Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 7 AS 688/14
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AS 452/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Die Regelung zum Erwerbstätigenfreibetrag nach § 11b Abs. 2 SGB II ist auf den Wehrsold aus einer Reservistendienstleistung nach § 61 Soldatengesetz, zu der der Reservist nur aufgrund einer freiwilligen schriftlichen Verpflichtung herangezogen werden kann, anwendbar.
I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 3. Juni 2015 geändert.
Der Bescheid des Beklagten vom 17. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August 2013 wird dahingehend abgeändert, dass dem Kläger für die Zeit vom 1. Juni 2013 bis zum 30. Juni 2013 ein Leistungsanspruch in Höhe von 767,76 EUR zusteht und dass von ihm lediglich ein Überzahlungsbetrag in Höhe von 43,69 EUR zu erstatten ist.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Der Beklagte hat dem Kläger die Hälfte seiner notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe der dem Kläger zustehenden Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) im Juni 2013 und insbesondere darum, ob ihm für in diesem Monat bezogenen Wehrsold aus zwei Reservistenübungen der Bundeswehr der Einkommensfreibetrag für Erwerbstätige zusteht.
Der 1975 geborene Kläger war früher Berufssoldat mit dem Dienstgrad eines Majors. Er steht seit Längerem im Leistungsbezug nach dem SGB II bei dem Beklagten. In den Zeiträumen 24. bis. 27. April 2013 und 21. Mai bis 24. Mai 2013 nahm er an zwei Reservistenübungen der Bundeswehr teil.
Gemäß den vom Kläger vorgelegten Wehrsoldabrechnungen standen ihm aus den beiden Wehrübungen jeweils 63,20 EUR Wehrsold nach der Wehrsoldgruppe 10 zu. Außerdem für die Übung im April 2013 (Abrechnung vom Mai 2013, VA Blatt 939):
Leistungszuschlag: 115,03 EUR
Einstellungs-/Entlassungsreise 1,24 EUR
Reisebeihilfe 3,72 EUR.
Für die Übung im Mai 2013 (Abrechnung vom Juni 2013, VA Blatt 940) standen dem Kläger neben dem Wehrsold zu:
Einst.Reisen WSE 0,86 EUR
Leistungszuschlag 102,24 EUR
Verpflegungsgeld 2,93 EUR
Im Juni 2013 gingen verschiedene Zahlungen der Bundeskasse Trier auf dem Konto des Klägers ein, nämlich am 5. Juni 2013 eine Zahlung in Höhe von 63,20 EUR, am 6. Juni 2013 eine Zahlung in Höhe von 102,24, am 12. Juni 2013 eine Zahlung in Höhe von 116,27 EUR und am 13. Juni 2013 Zahlungen in Höhe von 2,93 EUR und in Höhe von 63,20 EUR (VA [Verwaltungsakte] Blatt 945).
Mit Bescheid vom 9. April 2013 wurden dem Kläger von dem Beklagten für die Zeit vom 1. April 2013 bis 31. August 2013 vorläufig Leistungen nach dem SGB II bewilligt, für die Monate April und Mai 2013 in Höhe von 667,33 EUR und für die Monate Juni bis August 2013 in Höhe von 814,55 EUR (VA Blatt 933). Der Kläger rügte, dass ihm in den Monaten April und Mai 2013 Wehrsold angerechnet worden sei, den er nicht erhalten habe. Auf den Widerspruch des Klägers vom 6. Mai 2013 (VA Blatt 941) erließ der Beklagte am 6. Juli 2013 einen Änderungsbescheid für die Monate April und Mai 2013 und rechnete für diese Monate keinen Wehrsold mehr an und wies einen Nachzahlungsbetrag in Höhe von zwei mal 63,20 EUR an. (VA Blatt 947)
Mit Bescheid vom 17. Juli 2013 setzte der Beklagte die dem Kläger zustehende Leistungen für Juni 2013 endgültig fest und verlangte einen Betrag in Höhe von 77,25 EUR erstattet (VA Blatt 950). In dem Bescheid wurde dem Kläger im Juni zugeflossenes Einkommen aus einem Wehrsold für den Zeitraum 24. April bis 27. April 2013 in Höhe von 63,20 EUR und einem Wehrsold für den Zeitraum 21. Mai bis 24. Mai 2013 in Höhe von 63,20 EUR und aus Verpflegungsgeld in Höhe von 2,93 EUR als Einkommen in die Leistungsberechnung eingestellt. Lediglich die Kfz-Versicherung in Höhe von 22,08 EUR sowie eine Versicherungspauschale in Höhe von 30,00 EUR wurden einkommensmindernd in Abzug gebracht. Hiernach verblieb dem Kläger ein zu berücksichtigendes Gesamteinkommen in Höhe von 77,25 EUR.
Den hiergegen gerichteten Widerspruch des Klägers vom 15. August 2013 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29. August 2013 als unbegründet zurück [VA Blatt 985]. Da es sich bei der Ableistung des freiwilligen Reservistendienstes nicht um eine Erwerbstätigkeit handele, seien außer den Pauschbeträgen nach § 6 Alg II-V keine weiteren Freibeträge abzusetzen.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 3. Juni 2015 als zulässig, aber unbegründet abgewiesen und die Berufung gegen dieses Urteil zugelassen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die endgültige Festsetzung des dem Kläger zustehenden Arbeitslosengeldes II mit Bescheid vom 17. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. August 2013 sei nicht zu beanstanden. Der dem Kläger zugeflossene Wehrsold und das gezahlte Verpflegungsgeld in Höhe von gesamt 129,33 EUR seien gemäß § 11 Abs. 1 SGB II als Einkommen anzurechnen. Hiervon seien lediglich die Versicherungspauschale in Höhe von 30,00 EUR sowie die Kfz-Versicherungsbeiträge in Höhe von 22,08 EUR abzuziehen. Der Abzug des Erwerbstätigenfreibetrags nach § 11b Abs. 2 SGB II komme nicht in Betracht, weil es bei der von dem Kläger abgeleisteten Wehrübung nicht um eine Erwerbstätigkeit gehandelt habe. Bei der Wehrübung handele es sich um eine staatlich auferlegte Dienstpflicht nach § 23 Wehrpflichtgesetz (WPflG). Demgemäß erhalte der Wehrübungsleistende auch kein Arbeitsentgelt, sondern einen Sold nebst weiteren zweckbestimmten Bezügen. Ziel der Freibetragsregelung sei es, dem Hilfebedürftigen einen finanziellen Anreiz für die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zu schaffen. Ein derartiges Ziel könne für die Wehrübung als staatlich auferlegter Dienstpflicht nach § 23 WPflG nicht angenommen werden.
