L 8 SB 619/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 8 SB 3105/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 619/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 27.11.2015 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob der Klägerin gegen den Beklagten ein Anspruch auf (Neu-)Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB; mindestens 50 statt 30) seit 03.12.2013 zusteht.

Bei der 1955 geborenen Klägerin stellte das Versorgungsamt Karlsruhe mit Bescheid vom 18.07.1995 (Blatt 22 der Beklagtenakte) den GdB mit 30 seit 13.04.1995 fest (zugrundeliegende Funktionsbehinderungen: neurotische Fehlsteuerung mit multiplem Schmerzsyndrom, Migräne, Wirbelsäulensyndrom). Spätere (Neu-)Feststellungsanträge waren ohne Erfolg (vgl. Bescheide vom 05.03.2002, Blatt 32/33 der Beklagtenakte, und vom 02.08.2010, Blatt 51 der Beklagtenakte, Widerspruchsbescheid vom 26.11.2010, Blatt 64/66 der Beklagtenakte).

Unter Vorlage ärztlicher Berichte (dazu vgl. Blatt 67/77 der Beklagtenakte) beantragte die Klägerin am 03.12.2013 (Blatt 78/79 der Beklagtenakte) beim Landratsamt Karlsruhe (LRA) die höhere (Neu-)Feststellung des GdB. Zu diesem Antrag verwies sie auf "Bandscheibenvorfall 3 x Schulter, Brustwirbel, Lendenwirbel, Fibromyalgie, Hypothyreose, M79.09, Initiale Osteoporose, Beckenschiefstand ca. 9 mm, Kopfgelenkfunktionsstörung (rechtes Gelenk)" wofür sie seit fünf Jahren manuelle Therapie bekomme.

Das LRA zog Befundberichte vom Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. M. bei (zu dessen Befunden vgl. Blatt 85 der Beklagtenakte). Außerdem legte die Klägerin einen Notfall-/Vertretungsschein der Ärztin für Allgemeinmedizin S. vom 05.03.2014 (Blatt 87 der Beklagtenakte) und einen Bericht des Facharztes für Orthopädie M. vom 20.02.2014 (Blatt 88 der Beklagtenakte) vor.

Der Versorgungsarzt Dr. P. schätzte in seiner Stellungnahme vom 24.03.2014 (Blatt 89/90 der Beklagtenakte) den Gesamt-GdB auf 30 ein (zugrundeliegende Funktionsbehinderungen: Psychovegetative Störungen, funktionelle Organbeschwerden, Fi-bromyalgiesyndrom, Fingerpolyarthrose: GdB: 20; Wirbelsäulenverformung, Kalksalzminderung des Knochens (Osteoporose), Funktionsbehinderung des linken Schultergelenks, Migräne: GdB 20).

Das LRA lehnte daraufhin mit Bescheid vom 31.03.2014 (Blatt 91/92 der Beklagtenakte) die höhere (Neu-)Feststellung des GdB ab.

Mit ihrem Widerspruch am 25.04.2014 (Blatt 94/98 der Beklagtenakte) legte die Klägerin Überweisungsscheine von Dr. S. und den Bericht des Radiologie Zentrum R. vom 21.03.2014 zur Sonographie der Schilddrüse vor. Der GdB von 30 beziehe sich nur auf die neurotische Fehlsteuerung mit multiplem Schmerzsyndrom, Migräne, Wirbelsäulen-Syndrom. Hinzugekommen seien (Blatt 102/103 der Beklagtenakte): - Tarsaltunnelsyndrom - leichte Antrum- und Corpusgastritis, - diskrete Lymphangioektasien im Pars descendes duodemi, - Gelenkblockierung (auch ISG), - Fibromyalgie, Rheumatismus, nicht näher bezeichnete Lokalisation (auch Weichteilrheuma genannt), - gesichert Myogelose im HWS-Bereich.

Der Versorgungsarzt Dr. S. nahm hierzu Stellung (Blatt 104/105 der Beklagtenakte) und schätzte den GdB erneut mit 30 ein (zugrundeliegende Funktionsbehinderungen: Psychovegetative Störungen, funktionelle Organbeschwerden, Fibromyalgiesyndrom, Fingerpolyarthrose: GdB: 20; Wirbelsäulenverformung, Kalksalzminderung des Knochens (Osteoporose), Funktionsbehinderung des linken Schultergelenks, Migräne: GdB 20).

Mit Widerspruchsbescheid vom 19.08.2014 (Blatt 107/109 der Beklagtenakte) wies der Beklagte durch das Regierungspräsidium Stuttgart – Landesversorgungsamt – den Widerspruch der Klägerin zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 17.09.2014 Klage zum Sozialgericht (SG) Karlsruhe erhoben. Die neurotische Fehlsteuerung mit multiplem Schmerzsyndrom sei etwas anderes als das Krankheitsbild der Fibromyalgie. Fibromyalgie sei eine Muskelerkrankung. Es handele sich um ein generalisiertes Schmerzsyndrom mit chronischen Schmerzen im Bereich von Muskeln und Gelenken. Aufgrund starker Schmerzen, verbunden mit einer geringen Schmerztoleranz, gelange der Fibromyalgiepatient schnell an seine körperliche und geistige Belastungsgrenze. Zu den weiter von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Unterlagen vgl. Blatt 2/4, 5/7, 15, 59/62, 114/115, 189/198 und nach 203 der SG-Akte).

