Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 2 R 4814/11
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 R 458/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 10. Dezember 2015 abgeändert und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 22. März 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juli 2011 verurteilt, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung über Dezember 2010 hinaus auf Dauer zu gewähren.
Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Weitergewährung einer Erwerbsminderungsrente über Dezember 2010 hinaus.
Die 1963 geborene Klägerin hat keinen Beruf erlernt und war zuletzt als ungelernte Arbeiterin in einer Bäckerei versicherungspflichtig beschäftigt. Auf ihre Anträge vom 13. Juli 2006 und 10. Juli 2008 auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung gewährte die Beklagte mit nicht in den Akten befindlichen Bescheiden eine Rente wegen voller Erwerbsminderung von Oktober 2006 bis September 2008 und Oktober 2008 bis Dezember 2010.
Am 23. November 2010 beantragte die Klägerin die Weiterzahlung der Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte veranlasste daraufhin eine Begutachtung durch den Chirurgen Dr. G. Der Gutachter diagnostizierte eine geminderte Belastbarkeit beider Beine mit Funktionseinschränkung in beiden Hüftgelenken nach Implantation einer zementfreien Totalendoprothese links 5/10 und Implantation einer Hüftprothese rechts 2/02 mit Implantation einer Revisionsschaftprothese eine Woche später wegen periprothetischer Fraktur, Restfolgen nach Läsion des Nervus femoralis rechts 2/02 bei anlagebedingter Dysplasiecoxarthrose beidseits, eine leichte mediale Kniebandinstabilität bei Genu valgum rechts (20 °), mediale Chondropathie, Degeneration des vorderen Kreuzbandes sowie degenerative HWS-Veränderungen mit endgradiger Funktionseinschränkung sowie ein Carpaltunnelsyndrom links stärker als rechts. Damit sei das Leistungsvermögen wieder soweit stabilisiert, dass sie zumindest leichte Arbeiten vorwiegend im Sitzen vollschichtig ausüben könne. Eine Minderung der Gehstrecke in sozialmedizinisch relevantem Umfang lasse sich aus den Befunden nicht ableiten. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 22. März 2011 den Rentenantrag daraufhin ab. Die Klägerin könne wieder vollschichtig unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes erwerbstätig sein, weshalb sie keinen Rentenanspruch habe. Hiergegen erhob die Klägerin am 31. März 2011 Widerspruch. Die Hüftoperation sei zwar gut verlaufen, womit aber lediglich eine weitere Verschlechterung verhindert worden sei. Die Beklagte wies den Widerspruch nach Einholung einer beratungsärztlichen Stellungnahme mit Widerspruchsbescheid vom 28. Juli 2011 zurück.
Am 18. August 2011 hat die Klägerin hiergegen Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben. Das SG hat auf orthopädischem Fachgebiet Gutachten bei Dr. A., Dr. D., Dr. N. und Dr. B. -L. nach § 109 SGG- eingeholt. Dr. A. ist zur Einschätzung gelangt, dass die Klägerin nur noch unter dreistündig einsatzfähig und die Wegefähigkeit rentenrelevant eingeschränkt sei. Dr. D. hat die Auffassung vertreten, dass die Klägerin noch sechs Stunden leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorwiegend im Sitzen bei selbst gewähltem Stellungswechsel zwischen Sitzen, Stehen und Gehen verrichten könne. Unter Benutzung eines Gehstockes links sei die Klägerin auch in der Lage, täglich viermal eine Wegstrecke von mehr als 500 m innerhalb von jeweils 20 Minuten zurückzulegen und zweimal öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten zu benutzen. Dr. N. ist zu der Auffassung gelangt, dass die Klägerin leichte Tätigkeiten mehr als sechs Stunden pro Tag ganz überwiegend im Sitzen vollschichtig verrichten könne. Die Klägerin könne aber die sozialrechtlich relevante Gehstrecke von 500 m nicht in weniger als 20 Minuten zurücklegen. Dr. B. ist zu der Auffassung gelangt, dass die Klägerin drei- bis unter sechsstündig leistungsfähig sei; die Wegefähigkeit sei erheblich eingeschränkt. Die Klägerin könne eine Strecke von 500 m nicht mehr in maximal 15 bis 18 Minuten zurücklegen. Zudem könne die Klägerin öffentliche Verkehrsmittel nicht mehr benutzen, da eine erhöhte Sturzneigung zu befürchten sei.
Zudem hat das SG Beweis erhoben durch Einholung einer schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage der behandelnden Nervenärztin Dr. B ... Sie hat ausgeführt, dass die Klägerin eine deutlich psychische Einschränkung der Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit bestehe. Das SG hat hierauf das Gutachten des Dr. P. eingeholt. Allein aus neurologischer Sicht seien hiernach der Klägerin leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes vollschichtig möglich; sie könne auch Strecken von mehr als 500 m bei einem Zeitaufwand von maximal 15 bis 18 Minuten zu Fuß zurücklegen und öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Die Beklagte hat beratungsärztliche Stellungnahmen der Dres. R., L. und B. vorgelegt.
