Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 4 R 115/13
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 2 R 53/15
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Auf die Berufung des Klägers werden das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 12. März 2015 und der Bescheid der Beklagten vom 30. August 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Januar 2013 aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung ab dem 1. August 2012 auf Dauer zu zahlen. 2. Die Beklagte hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen zu erstatten. 3. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist ein Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Der am xxxxx 1964 geborene Kläger erlangte im August 1983 die Mittlere Reife und besuchte anschließend bis Juli 1985 eine Fachoberschule, die er mit dem Fachabitur abschloss. Anschließend nahm er nach eigenen Angaben eine Ausbildung zum Groß- und Einzelhandelskaufmann auf, die er entweder zum 31. Dezember 1985 (so seine Angaben bei Rentenantragstellung) oder aber zum 28. Februar 1986 (so seine Angaben gegenüber dem Sachverständigen Prof. Dr. H.) abbrach. Danach war er bis Ende 1986 versicherungspflichtig beschäftigt und leistete von Januar 1987 bis einschließlich August 1988 Zivildienst. Zwischen September 1988 und Dezember 1990 war er – unterbrochen durch eine Umschulung in der Zeit von September 1989 bis zum Mai 1990 – als Grafik-Designer beschäftigt. Vom 24. Dezember 1990 bis zum 18. Juli 1994 befand sich der Kläger in Untersuchungshaft. Sein Versicherungsverlauf stellt sich für die Zeit bis zu seiner Inhaftierung wie folgt dar: 1. August 1985 bis 31. Dezember 1985 5 Monate Pflichtbeitragszeit 1. Januar 1986 bis 28. Februar 1986 2 Monate Pflichtbeitragszeit 1. März 1986 bis 31. Dezember 1986 10 Monate Pflichtbeitragszeit 5. Januar 1987 bis 31. Dezember 1987 12 Monate Pflichtbeitragszeit 1. Januar 1988 bis 31. August 1988 8 Monate Pflichtbeitragszeit 12. September 1988 bis 30. September 1988 1 Monat Pflichtbeitragszeit 1. Oktober 1988 bis 30. November 1988 2 Monate Pflichtbeitragszeit 1. Dezember 1988 bis 31. Dezember 1988 1 Monat Pflichtbeitragszeit 1. Januar 1989 bis 28. September 1989 9 Monate Arbeitslosigkeit 29. September 1989 bis 17. Dezember 1989 3 Monate Arbeitslosigkeit 18. Dezember 1989 bis 31. Dezember 1989 Arbeitslosigkeit 1. Januar 1990 bis 28. Februar 1990 2 Monate Arbeitslosigkeit 1. März 1990 bis 14. März 1990 1 Monat Pflichtbeitragszeit 1. März 1990 bis 14. März 1990 Arbeitslosigkeit 15. März 1990 bis 31. Dezember 1990 9 Monate Pflichtbeitragszeit
Durch Urteil des Landgerichts Hamburg vom 6. April 1993 (Aktenzeichen 622 Ks 7/92) wurde der Kläger wegen Mordes in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit Vergewaltigung und Entführung gegen den Willen der Entführten, in einem Fall darüber hinaus in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Gericht ordnete gemäß § 63 Strafgesetzbuch (StGB) die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, da der Kläger die rechtswidrigen Taten im Zustand verminderter Schuldfähigkeit im Sinne von § 21 StGB begangen habe und da aufgrund seiner bisher unbehandelt gebliebenen krankhaften Persönlichkeitsstörung mit weiteren Tötungstaten zum Nachteil ihm bis dahin unbekannter Zufallsopfer zu rechnen und er deswegen in ganz hohem Maße für die Allgemeinheit gefährlich sei. Das Urteil wurde am 6. Juli 1994 rechtskräftig.
Nach den Feststellungen des Strafurteils verspürte der Kläger erstmals im Sommer 1987 den Drang, eine Frau zu töten. Nachdem sich dies im November 1987 zunächst ohne Folgen wiederholt hatte, tötete der Kläger am 23. November 1987 eine 20-jährige Studentin. Nachdem ein weiteres Auftreten des Tötungsdrangs Anfang Januar 1988 wiederum ohne konkrete Folgen geblieben war, beging der Kläger am 16. Januar 1988 eine tateinheitlich begangene Nötigung, Freiheitsberaubung und vorsätzliche Körperverletzung zum Nachteil einer 19-jährigen Schülerin, wegen der er am 11. Mai 1988 vom Amtsgericht Hamburg-Wandsbek (Aktenzeichen 725c-213/88 – Ls 51 Js 79/88) zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt wurde. Auch diese Tat war vom Tötungsdrang getragen. In der Nacht vom 10. auf den 11. Februar 1988 töte der Kläger, der erneut einen solchen Drang verspürt hatte, eine weitere Frau. Das Verlangen, eine ihm unbekannte Frau zu töten, trat erneut im Zeitraum April/Mai 1989 auf. In der Folgezeit kam es dreimal zu ähnlichen Vorfällen, bis der Kläger am 26. November 1990 eine 22-jährige Fachschülerin töte (wegen dieser Tat wurde er vom Landgericht Stade zunächst mit Urteil vom 2. September 1992 – Aktenzeichen 10 Ks 4 Js 20458/90 – wegen Totschlags und Nötigung verurteilt und später durch Urteil vom 29. September 1994 wegen Mordes in Tateinheit mit Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren; auch hier wurde die Unterbringung in einem Psychiatrischen Krankenhaus angeordnet). Die Unterbringung dauert – unterbrochen von dem Zeitraum, in dem sich der Kläger auf der Flucht befand (September bis Dezember 1995) – seither an. Den Urteilen der Langerichte Hamburg und Stade lag in psychiatrischer Hinsicht ein – in den mündlichen Verhandlungen erörtertes – Gutachten des Arztes für Psychiatrie und Neurologie Prof. Dr. H. vom 9. März 1992 zugrunde.
In der Folge äußerten sich verschiedene Ärzte zur Frage einer geeigneten Therapie, zur Frage, ob dem Kläger unbewachte Intimkontakte mit seiner (damaligen) Ehefrau zu gewähren seien, sowie zur Fortdauer der Unterbringung:
In einer Stellungnahme von Prof. Dr. B1 vom 23. Juni 1995 heißt es, beim Kläger bestehe eine kombinierte Persönlichkeitsstörung, bei der Narzissmus und eine Borderline-Symptomatik im Vordergrund stünden und außerdem deutlich paranoide und sadistische Persönlichkeitszüge vorhanden seien. Es bestünden nur eingeschränkte psychotherapeutische Erfolgschancen.
Der Arzt für Psychiatrie, Psychoanalyse und Psychotherapie Dr. S. erklärte in einer Stellungnahme vom 18. September 1995, er stimme mit der Diagnose einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung mit sehr massiv abgespaltenen destruktiven Anteilen überein. Das Ausmaß des abgespaltenen aggressiv-destruktiven Potentials sei so hoch, dass im Verlauf einer Behandlung nicht zu erwarten sei, diese Anteile in den kontrollierbaren Bereich der Persönlichkeit des Klägers zu integrieren.
Der Arzt für Psychiatrie und Neurologie Prof. Dr. V. führte in seinem Gutachten vom 30. Oktober 1996 hierzu aus, die in den Formulierungen scheinbar etwas divergierenden bisherigen diagnostischen Festlegungen seien im Grunde deckungsgleich, da die Ärzte grundsätzlich vom Vorliegen einer schweren Persönlichkeitsstörung ausgingen. Dieser Diagnose sei beizupflichten. Der Kläger habe durch exzessives, sadistisch-destruktives Agieren den therapeutischen Rahmen zerstört und "die Institution gewissermaßen in einem Umfange traumatisiert, dass entscheidende Grundvoraussetzungen für eine psychotherapeutische Arbeit" zerstört seien. Er bemäntle sein Agieren auch mit einer missionarischen Attitüde und stilisiere sich gewissermaßen zu einem Robin Hood des Maßregelvollzugs hoch. Die Unterbringungssituation sei inzwischen ausschließlich durch den Sicherungsaspekt gekennzeichnet. Ob eine intensivierte längerfristige Therapie überhaupt denkbar sei, lasse sich erst dann erkennen, wenn im Rahmen eines Therapieversuchs erarbeitet werden könne, dass der zweifellos vorhandene Leidensdruck ausschließlich aus der Verurteilung und der Unterbringungssituation erwachse oder aber aus ehrlicher Bestürzung über das Geschehene.
In einem psychiatrischen Prognosegutachten des Dr. L. vom 6. Juni 2005 ist die Rede davon, der Kläger werde in seinem Verhalten unverändert von nachhaltig fremdgefährlichen Auswirkungen der bei ihm zugrundeliegenden psychischen Störungen beherrscht. Seine fremdaggressiven Impulse vermöge er wegen einer hochgradig verfestigten feindlichen Haltung mit chronisch verfolgenden Hassgefühlen und einer umfassenden paranoid gefärbten Verzerrung der Wahrnehmung realer Gegebenheiten nicht zu steuern. Aktuell hätten sich konkrete Hinweise auf eine manifeste Fremdgefährdung ergeben.
Prof. Dr. H. äußerte sich in seinem Gutachten vom 23. April 2006 angesichts der schweren Persönlichkeitsstörung und des Risikos affektbestimmter Gewalttaten gegen die beantragten unbewachten Intimkontakte zwischen dem Kläger und seiner damaligen Ehefrau.