Das SG hat Beweis erhoben durch schriftliche Befragung der die Klägerin behandelnden Arzte als sachverständige Zeugen. Die Fachärztin für Anästhesie, spezielle Schmerztherapie S. hat dem SG unter dem 24.11.2014 u.a. geschrieben (Blatt 29/31 der SG-Akte), die Schmerzen der Wirbelsäule hätten deutlich an Intensität zugenommen. Sie hat den GdB auf ihrem Fachgebiet auf 30 geschätzt. Der Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. M. hat in seiner Antwort vom 18.11.2014 (Blatt 32/37 der SG-Akte) den GdB auf 40 geschätzt. Es liege eine Schmerzzunahme und eine neurologische Symptomatik im rechten Arm vor. Der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. S. hat mit Schreiben vom 04.12.2014 ausgeführt (Blatt 41/52 der SG-Akte), dass der GdB bei mindestens 70 liege.

Das SG hat des Weiteren Beweis erhoben durch Einholung eines nervenärztlichen Gutachtens. Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Prof. Dr. Dr. D. hat in seinem Gutachten vom 08.09.2015 (Blatt 155/187 der SG-Akte) nach einer Untersuchung der Klägerin am 27.05.2015 eine somatoforme Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren mit einem GdB von 20, eine Migräne mit einem GdB von 20 und den Gesamt-GdB mit 30 eingeschätzt.

Mit Urteil vom 27.11.2015 hat das SG die Klage abgewiesen. Der streitgegenständliche Bescheid sei rechtmäßig und verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie habe keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB von mindestens 40.

Gegen das ihr am 22.01.2016 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 17.02.2016 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg Berufung eingelegt. Sie habe Fibromyalgie (Weichteilrheuma) und kein Syndrom. Es bestünden "Verletzung OP, Erkrankung Extremitäten/Becken. Gelenkfunktionsstörungen, Bewegungsstörungen usw." Der Haushalt mache sich nicht von alleine. Da sie sich keine Haushaltshilfe leisten könne müsse sie unter starken Schmerzen die alleine tun. Fahrradfahren reiche noch bis 500 m. Es sei eine Fußheberparese festgestellt worden (Schreiben vom 16.02.2016, Blatt 4 der Senatsakte). Zu den des Weiteren von der Klägerin vorgelegten ärztlichen Unterlagen vgl. Blatt 22, 33/40, 47, 63/74 der Senatsakte).

Die Klägerin beantragt sinngemäß, das Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 27.11.2015 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 31.03.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.08.2014 zu verurteilen, bei ihr einen GdB von mindestens 50 seit 03.12.2013 festzustellen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er ist der Berufung entgegengetreten und hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Seit dem Erlass des Bescheides vom 18.07.1995 sei keine wesentliche Änderung i.S.d. § 48 SGB X eingetreten. Dies habe auch das nervenärztliche Gutachten von Prof. Dr. Dr. D. bestätigt. Der Beklagte hat eine versorgungsärztliche Stellungnahme von Dr. W. vom 02.06.2016 (Blatt 16/17 der Senatsakte) vorgelegt, der den GdB mit 30 bewertet hat.

Die Sach- und Rechtslage wurde mit den Beteiligten in einem nichtöffentlichen Termin am 07.10.2016 erörtert. Wegen des Inhalts und Ergebnisses des Termins wird auf die Niederschrift Bezug genommen (Blatt 28/29 der Senatsakte). Im Nachgang zu diesem Termin hat die Klägerin ärztliche Unterlagen (Blatt 33/40 der Senatsakten) vorgelegt.

Der Senat hat daraufhin zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts ein internistisch-sozialmedizinisches Gutachten bei Dr. S. samt Zusatzbegutachtung auf psychiatrischem Fachgebiet beim Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. B. sowie auf orthopädischem Fachgebiet bei Dr. H./Dr. K. in Auftrag gegeben (Beweisanordnung vom 23.01.2017, Bl. 41/42 der Senatsakte).

Telefonisch (Blatt 48 der Senatsakte) und schriftlich (Blatt 50 der Senatsakte) hat die Klägerin mitgeteilt, die Begutachtungstermine nicht wahrzunehmen. Daraufhin hat der Senat die Gutachtensaufträge aufgehoben (Blatt 52 der Senatsakte).

Zuletzt hat die Klägerin am 09.05.2017 ärztliche Unterlagen vorgelegt (Blatt 63/74 der Senatsakte).

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte und die beigezogenen Akten aus den Verfahren L 2 RJ 2639/02, L 11 R 3641/07 und L 4 R 283/14 sowie die beigezogenen Akten des SG und des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Der Senat hat trotz Ausbleibens der Klägerin in der mündlichen Verhandlung entscheiden können, denn die Klägerin war ordnungsgemäß geladen und in der Terminsladung darauf hingewiesen worden, dass auch bei ihrem Ausbleiben verhandelt und entschieden werden kann (§ 110 Abs. 1 Satz 2 SGG).