Der Kläger hat gegen das ihm am 11. Juni 2015 zugestellte Urteil am Montag, den 13. Juli 2015 Berufung zum Hessischen Landessozialgericht eingelegt.
Er trägt vor, die Reservistenübung, an der er teilgenommen habe, stelle eine Erwerbstätigkeit dar, für die ihm Freibeträge wie einem Arbeitnehmer gemäß § 11b Abs. 3 SGB II zustünden. Er sei nicht einer staatlich auferlegten Dienstpflicht nach § 23 WPflG nachgekommen, sondern habe als früherer Berufssoldat aufgrund einer freiwilligen schriftlichen Verpflichtung an einer Übung gemäß §§ 60 Nr. 1, 61 Soldatengesetz teilgenommen, die streitgegenständlichen Einnahmen im Juni 2013 seien als Einkommen aus unselbständiger Tätigkeit zu behandeln. Bei Berücksichtigung des Einkommensfreibetrags nach § 11b Abs. 3 SGB II habe der Beklagte lediglich einen Betrag in Höhe von 23,46 EUR statt eines Betrags in Höhe von 77,25 EUR zurückzufordern [Blatt 94 ff.].
Der Kläger beantragt zuletzt (sinngemäß),
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 3. Juni 2015 aufzuheben sowie den Bescheid des Beklagten vom 17. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. August 2013 dahingehend abzuändern, dass zu seinen Gunsten der Erwerbstätigenfreibetrag berücksichtigt und lediglich ein Betrag in Höhe von 23,46 EUR von ihm erstattet verlangt wird.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angegriffene Urteil für zutreffend. Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen, den Kläger betreffenden Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte den vorliegenden Rechtsstreit gemäß § 153 Abs. 1 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil die Beteiligten ihr Einverständnis hierzu erteilt haben.
Die fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Der Senat ist an die Zulassung der Berufung durch das Sozialgericht gebunden (§ 144 Abs. 3 SGG).
Die Berufung ist auch teilweise begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Kassel ist rechtsfehlerhaft. Der Bescheid des Beklagten vom 17. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. August 2013 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Dem Kläger steht der Erwerbstätigenfreibetrag nach § 11b SGB II zu. Er schuldet dem Beklagten lediglich die Rückzahlung von 43,69 EUR.
In der Sache ist umfassend über den Grund und die Höhe des klägerischen Anspruchs auf Arbeitslosengeld II im Juni 2013 zu entscheiden. In Streit ist, ob von dem vom Kläger im Juni 2013 zugeflossenen Wehrsold in Höhe von gesamt 126,40 EUR (für die Wehrübungen im April und Mai 2013) zuzüglich Verpflegungsgeld in Höhe von 2,93 EUR sowie weiterer Einnahmen der Erwerbstätigenfreibetrag nach § 11b Abs. 2 SGB II abzuziehen ist. Den ebenfalls im Juni 2013 zugeflossenen Leistungszuschlag berücksichtigte der Beklagte gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 5 Alg II-V zutreffend nicht, ebenso nicht die Fahrtkostenerstattungen als zweckbestimmte Leistungen (§ 11a Abs. 3 SGB II).
§ 11b SGB II regelt die Absetzbeträge vom Einkommen. Nach § 11b Abs. 2 SGB II in der im Juni 2013 geltenden Fassung bestimmt: Bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die erwerbstätig sind, ist anstelle der Beträge nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 bis 5 ein Betrag von insgesamt 100 Euro monatlich abzusetzen. Beträgt das monatliche Einkommen mehr als 400 Euro, gilt Satz 1 nicht, wenn die oder der erwerbsfähige Leistungsberechtigte nachweist, dass die Summe der Beträge nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 bis 5 den Betrag von 100 Euro übersteigt. Erhält eine leistungsberechtigte Person mindestens aus einer Tätigkeit Bezüge oder Einnahmen, die nach § 3 Nummer 12, 26, 26a oder 26b des Einkommensteuergesetzes steuerfrei sind, gelten die Sätze 1 und 2 mit den Maßgaben, dass jeweils an die Stelle des Betrages von 100 Euro monatlich der Betrag von 200 Euro monatlich und an die Stelle des Betrages von 400 Euro der Betrag von 200 Euro tritt. § 11a Absatz 3 bleibt unberührt.
Das Sozialgericht hat die Anwendung dieser Freibetragsregelung abgelehnt und sich in der angegriffenen Entscheidung in Anlehnung an eine Entscheidung des SG Lübeck zum Zivildienst (SG Lübeck, Beschluss vom 29. Februar 2008 – S 28 AS 261/08 ER –, Rn. 26, juris) darauf gestützt, dass der Kläger einer Dienstpflicht nach § 23 Wehrpflichtgesetz (WPflG) nachgekommen sei, bei der es sich nicht um eine Erwerbstätigkeit handele.
Nach den Ermittlungen des Senat handelte es sich – wie vom Kläger vorgetragen - bei der Wehrübungen, an denen er teilnahm, jedoch um eine Reservistendienstleistung nach § 61 Soldatengesetz, für die der Reservist nur aufgrund einer freiwilligen schriftlichen Verpflichtung herangezogen werden kann (§ 59 Abs. 2 Nr. 3 Soldatengesetz). Es handelt sich somit nicht um eine staatlich auferlegte Dienstpflicht nach § 23 Wehrpflichtgesetz (Auskunft des Karrierecenters der Bundeswehr, Dezernatsleiter Wehrersatzwesen vom 18. November 2016, Gerichtakte Blatt 120). Nach § 23 Satz 1 Wehrpflichtgesetz in der ab 1. Juli 2011 geltenden Fassung werden Wehrpflichtige, die bereits in der Bundeswehr gedient haben, nach Prüfung ihrer Verfügbarkeit durch die zuständigen Wehrersatzbehörden zum Wehrdienst einberufen. Eine solche Einberufung lag vorliegend nicht vor, so dass der gedankliche Ausgangspunkt des Sozialgerichts Kassel in der angegriffenen Entscheidung nicht zutrifft. Vielmehr hat sich der Kläger selbst zu der Dienstleistung gemeldet, diese mit der Truppe zeitlich und inhaltlich abgestimmt und erhielt erst dann aufgrund der Anforderung durch die Truppe und nach Heranziehungsverfügung durch das Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr vom Karrierecenter Kassel den Heranziehungsbescheid für die jeweilige Übung (vgl. Heranziehungsbescheid vom 26. März 2013 für die Übung vom 24. April bis 27. April 2013, VA Blatt 926; Auskunft des Karrierecenters der Bundeswehr, Dezernatsleiter Wehrersatzwesen vom 18. November 2016, Gerichtakte Blatt 120).