Die Psychologische Psychotherapeutin Frau Prof. Dr. N. stellte in ihrem Gutachten vom 6. Juli 2009 eine schwere narzisstische Persönlichkeitsstörung auf Borderline-Niveau fest, auf deren Grundlage sich ganz erhebliche sadistische Persönlichkeitszüge entwickelt hätten. Überdies liege der Verdacht einer sadistischen sexuellen Deviation nahe. Wenn die verschiedenen Gutachter für diese Störung etwas unterschiedliche Begrifflichkeiten benutzten, seien damit keine voneinander abweichenden Diagnosen gemeint; vielmehr seien diese Unterschiede auf unterschiedliche theoretische Hintergründe zurückzuführen. Vom Kläger seien mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit noch weitere rechtswidrige, den Unterbringungsdelikten entsprechende Taten zu erwarten, so dass er für die Allgemeinheit gefährlich sei.
In einer Stellungnahme der A. Klinik N1 vom 28. Oktober 2009 wurde die Diagnose einer schweren narzisstischen Persönlichkeitsstörung auf Borderline-Strukturniveau mit erheblichen paranoiden und sadistischen Zügen (maligner Narzissmus) bei Verdacht auf eine sadistische sexuelle Deviation gestellt. Zwar habe sich der Kläger im Berichtszeitraum weniger destruktiv gezeigt, jedoch habe sich im Bereich der forensisch relevanten Dimension der zu behandelnden Störung keine Verbesserung ergeben.
In einer Stellungnahme der A. Klinik N1 vom 1. Oktober 2010 blieben die bisherigen Diagnosen bestehen. Die Bedingungen für einen im engeren Sinne therapeutisch ausgerichteten Prozess lägen aufgrund der Schwere der Störung und der ungünstigeren gemeinsamen Vorgeschichte nicht vor. Im Bereich der forensisch relevanten Dimension der zu behandelnden Störung habe sich keine Verbesserung ergeben.
Aus Stellungnahmen der A. Klinik N1 vom 4. November 2011 und vom 19. Oktober 2012 ergab sich weitgehend dasselbe.
In einem weiteren Prognosegutachten des Dr. L. vom 14. Mai 2014 ist von einer ausgeprägten narzisstischen Persönlichkeitsstörung bei Borderline-Struktur mit chronifizierter Abweichung des Sexualverhaltens und fixierten Paraphilien mit progredientem Verlauf die Rede. Das Risiko sei deutlich erhöht, dass sich beim Kläger erneut Tötungsphantasien ausbildeten, die unmittelbar und dranghaft in die Tat umgesetzt würden, wenn er sich außerhalb des Maßregelvollzugs aufhalte.
Am 8. August 2012 beantragte der Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung mit der Begründung, er sei seit dem 1. Januar 1991 aufgrund einer schweren psychischen Erkrankung, die eine Unterbringung nach § 63 StGB zur Folge habe, arbeitsunfähig krank.
Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 30. August 2012 mit der Begründung ab, der Kläger habe – unter Zugrundelegung eines Versicherungsfalles vom 8. August 2012 – die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der begehrten Rente nicht erfüllt. In der Zeit vom 8. August 2007 bis zum 7. August 2012 sei kein Monat mit Pflichtbeiträgen belegt. Ein Fall der vorzeitigen Wartezeiterfüllung sei nicht gegeben.
Der Kläger erhob hiergegen am 5. September 2012 Widerspruch, zu dessen Begründung er ausführte, die Erwerbsminderung sei bereits im Jahr 1990 eingetreten. Eine gesetzliche Bestimmung, wonach er seinen Rentenantrag unmittelbar nach deren Eintritt habe stellen müssen, gebe es nicht.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 8. Januar 2012 zurück: Auch unter Zugrundelegung eines Versicherungsfalles vom 1. Januar 1991 sei die allgemeine Wartezeit nicht erfüllt, da nur 50 Monate mit Beitragszeiten belegt seien. Eine vorzeitige Wartezeiterfüllung nach § 53 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) scheide aus, da in der Zeit vom 1. Januar 1989 bis zum 31. Dezember 1990 nur zehn Monate mit Pflichtbeiträgen belegt seien. Auch § 241 SGB VI sei hier nicht einschlägig.
Am 31. Januar 2013 hat der Kläger Klage erhoben.
Er hat ausgeführt, die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen seien jedenfalls in Anwendung von § 53 Abs. 2 SGB VI erfüllt.
Die Beklagte hat ausgeführt, die Wartezeit sei nach Durchführung des Versorgungsausgleichs als erfüllt anzusehen. Auch die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen seien erfüllt.
Das Sozialgericht hat den Kläger durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. R. begutachten lassen. Der Sachverständige hat beim Kläger eine Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen, teilweise paranoiden Symptomen und sadistischer Deviation festgestellt. Allein aus der Tatsache, dass der Kläger in Freiheit eine Gefahr für andere wäre, folge aber nicht, dass er keine Arbeit aufnehmen könne. Er gehe auch im Klinikum einer betreuten Tätigkeit nach. Hinweise auf eine Einschränkung der Erwerbsfähigkeit aufgrund einer Erkrankung des psychiatrischen Fachgebietes gebe es nicht. Somit könne der Kläger körperlich mittelschwere Arbeiten, geistig durchschnittlicher Art mit durchschnittlicher Verantwortung in wechselnden Körperhaltungen, nicht unter besonderem Zeitdruck, nicht in Akkord-, Schicht- und Nachtarbeit, möglichst nicht unter Einfluss von Witterung, Staub, Dämpfen oder Geräuschen, zu ebener Erde, leisten. Unter Beachtung dieser Einschränkungen könne der Kläger vollschichtig tätig sein. Wenn die Unterbringung gemäß § 63 StGB nicht bestünde, könnte der Kläger zweimal täglich öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeit benutzen. Eine Strecke von 500 Metern könne er in weniger als 20 Minuten bewältigen. Aufgrund der Unterbringung nach § 63 StGB könne ein Personenkraftwagen nicht gelenkt werden.
Der Kläger ist dem Gutachten unter Verweis auf das Prognosegutachten von Dr. L. vom 14. Mai 2014 entgegen getreten: Auch wenn die rein körperlichen Voraussetzungen für die Ausführung einer Arbeit vorlägen, stelle sich angesichts der auch vom Sachverständigen festgestellten Fremdgefährdung die Frage, ob er tatsächlich arbeiten könne. Allein die Umstände der Unterbringung gewährleisteten eine gewisse Belastbarkeit. Weiterhin habe der Sachverständige nicht berücksichtigt, dass der Kläger vermehrt unter Migräne sowie heftigen psychosomatischen "Reaktionen auf Psychotherapie" leide.
Das Sozialgericht hat die Klage ohne mündliche Verhandlung durch Urteil vom 12. März 2015 abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung, da er ausweislich des Gutachtens von Dr. R. nicht erwerbsgemindert sei. Er könne noch körperlich mittelschwere Arbeiten, geistig durchschnittlicher Art mit durchschnittlicher Verantwortung in wechselnden Körperhaltungen, nicht unter besonderem Zeitdruck, nicht in Akkord-, Schicht- und Nachtarbeit, möglichst nicht unter Einfluss von Witterung, Staub, Dämpfen oder Geräuschen, zu ebener Erde, leisten. Unter Beachtung dieser Einschränkungen könne der Kläger vollschichtig tätig sein. Die Unterbringung hinweggedacht sei auch die Wegefähigkeit erhalten. Der Sachverständige habe auch zutreffend darauf hingewiesen, dass der Kläger bei Tatbegehung erwerbstätig gewesen sei und bis zu seiner Verhaftung Erwerbseinkommen erzielt habe. Der Maßregelvollzug verhindere zwar die Teilnahme des Klägers an der Gesellschaft und damit auch die Arbeitsaufnahme, dies habe aber keine gesundheitlichen Gründe. Strafhaft oder Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fänden bei der Frage nach einer etwaigen Verschlossenheit des Arbeitsmarktes ebenso wenig Berücksichtigung wie Analphabetismus oder Lebensalter. Dass der Kläger keinen Arbeitsplatz finde, der seinem Leistungsvermögen entspreche, falle in den Risikobereich der Arbeitslosenversicherung. Es liege auch keine Summierung außergewöhnlicher Leistungsbeeinträchtigungen vor. Eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit komme wegen des Geburtsdatums des Klägers nicht in Betracht.
