Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
15
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 15 KR 359/15
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 11 KR 449/17
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 13.05.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.10.2015 sowie des Bescheides vom 10.01.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.03.2017 verurteilt, der Klägerin eine Abdominalplastik sowie eine Straffung der Brust, der Oberarme, Oberschenkel und des Gesäßes mit Aspirationslipektomie der Reithosen beidseits als Sachleistung zu gewähren. Die außergerichtlichen Kosten der Klägerin trägt die Beklagte.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung einer Abdominalplastik sowie einer Straffung der Brust, der Oberarme, Oberschenkel und des Gesäßes mit Aspirationslipektomie der Reithosen beidseits als Sachleistung.
Die 0000 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Nach einer Magenbypass-Operation im August 2013 und Gewichtsverlust von 67 – 69 kg beantragte sie bei der Beklagten unter Vorlage weiterer medizinischer Unterlagen am 18.03.2015 die Kostenübernahme für mehrere Wiederherstellungs-Operationen wegen Cutis laxa generalisata und einer psioriasisformen Dermatitis mit Mazerationen und Entzündungen in den durch Gewichtsverlust entstandenen Hautfalten. Im Gutachten vom 24.04.2015 wies der Sozialmedizinische Dienst (SMD) der Beklagten nach Untersuchung der Klägerin darauf hin, dass keine der beantragten Operationen (Abdominalplastik, Bruststraffung, Oberarm-, Oberschenkel- sowie Gesäßstraffung, Fettabsaugung) als zwingende Operation zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) empfohlen werden könne. Der Lokalbefund zeige keine chronisch-rezidivierenden therapierefraktären Ekzeme sowie keine signifikanten Funktionsbehinderungen im Gangbild, bei der Hüftbeuge sowie in der Beweglichkeit der oberen und unteren Extremitäten. Eine seelische Belastungssituation stelle nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) keine Indikation für plastisch-chirurgische Eingriffe dar, da in diesen Fällen die Mittel der Psychotherapie und Psychiatrie anzuwenden seien.
Durch Bescheid vom 13.05.2015 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für eine Abdominalplastik, eine Straffung der Brust, der Oberarme und Oberschenkel sowie des Gesäßes mit Aspirationslipektomie der Reithosen beidseits ab. Den hiergegen erhobenen Widerspruch der Klägerin wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten durch Widerspruchsbescheid vom 23.10.2015 als unbegründet zurück.
Mit der am 23.11.2015 erhobenen Klage weist die Klägerin darauf hin, dass ihr Antrag aus März 2015 nach § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V als genehmigt gelte. Die Beklagte habe erst nach Ablauf der 5-Wochenfrist des § 13 Abs. 3a Satz 1, 2. Alt. SGB V über den Antrag entschieden, ohne zuvor eine Mitteilung nach § 13 Abs. 3a Satz 5 SGB V zu machen. Nach Eintritt der Genehmigungsfiktion sei die Beklagte mit allen Einwendungen, insbesondere der Einwendung fehlender medizinischer Notwendigkeit ausgeschlossen. Nach der Entscheidung des BSG vom 08.03.2016 (B 1 KR 25/15 R) gelte § 13 Abs. 3a SGB V für Sachleistungs- und Erstattungsansprüche gleichermaßen. Die begehrte postbariatrische Wiederherstellungschirurgie liege nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV. Sie habe die Leistung aufgrund der Einschätzung ihrer behandelnden Ärzte auch für erforderlich halten dürfen. Eine Prüfung der medizinischen Notwendigkeit im konkreten Einzelfall finde daher gerade nicht statt.
Nachdem die Beklagte zunächst den Eintritt der Genehmigungsfiktion bestritten hatte, hat sie diese während des Klageverfahrens eingeräumt und gemäß § 45 SGB X mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen (Bescheid vom 10.01.2017, Widerspruchsbescheid vom 07.03.2017).