Soweit das Sozialgericht Ausführungen zu Leistungen nach dem Unterhaltssicherungsgesetz (USG) macht, sind Ausführungen des Senats hierzu entbehrlich. Zwar hat der Kläger Unterhaltssicherungsleistungen für beide Wehrübungen nach § 13c Abs. 1 Satz 2 USG in Höhe von jeweils 136,00 EUR im April und Mai 2013 erhalten (Bescheid des Sozialamtes als Unterhaltssicherungsbehörde vom 10. und 19. April 2013, VA Blatt 924; Kontoauszüge (VA Blatt 942, 944). Diese Monate sind hier indessen nicht streitgegenständlich.
Hinsichtlich des streitgegenständlichen Wehrsolds spricht der Umstand, dass der Kläger nur aufgrund einer freiwilligen schriftlichen Verpflichtung und nachdem er selbst sich zur Verfügung gestellt hat, für die Übung durch Bescheid dienstverpflichtet wurde, dafür, diesen freiwilligen Dienst in der Truppe nicht anders als jede andere freiwillige abhängige Erwerbstätigkeit, vergleichbar etwa einer Arbeit auf Abruf, zu behandeln.
Gemäß der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist erwerbstätig nur jemand, der eine wirtschaftlich verwertbare Leistung gegen Entgelt erbringt, um damit seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Als Erwerbstätigkeit kann daher auch nur eine Tätigkeit angesehen werden, die zu Erträgen zur Bestreitung des Lebensunterhalts führt, sodass der Hilfeempfänger durch eigenes Erwerbseinkommen in der Lage ist, jedenfalls zu einem Teil für seine Lebensgrundlage aus eigenen Kräften zu sorgen. Nur unter diesen Voraussetzungen können die Absetzbeträge ihren Sinn und Zweck erfüllen, der einerseits darin liegt, einen pauschalierten Ausgleich für arbeitsbedingte Mehraufwendungen zu schaffen und andererseits einen Anreiz zur Stärkung des Arbeits- und Selbsthilfewillens zu bieten (BSG, Urteil vom 16. Juni 2015, B 4 AS 37/14 R, Juris Rn. 31).
Die freiwillige Teilnahme an den Wehrübungen ermöglicht es dem Kläger, jedenfalls zu einem Teil für seine Lebensgrundlage aus eigenen Kräften zu sorgen. Es handelt sich deshalb um eine Erwerbstätigkeit im Sinne des Bundessozialgerichts. Selbstständig ist diese Erwerbstätigkeit nicht, weil der Kläger in höchstem Maße weisungsgebunden und in den Bundeswehrbetrieb eingegliedert tätig geworden ist.
Das SG Nordhausen hat weitergehend hierzu ausgeführt: "Für eine Auslegung, dass Bezüge aus öffentlich-rechtlichen Dienstverpflichtungen wie dem Wehrsold nicht unter den Begriff des Erwerbseinkommens fallen, findet sich im SGB II und der ALG-II-VO keine Stütze. Unstreitig dürfte sein, dass z.B. die Beamtenbesoldung im Rahmen des SGB II als Erwerbseinkommen zu behandeln sein dürfte. (Auch in diesem Bereich ist gerade in den unteren Besoldungsgruppen bei einer großen Familie der Bezug von ergänzenden SGB II Leistungen nicht ausgeschlossen). Gleiches muss daher auch für den Wehrsold eines Berufssoldaten gelten. Allein der Begriff des Berufssoldaten belegt, dass es sich bei der Dienstleistung als Soldat um einen Beruf, also auch um eine auf eigener Arbeitsleistung beruhende und auf Erwerb und Existenzsicherung abzielende Tätigkeit handelt (im Gegensatz z.B. zu ehrenamtlichen Tätigkeiten.) Warum hinsichtlich der von einem ehemaligen Berufssoldaten geleisteten Wehrübung andere Grundsätze gelten sollen, ist nicht ersichtlich." (SG Nordhausen, Urteil vom 4. Dezember 2014, S 17 AS 8239/11, juris Rn. 25).
Entgegen dem SG Nordhausen findet sich in der Alg II-V jedoch durchaus ein Argument, Soldatenbezüge anders als Beamtenbezüge und sonstige Einkommen aus Erwerbstätigkeit zu behandeln. Denn es ist zu berücksichtigen, dass § 1 Abs. 1 Nr. 5 Alg II-V in der im Jahre 2013 geltenden Fassung (wie auch heute) bestimmt, dass der Auslandsverwendungszuschlag und der Leistungszuschlag bei Soldaten nicht als Einkommen zu berücksichtigen sind. In der Sache wird der Kläger durch diese Regelung (Nullanrechnung des überwiegenden Teils seiner Bezüge aus der Wehrübung: Leistungszuschläge in einer Höhe von 217,27 EUR) besser gestellt als ein Erwerbstätiger, bei dem nur die ersten 100,00 EUR komplett anrechnungsfrei bleiben nach § 11b Abs. 2 SGB II.
Diese Privilegierung der besonderen Leistungszuschläge der Soldaten gegenüber an die Leistung geknüpften Zusatzeinkommen bei Arbeitnehmern und Beamten und Selbständigen spricht allerdings nicht zwingend dafür, in § 1 Abs. 1 Nr. 5 Alg II-V eine abschließende Regelung zur Nichtanrechnung des Einkommens von Soldaten zu sehen. § 11b Abs. 2 Alg II-V nimmt Soldaten von der Regelung über die Erwerbstätigenfreibeträge nicht aus. Das mag ein Versehen des Verordnungsgebers sein. Es kann aber auch die besondere Privilegierung der Einnahmen der Soldaten, einmal nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 Alg II-V zum anderen durch die kumulative Anwendung des Erwerbstätigenfreibetrags im Übrigen gewollt sei. Mangels einer Soldaten ausschließenden Regelung in § 11b Abs. 2 SGB II sieht der Senat daher eine Anwendung des Erwerbstätigenfreibetrags auf den Wehrsold des Klägers als gegeben an. Der Kläger ist für die Zeit seiner Teilnahme an den Wehrübungen wie ein abhängig Beschäftigter zu behandeln.
