L 19 AS 822/16

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
19
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 33 AS 2599/15
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 19 AS 822/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Urteile des Sozialgerichts Köln vom 11.03.2016 werden geändert. Der Be-scheid vom 05.11.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.06.2015 und vom 01.06.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.10.2015 wird aufgehoben. Der Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit von Ersatzansprüchen nach § 34 SGB II bezüglich in den Zeiträumen vom 01.07.2014 bis 31.10.2014 und vom 01.11.2014 bis 30.04.2015 gewährter Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II.

Seit 2001 lebt die am 00.00.1975 in Teheran geborene Klägerin in Deutschland. Sie ist die Mutter dreier Kinder. Nach dem Tod ihres Ehemannes im Jahr 2012 bezogen die Klägerin und ihre Kinder bis 30.06.2013 Leistungen nach dem SGB II. Aus der von dem ver-storbenen Ehemann zugunsten der Klägerin abgeschlossenen Lebensversicherung erhielt die Klägerin am 19.06.2013 einen Betrag von 149.985,03 Euro auf das Konto einer Rechtsanwältin ausgezahlt, die am 16.07.2013 einen Betrag von 140.000,00 Euro und am 26.07.2013 einen Betrag von 7.020,04 Euro auf ein im Juli 2013 neu eröffnetes Konto der Klägerin überwies.

Die Klägerin transferierte insgesamt 80.000,00 Euro in den Iran. Der internationale Da-tenverkehr nach dem SWIFT (Society for Worldwide Interbank Financial Telecommunication) mit iranischen Banken war seit dem 17.03.2012 aufgrund der von der Europäischen Union verhängten Sanktionen unterbrochen. Vor diesem Hintergrund hob die Klägerin ab dem 21.11.2013 drei Barbeträge ab (14.000,00 Euro, 5.000,00 Euro und 11.000,00 Euro) und gab 3 x 10.000,00 Euro an drei Bekannte weiter, die über Weihnachten in den Iran flogen und die Geldbeträge der Mutter der Klägerin zur Aufbewahrung übergaben. Am 28.11.2013 überwies die Klägerin weitere 50.000,00 Euro an einen Bekannten, der seinen Onkel im Iran anwies, das Geld der Mutter der Klägerin auszuzahlen.

Am 03.01.2014 reiste die Klägerin in den Iran. Dort schloss sie am 30.01.2014 mit Herr I (Herr I), einem Kaufmann, einen auf ein Jahr befristeten "Investitionsvertrag" über eine Summe von 3.000.000.000 iranische Rials / 300.000.000 Tomans (ca. 82.000,00 Euro). Diese Währung war im Ausland nicht konvertierbar. Die anfallenden Zinsen zahlte Herr I monatlich auf ein Bankkonto der Klägerin im Iran ein. In unregelmäßigen Abständen, ca. alle zwei Monate, brachten angestellte Taxifahrer eines Bekannten Beträge zwischen 1.000,00 und 1.300,00 Euro nach Deutschland und übergaben sie der Klägerin. Diese bezog daneben monatlich Kindergeld i.H.v. insgesamt 558,00 Euro, eine Witwenrente i.H.v. 190,30 Euro, Waisenrente i.H.v. 75,31 Euro für jedes Kind sowie Pflegegeld für ein Kind i.H.v. 700,00 Euro. Die Bruttowarmmiete betrug 1.140,00 Euro.

Am 04.01.2014 heiratete die Klägerin im Iran Herrn T (Herr T), den ursprünglichen Kläger zu 2) in dessen Abwesenheit. Diesen hatte sie im Juli 2013 während eines Urlaubs in Teheran kennengelernt und beabsichtigte ursprünglich, mit ihm im Oktober 2013 Urlaub in der Türkei zu machen, bis dieser die Nachricht erhielt, dass er als zum Christentum konvertierter Moslem in Gefahr sei. Herr T besorgte sich ein gefälschtes Visum, flog von der Türkei nach Deutschland und stellte im Oktober 2013 einen Asylantrag, dem im April 2014 stattgegeben wurde. Bis zur Anerkennung als Asylberechtigter bezog Herr H. Leistungen nach dem AsylbLG. Im April 2014 zog Herr H. zu der Klägerin. Im Oktober 2014 trennte sich das Ehepaar.