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, in der Sache aber nicht begründet.

Der angefochtene Bescheid des LRA vom 31.03.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 19.08.2014 ist rechtmäßig, die Klägerin durch die angefochtenen Entscheidungen der Versorgungsverwaltung und des SG nicht in ihren Rechten verletzt. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 30.

Rechtsgrundlage für die von der Klägerin begehrte Neufeststellung eines höheren GdB ist § 48 Abs. 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Wesentlich ist eine Änderung dann, wenn sich der GdB um wenigstens 10 erhöht oder vermindert. Im Falle einer solchen Änderung ist der Verwaltungsakt aufzuheben und durch eine zutreffende Bewertung zu ersetzen (vgl. BSG SozR 1300 § 48 SGB X Nr. 29 m.w.N.). Die den einzelnen Behinderungen welche ihrerseits nicht zum so genannten Verfügungssatz des Bescheides gehören zugrunde gelegten Einzel- bzw. Teil-GdB-Sätze erwachsen nicht in Bindungswirkung (BSG 10.09.1997 - 9 RVs 15/96 -, BSGE 81, 50 bis 54). Hierbei handelt es sich nämlich nur um Bewertungsfaktoren, die wie der hierfür (ausdrücklich) angesetzte Teil-GdB nicht der Bindungswirkung des § 77 SGG unterliegen. Ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, muss durch einen Vergleich des gegenwärtigen Zustands mit dem bindend festgestellten früheren Behinderungszustand ermittelt werden.

Maßgebliche Rechtsgrundlagen für die GdB-Bewertung sind die Vorschriften des SGB IX. Danach sind Menschen behindert, wenn ihre körperliche Funktion, geistige Fähigkeit oder seelische Gesundheit mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweichen und daher ihre Teilhabe am Leben in der Gesellschaft beeinträchtigt ist (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX). Die der Zuerkennung eines GdB zugrundeliegende Behinderung wird gemäß § 69 Abs. 1 SGB IX im Hinblick auf deren Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesell-schaft nach Zehnergraden abgestuft festgestellt. Dabei stellt die Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10.12.2009 (BGBl. I, 2412), den Versorgungsmedizinischen Grundsätzen (VG) – wie auch die zuvor geltenden Anhalts-punkte (AHP) - auf funktionelle Beeinträchtigungen ab, die im Allgemeinen zunächst nach Funktionssystemen zusammenfassend (dazu vgl. Teil A Nr. 2 Buchst. e) VG) und die hieraus gebildeten Einzel-GdB (vgl. A Nr. 3a) VG) nach § 69 Abs. 3 SGB IX an-schließend in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen sind. Die Feststellung der jeweiligen Einzel-GdB folgt dabei nicht einzelnen Erkrankungen sondern den funktionellen Auswirkungen aller derjenigen Erkrankungen, die ein einzelnes Funktionssystem betreffen.

Die Bemessung des Gesamt-GdB (dazu s. unten) erfolgt nach § 69 Abs. 3 SGB IX. Da-nach ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet. Insoweit scheiden dahingehende Rechtsgrundsätze, dass ein Einzel-GdB nie mehr als die Hälfte seines Wertes den Gesamt-GdB erhöhen kann, aus. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. A Nr. 3 VG). Der Gesamt GdB ist unter Beachtung der VersMedV einschließlich der VG in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3 3879 § 4 Nr. 5 zu den AHP). Es ist also eine Prüfung vorzunehmen, wie die einzelnen Behinderungen sich zueinander verhalten und ob die Behinderungen in ihrer Gesamtheit ein Ausmaß erreichen, das die Schwerbehinderung bedingt. Insoweit ist für die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft – gleiches gilt für alle Feststellungsstufen des GdB – nach den allgemeinen Beschreibungen in den einleitenden Teilen der VG als Maßstab der Vergleich zu den Teilhabebeeinträchtigungen anderer Behinderungen anzustellen, für die im Tabellenteil ein Wert von 50 – oder anderer Werte - fest vorgegeben ist (BSG 16.12.2014 – B 9 SB 2/13 R – SozR 4-3250 § 69 Nr. 18 = juris). Damit entscheidet nicht allein die Anzahl einzelner Einzel-GdB oder deren Höhe die Höhe des festzustellenden Gesamt-GdB. Vielmehr ist durch einen wertenden Vergleich der Gesamt-GdB dadurch zu bilden, dass die bestehenden Funktionsbehinderungen im zu beurteilenden Einzelfall bestehenden Funktionsbehinderungen mit den vom Verordnungsgeber in den VG für die Erreichung einer bestimmten Feststellungsstufe des GdB bestimmten Funktionsbehinderungen in Beziehung zu setzen sind – bei Feststellung der Schwerbehinderung ist der Vergleich mit den für einen GdB von 50 in den VG vorgesehenen Funktionsbehinderungen, bei Feststellung eines GdB von 40 ist der Vergleich mit den für einen GdB von 40 in den VG vorgesehenen Funktions-behinderungen usw. – vorzunehmen.