Dies wird bestätigt durch die Regelung in § 4 Satz 2 Alg II-V in der im Jahr 2013 geltenden Fassung. Nach dieser Bestimmung ist auf die Berechnung des Einkommens in sonstigen Fällen, also bei Einkommen aus Einnahmen, die nicht unter die §§ 2 und 3 fallen, § 2 zur Berechnung des Einkommens aus nichtselbstständiger Arbeit entsprechend anzuwenden. Hierzu gehören nach Satz 2 Nr. 4 Alg II-V insbesondere Einnahmen aus Wehr-, Ersatz- und Freiwilligendienstverhältnissen. Dies spricht dafür, das Einkommen des Klägers auch unabhängig von dem Argument, dass er die Wehrübungen aufgrund freiwilliger Verpflichtungen absolviert, als Einkommen aus einer nichtselbstständiger Arbeit vergleichbaren Erwerbstätigkeit zu behandeln. Für Leistungsberechtigte, die an einem Bundesfreiwilligendienst oder einem Jugendfreiwilligendienst teilnehmen, sah § 1 Abs. 7 SGB II-V besondere Freibeträge vor (jetzt § 11b Abs. 2 Satz 6 SGB II). Da es an einer Sonderregelung für freiwillig eine Wehrübung Ableistende fehlt, ist der normale Erwerbstätigenfreibetrag anzuwenden (§ 11b Abs. 2 S. 1 bis 3 SGB II).
Hinzu kommt das Verpflegungsgeld in Höhe von 2,93 EUR für die Wehrübung im Mai 2013, das gleichfalls als Einkommen aus Erwerbstätigkeit nach § 2 Alg II-V zu behandeln. Diese Leistung beruht auf § 3 Abs. 2 Wehrsoldgesetz, der lautet: Soldaten, die von der Teilnahme an der Gemeinschaftsverpflegung befreit sind oder denen die Gemeinschaftsverpflegung nicht bereitgestellt werden kann, erhalten als Verpflegungsgeld für die Tagesverpflegung den Tagessatz des nach der Sozialversicherungsentgeltverordnung festgesetzten Wertes für den Sachbezug Verpflegung; als Verpflegungsgeld für eine Mahlzeit erhalten sie den entsprechenden Teilbetrag. Nach § 2 Abs. 1 Sozialversicherungsentgeltverordnung in der im Jahr 2013 geltenden Fassung wird der Wert der als Sachbezug zur Verfügung gestellten Verpflegung auf monatlich 224 Euro festgesetzt. Dieser Wert setzt sich zusammen aus dem Wert für 1. Frühstück von 48 Euro, 2. Mittagessen von 88 Euro und 3. Abendessen von 88 Euro. Nach Abs. 6 Satz 1 ist bei der Berechnung des Wertes für kürzere Zeiträume als einen Monat für jeden Tag ein Dreißigstel der Werte nach den Absätzen 1 bis 5 zugrunde zu legen. Die 2,93 EUR Verpflegungsgeld sind somit als Ersatz für ein Mittag- oder ein Abendessen, dass sonst als Gemeinschaftsverpflegung bereitgestellt wird, anzusehen.
Vom Kläger in seinem Berufungsantrag nicht berücksichtigt wurde allerdings, dass nach § 4 Abs. 5 Alg II-V bei der Berechnung des Einkommens der Wert der vom Arbeitgeber bereitgestellten Vollverpflegung einkommenserhöhend anzurechnen ist. Für die übrigen Mahlzeiten hat die Bundeswehr dem Kläger Vollverpflegung in Form der Gemeinschaftsverpflegung zur Verfügung gestellt (§ 18 Soldatengesetz). Nach § 2 Abs. 5 Alg II-V ist bei der Berechnung des Einkommens der Wert der vom Arbeitgeber (hier: dem Dienstherrn) bereitgestellten Vollverpflegung mit täglich 1 Prozent des nach § 20 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch maßgebenden monatlichen Regelbedarfs anzusetzen. Wird Teilverpflegung bereitgestellt, entfallen auf das Frühstück ein Anteil von 20 Prozent und auf das Mittag- und Abendessen Anteile von je 40 Prozent des sich nach Satz 1 ergebenden Betrages.
Hiermit ergibt sich für die beiden Übungen ein Wert für sieben Tage (7 x 1 % von 382,00 EUR) = 26,74 EUR und für einen Tag (0,6 % von 382,00 EUR) = 2,29 EUR. Nach § 2 Abs. 5 Alg II-V ist dem ausbezahlten Wehrsold und Verpflegungsentgelt des Klägers somit ein Betrag von 29,03 EUR nach § 2 Abs. 5 Alg II-V hinzuzurechnen.
Damit ergibt sich als Berechnung der dem Kläger zustehenden Leistungen für den Monat Juni 2013:
Regelbedarf 382,00 EUR
Bedarf KdU und Heizung 432,45 EUR
Gesamtbedarf 814,45 EUR
Einkommen aus Wehrsold und Verpflegungsgeld 129,33 EUR
Einkommen nach § 2 Abs. 5 Alg II-V (Verpflegung) 29,03 EUR
Gesamteinkommen ohne Freibeträge 158,36 EUR
Erwerbstätigenfreibetrag nach § 11b Abs. 2 SGB II 100,00 EUR
Erwerbstätigenfreibeitrag nach § 11b Abs. 3 Nr. 1SGB II 11,67 EUR (20% von 58,36 EUR)
Gesamtfreibetrag 111,67 EUR
Anzurechnendes Einkommen 43,69 EUR
Gesamtanspruch 767,76 EUR
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt das Teilunterliegen des Klägers.
Die Revision wird nicht zugelassen. Revisionszulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG liegen nicht vor. Die streitgegenständliche Rechtsfrage lässt sich aus dem Gesetz und aufgrund der Rechtsprechung des BSG zur Erwerbstätigkeit beantworten.