Am 21. April 2015 hat der Kläger gegen das (seinem erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten am 2. April 2015 zugestellte) Urteil Berufung eingelegt und diese damit begründet, dass die Unterbringung ihn daran hindere, eine Arbeitsstelle aufzusuchen. Dies führe zum Entfallen der Wegefähigkeit und damit zur Verschlossenheit des Arbeitsmarktes. Diese Unfähigkeit, einen Arbeitsplatz aufzusuchen, sei einmal dem physischen Hemmnis der Unterbringung geschuldet, mittelbar aber auch einer schweren gesundheitlichen Beeinträchtigung. Der Einschätzung, der Kläger sei ein gemeingefährlicher Straftäter, liege seine Erkrankung zugrunde. Die Unterbringung sei daher auch keine Form der Bestrafung, sondern trage der schwerwiegenden psychischen Erkrankung des Täters Rechnung. § 63 StGB setze einen krankhaften psychischen Zustand voraus. Diese Erkrankung habe auch zu dem hier maßgeblichen Zeitpunkt am 1. Januar 1991 vorgelegen. Der Kläger habe bereits im Oktober 1987 erstmalig einen Tötungsimpuls verspürt, was – wie auch die späteren Taten – einer schweren psychischen Beeinträchtigung zuzuschreiben sei. Sowohl Dr. R. als auch Dr. L. hätten bei ihm eine schwere psychische Störung festgestellt, aufgrund derer seine Willenssteuerung aufgehoben sei und die im Übrigen auch dann eine Unterbringung rechtfertigte, wenn der Täter zuvor keine Straftaten begangen hätte. Auch Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz und die Vorschriften des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes geböten eine Berücksichtigung der psychischen Störung als Krankheit. Auf die Bitte des Senats, nachzuweisen, dass er nach Schulabschluss tatsächlich eine Ausbildung begonnen habe, hat der Kläger seine damalige Lohnsteuerkarte sowie eine Auskunft der Handelskammer Hamburg vorgelegt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 12. März 2015 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 30. August 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Januar 2013 zu verurteilen, ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Sie hat auf Nachfrage ausgeführt, unter Zugrundelegung eines Versicherungsfalles am 1. Januar 1991 seien die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt, unter Zugrundelegung eines Versicherungsfalles am Datum der Antragstellung (8. August 2012) hingegen nicht. Das Vorliegen von Erwerbsminderung lasse sich auch nicht unter dem Aspekt mangelnder Wegefähigkeit begründen: Der generalisierte Maßstab, den das Bundessozialgericht bei der Beurteilung der Wegefähigkeit grundsätzlich anlege, gelte nicht auch für Fälle der Unterbringung im Straf- und Maßregelvollzug. Da der in diesen Fällen fehlende Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt auch als Teil der Bestrafung oder als Folge der Unterbringung anzusehen sei, sei der Weg zu einem möglichen Arbeitsplatz bereits aus strafrechtlichen Gründen versperrt. Außerdem sei es systemwidrig, wenn dem Kläger aus der Unterbringung ein rentenrechtlicher Vorteil entstünde. Gesundheitliche Gründe, die unmittelbar die Wegefähigkeit einschränkten, lägen nicht vor. Die Unterbringung im Maßregelvollzug sei nicht aufgrund einer Erkrankung des Klägers erfolgt, sondern aufgrund der von ihm begangenen Straftaten und der Prognose hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit weiterer Straftaten. Somit schließe die Unterbringung nicht seine Erwerbsfähigkeit aus, sondern nur seine Erwerbsmöglichkeiten (Hinweis auf BSG, Urteil vom 23. Oktober 1996 – 4 RA 1/96). Schließlich habe das Bundessozialgericht für Fallkonstellationen wie die vorliegende einen Rentenanspruch explizit verneint: Wesentliche Ursache einer Minderung der Erwerbsfähigkeit müssten Krankheit, Gebrechen oder eine Schwäche der körperlichen oder geistigen Kräfte sein. Es genüge nicht, wenn ein Versicherter aus Gründen der öffentlichen Sicherheit in einer Heil- und Pflegeanstalt untergebracht worden sei und deswegen einer Erwerbstätigkeit nicht nachgehen könne (Hinweis auf BSG, Urteil vom 26. Juni 1969 – 12 RJ 418/66, SozR Nr. 74 zu § 1246 RVO, sowie auf BSG, Urteil vom 27. Mai 1959 – 1 RA 34/58, und LSG Bremen, Urteil vom 10. April 1997 – L 2 An 7/95).
Der Senat hat zu der Frage, ob der Kläger nach Schulabschluss mit einer Ausbildung begonnen hatte, eine Auskunft der Firma B. AG eingeholt, die mitgeteilt hat, der Kläger sei dort nicht bekannt und die Unterlagen der Jahre 1985 und 1986 seien bereits vernichtet. Er hat weiterhin eine Auskunft der Handelskammer Hamburg vom 18. April 2016 eingeholt, wonach der Kläger ausweislich der Liste aller bei der Handelskammer eingetragenen Ausbildungsverhältnisse in der Zeit vom 1. August 1985 bis zum 29. Januar 1986 bei der B. AG in der Ausbildung zum Groß- und Einzelhandelskaufmann gewesen sei.
Die Beklagte hat darauf erklärt, sie sehe angesichts dessen einen Tatbestand der Ausbildung als gegeben an. Auch der vorangehende Besuch einer Fachoberschule stelle einen solchen dar. Allerdings setze eine Prüfung der Wartezeit und der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der begehrten Rente die zeitliche Festlegung eines Eintritts von Erwerbsminderung voraus, die sich anhand forensischer Gutachten zur Unterbringung im Maßregelvollzug nicht treffen lasse.
Der Kläger und die Beklagte haben sich mit Schriftsätzen vom 11. und 22. April 2016 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Prozessakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die dem Senat bei seiner Entscheidung vorgelegen haben.
Entscheidungsgründe:
Der Senat entscheidet im Einverständnis mit den Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung.
Die nach den §§ 143, 144 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerechte (§ 151 SGG) Berufung ist begründet. Das Urteil des Sozialgerichts und die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig. Der Kläger hat Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Nach § 43 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie 1. voll erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt.
I.) Der Kläger ist voll erwerbsgemindert im Sinne von § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI. Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).
1.) Der Kläger leidet an einer Krankheit im genannten Sinne. Krankheit im Sinne von § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI ist jeder regelwidrige körperliche, geistige oder seelische Zustand (Gesundheitsstörung), der geeignet ist, die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten herabzusetzen (Freudenberg in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 2. Aufl. 2013, § 43 Rn. 62). Eine derartige Krankheit liegt beim Kläger vor. Er leidet an einer schweren Erkrankung des psychiatrischen Fachgebietes. Diese ist in den verschiedenen Sachverständigengutachten, die über einen langen Zeitraum und zu unterschiedlichsten Fragestellungen erstattet worden sind, zwar terminologisch unterschiedlich bezeichnet worden, im Kern und insbesondere in ihren Auswirkungen auf das Leistungsvermögen des Klägers jedoch als gesichert anzusehen. Prof. Dr. H. war in seinem Gutachten aus 1992 von einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung ausgegangen, Prof. Dr. B1 (und im Anschluss an ihn auch Dr. S.) im Jahr 1995 von einer kombinierten Persönlichkeitsstörung, bei der Narzissmus und eine Borderline-Symptomatik im Vordergrund stünden und außerdem deutlich paranoide und sadistische Persönlichkeitszüge vorhanden seien. Dr. V. betonte im Jahr 1996 (wie später auch Frau Prof. Dr. N.), dass diese Diagnosen trotz in den Formulierungen scheinbar etwas divergierender Festlegungen deckungsgleich seien, da richtigerweise eine schwere Persönlichkeitsstörung angenommen worden sei. Auch das Gutachten von Prof. Dr. H. aus dem Jahr 2005 spricht von einer schweren Persönlichkeitsstörung und im dem Gutachten von Frau Prof. Dr. N. aus 2009 ist von einer schweren narzisstischen Persönlichkeitsstörung auf Borderline-Niveau die Rede, auf deren Grundlage sich ganz erhebliche sadistische Persönlichkeitszüge entwickelt hätten. Nachfolgende Stellungnahmen des Krankenhauses, in dem der Kläger untergebracht ist, halten an dieser Diagnose im Wesentlichen fest, ebenso Dr. L. in seinem Prognosegutachten aus Mai 2014 und – im vorliegenden Verfahren – auch Dr. R ...
Welche dieser Bezeichnungen die eigentlich zutreffende ist, kann dahinstehen. Da nicht nur bestimmte Erkrankungen in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert sind, ist eine möglichst präzise Einordnung der Erkrankung nicht erforderlich, solange sich die behandelnden und begutachtenden Ärzte nur – wie im vorliegenden Fall geschehen – an einem anerkannten Klassifikationssystem orientiert haben und erkennbar ist, ob sie von übereinstimmenden oder unterschiedlichen Gesundheitsstörungen ausgehen (zu alledem Freudenberg in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 2. Aufl. 2013, § 43 Rn. 63).
2.) Der Kläger ist wegen dieser Krankheit auf nicht absehbare Zeit außerstande, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Wie das Bundessozialgericht unter anderem in dem von der Beklagten angeführten Urteil vom 26. Juni 1969 (Az. 12 RJ 418/66, SozR Nr. 74 zu § 1246 RVO = juris, Rn. 11) festgestellt hat, setzt ein Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit einen ursächlichen Zusammenhang (im Sinne der sozialrechtlichen Theorie von der wesentlichen Bedingung) zwischen dem im Gesetz genannten Beeinträchtigungen des körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes (in § 43 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 SGB VI: Krankheit oder Behinderung) und der eigentlichen Erwerbsminderung, das heißt den konkreten Leistungseinschränkungen voraus (aus neuerer Zeit etwa das ebenfalls von der Beklagten angeführte Urteil des BSG vom 23. Oktober 1996 – 4 RA 1/96 – SozR 3-2600 § 43 Nr. 14; zum Ganzen auch Freudenberg, a.a.O., Rn. 98 ff. m.w.N.).