Am 29.07.2014 stellte die Klägerin beim Beklagten einen Leistungsantrag und gab an, sie sei vom Jobcenter aufgefordert worden, das Geld aus der Lebensversicherung ihres Ehemannes nach Deutschland zu bringen und davon zu leben. Am 28.06.2014 sei ihr das Geld im Iran gestohlen worden. Sie legte ein Protokoll der Polizei in Teheran vor, wonach sie am 28.06.2014 den Diebstahl von 70.000,00 Euro und eines Handys aus ihrem Kraft-fahrzeug angezeigt hat. Laut diesem Protokoll gab die Klägerin an, sie habe am 27.06.2014 um 21.30 Uhr das Kraftfahrzeug vor dem Haus E T Str., O H Nr. 00 geparkt und am 28.06.214 um 11.30 Uhr festgestellt, dass aus dem Handschuhfach des Kraftfahrzeuges u.a. ein Betrag von 70.000,00 Euro gestohlen worden waren. Des Weiteren legte die Klä-gerin eine Bescheinigung vor, wonach sie am 20.06.2014 einen Flug nach Teheran und am 18.07.2014 einen Rückflug gebucht hatte.

In einer Erklärung vom 05.09.2014 gab die Klägerin an, sie habe im April 2014 beim Be-klagten zwecks Gewährung von Leistungen an ihren Ehemann vorgesprochen. Der Mitarbeiter des Jobcenters Süd habe ihr erklärt, sie müsse zunächst das im Iran angelegte Geld aufbrauchen, bevor sie Leistungen beanspruchen könne. Sie habe hieraus entnommen, sie müsse das Geld nach Deutschland zurückholen, sei dann Mitte Juli 2014 in den Iran gereist und habe den Vertrag mit Herrn I gekündigt. Dieser habe ihr den Betrag von 70.000,00 Euro in Rial ausgezahlt, den sie in Euro gewechselt habe. Sie habe das Geld in dem Handschuhfach des vom Schwager ihrer Schwester geliehenen Autos aufbewahrt. Sie habe das Geld am anderen Tag zu einem Kaufmann bringen wollen, den Herr I ihr empfohlen habe. Dieser habe das Geld nach Deutschland bringen sollen. Bei der Anzeigeerstattung habe die Polizei ihr mitgeteilt, dass es in der Nacht mehrere Autoaufbrüche in der Straße gegeben habe.

Mit Bescheid vom 14.10.2014 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 05.11.2014 bewilligte der Beklagte der Klägerin, ihrem Ehemann und ihren Kindern vorläufig Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit vom 01.07.2014 bis 30.10.2014 in Höhe von insgesamt 1620,78 Euro monatlich (Juli bis August), 1634,78 Euro (September) und 2485,47 Euro (Oktober). Nach dem Auszug des Ehemannes im November bewilligte der Beklagte der Klägerin und ihren Kindern mit Bescheid vom 24.11.2014 für den Zeitraum 01.11.2014 bis 30.04.2015 Leistungen i.H.v. 1578,60 Euro (November 2014), 1634,70 Euro (Dezember 2014) und 1652,83 Euro monatlich (Januar bis April 2015) und zahlte diese aus.

Nach Anhörung der Klägerin stellte der Beklagte mit Bescheid vom 05.11.2014 fest, die Klägerin sei zum Ersatz der ihr und den Personen in der Bedarfsgemeinschaft für die Zeit vom 01.07.2014 bis 31.10.2014 gezahlten Leistungen nach dem SGB II i.H.v. 7.904,60 Euro verpflichtet. Sie habe grob fahrlässig gehandelt, weil sie die aus der Lebensversicherung gezahlte Summe von 150.000,00 Euro verantwortungslos verbraucht habe. Es sei grob fahrlässig, einen Betrag von 70.000,00 Euro im Handschuhfach eines Autos einzuschließen, was schließlich zum Diebstahl dieser Summe geführt habe. Ein wichtiger Grund für dieses Verhalten sei nicht erkennbar.