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13.05.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.10.2015 sowie des Bescheides vom 10.01.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.03.2017 zu verurteilen, ihr eine Abdominalplastik sowie eine Straffung der Brust, der Oberarme, der Oberschenkel und des Gesäßes mit Aspirationslipektomie der Reithosen beidseits als Sachleistung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie weist darauf hin, dass die fiktive Genehmigung rechtswidrig gewesen sei, da sie nicht mit der materiellen Rechtslage übereinstimme. Bei der Klägerin liege keine Krankheit im versicherungsrechtlichen Sinne vor. Auf ein schutzwürdiges Vertrauen in den Fortbestand der fiktiven Genehmigung könne sich die Klägerin nicht berufen, da ein Leistungsverbrauch oder eine Vermögensdisposition im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X nicht vorliege. Bei der Ermessensausübung sei dem fiskalischen Interesse der Solidargemeinschaft ein höheres Gewicht einzuräumen als dem Vertrauensschutz der Klägerin.
Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakten und den der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Diese haben vorgelegen und waren, soweit von Bedeutung, Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist auch begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Gewährung der beantragten Abdominalplastik sowie Straffung der Brust, der Oberarme, der Oberschenkel und des Gesäßes mit Aspirationslipektomie der Reithosen beidseits als Sachleistung durch die Beklagte, da die gesetzliche Genehmigungsfiktion eingetreten und von der Beklagten nicht wirksam zurückgenommen worden ist.
Statthafte Klageart ist vorliegend die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Zwar wird vertreten, dass angesichts des Umstandes, dass in den Fällen des § 13 Abs. 3a Satz 6 und 7 SGB V regelmäßig über den Eintritt der Fiktion gestritten wird, die Feststellungsklage im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthaft sei (vgl. hierzu Pade´, jurisPR-SozR 23/2016 Anm. 1 m.w.N.). Für die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage spricht jedoch, dass diese einen unmittelbaren Leistungsanspruch und – daraus resultierend – einen vollstreckbaren Titel schafft. Abgesehen davon ist der Anspruch in den Fällen, in denen die fingierte Genehmigung eine Leistung betrifft, die nicht als Naturalleistung erbracht werden kann (z.B. mangels Aufnahme in den EBM), auf Kostenfreistellung gerichtet (BSG, Urteil vom 08.03.2016 – B 1 KR 25/15 – SozR 4-2500 § 13 Nr. 33). Eine solche kann jedoch nur mit der Leistungsklage bzw. der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage erreicht werden (LSG NRW, Urteil vom 06.12.2016 – L 1 KR 680/15 – juris).
Nach § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten (§ 13 Abs. 3a Satz 2 SGB V). Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung (§ 13 Abs. 3a Satz 3 SGB V). Eine hiervon abweichende Frist ist nur für den Fall der – hier nicht einschlägigen – Durchführung eines im Bundes-mantelvertrag-Zahnärzte (BMV-Z) vorgesehenen Gutachterverfahrens bestimmt (§ 13 Abs. 3a Satz 4 SGB V). Kann die Krankenkasse die Fristen nach Satz 1 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit (§ 13 Abs. 3a Satz 5 SGB V). Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt (§ 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V).
Die Beklagte hat den Antrag der Klägerin unzweifelhaft nicht binnen drei bzw. fünf Wochen nach Antragseingang am 18.03.2015 beschieden, ohne dass sie der Klägerin schriftlich einen Grund für die Fristüberschreitung mitgeteilt hätte. Der von der Klägerin gestellte Antrag war auch hinreichend bestimmt. Angesichts des Umstandes, dass der Verwaltungsakt nicht erlassen, sondern fingiert wird, muss sich der Inhalt der fingierten Genehmigung aus dem Antrag in Verbindung mit den einschlägigen Genehmigungs-vorschriften hinreichend bestimmen lassen. Die Fiktion kann somit nur dann eintreten, wenn der Antrag so bestimmt gestellt ist, dass die aufgrund des Antrags fingierte Genehmigung ihrerseits im Sinne von § 33 Abs. 1 SGB X hinreichend bestimmt ist (BSG, Urteil vom 08.03.2016, a.a.O.). Da der fingierte Verwaltungsakt einem in einem ordnungsgemäßen Verfahren erlassenen – ausdrücklich erteilten – Verwaltungsakt gleichgestellt ist, reicht es aus, wenn sich sein Inhalt aus dem Antrag in Verbindung mit den einschlägigen Akten im Wege der Auslegung ermitteln lässt (vgl. LSG NRW, Urteil vom 06.12.2016, a.a.O., m.w.N.). Die Klägerin hat am 18.03.2015 eine Kostenübernahme für "medizinisch indizierte Wiederherstellungsoperationen" beantragt. Ihre detaillierte Schilderung, an welchen Körperpartien die Hautüberschüsse zu Problemen führen und der beigefügte Therapievorschlag des St.-Antonius-Hospitals Eschweiler lässt ihr Begehren mit hinreichender Deutlichkeit erkennen.