Soweit das Bundessozialgericht mit Urteil vom 28. Oktober 1966 (Az. 4 RJ 121/64, SozR Nr. 11 zu § 1286 RVO, bestätigt in BSG, Urteil vom 26. Juni 1969 – 12 RJ 418/66, SozR Nr. 74 zu § 1246 RVO = juris, Rn. 11) entschieden hat, dass ein Versicherter nicht bereits deswegen erwerbsgemindert ist, weil er – ohne an einer Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwächen zu leiden – wegen Suizidgefahr (d.h. Eigengefährdung) in der geschlossenen Abteilung eines Krankenhauses untergebracht ist, spricht dies im vorliegenden Fall nicht gegen einen Rentenanspruch des Klägers, denn er ist – wie ausgeführt – eindeutig psychisch krank. Anders als in dem seinerzeit vom Bundessozialgericht entschiedenen Fall ist die Unterbringung nicht etwa trotz mangelnder diagnostischer Abklärung erfolgt und aufrechterhalten worden, sondern aufgrund regelmäßiger Prüfung durch geeignete Sachverständige. Außerdem mögen zwar seit der Zeit, aus der das Urteil des Bundessozialgerichts vom 28. Oktober 1966 stammt, die positiv-rechtlichen Maßstäbe für ein behördliches Einschreiten zur Verhinderung eines Suizids gleich geblieben sein mögen, ihre Auslegung hat sich indes erheblich geändert: Während nach heutigem Verständnis der in freier Selbstbestimmung geplante und versuchte Suizid (sog Bilanzselbstmord) eine Unterbringung nicht rechtfertigt (dazu etwa OLG Zweibrücken, Beschluss vom 14. Juni 2006 – 3 W 98/06, juris, Rn. 13), wurde seinerzeit jedweder (versuchte) Suizid als Verstoß gegen die öffentliche Ordnung im Sinne des Gefahrenabwehrrechts betrachtet (dazu rückblickend Vahle, DVP 2014, 91 [92] unter Hinweis auf einschlägiges rechtswissenschaftliches Schrifttum aus den Jahren 1961 und 1972): Hierbei sollte zugleich eine Art Vermutung gelten, wonach der Betroffene sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand befinde und daher die Risiken einer Selbstgefährdung nicht zutreffend abschätzen könne (so Frotscher, DVBl. 1976, 695 [701]). Während also die Tatsache der Unterbringung seinerzeit oft nicht mehr als ein Indiz für das Vorliegen einer gravierenden psychischen Erkrankung geliefert haben mag, ist das genannte Urteil des Bundessozialgerichts nicht auch auf Fallkonstellationen anwendbar, in denen – wie im vorliegenden Fall – eine psychische Erkrankung erheblichen Ausmaßes durch eine Vielzahl ärztlicher Gutachten festgestellt worden ist.
Ist hingegen eine Krankheit im Sinne von § 43 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 SGB VI festgestellt, so schließt eine aus Sicherheitsgründen angeordnete Unterbringung einen Rentenanspruch nicht per se aus (so insbesondere BSG, Urteil vom 26. Juni 1969 – 12 RJ 418/66, SozR Nr. 74 zu § 1246 RVO = juris, Rn. 11 und 12): Das Bundessozialgericht statuiert auch insoweit lediglich die Einschränkung, dass Krankheit oder Behinderung die wesentliche Bedingung für die Minderung der Fähigkeit des Versicherten zum Erwerb sein müssen und es nicht genügt, wenn der Versicherte aus anderen Gründen – etwa aus Gründen der öffentlichen Sicherheit – in einer Heil- oder Pflegeanstalt untergebracht worden ist und nur infolge seiner Unterbringung nicht imstande ist, durch eine Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsfeld die gesetzliche Lohnhälfte zu verdienen (BSG, a.a.O., Rn. 11, Hervorhebungen hinzugefügt).
Der Kläger ist nicht etwa allein aufgrund seiner Unterbringung außerstande, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Vielmehr schließt seine psychische Erkrankung auch unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen aus § 63 StGB seine Erwerbsfähigkeit aus. Der Kläger wäre auch dann voll erwerbsgemindert, wenn die Unterbringung aus Rechtsgründen (etwa wegen Unvereinbarkeit der einschlägigen Vorschriften mit Verfassungsrecht) zu beenden wäre.
Für die Prüfung von § 43 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 SGB VI ist nicht entscheidend, ob ein regelwidriger Zustand für sich genommen das Leistungsvermögen für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes einschränkt oder ob er aus anderen tatsächlichen Gründen (z.B. bei ansteckenden Krankheiten oder hochgradiger Entstellung) dazu führt, dass der Versicherte unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes generell nicht vermittelbar ist (Freudenberg, a.a.O., Rn. 67; ähnlich BSG, Urteil vom 8. November 1995 – 13/4 RA 93/94, SozR 3-2600 § 44 Nr. 5). Insbesondere sind bei der Beurteilung, ob das verbliebene Leistungsvermögen eine Erwerbstätigkeit unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes zulässt, Aspekte der Selbst- und Fremdgefährdung zu beachten (vgl. hierzu und zum Folgenden BSG, Urteil vom 12. Dezember 2006 – B 13 R 27/06 R, SozR 4-2600 § 43 Nr. 10 zu Einschränkungen durch epileptische Anfälle) und zwar sowohl unter dem Aspekt der eigentlichen beruflichen Einsetzbarkeit als auch unter dem der Wegefähigkeit (das heißt dem Vermögen, viermal arbeitstäglich Wegstrecken von über 500 m in jeweils innerhalb von 20 Minuten zu Fuß bewältigen und ferner zwei Mal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren zu können; dazu aus neuerer Zeit BSG, Urteil vom 12. Dezember 2011 – B 13 R 21/10 R, juris, Rn. 21, 22).
Auf der Grundlage der beschriebenen psychischen Störung, die beim Kläger besteht, ist nach der Einschätzung von Dr. L. im Mai 2014 nach wie vor das Risiko deutlich erhöht, dass sich beim Kläger erneut Tötungsphantasien ausbilden, die unmittelbar und dranghaft in die Tat umgesetzt werden, wenn er sich außerhalb des Maßregelvollzugs aufhält. Es überwiegen eindeutig prognostisch ungünstige Faktoren, die unverändert für eine umfassende Gefährlichkeit mit dem hohen Risiko einer Wiederholung der Anlasstaten sprechen. Mit weiteren Straftaten ist zu rechnen. Aus den älteren Gutachten ergibt sich weiter, dass sich dieser Zustand zwischenzeitlich nicht dahingehend gebessert hätte, dass ein Aufenthalt außerhalb des Maßregelvollzugs ohne unvertretbare Fremdgefährdung möglich gewesen wäre.
Unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes kann der Kläger daher nicht arbeiten, da von ihm – außerhalb der richterlich angeordneten Freiheitsentziehung – eine erhebliche Fremdgefährdung ausgeht, die der Allgemeinheit eindeutig nicht zugemutet werden kann. Aus denselben Gründen ist der Kläger auch nicht wegefähig. In ausreichendem Maße ausschließen ließe sich diese Fremdgefährdung nur, wenn der Kläger während der Arbeitsleistung sowie auf dem Hin- und Rückweg permanent in einer Weise überwacht würde, die ein sofortiges und effektives Eingreifen für den Fall sicherstellt, dass der bei ihm vorhandene Tötungsdrang wieder auftritt oder er einen Fluchtversuch unternimmt. Unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ist dergleichen nicht sichergestellt, so dass auch der Umstand, dass der Kläger im besonderen Umfeld eines psychiatrischen Krankenhauses einer Tätigkeit nachgeht, nicht gegen das Vorliegen von Erwerbsminderung spricht. Der Kläger ließe sich auch dann nicht sinnvoll in eine Betriebsorganisation integrieren, wenn entsprechende Überwachungsmaßnahmen von dritter Seite bereitgestellt würden: anderen Mitarbeitern wäre die Zusammenarbeit mit einem Kollegen, vor dem sie stets auf der Hut sein müssen, nicht zumutbar.
Somit erscheint die Unterbringung des Klägers – entgegen der Auffassung von Dr. R., die insoweit juristischer und nicht medizinischer Natur ist – nur auf den ersten Blick als Ursache der fehlenden Einsetzbarkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sowie der mangelnden Wegefähigkeit. Aus Sicht des Rentenversicherungsrechts bekräftigt die Unterbringung, die aufgrund des gesundheitlichen Zustandes des Klägers angeordnet worden ist, lediglich den Befund, der zur Annahme voller Erwerbsminderung führt: Der Kläger ist nicht erwerbsgemindert, weil er nach § 63 StGB untergebracht ist, sondern seine krankheitsbedingte Gefährlichkeit, die diese Unterbringung erforderlich gemacht hat, wirkt sich auch auf seine Erwerbsfähigkeit aus.
II.) Die Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, der versperrte Zugang zum Erwerbsleben sei vom Strafrecht gewollt und es sei daher systemwidrig, wenn dem Kläger aus der Unterbringung ein rentenrechtlicher Vorteil entstünde. Einen normativen Anknüpfungspunkt für diese Betrachtungsweise bieten lediglich die §§ 103, 104 SGB VI, deren Voraussetzungen indes nicht erfüllt sind. Nach § 103 SGB VI erste Alternative SGB VI besteht ein Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nicht für Personen, die die für die Rentenleistung erforderliche gesundheitliche Beeinträchtigung absichtlich herbeigeführt haben. Nach § 104 Abs. 1 Satz 1 erste Alternative SGB VI können Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ganz oder teilweise versagt werden, wenn die Berechtigten sich die für die Rentenleistung erforderliche gesundheitliche Beeinträchtigung bei einer Handlung zugezogen haben, die nach strafgerichtlichem Urteil ein Verbrechen oder vorsätzliches Vergehen ist. Einer dieser Fälle liegt jedoch nicht vor. Die Erkrankung, die Anlass für die Freiheitsentziehung war und ist, hat der Kläger nicht im Sinne von § 103 SGB VI absichtlich herbeigeführt. Dass er die Taten, in deren Folge die Freiheitsentziehung angeordnet worden ist, vorsätzlich herbeigeführt hat, ist schon deswegen unbeachtlich, weil die Vorschrift auf die gesundheitliche Beeinträchtigung abstellt und nicht auf Handlungen, die kausal auf diese gesundheitliche Beeinträchtigung zurückzuführen sind oder auf Rechtsfolgen dieser Handlungen. Aus denselben Gründen – die als Verbrechen zu qualifizierenden Handlungen sind Folge der gesundheitlichen Beeinträchtigung und nicht umgekehrt – kommt auch ein Ausschluss aus § 104 SGB VI nicht in Betracht.