Der Bescheid des Beklagten vom 17. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 29. August 2013 wird dahingehend abgeändert, dass dem Kläger für die Zeit vom 1. Juni 2013 bis zum 30. Juni 2013 ein Leistungsanspruch in Höhe von 767,76 EUR zusteht und dass von ihm lediglich ein Überzahlungsbetrag in Höhe von 43,69 EUR zu erstatten ist.
Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.
II. Der Beklagte hat dem Kläger die Hälfte seiner notwendigen außergerichtlichen Kosten beider Instanzen zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Höhe der dem Kläger zustehenden Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch - Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) im Juni 2013 und insbesondere darum, ob ihm für in diesem Monat bezogenen Wehrsold aus zwei Reservistenübungen der Bundeswehr der Einkommensfreibetrag für Erwerbstätige zusteht.
Der 1975 geborene Kläger war früher Berufssoldat mit dem Dienstgrad eines Majors. Er steht seit Längerem im Leistungsbezug nach dem SGB II bei dem Beklagten. In den Zeiträumen 24. bis. 27. April 2013 und 21. Mai bis 24. Mai 2013 nahm er an zwei Reservistenübungen der Bundeswehr teil.
Gemäß den vom Kläger vorgelegten Wehrsoldabrechnungen standen ihm aus den beiden Wehrübungen jeweils 63,20 EUR Wehrsold nach der Wehrsoldgruppe 10 zu. Außerdem für die Übung im April 2013 (Abrechnung vom Mai 2013, VA Blatt 939):
Leistungszuschlag: 115,03 EUR
Einstellungs-/Entlassungsreise 1,24 EUR
Reisebeihilfe 3,72 EUR.
Für die Übung im Mai 2013 (Abrechnung vom Juni 2013, VA Blatt 940) standen dem Kläger neben dem Wehrsold zu:
Einst.Reisen WSE 0,86 EUR
Leistungszuschlag 102,24 EUR
Verpflegungsgeld 2,93 EUR
Im Juni 2013 gingen verschiedene Zahlungen der Bundeskasse Trier auf dem Konto des Klägers ein, nämlich am 5. Juni 2013 eine Zahlung in Höhe von 63,20 EUR, am 6. Juni 2013 eine Zahlung in Höhe von 102,24, am 12. Juni 2013 eine Zahlung in Höhe von 116,27 EUR und am 13. Juni 2013 Zahlungen in Höhe von 2,93 EUR und in Höhe von 63,20 EUR (VA [Verwaltungsakte] Blatt 945).
Mit Bescheid vom 9. April 2013 wurden dem Kläger von dem Beklagten für die Zeit vom 1. April 2013 bis 31. August 2013 vorläufig Leistungen nach dem SGB II bewilligt, für die Monate April und Mai 2013 in Höhe von 667,33 EUR und für die Monate Juni bis August 2013 in Höhe von 814,55 EUR (VA Blatt 933). Der Kläger rügte, dass ihm in den Monaten April und Mai 2013 Wehrsold angerechnet worden sei, den er nicht erhalten habe. Auf den Widerspruch des Klägers vom 6. Mai 2013 (VA Blatt 941) erließ der Beklagte am 6. Juli 2013 einen Änderungsbescheid für die Monate April und Mai 2013 und rechnete für diese Monate keinen Wehrsold mehr an und wies einen Nachzahlungsbetrag in Höhe von zwei mal 63,20 EUR an. (VA Blatt 947)
Mit Bescheid vom 17. Juli 2013 setzte der Beklagte die dem Kläger zustehende Leistungen für Juni 2013 endgültig fest und verlangte einen Betrag in Höhe von 77,25 EUR erstattet (VA Blatt 950). In dem Bescheid wurde dem Kläger im Juni zugeflossenes Einkommen aus einem Wehrsold für den Zeitraum 24. April bis 27. April 2013 in Höhe von 63,20 EUR und einem Wehrsold für den Zeitraum 21. Mai bis 24. Mai 2013 in Höhe von 63,20 EUR und aus Verpflegungsgeld in Höhe von 2,93 EUR als Einkommen in die Leistungsberechnung eingestellt. Lediglich die Kfz-Versicherung in Höhe von 22,08 EUR sowie eine Versicherungspauschale in Höhe von 30,00 EUR wurden einkommensmindernd in Abzug gebracht. Hiernach verblieb dem Kläger ein zu berücksichtigendes Gesamteinkommen in Höhe von 77,25 EUR.
Den hiergegen gerichteten Widerspruch des Klägers vom 15. August 2013 wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 29. August 2013 als unbegründet zurück [VA Blatt 985]. Da es sich bei der Ableistung des freiwilligen Reservistendienstes nicht um eine Erwerbstätigkeit handele, seien außer den Pauschbeträgen nach § 6 Alg II-V keine weiteren Freibeträge abzusetzen.
Das Sozialgericht hat die Klage mit Urteil vom 3. Juni 2015 als zulässig, aber unbegründet abgewiesen und die Berufung gegen dieses Urteil zugelassen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die endgültige Festsetzung des dem Kläger zustehenden Arbeitslosengeldes II mit Bescheid vom 17. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. August 2013 sei nicht zu beanstanden. Der dem Kläger zugeflossene Wehrsold und das gezahlte Verpflegungsgeld in Höhe von gesamt 129,33 EUR seien gemäß § 11 Abs. 1 SGB II als Einkommen anzurechnen. Hiervon seien lediglich die Versicherungspauschale in Höhe von 30,00 EUR sowie die Kfz-Versicherungsbeiträge in Höhe von 22,08 EUR abzuziehen. Der Abzug des Erwerbstätigenfreibetrags nach § 11b Abs. 2 SGB II komme nicht in Betracht, weil es bei der von dem Kläger abgeleisteten Wehrübung nicht um eine Erwerbstätigkeit gehandelt habe. Bei der Wehrübung handele es sich um eine staatlich auferlegte Dienstpflicht nach § 23 Wehrpflichtgesetz (WPflG). Demgemäß erhalte der Wehrübungsleistende auch kein Arbeitsentgelt, sondern einen Sold nebst weiteren zweckbestimmten Bezügen. Ziel der Freibetragsregelung sei es, dem Hilfebedürftigen einen finanziellen Anreiz für die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zu schaffen. Ein derartiges Ziel könne für die Wehrübung als staatlich auferlegter Dienstpflicht nach § 23 WPflG nicht angenommen werden.