Schließlich handelt es sich bei den begehrten postbariatrischen Operationen auch um Leistungen, die ausschließlich von Ärzten erbracht werden und grundsätzlich Leistungen der GKV darstellen können. Nach der Rechtsprechung des BSG führt die in § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V geregelte Begrenzung auf "erforderliche" Leistungen zu einer Beschränkung auf subjektiv für den Berechtigten erforderliche Leistungen, die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV liegen. Die Begrenzung beinhaltet mithin lediglich eine Rechtsmissbrauchskontrolle (BSG, Urteil vom 08.03.2016, a.a.O.). Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin die von ihr begehrten Wiederherstellungs-operationen zur Beseitigung der Cutis laxa generalisata im Bereich des Abdomens, der Mammae beidseits, der Oberarme, der Oberschenkel und des Gesäßes sowie der rezidivierenden Infektionen im Anal- und Perianalbereich und der rezidivierenden Ekzeme in der Unterbauch- und Unterbrustfalte aus ihrer Sicht für nicht erforderlich halten durfte und sich ihr Begehren damit als rechtsmissbräuchlich darstellen könnte, liegen nicht vor. Ist einem Versicherten – wie hier – von seinen Ärzten zu einer bestimmten Kranken-behandlung geraten worden, darf dieser die Behandlung regelmäßig für erforderlich halten.
Aufgrund des Eintritts der Genehmigungsfiktion kann die Klägerin die begehrten Leistungen als Sachleistung unmittelbar von der Beklagten verlangen. Dem steht die vor Inanspruchnahme der Leistungen erfolgte Ablehnungsentscheidung nicht entgegen, denn die Wirkung der eingetretenen Genehmigungsfiktion kann nur nach den allgemeinen Grundsätzen über Erledigung, Widerruf oder Rücknahme eines begünstigenden Verwal-tungsaktes beseitigt werden (BSG, Urteil vom 08.03.2016, a.a.O.). Ein solcher Regelungs-gehalt lässt sich dem Bescheid vom 13.05.2015 bzw. dem Widerspruchsbescheid vom 23.10.2015 nicht entnehmen.
Auch durch den Rücknahmebescheid vom 10.01.2017 (Widerspruchsbescheid vom 07.03.2017) hat die Beklagte hat die fingierte Leistungsbewilligung nicht wirksam zurück-genommen. Die Kammer konnte offen lassen, ob dieser Rücknahmebescheid gemäß oder analog § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden ist (so SG Kiel, Urteil vom 13.12.2016 – S 10 KR 292/15 –, juris; SG Detmold, Urteil vom 11.11.2016 – S 24 KR 539/15 –, juris; SG Düsseldorf, Urteil vom 03.11.2016 – S 27 KR 1190/15 –, juris; SG München, Urteil vom 16.06.2016 – S 7 KR 409/15 –, juris); denn die erkennende Kammer wäre nach dem bis zum 12.05.2017 gültigen Geschäftsverteilungsplan auch dann zur Entscheidung über die Rücknahmeentscheidung berufen gewesen, wenn der am 15.03.2017 eingegangene Schriftsatz, mit dem die Klägerin die Aufhebung des Bescheides vom 10.01.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.03.2017 begehrt hat, als neue Klage eingetragen worden wäre.
