG N06Z dürfte daher im vorliegenden Fall nur ab-gerechnet werden, wenn die in der MDC 13 aufgeführte Rektozele (a.a.O., S. 576) als Hauptdiagnose zu kodieren war, nicht aber bei einem Rektumprolaps, der in dieser MDC keine Erwähnung findet.

b. Nach dem oben Gesagten durfte der Kläger als Hauptdiagnose nicht die Rektozele, sondern ausschließlich den Rektumprolaps wählen.

aa. Es ist schon zweifelhaft, ob bei der Versicherten überhaupt eine Rektozele vorlag. Während die Klägerseite unter einer Rektozele eine "Ausstülpung des Rektums zur Va-gina hin" versteht, kommt nach Auffassung des MDK-Arztes Dr. M eine (ventrale = bauchseitige) Rektozele überwiegend dann zustande, wenn "der Uterus sich in die Va-gina absenkt, weil die Scheidenhinterwand und die Rektumvorderwand aneinander an-schließen und letztere nach vorne gezogen wird". Legt man diese Definition zugrunde, wäre die Diagnose Rektozele unzutreffend, weil ein Absenken des Uterus in die Vagina nicht festgestellt wurde.

bb. Geht man hingegen davon aus, dass sowohl ein Rektumprolaps als auch eine Rek-tozele vorlagen, kommt es auf einen Vergleich dieser beiden Diagnosen im Hinblick auf die unter 2. a. genannten Kriterien an. Im Ergebnis ist unter jedem möglichen Blickwin-kel der Rektumprolaps als Hauptdiagnose zu qualifizieren. Den Aussagen des Opera-teurs Dr. S kommt wegen ihrer Widersprüchlichkeit insofern kaum Gewicht bei.

(1) Soweit bei dem Vergleich darauf abgestellt wird, welche der beiden Diagnosen bei retrospektiver Betrachtung objektiv nach medizinisch-wissenschaftlicher Erkenntnis hauptsächlich die stationäre Behandlung erforderlich machte, kann der Senat auf die überzeugenden Ausführungen des Sozialgerichts verweisen (§ 153 Abs. 4 SGG). Des-sen Einschätzung teilt der Senat, auch wenn er nicht verkennt, dass immerhin der Arzt-brief vom 5. Juli 2010 an den Einweiser Dr. K die Rektozele als erste Diagnose und als einen von zwei Gründen für die operative Therapie nennt.

(2) Stellt man sich indes mit dem Operateur auf den Standpunkt, dass beide Diagnosen "für die Behandlung gleichwertig" waren, überzeugt die Schlussfolgerung, sie ver-brauchten die gleichen Ressourcen, nicht. Der höhere Ressourcenverbrauch ist zwar nach der o.g. Erläuterung zu D002f – speziellere Regelungen sind nicht ersichtlich – maßgeblich, wenn "zwei oder mehrere Diagnosen in Bezug zu Aufnahme, Untersu-chungsbefunden und/oder der durchgeführten Therapie gleichermaßen die Kriterien für die Hauptdiagnose erfüllen". Hierbei existiert – wie bereits dargelegt – kein von der Krankenkasse, dem MDK oder dem Gericht nur eingeschränkt überprüfbarer Entschei-dungsspielraum des behandelnden Arztes. Die Annahme gleichhohen Ressourcenver-brauchs steht allerdings im Widerspruch zu weiteren Angaben von Dr. S. So hat er im Erörterungstermin vom 25. Februar 2016 erläutert, die bei der Versicherten angewandte Operationsmethode (STARR) werde "grundsätzlich auch eingesetzt, wenn nur ein Rektumprolaps zu behandeln ist". Kommt aber eine Operationsmethode sowohl zum Einsatz, wenn nur eine Diagnose (hier: Rektumprolaps) vorliegt, als auch beim Hinzutreten einer weiteren Diagnose (hier: Rektozele), verursacht letztere offenkundig keinen wesentlichen zusätzlichen Ressourcenverbrauch; eine solche Diagnose scheidet als Hauptdiagnose daher aus.

(3) Aber sogar dann, wenn man mit dem Kläger einen gleichhohen Ressourcenver-brauch für beide Diagnosen zugrunde legte, dürfte die Rektozele nicht als Hauptdiag-nose kodiert werden. Denn entgegen der klägerischen Auffassung muss bei gleich ho-hem Ressourcenverbrauch die zur geringeren Vergütung führende Diagnose kodiert werden. Dies ist Ausfluss des Wirtschaftlichkeitsgebots (§ 12 SGB V).

Das Wirtschaftlichkeitsgebot gilt nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes für alle Leis-tungsbereiche des SGB V. Danach müssen die Leistungen ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein; sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leis-tungen, die nicht notwendig oder unwirtschaftlich sind, können Versicherte nicht bean-spruchen, dürfen die Leistungserbringer nicht bewirken und die Krankenkassen nicht bewilligen (§ 12 Abs. 1 S. 2 SGB V sowie § 2 Abs. 1 S. 1, § 4 Abs. 3, § 70 Abs. 1 SGB V). Das Wirtschaftlichkeitsgebot gilt nach der Gesetzeskonzeption uneinge-schränkt auch im Leistungserbringungsrecht. Das SGB V macht keine Ausnahme hier-von für Krankenhausbehandlung (BSG, Urteil vom 10. März 2015 – B 1 KR 2/15 R –, juris, m.w.N.). Der Nachweis der Wirtschaftlichkeit erfordert, dass bei Existenz ver-schiedener gleich zweckmäßiger und notwendiger Behandlungsmöglichkeiten die Kos-ten für den gleichen zu erwartenden Erfolg geringer oder zumindest nicht höher sind. Auch Krankenhäuser müssen nach diesen Grundsätzen bei der Behandlung der Versi-cherten den kostengünstigeren Weg wählen (BSG a.a.O.).