Mit Teilabhilfe- und Widerspruchsbescheid vom 24.06.2015 reduzierte der Beklagte den Ersatzanspruch für den Zeitraum 01.07.2014 bis 31.10.2014 um 8,00 Euro auf 7.896,60 Euro und wies den Widerspruch im Übrigen als unbegründet zurück.

Hiergegen haben die Klägerin, ihr Ehemann und ihre Kinder am 22.07.2015 im Verfahren S 33 AS 2599/15 Klage erhoben und argumentiert, ein sozialwidriges Verhalten sei der Klägerin nicht vorzuwerfen. Sie habe nach dem Hinweis des Beklagten im Juni 2014 eine Reise in den Iran angetreten, um das dort investierte Geld zurückzuholen, damit die Bedarfsgemeinschaft von diesem Geld den Lebensunterhalt bestreiten könne. Sie habe mithin das ihr vom Beklagten auferlegt Verhalten gezeigt. Hinsichtlich des Ehemannes der Klägerin wurde zwischen Beteiligten ein Unterwerfungsvergleich geschlossen.

Nach Anhörung der Klägerin stellte der Beklagte mit Bescheid vom 01.06.2015 fest, die Klägerin sei zum Ersatz der ihr und den Personen in der Bedarfsgemeinschaft für die Zeit vom 01.11.2014 bis 30.04.2015 gezahlten Leistungen nach dem SGB II i.H.v. 10.940,86 Euro verpflichtet. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies der Beklagte mit Wider-spruchsbescheid vom 02.10.2015 als unbegründet zurück.

Die Klägerin und ihre Kinder haben gegen diesen Bescheid am 02.11.2015 Klage im Verfahren S 33 AS 3923/15 erhoben.

In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin erklärt, ihr seien am 26.07.2014 nach Kündigung des Investitionsvertrages umgerechnet 70.000,00 Euro ausgezahlt worden, die sie schwarz in 500,00 Euro Scheine umgetauscht habe in der Absicht, das Geld am nächsten Tag wegen der gegen den Iran bestehenden Sanktionen über einen Geldwechsler in die Bundesrepublik zu transferieren. Sie habe vom 26.07.2014 bis 28.07.2014 bei ihrer Schwester übernachtet. Dort habe die Trauerfeier wegen der verstorbenen Schwiegermutter der Schwester unter Beteiligung zahlreicher Verwandter stattgefunden. Sie habe das gewechselte Geld in das Handschuhfach im Auto des Schwagers gelegt, weil die Schwester wegen der Trauerfeier in der Wohnung nicht habe für die Sicherheit garantieren können. In der ersten Nach sei nichts passiert, in der zweiten Nacht sei dann das Geld gestohlen worden. Den Diebstahl habe sie bei der Polizei angezeigt. Es sei ihr mitgeteilt worden, dass es in der Nacht mehrere Autoaufbrüche gegeben habe. Auf Nachfrage des Gerichts hat die Klägerin erklärt, dass Geld sei in der Nacht vom 26.07 zum 27.06.2014 nicht im Auto gelassen worden.

Mit Urteilen vom 11.03.2016 hat das Sozialgericht die beiden Klagen abgewiesen. Es sei grob fahrlässig, Bargeld i.H.v. 70.000,00 Euro in einem Handschuhfach eines Autos zu-rückzulassen. Dies gelte sowohl in Deutschland wie auch im Ausland. Autoaufbrüche seien weltweit und insbesondere auch in Städten üblich. Es sei allgemeinbekannt, dass in abgestellten Autos - insbesondere über Nacht - keine Wertsachen zurückgelassen werden sollten. Auf die weiteren Gründe wird Bezug genommen.