Rechtsgrundlage des angefochtenen Rücknahmebescheides ist § 45 Abs. 1 SGB X. Nach dieser Vorschrift darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Vorliegend fehlt es bereits an einer Rechtswidrigkeit der Genehmigungsfiktion. Das Bundessozialgericht hat in seiner Entscheidung vom 08.03.2016 (a.a.O.) darauf hingewiesen, dass dass sich die Rechtmäßigkeit der Genehmigungsfiktion nach der Erfüllung der Voraussetzungen des § 13 Abs. 3a SGB V beurteilt und nicht nach den Voraussetzungen des geltend gemachten Naturalleistungsanspruchs. Wäre – wie die Beklagte meint – die Genehmigungsfiktion als rechtswidrig zu qualifizieren, wenn die jeweiligen materiellen Sachleistungsvoraussetzungen nicht vorliegen, käme der Norm des § 13 Abs. 3a SGB V keinerlei Regelungsgehalt zu. Könnte die Genehmigungsfiktion durch eine – außerhalb der Frist erfolgende – nachträgliche Prüfung der einzelnen Leistungsvoraus-setzungen wieder zurückgenommen werden, würde das Ziel des Gesetzgebers, generalpräventiv die Zügigkeit des Verwaltungsverfahrens zu verbessern, ins Leere laufen (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 23.05.2014 – L 5 KR 222/14 B ER –, juris; SG Gelsenkirchen, Urteil vom 29.01.2015 – S 17 KR 479/14 –, juris).
Die Möglichkeit einer Rücknahme der Genehmigungsfiktion nach § 45 SGB X würde im Übrigen die Versicherten, die nach Ablauf der Frist nicht in der Lage sind, sich die begehrte Leistung selbst zu beschaffen, entgegen des Gleichbehandlungsgebots nach Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) praktisch aus dem Schutzbereich des § 13 Abs. 3a SGB V ausschließen (LSG NRW, Beschluss vom 23.05.2014 – L 5 KR 222/14 B ER m.w.N. -, juris).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung einer Abdominalplastik sowie einer Straffung der Brust, der Oberarme, Oberschenkel und des Gesäßes mit Aspirationslipektomie der Reithosen beidseits als Sachleistung.
Die 0000 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Nach einer Magenbypass-Operation im August 2013 und Gewichtsverlust von 67 – 69 kg beantragte sie bei der Beklagten unter Vorlage weiterer medizinischer Unterlagen am 18.03.2015 die Kostenübernahme für mehrere Wiederherstellungs-Operationen wegen Cutis laxa generalisata und einer psioriasisformen Dermatitis mit Mazerationen und Entzündungen in den durch Gewichtsverlust entstandenen Hautfalten. Im Gutachten vom 24.04.2015 wies der Sozialmedizinische Dienst (SMD) der Beklagten nach Untersuchung der Klägerin darauf hin, dass keine der beantragten Operationen (Abdominalplastik, Bruststraffung, Oberarm-, Oberschenkel- sowie Gesäßstraffung, Fettabsaugung) als zwingende Operation zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) empfohlen werden könne. Der Lokalbefund zeige keine chronisch-rezidivierenden therapierefraktären Ekzeme sowie keine signifikanten Funktionsbehinderungen im Gangbild, bei der Hüftbeuge sowie in der Beweglichkeit der oberen und unteren Extremitäten. Eine seelische Belastungssituation stelle nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) keine Indikation für plastisch-chirurgische Eingriffe dar, da in diesen Fällen die Mittel der Psychotherapie und Psychiatrie anzuwenden seien.
Durch Bescheid vom 13.05.2015 lehnte die Beklagte die Kostenübernahme für eine Abdominalplastik, eine Straffung der Brust, der Oberarme und Oberschenkel sowie des Gesäßes mit Aspirationslipektomie der Reithosen beidseits ab. Den hiergegen erhobenen Widerspruch der Klägerin wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten durch Widerspruchsbescheid vom 23.10.2015 als unbegründet zurück.