Mit Urteil vom 10. Dezember 2015 hat das SG die Beklagte verurteilt, der Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Dauer von drei Jahren ausgehend von einem am 6. Dezember 2013 eingetretenen Leistungsfall zu gewähren und im Übrigen die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen, auf die im Übrigen Bezug genommen wird, hat das SG ausgeführt, die Klägerin sei zwar in der Lage, sechs Stunden und mehr täglich leichte Tätigkeiten zu verrichten, aber sie sei nicht mehr in der Lage die näher dargestellten üblichen täglichen Wegstrecken zurückzulegen. Der Leistungsfall sei erst jetzt mit der Begutachtung durch den Sachverständigen Dr. N. am 6. Dezember 2013 nachgewiesen. Da es nicht auszuschließen sei, dass es zu einer Verbesserung des Leistungsvermögens der Klägerin komme, sei Rente auf Zeit zu gewähren.
Gegen das der Beklagten am 11. Januar 2016 zugestellte Urteil hat sie am 3. Februar 2016 Berufung eingelegt und eine beratungsärztliche Stellungnahme der Chirurgin Dr. S. vom 1. Februar 2016 vorgelegt. Dem Gutachten des Dr. N. könne nicht gefolgt werden, da er die Gehstreckenfähigkeit ohne Zuhilfenahme von Gehstützen/Rollator bewertet habe. Es erscheine durchaus möglich, mit Hilfe einer entsprechenden Gehhilfe eine Gehstrecke von 500 m viermal am Tag innerhalb kürzerer Zeit zurückzulegen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 10. Dezember 2015 abzuändern und die Klage abzuweisen sowie die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die Klägerin hat gegen das ihr am 12. Januar 2016 zugestellte Urteil am 8. Februar 2016 Berufung eingelegt und vorgetragen, die Einschränkungen der Wegefähigkeit bestünden bereits seit 2006. Zudem habe auch Dr. A. und Dr. B. das Begehren der Klägerin gestützt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 10. Dezember 2015 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung über Dezember 2010 hinaus auf Dauer zu gewähren und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des PD Dr. R., Facharzt für Orthopädie-Rheumatologie, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin, Sozialmedizin, Rehabilitationswesen, Physikalische Therapie vom 7. Dezember 2016. Der Klägerin seien aus orthopädisch-rheumatologischer Sicht noch leichte körperliche Tätigkeiten vollschichtig möglich. Der Klägerin sei es aber nicht zumutbar, 500 m zu Fuß viermal täglich als Wegstrecke zurückzulegen, auch nicht mit Gehhilfen. Wegen der Unsicherheit im Stehen und Gehen könne die Klägerin auch nicht täglich zweimal öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten benutzen, auch nicht mit Hilfsmitteln. Die Klägerin sei auch nicht in der Lage, ein Kfz sicher zu führen. Sie besitze keine Fahrpraxis und auch keinen Führerschein.
Die Beklagte hat beratungsärztliche Stellungnahmen der Dr. S. vorgelegt und einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt. Einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung hat auch die Klägerin zugestimmt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten zugestimmt haben (§ 124 Abs. 2 SGG).
Die Berufungen der Beteiligten sind zulässig, die Berufung der Klägerin ist auch begründet, die der Beklagten nicht. Die Klägerin hat Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auch über Dezember 2010 hinaus. Der angefochtene Bescheid vom 22. März 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juli 2011 ist daher rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Wegen der Rechtsgrundlagen wird auf das Urteil des SG verwiesen und von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen (§ 153 Abs. 2 SGG). Das SG hat zutreffend entschieden, dass die Klägerin wegen einer eingeschränkten Wegefähigkeit voll erwerbsgemindert ist. Entgegen der Auffassung des SG besteht die Erwerbsminderung jedoch über Dezember 2010 hinaus auf Dauer.