Der Senat ist nach eigener Prüfung zu der Überzeugung gelangt, dass die bei der Klägerin vorliegenden Funktionsbehinderungen in ihrer Gesamtschau einen höheren Gesamt-GdB als 30 nicht rechtfertigen.

Im Funktionssystem des Rumpfes, zu dem der Senat die Wirbelsäule einschließlich der Halswirbelsäule zählt, war ein Einzel-GdB von allenfalls 20 anzunehmen. Nach B Nr. 18.9 VG ist bei Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurz dauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) ein GdB von 10, mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) ein GdB von 20, mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) ein GdB von 30 und mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulen-abschnitten ein GdB von 30 bis 40 gerechtfertigt. Maßgebend ist dabei, dass die Bewertungsstufe GdB 30 bis 40 erst erreicht wird, wenn mittelgradige bis schwere funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten vorliegen. Die Obergrenze des GdB von 40 ist danach erreicht bei schweren Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten (Senatsurteil 24.01.2014 - L 8 SB 2497/11 - juris und www.sozialgerichtsbarkeit.de). Erst bei Wirbelsäulenschäden mit besonders schweren Auswirkungen (z.B. Versteifung großer Teile der Wirbelsäule; anhaltende Ruhigstellung durch Rumpforthese, die drei Wirbelsäulenabschnitte umfasst (z.B. Milwaukee-Korsett); schwere Skoliose (ab ca. 70° nach Cobb) ist ein GdB von 50 bis 70 und bei schwerster Belastungsinsuffizienz bis zur Geh- und Stehunfähigkeit ein GdB von 80 bis 100 gerechtfertigt.

Der Senat konnte in diesem Funktionssystem bei der Klägerin eine chronische Lumbalgie, eine lumbale Bandscheibenprotrusion, eine HWS-Spondylarthrose, eine Spondylarthrose der LWS und ein Schulter-Arm Syndrom feststellen. Dies ergibt sich aus dem zuletzt von der Klägerin vorgelegten Bericht der Universitätsklinik F. vom 29.03.2017 (Blatt 63/69 der Senatsakte). Dieser aktuelle Bericht entspricht den von Dr. M. und der Ärztin S. dem SG mitgeteilten Diagnosen. Dr. K., von der Universitätsklinik F. hat in ihrem Bericht vom 29.03.2017 zur Wirbelsäule folgendes berichtet: "Wirbelsäule: Druckdolent über der gesamten Wirbelsäule und im Bereich des ISG rechts, links nicht druckdolent. Muskeleigenreflexe: PSR links auslösbar, rechts nicht auslösbar, ASR beidseits nicht auslösbar, BSR und RPR seitengleich auslösbar. Die Füße sind warm und rosig, leicht ödematös, die Fußpulse der A. tibialis posterior und Arteria dorsalis pedis sind beidseits gut palpabel." Aus den in diesem Bericht mitgeteilten früheren Befunden findet sich zur Wirbelsäule vor allem der Hinweis auf geringe Degeneration HWK 4 bis 7 ohne Einengung des Spinalkanals bzw. foraminaler Enge (Bericht der Klinik für Neurochirurgie UKL F. vom 08.11.2016, Blatt 33/40 der Senatsakte), auf eine Neigung der HWS nach anterior und multisegmentale Chondrosen mit leichter Betonung C 4 bis 7 ohne wesentliche Nervenwurzelkompression, ohne Myelopathiesignal und assoziierte mäßige Spondylarthrosen (Befund des Radiologiezentrum R. vom 07.05.2016, Blatt 65 der Senatsakte) sowie der Hinweis darauf, dass kein Nachweis einer mechanischen Nervenfaserkompromittierung bestehe (Bericht der radiologischen Gemeinschaftspraxis A.-B.-B.-B.-W. in E. vom 14.05.2014, Blatt 66 der Senatsakte). Aus dem von Dr. K. zitierten Attest der Fachärztin für Anästhesie und spezielle Schmerztherapie S. vom 24.6.2014 (Blatt 66 der Senatsakte) ergibt sich ein chronisches HWS-, BWS-, LWS-Syndrom, ein Schulter-Nacken-Syndrom sowie Bandscheibenvorfälle BWK 6/7 und BWK 7/8 ein Zustand nach Sturz mit Frakturen der BWK. Gegen mittelgradige funktionelle Auswirkungen in mehr als einem Wirbelsäulenabschnitt, die in den VG B. Nr. 18.9 als Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome beschrieben werden, spricht, dass die behandelnden Ärzte keinen Behandlungsbedarf hinsichtlich der Wirbelsäule gesehen haben (vgl. Bericht der Paracelsiuskliniken K. vom 01.02.2016, Blatt 65 der Senatsakte). Auch Dr. K. befürwortet z.B. Physiotherapie nur im Hinblick auf die Fibromyalgie-Erkrankung der Klägerin (Blatt 68 der Senatsakte). Soweit der Bericht von Dr. S.-P. vom 08.11.2016 (Blatt 33/34 der Senatsakte) eine in alle richtungen massiv bewegungseingeschränkte HWS beschreibt, so konnte auch er keine Paresen oder eine wesentliche Einengung des Spinalkanals oder der Neuroforamina beschreiben. Auch er sah keine Behandlungsbedürftigkeit. Aus dem Bericht von Dr. A. vom 01.02.2016 (Blatt 36 der Senatsakte) ergibt sich kein weitergehender Befund. Das Radiologie Zentrum R. (Dr. W.-K.) hat in seinem Befundbericht vom 07.05.2016 (Blatt 37 der Senatsakte) eine Neigung der HWS nach anterior ohne wesentliche Seitabweichung bei normalen WK-Höhe bei multisegmentalen Bandscheibendehydratationen betont zwischen C4 und 7 mit zirkulärem Bulging ohne wesentliche Einengungen beschrieben, ebenso eine mediane Bandscheibenprotrusion Th6/7 mit Einengung des anterioren SAR und leichter Pelottierung des Myelon beschrieben. Auch schon im Jahr 2014 hatten Dr. B. (Blatt 35 der SG-Akte) und Dr. H. (Blatt 36 der SG-Akte) mechanische Nervenfaserkompromittierung oder Paresen nicht nachweisen können. Ebensowenig ergibt sich aus dem Gutachten von Prof. Dr. Dr. D. ein Hinweis auf Nervenwurzelreizungen bzw. neurologische Ausfälle (vgl. Blatt 183 der SG-Akte = Seite 31 des Gutachtens). Vor diesem Hintergrund konnte der Senat alleine hinsichtlich der HWS mit besonderem Bezug zu der angegebenen Schmerzhaftigkeit der Gesundheitsstörungen mittelschwere funktionelle Auswirkungen, mithin nur solche in einem Wirbelsäulenabschnitt feststellen. Wirbelsäulenschäden mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt oder mittelschwere funktionelle Auswirkungen mindestens in zwei Wirbelsäulenabschnitten konnte der Senat nicht feststellen. Die von Dr. G. (Bericht vom 06.04.2017, Blatt 72/73 der Senatsakte) beschriebene Schwäche des Beines, lässt sich nicht mit den kernspintomographisch beschriebenen Veränderungen in Übereinstimmung bringen und wird von ihm im Rahmen einer somatoformen Schmerzstörung und nicht als Folge einer Wirbelsäulenproblematik interpretiert.

