L 6 AS 438/14

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 5 AS 319/10
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AS 438/14
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 AS 37/17 BH
Datum
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Wiesbaden vom 5. Mai 2014 wird zurückgewiesen.

II. Die Beteiligten haben einander auch für das Berufungsverfahren keine Kosten zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit des Bescheides der Beklagten vom 14. März 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. März 2010.

Die 1953 geborene Klägerin bezog ab dem 1. Januar 2005 Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende - (SGB II) von der Beklagten. Von Juli 2004 bis September 2005 nahm sie an einer Arbeitsgelegenheit im Stadtarchiv Wiesbaden teil, die ab Januar 2005 von der Beklagten nach § 16 SGB II gefördert wurde.

Die Klägerin beantragte mit Schreiben vom 16. Februar 2006 die Gewährung einer Integrationsmaßnahme zur Eingliederung in den 1. Arbeitsmarkt in Form einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme, hilfsweise die Gewährung eines SAP-Kurses oder einer Arbeitsgelegenheit nach der Entgeltvariante.

Die Beklagte lehnte die Gewährung von Eingliederungsleistungen nach den §§ 16 ff. SGB II mit Bescheid vom 14. März 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. März 2010 ab. Bei der Ausübung des zustehenden Ermessens seien die Wirtschaftlichkeit der Maßnahme und das zur Verfügung stehende Eingliederungsbudget zu berücksichtigen. Die Beklagte habe sich entschieden, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen nach § 260 ff. SGB III nicht anzubieten, da die gleichen Ziele im Rahmen von Arbeitsgelegenheiten erreicht werden könnten, die im öffentlichen Interesse lägen. Eine solche Tätigkeit habe die Klägerin beim Wiesbadener Stadtarchiv ausgeübt. Die mit der Maßnahme verbundenen Ziele, wie persönliche Stabilisierung, Erhalt der Leistungsfähigkeit und berufliche Qualifikation seien dadurch bereits erfüllt worden.

Am 14. April 2010 hat die Klägerin gegen den ihr am 18. März 2010 zugestellten Widerspruchsbescheid Klage zum Sozialgericht Wiesbaden erhoben (Az. S 11 AS 319/10). Sie erhebe Verpflichtungsklage und richte sich gegen die Benachteiligung ihrer Integrationschancen auf dem 1. Arbeitsmarkt mit Minderung der Vermittlungsfähigkeit und Verlust von Rentenbeitragszahlungen zum Schaden ihrer persönlichen wie wirtschaftlichen Situation in Folge einer 47monatigen Nichtbescheidung des Widerspruchs. Die Beklagte habe die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten. Einen Klageantrag hat die Klägerin trotz Aufforderung des Sozialgerichts nicht gestellt.

Nach vorheriger Anhörung der Beteiligten hat das Sozialgericht mit Gerichtsbescheid vom 5. Mai 2014 (S 5 AS 319/10) die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Sozialgericht im Wesentlichen ausgeführt, die von der Klägerin begehrten Maßnahmen stünden im Ermessen der Beklagten. Diese habe ihr Ermessen ausgeübt, ohne dass Ermessensfehler ersichtlich seien. Die Klägerin habe im Jahr 2005 für sechs Monate an einer Arbeitsgelegenheit im Stadtarchiv Wiesbaden, im Jahr 2007 für drei Monate an einer Fördermaßnahme Wirtschaftsenglisch und für zwei Monate an einer Projektassistenz und im Jahr 2008 an einer Weiterbildung im kaufmännischen Bereich teilgenommen. Die Beklagte habe damit bereits mehrere Eingliederungsmaßnahmen unterstützt.

Am 10. Juni 2014, dem Dienstag nach Pfingsten, hat die Klägerin Berufung gegen den ihr am 8. Mai 2014 zugestellten Gerichtsbescheid eingelegt.

In Kenntnis der Tatsache, dass die Klägerin seit Mai 2014 in A-Stadt wohnt, hat der Senat die Beteiligten darauf hingewiesen, dass eine Beiladung des Main-Taunus-Kreises – Kommunales Jobcenter – in Betracht komme. Eine Verurteilung der Beklagten komme nicht mehr in Betracht, da diese nicht mehr zuständig sei. Die Klägerin hat einer Beiladung widersprochen und erklärt, dass es ihr nicht um eine Verurteilung der Beklagten, sondern um ihr Rehabilitationsinteresse in diesem Verfahren gehe.

Die Klägerin rügt einen Verstoß gegen den Anspruch auf den gesetzlichen Richter, da die 5. Kammer des Sozialgerichts Wiesbaden nicht für ihren Rechtsstreit zuständig gewesen sei. Zudem sei das rechtliche Gehör verletzt, da keine ordnungsgemäße Anhörung vor Erlass des Gerichtsbescheides durchgeführt worden sei. Auch habe das Sozialgericht gegen die Amtsermittlungspflicht verstoßen, da es ohne Beweisaufnahme entschieden habe.