Der Kläger hat gegen das ihm am 11. Juni 2015 zugestellte Urteil am Montag, den 13. Juli 2015 Berufung zum Hessischen Landessozialgericht eingelegt.
Er trägt vor, die Reservistenübung, an der er teilgenommen habe, stelle eine Erwerbstätigkeit dar, für die ihm Freibeträge wie einem Arbeitnehmer gemäß § 11b Abs. 3 SGB II zustünden. Er sei nicht einer staatlich auferlegten Dienstpflicht nach § 23 WPflG nachgekommen, sondern habe als früherer Berufssoldat aufgrund einer freiwilligen schriftlichen Verpflichtung an einer Übung gemäß §§ 60 Nr. 1, 61 Soldatengesetz teilgenommen, die streitgegenständlichen Einnahmen im Juni 2013 seien als Einkommen aus unselbständiger Tätigkeit zu behandeln. Bei Berücksichtigung des Einkommensfreibetrags nach § 11b Abs. 3 SGB II habe der Beklagte lediglich einen Betrag in Höhe von 23,46 EUR statt eines Betrags in Höhe von 77,25 EUR zurückzufordern [Blatt 94 ff.].
Der Kläger beantragt zuletzt (sinngemäß),
das Urteil des Sozialgerichts Kassel vom 3. Juni 2015 aufzuheben sowie den Bescheid des Beklagten vom 17. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. August 2013 dahingehend abzuändern, dass zu seinen Gunsten der Erwerbstätigenfreibetrag berücksichtigt und lediglich ein Betrag in Höhe von 23,46 EUR von ihm erstattet verlangt wird.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält das angegriffene Urteil für zutreffend. Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen, den Kläger betreffenden Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen, die Gegenstand der Entscheidung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte den vorliegenden Rechtsstreit gemäß § 153 Abs. 1 in Verbindung mit § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden, weil die Beteiligten ihr Einverständnis hierzu erteilt haben.
Die fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig. Der Senat ist an die Zulassung der Berufung durch das Sozialgericht gebunden (§ 144 Abs. 3 SGG).
Die Berufung ist auch teilweise begründet. Das Urteil des Sozialgerichts Kassel ist rechtsfehlerhaft. Der Bescheid des Beklagten vom 17. Juli 2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29. August 2013 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Dem Kläger steht der Erwerbstätigenfreibetrag nach § 11b SGB II zu. Er schuldet dem Beklagten lediglich die Rückzahlung von 43,69 EUR.
In der Sache ist umfassend über den Grund und die Höhe des klägerischen Anspruchs auf Arbeitslosengeld II im Juni 2013 zu entscheiden. In Streit ist, ob von dem vom Kläger im Juni 2013 zugeflossenen Wehrsold in Höhe von gesamt 126,40 EUR (für die Wehrübungen im April und Mai 2013) zuzüglich Verpflegungsgeld in Höhe von 2,93 EUR sowie weiterer Einnahmen der Erwerbstätigenfreibetrag nach § 11b Abs. 2 SGB II abzuziehen ist. Den ebenfalls im Juni 2013 zugeflossenen Leistungszuschlag berücksichtigte der Beklagte gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 5 Alg II-V zutreffend nicht, ebenso nicht die Fahrtkostenerstattungen als zweckbestimmte Leistungen (§ 11a Abs. 3 SGB II).
§ 11b SGB II regelt die Absetzbeträge vom Einkommen. Nach § 11b Abs. 2 SGB II in der im Juni 2013 geltenden Fassung bestimmt: Bei erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, die erwerbstätig sind, ist anstelle der Beträge nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 bis 5 ein Betrag von insgesamt 100 Euro monatlich abzusetzen. Beträgt das monatliche Einkommen mehr als 400 Euro, gilt Satz 1 nicht, wenn die oder der erwerbsfähige Leistungsberechtigte nachweist, dass die Summe der Beträge nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 bis 5 den Betrag von 100 Euro übersteigt. Erhält eine leistungsberechtigte Person mindestens aus einer Tätigkeit Bezüge oder Einnahmen, die nach § 3 Nummer 12, 26, 26a oder 26b des Einkommensteuergesetzes steuerfrei sind, gelten die Sätze 1 und 2 mit den Maßgaben, dass jeweils an die Stelle des Betrages von 100 Euro monatlich der Betrag von 200 Euro monatlich und an die Stelle des Betrages von 400 Euro der Betrag von 200 Euro tritt. § 11a Absatz 3 bleibt unberührt.
Das Sozialgericht hat die Anwendung dieser Freibetragsregelung abgelehnt und sich in der angegriffenen Entscheidung in Anlehnung an eine Entscheidung des SG Lübeck zum Zivildienst (SG Lübeck, Beschluss vom 29. Februar 2008 – S 28 AS 261/08 ER –, Rn. 26, juris) darauf gestützt, dass der Kläger einer Dienstpflicht nach § 23 Wehrpflichtgesetz (WPflG) nachgekommen sei, bei der es sich nicht um eine Erwerbstätigkeit handele.
Nach den Ermittlungen des Senat handelte es sich – wie vom Kläger vorgetragen - bei der Wehrübungen, an denen er teilnahm, jedoch um eine Reservistendienstleistung nach § 61 Soldatengesetz, für die der Reservist nur aufgrund einer freiwilligen schriftlichen Verpflichtung herangezogen werden kann (§ 59 Abs. 2 Nr. 3 Soldatengesetz). Es handelt sich somit nicht um eine staatlich auferlegte Dienstpflicht nach § 23 Wehrpflichtgesetz (Auskunft des Karrierecenters der Bundeswehr, Dezernatsleiter Wehrersatzwesen vom 18. November 2016, Gerichtakte Blatt 120). Nach § 23 Satz 1 Wehrpflichtgesetz in der ab 1. Juli 2011 geltenden Fassung werden Wehrpflichtige, die bereits in der Bundeswehr gedient haben, nach Prüfung ihrer Verfügbarkeit durch die zuständigen Wehrersatzbehörden zum Wehrdienst einberufen. Eine solche Einberufung lag vorliegend nicht vor, so dass der gedankliche Ausgangspunkt des Sozialgerichts Kassel in der angegriffenen Entscheidung nicht zutrifft. Vielmehr hat sich der Kläger selbst zu der Dienstleistung gemeldet, diese mit der Truppe zeitlich und inhaltlich abgestimmt und erhielt erst dann aufgrund der Anforderung durch die Truppe und nach Heranziehungsverfügung durch das Bundesamt für das Personalmanagement der Bundeswehr vom Karrierecenter Kassel den Heranziehungsbescheid für die jeweilige Übung (vgl. Heranziehungsbescheid vom 26. März 2013 für die Übung vom 24. April bis 27. April 2013, VA Blatt 926; Auskunft des Karrierecenters der Bundeswehr, Dezernatsleiter Wehrersatzwesen vom 18. November 2016, Gerichtakte Blatt 120).