Mit der am 23.11.2015 erhobenen Klage weist die Klägerin darauf hin, dass ihr Antrag aus März 2015 nach § 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V als genehmigt gelte. Die Beklagte habe erst nach Ablauf der 5-Wochenfrist des § 13 Abs. 3a Satz 1, 2. Alt. SGB V über den Antrag entschieden, ohne zuvor eine Mitteilung nach § 13 Abs. 3a Satz 5 SGB V zu machen. Nach Eintritt der Genehmigungsfiktion sei die Beklagte mit allen Einwendungen, insbesondere der Einwendung fehlender medizinischer Notwendigkeit ausgeschlossen. Nach der Entscheidung des BSG vom 08.03.2016 (B 1 KR 25/15 R) gelte § 13 Abs. 3a SGB V für Sachleistungs- und Erstattungsansprüche gleichermaßen. Die begehrte postbariatrische Wiederherstellungschirurgie liege nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV. Sie habe die Leistung aufgrund der Einschätzung ihrer behandelnden Ärzte auch für erforderlich halten dürfen. Eine Prüfung der medizinischen Notwendigkeit im konkreten Einzelfall finde daher gerade nicht statt.
Nachdem die Beklagte zunächst den Eintritt der Genehmigungsfiktion bestritten hatte, hat sie diese während des Klageverfahrens eingeräumt und gemäß § 45 SGB X mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen (Bescheid vom 10.01.2017, Widerspruchsbescheid vom 07.03.2017).
Die Klägerin beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13.05.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.10.2015 sowie des Bescheides vom 10.01.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.03.2017 zu verurteilen, ihr eine Abdominalplastik sowie eine Straffung der Brust, der Oberarme, der Oberschenkel und des Gesäßes mit Aspirationslipektomie der Reithosen beidseits als Sachleistung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie weist darauf hin, dass die fiktive Genehmigung rechtswidrig gewesen sei, da sie nicht mit der materiellen Rechtslage übereinstimme. Bei der Klägerin liege keine Krankheit im versicherungsrechtlichen Sinne vor. Auf ein schutzwürdiges Vertrauen in den Fortbestand der fiktiven Genehmigung könne sich die Klägerin nicht berufen, da ein Leistungsverbrauch oder eine Vermögensdisposition im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X nicht vorliege. Bei der Ermessensausübung sei dem fiskalischen Interesse der Solidargemeinschaft ein höheres Gewicht einzuräumen als dem Vertrauensschutz der Klägerin.
Zur weiteren Darstellung des Sach- und Streitstandes wird auf den sonstigen Inhalt der Gerichtsakten und den der beigezogenen Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen. Diese haben vorgelegen und waren, soweit von Bedeutung, Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist auch begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf Gewährung der beantragten Abdominalplastik sowie Straffung der Brust, der Oberarme, der Oberschenkel und des Gesäßes mit Aspirationslipektomie der Reithosen beidseits als Sachleistung durch die Beklagte, da die gesetzliche Genehmigungsfiktion eingetreten und von der Beklagten nicht wirksam zurückgenommen worden ist.
Statthafte Klageart ist vorliegend die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG). Zwar wird vertreten, dass angesichts des Umstandes, dass in den Fällen des § 13 Abs. 3a Satz 6 und 7 SGB V regelmäßig über den Eintritt der Fiktion gestritten wird, die Feststellungsklage im Sinne des § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG statthaft sei (vgl. hierzu Pade´, jurisPR-SozR 23/2016 Anm. 1 m.w.N.). Für die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage spricht jedoch, dass diese einen unmittelbaren Leistungsanspruch und – daraus resultierend – einen vollstreckbaren Titel schafft. Abgesehen davon ist der Anspruch in den Fällen, in denen die fingierte Genehmigung eine Leistung betrifft, die nicht als Naturalleistung erbracht werden kann (z.B. mangels Aufnahme in den EBM), auf Kostenfreistellung gerichtet (BSG, Urteil vom 08.03.2016 – B 1 KR 25/15 – SozR 4-2500 § 13 Nr. 33). Eine solche kann jedoch nur mit der Leistungsklage bzw. der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage erreicht werden (LSG NRW, Urteil vom 06.12.2016 – L 1 KR 680/15 – juris).