Die Klägerin leidet unter einer angeborenen Wachstumsstörung der Hüften mit hoher Hüftluxation rechts, Hüftdysplasie und schwerer Dysplasie-Coxarthrose links. Links besteht ein Zustand nach Beckendurchtrennung zur Verbesserung der Pfannendysplasie 1986 mit gutem Ergebnis und wegen fortschreitender schwerer Dysplasie-Coxarthrose zementfreie Hüftendoprothese Mai 2010 mit tiefsitzendem Prothesenschaft und Trochanterhochstand (Rollhügelspitze über Kopfmitte der Prothese). Rechts besteht ein Zustand nach Traktion und Weichteilrelaise, Aufbau mit Knochenplastik einer nicht vorhandenen Hüftpfanne und nach Faktur am Rollhügel und Oberschenkelschaft mit Revisionseingriff Einbringen einer tiefsitzenden unzementierten Langschaftendoprothese Februar 2002. Der Trochanterhochstand ist hochgradig. Die Frakturen sind konsolidiert. Die Drahtcerclage am Rollhügel ist gebrochen. Es besteht eine Teilparese im Bereich des Nervus femoralis. Es besteht eine erhebliche Schwäche der Hüftmuskulatur rechts mehr als links bei angeborener Wachstumsstörung und postoperativer Dehnung der Muskulatur und Faszien zur Einbringung der Hüftendoprothesen. Die künstlichen Hüftgelenke sind ohne Lockerungszeichen. Es bestehen erhebliche Funktionseinschränkungen mit schmerzhafter Bewegungseinschränkung, erheblichem Schwächehinken rechts mehr als links, Unsicherheit beim Stehen und Gehen, dem Erfordernis von Gehstützen und eingeschränkter Wegefähigkeit. Auf orthopädischem Fachgebiet bestehen zudem eine mäßige Valgusgonarthrose rechts, eine geringe Gonarthrose links mit geringen bis mäßigen Funktionseinschränkungen, chronische Lumbalgien mit pseudoradikulärer Ausstrahlung bei erheblicher lumbosakraler Übergangsstörung (angeborene Wachstumsstörung), Arthrosen der Zwischengelenke mit möglicher Enge der Nervenaustrittslöcher und im Wirbelkanal der unteren Lendenwirbelsäule, Fehlhaltung, Hohl-Rund-Rücken und schmerzhafte Muskelverspannungen bei mäßiger Einschränkung der Bewegungs-und Belastungsfunktion der Wirbelsäule, Cervicobrachialgien bei mäßigen Verschleißerscheinungen der Bandscheibenfächer der Halswirbelsäule mit möglicher Enge der Nervenaustrittslöcher und im Wirbelkanal bei geringer Arthrose beider Handgelenke, schmerzhafter Muskelverspannungen mit geringen bis mäßig nachweisbaren Funktionseinschränkungen, Knick-Senk-Spreizfüße beidseits sowie Adipositas (BMI 34 kg/pro Quadratmeter) vor. Der gerichtliche Sachverständige PD Dr. Rohe hat für den Senat überzeugend anhand der Aktenlage und erhobenen Befunde diese Diagnosen gestellt und dargelegt, dass die Klägerin damit nicht mehr das Vermögen hat, eine Arbeitsstelle aufzusuchen. Nach der Rechtsprechung des BSG gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine solche Arbeitsstelle aufzusuchen (vgl.z.B. BSG, Urteil vom 9. August 2001,B 10 LW 18/00 R, Juris). Eine Einschränkung der Wegefähigkeit liegt vor, wenn der Versicherte nicht mehr in der Lage ist, täglich viermal Wegstrecken von knapp mehr als 500 m mit einem zumutbaren Zeitaufwand von bis zu 20 Minuten zu Fuß zurückzulegen und zweimal öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten zu benutzen (vgl. BSG, Urteil vom 12. Dezember 2011, B 13 R 21/10 R, Juris). In der letztgenannten Entscheidung hat das BSG auch zutreffend darauf hingewiesen, dass in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr auch derjenige erheblich beeinträchtigt ist, der nicht ohne - besondere - Gefahr für sich oder andere die Wege zurückzulegen vermag und hat sich hierbei überzeugend auch auf die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht gestützt.
Hiernach ist zur Überzeugung des Senats die Wegefähigkeit der Klägerin rentenrelevant eingeschränkt. Der gerichtliche Sachverständige PD Dr. R. hat nicht nur im Gutachten vom 7. Dezember 2016, sondern auch - im Hinblick auf die kritische beratungsärztliche Stellungnahme der Dr. Schüle vom 1. Februar 2017 - in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 13. März 2017 schlüssig dargelegt, dass das langsame, unsichere Gehen und die eingelegten Pausen durch die Schmerzen und Funktionseinschränkungen im Becken- und Hüftbereich durch die angeborenen Wachstumsstörungen mit Missbildung und durch die ausgeprägte Funktionsschwäche der Becken- und Hüftmuskulatur bedingt sind. Der gerichtliche Sachverständige hat auch eine Gangprüfung im Außenbereich der Klinik auf einer standardisierten Wegstrecke durchgeführt und hierbei festgestellt, dass die Klägerin für 500 m unter Einsatz der zwei verwendeten Unterarmgehstützen 33 Minuten benötigt hat. PD Dr. Rohe hat auch für den Senat überzeugend dargelegt, dass die von der Klägerin beklagte Stand-, Gangunsicherheit sowie das eingeschränkte Gehvermögen durch die strukturellen Veränderungen mit angeborener Wachstumsstörung, Missbildung im Beckenskelett, den nicht ausgebildeten Hüftgelenken, dem ungünstigen Ursprung und Ansatz der schwach