Die Klägerin beantragt,
1. einen gesonderten Verhandlungstermin für das Verfahren anzusetzen; 2. für den Fall das verhandelt wird, die Erörterung der Sache auf den Streitstoff zu beschränken, auf die sich die Anträge beziehen; 3. a) den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Wiesbaden vom 5. Mai 2014 unter Aufhebung des Bescheides vom 14. März 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2010 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung der Bescheide zu einer Neuverbescheidung über meinen Antrag vom 16. Februar 2006 zu verpflichten; b) insoweit eine Umstellung der Klageart wegen der veränderten Lebenssituation erforderlich ist, die Klage umzustellen; 4. die Beklagte zu verpflichten, die der Klägerin vor dem Sozialgericht und Landessozialgericht entstandenen außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Zur Begründung nimmt sie Bezug auf die Ausführungen des angefochtenen Gerichtsbescheides.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie zur Ergänzung des Sach- und Streitstands im Übrigen wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten. Sämtliche Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 5. Mai 2014 zu Recht abgewiesen.

Die Fortsetzungsfeststellungsklage der Klägerin ist unzulässig.

Streitgegenstand ist der Bescheid der Beklagten vom 14. März 2006 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10. Mai 2010. Die von der Klägerin vor dem Sozialgericht erhobene Klage war zunächst als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage gemäß § 54 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und zulässig. Die Auslegung der Klageschrift und der zahlreichen zur Begründung überreichten Schriftsätze ergibt, dass die Klägerin den prozessualen Anspruch verfolgte, die Beklagte zu verurteilen, erneut über ihren Antrag auf Integrationsmaßnahmen (Ermessensleistungen nach §§ 16 ff. SGB II) zu entscheiden. Diese Auslegung entspricht auch dem im Tatbestand zitierten Antrag zu 3 a) der Klägerin.

Durch den Umzug der Klägerin nach A-Stadt hat sich der streitgegenständliche Bescheid im Sinne des § 131 Abs. 1 Satz 3 SGG auf andere Art erledigt, da die Beklagte nicht mehr zuständig ist für Leistungen nach dem SGB II (vgl. BSG, Urteil vom 18. Mai 2011, B 3 KR 7/10 R; Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, 11. Auflage 2014, § 131 SGG Rn.7a). Die Umstellung einer kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage auf eine Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 131 Abs. 1 S. 3 SGG ist grundsätzlich zulässig; dies stellt keine Klageänderung dar, § 99 Abs. 3 SGG. Diese Umstellung hat die Klägerin mit ihrem Antrag zu 3 b) auch ausdrücklich beantragt.

Für eine zulässige Fortsetzungsfeststellungsklage fehlt jedoch ein berechtigtes Interesse der Klägerin an der Feststellung, dass der angefochtene Verwaltungsakt rechtswidrig ist.

Für ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse genügt ein durch die Sachlage vernünftigerweise gerechtfertigtes Interesse, das rechtlicher, wirtschaftlicher oder ideeller Art sein kann. Entscheidend ist, dass die angestrebte gerichtliche Entscheidung geeignet sein kann, die Position des Klägers zu verbessern. Ein solches Interesse kann bei Wiederholungsgefahr, bei einem Rehabilitationsinteresse oder bei Präjudizialität vorhanden sein. Das allgemeine Interesse an der Klärung einer interessanten Rechtsfrage oder der Wunsch nach gerichtlicher Bestätigung der eigenen Rechtsauffassung begründen hingegen kein Fortsetzungsfeststellungsinteresse (vgl. Wolff-Dellen in: Breitkreuz/Fichte, SGG-Kommentar, 2. Auflage 2014, § 131 Rn. 6 m.w.N.).

Eine Wiederholungsgefahr scheidet vorliegend aus, da die Beklagte durch den Umzug der Klägerin in den Zuständigkeitsbereich eines anderen Jobcenters nicht mehr für die SGB II Leistungen bzw. für die Bescheidung solcher Anträge für die Klägerin zuständig ist.

Anhaltspunkte für eine Präjudizialität sind für den Senat nicht ersichtlich und von der Klägerin auch nicht geltend gemacht.

Die Klägerin kann sich für ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse auch nicht auf ein Rehabilitationsinteresse stützten. Ein Rehabilitationsinteresse ist gegeben, wenn der erledigte Verwaltungsakt diskriminierend wirkt, insbesondere den Betroffenen in seiner Menschenwürde, seinen Persönlichkeitsrechten oder seinem Ansehen erheblich beeinträchtigt hat. Ein berechtigtes ideelles Interesse an einer Rehabilitierung besteht damit, wenn sich aus dem angegriffenen Verwaltungsakt eine Stigmatisierung des Betroffenen ergibt, die geeignet ist, sein Ansehen in der Öffentlichkeit oder im sozialen Umfeld herabzusetzen. Diese Stigmatisierung muss Außenwirkung erlangt haben und noch in der Gegenwart andauern (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, 11. Auflage 2014, § 131 SGG Rn.10a; BVerwG, Urteil vom 16. Mai 2013, 8 C 14/12).