Nach § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V hat die Krankenkasse über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten (§ 13 Abs. 3a Satz 2 SGB V). Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung (§ 13 Abs. 3a Satz 3 SGB V). Eine hiervon abweichende Frist ist nur für den Fall der – hier nicht einschlägigen – Durchführung eines im Bundes-mantelvertrag-Zahnärzte (BMV-Z) vorgesehenen Gutachterverfahrens bestimmt (§ 13 Abs. 3a Satz 4 SGB V). Kann die Krankenkasse die Fristen nach Satz 1 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit (§ 13 Abs. 3a Satz 5 SGB V). Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt (§ 13 Abs. 3a Satz 6 SGB V).
Die Beklagte hat den Antrag der Klägerin unzweifelhaft nicht binnen drei bzw. fünf Wochen nach Antragseingang am 18.03.2015 beschieden, ohne dass sie der Klägerin schriftlich einen Grund für die Fristüberschreitung mitgeteilt hätte. Der von der Klägerin gestellte Antrag war auch hinreichend bestimmt. Angesichts des Umstandes, dass der Verwaltungsakt nicht erlassen, sondern fingiert wird, muss sich der Inhalt der fingierten Genehmigung aus dem Antrag in Verbindung mit den einschlägigen Genehmigungs-vorschriften hinreichend bestimmen lassen. Die Fiktion kann somit nur dann eintreten, wenn der Antrag so bestimmt gestellt ist, dass die aufgrund des Antrags fingierte Genehmigung ihrerseits im Sinne von § 33 Abs. 1 SGB X hinreichend bestimmt ist (BSG, Urteil vom 08.03.2016, a.a.O.). Da der fingierte Verwaltungsakt einem in einem ordnungsgemäßen Verfahren erlassenen – ausdrücklich erteilten – Verwaltungsakt gleichgestellt ist, reicht es aus, wenn sich sein Inhalt aus dem Antrag in Verbindung mit den einschlägigen Akten im Wege der Auslegung ermitteln lässt (vgl. LSG NRW, Urteil vom 06.12.2016, a.a.O., m.w.N.). Die Klägerin hat am 18.03.2015 eine Kostenübernahme für "medizinisch indizierte Wiederherstellungsoperationen" beantragt. Ihre detaillierte Schilderung, an welchen Körperpartien die Hautüberschüsse zu Problemen führen und der beigefügte Therapievorschlag des St.-Antonius-Hospitals Eschweiler lässt ihr Begehren mit hinreichender Deutlichkeit erkennen.
Schließlich handelt es sich bei den begehrten postbariatrischen Operationen auch um Leistungen, die ausschließlich von Ärzten erbracht werden und grundsätzlich Leistungen der GKV darstellen können. Nach der Rechtsprechung des BSG führt die in § 13 Abs. 3a Satz 7 SGB V geregelte Begrenzung auf "erforderliche" Leistungen zu einer Beschränkung auf subjektiv für den Berechtigten erforderliche Leistungen, die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV liegen. Die Begrenzung beinhaltet mithin lediglich eine Rechtsmissbrauchskontrolle (BSG, Urteil vom 08.03.2016, a.a.O.). Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin die von ihr begehrten Wiederherstellungs-operationen zur Beseitigung der Cutis laxa generalisata im Bereich des Abdomens, der Mammae beidseits, der Oberarme, der Oberschenkel und des Gesäßes sowie der rezidivierenden Infektionen im Anal- und Perianalbereich und der rezidivierenden Ekzeme in der Unterbauch- und Unterbrustfalte aus ihrer Sicht für nicht erforderlich halten durfte und sich ihr Begehren damit als rechtsmissbräuchlich darstellen könnte, liegen nicht vor. Ist einem Versicherten – wie hier – von seinen Ärzten zu einer bestimmten Kranken-behandlung geraten worden, darf dieser die Behandlung regelmäßig für erforderlich halten.