ausgebildeten Muskulatur und dem weiteren Verlauf, einschließlich komplikationsträchtiger Operationen mit Implantation von künstlichen Hüftgelenken im Grenzbereich des Möglichen und der dafür notwendigen Extremdehnung der Weichteile mit Sehnen, Faszien, Muskulatur und Nervenstrukturen an der rechten Hüfte vollständig erklärbar ist, sodass auch keine übermäßige Verdeutlichung oder Aggravation erörtert werden muss. Wie PD Dr. R. überzeugend dargelegt hat, haben sich die Verdeutlichungstendenzen und Diskrepanzen gerade nicht auf den für die Wegeunfähigkeit wesentlichen Bereich von Becken, Hüften und Oberschenkeln bezogen, sondern vorwiegend auf den Bereich der Knie- und Schultergelenke. Da es auch nicht zumutbar ist, bei der Verwendung von öffentlichen Verkehrsmitteln eine besondere Gefahr hinzunehmen (siehe hierzu auch Urteil des erkennenden Senates vom 22. März 2016, L 13 R 2903/14, Juris) hat der gerichtliche Sachverständige PD Dr. R. für den Senat auch plausibel dargelegt, dass es der Klägerin auch nicht zumutbar ist, aufgrund der Gang- und Standunsicherheit öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten zu benutzen. Gestützt wird diese Beurteilung auch von den gerichtlichen Sachverständigen Dr. A., Dr. Naruhn und Dr. B., ohne dass jedoch diese ihre Beurteilung schlüssig und nachvollziehbar dargelegt haben. Der gerichtliche Sachverständige Dr. D. hat zwar die Wegefähigkeit ebenso wie Dr. P. bejaht, aber eine eigene Anschauung und Überprüfung zum Gehvermögen nicht vorgenommen und können daher den Senat nicht überzeugen. Die von der Beklagten vorgebrachten Einwände überzeugen hingegen nicht. Unerklärlich ist insoweit, weshalb Sauerstoffsättigung oder Pulsfrequenz, die Einschränkungen der Lungenfunktion und der Herz-Kreislauf-Funktion charakterisieren, für die hier relevante orthopädische Erkrankung relevant sein sollen. Die von der Beklagten zu Recht kritisierte Begutachtung durch Dr. N. ohne Gehstützen und ohne Laufband, kann aber gegenüber der Begutachtung durch PD Dr. R. gerade nicht wiederholt werden, da PD Dr. R. die Gehfähigkeit ausführlich durch eine Gangüberprüfung im Außenbereich auf einer standardisierten Wegstrecke vorgenommen und die Zeit gemessen hat. Nicht zielführend ist auch der Einwand der Beklagten, es sei unklar geblieben, warum die Versicherte Dyspnoe und Schwindel angegeben habe. Der gerichtliche Sachverständige PD Dr. R. hat die eingeschränkte Wegefähigkeit bereits aufgrund der orthopädischen Befunde angenommen, sodass die Aufklärung weiterer Gesundheitsstörungen nicht erforderlich ist. Schließlich ist auch nicht relevant, ob die Klägerin leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch vollschichtig verrichten kann, da sie bereits einen Rentenanspruch wegen der eingeschränkten Wegefähigkeit hat. Gegen eine rentenrelevante Einschränkung der Wegefähigkeit kann auch nicht zielführend eingewandt werden, dass die Klägerin in der Vergangenheit Wege zurückgelegt hat, da es hierauf nicht ankommt. Nach den überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen PD Dr. R. bestand die eingeschränkte Wegefähigkeit bereits seit Ende 2010, weshalb die Erwerbsminderung über Dezember 2010 hinaus angedauert hat.
Eine Besserung ist unwahrscheinlich, eine Rehabilitationsmaßnahme, die die Klägerin (sie besitzt keine Fahrerlaubnis) in die Lage versetzt, einen Arbeitsplatz ohne besondere Gefahr zu erreichen, ist nicht ersichtlich und auch von der Beklagten nicht einmal in Aussicht gestellt worden (siehe hierzu BSG, Urteil vom 21. März 2006, B 5 RJ 51/04 R, Juris). Der gerichtliche Sachverständige PD Dr. R. hat für den Senat überzeugend dargelegt, dass die anlagebedingte Schwäche der Hüftmuskulatur rechts mehr als links, wie bei den angeborenen Wachstumsstörungen mit hoher Hüftluxation rechts und schwerer Hüftdysplasie links üblich, und die Teillähmung im Bereich des Femoralisnervens rechts auch durch Krankengymnastik oder Gangschulung nicht wesentlich zu verbessern ist und im Verlauf des fortschreitenden Alters durch Involution sich eher verschlechtert. Eine wesentliche Besserung ist damit unwahrscheinlich.
Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen sind erfüllt, da die Klägerin für die ab Oktober 2006 bezogene Rente wegen voller Erwerbsminderung 36 Pflichtbeitragsmonate im Fünfjahreszeitraum aufzuweisen und die allgemeine Wartezeit erfüllt hat (siehe Versicherungsverlauf vom 2. Dezember 2015); zudem ist die Zeit des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit eine sogenannte Anwartschaftserhaltungszeit gemäß § 43 Abs. 4 Nr. 1 SGB VI).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
Die Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.
Die Beklagte hat der Klägerin die außergerichtlichen Kosten beider Rechtszüge zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Weitergewährung einer Erwerbsminderungsrente über Dezember 2010 hinaus.