Ein Rehabilitierungsinteresse in diesem Sinne liegt im Fall der Klägerin nicht vor. Durch die Ablehnung ihres Antrages auf Integrationsleistungen vom 16. Februar 2006 wurden weder die Menschenwürde noch die Persönlichkeitsrechte der Klägerin verletzt. Es sind auch keine Anhaltspunkte ersichtlich, dass ihr Ansehen in der Öffentlichkeit dadurch Schaden genommen hat oder eine Stigmatisierung eingetreten ist. Eine solche Beeinträchtigung ergibt sich auch nicht aus der Begründung des Bescheides. Dass sich die Beklagte mehr als vier Jahre Zeit für die Entscheidung über den Widerspruch gegen den Bescheid vom 14. März 2006 genommen hat, ist auch für den Senat unverständlich, kann jedoch für sich genommen kein Rehabilitationsinteresse begründen. Die Beklagte hat die Klägerin in dieser Zeit nicht etwa ignoriert, sondern war in einer Vielzahl von Antrags-, Widerspruchs- und Gerichtsverfahren mit Angelegenheiten der Klägerin intensiv beschäftigt. Insbesondere hat die Beklagte der Klägerin – worauf das Sozialgericht zutreffend hingewiesen hat – weitere Leistungen zur Eingliederung in Arbeit erbracht.

Im Übrigen weist der Senat darauf hin, dass die von der Klägerin gerügte Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das Sozialgericht nicht vorliegt. Der Einwand der Klägerin, sie sei nicht ordnungsgemäß zu der beabsichtigten Entscheidung des Rechtsstreits durch Gerichtsbescheid angehört worden, ist unzutreffend. Ausweislich des ihr mit Postzustellungsurkunde vom 28. Februar 2014 zugestellten gerichtlichen Schreibens vom 26. Februar 2014 hat das Sozialgericht die Klägerin über die Möglichkeit der Entscheidung durch Gerichtsbescheid hingewiesen und ihr Gelegenheit zur Stellungnahme binnen einer angemessenen Frist von einem Monat eingeräumt. In diesen Schreiben hat das Sozialgericht zudem konkrtet auf die Erfolgsaussichten der Klage hingewiesen und dabei auf den Beschluss des Landessozialgerichts im Prozesskostenhilfeverfahren Bezug genommen.

Der von der Klägerin geltend gemachte Verstoß gegen den gesetzlichen Richter (Art. 101 GG) liegt nicht vor. Die Vorsitzende der 5. Kammer war ausweislich des Geschäftsverteilungsplanes des Sozialgerichts Wiebaden zuständig für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits. Nach dem Geschäftsverteilungsplan des Sozialgerichts Wiesbaden war die 5. Kammer für die bis zum 31. Dezember 2012 eingegangene Klagen von Klägern, deren Nachname mit dem Buchstaben F beginnt, zuständig. Darüber wurde die Klägerin von der Vorsitzenden des Präsidiums des Sozialgerichts Wiesbaden mit Schreiben vom 3. Juli 2013 bereits ausführlich informiert. Im Übrigen wird auf den Beschluss des Senats vom 4. Juni 2013 (L 6 AS 364/13) verwiesen.

Auch liegt kein Verstoß gegen die Amtsermittlungspflicht vor. Das Sozialgericht musste sich aus seiner rechtlichen Sicht nicht zu weiteren Ermittlungen gedrängt fühlen. Entgegen der Auffassung der Klägerin musste es nicht Beweis erheben über die Rechtmäßigkeit des streitgegenständlichen Bescheides. Die Gewährung der beantragten Leistungen nach §§ 16 ff. SGB II standen im Ermessen der Beklagten, § 39 SGB I. Damit hatte das Sozialgericht nur eine eingeschränkte Kontrolle im Hinblick auf die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides auf Ermessensfehler vorzunehmen (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, 11. Auflage 2014, § 54 SGG Rn.28). Da solche Ermessensfehler aus seiner Sicht nicht vorlagen, musste sich das Sozialgericht nicht zu einer Beweisaufnahme veranlasst sehen.

Über den Antrag zu 1. der Klägerin hat der Senat im Termin zur mündlichen Verhandlung am 25. Januar 2017 entschieden. Auf die Sitzungsniederschrift wird verwiesen.

Der Antrag zu 2. der Klägerin ist einer Entscheidung durch den Senat nicht zugänglich.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Danach ist es für den Senat im vorliegenden Fall sachgerecht, die Beklagte nicht zur Kostentragung zu verurteilen, da auch das Rechtsmittel der Klägerin erfolglos geblieben ist. Der Antrag zu 4. der Klägerin war entbehrlich, da der Senat von Amts wegen über die Kosten zu entscheiden hatte.

Die Revision ist nicht zuzulassen, weil Revisionsgründe im Sinne des § 160 SGG nicht ersichtlich sind.
Rechtskraft
Aus
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