Gegen die am 16.03.2016 zugestellten Urteile haben die Klägerin und ihre Kinder am 15.04.2016 die Berufungen - L 19 AS 822/16 und L 19 AS 823/16 - eingelegt. Ein sozial-widriges Verhalten könne der Klägerin nicht vorgeworfen werden. Sie habe im Termin zur mündlichen Verhandlung keine widersprüchlichen Angaben gemacht. Es werde im Hinblick auf die politische Situation bestritten, dass die Situation von Autoaufbrüchen im Iran und in Deutschland vergleichbar sei. Wegen der Trauerfeier habe sie auf Anraten des Schwagers das Geld nicht im Haus, sondern im Handschuhfach eines Autos aufbewahrt.

In der mündlichen Verhandlung haben die Kinder der Klägerin die Klagen zurückgenommen. Die Verfahren L 19 AS 822/16 und L 19 AS 823/16 sind zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbunden worden.

In der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat die Klägerin angegeben, sie habe den eigenen und den Lebensunterhalt ihre Kinder aus den bezogenen Sozialleistungen - Kindergeld, Witwen- und Waisenrente, Pflegegeld - zusammen mit den Zinsen aus ihrer Geldanlage im Iran - bestreiten wollen. Im Hinblick auf die im Iran zu erwartenden hohen Zinsen habe sie sich entschlossen, 80.000,00 Euro dorthin zu transferieren. Die Transferschwierigkeiten seien ihr bekannt gewesen, insbesondere auch, dass ein Transfer nicht über Banken erfolgen konnte. Sie habe das Geld bei Herrn I abgeholt. Dieser habe es ihrer Verantwortung überlassen, ob sie den Geldbetrag einem bestimmten Geldwechsler anvertraue, der den Geldbetrag nach Dubai transportieren sollte. Bei dem in Auge gefassten Transportweg habe es sich nicht um eine bargeldlose Überweisung gehandelt, vielmehr sei ein physischer Transport der Geldscheine von Hand zu Hand über eine bestimmte Route nach Dubai vorgesehen gewesen. Herr I habe ihr hierfür einen bestimmten Geldwechsler, Herr U empfohlen, habe sie dort vorstellen und mit ihr zu-sammen abklären wollen, ob dieser den Geldtransport auch übernehme. Dies sei noch nicht klar gewesen. Als Herr I ihr den Geldbetrag ausbezahlt habe, habe er mit dem Geldwechsler telefoniert und einen Termin hierfür am Folgetag abgesprochen. Der Geldwechsler habe telefonisch erklärt, er transportiere nur Euro. Sie habe den Geldbetrag mitgenommen, auf dem Basar bei vier Geldwechslern umgetauscht, sei in die Wohnung ihrer Schwester gegangen und habe das Geld im Handschuhfach deponiert. Das Geld sei am nächsten Tag gestohlen gewesen.

Sie habe in der Etagenwohnung ihrer Schwester, bestehend aus drei Räumen, übernachtet. An dem Tag, nachdem ich das Geld abgeholt habe, habe die Trauerfeier in der Wohnung begonnen. In der Wohnung ihrer Schwester hätten Verwandte, ca. 30 Personen übernachtet. Ein Zimmer sei von den Frauen und ein Zimmer von den Männern genutzt worden. Deshalb habe ihre Schwester ihr geraten, das Geld im Handschuhfach des Autos aufzubewahren, weil sie wegen des zu erwartenden zahlreichen Besuchs hinsichtlich der Aufbewahrung des Geldes im Haus nicht sicher gewesen sei. Es kein Safe vorhanden gewesen. Sie habe die Geldscheine in einer kleinen Tasche, DIN-A5 bis DIN-A4 groß, aufbewahrt. Sie habe keine Möglichkeit gesehen, das Geld an ihren Körper aufzubewahren. Zeitgleich habe sie einen Anruf aus der Bundesrepublik erhalten, dass ihre Tochter im Krankenhaus sei. Sie solle doch so schnell wie möglich nach Hause zurückkehren. Sie sei aufgeregt gewesen und habe ihre Gedanken woanders gehabt. Sie sei dem Ratschlag ihrer Schwester gefolgt.

