Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 8 KR 2316/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 1831/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 14.04.2016 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Erstattung von Kosten für die medikamentöse Therapie mit dem Arzneimittel "Concerta" zur Behandlung von erstmals im Erwachsenenalter diagnostiziertem ADHS und die Gewährung zukünftiger entsprechender medikamentöser Therapie.
Die am 25.02.1975 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Sie leidet unter ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung), die erst im Erwachsenenalter diagnostiziert wurde. Die Klägerin nahm in der Vergangenheit das methylphenidathaltige Arzneimittel "Medikinet adult", welches für die medikamentöse Therapie von ADHS im Erwachsenenalter über eine Arzneimittelzulassung verfügt.
Mit ärztlichem Attest vom 02.05.2013 "zur Vorlage bei der Krankenkasse, z.H. Herrn B." bat die behandelnde Ärztin Dr. P. um eine Kostenzusage bezüglich eines Therapieversuchs mit Strattera. Zur Begründung führte sie aus: "Unter der Gabe von Medikinet adult ist es zu einer guten Rückbildung der Symptome des ADHS gekommen, allerdings kam es zu ausgeprägten Nebenwirkungen (Übelkeit, Magenschmerzen etc.), die auch durch Dosisanpassungen nicht vermieden werden konnten." Die Beklagte holte ein nach Aktenlage erstelltes Gutachten beim Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) ein (Gutachten Dr. H. vom 15.05.2013). Darin wird ausgeführt, dass es sich bei dem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom zwar nicht um eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich endende Erkrankung handele. Es könne jedoch von einer nachhaltigen Beeinträchtigung der Lebensqualität im vorliegenden Fall ausgegangen werden. Es gebe Hinweise auf die Wirksamkeit von Atomoxetin bei Erwachsenen mit ADHS im Rahmen von mehreren, darunter auch größeren randomisierten kontrollierten Studien. Daraufhin führte die Klägerin einen Therapieversuch mit dem - inzwischen seit Juni 2013 auch für Erwachsene zugelassenen - Arzneimittel "Strattera" (Wirkstoff Atomoxetin) auf Kosten der Beklagten durch.
Mit ärztlichem Attest vom 28.05.2013 "zur Vorlage bei der Krankenkasse, z.H. Herrn B." bat die behandelnde Ärztin Dr. P. um eine Kostenzusage bezüglich eines Therapieversuchs mit Concerta (max Dosierung 60 mg/d). Zur Begründung führte sie aus: "Unter der Gabe von Medikinet adult ist es zu einer guten Rückbildung der Symptome des ADHS gekommen, allerdings kam es zu ausgeprägten Nebenwirkungen (Übelkeit, Magenschmerzen etc.), die auch durch Dosisanpassungen nicht vermieden werden konnten." Die Beklagte holte ein Gutachten beim MDK ein. Dr. H. wies im Gutachten vom 10.06.2013 zunächst darauf hin, dass die Medikamente Medikinet adult und Concerta den gleichen Wirkstoff besäßen. Es liege ein sog Off-Label-Use vor, da der Neubeginn einer Behandlung mit "Concerta" im Erwachsenenalter nicht von der Zulassung abgedeckt sei. Die von der Rechtsprechung gebildeten Voraussetzungen für eine Kostenübernahme beim Off-Label-Use lägen nicht vor, da auch zahlreiche andere Präparate mit dem Wirkstoff Methylphenidat in Betracht kämen. Außerdem sei die Datenlage für eine Zulassung nicht ausreichend. Eine Zulassung werde vom Hersteller auch nicht angestrebt. Dieser habe in seinen Fachinformationen angeführt, dass die Wirksamkeit und Sicherheit einer Neubehandlung von erwachsenen Patienten mit ADHS nicht belegt sei.
Mit E-Mail vom 11.02.2014 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie die Therapie mit "Concerta" begonnen habe und selbst zahle. Zugleich beantragte sie die generelle Kostenübernahme bezüglich dieser Therapie.
Mit Bescheid vom 28.02.2014 lehnte die Beklagte gegenüber der Klägerin eine Kostenübernahme für "Concerta" ab.
Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch mit der Begründung, dass sie die Einnahme von "Concerta" als Übergangslösung bzw Krisenbewältigung betrachte. Sie habe schon viele Medikamente getestet, vertrage aber nur "Concerta", da sie an einem Reizdarm und -magen leide. Die anderen vom MDK genannten Arzneimittelalternativen seien zudem auch nicht zugelassen. Es gebe ausreichend Studien für die Wirksamkeit von Methylphenidat-Präparaten.
Die Klägerin legte weiter eine Bescheinigung des Psychiaters und Psychotherapeuten T. vom 29.04.2014 vor, wonach der Versuch mit "Strattera" bereits nach einer Woche abgebrochen worden sei. "Concerta" sei hingegen erfolgreich zum Einsatz gebracht worden und habe auch einen positiven Effekt auf die zusätzlich vorliegende Fibromyalgie. Ein zwischenzeitlicher Versuch mit "Elvanse" (Wirkstoff: Lisdexamfetamindimesilat) sei nicht annährend so gut gewesen wie bei "Concerta". "Concerta" sei die beste aller Varianten.
Die Beklagte holte ein weiteres MDK-Gutachten (Dr. B. vom 12.06.2014) ein, wonach ADHS eine schwere, die Lebensqualität nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung sei, nicht aber eine, die mit großer Wahrscheinlichkeit innerhalb eines kürzeren überschaubaren Zeitraums eine tödlichen Verlauf nehme bzw zu einem Verlust eines wichtigen Sinnesorganes führe. Die ADHS-Erkrankung sei eine auch im Erwachsenenalter häufige Erkrankung und keine, die aufgrund ihrer Seltenheit nicht systematisch erforscht werden könnte. Weiter könne nicht bestätigt werden, dass bei der Klägerin keine Therapiealternativen vorhanden seien. Schließlich lägen zwar Hinweise auf die Wirksamkeit von "Concerta" vor, nicht jedoch eine zulassungsreife Situation in Form einer Phase III-Studie. "Concerta" unterscheide sich von dem zugelassenen "Medikinet adult" durch einen unterschiedlichen Wirkstoffgehalt, außerdem bezüglich der Zusammensetzung verschiedener Begleitstoffe.
Mit Widerspruchsbescheid vom 18.08.2014 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 03.09.2014 Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben und Kostenerstattung für die Zeit bis August 2014 sowie sinngemäß Versorgung mit dem Medikament für die Zukunft beantragt.
Das SG hat die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen befragt. Dr. P. hat mitgeteilt, dass seit Juli 2013 keine Behandlung durch die Praxis mehr erfolge. Die Klägerin habe unter der Behandlung mit "Medikent adult" über ausgeprägte Magenbeschwerden, Sodbrennen und Aufstoßen berichtet. Die Klägerin habe berichtet, dass auch das Medikament "Strattera" nicht vertragen worden sei, bzw keine Verbesserung eingetreten sei. Eine Umstellung der Medikation sei geplant gewesen. Der Neurologe und Psychiater Dr. S. hat ausgeführt, dass im Unterschied zu anderen Methylphenidat-Präparaten (zB "Medikinet Adult") bei "Concerta" als Besonderheit eine extrem verzögerte Pharmakokinetik, d.h. verlangsamte und über mindestens acht und max 12 Stunden anhaltende Wirkstofffreisetzung vorliege. Aufgrund dessen müsse dieses Präparat im Gegensatz zu allen anderen auf dem Markt befindlichen nur einmal am Tag eingenommen werden. Zudem könne es bei entsprechend sensitiven Patienten durch das gerade verlangsamte Anfluten zu einer besseren Verträglichkeit der generell vermehrt durch den noradrenerg-dopaminergen Wirkeffekt der Substanz selbst auftretenden Magenwirkung führen. Die Klägerin sei bei ihm seit 30.09.2013 in Behandlung und erhalte "Concerta" auf Privatrezept. Der Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie T. hat ausgeführt, dass die Klägerin zwischen Juli 2013 und April 2014 dreimal persönlich zu Konsultationen anwesend gewesen sei. Mit der Einnahme von "Concerta" sei es zu einer wesentlichen Besserung gekommen. Er habe eine Dosisanpassung in mehreren Schritten vorgenommen.
Die Beklagte hat ein MDK-Gutachten von Dr. B. vom 25.03.2015 übersandt. Dieser Arzt ist der Auffassung gewesen, dass aus dem Befundberichten der Ärzte nicht hervorgehe, das keine im vertragsärztlichen Rahmen verordnungsfähigen Therapiealternativen mehr bestünden. Schließlich lägen zwar Hinweise auf die Wirksamkeit von "Concerta" vor, jedoch seien die hohen Anforderungen an den Wirksamkeitsnachweis gemäß der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht erfüllt.
Im August 2015 und von September bis Oktober 2015 hat die Klägerin einen für sie negativen Therapieversuch mit dem Medikament "Equasym" anstelle von "Concerta" durchgeführt.
Zuletzt hat die Klägerin ein psychiatrisches Gutachten von Dr. B. vom 09.11.2015 - erstellt für eine Lebensversicherung - vorgelegt, wonach sie an einer mittelgradig bis schweren Depression leide. Sie erfülle alle Symptome bis auf die Suizidalität. Bei ihr lägen aktuell keine Suizidgedanken, keine Suizidpläne und keine Suizidversuche vor. Die Therapie mit einem Antidepressivum, z.B. Citalopram, Venlafaxin oder Agomelatin, sei essentiell. Die bisherige Therapie sei angemessen. Bei Nichtansprechen auf die aktuelle medikamentöse Therapie sollte eine Umstellung und Intensivierung der antidepressiven Therapie durchgeführt werden.
