S 39 AS 4251/14

Land
Hamburg
Sozialgericht
SG Hamburg (HAM)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
39
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 39 AS 4251/14
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Die Klage wird abgewiesen. 2. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt höhere Leistungen für Unterkunft und Heizung in Form der Übernahme von Tilgungsraten für ein Hausdarlehen für die Monate November 2013 bis zum 13. Mai 2014.

Die in P. am xxxxx1969 geborene Klägerin lebt seit 1990 in der Bundesrepublik Deutschland. Sie hat am 03.04.2008 eine eigene Wohnung mit einer Größe von 48,93 qm zum Kaufpreis von 71.400 EUR erworben und hierfür ein Darlehen ebenfalls in der Höhe von 71.400 EUR aufgenommen. Das Darlehen schloss sie bei der I. Bank ab. Mit Stand vom 30.01.2015 bestand eine Resttilgungsschuld von 46,553,07 EUR bei einer Tilungsrate von ungefähr 150 EUR monatlich.

Am 15.07.2013 beantragte die Klägerin Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch – Grundsicherung für Arbeitssuchende – (SGB II).

Mit Einreichung der Anlage für Kosten der Unterkunft und Heizung am 18.07.2013 beantragte sie gleichzeitig die Übernahme der Tilgungsraten des aufgenommen Darlehens zur Wohnungsfinanzierung.

Am 19.07.2013 erging ein Bewilligungsbescheid für den Zeitraum vom 01.07.2012 bis zum 31.12.2013. Die Übernahme von Tilgungsraten wurde im Rahmen dieses Bewilligungsbescheids nicht berücksichtigt.

Am 30.11.2013 stellte die Klägerin erneut einen Antrag auf Übernahme der Tilgungsraten für den Zeitraum vom 01.07.2013 bis zum 31.12.2013 mit Bezugnahme auf den Antrag vom 18.07.2012 und dem Bewilligungsbescheid vom 19.07.2013.

Am 20.12.2013 stellte die Klägerin einen Weiterbewilligungsantrag für Leistungen nach dem SGB II.

Dieser wurde am 17.01.2014 für den Zeitraum vom 01.01.2014 bis zum 30.06.2016 beschieden. Im Rahmen dieser Bewilligung wurden ebenfalls keine Tilgungsraten berücksichtigt.

Gegen den Bescheid vom 17.01.2014 legte die Klägerin Widerspruch ein.

Am 30.10.2014 erging ein Widerspruchsbescheid, bekanntgegeben am 05.11.2014, mit dem der Beklagte die Übernahme von Tilgungsraten ablehnte. Er berief sich hierbei auf eine Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 22.08.2012 Az. B 14 AS 1/12 R, wonach die monatlichen Tilgungsraten für eine Immobilie nicht zu den berücksichtigungsfähigen Kosten der Unterkunft und Heizung gehören. Ausnahmen bestünden nur in besonderen Ausnahmefällen, wenn es mit Verweis auf den ausgeprägten Schutz des Grundbedürfnisses Wohnen um die Erhaltung einer Wohnung gehe, dessen Finanzierung im Zeitpunkt des Bezugs von Grundsicherungsleistungen bereits weitestgehend abgeschlossen sei. Dies sei hier jedoch nicht der Fall.

Hiergegen hat die Klägerin am 4.12.2014 Klage erhoben. Die Klägerin begründet ihre Klage im Wesentlichen damit, dass im konkreten Falle der Schutz der Erhaltung des Wohnraums Vorrang genießen müsse, vor dem Grundsatz, dass SGB II Leistungen dem Vermögensaufbau dienen sollen, insbesondere auch vor dem Hintergrund der Gleichstellung von Mieter und Wohnungseigentümer. Soweit die Kosten für Schulden und Tilgung die Angemessenheitsgrenze des § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II nicht überschreite, habe bei drohendem Wohnungsverlust bei wertender Betrachtung der Gesichtspunkt der Vermögensbildung zurückzutreten. Hierbei hat die Klägerin im Wesentlichen auf ein Urteil des Bundessozialgerichts vom 03.12.2015 BSG B 4 AS 49/14 R, bei dem das Bundessozialgericht in einem ähnlich gelagerten Fall aufgrund des Vorrangs des Schutzes der Erhaltung des Wohnraums die Übernahme von Tilgungsraten zugesprochen habe, verwiesen.