Soweit die Beklagte es für systemwidrig hält, wenn dem Kläger aus der Unterbringung ein rentenrechtlicher Vorteil entstünde, kennt weder das Strafrecht eine Bestrafung im Wege des "Rentenentzugs", noch ist es Aufgabe des Rentenversicherungsrechts, Strafzwecke umzusetzen. Es handelt sich bei dem Rentenanspruch auch nicht um ein Privileg, dessen sich der Versicherte würdig erweisen müsste.
III.) Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen aus § 43 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 2 und 3 SGB VI sind erfüllt, da ein Fall der vorzeitigen Wartezeiterfüllung nach § 53 Abs. 2 SGB VI vorliegt. Der Senat hat diese Anspruchsvoraussetzungen von Amts wegen zu prüfen, obwohl die Beklagte zwischenzeitlich geäußert hatte, sie lägen vor.
Hierbei geht der Senat von einem Versicherungsfall am 23. November 1987 – dem Datum der ersten Tötungshandlung – aus. Soweit die Beklagte in diesem Zusammenhang die Auffassung vertritt, eine Prüfung der Wartezeit und der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der begehrten Rente setze die zeitliche Festlegung eines Eintritts von Erwerbsminderung voraus, die sich anhand forensischer Gutachten zur Unterbringung im Maßregelvollzug nicht treffen lasse, mag dies im Regelfall zutreffen. Der vorliegende Fall allerdings unterscheidet sich hiervon dadurch, dass die außerordentlich gravierenden Manifestationen der psychischen Erkrankung des Klägers weitgehend eindeutig dokumentiert und auch durch das Gutachten des Arztes für Psychiatrie und Neurologie Prof. Dr. H. vom 9. März 1992 hinreichend medizinisch aufgeklärt worden sind. Im Übrigen wären die Voraussetzungen aus § 43 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 2 und 3 SGB VI auch dann erfüllt, wenn das erstmalige Auftreten des Tötungsdrangs (im Sommer 1987) oder aber die Festnahme des Klägers (im Dezember 1990) als Versicherungsfall anzusehen wären. Zugleich ist in Anbetracht dessen, dass sich das Auftreten des Tötungsdrangs nicht vor Sommer 1987 nachweisen lässt, nicht davon auszugehen, dass die psychische Erkrankung bereits bei Eintritt in die gesetzliche Rentenversicherung vorhanden war.
Die allgemeine Wartezeit beträgt nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB VI fünf Jahre; angerechnet werden nach § 51 Abs. 1 SGB VI Kalendermonate mit Beitragszeiten sowie nach § 51 Abs. 4 SGB VI Kalendermonate mit Ersatzzeiten. Zwar weist das Versicherungskonto des Klägers bis zum 1. Januar 1991 nur insgesamt 50 mit Pflichtbeitragszeiten belegte Kalendermonate auf (die Zeiten der Arbeitslosigkeit waren auch nach damaligem Recht keine Pflichtbeitragszeiten, vgl. § 1259 Abs. 1 Nr. 3 Reichsversicherungsordnung), allerdings lag ein Fall der vorzeitigen Wartezeiterfüllung nach § 53 Abs. 2 SGB VI vor. Nach § 53 Abs. 2 Satz 1 SGB VI ist die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt, wenn Versicherte vor Ablauf von sechs Jahren nach Beendigung einer Ausbildung voll erwerbsgemindert geworden sind und in den letzten zwei Jahren vorher (gemeint ist: vor dem Eintritt der Erwerbsminderung, dazu Heidemann in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 2. Aufl. 2013, § 53 Rn. 59) mindestens ein Jahr Pflichtbeträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben. Der Zeitraum von zwei Jahren vor Eintritt der vollen Erwerbsminderung (oder des Todes) verlängert sich gemäß § 53 Abs. 2 Satz 2 SGB VI um Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres auf bis zu sieben Jahre.
§ 53 Abs. 2 SGB VI ist auch auf einen Versicherungsfall zu einem der genannten Zeitpunkte anwendbar, denn nach § 300 Abs. 1 SGB VI sind die Vorschriften des (am 1. Januar 1992 in Kraft getretenen) SGB VI von dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an auf einen Sachverhalt auch dann anzuwenden, wenn bereits vor diesem Zeitpunkt der Sachverhalt bestanden hat. Eine Sonderregelung im Sinne von § 300 Abs. 5 SGB VI, die dies ausschlösse, besteht nicht, insbesondere enthalten die thematisch einschlägigen §§ 302a, 302b SGB VI hierzu keine Regelung. Auch § 245 SGB VI erweitert die in § 53 SGB VI geregelten Fälle lediglich um weitere Fallkonstellationen der vorzeitigen Wartezeiterfüllung, schränkt die Geltung des § 53 SGB VI aber nicht ein.
Die Voraussetzungen des § 53 Abs. 2 SGB VI sind erfüllt. Hierbei ist angesichts der Auskunft der Handelskammer Hamburg vom 18. April 2016 davon auszugehen, dass der Kläger nach Abschluss der Fachoberschule eine Ausbildung zum Groß- und Einzelhandelskaufmann begonnen und diese zum 28. Februar 1986 abgebrochen hat. In diesem Abbruch lag die Beendigung einer Ausbildung im Sinne von § 53 Abs. 2 Satz 1 SGB VI. Einen erfolgreichen Abschluss der Ausbildung setzt die Vorschrift nicht voraus (Heidemann in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 2. Aufl. 2013, § 53 Rn. 55). Der vom Senat angenommene Versicherungsfall am 23. November 1987 sowie die anderen genannten denkbaren Versicherungsfälle fallen in den in § 53 Abs. 2 Satz 1 SGB VI geregelten Zeitraum von sechs Jahren nach Beendigung der Ausbildung. Die weitere Voraussetzung von mindestens einem Jahr Pflichtbeiträgen in den letzten beiden Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung sind ebenfalls erfüllt, denn alle Monate der Jahre 1986 und 1987 sind mit Pflichtbeiträgen belegt. Dasselbe gilt auch unter Annahme eines Versicherungsfalles im Dezember 1994. Zwar waren in den zwei Jahren davor lediglich zehn Monate mit Pflichtbeiträgen belegt, allerdings verlängerte sich dieser Zeitraum nach Maßgabe von § 53 Abs. 2 Satz 2 SGG VI. Der Begriff der schulischen Ausbildung im Sinne von § 53 Abs. 2 Satz 2 SGB VI entspricht dem in § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI (Heidemann, a.a.O., Rn. 62) und hierunter fällt auch der Besuch einer Fachoberschule (Fichte in Hauck/Noftz, SGB, 08/14, § 58 SGB VI Rn. 99). Dass der Besuch der Fachoberschule (von August 1983 bis Juni 1985) selbst nicht in den Zweijahreszeitraum des § 53 Abs. 2 Satz 2 SGB VI fiel, ist hierbei unbeachtlich, denn unter dieser Annahme käme höchstens eine Verdoppelung des Zeitraums auf vier Jahre in Betracht, nicht aber die gesetzlich vorgesehene Verlängerung auf bis zu sieben Jahre. Die nächsten beiden mit Pflichtbeiträgen belegten Monate waren – nach dem insoweit unstreitigen Versicherungsverlauf – die Monate Oktober und November 1988. Da sich der Zeitraum von zwei Jahren nach § 53 Abs. 2 Satz 1 SGB VI um mindestens die Zeit des Fachoberschulbesuchs (August 1983 bis Juni 1985) verlängerte, fallen auch diese noch mit hinein und die Voraussetzungen einer vorzeitigen Wartezeiterfüllung sind gegeben. Eine zusammenhängende Belegung ist nicht erforderlich (Heidemann in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 2. Aufl. 2013, § 53, Rn. 38).
Da somit die Wartezeit vorzeitig erfüllt war, setzt ein Rentenanspruch nicht auch das Vorliegen der in § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI normierten Drei-Fünftel-Belegung voraus, denn nach § 43 Abs. 5 SGB VI ist eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist.
IV.) Die Rente ist unbefristet zu leisten, da nach dem Gesamtergebnis der medizinischen Beweiserhebung eine Behebung der festgestellten Erwerbsminderung unwahrscheinlich im Sinne von § 102 Abs. 3 Satz 5 SGB VI ist. Infolge dessen richtet sich der Beginn der Rente auch nicht nach § 101 Abs. 1 SGB VI, sondern nach der allgemeinen Vorschrift in § 99 Abs. 1 Satz 2 SGB VI. Ein früherer Beginn nach Maßgabe von § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI kommt angesichts der erheblichen zeitlichen Diskrepanz zwischen dem Eintritt der Erwerbsminderung und der Antragstellung nicht in Betracht.
V.) Weitergehende Ansprüche auf andere Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bestehen nicht. Ansprüche auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit oder wegen Berufsunfähigkeit nach dem bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Recht (§§ 43, 44 SGB VI a.F.) kommen auch unter Annahme eines Versicherungsfalles vor diesem Datum nicht in Betracht, da der Kläger nicht – wie § 300 Abs. 2 SGB VI es verlangt – auch den Rentenantrag bis zum Ablauf von drei Monaten nach Aufhebung der insoweit einschlägigen Rechtsgrundlagen gestellt hat (vgl. etwa Freudenberg in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 2. Aufl. 2013, § 43 Rn. 8). Gegen Berufsunfähigkeit ist der im Jahr 1964 geborene Kläger nach dem ab dem 1. Januar 2001 geltenden Recht nicht mehr versichert (§ 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI), außerdem würde neben einer Rente wegen voller Erwerbsminderung eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ohnehin nicht geleistet (§ 89 Abs. 1 Satz 1 SGB VI i.V.m. § 67 Nrn. 2 und 3 SGB VI).