Die 1963 geborene Klägerin hat keinen Beruf erlernt und war zuletzt als ungelernte Arbeiterin in einer Bäckerei versicherungspflichtig beschäftigt. Auf ihre Anträge vom 13. Juli 2006 und 10. Juli 2008 auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung gewährte die Beklagte mit nicht in den Akten befindlichen Bescheiden eine Rente wegen voller Erwerbsminderung von Oktober 2006 bis September 2008 und Oktober 2008 bis Dezember 2010.
Am 23. November 2010 beantragte die Klägerin die Weiterzahlung der Rente wegen Erwerbsminderung. Die Beklagte veranlasste daraufhin eine Begutachtung durch den Chirurgen Dr. G. Der Gutachter diagnostizierte eine geminderte Belastbarkeit beider Beine mit Funktionseinschränkung in beiden Hüftgelenken nach Implantation einer zementfreien Totalendoprothese links 5/10 und Implantation einer Hüftprothese rechts 2/02 mit Implantation einer Revisionsschaftprothese eine Woche später wegen periprothetischer Fraktur, Restfolgen nach Läsion des Nervus femoralis rechts 2/02 bei anlagebedingter Dysplasiecoxarthrose beidseits, eine leichte mediale Kniebandinstabilität bei Genu valgum rechts (20 °), mediale Chondropathie, Degeneration des vorderen Kreuzbandes sowie degenerative HWS-Veränderungen mit endgradiger Funktionseinschränkung sowie ein Carpaltunnelsyndrom links stärker als rechts. Damit sei das Leistungsvermögen wieder soweit stabilisiert, dass sie zumindest leichte Arbeiten vorwiegend im Sitzen vollschichtig ausüben könne. Eine Minderung der Gehstrecke in sozialmedizinisch relevantem Umfang lasse sich aus den Befunden nicht ableiten. Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 22. März 2011 den Rentenantrag daraufhin ab. Die Klägerin könne wieder vollschichtig unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes erwerbstätig sein, weshalb sie keinen Rentenanspruch habe. Hiergegen erhob die Klägerin am 31. März 2011 Widerspruch. Die Hüftoperation sei zwar gut verlaufen, womit aber lediglich eine weitere Verschlechterung verhindert worden sei. Die Beklagte wies den Widerspruch nach Einholung einer beratungsärztlichen Stellungnahme mit Widerspruchsbescheid vom 28. Juli 2011 zurück.
Am 18. August 2011 hat die Klägerin hiergegen Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben. Das SG hat auf orthopädischem Fachgebiet Gutachten bei Dr. A., Dr. D., Dr. N. und Dr. B. -L. nach § 109 SGG- eingeholt. Dr. A. ist zur Einschätzung gelangt, dass die Klägerin nur noch unter dreistündig einsatzfähig und die Wegefähigkeit rentenrelevant eingeschränkt sei. Dr. D. hat die Auffassung vertreten, dass die Klägerin noch sechs Stunden leichte Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vorwiegend im Sitzen bei selbst gewähltem Stellungswechsel zwischen Sitzen, Stehen und Gehen verrichten könne. Unter Benutzung eines Gehstockes links sei die Klägerin auch in der Lage, täglich viermal eine Wegstrecke von mehr als 500 m innerhalb von jeweils 20 Minuten zurückzulegen und zweimal öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten zu benutzen. Dr. N. ist zu der Auffassung gelangt, dass die Klägerin leichte Tätigkeiten mehr als sechs Stunden pro Tag ganz überwiegend im Sitzen vollschichtig verrichten könne. Die Klägerin könne aber die sozialrechtlich relevante Gehstrecke von 500 m nicht in weniger als 20 Minuten zurücklegen. Dr. B. ist zu der Auffassung gelangt, dass die Klägerin drei- bis unter sechsstündig leistungsfähig sei; die Wegefähigkeit sei erheblich eingeschränkt. Die Klägerin könne eine Strecke von 500 m nicht mehr in maximal 15 bis 18 Minuten zurücklegen. Zudem könne die Klägerin öffentliche Verkehrsmittel nicht mehr benutzen, da eine erhöhte Sturzneigung zu befürchten sei.
Zudem hat das SG Beweis erhoben durch Einholung einer schriftlichen sachverständigen Zeugenaussage der behandelnden Nervenärztin Dr. B ... Sie hat ausgeführt, dass die Klägerin eine deutlich psychische Einschränkung der Belastbarkeit und Leistungsfähigkeit bestehe. Das SG hat hierauf das Gutachten des Dr. P. eingeholt. Allein aus neurologischer Sicht seien hiernach der Klägerin leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes vollschichtig möglich; sie könne auch Strecken von mehr als 500 m bei einem Zeitaufwand von maximal 15 bis 18 Minuten zu Fuß zurücklegen und öffentliche Verkehrsmittel benutzen. Die Beklagte hat beratungsärztliche Stellungnahmen der Dres. R., L. und B. vorgelegt.