Mit Klageeinreichung hat die Klägerin ursprünglich beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin die Tilgungsanteile der monatlichen Raten in Höhe von monatlich 354,03 EUR abzüglich der geleisteten KdU-Leistungen für die Monate November 2013 bis einschließlich Mai 2014, mithin insgesamt 1079,39 EUR nebst Zinsen in Höhe von 4 Prozent nach Ablauf eines jeweiligen Kalendermonats nach dem Eintritt ihrer Fälligkeit bis zum Ablauf des Kalendermonats vor der Zahlung zu zahlen. Mit Schriftsatz vom 11. Juni 2015 hat die Klägerin ihren Antrag in Bezug auf den Zeitraum vom 14.05.2014 bis zum 30.05.2014 zurückgenommen, da sie ab dem 14.05.2014 Übergangsgeld von der Deutschen Rentenversicherung Bund bezogen hat.

Die Klägerin beantragt nunmehr,

den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin die Tilgungsanteile der monatlichen Raten in Höhe von monatlich 354,03 EUR abzüglich der geleisteten KdU für die Monate November 2013 bis zum 13. Mai 2014 mithin insgesamt 990,03 EUR zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Hierbei bezieht sich der Beklagte weitestgehend auf die Begründung des Widerspruchbescheids mit Verweis auf die genannte Entscheidung des Bundessozialgerichts.

Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hat das Gericht die Verwaltungsakte des Beklagten beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Prozessakte und der Verwaltungsakte des Beklagten sowie das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 10.06.2016 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Anfechtungsklage- und Leistungsklage mit Bezug auf den Bewilligungsbescheid vom 19.07.2013 ist schon unzulässig, da kein ordnungsgemäßes Vorverfahren gem. § 78 SGG durchgeführt wurde. Der Antrag auf Berücksichtigung der Tilgungsraten vom 30.11.2013, der eventuell als Widerspruch zum Bewilligungsbescheid vom 19.07.2013 gewertet werden könnte, ist zumindest nicht fristgerecht eingelegt worden.

Die zulässige Anfechtungs- und Leistungsklage gegen den Bewilligungsbescheid vom 17.01.2014 ist unbegründet. Der Bescheid vom 17.01.2014 in Gestalt des Widerspruchbescheids vom 30.10.2014 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Übernahme der Tilgungsraten für das laufende Hausdarlehen als Kosten der Unterkunft und Heizung.

Insbesondere lehnte der Beklagte es zu Recht ab, die Tilgungsraten als unterkunftsbezogenen Bedarf anzusehen. Ein derartiger Anspruch konnte sich nur aus § 22 Abs. 1 S. 1 SGB II ergeben.

Gemäß § 22 Abs 1 SGB II werden Leistungen für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht, soweit diese angemessen sind. Die Angemessenheit von mit der Nutzung von Eigentum verbundenen Kosten ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts an den Kosten zu messen, die für Mietwohnungen angemessen sind, dh die Frage der Angemessenheit der Unterkunftskosten ist für Mieter und Hauseigentümer nach einheitlichen Kriterien zu beantworten (BSG Urteil vom 15.4.2008 - B 14/7b AS 34/06 R - BSGE 100, 186 ff = SozR 4-4200 § 12 Nr 10; BSG Urteil vom 18.6.2008 - B 14/11b AS 67/06 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 13). Eine Privilegierung von Eigentümern gegenüber Mietern findet im Rahmen der Angemessenheitsprüfung nicht statt (BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 2/05 R - BSGE 97, 203 = SozR 4-4200 § 12 Nr 3; BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 8/06 R - BSGE 97, 217 = SozR 4-4200 § 22 Nr 1).