Mit Urteil vom 14.04.2016 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass das begehrte Arzneimittel "Concerta" arzneimittelrechtlich nicht zur Behandlung von ADHS im Erwachsenenalter, mit - wie bei der Klägerin - Einleitung der Behandlung im Erwachsenenalter, zugelassen sei. Dies sei auch zwischen den Beteiligten unumstritten. Damit stehe das arzneimittelrechtliche Verkehrsverbot des Arzneimittelgesetzes (AMG) mit seinen Folgewirkungen für das Krankenversicherungsrecht einem Leistungsanspruch der Klägerin aus § 31 SGB V entgegen. Eine zulassungsüberschreitende Anwendung (sogenannter Off-Label-Use) von "Concerta" scheide aus. Zwar liege eine die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung vor. Es fehle jedoch an der hierfür in der Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzung, dass eine aus der Datenlage feststellbare begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg bestehe. Es gebe keine Studien der Phase III. Die Datenlage sei für eine Zulassung nicht ausreichend und werde vom Hersteller für die hier infrage kommende Indikation auch nicht angestrebt. Dass es für ein anderes, zugelassenes Methylphenidat-Präparat ("Medikenet adult") ausreichend Studien gebe, führe noch nicht zu einer Zulassungsreife von "Concerta" selbst. Denn "Concerta" und "Medikenet adult" seien nicht identisch. Es bestünden Unterschiede im Wirkstoffgehalt bezüglich der Zusammensetzung der Begleitstoffe. Für einen Seltenheitsfall, bei dem eine Ausnahme von dem auch für die Leistungspflicht nach dem SGB V maßgeblichen Erfordernis einer in Deutschland wirksamen arzneimittelrechtlichen Zulassung erwogen werden könnte, sei angesichts der Verbreitung von ADHS auch im Erwachsenenalter nichts ersichtlich. Schließlich komme ein Leistungsanspruch nach § 2 Abs 1a SGB V nicht in Betracht. Bei ADHS handle es sich nicht um eine lebensbedrohliche bzw regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung. Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang neben ihrer ADHS-Erkrankung auf starke Depressionen mit mehrmaligen Suizidgedanken verweise, sei darauf hinzuweisen, dass ihr für die Depressionen Antidepressiva zur Verfügung stünden. Zudem liege nach dem Gutachten von Dr. B. keine Suizidalität vor.
Gegen das dem Klägerbevollmächtigten am 25.04.2016 zugestellte Urteil hat dieser am 18.05.2016 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt.
Auf Antrag der Klägerin hat der Senat die Fachärztin für psychosomatische Medizin, Psychotherapie und Naturheilverfahren Dr. N.-B. gemäß § 109 SGG mit der Erstellung eines Gutachtens nach ambulanter Untersuchung beauftragt.
Die Sachverständige hat im Gutachten vom 14.01.2017 folgende Gesundheitsstörungen bei der Klägerin diagnostiziert: &61485; ADHS seit Kindheit mit Persistenz im Erwachsenenalter (F90.0), diagnostiziert 2012. &61485; Vermutlich seit vielen Jahren Fibromyalgie (M79.70), Diagnose 2012 &61485; seit mindestens 2009 schwere Depression (F32.2)
Die Gutachterin hat ausgeführt, die Klägerin leide an drei schwerwiegenden, die Lebensqualität nachteilig beeinträchtigenden Krankheiten, die sich gegenseitig verstärken würden. Es liege auch eine lebensbedrohliche Erkrankung vor, da ADHS-Patienten eine Impulskontrollstörung hätten. Zudem werde das Suizidrisiko bei Depression durch eine chronische Schmerzsymptomatik deutlich erhöht, ebenso bei Vorliegen von ADHS. Es handle sich jedoch nicht um eine regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung. Ein Seltenheitsfall liege nicht vor. Für sämtliche hier maßgeblichen Erkrankungen gebe es Forschung und Leitlinien zu Diagnostik und Therapie. Die Prävalenz von ADHS im Erwachsenenalter werde auf 2,5 - 5 % der Gesamtbevölkerung geschätzt. Studien zur Häufigkeit der erstmaligen Diagnose im Erwachsenenalter seien nicht bekannt. ADHS, die erstmalig im Erwachsenenalter diagnostiziert werde, sei der systematischen wissenschaftlichen Erforschung zugänglich. Dies zeige sich unter anderem am Vorliegen von Leitlinien. In den USA sei "Concerta" für die Behandlung von ADHS bei Erwachsenen zugelassen. Methylphenidat sei die Behandlung der ersten Wahl. Dieses stehe in verschiedenen Zubereitungsformen zur Verfügung. Die für Erwachsene zugelassenen Präparate "Medikinet adult" und "Ritalin adult" stünden der Klägerin wegen der aufgetretenen Nebenwirkungen nicht zur Verfügung. Das Präparat "Concerta" sei das einzig geeignete Präparat und können nur off-label verordnet werden. Aufgrund der Datenlage bestehe die begründete Aussicht, dass mit diesem Medikament ein Behandlungserfolg bei der Klägerin erzielt werden könne. Ein beeindruckender Behandlungserfolg sei bereits eingetreten. ADHS im Erwachsenenalter werde auch von Fachärzten erst seit etwa 15 Jahren verstanden und eingehender erforscht. Ein Antrag auf Zulassung zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit ADHS für das Medikament "Concerta" sei in Deutschland nicht eingereicht worden. Laut Aussage des BfArM gegenüber dem zentralen ADHS-Netzwerk sei die Behandlung über das 17. Lebensjahr hinaus nicht mehr als "Off-Label-Use" anzusehen.
Die Klägerin hat Privatrezepte und Rechnungsbelege von Apotheken bzgl des Bezugs von "Concerta" vorgelegt. Die Beklagte hat mit Schreiben vom 31.08.2017 ein Teilanerkenntnis bezüglich der Erstattung von Kosten für das Medikament "Concerta" für die Zeit vom 01.07.2013 bis 31.12.2013 iHv 418,26 EUR abgegeben. Die Klägerin hat das Teilanerkenntnis mit Schreiben vom 22.09.2017 angenommen.
Die Klägerin ist der Ansicht, dass eine schwerwiegende, die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung mit ADHS vorliege. Eine anderweitige Therapie sei für sie nicht verfügbar, da sämtliche, für ihre Erkrankung zugelassenen bzw sich im Leistungskatalog der Beklagten befindlichen Arzneimittel, über einen längeren Zeitraum hinweg frustran getestet worden seien. Junge Erwachsene, bei denen ADHS bereits im Kindesalter diagnostiziert worden sei, dürften nachweislich auch im Erwachsenenalter mit "Concerta" weiterbehandelt werden. Die hierfür anfallenden Kosten würden von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Somit sei einzig der bedauerliche Umstand, dass bei ihr eine richtige Diagnose auf ADHS im Kindesalter unterblieben sei, dafür ursächlich, dass ihr nunmehr die dringend notwendige Medikament verweigert werde. Dies stelle jedoch eine erhebliche Ungleichbehandlung in Form einer Diskriminierung dar. Durch die nunmehr zur Linderung ihres Leidens seit mehreren Jahren durchgeführte Einnahme des Medikaments sei nachgewiesen, dass ein Behandlungserfolg eintrete. Zudem liege eine seltene Erkrankung vor. Denn es könne nach derzeitigem medizinischen Wissen nahezu ausgeschlossen werden, dass ADHS erstmalig im Erwachsenenalter auftrete. Vielmehr sei sicher davon auszugehen, dass Symptome bei ihr im Kindesalter nicht richtig gedeutet und diagnostiziert worden seien, sodass eine adäquate Behandlung des Leidens im Kindesalter zur Gänze unterblieben sei. Mithin sei die Erkrankung ADHS im Erwachsenenalter eine seltene Krankheit im Sinne der Grundsätze des BSG. Auch lägen die Voraussetzungen des § 2 Abs 1a SGB V vor. Das SG verkenne das unheilvolle Zusammenspiel verschiedener Krankheitsbilder, hier die schweren Depressionen, das starke chronische Schmerzsyndrom, Fibromyalgie und ADHS. Die Klägerin ist der Auffassung, dass bei der Entscheidungsfindung auch ihre besonderen Lebensumstände berücksichtigt werden müssten. Hierzu gehöre das Ziel der dauerhaften und nachhaltigen Verfügbarkeit auf dem Arbeitsmarkt wie auch die Versorgung von drei pflegebedürftigen Kindern.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 14.04.2016 und den Bescheid der Beklagten vom 28.02.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.08.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr für den Zeitraum Juli 2013 bis Juli 2017 Kosten für die Arzneimittelbehandlung mit "Concerta" in Höhe von 5.178,81 EUR zu erstatten und sie künftig mit dem Arzneimittel "Concerta" gemäß ärztlicher Verordnung zu versorgen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass eine lebensbedrohliche oder gleichzusetzende Erkrankung der Klägerin nicht vorliege. Die generell erkannten Impulshandlungen würden kein Lebensrisiko durch die ADHS selbst darstellen. Konkrete Studien bezüglich der Wirksamkeit von "Concerta" seien nicht bekannt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.
Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs 1 SGG) eingelegte Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG) und damit zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Der angefochtene Bescheid vom 28.02.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.08.2014 ist rechtmäßig.
Hinsichtlich der im Zeitraum vom 01.07.2013 bis 31.12.2013 entstandenen Kosten für die Versorgung mit dem Medikament "Concerta" iHv 418,26 EUR hat sich der Rechtsstreit aufgrund angenommenen Teilanerkenntnisses gem § 101 Abs 2 SGG insoweit erledigt. Vor dem 01.07.2013 wurde die Klägerin nicht mit dem Medikament versorgt. Insoweit sind keine Kosten angefallen.
Über den 31.12.2013 hinaus hat die Klägerin keinen Anspruch auf Kostenerstattung und auf Versorgung mit dem Medikament "Concerta".
Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage ist mit dem im Berufungsverfahren gestellten Antrag zulässig. Der Zulässigkeit der allgemeinen Leistungsklage für die Zukunft steht nicht entgegen, dass die Beklagte über die Leistungsansprüche grundsätzlich durch Verwaltungsakt zu entscheiden hat. Verwaltungsentscheidungen zu Leistungsansprüchen für die Zukunft kann es naturgemäß noch nicht geben (vgl BSG 10.11.2005, B 3 KR 38/04 R, SozR 4-2500 § 37 Nr 6). Der Antrag auf Verurteilung zur künftigen Gewährung der genannten Medikamente ist sachdienlich (§ 106 Abs 1 SGG) und genügt dem Erfordernis der Bestimmtheit. Zwar muss die Leistungspflicht eines Sozialversicherungsträgers soweit wie möglich konkretisiert werden, um den Streitgegenstand zu kennzeichnen und die Zwangsvollstreckung zu ermöglichen bzw. zu erleichtern (vgl BSG 30.04.1986, 2 RU 15/85, BSGE 60, 87, 90 = SozR 1200 § 53 Nr 6). Von diesem Grundsatz kann jedoch im Einzelfall abgewichen werden, wenn eine nähere Konkretisierung entweder objektiv unmöglich ist oder wenn sich die Beteiligten nur über die Leistungspflicht dem Grunde nach streiten, jedoch kein Streit über die Einzelheiten der zu erbringenden Leistung besteht (BSG 17.01.1996, 3 RK 39/94, BSGE 77, 209 = SozR 3-2500 § 33 Nr 19). So liegt der Fall hier.
1) Als Anspruchsgrundlage für den Kostenerstattungsantrag kommt § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V in Betracht, da die Klägerin keine Kostenerstattung nach § 13 Abs 2 SGB V gewählt hatte. Danach sind die Kosten in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte (Alt 1) oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (Alt 2) und dadurch dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind. § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V gibt demnach einen Kostenerstattungsanspruch für den Fall, dass der Versicherte wegen eines Systemversagens gezwungen ist, sich eine Behandlung, die ihm die Krankenkasse an sich als Sachleistung schuldet, außerhalb des für Sachleistungen vorgesehenen Weges selbst zu beschaffen.
Für die Zeit vor Bescheiderlass am 28.02.2017 scheidet ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs 3 SGB V bereits mangels Kausalität aus. Die Selbstversorgung mit dem Medikament "Concerta" auf Privatrezept basiert zumindest bis zum Erlass des Bescheides nicht auf einer möglicherweise zu Unrecht erfolgten Ablehnung der Leistung durch die Beklagte.
Der Kostenerstattungsanspruch des § 13 Abs 3 SGB V reicht außerdem nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (BSG 28.02.2008, B 1 KR 16/07 R, SozR 4-2500 § 31 Nr 9 ständige Rechtsprechung). Das ist hier nicht der Fall, weshalb weder der Kostenerstattungsanspruch noch der Anspruch auf Gewährung des Medikaments als Sachleistung in der Zukunft besteht.
Nach § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V haben Versicherten Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst nach § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB V u.a. die Versorgung mit Arzneimitteln. Das Arzneimittel "Concerta" ist mangels Arzneimittelzulassung für die bei der Klägerin vorliegende erstmals im Erwachsenenalter diagnostizierte ADHS nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig (a). Es besteht auch kein Anspruch auf eine Versorgung nach den Grundsätzen des Off-Label-Use (b), der grundrechtsorientierten Leistungsgewährung (c) oder des Seltenheitsfalles (d). Die von der Klägerin geltend gemachten Lebensumstände (Verfügbarkeit auf dem Arbeitsmarkt, Pflege von Kindern) sind für den Senat zwar nachvollziehbar, können aber bei der Beurteilung des Sachleistungsanspruchs nicht berücksichtigt werden.
a) Die Klägerin kann von der Beklagten die Versorgung mit "Concerta" nach den allgemeinen Grundsätzen nicht verlangen. Versicherte können Versorgung mit vertragsärztlich verordneten Fertigarzneimitteln zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich nur beanspruchen, wenn eine arzneimittelrechtliche Zulassung für das Indikationsgebiet besteht, in dem sie angewendet werden sollen. Fertigarzneimittel sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 2 Abs 1 Satz 3, § 12 Abs 1 SGB V) dagegen nicht von der Leistungspflicht nach § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 2 und 3, § 31 Abs 1 Satz 1 SGB V umfasst, wenn ihnen die erforderliche arzneimittelrechtliche Zulassung nach § 21 Abs 1 Arzneimittelgesetz (AMG) fehlt (BSG 04.04.2006, B 1 KR 12/04 R, BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7 - ständige Rechtsprechung). "Concerta" ist zulassungspflichtig und weder in Deutschland noch EU-weit als Arzneimittel für die Behandlung einer erstmals im Erwachsenenalter diagnostizierten ADHS zugelassen. Dies bestätigt Dr. H. im MDK-Gutachten vom 10.06.2013. Diese Ausführungen des MDK macht der Senat zur Grundlage seiner Entscheidung. Im Übrigen gehen auch die gerichtliche Sachverständige und alle Beteiligten übereinstimmend und selbstverständlich davon aus, dass "Concerta" indikationsüberschreitend im Off-Label-Use angewendet wird. Hierfür ist unbeachtlich, dass die ADHS bei der Klägerin (so die Gutachterin Dr. N.-B.) bereits seit Kindheit besteht.
b) Die Voraussetzungen für einen Off-Label-Use sind nicht erfüllt. Dieser kommt nach ständiger Rechtsprechung des BSG nur in Betracht, wenn es 1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn 2. keine andere Therapie verfügbar ist und wenn 3. auf Grund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann (BSG 03.07.2012, B 1 KR 25/11 R, BSGE 11, 168 = SozR 4-2500 § 31 Nr 22).
Wie das SG zutreffend ausgeführt hat, fehlt es vorliegend an einer auf Grund der Datenlage begründeten Erfolgsaussicht, auch wenn hier eine schwerwiegende die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden Krankheit tatsächlich vorliegt. Von hinreichenden Erfolgsaussichten ist nur dann auszugehen, wenn Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das betroffene Arzneimittel für die relevante Indikation zugelassen werden kann. Es müssen also Erkenntnisse in der Qualität einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht sein und einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen (BSG 03.07.2012, a.a.O.). Es reicht nicht aus, dass die Behandlung im Einzelfall tatsächlich wirksam ist. Die Gutachter des MDK haben für den Senat nachvollziehbar dargelegt, dass keine randomisiert-kontrollierten klinischen Studien bezüglich der Wirksamkeit von "Concerta" bei erstmals im Erwachsenenalter diagnostizierter ADHS vorliegen. Eine Zulassung wird vom Hersteller wohl auch nicht angestrebt. Vielmehr wird sogar in der Fachinformationen in Nr 4.4 (Besondere Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung) explizit ausgeführt: "Anwendung bei Erwachsenen Sicherheit und Wirksamkeit der Therapieinitiierung bei Erwachsenen oder der routinemäßigen Weiterbehandlung über das Alter von 18 Jahren hinaus wurden nicht nachgewiesen. [ ] Anwendung bei älteren Patienten Methylphenidat darf nicht bei älteren Patienten angewendet werden. Sicherheit und Wirksamkeit von Methylphenidat in dieser Altersgruppe wurden nicht nachgewiesen."
Dass es für ein anderes, zugelassenes Methylphenidat-Präparat ("Medikinet adult") ausreichend Studien gibt, und daher der MDK eine Wirksamkeit von "Concerta" bei gleichem Wirkstoff für nicht unwahrscheinlich hält, führt noch nicht zu einer Zulassung(sreife) von "Concerta" selbst. Denn "Concerta" und "Medikinet adult" sind nicht identisch. Es besteht ein Unterschied im Wirkstoffgehalt und bezüglich der Zusammensetzung der Begleitstoffe. Die qualitativen Anforderungen an Phase III Studien sind deshalb für "Concerta" auch nicht verzichtbar. Die bei der Klägerin vorliegende gute Wirkung der Medikation mit "Concerta" reicht für die Annahme der Zulassungsreife keinesfalls aus.
Eine ungerechtfertigte Diskriminierung der Klägerin ist für den Senat hier nicht erkennbar. Auch wenn "Concerta" bei erwachsenen Patienten, bei denen ADHS bereits im Kindesalter diagnostiziert und behandelt worden ist, zur Fortführung der Therapie über das 18. Lebensjahr hinaus weiter verordnet werden darf, ist dieser Fall nicht mit dem der Klägerin vergleichbar. Denn gerade bei erstmals im Erwachsenenalter diagnostizierter und behandelter ADHS existieren keinerlei objektive Forschungsergebnisse, die eine Wirksamkeit des Medikaments belegen würden.
c) Die Klägerin kann die begehrten Arzneimittel auch nicht nach den Grundsätzen einer grundrechtsorientierten Leistungsauslegung verlangen. Wie das BVerfG klargestellt hat, ist ein verfassungsunmittelbarer Leistungsanspruch ganz eng auf extreme Situationen einer krankheitsbedingten Lebensgefahr beschränkt (BVerfG 10.11.2015, 1 BvR 2056/12, juris). Eine derartige Lebensgefahr besteht bei der Klägerin angesichts des vorliegenden ADHS ersichtlich nicht. Das nicht konkret absehbare Risiko einer Suizidhandlung bei ADHS-Patienten mit Impulskontrollsteuerungsstörung reicht hierfür keinesfalls aus. Zudem hat Dr. B. eine Suizidgefahr konkret bei der Klägerin ausgeschlossen. Aber auch die Voraussetzungen der vom BSG in seiner Rechtsprechung vorgenommene Erweiterung auf wertungsmäßig vergleichbare Erkrankungen in notstandsähnlichen Situationen (vgl BSG 14.12.2006 – B 1 KR 12/06 – SozR 4-2500 §&8201;31 Nr&8201;8 Rn&8201;20; BSG 5.5.2009 – B 1 KR 15/08 R – SozR 4-2500 §&8201;27 Nr&8201;16 = NJOZ 2009, 3296 mwN) sind nicht erfüllt. Es droht kausal wegen des ADHS weder der Verlust eines Sinnesorgans noch einer wichtigen Körperfunktion. Auch die Gutachterin Dr. N.-B. hat ausgeführt, dass es sich nicht um eine regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung handelt.
d) Auch nach den Grundsätzen eines Seltenheitsfalles kann die Klägerin die geltend gemachte Versorgung mit "Concerta" nicht beanspruchen. Ein Seltenheitsfall erfordert, dass das festgestellte Krankheitsbild auf Grund seiner Singularität medizinisch nicht erforschbar ist (BSG 08.11.2011, B 1 KR 20/10 R, BSGE 109, 218 = SozR 4-2500 § 31 Nr. 20). Dies ist bei ADHS, auch wenn es erstmals im Erwachsenenalter diagnostiziert wird, ersichtlich nicht der Fall. Selbst Dr. N.-B. bestätigt in ihrem Gutachten, dass die Prävalenz von ADHS im Erwachsenenalter auf 2,5-5 % der Gesamtbevölkerung geschätzt wird und ADHS, das erstmalig im Erwachsenenalter diagnostiziert wird, der systematischen wissenschaftlichen Erforschung zugänglich ist. Dies zeigt sich unter anderem auch am vorliegenden von entsprechenden Leitlinien.