Mit Urteil vom 10. Dezember 2015 hat das SG die Beklagte verurteilt, der Klägerin eine Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Dauer von drei Jahren ausgehend von einem am 6. Dezember 2013 eingetretenen Leistungsfall zu gewähren und im Übrigen die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen, auf die im Übrigen Bezug genommen wird, hat das SG ausgeführt, die Klägerin sei zwar in der Lage, sechs Stunden und mehr täglich leichte Tätigkeiten zu verrichten, aber sie sei nicht mehr in der Lage die näher dargestellten üblichen täglichen Wegstrecken zurückzulegen. Der Leistungsfall sei erst jetzt mit der Begutachtung durch den Sachverständigen Dr. N. am 6. Dezember 2013 nachgewiesen. Da es nicht auszuschließen sei, dass es zu einer Verbesserung des Leistungsvermögens der Klägerin komme, sei Rente auf Zeit zu gewähren.
Gegen das der Beklagten am 11. Januar 2016 zugestellte Urteil hat sie am 3. Februar 2016 Berufung eingelegt und eine beratungsärztliche Stellungnahme der Chirurgin Dr. S. vom 1. Februar 2016 vorgelegt. Dem Gutachten des Dr. N. könne nicht gefolgt werden, da er die Gehstreckenfähigkeit ohne Zuhilfenahme von Gehstützen/Rollator bewertet habe. Es erscheine durchaus möglich, mit Hilfe einer entsprechenden Gehhilfe eine Gehstrecke von 500 m viermal am Tag innerhalb kürzerer Zeit zurückzulegen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 10. Dezember 2015 abzuändern und die Klage abzuweisen sowie die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.
Die Klägerin hat gegen das ihr am 12. Januar 2016 zugestellte Urteil am 8. Februar 2016 Berufung eingelegt und vorgetragen, die Einschränkungen der Wegefähigkeit bestünden bereits seit 2006. Zudem habe auch Dr. A. und Dr. B. das Begehren der Klägerin gestützt.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 10. Dezember 2015 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin Rente wegen voller Erwerbsminderung, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung über Dezember 2010 hinaus auf Dauer zu gewähren und die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung eines Gutachtens des PD Dr. R., Facharzt für Orthopädie-Rheumatologie, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin, Sozialmedizin, Rehabilitationswesen, Physikalische Therapie vom 7. Dezember 2016. Der Klägerin seien aus orthopädisch-rheumatologischer Sicht noch leichte körperliche Tätigkeiten vollschichtig möglich. Der Klägerin sei es aber nicht zumutbar, 500 m zu Fuß viermal täglich als Wegstrecke zurückzulegen, auch nicht mit Gehhilfen. Wegen der Unsicherheit im Stehen und Gehen könne die Klägerin auch nicht täglich zweimal öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten benutzen, auch nicht mit Hilfsmitteln. Die Klägerin sei auch nicht in der Lage, ein Kfz sicher zu führen. Sie besitze keine Fahrpraxis und auch keinen Führerschein.
Die Beklagte hat beratungsärztliche Stellungnahmen der Dr. S. vorgelegt und einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung zugestimmt. Einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung hat auch die Klägerin zugestimmt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten zugestimmt haben (§ 124 Abs. 2 SGG).
Die Berufungen der Beteiligten sind zulässig, die Berufung der Klägerin ist auch begründet, die der Beklagten nicht. Die Klägerin hat Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung auch über Dezember 2010 hinaus. Der angefochtene Bescheid vom 22. März 2011 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. Juli 2011 ist daher rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Wegen der Rechtsgrundlagen wird auf das Urteil des SG verwiesen und von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe abgesehen (§ 153 Abs. 2 SGG). Das SG hat zutreffend entschieden, dass die Klägerin wegen einer eingeschränkten Wegefähigkeit voll erwerbsgemindert ist. Entgegen der Auffassung des SG besteht die Erwerbsminderung jedoch über Dezember 2010 hinaus auf Dauer.