Im Funktionssystem der Arme, wozu auch die Schultern gehören, konnte der Senat eine sulcus ulnaris-Symptomatik nicht feststellen. So hat der Gutachter Prof. Dr. Dr. D. entgegen der Annahme von Dr. M. (Blatt 32 der SG-Akte) keine Hinweise auf eine solche Erkrankung feststellen können (Blatt 180 der SG-Akte = Seite 28 des Gutachtens). Auch zuletzt konnte Dr. K. in ihrem Bericht vom 29.03.2017 eine solche Symptomatik nicht mitteilen. Auch ein Karpaltunnelsyndrom konnte der Senat mit dem Gutachter Prof. Dr. Dr. D. (Blatt 180 der SG-Akte = Seite 28 des Gutachtens) nicht feststellen. Das auch zuletzt noch von Dr. K. angenommene Schulter-Arm- bzw. Schulter-Nackensyndrom rechts hat zu keinen i.S.d. B Nr. 18.13 VG relevanten Funktionsbeeinträchtigungen geführt. Keiner der behandelnden Ärzte konnte eine Versteifung des Schultergelenks, eine Bewegungseinschränkung des Schultergelenks (einschließlich Schultergürtel) oder eine Instabilität des Schultergelenks beschreiben. Auch bedingt die bei der Klägerin vorliegende beginnende Fingerpolyarthrose keinen Teil-GdB, da hiervon keine wesentlichen Funktionseinbußen herrühren. Die Fingerpolyarthrose äußert sich bislang vor allem in einer schmerzhaften Fingerstreckung. Eine Einschränkung der Fingerbeweglichkeit liegt dagegen nicht vor; ebenso keine Sensibilitätsstörungen (vgl. Arztbrief von Dr. W. vom 21.07.2014, BIatt 37 der SG-Akte). Mithin konnte der Senat im Funktionssystem der Arme keinen Einzel-GdB von mindestens 10 feststellen.

Im Funktionssystem der Beine sind die Gesundheitsstörungen der Knie und der Füße zu berücksichtigen, die insgesamt mit einem Einzel-GdB von 10 zu bewerten sind. Der Verdacht auf ein Lymphödem der unteren Extremitäten, den Dr. Kieselbach beschrieben hatte, begründet keinen Teil-GdB, da nur objektivierte, mithin nachgewiesene Gesundheitsstörungen im Rahmen der GdB-Bewertung berücksichtigt werden können, nicht jedoch bloße Verdachtsdiagnosen. Der Hallux valgus ist als andere Fußdeformität i.S.v. B Nr. 18.14 VG zu berücksichtigen, ist aber ohne nachgewiesene wesentliche statische Auswirkungen geblieben ist. Auch die von der Klägerin im Schreiben vom 16.02.2016 (Blatt 4 der SG-Akte) angegebene Fußheberparese konnte weder auf eine Erkrankung der Wirbelsäule zurückgeführt werden, noch wurde diese schlussendlich objektiviert. Vielmehr hat Dr. G. (Bericht vom 06.04.2017, Blatt 72/73 der Senatsakte) bei apparativ erhobenen Normalbefunden die beschriebene Schwäche des Beines im Rahmen einer somatoformen Schmerzstörung interpretiert.