2) Eine Kostenerstattung und der Leistungsanspruch ergibt sich schließlich auch nicht aus § 13 Abs. 3a SGB V. Diese Vorschrift lautet wie folgt: 1Die Krankenkasse hat über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (Medizinischer Dienst), eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. 2Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. 3Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung. 4Wird ein im Bundesmantelvertrag für Zahnärzte vorgesehenes Gutachterverfahren durchgeführt, hat die Krankenkasse ab Antragseingang innerhalb von sechs Wochen zu entscheiden; der Gutachter nimmt innerhalb von vier Wochen Stellung. 5Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit. 6Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt. 7Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet. 8Die Krankenkasse berichtet dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen jährlich über die Anzahl der Fälle, in denen Fristen nicht eingehalten oder Kostenerstattungen vorgenommen wurden. 9Für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gelten die §§ 14, 15 des Neunten Buches zur Zuständigkeitsklärung und Erstattung selbst beschaffter Leistungen.
Der über die vom Klägerin beauftragte Ärztin Dr. P. gestellte Antrag auf Kostenzusage für einen Therapieversuch mit "Concerta" (max. Dosierung 60mg/d) ist bei der Beklagten am 28.05.2013 eingegangen. Die Beklagte hat erst mit Bescheid vom 28.02.2014 über den Antrag entschieden. Damit ist jedenfalls die 5-Wochen-Frist offensichtlich nicht eingehalten. Die Mitteilung eines hinreichenden Grundes für die Nichteinhaltung ist nicht erfolgt. Der Senat kann offenlassen, ob gegebenenfalls bereits im Februar 2014 eine mündliche Ablehnung erfolgt ist. Denn auch dann ist die 5-Wochen-Frist offensichtlich bereits abgelaufen.
Gilt eine beantragte Leistung als genehmigt, erwächst dem Antragsteller hieraus ein Naturalleistungsanspruch als eigenständig durchsetzbarer Anspruch. Zudem entsteht bei Selbstverschaffung nach Fristablauf ein eigenständiger Kostenerstattungsanspruch.
a) Für den Eintritt der Genehmigungsfiktion und den Kostenerstattungsanspruch fehlt es jedoch an einem ausreichend bestimmten Antrag. Damit eine Leistung als genehmigt gelten kann, bedarf es eines fiktionsfähigen Antrags. Die Fiktion kann nur dann greifen, wenn der Antrag so bestimmt gestellt ist, dass die auf Grundlage des Antrags fingierte Genehmigung ihrerseits iS von § 33 Abs 1 SGB X hinreichend bestimmt ist. Ein Verwaltungsakt ist - zusammengefasst - inhaltlich hinreichend bestimmt (§ 33 Abs 1 SGB X), wenn sein Adressat objektiv in der Lage ist, den Regelungsgehalt des Verfügungssatzes zu erkennen und der Verfügungssatz ggf eine geeignete Grundlage für seine zwangsweise Durchsetzung bildet. So liegt es, wenn der Verfügungssatz in sich widerspruchsfrei ist und den Betroffenen bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers in die Lage versetzt, sein Verhalten daran auszurichten. Die Anforderungen an die notwendige Bestimmtheit richten sich im Einzelnen nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden materiellen Rechts (BSG 11.07.2017, B 1 KR 26/16 R, mwN).
Diesem Bestimmtheitserfordernis wird der Antrag der Klägerin auf Kostenzusage für einen Therapieversuch mit "Concerta" nicht gerecht. Im Bereich der Arzneimittelversorgung ist § 73 Abs 2 S 1 Nr 7 SGB V zu beachten. Hiernach wird die Versorgung mit Arzneimitteln durch die vom Arzt ausgestellte Verordnung konkretisiert. Diese Verordnung bezeichnet nicht nur das für die Behandlung notwendige Medikament, sondern enthält auch Angaben über Dosierung und Einnahmezeitraum. Nur mittels der Verordnung weiß der Apotheker, welches Medikament in welcher Spezifikation konkret abzugeben ist. Nur mit einer konkreten ärztlichen Verordnung kann eine zwangsweise Durchsetzung erfolgen. Demnach kann eine Genehmigungsfiktion gemäß § 13 Abs 3a S 6 SGB V bezüglich einer Arzneimittelversorgung nur dann eintreten, wenn der Antrag eine konkrete ärztliche Verordnung enthält. Dies ist hier nicht der Fall. Das ärztliche Attest vom 28.05.2013 enthält nur die Aussage, dass ein Therapieversuch mit dem Medikament "Concerta" in einer maximalen Dosierung von 60 mg/d geplant ist. Diese Angabe ist hinsichtlich der Abgabe des Medikaments in der Apotheke nicht bestimmt genug. Dies zeigte auch an dem Umstand, dass die Klägerin tatsächlich ab Therapiebeginn Privatrezepte mit konkreten Angaben zur Medikation erhalten hat.
b) Der Anspruch nach § 13 Abs 3a SGB V scheitert aber auch daran, dass die Versorgung mit dem nicht zugelassenen Medikament "Concerta" offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) lag und die Klägerin diese Leistung nicht für erforderlich halten durfte.
Die Gesetzesregelung ordnet diese Einschränkungen für die Genehmigungsfiktion zwar nicht ausdrücklich, aber sinngemäß nach dem Regelungszusammenhang und -zweck an. Denn die Genehmigungsfiktion begründet zugunsten des Leistungsberechtigten einen Naturalleistungsanspruch, dem der im Anschluss hieran geregelte, den Eintritt der Genehmigungsfiktion voraussetzende naturalleistungsersetzende Kostenerstattungsanspruch im Ansatz entspricht (vgl § 13 Abs 3a S 7 SGB V). Die Begrenzung auf erforderliche Leistungen bewirkt eine Beschränkung auf subjektiv für den Berechtigten erforderliche Leistungen, die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV liegen. Einerseits soll die Regelung es dem Berechtigten erleichtern, sich die ihm zustehende Leistung zeitnah zu beschaffen. Andererseits soll sie ihn nicht zu Rechtsmissbrauch einladen, indem sie Leistungsgrenzen des GKV-Leistungskatalogs überwindet, die jedem Versicherten klar sein müssen (BSG 08.03.2016, B 1 KR 25/15 R, BSGE 121, 40-49, SozR 4-2500 § 13 Nr 33, Rn. 25; BSG 11.07.2017, B 1 KR 26/16 R).
Die Versorgung mit einem nicht zugelassenen Medikament unterfällt niemals dem Leistungskatalog der GKV. Nachdem die behandelnde Ärztin explizit einen Therapieversuch mit dem für die Indikation der Klägerin nicht zugelassenen Medikament beantragt hat, war für die Beteiligten auch von vornherein klar, dass die Leistung außerhalb des Leistungskatalogs der GKV liegt. Die Klägerin durfte die Versorgung mit "Concerta" in ihrem Fall deshalb auch nicht für erforderlich halten.
c) Zuletzt scheitert eine Genehmigungsfiktion im vorliegenden Fall auch daran, dass sich der Antrag aus Mai 2013 ausschließlich auf einen Therapieversuch bezog. Ein Antrag auf Versorgung mit dem Medikament "Concerta" außerhalb des Therapieversuchs (auf Dauer) liegt frühestens im Februar 2014 vor. Bezüglich des Therapieversuchs hat die Beklagte den Anspruch anerkannt. Die Versorgung mit dem Medikament über den Therapieversuch hinaus lässt sich mit einem solchen Antrag nicht fingieren.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Angesichts des geringen Erstattungsbetrages aufgrund des Teilanerkenntnisses im Vergleich zur gesamten Klageforderung (Kostenerstattung und künftiger Leistungsanspruch) entspricht es der Billigkeit, der Klägerin keine Kosten zu erstatten.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG) liegen angesichts der gefestigten Rechtsprechung zum Off-Label-Use nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt die Erstattung von Kosten für die medikamentöse Therapie mit dem Arzneimittel "Concerta" zur Behandlung von erstmals im Erwachsenenalter diagnostiziertem ADHS und die Gewährung zukünftiger entsprechender medikamentöser Therapie.
Die am 25.02.1975 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Sie leidet unter ADHS (Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung), die erst im Erwachsenenalter diagnostiziert wurde. Die Klägerin nahm in der Vergangenheit das methylphenidathaltige Arzneimittel "Medikinet adult", welches für die medikamentöse Therapie von ADHS im Erwachsenenalter über eine Arzneimittelzulassung verfügt.