VI.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Insbesondere weicht der Senat gerade nicht von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ab, wonach es für einen Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nicht genügt, wenn eine Freiheitsentziehung aus anderen als den in § 43 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 SGB VI genannten Gründen angeordnet worden ist.
Tatbestand:
Streitig ist ein Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.
Der am xxxxx 1964 geborene Kläger erlangte im August 1983 die Mittlere Reife und besuchte anschließend bis Juli 1985 eine Fachoberschule, die er mit dem Fachabitur abschloss. Anschließend nahm er nach eigenen Angaben eine Ausbildung zum Groß- und Einzelhandelskaufmann auf, die er entweder zum 31. Dezember 1985 (so seine Angaben bei Rentenantragstellung) oder aber zum 28. Februar 1986 (so seine Angaben gegenüber dem Sachverständigen Prof. Dr. H.) abbrach. Danach war er bis Ende 1986 versicherungspflichtig beschäftigt und leistete von Januar 1987 bis einschließlich August 1988 Zivildienst. Zwischen September 1988 und Dezember 1990 war er – unterbrochen durch eine Umschulung in der Zeit von September 1989 bis zum Mai 1990 – als Grafik-Designer beschäftigt. Vom 24. Dezember 1990 bis zum 18. Juli 1994 befand sich der Kläger in Untersuchungshaft. Sein Versicherungsverlauf stellt sich für die Zeit bis zu seiner Inhaftierung wie folgt dar: 1. August 1985 bis 31. Dezember 1985 5 Monate Pflichtbeitragszeit 1. Januar 1986 bis 28. Februar 1986 2 Monate Pflichtbeitragszeit 1. März 1986 bis 31. Dezember 1986 10 Monate Pflichtbeitragszeit 5. Januar 1987 bis 31. Dezember 1987 12 Monate Pflichtbeitragszeit 1. Januar 1988 bis 31. August 1988 8 Monate Pflichtbeitragszeit 12. September 1988 bis 30. September 1988 1 Monat Pflichtbeitragszeit 1. Oktober 1988 bis 30. November 1988 2 Monate Pflichtbeitragszeit 1. Dezember 1988 bis 31. Dezember 1988 1 Monat Pflichtbeitragszeit 1. Januar 1989 bis 28. September 1989 9 Monate Arbeitslosigkeit 29. September 1989 bis 17. Dezember 1989 3 Monate Arbeitslosigkeit 18. Dezember 1989 bis 31. Dezember 1989 Arbeitslosigkeit 1. Januar 1990 bis 28. Februar 1990 2 Monate Arbeitslosigkeit 1. März 1990 bis 14. März 1990 1 Monat Pflichtbeitragszeit 1. März 1990 bis 14. März 1990 Arbeitslosigkeit 15. März 1990 bis 31. Dezember 1990 9 Monate Pflichtbeitragszeit
Durch Urteil des Landgerichts Hamburg vom 6. April 1993 (Aktenzeichen 622 Ks 7/92) wurde der Kläger wegen Mordes in zwei Fällen, jeweils in Tateinheit mit Vergewaltigung und Entführung gegen den Willen der Entführten, in einem Fall darüber hinaus in Tateinheit mit Körperverletzung zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Gericht ordnete gemäß § 63 Strafgesetzbuch (StGB) die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an, da der Kläger die rechtswidrigen Taten im Zustand verminderter Schuldfähigkeit im Sinne von § 21 StGB begangen habe und da aufgrund seiner bisher unbehandelt gebliebenen krankhaften Persönlichkeitsstörung mit weiteren Tötungstaten zum Nachteil ihm bis dahin unbekannter Zufallsopfer zu rechnen und er deswegen in ganz hohem Maße für die Allgemeinheit gefährlich sei. Das Urteil wurde am 6. Juli 1994 rechtskräftig.
Nach den Feststellungen des Strafurteils verspürte der Kläger erstmals im Sommer 1987 den Drang, eine Frau zu töten. Nachdem sich dies im November 1987 zunächst ohne Folgen wiederholt hatte, tötete der Kläger am 23. November 1987 eine 20-jährige Studentin. Nachdem ein weiteres Auftreten des Tötungsdrangs Anfang Januar 1988 wiederum ohne konkrete Folgen geblieben war, beging der Kläger am 16. Januar 1988 eine tateinheitlich begangene Nötigung, Freiheitsberaubung und vorsätzliche Körperverletzung zum Nachteil einer 19-jährigen Schülerin, wegen der er am 11. Mai 1988 vom Amtsgericht Hamburg-Wandsbek (Aktenzeichen 725c-213/88 – Ls 51 Js 79/88) zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt wurde. Auch diese Tat war vom Tötungsdrang getragen. In der Nacht vom 10. auf den 11. Februar 1988 töte der Kläger, der erneut einen solchen Drang verspürt hatte, eine weitere Frau. Das Verlangen, eine ihm unbekannte Frau zu töten, trat erneut im Zeitraum April/Mai 1989 auf. In der Folgezeit kam es dreimal zu ähnlichen Vorfällen, bis der Kläger am 26. November 1990 eine 22-jährige Fachschülerin töte (wegen dieser Tat wurde er vom Landgericht Stade zunächst mit Urteil vom 2. September 1992 – Aktenzeichen 10 Ks 4 Js 20458/90 – wegen Totschlags und Nötigung verurteilt und später durch Urteil vom 29. September 1994 wegen Mordes in Tateinheit mit Vergewaltigung zu einer Freiheitsstrafe von 14 Jahren; auch hier wurde die Unterbringung in einem Psychiatrischen Krankenhaus angeordnet). Die Unterbringung dauert – unterbrochen von dem Zeitraum, in dem sich der Kläger auf der Flucht befand (September bis Dezember 1995) – seither an. Den Urteilen der Langerichte Hamburg und Stade lag in psychiatrischer Hinsicht ein – in den mündlichen Verhandlungen erörtertes – Gutachten des Arztes für Psychiatrie und Neurologie Prof. Dr. H. vom 9. März 1992 zugrunde.
In der Folge äußerten sich verschiedene Ärzte zur Frage einer geeigneten Therapie, zur Frage, ob dem Kläger unbewachte Intimkontakte mit seiner (damaligen) Ehefrau zu gewähren seien, sowie zur Fortdauer der Unterbringung:
In einer Stellungnahme von Prof. Dr. B1 vom 23. Juni 1995 heißt es, beim Kläger bestehe eine kombinierte Persönlichkeitsstörung, bei der Narzissmus und eine Borderline-Symptomatik im Vordergrund stünden und außerdem deutlich paranoide und sadistische Persönlichkeitszüge vorhanden seien. Es bestünden nur eingeschränkte psychotherapeutische Erfolgschancen.
Der Arzt für Psychiatrie, Psychoanalyse und Psychotherapie Dr. S. erklärte in einer Stellungnahme vom 18. September 1995, er stimme mit der Diagnose einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung mit sehr massiv abgespaltenen destruktiven Anteilen überein. Das Ausmaß des abgespaltenen aggressiv-destruktiven Potentials sei so hoch, dass im Verlauf einer Behandlung nicht zu erwarten sei, diese Anteile in den kontrollierbaren Bereich der Persönlichkeit des Klägers zu integrieren.
Der Arzt für Psychiatrie und Neurologie Prof. Dr. V. führte in seinem Gutachten vom 30. Oktober 1996 hierzu aus, die in den Formulierungen scheinbar etwas divergierenden bisherigen diagnostischen Festlegungen seien im Grunde deckungsgleich, da die Ärzte grundsätzlich vom Vorliegen einer schweren Persönlichkeitsstörung ausgingen. Dieser Diagnose sei beizupflichten. Der Kläger habe durch exzessives, sadistisch-destruktives Agieren den therapeutischen Rahmen zerstört und "die Institution gewissermaßen in einem Umfange traumatisiert, dass entscheidende Grundvoraussetzungen für eine psychotherapeutische Arbeit" zerstört seien. Er bemäntle sein Agieren auch mit einer missionarischen Attitüde und stilisiere sich gewissermaßen zu einem Robin Hood des Maßregelvollzugs hoch. Die Unterbringungssituation sei inzwischen ausschließlich durch den Sicherungsaspekt gekennzeichnet. Ob eine intensivierte längerfristige Therapie überhaupt denkbar sei, lasse sich erst dann erkennen, wenn im Rahmen eines Therapieversuchs erarbeitet werden könne, dass der zweifellos vorhandene Leidensdruck ausschließlich aus der Verurteilung und der Unterbringungssituation erwachse oder aber aus ehrlicher Bestürzung über das Geschehene.
In einem psychiatrischen Prognosegutachten des Dr. L. vom 6. Juni 2005 ist die Rede davon, der Kläger werde in seinem Verhalten unverändert von nachhaltig fremdgefährlichen Auswirkungen der bei ihm zugrundeliegenden psychischen Störungen beherrscht. Seine fremdaggressiven Impulse vermöge er wegen einer hochgradig verfestigten feindlichen Haltung mit chronisch verfolgenden Hassgefühlen und einer umfassenden paranoid gefärbten Verzerrung der Wahrnehmung realer Gegebenheiten nicht zu steuern. Aktuell hätten sich konkrete Hinweise auf eine manifeste Fremdgefährdung ergeben.
Prof. Dr. H. äußerte sich in seinem Gutachten vom 23. April 2006 angesichts der schweren Persönlichkeitsstörung und des Risikos affektbestimmter Gewalttaten gegen die beantragten unbewachten Intimkontakte zwischen dem Kläger und seiner damaligen Ehefrau.