Die Klägerin beantragt,

die Urteile des Sozialgerichts Köln vom 11.03.2016 aufzuheben und die Bescheide vom 05.11.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.06.2015 und den Bescheid vom 01.06.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 02.10.2015 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen bzw. die Revision zuzulassen.

Der Beklagte hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.

Zu weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und de beigezogenen Verwaltungsakten Bezug genommen, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Berufung der Klägerin ist begründet.

Gegenstand des Berufungsverfahrens sind nach der Verbindung der Verfahren (§ 113 SGG) der Bescheid vom 05.11.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 24.06.2015, mit welchem der Beklagte einen Ersatzanspruch nach § 34 SGB II gegen die Klägerin in Höhe vom 7896,60 Euro für den Zeitraum 01.07.2014 bis 31.10.2014 geltend macht, sowie der Bescheid vom 01.06.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 02.10.2015, mit welchem der Beklagte einen Ersatzanspruch nach § 34 SGB II gegen die Klägerin in Höhe vom 10940,86 Euro für den Zeitraum 01.07.2014 bis 31.10.2014 geltend macht.

Hiergegen wendet sich zutreffend allein die Klägerin mit der reinen Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1 SGG; vgl. BSG, Urteil vom 02.11.2012 - B 4 AS 39/12 R - BSGE 112, 135). Die angefochtenen Bescheide regeln die Geltendmachung eines Ersatzanspruchs nur gegenüber der Klägerin und nicht gegenüber den weiteren Mitgliedern der Bedarfsgemeinschaft.

Die Klägerin ist beschwert i.S.v. § 54 Abs. 2 S. 1 SGG. Denn die angefochtenen Bescheide sind rechtswidrig. Als Rechtsgrundlage der angefochtenen Geltendmachung der Ersatz-ansprüche kommt allein § 34 SGB II (Fassung der Bekanntmachung vom 13.05.2011, BGBl. I 850 - a.F.; vgl. zu Anwendbarkeit des § 34 SGB II a.F. auf vor dem 01.8.2016 lie-gende Sachverhalte: BSG, Urteil vom 08.02.2017 - B 14 AS 3/16 R) in Betracht, der eine Befugnis zur Geltendmachung eines Ersatzanspruchs durch Erlass eines Verwaltungsakts i.S. des § 31 SGB X vorsieht (vgl. BSG, Urteil vom 16.04.2013 - B 14 AS 55/12 R - SozR 4-4200 § 34 Nr. 2). § 34 Abs. 1 S. 1 SGB II a.F. bestimmte:

"Wer nach Vollendung des 18. Lebensjahres vorsätzlich oder grob fahrlässig die Voraussetzungen für die Gewährung von Leistungen nach diesem Buch an sich oder an Personen, die mit ihr oder ihm in einer Bedarfsgemeinschaft leben, ohne wichtigen Grund herbeigeführt hat, ist zum Ersatz der deswegen gezahlten Leistungen verpflichtet."

In formeller Hinsicht sind die angefochtenen Bescheide zwar nicht zu beanstanden. Die Klägerin ist insbesondere angehört worden (§ 24 Abs. 1 SGB X) und die Geltendmachung der Erstattungsansprüche erfolgte inhaltlich hinreichend bestimmt (§ 33 Abs. 1 SGB X).

Jedoch liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 34 Abs. 1 SGB II a.F. nicht vor. Der Ersatzanspruch aus § 34 Abs. 1 S. 1 SGB II a.F. setzt u.a. als (ungeschriebenes) ob-jektives Tatbestandsmerkmal ein sozialwidriges Verhalten des Ersatzpflichtigen voraus, das seine Hilfsbedürftigkeit bzw. die der übrigen Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft herbeigeführt hat. Das Verhalten der Klägerin ist nicht als sozialwidrig i.S.d. § 34 SGB II a.F. zu werten.