Mit ärztlichem Attest vom 02.05.2013 "zur Vorlage bei der Krankenkasse, z.H. Herrn B." bat die behandelnde Ärztin Dr. P. um eine Kostenzusage bezüglich eines Therapieversuchs mit Strattera. Zur Begründung führte sie aus: "Unter der Gabe von Medikinet adult ist es zu einer guten Rückbildung der Symptome des ADHS gekommen, allerdings kam es zu ausgeprägten Nebenwirkungen (Übelkeit, Magenschmerzen etc.), die auch durch Dosisanpassungen nicht vermieden werden konnten." Die Beklagte holte ein nach Aktenlage erstelltes Gutachten beim Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) ein (Gutachten Dr. H. vom 15.05.2013). Darin wird ausgeführt, dass es sich bei dem Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom zwar nicht um eine lebensbedrohliche oder regelmäßig tödlich endende Erkrankung handele. Es könne jedoch von einer nachhaltigen Beeinträchtigung der Lebensqualität im vorliegenden Fall ausgegangen werden. Es gebe Hinweise auf die Wirksamkeit von Atomoxetin bei Erwachsenen mit ADHS im Rahmen von mehreren, darunter auch größeren randomisierten kontrollierten Studien. Daraufhin führte die Klägerin einen Therapieversuch mit dem - inzwischen seit Juni 2013 auch für Erwachsene zugelassenen - Arzneimittel "Strattera" (Wirkstoff Atomoxetin) auf Kosten der Beklagten durch.
Mit ärztlichem Attest vom 28.05.2013 "zur Vorlage bei der Krankenkasse, z.H. Herrn B." bat die behandelnde Ärztin Dr. P. um eine Kostenzusage bezüglich eines Therapieversuchs mit Concerta (max Dosierung 60 mg/d). Zur Begründung führte sie aus: "Unter der Gabe von Medikinet adult ist es zu einer guten Rückbildung der Symptome des ADHS gekommen, allerdings kam es zu ausgeprägten Nebenwirkungen (Übelkeit, Magenschmerzen etc.), die auch durch Dosisanpassungen nicht vermieden werden konnten." Die Beklagte holte ein Gutachten beim MDK ein. Dr. H. wies im Gutachten vom 10.06.2013 zunächst darauf hin, dass die Medikamente Medikinet adult und Concerta den gleichen Wirkstoff besäßen. Es liege ein sog Off-Label-Use vor, da der Neubeginn einer Behandlung mit "Concerta" im Erwachsenenalter nicht von der Zulassung abgedeckt sei. Die von der Rechtsprechung gebildeten Voraussetzungen für eine Kostenübernahme beim Off-Label-Use lägen nicht vor, da auch zahlreiche andere Präparate mit dem Wirkstoff Methylphenidat in Betracht kämen. Außerdem sei die Datenlage für eine Zulassung nicht ausreichend. Eine Zulassung werde vom Hersteller auch nicht angestrebt. Dieser habe in seinen Fachinformationen angeführt, dass die Wirksamkeit und Sicherheit einer Neubehandlung von erwachsenen Patienten mit ADHS nicht belegt sei.
Mit E-Mail vom 11.02.2014 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass sie die Therapie mit "Concerta" begonnen habe und selbst zahle. Zugleich beantragte sie die generelle Kostenübernahme bezüglich dieser Therapie.
Mit Bescheid vom 28.02.2014 lehnte die Beklagte gegenüber der Klägerin eine Kostenübernahme für "Concerta" ab.
Hiergegen erhob die Klägerin Widerspruch mit der Begründung, dass sie die Einnahme von "Concerta" als Übergangslösung bzw Krisenbewältigung betrachte. Sie habe schon viele Medikamente getestet, vertrage aber nur "Concerta", da sie an einem Reizdarm und -magen leide. Die anderen vom MDK genannten Arzneimittelalternativen seien zudem auch nicht zugelassen. Es gebe ausreichend Studien für die Wirksamkeit von Methylphenidat-Präparaten.
Die Klägerin legte weiter eine Bescheinigung des Psychiaters und Psychotherapeuten T. vom 29.04.2014 vor, wonach der Versuch mit "Strattera" bereits nach einer Woche abgebrochen worden sei. "Concerta" sei hingegen erfolgreich zum Einsatz gebracht worden und habe auch einen positiven Effekt auf die zusätzlich vorliegende Fibromyalgie. Ein zwischenzeitlicher Versuch mit "Elvanse" (Wirkstoff: Lisdexamfetamindimesilat) sei nicht annährend so gut gewesen wie bei "Concerta". "Concerta" sei die beste aller Varianten.
Die Beklagte holte ein weiteres MDK-Gutachten (Dr. B. vom 12.06.2014) ein, wonach ADHS eine schwere, die Lebensqualität nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung sei, nicht aber eine, die mit großer Wahrscheinlichkeit innerhalb eines kürzeren überschaubaren Zeitraums eine tödlichen Verlauf nehme bzw zu einem Verlust eines wichtigen Sinnesorganes führe. Die ADHS-Erkrankung sei eine auch im Erwachsenenalter häufige Erkrankung und keine, die aufgrund ihrer Seltenheit nicht systematisch erforscht werden könnte. Weiter könne nicht bestätigt werden, dass bei der Klägerin keine Therapiealternativen vorhanden seien. Schließlich lägen zwar Hinweise auf die Wirksamkeit von "Concerta" vor, nicht jedoch eine zulassungsreife Situation in Form einer Phase III-Studie. "Concerta" unterscheide sich von dem zugelassenen "Medikinet adult" durch einen unterschiedlichen Wirkstoffgehalt, außerdem bezüglich der Zusammensetzung verschiedener Begleitstoffe.
Mit Widerspruchsbescheid vom 18.08.2014 wies die Beklagte den Widerspruch zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 03.09.2014 Klage zum Sozialgericht Konstanz (SG) erhoben und Kostenerstattung für die Zeit bis August 2014 sowie sinngemäß Versorgung mit dem Medikament für die Zukunft beantragt.
Das SG hat die behandelnden Ärzte der Klägerin schriftlich als sachverständige Zeugen befragt. Dr. P. hat mitgeteilt, dass seit Juli 2013 keine Behandlung durch die Praxis mehr erfolge. Die Klägerin habe unter der Behandlung mit "Medikent adult" über ausgeprägte Magenbeschwerden, Sodbrennen und Aufstoßen berichtet. Die Klägerin habe berichtet, dass auch das Medikament "Strattera" nicht vertragen worden sei, bzw keine Verbesserung eingetreten sei. Eine Umstellung der Medikation sei geplant gewesen. Der Neurologe und Psychiater Dr. S. hat ausgeführt, dass im Unterschied zu anderen Methylphenidat-Präparaten (zB "Medikinet Adult") bei "Concerta" als Besonderheit eine extrem verzögerte Pharmakokinetik, d.h. verlangsamte und über mindestens acht und max 12 Stunden anhaltende Wirkstofffreisetzung vorliege. Aufgrund dessen müsse dieses Präparat im Gegensatz zu allen anderen auf dem Markt befindlichen nur einmal am Tag eingenommen werden. Zudem könne es bei entsprechend sensitiven Patienten durch das gerade verlangsamte Anfluten zu einer besseren Verträglichkeit der generell vermehrt durch den noradrenerg-dopaminergen Wirkeffekt der Substanz selbst auftretenden Magenwirkung führen. Die Klägerin sei bei ihm seit 30.09.2013 in Behandlung und erhalte "Concerta" auf Privatrezept. Der Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie T. hat ausgeführt, dass die Klägerin zwischen Juli 2013 und April 2014 dreimal persönlich zu Konsultationen anwesend gewesen sei. Mit der Einnahme von "Concerta" sei es zu einer wesentlichen Besserung gekommen. Er habe eine Dosisanpassung in mehreren Schritten vorgenommen.
Die Beklagte hat ein MDK-Gutachten von Dr. B. vom 25.03.2015 übersandt. Dieser Arzt ist der Auffassung gewesen, dass aus dem Befundberichten der Ärzte nicht hervorgehe, das keine im vertragsärztlichen Rahmen verordnungsfähigen Therapiealternativen mehr bestünden. Schließlich lägen zwar Hinweise auf die Wirksamkeit von "Concerta" vor, jedoch seien die hohen Anforderungen an den Wirksamkeitsnachweis gemäß der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) nicht erfüllt.
Im August 2015 und von September bis Oktober 2015 hat die Klägerin einen für sie negativen Therapieversuch mit dem Medikament "Equasym" anstelle von "Concerta" durchgeführt.
Zuletzt hat die Klägerin ein psychiatrisches Gutachten von Dr. B. vom 09.11.2015 - erstellt für eine Lebensversicherung - vorgelegt, wonach sie an einer mittelgradig bis schweren Depression leide. Sie erfülle alle Symptome bis auf die Suizidalität. Bei ihr lägen aktuell keine Suizidgedanken, keine Suizidpläne und keine Suizidversuche vor. Die Therapie mit einem Antidepressivum, z.B. Citalopram, Venlafaxin oder Agomelatin, sei essentiell. Die bisherige Therapie sei angemessen. Bei Nichtansprechen auf die aktuelle medikamentöse Therapie sollte eine Umstellung und Intensivierung der antidepressiven Therapie durchgeführt werden.
Mit Urteil vom 14.04.2016 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass das begehrte Arzneimittel "Concerta" arzneimittelrechtlich nicht zur Behandlung von ADHS im Erwachsenenalter, mit - wie bei der Klägerin - Einleitung der Behandlung im Erwachsenenalter, zugelassen sei. Dies sei auch zwischen den Beteiligten unumstritten. Damit stehe das arzneimittelrechtliche Verkehrsverbot des Arzneimittelgesetzes (AMG) mit seinen Folgewirkungen für das Krankenversicherungsrecht einem Leistungsanspruch der Klägerin aus § 31 SGB V entgegen. Eine zulassungsüberschreitende Anwendung (sogenannter Off-Label-Use) von "Concerta" scheide aus. Zwar liege eine die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung vor. Es fehle jedoch an der hierfür in der Rechtsprechung aufgestellten Voraussetzung, dass eine aus der Datenlage feststellbare begründete Aussicht auf einen Behandlungserfolg bestehe. Es gebe keine Studien der Phase III. Die Datenlage sei für eine Zulassung nicht ausreichend und werde vom Hersteller für die hier infrage kommende Indikation auch nicht angestrebt. Dass es für ein anderes, zugelassenes Methylphenidat-Präparat ("Medikenet adult") ausreichend Studien gebe, führe noch nicht zu einer Zulassungsreife von "Concerta" selbst. Denn "Concerta" und "Medikenet adult" seien nicht identisch. Es bestünden Unterschiede im Wirkstoffgehalt bezüglich der Zusammensetzung der Begleitstoffe. Für einen Seltenheitsfall, bei dem eine Ausnahme von dem auch für die Leistungspflicht nach dem SGB V maßgeblichen Erfordernis einer in Deutschland wirksamen arzneimittelrechtlichen Zulassung erwogen werden könnte, sei angesichts der Verbreitung von ADHS auch im Erwachsenenalter nichts ersichtlich. Schließlich komme ein Leistungsanspruch nach § 2 Abs 1a SGB V nicht in Betracht. Bei ADHS handle es sich nicht um eine lebensbedrohliche bzw regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung. Soweit die Klägerin in diesem Zusammenhang neben ihrer ADHS-Erkrankung auf starke Depressionen mit mehrmaligen Suizidgedanken verweise, sei darauf hinzuweisen, dass ihr für die Depressionen Antidepressiva zur Verfügung stünden. Zudem liege nach dem Gutachten von Dr. B. keine Suizidalität vor.