Die Psychologische Psychotherapeutin Frau Prof. Dr. N. stellte in ihrem Gutachten vom 6. Juli 2009 eine schwere narzisstische Persönlichkeitsstörung auf Borderline-Niveau fest, auf deren Grundlage sich ganz erhebliche sadistische Persönlichkeitszüge entwickelt hätten. Überdies liege der Verdacht einer sadistischen sexuellen Deviation nahe. Wenn die verschiedenen Gutachter für diese Störung etwas unterschiedliche Begrifflichkeiten benutzten, seien damit keine voneinander abweichenden Diagnosen gemeint; vielmehr seien diese Unterschiede auf unterschiedliche theoretische Hintergründe zurückzuführen. Vom Kläger seien mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit noch weitere rechtswidrige, den Unterbringungsdelikten entsprechende Taten zu erwarten, so dass er für die Allgemeinheit gefährlich sei.
In einer Stellungnahme der A. Klinik N1 vom 28. Oktober 2009 wurde die Diagnose einer schweren narzisstischen Persönlichkeitsstörung auf Borderline-Strukturniveau mit erheblichen paranoiden und sadistischen Zügen (maligner Narzissmus) bei Verdacht auf eine sadistische sexuelle Deviation gestellt. Zwar habe sich der Kläger im Berichtszeitraum weniger destruktiv gezeigt, jedoch habe sich im Bereich der forensisch relevanten Dimension der zu behandelnden Störung keine Verbesserung ergeben.
In einer Stellungnahme der A. Klinik N1 vom 1. Oktober 2010 blieben die bisherigen Diagnosen bestehen. Die Bedingungen für einen im engeren Sinne therapeutisch ausgerichteten Prozess lägen aufgrund der Schwere der Störung und der ungünstigeren gemeinsamen Vorgeschichte nicht vor. Im Bereich der forensisch relevanten Dimension der zu behandelnden Störung habe sich keine Verbesserung ergeben.
Aus Stellungnahmen der A. Klinik N1 vom 4. November 2011 und vom 19. Oktober 2012 ergab sich weitgehend dasselbe.
In einem weiteren Prognosegutachten des Dr. L. vom 14. Mai 2014 ist von einer ausgeprägten narzisstischen Persönlichkeitsstörung bei Borderline-Struktur mit chronifizierter Abweichung des Sexualverhaltens und fixierten Paraphilien mit progredientem Verlauf die Rede. Das Risiko sei deutlich erhöht, dass sich beim Kläger erneut Tötungsphantasien ausbildeten, die unmittelbar und dranghaft in die Tat umgesetzt würden, wenn er sich außerhalb des Maßregelvollzugs aufhalte.
Am 8. August 2012 beantragte der Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung mit der Begründung, er sei seit dem 1. Januar 1991 aufgrund einer schweren psychischen Erkrankung, die eine Unterbringung nach § 63 StGB zur Folge habe, arbeitsunfähig krank.
Die Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 30. August 2012 mit der Begründung ab, der Kläger habe – unter Zugrundelegung eines Versicherungsfalles vom 8. August 2012 – die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der begehrten Rente nicht erfüllt. In der Zeit vom 8. August 2007 bis zum 7. August 2012 sei kein Monat mit Pflichtbeiträgen belegt. Ein Fall der vorzeitigen Wartezeiterfüllung sei nicht gegeben.
Der Kläger erhob hiergegen am 5. September 2012 Widerspruch, zu dessen Begründung er ausführte, die Erwerbsminderung sei bereits im Jahr 1990 eingetreten. Eine gesetzliche Bestimmung, wonach er seinen Rentenantrag unmittelbar nach deren Eintritt habe stellen müssen, gebe es nicht.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 8. Januar 2012 zurück: Auch unter Zugrundelegung eines Versicherungsfalles vom 1. Januar 1991 sei die allgemeine Wartezeit nicht erfüllt, da nur 50 Monate mit Beitragszeiten belegt seien. Eine vorzeitige Wartezeiterfüllung nach § 53 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) scheide aus, da in der Zeit vom 1. Januar 1989 bis zum 31. Dezember 1990 nur zehn Monate mit Pflichtbeiträgen belegt seien. Auch § 241 SGB VI sei hier nicht einschlägig.
Am 31. Januar 2013 hat der Kläger Klage erhoben.
Er hat ausgeführt, die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen seien jedenfalls in Anwendung von § 53 Abs. 2 SGB VI erfüllt.
Die Beklagte hat ausgeführt, die Wartezeit sei nach Durchführung des Versorgungsausgleichs als erfüllt anzusehen. Auch die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen seien erfüllt.
Das Sozialgericht hat den Kläger durch den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. R. begutachten lassen. Der Sachverständige hat beim Kläger eine Persönlichkeitsstörung mit narzisstischen, teilweise paranoiden Symptomen und sadistischer Deviation festgestellt. Allein aus der Tatsache, dass der Kläger in Freiheit eine Gefahr für andere wäre, folge aber nicht, dass er keine Arbeit aufnehmen könne. Er gehe auch im Klinikum einer betreuten Tätigkeit nach. Hinweise auf eine Einschränkung der Erwerbsfähigkeit aufgrund einer Erkrankung des psychiatrischen Fachgebietes gebe es nicht. Somit könne der Kläger körperlich mittelschwere Arbeiten, geistig durchschnittlicher Art mit durchschnittlicher Verantwortung in wechselnden Körperhaltungen, nicht unter besonderem Zeitdruck, nicht in Akkord-, Schicht- und Nachtarbeit, möglichst nicht unter Einfluss von Witterung, Staub, Dämpfen oder Geräuschen, zu ebener Erde, leisten. Unter Beachtung dieser Einschränkungen könne der Kläger vollschichtig tätig sein. Wenn die Unterbringung gemäß § 63 StGB nicht bestünde, könnte der Kläger zweimal täglich öffentliche Verkehrsmittel während der Hauptverkehrszeit benutzen. Eine Strecke von 500 Metern könne er in weniger als 20 Minuten bewältigen. Aufgrund der Unterbringung nach § 63 StGB könne ein Personenkraftwagen nicht gelenkt werden.
Der Kläger ist dem Gutachten unter Verweis auf das Prognosegutachten von Dr. L. vom 14. Mai 2014 entgegen getreten: Auch wenn die rein körperlichen Voraussetzungen für die Ausführung einer Arbeit vorlägen, stelle sich angesichts der auch vom Sachverständigen festgestellten Fremdgefährdung die Frage, ob er tatsächlich arbeiten könne. Allein die Umstände der Unterbringung gewährleisteten eine gewisse Belastbarkeit. Weiterhin habe der Sachverständige nicht berücksichtigt, dass der Kläger vermehrt unter Migräne sowie heftigen psychosomatischen "Reaktionen auf Psychotherapie" leide.
Das Sozialgericht hat die Klage ohne mündliche Verhandlung durch Urteil vom 12. März 2015 abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung, da er ausweislich des Gutachtens von Dr. R. nicht erwerbsgemindert sei. Er könne noch körperlich mittelschwere Arbeiten, geistig durchschnittlicher Art mit durchschnittlicher Verantwortung in wechselnden Körperhaltungen, nicht unter besonderem Zeitdruck, nicht in Akkord-, Schicht- und Nachtarbeit, möglichst nicht unter Einfluss von Witterung, Staub, Dämpfen oder Geräuschen, zu ebener Erde, leisten. Unter Beachtung dieser Einschränkungen könne der Kläger vollschichtig tätig sein. Die Unterbringung hinweggedacht sei auch die Wegefähigkeit erhalten. Der Sachverständige habe auch zutreffend darauf hingewiesen, dass der Kläger bei Tatbegehung erwerbstätig gewesen sei und bis zu seiner Verhaftung Erwerbseinkommen erzielt habe. Der Maßregelvollzug verhindere zwar die Teilnahme des Klägers an der Gesellschaft und damit auch die Arbeitsaufnahme, dies habe aber keine gesundheitlichen Gründe. Strafhaft oder Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus fänden bei der Frage nach einer etwaigen Verschlossenheit des Arbeitsmarktes ebenso wenig Berücksichtigung wie Analphabetismus oder Lebensalter. Dass der Kläger keinen Arbeitsplatz finde, der seinem Leistungsvermögen entspreche, falle in den Risikobereich der Arbeitslosenversicherung. Es liege auch keine Summierung außergewöhnlicher Leistungsbeeinträchtigungen vor. Eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit komme wegen des Geburtsdatums des Klägers nicht in Betracht.