Zu den Aufwendungen für Unterkunft und Heizung in dem genannten Sinne, für die Leistungen zu erbringen sind, gehören grundsätzlich keine Tilgungsraten (BSG Urteil vom 7.11.2006 - B 7b AS 2/05 R - BSGE 97, 203 = SozR 4-4200 § 12 Nr 3, RdNr 24). Die Leistungen nach dem SGB II sind auf die aktuelle Existenzsicherung beschränkt und sollen nicht der Vermögensbildung dienen (BSG Urteil vom 7.7.2011 - B 14 AS 79/10 R - zur Veröffentlichung vorgesehen, mwN). Der Gesetzgeber räumt zwar dem Erhalt der Wohnung allgemein einen hohen Stellenwert ein, ohne Rücksicht darauf, ob diese gemietet ist oder im Eigentum des Hilfebedürftigen steht. § 22 SGB II dient dem Schutz der Wohnung als räumlichem Lebensmittelpunkt. Allerdings besteht insoweit ein Spannungsverhältnis zwischen dem Schutz des Wohneigentums einerseits und der Beschränkung der Leistungen nach dem SGB II auf die aktuelle Existenzsicherung andererseits. Das Arbeitslosengeld II soll den Lebensunterhalt sichern und grundsätzlich nicht der Vermögensbildung dienen.

Ausnahmen von diesem demnach auch vorliegend anwendbaren Grundsatz sind im Hinblick auf den im SGB II ausgeprägten Schutz des Grundbedürfnisses "Wohnen" nur in besonderen Ausnahmefällen angezeigt, wenn es um die Erhaltung von Wohneigentum geht, dessen Finanzierung im Zeitpunkt des Bezugs von Grundsicherungsleistungen bereits weitgehend abgeschlossen ist (BSG Urteil vom 18.6.2008 - B 14/11b AS 67/06 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 13). Im Übrigen ist der Eigentümer grundsätzlich ebenso wenig wie der Mieter davor ge-schützt, dass sich die Notwendigkeit eines Wohnungswechsels ergeben kann (vgl BSG Urteil vom 27.2.2008 - B 14/7b AS 70/06 R - SozR 4-4200 § 22 Nr 8 zur Kostensenkungsaufforde-rung und BSG Urteil vom 15.4.2008 - B 14/7b AS 34/06 R - BSGE 100, 186 = SozR 4-4200 § 12 Nr 10 zum Wohnungswechsel wegen unangemessen hoher Unterkunftskosten).

Das Bundessozialgericht geht bei 80 % Tilgung oder mehr des abzuzahlenden Darlehens von einer weitgehend abgeschlossenen Finanzierung des Darlehens aus (BSG, Urteil vom 07. Juli 2011 – B 14 AS 79/10 R –, SozR 4-4200 § 22 Nr 48). Das LSG Berlin-Brandenburg geht noch von einer weitgehend abgeschlossenen Finanzierung bei 74 % Abzahlung des Darlehens aus, wenn die eigentliche Vermögensmehrung durch eigene Sanierungsleistung stattfinde.

Das von der Klägerin angeführte Urteil vom 03.12.2015 BSG B 4 AS 49/14 R steht entgegen der Einschätzung der Klägerin trotz gewisser Parallelen bzgl. des Sachverhalts zum konkreten Fall genau in der Tradition dieser Rechtsprechung, von einer abgeschlossenen Finanzierung des Darlehens erst bei über 80 % Tilgung des zu finanzierenden Objekts auszugehen. Entscheidender Unterschied im Urteil des BSG vom 03.12.2015, im Gegensatz zum konkreten vorliegenden Fall, war, dass beim Kläger nur noch eine Resttilgung von 18,7 % bestand. Ein derartiger Ausnahmefall ist im vorliegenden Fall nicht gegeben, selbst wenn man abweichend von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts etwas geringere Tilgungen verlangen wollte. Nach eigenen Angaben der Klägerin und laut Tilgungsplan vom 30.01.2015 besteht eine Restschuld von über 46000 EUR. Der Kaufwert des Objektes betrug 71400 EUR laut Kaufvertrag, sodass hier noch eine Restschuld von über 60 % besteht. Bei noch bestehenden Restschulden in dieser Höhe, die weit über der vom Bundessozialgericht verlangten Resttilgungsschuld von 20 % liegen, kann dem Schutz auf Erhalt der Wohnung kein Vorrang gewährt werden, vor dem Grundsatz, dass mittels SGB II Leistungen kein Vermögen aufgebaut werden soll, um die Gleichbehandlung zwischen Mieter und Wohnungseigentümer zu erhalten.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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