Gegen das dem Klägerbevollmächtigten am 25.04.2016 zugestellte Urteil hat dieser am 18.05.2016 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt.
Auf Antrag der Klägerin hat der Senat die Fachärztin für psychosomatische Medizin, Psychotherapie und Naturheilverfahren Dr. N.-B. gemäß § 109 SGG mit der Erstellung eines Gutachtens nach ambulanter Untersuchung beauftragt.
Die Sachverständige hat im Gutachten vom 14.01.2017 folgende Gesundheitsstörungen bei der Klägerin diagnostiziert: &61485; ADHS seit Kindheit mit Persistenz im Erwachsenenalter (F90.0), diagnostiziert 2012. &61485; Vermutlich seit vielen Jahren Fibromyalgie (M79.70), Diagnose 2012 &61485; seit mindestens 2009 schwere Depression (F32.2)
Die Gutachterin hat ausgeführt, die Klägerin leide an drei schwerwiegenden, die Lebensqualität nachteilig beeinträchtigenden Krankheiten, die sich gegenseitig verstärken würden. Es liege auch eine lebensbedrohliche Erkrankung vor, da ADHS-Patienten eine Impulskontrollstörung hätten. Zudem werde das Suizidrisiko bei Depression durch eine chronische Schmerzsymptomatik deutlich erhöht, ebenso bei Vorliegen von ADHS. Es handle sich jedoch nicht um eine regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung. Ein Seltenheitsfall liege nicht vor. Für sämtliche hier maßgeblichen Erkrankungen gebe es Forschung und Leitlinien zu Diagnostik und Therapie. Die Prävalenz von ADHS im Erwachsenenalter werde auf 2,5 - 5 % der Gesamtbevölkerung geschätzt. Studien zur Häufigkeit der erstmaligen Diagnose im Erwachsenenalter seien nicht bekannt. ADHS, die erstmalig im Erwachsenenalter diagnostiziert werde, sei der systematischen wissenschaftlichen Erforschung zugänglich. Dies zeige sich unter anderem am Vorliegen von Leitlinien. In den USA sei "Concerta" für die Behandlung von ADHS bei Erwachsenen zugelassen. Methylphenidat sei die Behandlung der ersten Wahl. Dieses stehe in verschiedenen Zubereitungsformen zur Verfügung. Die für Erwachsene zugelassenen Präparate "Medikinet adult" und "Ritalin adult" stünden der Klägerin wegen der aufgetretenen Nebenwirkungen nicht zur Verfügung. Das Präparat "Concerta" sei das einzig geeignete Präparat und können nur off-label verordnet werden. Aufgrund der Datenlage bestehe die begründete Aussicht, dass mit diesem Medikament ein Behandlungserfolg bei der Klägerin erzielt werden könne. Ein beeindruckender Behandlungserfolg sei bereits eingetreten. ADHS im Erwachsenenalter werde auch von Fachärzten erst seit etwa 15 Jahren verstanden und eingehender erforscht. Ein Antrag auf Zulassung zur Behandlung von erwachsenen Patienten mit ADHS für das Medikament "Concerta" sei in Deutschland nicht eingereicht worden. Laut Aussage des BfArM gegenüber dem zentralen ADHS-Netzwerk sei die Behandlung über das 17. Lebensjahr hinaus nicht mehr als "Off-Label-Use" anzusehen.
Die Klägerin hat Privatrezepte und Rechnungsbelege von Apotheken bzgl des Bezugs von "Concerta" vorgelegt. Die Beklagte hat mit Schreiben vom 31.08.2017 ein Teilanerkenntnis bezüglich der Erstattung von Kosten für das Medikament "Concerta" für die Zeit vom 01.07.2013 bis 31.12.2013 iHv 418,26 EUR abgegeben. Die Klägerin hat das Teilanerkenntnis mit Schreiben vom 22.09.2017 angenommen.
Die Klägerin ist der Ansicht, dass eine schwerwiegende, die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung mit ADHS vorliege. Eine anderweitige Therapie sei für sie nicht verfügbar, da sämtliche, für ihre Erkrankung zugelassenen bzw sich im Leistungskatalog der Beklagten befindlichen Arzneimittel, über einen längeren Zeitraum hinweg frustran getestet worden seien. Junge Erwachsene, bei denen ADHS bereits im Kindesalter diagnostiziert worden sei, dürften nachweislich auch im Erwachsenenalter mit "Concerta" weiterbehandelt werden. Die hierfür anfallenden Kosten würden von den gesetzlichen Krankenkassen übernommen. Somit sei einzig der bedauerliche Umstand, dass bei ihr eine richtige Diagnose auf ADHS im Kindesalter unterblieben sei, dafür ursächlich, dass ihr nunmehr die dringend notwendige Medikament verweigert werde. Dies stelle jedoch eine erhebliche Ungleichbehandlung in Form einer Diskriminierung dar. Durch die nunmehr zur Linderung ihres Leidens seit mehreren Jahren durchgeführte Einnahme des Medikaments sei nachgewiesen, dass ein Behandlungserfolg eintrete. Zudem liege eine seltene Erkrankung vor. Denn es könne nach derzeitigem medizinischen Wissen nahezu ausgeschlossen werden, dass ADHS erstmalig im Erwachsenenalter auftrete. Vielmehr sei sicher davon auszugehen, dass Symptome bei ihr im Kindesalter nicht richtig gedeutet und diagnostiziert worden seien, sodass eine adäquate Behandlung des Leidens im Kindesalter zur Gänze unterblieben sei. Mithin sei die Erkrankung ADHS im Erwachsenenalter eine seltene Krankheit im Sinne der Grundsätze des BSG. Auch lägen die Voraussetzungen des § 2 Abs 1a SGB V vor. Das SG verkenne das unheilvolle Zusammenspiel verschiedener Krankheitsbilder, hier die schweren Depressionen, das starke chronische Schmerzsyndrom, Fibromyalgie und ADHS. Die Klägerin ist der Auffassung, dass bei der Entscheidungsfindung auch ihre besonderen Lebensumstände berücksichtigt werden müssten. Hierzu gehöre das Ziel der dauerhaften und nachhaltigen Verfügbarkeit auf dem Arbeitsmarkt wie auch die Versorgung von drei pflegebedürftigen Kindern.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Konstanz vom 14.04.2016 und den Bescheid der Beklagten vom 28.02.2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.08.2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr für den Zeitraum Juli 2013 bis Juli 2017 Kosten für die Arzneimittelbehandlung mit "Concerta" in Höhe von 5.178,81 EUR zu erstatten und sie künftig mit dem Arzneimittel "Concerta" gemäß ärztlicher Verordnung zu versorgen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, dass eine lebensbedrohliche oder gleichzusetzende Erkrankung der Klägerin nicht vorliege. Die generell erkannten Impulshandlungen würden kein Lebensrisiko durch die ADHS selbst darstellen. Konkrete Studien bezüglich der Wirksamkeit von "Concerta" seien nicht bekannt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg.
Die form- und fristgerecht (§ 151 Abs 1 SGG) eingelegte Berufung ist statthaft (§§ 143, 144 Abs 1 Satz 1 Nr 1 SGG) und damit zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Der angefochtene Bescheid vom 28.02.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.08.2014 ist rechtmäßig.
Hinsichtlich der im Zeitraum vom 01.07.2013 bis 31.12.2013 entstandenen Kosten für die Versorgung mit dem Medikament "Concerta" iHv 418,26 EUR hat sich der Rechtsstreit aufgrund angenommenen Teilanerkenntnisses gem § 101 Abs 2 SGG insoweit erledigt. Vor dem 01.07.2013 wurde die Klägerin nicht mit dem Medikament versorgt. Insoweit sind keine Kosten angefallen.
Über den 31.12.2013 hinaus hat die Klägerin keinen Anspruch auf Kostenerstattung und auf Versorgung mit dem Medikament "Concerta".
Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage ist mit dem im Berufungsverfahren gestellten Antrag zulässig. Der Zulässigkeit der allgemeinen Leistungsklage für die Zukunft steht nicht entgegen, dass die Beklagte über die Leistungsansprüche grundsätzlich durch Verwaltungsakt zu entscheiden hat. Verwaltungsentscheidungen zu Leistungsansprüchen für die Zukunft kann es naturgemäß noch nicht geben (vgl BSG 10.11.2005, B 3 KR 38/04 R, SozR 4-2500 § 37 Nr 6). Der Antrag auf Verurteilung zur künftigen Gewährung der genannten Medikamente ist sachdienlich (§ 106 Abs 1 SGG) und genügt dem Erfordernis der Bestimmtheit. Zwar muss die Leistungspflicht eines Sozialversicherungsträgers soweit wie möglich konkretisiert werden, um den Streitgegenstand zu kennzeichnen und die Zwangsvollstreckung zu ermöglichen bzw. zu erleichtern (vgl BSG 30.04.1986, 2 RU 15/85, BSGE 60, 87, 90 = SozR 1200 § 53 Nr 6). Von diesem Grundsatz kann jedoch im Einzelfall abgewichen werden, wenn eine nähere Konkretisierung entweder objektiv unmöglich ist oder wenn sich die Beteiligten nur über die Leistungspflicht dem Grunde nach streiten, jedoch kein Streit über die Einzelheiten der zu erbringenden Leistung besteht (BSG 17.01.1996, 3 RK 39/94, BSGE 77, 209 = SozR 3-2500 § 33 Nr 19). So liegt der Fall hier.