Die Klägerin leidet unter einer angeborenen Wachstumsstörung der Hüften mit hoher Hüftluxation rechts, Hüftdysplasie und schwerer Dysplasie-Coxarthrose links. Links besteht ein Zustand nach Beckendurchtrennung zur Verbesserung der Pfannendysplasie 1986 mit gutem Ergebnis und wegen fortschreitender schwerer Dysplasie-Coxarthrose zementfreie Hüftendoprothese Mai 2010 mit tiefsitzendem Prothesenschaft und Trochanterhochstand (Rollhügelspitze über Kopfmitte der Prothese). Rechts besteht ein Zustand nach Traktion und Weichteilrelaise, Aufbau mit Knochenplastik einer nicht vorhandenen Hüftpfanne und nach Faktur am Rollhügel und Oberschenkelschaft mit Revisionseingriff Einbringen einer tiefsitzenden unzementierten Langschaftendoprothese Februar 2002. Der Trochanterhochstand ist hochgradig. Die Frakturen sind konsolidiert. Die Drahtcerclage am Rollhügel ist gebrochen. Es besteht eine Teilparese im Bereich des Nervus femoralis. Es besteht eine erhebliche Schwäche der Hüftmuskulatur rechts mehr als links bei angeborener Wachstumsstörung und postoperativer Dehnung der Muskulatur und Faszien zur Einbringung der Hüftendoprothesen. Die künstlichen Hüftgelenke sind ohne Lockerungszeichen. Es bestehen erhebliche Funktionseinschränkungen mit schmerzhafter Bewegungseinschränkung, erheblichem Schwächehinken rechts mehr als links, Unsicherheit beim Stehen und Gehen, dem Erfordernis von Gehstützen und eingeschränkter Wegefähigkeit. Auf orthopädischem Fachgebiet bestehen zudem eine mäßige Valgusgonarthrose rechts, eine geringe Gonarthrose links mit geringen bis mäßigen Funktionseinschränkungen, chronische Lumbalgien mit pseudoradikulärer Ausstrahlung bei erheblicher lumbosakraler Übergangsstörung (angeborene Wachstumsstörung), Arthrosen der Zwischengelenke mit möglicher Enge der Nervenaustrittslöcher und im Wirbelkanal der unteren Lendenwirbelsäule, Fehlhaltung, Hohl-Rund-Rücken und schmerzhafte Muskelverspannungen bei mäßiger Einschränkung der Bewegungs-und Belastungsfunktion der Wirbelsäule, Cervicobrachialgien bei mäßigen Verschleißerscheinungen der Bandscheibenfächer der Halswirbelsäule mit möglicher Enge der Nervenaustrittslöcher und im Wirbelkanal bei geringer Arthrose beider Handgelenke, schmerzhafter Muskelverspannungen mit geringen bis mäßig nachweisbaren Funktionseinschränkungen, Knick-Senk-Spreizfüße beidseits sowie Adipositas (BMI 34 kg/pro Quadratmeter) vor. Der gerichtliche Sachverständige PD Dr. Rohe hat für den Senat überzeugend anhand der Aktenlage und erhobenen Befunde diese Diagnosen gestellt und dargelegt, dass die Klägerin damit nicht mehr das Vermögen hat, eine Arbeitsstelle aufzusuchen. Nach der Rechtsprechung des BSG gehört zur Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen, eine solche Arbeitsstelle aufzusuchen (vgl.z.B. BSG, Urteil vom 9. August 2001,B 10 LW 18/00 R, Juris). Eine Einschränkung der Wegefähigkeit liegt vor, wenn der Versicherte nicht mehr in der Lage ist, täglich viermal Wegstrecken von knapp mehr als 500 m mit einem zumutbaren Zeitaufwand von bis zu 20 Minuten zu Fuß zurückzulegen und zweimal öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten zu benutzen (vgl. BSG, Urteil vom 12. Dezember 2011, B 13 R 21/10 R, Juris). In der letztgenannten Entscheidung hat das BSG auch zutreffend darauf hingewiesen, dass in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr auch derjenige erheblich beeinträchtigt ist, der nicht ohne - besondere - Gefahr für sich oder andere die Wege zurückzulegen vermag und hat sich hierbei überzeugend auch auf die Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht gestützt.
Hiernach ist zur Überzeugung des Senats die Wegefähigkeit der Klägerin rentenrelevant eingeschränkt. Der gerichtliche Sachverständige PD Dr. R. hat nicht nur im Gutachten vom 7. Dezember 2016, sondern auch - im Hinblick auf die kritische beratungsärztliche Stellungnahme der Dr. Schüle vom 1. Februar 2017 - in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 13. März 2017 schlüssig dargelegt, dass das langsame, unsichere Gehen und die eingelegten Pausen durch die Schmerzen und Funktionseinschränkungen im Becken- und Hüftbereich durch die angeborenen Wachstumsstörungen mit Missbildung und durch die ausgeprägte Funktionsschwäche der Becken- und Hüftmuskulatur bedingt sind. Der gerichtliche Sachverständige hat auch eine Gangprüfung im Außenbereich der Klinik auf einer standardisierten Wegstrecke durchgeführt und hierbei festgestellt, dass die Klägerin für 500 m unter Einsatz der zwei verwendeten Unterarmgehstützen 33 Minuten benötigt hat. PD Dr. Rohe hat auch für den Senat überzeugend dargelegt, dass die von der Klägerin beklagte Stand-, Gangunsicherheit sowie das eingeschränkte Gehvermögen durch die strukturellen Veränderungen mit angeborener Wachstumsstörung, Missbildung im