Aufgrund des Eintritts der Genehmigungsfiktion kann die Klägerin die begehrten Leistungen als Sachleistung unmittelbar von der Beklagten verlangen. Dem steht die vor Inanspruchnahme der Leistungen erfolgte Ablehnungsentscheidung nicht entgegen, denn die Wirkung der eingetretenen Genehmigungsfiktion kann nur nach den allgemeinen Grundsätzen über Erledigung, Widerruf oder Rücknahme eines begünstigenden Verwal-tungsaktes beseitigt werden (BSG, Urteil vom 08.03.2016, a.a.O.). Ein solcher Regelungs-gehalt lässt sich dem Bescheid vom 13.05.2015 bzw. dem Widerspruchsbescheid vom 23.10.2015 nicht entnehmen.
Auch durch den Rücknahmebescheid vom 10.01.2017 (Widerspruchsbescheid vom 07.03.2017) hat die Beklagte hat die fingierte Leistungsbewilligung nicht wirksam zurück-genommen. Die Kammer konnte offen lassen, ob dieser Rücknahmebescheid gemäß oder analog § 96 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden ist (so SG Kiel, Urteil vom 13.12.2016 – S 10 KR 292/15 –, juris; SG Detmold, Urteil vom 11.11.2016 – S 24 KR 539/15 –, juris; SG Düsseldorf, Urteil vom 03.11.2016 – S 27 KR 1190/15 –, juris; SG München, Urteil vom 16.06.2016 – S 7 KR 409/15 –, juris); denn die erkennende Kammer wäre nach dem bis zum 12.05.2017 gültigen Geschäftsverteilungsplan auch dann zur Entscheidung über die Rücknahmeentscheidung berufen gewesen, wenn der am 15.03.2017 eingegangene Schriftsatz, mit dem die Klägerin die Aufhebung des Bescheides vom 10.01.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.03.2017 begehrt hat, als neue Klage eingetragen worden wäre.
Rechtsgrundlage des angefochtenen Rücknahmebescheides ist § 45 Abs. 1 SGB X. Nach dieser Vorschrift darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden. Vorliegend fehlt es bereits an einer Rechtswidrigkeit der Genehmigungsfiktion. Das Bundessozialgericht hat in seiner Entscheidung vom 08.03.2016 (a.a.O.) darauf hingewiesen, dass dass sich die Rechtmäßigkeit der Genehmigungsfiktion nach der Erfüllung der Voraussetzungen des § 13 Abs. 3a SGB V beurteilt und nicht nach den Voraussetzungen des geltend gemachten Naturalleistungsanspruchs. Wäre – wie die Beklagte meint – die Genehmigungsfiktion als rechtswidrig zu qualifizieren, wenn die jeweiligen materiellen Sachleistungsvoraussetzungen nicht vorliegen, käme der Norm des § 13 Abs. 3a SGB V keinerlei Regelungsgehalt zu. Könnte die Genehmigungsfiktion durch eine – außerhalb der Frist erfolgende – nachträgliche Prüfung der einzelnen Leistungsvoraus-setzungen wieder zurückgenommen werden, würde das Ziel des Gesetzgebers, generalpräventiv die Zügigkeit des Verwaltungsverfahrens zu verbessern, ins Leere laufen (vgl. LSG NRW, Beschluss vom 23.05.2014 – L 5 KR 222/14 B ER –, juris; SG Gelsenkirchen, Urteil vom 29.01.2015 – S 17 KR 479/14 –, juris).
Die Möglichkeit einer Rücknahme der Genehmigungsfiktion nach § 45 SGB X würde im Übrigen die Versicherten, die nach Ablauf der Frist nicht in der Lage sind, sich die begehrte Leistung selbst zu beschaffen, entgegen des Gleichbehandlungsgebots nach Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) praktisch aus dem Schutzbereich des § 13 Abs. 3a SGB V ausschließen (LSG NRW, Beschluss vom 23.05.2014 – L 5 KR 222/14 B ER m.w.N. -, juris).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Rechtskraft
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