1) Als Anspruchsgrundlage für den Kostenerstattungsantrag kommt § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V in Betracht, da die Klägerin keine Kostenerstattung nach § 13 Abs 2 SGB V gewählt hatte. Danach sind die Kosten in der entstandenen Höhe zu erstatten, soweit die Leistung notwendig war, wenn die Krankenkasse eine unaufschiebbare Leistung nicht rechtzeitig erbringen konnte (Alt 1) oder eine Leistung zu Unrecht abgelehnt hat (Alt 2) und dadurch dem Versicherten für die selbstbeschaffte Leistung Kosten entstanden sind. § 13 Abs 3 Satz 1 SGB V gibt demnach einen Kostenerstattungsanspruch für den Fall, dass der Versicherte wegen eines Systemversagens gezwungen ist, sich eine Behandlung, die ihm die Krankenkasse an sich als Sachleistung schuldet, außerhalb des für Sachleistungen vorgesehenen Weges selbst zu beschaffen.
Für die Zeit vor Bescheiderlass am 28.02.2017 scheidet ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs 3 SGB V bereits mangels Kausalität aus. Die Selbstversorgung mit dem Medikament "Concerta" auf Privatrezept basiert zumindest bis zum Erlass des Bescheides nicht auf einer möglicherweise zu Unrecht erfolgten Ablehnung der Leistung durch die Beklagte.
Der Kostenerstattungsanspruch des § 13 Abs 3 SGB V reicht außerdem nicht weiter als ein entsprechender Sachleistungsanspruch; er setzt daher voraus, dass die selbstbeschaffte Behandlung zu den Leistungen gehört, welche die Krankenkassen allgemein in Natur als Sach- oder Dienstleistung zu erbringen haben (BSG 28.02.2008, B 1 KR 16/07 R, SozR 4-2500 § 31 Nr 9 ständige Rechtsprechung). Das ist hier nicht der Fall, weshalb weder der Kostenerstattungsanspruch noch der Anspruch auf Gewährung des Medikaments als Sachleistung in der Zukunft besteht.
Nach § 27 Abs 1 Satz 1 SGB V haben Versicherten Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst nach § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 3 SGB V u.a. die Versorgung mit Arzneimitteln. Das Arzneimittel "Concerta" ist mangels Arzneimittelzulassung für die bei der Klägerin vorliegende erstmals im Erwachsenenalter diagnostizierte ADHS nicht zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig (a). Es besteht auch kein Anspruch auf eine Versorgung nach den Grundsätzen des Off-Label-Use (b), der grundrechtsorientierten Leistungsgewährung (c) oder des Seltenheitsfalles (d). Die von der Klägerin geltend gemachten Lebensumstände (Verfügbarkeit auf dem Arbeitsmarkt, Pflege von Kindern) sind für den Senat zwar nachvollziehbar, können aber bei der Beurteilung des Sachleistungsanspruchs nicht berücksichtigt werden.
a) Die Klägerin kann von der Beklagten die Versorgung mit "Concerta" nach den allgemeinen Grundsätzen nicht verlangen. Versicherte können Versorgung mit vertragsärztlich verordneten Fertigarzneimitteln zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich nur beanspruchen, wenn eine arzneimittelrechtliche Zulassung für das Indikationsgebiet besteht, in dem sie angewendet werden sollen. Fertigarzneimittel sind mangels Zweckmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit (§ 2 Abs 1 Satz 3, § 12 Abs 1 SGB V) dagegen nicht von der Leistungspflicht nach § 27 Abs 1 Satz 2 Nr 2 und 3, § 31 Abs 1 Satz 1 SGB V umfasst, wenn ihnen die erforderliche arzneimittelrechtliche Zulassung nach § 21 Abs 1 Arzneimittelgesetz (AMG) fehlt (BSG 04.04.2006, B 1 KR 12/04 R, BSGE 96, 153 = SozR 4-2500 § 27 Nr 7 - ständige Rechtsprechung). "Concerta" ist zulassungspflichtig und weder in Deutschland noch EU-weit als Arzneimittel für die Behandlung einer erstmals im Erwachsenenalter diagnostizierten ADHS zugelassen. Dies bestätigt Dr. H. im MDK-Gutachten vom 10.06.2013. Diese Ausführungen des MDK macht der Senat zur Grundlage seiner Entscheidung. Im Übrigen gehen auch die gerichtliche Sachverständige und alle Beteiligten übereinstimmend und selbstverständlich davon aus, dass "Concerta" indikationsüberschreitend im Off-Label-Use angewendet wird. Hierfür ist unbeachtlich, dass die ADHS bei der Klägerin (so die Gutachterin Dr. N.-B.) bereits seit Kindheit besteht.
b) Die Voraussetzungen für einen Off-Label-Use sind nicht erfüllt. Dieser kommt nach ständiger Rechtsprechung des BSG nur in Betracht, wenn es 1. um die Behandlung einer schwerwiegenden (lebensbedrohlichen oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden) Erkrankung geht, wenn 2. keine andere Therapie verfügbar ist und wenn 3. auf Grund der Datenlage die begründete Aussicht besteht, dass mit dem betreffenden Präparat ein Behandlungserfolg (kurativ oder palliativ) erzielt werden kann (BSG 03.07.2012, B 1 KR 25/11 R, BSGE 11, 168 = SozR 4-2500 § 31 Nr 22).
Wie das SG zutreffend ausgeführt hat, fehlt es vorliegend an einer auf Grund der Datenlage begründeten Erfolgsaussicht, auch wenn hier eine schwerwiegende die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden Krankheit tatsächlich vorliegt. Von hinreichenden Erfolgsaussichten ist nur dann auszugehen, wenn Forschungsergebnisse vorliegen, die erwarten lassen, dass das betroffene Arzneimittel für die relevante Indikation zugelassen werden kann. Es müssen also Erkenntnisse in der Qualität einer kontrollierten klinischen Prüfung der Phase III (gegenüber Standard oder Placebo) veröffentlicht sein und einen klinisch relevanten Nutzen bei vertretbaren Risiken belegen (BSG 03.07.2012, a.a.O.). Es reicht nicht aus, dass die Behandlung im Einzelfall tatsächlich wirksam ist. Die Gutachter des MDK haben für den Senat nachvollziehbar dargelegt, dass keine randomisiert-kontrollierten klinischen Studien bezüglich der Wirksamkeit von "Concerta" bei erstmals im Erwachsenenalter diagnostizierter ADHS vorliegen. Eine Zulassung wird vom Hersteller wohl auch nicht angestrebt. Vielmehr wird sogar in der Fachinformationen in Nr 4.4 (Besondere Warnhinweise und Vorsichtsmaßnahmen für die Anwendung) explizit ausgeführt: "Anwendung bei Erwachsenen Sicherheit und Wirksamkeit der Therapieinitiierung bei Erwachsenen oder der routinemäßigen Weiterbehandlung über das Alter von 18 Jahren hinaus wurden nicht nachgewiesen. [ ] Anwendung bei älteren Patienten Methylphenidat darf nicht bei älteren Patienten angewendet werden. Sicherheit und Wirksamkeit von Methylphenidat in dieser Altersgruppe wurden nicht nachgewiesen."
Dass es für ein anderes, zugelassenes Methylphenidat-Präparat ("Medikinet adult") ausreichend Studien gibt, und daher der MDK eine Wirksamkeit von "Concerta" bei gleichem Wirkstoff für nicht unwahrscheinlich hält, führt noch nicht zu einer Zulassung(sreife) von "Concerta" selbst. Denn "Concerta" und "Medikinet adult" sind nicht identisch. Es besteht ein Unterschied im Wirkstoffgehalt und bezüglich der Zusammensetzung der Begleitstoffe. Die qualitativen Anforderungen an Phase III Studien sind deshalb für "Concerta" auch nicht verzichtbar. Die bei der Klägerin vorliegende gute Wirkung der Medikation mit "Concerta" reicht für die Annahme der Zulassungsreife keinesfalls aus.
Eine ungerechtfertigte Diskriminierung der Klägerin ist für den Senat hier nicht erkennbar. Auch wenn "Concerta" bei erwachsenen Patienten, bei denen ADHS bereits im Kindesalter diagnostiziert und behandelt worden ist, zur Fortführung der Therapie über das 18. Lebensjahr hinaus weiter verordnet werden darf, ist dieser Fall nicht mit dem der Klägerin vergleichbar. Denn gerade bei erstmals im Erwachsenenalter diagnostizierter und behandelter ADHS existieren keinerlei objektive Forschungsergebnisse, die eine Wirksamkeit des Medikaments belegen würden.
c) Die Klägerin kann die begehrten Arzneimittel auch nicht nach den Grundsätzen einer grundrechtsorientierten Leistungsauslegung verlangen. Wie das BVerfG klargestellt hat, ist ein verfassungsunmittelbarer Leistungsanspruch ganz eng auf extreme Situationen einer krankheitsbedingten Lebensgefahr beschränkt (BVerfG 10.11.2015, 1 BvR 2056/12, juris). Eine derartige Lebensgefahr besteht bei der Klägerin angesichts des vorliegenden ADHS ersichtlich nicht. Das nicht konkret absehbare Risiko einer Suizidhandlung bei ADHS-Patienten mit Impulskontrollsteuerungsstörung reicht hierfür keinesfalls aus. Zudem hat Dr. B. eine Suizidgefahr konkret bei der Klägerin ausgeschlossen. Aber auch die Voraussetzungen der vom BSG in seiner Rechtsprechung vorgenommene Erweiterung auf wertungsmäßig vergleichbare Erkrankungen in notstandsähnlichen Situationen (vgl BSG 14.12.2006 – B 1 KR 12/06 – SozR 4-2500 §&8201;31 Nr&8201;8 Rn&8201;20; BSG 5.5.2009 – B 1 KR 15/08 R – SozR 4-2500 §&8201;27 Nr&8201;16 = NJOZ 2009, 3296 mwN) sind nicht erfüllt. Es droht kausal wegen des ADHS weder der Verlust eines Sinnesorgans noch einer wichtigen Körperfunktion. Auch die Gutachterin Dr. N.-B. hat ausgeführt, dass es sich nicht um eine regelmäßig tödlich verlaufende Erkrankung handelt.