4. Angesichts dessen muss der Senat nicht abschließend entscheiden, ob die gesamte Behandlung der Versicherten in der Zeit vom 30. Juni bis 5. Juli 2010 möglicherweise deshalb nicht vergütungsfähig war, weil die angewandte Operationsmethode (STARR) als Hauptleistung nicht dem Qualitätsgebot entsprach.

a. Die Krankenhausbehandlung umfasst im Rahmen des Versorgungsauftrages des Krankenhauses alle Leistungen, die im Einzelfall nach Art und Schwere der Krankheit für die medizinische Versorgung der Versicherten im Krankenhaus notwendig sind (§ 39 Abs. 1 S. 3 Halbs. 1 SGB V). Die Leistungspflicht der GKV besteht aber nicht uneinge-schränkt für jede Art von medizinischer Versorgung; alle Behandlungsformen, auch sol-che im Krankenhaus, müssen vielmehr den in §§ 2 Abs. 1, 12 Abs. 1 und 28 Abs. 1 SGB V für die gesamte GKV festgelegten Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitskriterien ge-nügen. § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V bestimmt allgemein, dass die Leistungen der Kranken-versicherung nach Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu be-rücksichtigen haben. Den Qualitätskriterien des § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V schließlich ent-spricht eine Behandlung, wenn die "große Mehrheit der einschlägigen Fachleute (Ärzte, Wissenschaftler)" die Behandlungsmethode befürwortet und von einzelnen, nicht ins Gewicht fallenden Gegenstimmen abgesehen, über die Zweckmäßigkeit der Therapie Konsens besteht. Dieses setzt im Regelfall voraus, dass über Qualität und Wirksamkeit der Methode zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden können. Der Erfolg muss sich aus wissenschaftlich einwandfrei durchgeführten Studien über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit der Methode ablesen lassen. Die Therapie muss in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behand-lungsfällen erfolgreich gewesen sein (BSG, Urteile vom 21. März 2013 – B 3 KR 2/12 R –, und vom 07. Mai 2013 – B 1 KR 44/12 R –, juris, m.w.N.)

§ 137c SGB V steht dem nicht entgegen. Diese Vorschrift regelt ausschließlich die Vo-raussetzungen, unter denen der Gemeinsame Bundesausschuss die Anwendung von Methoden im Rahmen einer Krankenhausbehandlung zu Lasten der Krankenkassen ausschließen kann. Welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, damit die statio-näre Behandlung eines Versicherten zu Lasten der GKV erbracht werden darf, ist für den Fall eines fehlenden Negativvotums allein dem Wortlaut der Vorschrift nicht zu ent-nehmen und mithin durch Auslegung zu ermitteln. § 137c SGB V ist nicht im Sinne einer generellen Erlaubnis aller beliebigen Methoden für das Krankenhaus mit Verbotsvorbehalt auszulegen. Die Vorschrift setzt die Geltung des Qualitätsgebots auch im stationären Bereich nicht außer Kraft. Andernfalls würde die aufgezeigte Systematik des SGB V durchbrochen und die Einheit der Rechtsordnung gefährdet. Denn eine Krankenhausbehandlung, die nicht nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt und deshalb für den Patienten Schadensersatzansprüche sowie für den Krankenhausarzt strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen kann, muss nicht von den Krankenkassen bezahlt werden (BSG a.a.O.).

b. Diesen Anforderungen könnte die Operationsmethode STARR im Juli 2010 nach der Darstellung des Krankenhauses gegenüber der Versicherten (noch) nicht gerecht ge-worden sein. Der Senat entnimmt dem von der Klägerseite im Erörterungstermin am 25. Februar 2016 überreichten Aufklärungsbogen (Stand "05/08", herausgegeben von der Thieme Verlagsgruppe und empfohlen vom Berufsverband der Deutschen Chirur-gen e.V.) bezüglich der "Operation zur Behandlung von Entleerungsstörungen mittels Stanz-Klammerapparat (S.T.A.R.R.-Operation)", dass diese Methode "eine relativ neue, noch nicht allgemein eingeführte Methode [ist], die sich noch in der klinischen Erpro-bung befindet, bei der Langzeitergebnisse fehlen und es zu nicht bekannten Komplika-tionen, Risiken und Nebenwirkungen kommen kann." Methoden im Stadium der Erpro-bung wären jedoch, selbst als Teil einer klinischen Studie, im Rahmen der GKV nicht vergütungsfähig (Entwurf eines Gesetzes zur Strukturreform im Gesundheitswesen (Gesundheits-Reformgesetz - GRG), BT-Drucksache 11/2237 S. 157; BSG, Urteil vom 22. Juli 2004 – B 3 KR 21/03 R –; Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 23. Juli 2015 – L 1 KR 104/15 –; beide juris).

c. Mit den gesetzlichen Wertungen unvereinbar wäre es jedenfalls, wenn das Kranken-haus, um seine zivilrechtliche Haftung möglichst zu verringern, eine wissenschaftlich anerkannte Behandlungsmethode gegenüber den Versicherten als neu und noch nicht hinreichend erprobt darstellt. Es riskiert damit, dass es in anderen Zusammenhängen an einer solchen unzutreffenden Darstellung festgehalten wird.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1, 2. Hs. SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 und 2 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) und entspricht dem Ergebnis des Rechtsstreites.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Zulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
Saved