Hinsichtlich der Hüften hat Dr. M. eine Beweglichkeit von rechts 0-0-110o dargestellt (Blatt 32 der SG-Akte). Insoweit konnte der Senat eine Versteifung eines Hüftgelenks, eine Bewegungseinschränkung der Hüftgelenke mindestens geringen Grades (z.B. Streckung/Beugung bis zu 0-10-90 mit entsprechender Einschränkung der Dreh- und Spreizfähigkeit), eine Hüftdysplasie (einschließlich sogenannte angeborene Hüftluxation) oder eine Hüftgelenksresektion bzw. eine schnappende Hüfte nicht feststellen. Auch eine nach B Nr. 18.14 VG relevante Beinverkürzung liegt nicht vor.

Hinsichtlich der Knieerkrankung der Klägerin hat Dr. K. (Blatt 35 der Senatsakte) mit Bericht vom 12.10.2016 intakte Menisken und Kreuzbänder beschrieben, jedoch rechts einen erst mäßigen Knorpelschaden. Dr. S. hat in seinem Bericht vom 09.11.2016 (Blatt 39 der Senatsakte) ein Innenmeniscusganglion, eine mäßige Chondromalazie medial und eine femoropatellare Dysplasie des rechten Kniegelenks beschrieben. Vor diesem Hintergrund konnte der Senat eine Versteifung eines oder beider Kniegelenke, die Lockerung des Kniebandapparates, einen Kniescheibenbruch, eine habituelle Kniescheibenverrenkung und auch eine Bewegungseinschränkung im Kniegelenk einseitig bzw. beidseitig nicht feststellen. Auch ausgeprägte Knorpelschäden der Kniegelenke (z.B. Chondromalacia patellae Stadium II-IV) mit anhaltenden Reizerscheinungen, einseitig oder beidseitig, mit oder ohne Bewegungseinschränkung konnte der Senat nicht feststellen.

Vor diesem Hintergrund ist die vom Beklagten und dem SG angenommene Bewertung der Funktionsbehinderungen im Bereich der Beine mit einem GdB von 10 jedenfalls nicht zu Lastend er Klägerin rechtswidrig zu niedrig.

Nach B Nr. 18.4 VG ist die bei der Klägerin diagnostizierte Fibromyalgie entsprechend der funktionellen Auswirkungen zu beurteilen. Da sich die funktionellen Auswirkungen dieser Erkrankung in ein Funktionssystem übersteigenden Schmerzen zeigen, sind die funktionellen Auswirkungen mit der Rechtsprechung des Senats im Funktionssystem des Gehirns einschließlich der Psyche zu bewerten.

Hinsichtlich der Osteoporose ist nach B Nr. 18.1 VG der GdB vor allem von der Funktionsbeeinträchtigung und den Schmerzen abhängig. Eine ausschließlich messtechnisch nachgewiesene Minderung des Knochenmineralgehalts rechtfertigt noch nicht die Annahme eines GdB, da vorliegend keine körperlich-organischen Funktionsbeeinträchtigungen nachgewiesen sind. Auch diese Erkrankung bzw. deren funktionellen Auswirkungen sind im Funktionssystem des Gehirns einschließlich der Psyche zu bewerten.

Im Funktionssystem des Gehirns einschließlich der Psyche besteht bei der Klägerin eine chronische somatoforme Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren vor, die mit Schmerzen am ganzen Körper, insbesondere aber auf der rechten Körperhälfte einhergeht, welche auch als Fibromyalgie diagnostiziert wurden, und eine Migräne, die insgesamt mit einem Einzel-GdB von 30 zu bewerten sind. Diese Bewertung des Gutachters Prof. Dr. Dr. D. entspricht auch der neuesten Bewertung und Diagnostik der Dr. K. aus dem Jahr 2017 (Arztbrief vom 29.03.2017). Mit erfasst sind dabei auch die dort genannten "Diagnosen" (es handelt sich eher um Zustandsbeschreibungen) wie Ein- und Durchschlafstörungen, mehrfache Gewalterfahrung durch Partner und Mangel an finanziellen Mitteln.

Nach B Nr. 3.7 VG ist bei Neurosen, Persönlichkeitsstörungen oder Folgen psychischer Traumen mit leichteren psychovegetativen oder psychischen Störungen der GdB mit 0 bis 20, bei stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) der GdB mit 30 bis 40 und bei schweren Störungen (z.B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten der GdB mit 50 bis 70 und mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten der GdB mit 80 bis 100 zu bewerten.