Beckenskelett, den nicht ausgebildeten Hüftgelenken, dem ungünstigen Ursprung und Ansatz der schwach ausgebildeten Muskulatur und dem weiteren Verlauf, einschließlich komplikationsträchtiger Operationen mit Implantation von künstlichen Hüftgelenken im Grenzbereich des Möglichen und der dafür notwendigen Extremdehnung der Weichteile mit Sehnen, Faszien, Muskulatur und Nervenstrukturen an der rechten Hüfte vollständig erklärbar ist, sodass auch keine übermäßige Verdeutlichung oder Aggravation erörtert werden muss. Wie PD Dr. R. überzeugend dargelegt hat, haben sich die Verdeutlichungstendenzen und Diskrepanzen gerade nicht auf den für die Wegeunfähigkeit wesentlichen Bereich von Becken, Hüften und Oberschenkeln bezogen, sondern vorwiegend auf den Bereich der Knie- und Schultergelenke. Da es auch nicht zumutbar ist, bei der Verwendung von öffentlichen Verkehrsmitteln eine besondere Gefahr hinzunehmen (siehe hierzu auch Urteil des erkennenden Senates vom 22. März 2016, L 13 R 2903/14, Juris) hat der gerichtliche Sachverständige PD Dr. R. für den Senat auch plausibel dargelegt, dass es der Klägerin auch nicht zumutbar ist, aufgrund der Gang- und Standunsicherheit öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeiten zu benutzen. Gestützt wird diese Beurteilung auch von den gerichtlichen Sachverständigen Dr. A., Dr. Naruhn und Dr. B., ohne dass jedoch diese ihre Beurteilung schlüssig und nachvollziehbar dargelegt haben. Der gerichtliche Sachverständige Dr. D. hat zwar die Wegefähigkeit ebenso wie Dr. P. bejaht, aber eine eigene Anschauung und Überprüfung zum Gehvermögen nicht vorgenommen und können daher den Senat nicht überzeugen. Die von der Beklagten vorgebrachten Einwände überzeugen hingegen nicht. Unerklärlich ist insoweit, weshalb Sauerstoffsättigung oder Pulsfrequenz, die Einschränkungen der Lungenfunktion und der Herz-Kreislauf-Funktion charakterisieren, für die hier relevante orthopädische Erkrankung relevant sein sollen. Die von der Beklagten zu Recht kritisierte Begutachtung durch Dr. N. ohne Gehstützen und ohne Laufband, kann aber gegenüber der Begutachtung durch PD Dr. R. gerade nicht wiederholt werden, da PD Dr. R. die Gehfähigkeit ausführlich durch eine Gangüberprüfung im Außenbereich auf einer standardisierten Wegstrecke vorgenommen und die Zeit gemessen hat. Nicht zielführend ist auch der Einwand der Beklagten, es sei unklar geblieben, warum die Versicherte Dyspnoe und Schwindel angegeben habe. Der gerichtliche Sachverständige PD Dr. R. hat die eingeschränkte Wegefähigkeit bereits aufgrund der orthopädischen Befunde angenommen, sodass die Aufklärung weiterer Gesundheitsstörungen nicht erforderlich ist. Schließlich ist auch nicht relevant, ob die Klägerin leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch vollschichtig verrichten kann, da sie bereits einen Rentenanspruch wegen der eingeschränkten Wegefähigkeit hat. Gegen eine rentenrelevante Einschränkung der Wegefähigkeit kann auch nicht zielführend eingewandt werden, dass die Klägerin in der Vergangenheit Wege zurückgelegt hat, da es hierauf nicht ankommt. Nach den überzeugenden Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen PD Dr. R. bestand die eingeschränkte Wegefähigkeit bereits seit Ende 2010, weshalb die Erwerbsminderung über Dezember 2010 hinaus angedauert hat.
Eine Besserung ist unwahrscheinlich, eine Rehabilitationsmaßnahme, die die Klägerin (sie besitzt keine Fahrerlaubnis) in die Lage versetzt, einen Arbeitsplatz ohne besondere Gefahr zu erreichen, ist nicht ersichtlich und auch von der Beklagten nicht einmal in Aussicht gestellt worden (siehe hierzu BSG, Urteil vom 21. März 2006, B 5 RJ 51/04 R, Juris). Der gerichtliche Sachverständige PD Dr. R. hat für den Senat überzeugend dargelegt, dass die anlagebedingte Schwäche der Hüftmuskulatur rechts mehr als links, wie bei den angeborenen Wachstumsstörungen mit hoher Hüftluxation rechts und schwerer Hüftdysplasie links üblich, und die Teillähmung im Bereich des Femoralisnervens rechts auch durch Krankengymnastik oder Gangschulung nicht wesentlich zu verbessern ist und im Verlauf des fortschreitenden Alters durch Involution sich eher verschlechtert. Eine wesentliche Besserung ist damit unwahrscheinlich.
Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen sind erfüllt, da die Klägerin für die ab Oktober 2006 bezogene Rente wegen voller Erwerbsminderung 36 Pflichtbeitragsmonate im Fünfjahreszeitraum aufzuweisen und die allgemeine Wartezeit erfüllt hat (siehe Versicherungsverlauf vom 2. Dezember 2015); zudem ist die Zeit des Bezugs einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit eine sogenannte Anwartschaftserhaltungszeit gemäß § 43 Abs. 4 Nr. 1 SGB VI).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.
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