Sozialwidrig ist ein Verhalten, wenn das Tun oder Unterlassen desjenigen, der zum Ersatz verpflichtet werden soll, von der Gemeinschaft derjenigen, die die Mittel für die Grundsi-cherungsleistungen aufbringen muss, missbilligt wird. Die quasi-deliktische Ersatzpflicht des § 34 SGB II dient der Durchsetzung des für Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts geltenden Nachranggrundsatzes aus § 2 SGB II. § 34 SGB II weicht hiermit von dem Grundsatz ab, wonach existenzsichernde und bedarfsabhängige Leistungen, auf die ein Rechtsanspruch besteht, regelmäßig unabhängig von der Ursache der entstandenen Notlage und einem vorwerfbaren Verhalten in der Vergangenheit zu leisten sind (vgl. BSG, Urteil vom 02.11.2012 - B 4 AS 39/12 R - BSGE 112, 135 m.w.N.). Im Hinblick auf diesen Ausnahmecharakter der Norm ist eine einschränkende Auslegung der Vorschrift geboten. Es muss ein spezifischer Bezug zwischen dem Verhalten selbst und dem Erfolg bestehen, um das Verhalten nach den Wertungen des SGB II als "sozialwidrig" bewerten zu können. Das BSG hat das Tatbestandsmerkmal des "sozialwidrigen Verhaltens" für den Regelungsbereich der Grundsicherung für Arbeitsuchende dahingehend umschrieben, dass nur ein Verhalten sozialwidrig ist, das (1) in seiner Handlungstendenz auf die Einschränkung bzw. den Wegfall der Erwerbsfähigkeit oder der Erwerbsmöglichkeit oder (2) auf die Herbeiführung von Hilfebedürftigkeit bzw. der Leistungserbringung gerichtet war bzw. hiermit in "innerem Zusammenhang" stand oder (3) das einen ein spezifischen Bezug zu anderen nach den Wertungen des SGB II zu missbilligenden Verhaltensweisen aufweist (BSG, Urteile vom 02.11.2012 - B 4 AS 39/12 R - BSGE 112, 135 und vom 16.04.2013 - B 14 AS 55/12 R - SozR 4-4200 § 34 Nr. 2). Entscheidend ist jeweils, ob ein Verhalten mit Blick auf die im SGB II verankerten Wertungsmaßstäben als missbilligenswert erscheint. Vorschriften des SGB II, denen solche Maßstäbe zu entnehmen sind, sind insbesondere §§ 2, 9 Abs. 1 SGB II sowie §§ 31, 33 SGB II. In diesen Normen drückt sich aus, welches Verhalten als dem Grundsatz der Eigenverantwortung vor Inanspruchnahme der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zuwiderlaufend angesehen wird. Das SGB II enthält detaillierte Regelungen zur Refinanzierung zu Unrecht erbrachter SGB II-Leistungen bzw. zu Leistungskürzungen bei einem Verhalten, das dem für die Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts geltenden Nachranggrundsatz (§ 2 SGB II) widerspricht. Insbesondere in den Sanktionsbestimmungen des § 31 SGB II drückt sich aus, welches Verhalten als dem Grundsatz der Eigenverantwortung vor Inanspruchnahme der Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II zuwiderlaufend angesehen wird und damit sozialwidrig ist (BSG, Urteil vom 16.04.2013 - B 14 AS 55/12 R - SozR 4-4200 § 34 Nr. 2).

Ausgehend von der Sachverhaltsschilderung der Klägerin, von deren Richtigkeit sich der Senat überzeugt hat durch deren ausführliche Anhörung unter Hinzuziehung eines mit ihrem Kulturkreis vertrauten Dolmetschers, der als Islamwissenschaftler und Historiker an der Universität in Bochum lehrt, ist ihr sozialwidriges Verhalten nicht vorzuwerfen. Weder hinsichtlich der - durch die nachvollziehbare Erwartung hoher Zinseinkünften motivierten - Anlage von 80.000,00 Euro im Iran noch hinsichtlich der vorübergehenden Aufbewahrung von 70.000,00 Euro im Handschuhfach eines Kraftfahrzeugs an einem ungesicherten Ort finden sich Anhaltspunkte dafür, dass das Verhalten der Klägerin von der Handlungstendenz bestimmt gewesen sein könnte, eigene Hilfebedürftigkeit bzw. die Hilfsbedürftigkeit ihrer Familie herbeizuführen.