Bei der Klägerin äußert sich die somatoforme Schmerzstörung in starken Schmerzerscheinungen im Rücken- und Schulterbereich. Der Senat konnte insoweit keine wesentliche bzw. relevante Verschlimmerung seit den ersten Befunden aus dem Jahr 1993 feststellen. Auch Dr. K. konnte Anhaltspunkte dafür nicht mitteilen. So hat sie (Blatt 68 der Senatsakte) angegeben, dass die Klägerin sich abgewöhnt habe, Pläne zu machen, würde jetzt jeden Tag so nehmen, wie er komme. Aufgrund der Schmerzen könne sie nicht mehr essen gehen, könne nicht ins Kino oder in die Stadt. Sie mache jeden Tag Fitness zuhause, soweit es ihr Körper zulasse. Auch im Haushält würde sie so viel machen wie ginge, den Rest erledige die Tochter. Die Klägerin wurde als wach und bewusstseinsklar und zu allen Qualitäten voll orientiert beschrieben. Die Antrieb und Schwingungsfähigkeit waren dezent vermindert. Zwar hatte Frau S. bekundet, die Schmerzen hätten im Bereich der Wirbelsäule zugenommen, die Klägerin könne ihren Alltagsverpflichtungen nicht mehr nachkommen. Dieser Einschätzung schließt sich der Senat aber nicht an. Ausweislich des von der Klägerin bei Prof. Dr. Dr. D. beschriebenen Tagesablaufes, der sich mit dem von Dr. K. dokumentierten Klägerangaben deckt, verfügt sie über einen recht strukturierten und abwechslungsreichen Alltag mit Hausarbeiten - wenn auch eingeschränkt - und täglicher Fitnessaktivität, wie Laufen oder Radfahren. Vor diesem Hintergrund konnte der Senat nicht feststellen, dass es zu einer relevant gesteigerten funktionellen Beeinträchtigung der Klägerin gekommen ist. Eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit konnte der Senat nicht feststellen. Vielmehr sieht er die Klägerin in der Lage, was sie in ihrem Alltag auch zeigt, dass sie sich auf die Folgen der Erkrankung einstellen und den jeweiligen Tag um die konkreten Schmerzen herum organisieren kann. Damit konnte der Senat mit Prof. Dr. Dr. D. aber eine wesentliche Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit nicht feststellen. Auch eine depressive Symptomatik liegt nicht vor. Damit konnte der Senat diese Gesundheitsstörung lediglich mit einem Teil-GdB von 20 bewerten.

Im Funktionssystem des Gehirns einschließlich der Psyche ist auch die bei der Klägerin vorliegende Migräne zu berücksichtigen. Nach B Nr. 2.3 VG ist eine echte Migräne je nach Häufigkeit und Dauer der Anfälle und Ausprägung der Begleiterscheinungen zu bewerten. Eine leichte Verlaufsform (Anfälle durchschnittlich einmal monatlich) bedingt einen GdB von 0 bis 10, eine mittelgradige Verlaufsform (häufigere Anfälle, jeweils einen oder mehrere Tage anhaltend) rechtfertigt die Feststellung eines GdB von 20 bis 40. Vorliegend haben Prof. Dr. Dr. D. und Dr. K. monatlich zweimalige Anfälle beschrieben. Während die Klägerin bei Prof. Dr. Dr. D. angegeben hatte, die die Anfälle dauerten jeweils zwischen acht Stunden und zwei bis drei Tagen hat sie bei Dr. K. eine Dauer von regelmäßig vier, bis auch acht Tage beschrieben. Letzteres konnte der Senat aber nicht objektivieren. Denn die Klägerin hat sich insoweit auch einer näheren Begutachtung verschlossen. Damit musste der Senat auf Grundlage der vorhandenen Befunde entscheiden, Insoweit lassen sich allenfalls pochendende Kopfschmerzen rechts mit Begleiterscheinungen in Form von Erbrechen und Übelkeit nachvollziehen. Vor diesem Hintergrund erscheint ein Teil-GdB von 20 in Übereinstimmung mit der Einschätzung von Prof. D. und dem SG für die knapp mittelgradige Migräne gerechtfertigt.

Insgesamt konnte der Senat unter Berücksichtigung der Teil-GdB von jeweils 20 für die chronische somatoforme Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren vor, die mit Schmerzen am ganzen Körper, insbesondere aber auf der rechten Körperhälfte einhergeht, und die Migräne den Einzel-GdB im Funktionssystem nur mit 30 bewerten. Im Hinblick auf die funktionellen Überschneidungen bei der Beeinträchtigung durch Schmerzen konnte der Senat lediglich eine maßvolle Verstärkung der gegenseitigen Auswirkungen feststellen, sodass eine Addition der Teil-GdB-Werte nicht möglich war.

Die Schilddrüsenerkrankung der Klägerin i.S. einer Hashimoto-Thyreoiditis, das Fibroadenom der Mamma, also eine gutartige tumorartige Neubildungen der Brustdrüse, der Zustand nach Operation bei Eileiterschwangerschaft 1978; der Schwangerschaftsabbruch 1984, der Zustand nach Operation bei Nasenbeinfraktur, die chronische Gastritis, die Heiserkeit bei Laryngitis und der Nierentumor, am ehesten ein Angiomyotipom, bedingen keine weitergehenden Funktionsbeeinträchtigungen, die nach den Vorgaben der VG einzeln oder im Zusammenwirken mit anderen Gesundheitsstörungen einen Teil- bzw. Einzel-GdB von mindestens 10 bedingen. So ist die Schilddrüsendysfunktion durch die eingenommenen Medikamente gut eingestellt und weist eine eurhyreote Stoffwechsellage auf (Bericht des RadiologieZentrums Rastatt vom 21.03.2014; Blatt 95 der Beklagtenakte). Auch die Nierenzysten (Bericht Gemeinschaftspraxis Nephrologie/Dialyse vom 24.04.2015, BIatt 192/193 der SG-Akte) verursacht keinerlei Funktionseinschränkungen.