d) Auch nach den Grundsätzen eines Seltenheitsfalles kann die Klägerin die geltend gemachte Versorgung mit "Concerta" nicht beanspruchen. Ein Seltenheitsfall erfordert, dass das festgestellte Krankheitsbild auf Grund seiner Singularität medizinisch nicht erforschbar ist (BSG 08.11.2011, B 1 KR 20/10 R, BSGE 109, 218 = SozR 4-2500 § 31 Nr. 20). Dies ist bei ADHS, auch wenn es erstmals im Erwachsenenalter diagnostiziert wird, ersichtlich nicht der Fall. Selbst Dr. N.-B. bestätigt in ihrem Gutachten, dass die Prävalenz von ADHS im Erwachsenenalter auf 2,5-5 % der Gesamtbevölkerung geschätzt wird und ADHS, das erstmalig im Erwachsenenalter diagnostiziert wird, der systematischen wissenschaftlichen Erforschung zugänglich ist. Dies zeigt sich unter anderem auch am vorliegenden von entsprechenden Leitlinien.
2) Eine Kostenerstattung und der Leistungsanspruch ergibt sich schließlich auch nicht aus § 13 Abs. 3a SGB V. Diese Vorschrift lautet wie folgt: 1Die Krankenkasse hat über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (Medizinischer Dienst), eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. 2Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten. 3Der Medizinische Dienst nimmt innerhalb von drei Wochen gutachtlich Stellung. 4Wird ein im Bundesmantelvertrag für Zahnärzte vorgesehenes Gutachterverfahren durchgeführt, hat die Krankenkasse ab Antragseingang innerhalb von sechs Wochen zu entscheiden; der Gutachter nimmt innerhalb von vier Wochen Stellung. 5Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit. 6Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt. 7Beschaffen sich Leistungsberechtigte nach Ablauf der Frist eine erforderliche Leistung selbst, ist die Krankenkasse zur Erstattung der hierdurch entstandenen Kosten verpflichtet. 8Die Krankenkasse berichtet dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen jährlich über die Anzahl der Fälle, in denen Fristen nicht eingehalten oder Kostenerstattungen vorgenommen wurden. 9Für Leistungen zur medizinischen Rehabilitation gelten die §§ 14, 15 des Neunten Buches zur Zuständigkeitsklärung und Erstattung selbst beschaffter Leistungen.
Der über die vom Klägerin beauftragte Ärztin Dr. P. gestellte Antrag auf Kostenzusage für einen Therapieversuch mit "Concerta" (max. Dosierung 60mg/d) ist bei der Beklagten am 28.05.2013 eingegangen. Die Beklagte hat erst mit Bescheid vom 28.02.2014 über den Antrag entschieden. Damit ist jedenfalls die 5-Wochen-Frist offensichtlich nicht eingehalten. Die Mitteilung eines hinreichenden Grundes für die Nichteinhaltung ist nicht erfolgt. Der Senat kann offenlassen, ob gegebenenfalls bereits im Februar 2014 eine mündliche Ablehnung erfolgt ist. Denn auch dann ist die 5-Wochen-Frist offensichtlich bereits abgelaufen.
Gilt eine beantragte Leistung als genehmigt, erwächst dem Antragsteller hieraus ein Naturalleistungsanspruch als eigenständig durchsetzbarer Anspruch. Zudem entsteht bei Selbstverschaffung nach Fristablauf ein eigenständiger Kostenerstattungsanspruch.
a) Für den Eintritt der Genehmigungsfiktion und den Kostenerstattungsanspruch fehlt es jedoch an einem ausreichend bestimmten Antrag. Damit eine Leistung als genehmigt gelten kann, bedarf es eines fiktionsfähigen Antrags. Die Fiktion kann nur dann greifen, wenn der Antrag so bestimmt gestellt ist, dass die auf Grundlage des Antrags fingierte Genehmigung ihrerseits iS von § 33 Abs 1 SGB X hinreichend bestimmt ist. Ein Verwaltungsakt ist - zusammengefasst - inhaltlich hinreichend bestimmt (§ 33 Abs 1 SGB X), wenn sein Adressat objektiv in der Lage ist, den Regelungsgehalt des Verfügungssatzes zu erkennen und der Verfügungssatz ggf eine geeignete Grundlage für seine zwangsweise Durchsetzung bildet. So liegt es, wenn der Verfügungssatz in sich widerspruchsfrei ist und den Betroffenen bei Zugrundelegung der Erkenntnismöglichkeiten eines verständigen Empfängers in die Lage versetzt, sein Verhalten daran auszurichten. Die Anforderungen an die notwendige Bestimmtheit richten sich im Einzelnen nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden materiellen Rechts (BSG 11.07.2017, B 1 KR 26/16 R, mwN).
Diesem Bestimmtheitserfordernis wird der Antrag der Klägerin auf Kostenzusage für einen Therapieversuch mit "Concerta" nicht gerecht. Im Bereich der Arzneimittelversorgung ist § 73 Abs 2 S 1 Nr 7 SGB V zu beachten. Hiernach wird die Versorgung mit Arzneimitteln durch die vom Arzt ausgestellte Verordnung konkretisiert. Diese Verordnung bezeichnet nicht nur das für die Behandlung notwendige Medikament, sondern enthält auch Angaben über Dosierung und Einnahmezeitraum. Nur mittels der Verordnung weiß der Apotheker, welches Medikament in welcher Spezifikation konkret abzugeben ist. Nur mit einer konkreten ärztlichen Verordnung kann eine zwangsweise Durchsetzung erfolgen. Demnach kann eine Genehmigungsfiktion gemäß § 13 Abs 3a S 6 SGB V bezüglich einer Arzneimittelversorgung nur dann eintreten, wenn der Antrag eine konkrete ärztliche Verordnung enthält. Dies ist hier nicht der Fall. Das ärztliche Attest vom 28.05.2013 enthält nur die Aussage, dass ein Therapieversuch mit dem Medikament "Concerta" in einer maximalen Dosierung von 60 mg/d geplant ist. Diese Angabe ist hinsichtlich der Abgabe des Medikaments in der Apotheke nicht bestimmt genug. Dies zeigte auch an dem Umstand, dass die Klägerin tatsächlich ab Therapiebeginn Privatrezepte mit konkreten Angaben zur Medikation erhalten hat.
b) Der Anspruch nach § 13 Abs 3a SGB V scheitert aber auch daran, dass die Versorgung mit dem nicht zugelassenen Medikament "Concerta" offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) lag und die Klägerin diese Leistung nicht für erforderlich halten durfte.
Die Gesetzesregelung ordnet diese Einschränkungen für die Genehmigungsfiktion zwar nicht ausdrücklich, aber sinngemäß nach dem Regelungszusammenhang und -zweck an. Denn die Genehmigungsfiktion begründet zugunsten des Leistungsberechtigten einen Naturalleistungsanspruch, dem der im Anschluss hieran geregelte, den Eintritt der Genehmigungsfiktion voraussetzende naturalleistungsersetzende Kostenerstattungsanspruch im Ansatz entspricht (vgl § 13 Abs 3a S 7 SGB V). Die Begrenzung auf erforderliche Leistungen bewirkt eine Beschränkung auf subjektiv für den Berechtigten erforderliche Leistungen, die nicht offensichtlich außerhalb des Leistungskatalogs der GKV liegen. Einerseits soll die Regelung es dem Berechtigten erleichtern, sich die ihm zustehende Leistung zeitnah zu beschaffen. Andererseits soll sie ihn nicht zu Rechtsmissbrauch einladen, indem sie Leistungsgrenzen des GKV-Leistungskatalogs überwindet, die jedem Versicherten klar sein müssen (BSG 08.03.2016, B 1 KR 25/15 R, BSGE 121, 40-49, SozR 4-2500 § 13 Nr 33, Rn. 25; BSG 11.07.2017, B 1 KR 26/16 R).
Die Versorgung mit einem nicht zugelassenen Medikament unterfällt niemals dem Leistungskatalog der GKV. Nachdem die behandelnde Ärztin explizit einen Therapieversuch mit dem für die Indikation der Klägerin nicht zugelassenen Medikament beantragt hat, war für die Beteiligten auch von vornherein klar, dass die Leistung außerhalb des Leistungskatalogs der GKV liegt. Die Klägerin durfte die Versorgung mit "Concerta" in ihrem Fall deshalb auch nicht für erforderlich halten.
c) Zuletzt scheitert eine Genehmigungsfiktion im vorliegenden Fall auch daran, dass sich der Antrag aus Mai 2013 ausschließlich auf einen Therapieversuch bezog. Ein Antrag auf Versorgung mit dem Medikament "Concerta" außerhalb des Therapieversuchs (auf Dauer) liegt frühestens im Februar 2014 vor. Bezüglich des Therapieversuchs hat die Beklagte den Anspruch anerkannt. Die Versorgung mit dem Medikament über den Therapieversuch hinaus lässt sich mit einem solchen Antrag nicht fingieren.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Angesichts des geringen Erstattungsbetrages aufgrund des Teilanerkenntnisses im Vergleich zur gesamten Klageforderung (Kostenerstattung und künftiger Leistungsanspruch) entspricht es der Billigkeit, der Klägerin keine Kosten zu erstatten.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs 2 Nrn 1 und 2 SGG) liegen angesichts der gefestigten Rechtsprechung zum Off-Label-Use nicht vor.
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