Soweit das Sozialgericht Ausführungen zu Leistungen nach dem Unterhaltssicherungsgesetz (USG) macht, sind Ausführungen des Senats hierzu entbehrlich. Zwar hat der Kläger Unterhaltssicherungsleistungen für beide Wehrübungen nach § 13c Abs. 1 Satz 2 USG in Höhe von jeweils 136,00 EUR im April und Mai 2013 erhalten (Bescheid des Sozialamtes als Unterhaltssicherungsbehörde vom 10. und 19. April 2013, VA Blatt 924; Kontoauszüge (VA Blatt 942, 944). Diese Monate sind hier indessen nicht streitgegenständlich.
Hinsichtlich des streitgegenständlichen Wehrsolds spricht der Umstand, dass der Kläger nur aufgrund einer freiwilligen schriftlichen Verpflichtung und nachdem er selbst sich zur Verfügung gestellt hat, für die Übung durch Bescheid dienstverpflichtet wurde, dafür, diesen freiwilligen Dienst in der Truppe nicht anders als jede andere freiwillige abhängige Erwerbstätigkeit, vergleichbar etwa einer Arbeit auf Abruf, zu behandeln.
Gemäß der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist erwerbstätig nur jemand, der eine wirtschaftlich verwertbare Leistung gegen Entgelt erbringt, um damit seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Als Erwerbstätigkeit kann daher auch nur eine Tätigkeit angesehen werden, die zu Erträgen zur Bestreitung des Lebensunterhalts führt, sodass der Hilfeempfänger durch eigenes Erwerbseinkommen in der Lage ist, jedenfalls zu einem Teil für seine Lebensgrundlage aus eigenen Kräften zu sorgen. Nur unter diesen Voraussetzungen können die Absetzbeträge ihren Sinn und Zweck erfüllen, der einerseits darin liegt, einen pauschalierten Ausgleich für arbeitsbedingte Mehraufwendungen zu schaffen und andererseits einen Anreiz zur Stärkung des Arbeits- und Selbsthilfewillens zu bieten (BSG, Urteil vom 16. Juni 2015, B 4 AS 37/14 R, Juris Rn. 31).
Die freiwillige Teilnahme an den Wehrübungen ermöglicht es dem Kläger, jedenfalls zu einem Teil für seine Lebensgrundlage aus eigenen Kräften zu sorgen. Es handelt sich deshalb um eine Erwerbstätigkeit im Sinne des Bundessozialgerichts. Selbstständig ist diese Erwerbstätigkeit nicht, weil der Kläger in höchstem Maße weisungsgebunden und in den Bundeswehrbetrieb eingegliedert tätig geworden ist.
Das SG Nordhausen hat weitergehend hierzu ausgeführt: "Für eine Auslegung, dass Bezüge aus öffentlich-rechtlichen Dienstverpflichtungen wie dem Wehrsold nicht unter den Begriff des Erwerbseinkommens fallen, findet sich im SGB II und der ALG-II-VO keine Stütze. Unstreitig dürfte sein, dass z.B. die Beamtenbesoldung im Rahmen des SGB II als Erwerbseinkommen zu behandeln sein dürfte. (Auch in diesem Bereich ist gerade in den unteren Besoldungsgruppen bei einer großen Familie der Bezug von ergänzenden SGB II Leistungen nicht ausgeschlossen). Gleiches muss daher auch für den Wehrsold eines Berufssoldaten gelten. Allein der Begriff des Berufssoldaten belegt, dass es sich bei der Dienstleistung als Soldat um einen Beruf, also auch um eine auf eigener Arbeitsleistung beruhende und auf Erwerb und Existenzsicherung abzielende Tätigkeit handelt (im Gegensatz z.B. zu ehrenamtlichen Tätigkeiten.) Warum hinsichtlich der von einem ehemaligen Berufssoldaten geleisteten Wehrübung andere Grundsätze gelten sollen, ist nicht ersichtlich." (SG Nordhausen, Urteil vom 4. Dezember 2014, S 17 AS 8239/11, juris Rn. 25).
Entgegen dem SG Nordhausen findet sich in der Alg II-V jedoch durchaus ein Argument, Soldatenbezüge anders als Beamtenbezüge und sonstige Einkommen aus Erwerbstätigkeit zu behandeln. Denn es ist zu berücksichtigen, dass § 1 Abs. 1 Nr. 5 Alg II-V in der im Jahre 2013 geltenden Fassung (wie auch heute) bestimmt, dass der Auslandsverwendungszuschlag und der Leistungszuschlag bei Soldaten nicht als Einkommen zu berücksichtigen sind. In der Sache wird der Kläger durch diese Regelung (Nullanrechnung des überwiegenden Teils seiner Bezüge aus der Wehrübung: Leistungszuschläge in einer Höhe von 217,27 EUR) besser gestellt als ein Erwerbstätiger, bei dem nur die ersten 100,00 EUR komplett anrechnungsfrei bleiben nach § 11b Abs. 2 SGB II.
Diese Privilegierung der besonderen Leistungszuschläge der Soldaten gegenüber an die Leistung geknüpften Zusatzeinkommen bei Arbeitnehmern und Beamten und Selbständigen spricht allerdings nicht zwingend dafür, in § 1 Abs. 1 Nr. 5 Alg II-V eine abschließende Regelung zur Nichtanrechnung des Einkommens von Soldaten zu sehen. § 11b Abs. 2 Alg II-V nimmt Soldaten von der Regelung über die Erwerbstätigenfreibeträge nicht aus. Das mag ein Versehen des Verordnungsgebers sein. Es kann aber auch die besondere Privilegierung der Einnahmen der Soldaten, einmal nach § 1 Abs. 1 Nr. 5 Alg II-V zum anderen durch die kumulative Anwendung des Erwerbstätigenfreibetrags im Übrigen gewollt sei. Mangels einer Soldaten ausschließenden Regelung in § 11b Abs. 2 SGB II sieht der Senat daher eine Anwendung des Erwerbstätigenfreibetrags auf den Wehrsold des Klägers als gegeben an. Der Kläger ist für die Zeit seiner Teilnahme an den Wehrübungen wie ein abhängig Beschäftigter zu behandeln.