Weitere - bisher nicht berücksichtigte - GdB-relevante Funktionsbehinderungen, die einen Einzel- bzw. Teil-GdB von wenigstens 10 bedingen, wurden weder geltend gemacht noch konnte der Senat solche feststellen.

Weitere Ermittlungen hält der Senat nicht für erforderlich. Die vom Senat beabsichtigte weitere Beweiserhebung durch Einholung von Gutachten auf internistischem, orthopädischem und neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet hat die Klägerin abgelehnt; sie hat trotz schriftlicher Hinweise und Aufforderungen des Senats mitgeteilt, zu den Untersuchungsterminen nicht zu erscheinen. Insoweit hat die Klägerin die weitere Aufklärung des Sachverhalts vereitelt. Der Senat musste auf Grundlage der so vorliegenden ärztlichen Befunde und Unterlagen entscheiden. Hier haben die vorliegenden ärztlichen Unterlagen mit den sachverständigen Zeugenauskünften und dem Gutachten von Prof. Dr. Dr. D. dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs. 1 ZPO). Der so vorliegende medizinisch festgestellte Sachverhalt bietet die Basis für die alleine vom Senat vorzunehmende rechtliche Bewertung des GdB unter Einschluss der Bewertung der sich zwischen den einzelnen Erkrankungen und Funktionsbehinderungen ergebenden Überschneidungen und Wechselwirkungen. Insoweit ist für die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft nach den allgemeinen Beschreibungen in den einleitenden Teilen der VG als Maßstab der Vergleich zu den Teilhabebeeinträchtigungen anderer Behinderungen anzustellen, für die im Tabellenteil ein Wert von 40 oder 50 fest vorgegeben ist (BSG 16.12.2014 – B 9 SB 2/13 R – SozR 4-3250 § 69 Nr. 18 = juris).

Nach Überzeugung des Senats ist der Gesamt-GdB unter integrierender Bewertung der Funktionsbehinderungen und unter Beachtung ihrer gegenseitigen Auswirkungen der Gesamt-GdB zu bilden aus Einzel-GdB-Werten von - 20 für die Funktionsbeeinträchtigungen im Funktionssystem des Rumpfes (Wirbelsäule), - 10 für die Funktionsbeeinträchtigungen im Funktionssystem der Beine und - 30 für die Funktionsbeeinträchtigungen im Funktionssystem des Gehirns einschließlich der Psyche. Nachdem bei der Klägerin vorliegend von einem zu berücksichtigenden höchsten Einzel-GdB von 30 auszugehen ist und kein Fall vorliegt, in dem ausnahmsweise GdB-Werte von 10 erhöhend wirken, konnte der Senat einen Gesamt-GdB i.S.d. § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX i.H.v. insgesamt mehr als 30 nicht feststellen. Denn sowohl bei der Bemessung des Einzel-GdB für die Funktionsbehinderungen im Funktionssystem des Rumpfes mit einem Einzel-GdB von 20 als auch bei der Bewertung des in dem Einzel-gdB von 30 im Funktionssystem des Gehirns einschließlich der Psyche enthaltenen Teil-GdB für die somatoforme Scherzstörung wurden erhebliche Schmerzen der Klägerin berücksichtigt, sodass im Rahmen der Bildung des Gesamt-GdB diese Schmerzen nicht doppelt, also bei den organischen Funktionsbehinderungen und im Funktionssystem des Gehirns einschließlich der Psyche bewertet werden können und sich die Funktionsbehinderungen durch ein Fibromyalgie-Erkrankung/chronisches Schmerzsyndrom einerseits und der Beschwerden der HWS andererseits deutlich überschneiden, sodass ein Gesamt-GdB von mehr als 30 nicht festzustellen war. Noch höher zu bewertende Funktionsbehinderungen konnte der Senat nicht feststellen.

Insgesamt ist der Senat auch unter Berücksichtigung eines Vergleichs der bei der Klägerin insgesamt vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen und deren gegenseitigen Auswirkungen einerseits sowie derjenigen Fälle, für die die VG einen GdB von 40 vorsehen, andererseits, zu der Überzeugung gelangt, dass die Funktionsbehinderungen der Klägerin nicht mit den in den VG für einen GdB von 40 (z.B. Wirbelsäulenschäden mit schweren funktionellen Auswirkungen in mindestens zwei Wirbelsäulenabschnitten) und mehr vorgesehenen Funktionsbehinderungen als vergleichbar schwer anzusehen sind. Damit hat sie keinen Anspruch auf Feststellung eines GdB von mehr als 30.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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