Es ist bei der Klägerin auch kein Verhalten zu erkennen, das den Wertungen des SGB II zuwiderliefe oder an einen Sanktionstatbestand nach § 31 SGB II denken ließe. Dass die Klägerin Herrn I, bei dem sie ihr Geld angelegt hatte, nicht angewiesen hat, das Geld un-mittelbar auf ein deutsches Konto zu überweisen, begründet keine Sozialwidrigkeit, ist vielmehr überhaupt nicht vorwerfbar. Denn im Jahr 2013 bestanden seitens der Europäi-schen Union gegenüber der Republik Iran zahlreiche Sanktionen, die auch den Bankverkehr betrafen. Die Überweisung von 70.000,00 Euro war aufgrund der Herausnahme der iranischen Banken aus dem SWIFT nicht möglich. Der hier einzig in Betracht kommende Tatbestand des § 31 Abs. 2 Nr. 1 SGB II, wonach eine Pflichtverletzung von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten anzunehmen ist, wenn sie nach Vollendung des 18. Lebensjahres ihr Einkommen oder Vermögen in der Absicht vermindert haben, die Voraussetzungen für die Gewährung oder Erhöhung des Arbeitslosengeldes II herbeizuführen, greift daher bereits im Ansatz nicht. Denn auch dieser Sanktionstatbestand erfordert ein auf die Herbeiführung der Hilfebedürftigkeit zielgerichtetes Verhalten (BT-Drs. 15/1516 S. 61; BSG, Urteil vom 17.12.2009 - B 4 As 20/09 R - BSGE 105, 194, wonach nur eine unmittelbar zur Vermögensminderung führende Handlung in Betracht kommt). Eine absichtliche Herbeiführung liegt nicht schon bei jeder Form unwirtschaftlichen oder nicht vorausschauenden Verhaltens vor, es muss sich die Vermögensentäußerung vielmehr als ein leichtfertiges bzw. unlauteres Verhalten darstellen (vgl. Berlit in LPK-SGB II, 6. Aufl., § 31 Rn. 91, 92; Gagel/Lauterbach, 65. El März 2017, SGB II § 31 Rn. 63).

Weder nach dem Vortrag der Klägerin noch aus dem Inhalt der Verwaltungsakte ist es naheliegend, gar erkennbar, dass sie 70.000,00 Euro absichtlich verloren haben könnte. Zwar mag ihr Verhalten, das Geld über Nacht in das Handschuhfach eines Autos zu legen, auch in Anbetracht der außergewöhnlichen Umstände fahrlässig gewesen sein. Für ein zielgerichtetes Wollen i.S. eines alles anderen Motive dominierenden Zieles, den Anspruch auf Arbeitslosengeld II zu erlangen, bietet sich schon ohne den, erst recht jedoch unter Einbeziehung des Aspektes der massiven Selbstschädigung infolge des Geldverlustes irgendein Hinweis.

Abschließend weist der Senat darauf hin, dass die streitigen Bescheide auch dann aufzuheben wären, wenn man den Ausführungen der Klägerin keinen Glauben schenken dürfte und das Geld ihr im Ersatzzeitraum noch in anspruchsausschließender Höhe zur Verfügung gestanden hat. Denn ein Kostenersatzanspruch nach § 34 SGB II greift nur, wenn die gewährten Leistungen rechtmäßig bewilligt worden sind (vgl. Link in Eicher, SGB II, 3. Aufl., § 34 Rn. 17).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG

Anlass, die Revision zuzulassen, besteht nicht.
Rechtskraft
Aus
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