Dies wird bestätigt durch die Regelung in § 4 Satz 2 Alg II-V in der im Jahr 2013 geltenden Fassung. Nach dieser Bestimmung ist auf die Berechnung des Einkommens in sonstigen Fällen, also bei Einkommen aus Einnahmen, die nicht unter die §§ 2 und 3 fallen, § 2 zur Berechnung des Einkommens aus nichtselbstständiger Arbeit entsprechend anzuwenden. Hierzu gehören nach Satz 2 Nr. 4 Alg II-V insbesondere Einnahmen aus Wehr-, Ersatz- und Freiwilligendienstverhältnissen. Dies spricht dafür, das Einkommen des Klägers auch unabhängig von dem Argument, dass er die Wehrübungen aufgrund freiwilliger Verpflichtungen absolviert, als Einkommen aus einer nichtselbstständiger Arbeit vergleichbaren Erwerbstätigkeit zu behandeln. Für Leistungsberechtigte, die an einem Bundesfreiwilligendienst oder einem Jugendfreiwilligendienst teilnehmen, sah § 1 Abs. 7 SGB II-V besondere Freibeträge vor (jetzt § 11b Abs. 2 Satz 6 SGB II). Da es an einer Sonderregelung für freiwillig eine Wehrübung Ableistende fehlt, ist der normale Erwerbstätigenfreibetrag anzuwenden (§ 11b Abs. 2 S. 1 bis 3 SGB II).
Hinzu kommt das Verpflegungsgeld in Höhe von 2,93 EUR für die Wehrübung im Mai 2013, das gleichfalls als Einkommen aus Erwerbstätigkeit nach § 2 Alg II-V zu behandeln. Diese Leistung beruht auf § 3 Abs. 2 Wehrsoldgesetz, der lautet: Soldaten, die von der Teilnahme an der Gemeinschaftsverpflegung befreit sind oder denen die Gemeinschaftsverpflegung nicht bereitgestellt werden kann, erhalten als Verpflegungsgeld für die Tagesverpflegung den Tagessatz des nach der Sozialversicherungsentgeltverordnung festgesetzten Wertes für den Sachbezug Verpflegung; als Verpflegungsgeld für eine Mahlzeit erhalten sie den entsprechenden Teilbetrag. Nach § 2 Abs. 1 Sozialversicherungsentgeltverordnung in der im Jahr 2013 geltenden Fassung wird der Wert der als Sachbezug zur Verfügung gestellten Verpflegung auf monatlich 224 Euro festgesetzt. Dieser Wert setzt sich zusammen aus dem Wert für 1. Frühstück von 48 Euro, 2. Mittagessen von 88 Euro und 3. Abendessen von 88 Euro. Nach Abs. 6 Satz 1 ist bei der Berechnung des Wertes für kürzere Zeiträume als einen Monat für jeden Tag ein Dreißigstel der Werte nach den Absätzen 1 bis 5 zugrunde zu legen. Die 2,93 EUR Verpflegungsgeld sind somit als Ersatz für ein Mittag- oder ein Abendessen, dass sonst als Gemeinschaftsverpflegung bereitgestellt wird, anzusehen.
Vom Kläger in seinem Berufungsantrag nicht berücksichtigt wurde allerdings, dass nach § 4 Abs. 5 Alg II-V bei der Berechnung des Einkommens der Wert der vom Arbeitgeber bereitgestellten Vollverpflegung einkommenserhöhend anzurechnen ist. Für die übrigen Mahlzeiten hat die Bundeswehr dem Kläger Vollverpflegung in Form der Gemeinschaftsverpflegung zur Verfügung gestellt (§ 18 Soldatengesetz). Nach § 2 Abs. 5 Alg II-V ist bei der Berechnung des Einkommens der Wert der vom Arbeitgeber (hier: dem Dienstherrn) bereitgestellten Vollverpflegung mit täglich 1 Prozent des nach § 20 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch maßgebenden monatlichen Regelbedarfs anzusetzen. Wird Teilverpflegung bereitgestellt, entfallen auf das Frühstück ein Anteil von 20 Prozent und auf das Mittag- und Abendessen Anteile von je 40 Prozent des sich nach Satz 1 ergebenden Betrages.
Hiermit ergibt sich für die beiden Übungen ein Wert für sieben Tage (7 x 1 % von 382,00 EUR) = 26,74 EUR und für einen Tag (0,6 % von 382,00 EUR) = 2,29 EUR. Nach § 2 Abs. 5 Alg II-V ist dem ausbezahlten Wehrsold und Verpflegungsentgelt des Klägers somit ein Betrag von 29,03 EUR nach § 2 Abs. 5 Alg II-V hinzuzurechnen.
Damit ergibt sich als Berechnung der dem Kläger zustehenden Leistungen für den Monat Juni 2013:
Regelbedarf 382,00 EUR
Bedarf KdU und Heizung 432,45 EUR
Gesamtbedarf 814,45 EUR
Einkommen aus Wehrsold und Verpflegungsgeld 129,33 EUR
Einkommen nach § 2 Abs. 5 Alg II-V (Verpflegung) 29,03 EUR
Gesamteinkommen ohne Freibeträge 158,36 EUR
Erwerbstätigenfreibetrag nach § 11b Abs. 2 SGB II 100,00 EUR
Erwerbstätigenfreibeitrag nach § 11b Abs. 3 Nr. 1SGB II 11,67 EUR (20% von 58,36 EUR)
Gesamtfreibetrag 111,67 EUR
Anzurechnendes Einkommen 43,69 EUR
Gesamtanspruch 767,76 EUR
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und berücksichtigt das Teilunterliegen des Klägers.
Die Revision wird nicht zugelassen. Revisionszulassungsgründe nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG liegen nicht vor. Die streitgegenständliche Rechtsfrage lässt sich aus dem Gesetz und aufgrund der Rechtsprechung des BSG zur Erwerbstätigkeit beantworten.
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