Am 21. April 2015 hat der Kläger gegen das (seinem erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten am 2. April 2015 zugestellte) Urteil Berufung eingelegt und diese damit begründet, dass die Unterbringung ihn daran hindere, eine Arbeitsstelle aufzusuchen. Dies führe zum Entfallen der Wegefähigkeit und damit zur Verschlossenheit des Arbeitsmarktes. Diese Unfähigkeit, einen Arbeitsplatz aufzusuchen, sei einmal dem physischen Hemmnis der Unterbringung geschuldet, mittelbar aber auch einer schweren gesundheitlichen Beeinträchtigung. Der Einschätzung, der Kläger sei ein gemeingefährlicher Straftäter, liege seine Erkrankung zugrunde. Die Unterbringung sei daher auch keine Form der Bestrafung, sondern trage der schwerwiegenden psychischen Erkrankung des Täters Rechnung. § 63 StGB setze einen krankhaften psychischen Zustand voraus. Diese Erkrankung habe auch zu dem hier maßgeblichen Zeitpunkt am 1. Januar 1991 vorgelegen. Der Kläger habe bereits im Oktober 1987 erstmalig einen Tötungsimpuls verspürt, was – wie auch die späteren Taten – einer schweren psychischen Beeinträchtigung zuzuschreiben sei. Sowohl Dr. R. als auch Dr. L. hätten bei ihm eine schwere psychische Störung festgestellt, aufgrund derer seine Willenssteuerung aufgehoben sei und die im Übrigen auch dann eine Unterbringung rechtfertigte, wenn der Täter zuvor keine Straftaten begangen hätte. Auch Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz und die Vorschriften des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes geböten eine Berücksichtigung der psychischen Störung als Krankheit. Auf die Bitte des Senats, nachzuweisen, dass er nach Schulabschluss tatsächlich eine Ausbildung begonnen habe, hat der Kläger seine damalige Lohnsteuerkarte sowie eine Auskunft der Handelskammer Hamburg vorgelegt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 12. März 2015 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 30. August 2012 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 8. Januar 2013 zu verurteilen, ihm Rente wegen voller Erwerbsminderung zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Sie hat auf Nachfrage ausgeführt, unter Zugrundelegung eines Versicherungsfalles am 1. Januar 1991 seien die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen erfüllt, unter Zugrundelegung eines Versicherungsfalles am Datum der Antragstellung (8. August 2012) hingegen nicht. Das Vorliegen von Erwerbsminderung lasse sich auch nicht unter dem Aspekt mangelnder Wegefähigkeit begründen: Der generalisierte Maßstab, den das Bundessozialgericht bei der Beurteilung der Wegefähigkeit grundsätzlich anlege, gelte nicht auch für Fälle der Unterbringung im Straf- und Maßregelvollzug. Da der in diesen Fällen fehlende Zugang zum allgemeinen Arbeitsmarkt auch als Teil der Bestrafung oder als Folge der Unterbringung anzusehen sei, sei der Weg zu einem möglichen Arbeitsplatz bereits aus strafrechtlichen Gründen versperrt. Außerdem sei es systemwidrig, wenn dem Kläger aus der Unterbringung ein rentenrechtlicher Vorteil entstünde. Gesundheitliche Gründe, die unmittelbar die Wegefähigkeit einschränkten, lägen nicht vor. Die Unterbringung im Maßregelvollzug sei nicht aufgrund einer Erkrankung des Klägers erfolgt, sondern aufgrund der von ihm begangenen Straftaten und der Prognose hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit weiterer Straftaten. Somit schließe die Unterbringung nicht seine Erwerbsfähigkeit aus, sondern nur seine Erwerbsmöglichkeiten (Hinweis auf BSG, Urteil vom 23. Oktober 1996 – 4 RA 1/96). Schließlich habe das Bundessozialgericht für Fallkonstellationen wie die vorliegende einen Rentenanspruch explizit verneint: Wesentliche Ursache einer Minderung der Erwerbsfähigkeit müssten Krankheit, Gebrechen oder eine Schwäche der körperlichen oder geistigen Kräfte sein. Es genüge nicht, wenn ein Versicherter aus Gründen der öffentlichen Sicherheit in einer Heil- und Pflegeanstalt untergebracht worden sei und deswegen einer Erwerbstätigkeit nicht nachgehen könne (Hinweis auf BSG, Urteil vom 26. Juni 1969 – 12 RJ 418/66, SozR Nr. 74 zu § 1246 RVO, sowie auf BSG, Urteil vom 27. Mai 1959 – 1 RA 34/58, und LSG Bremen, Urteil vom 10. April 1997 – L 2 An 7/95).
Der Senat hat zu der Frage, ob der Kläger nach Schulabschluss mit einer Ausbildung begonnen hatte, eine Auskunft der Firma B. AG eingeholt, die mitgeteilt hat, der Kläger sei dort nicht bekannt und die Unterlagen der Jahre 1985 und 1986 seien bereits vernichtet. Er hat weiterhin eine Auskunft der Handelskammer Hamburg vom 18. April 2016 eingeholt, wonach der Kläger ausweislich der Liste aller bei der Handelskammer eingetragenen Ausbildungsverhältnisse in der Zeit vom 1. August 1985 bis zum 29. Januar 1986 bei der B. AG in der Ausbildung zum Groß- und Einzelhandelskaufmann gewesen sei.
Die Beklagte hat darauf erklärt, sie sehe angesichts dessen einen Tatbestand der Ausbildung als gegeben an. Auch der vorangehende Besuch einer Fachoberschule stelle einen solchen dar. Allerdings setze eine Prüfung der Wartezeit und der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der begehrten Rente die zeitliche Festlegung eines Eintritts von Erwerbsminderung voraus, die sich anhand forensischer Gutachten zur Unterbringung im Maßregelvollzug nicht treffen lasse.
Der Kläger und die Beklagte haben sich mit Schriftsätzen vom 11. und 22. April 2016 mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Prozessakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die dem Senat bei seiner Entscheidung vorgelegen haben.
Entscheidungsgründe:
Der Senat entscheidet im Einverständnis mit den Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung.
Die nach den §§ 143, 144 SGG statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerechte (§ 151 SGG) Berufung ist begründet. Das Urteil des Sozialgerichts und die angefochtenen Bescheide der Beklagten sind rechtswidrig. Der Kläger hat Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Nach § 43 Abs. 2 Satz 1 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) haben Versicherte bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung, wenn sie 1. voll erwerbsgemindert sind, 2. in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und 3. vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben.
Diese Voraussetzungen sind im vorliegenden Fall erfüllt.
I.) Der Kläger ist voll erwerbsgemindert im Sinne von § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 SGB VI. Voll erwerbsgemindert sind gemäß § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).
1.) Der Kläger leidet an einer Krankheit im genannten Sinne. Krankheit im Sinne von § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI ist jeder regelwidrige körperliche, geistige oder seelische Zustand (Gesundheitsstörung), der geeignet ist, die Erwerbsfähigkeit eines Versicherten herabzusetzen (Freudenberg in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 2. Aufl. 2013, § 43 Rn. 62). Eine derartige Krankheit liegt beim Kläger vor. Er leidet an einer schweren Erkrankung des psychiatrischen Fachgebietes. Diese ist in den verschiedenen Sachverständigengutachten, die über einen langen Zeitraum und zu unterschiedlichsten Fragestellungen erstattet worden sind, zwar terminologisch unterschiedlich bezeichnet worden, im Kern und insbesondere in ihren Auswirkungen auf das Leistungsvermögen des Klägers jedoch als gesichert anzusehen. Prof. Dr. H. war in seinem Gutachten aus 1992 von einer narzisstischen Persönlichkeitsstörung ausgegangen, Prof. Dr. B1 (und im Anschluss an ihn auch Dr. S.) im Jahr 1995 von einer kombinierten Persönlichkeitsstörung, bei der Narzissmus und eine Borderline-Symptomatik im Vordergrund stünden und außerdem deutlich paranoide und sadistische Persönlichkeitszüge vorhanden seien. Dr. V. betonte im Jahr 1996 (wie später auch Frau Prof. Dr. N.), dass diese Diagnosen trotz in den Formulierungen scheinbar etwas divergierender Festlegungen deckungsgleich seien, da richtigerweise eine schwere Persönlichkeitsstörung angenommen worden sei. Auch das Gutachten von Prof. Dr. H. aus dem Jahr 2005 spricht von einer schweren Persönlichkeitsstörung und im dem Gutachten von Frau Prof. Dr. N. aus 2009 ist von einer schweren narzisstischen Persönlichkeitsstörung auf Borderline-Niveau die Rede, auf deren Grundlage sich ganz erhebliche sadistische Persönlichkeitszüge entwickelt hätten. Nachfolgende Stellungnahmen des Krankenhauses, in dem der Kläger untergebracht ist, halten an dieser Diagnose im Wesentlichen fest, ebenso Dr. L. in seinem Prognosegutachten aus Mai 2014 und – im vorliegenden Verfahren – auch Dr. R ...
Welche dieser Bezeichnungen die eigentlich zutreffende ist, kann dahinstehen. Da nicht nur bestimmte Erkrankungen in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert sind, ist eine möglichst präzise Einordnung der Erkrankung nicht erforderlich, solange sich die behandelnden und begutachtenden Ärzte nur – wie im vorliegenden Fall geschehen – an einem anerkannten Klassifikationssystem orientiert haben und erkennbar ist, ob sie von übereinstimmenden oder unterschiedlichen Gesundheitsstörungen ausgehen (zu alledem Freudenberg in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 2. Aufl. 2013, § 43 Rn. 63).
2.) Der Kläger ist wegen dieser Krankheit auf nicht absehbare Zeit außerstande, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein.
Wie das Bundessozialgericht unter anderem in dem von der Beklagten angeführten Urteil vom 26. Juni 1969 (Az. 12 RJ 418/66, SozR Nr. 74 zu § 1246 RVO = juris, Rn. 11) festgestellt hat, setzt ein Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit einen ursächlichen Zusammenhang (im Sinne der sozialrechtlichen Theorie von der wesentlichen Bedingung) zwischen dem im Gesetz genannten Beeinträchtigungen des körperlichen, geistigen oder seelischen Zustandes (in § 43 Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2 Satz 2 SGB VI: Krankheit oder Behinderung) und der eigentlichen Erwerbsminderung, das heißt den konkreten Leistungseinschränkungen voraus (aus neuerer Zeit etwa das ebenfalls von der Beklagten angeführte Urteil des BSG vom 23. Oktober 1996 – 4 RA 1/96 – SozR 3-2600 § 43 Nr. 14; zum Ganzen auch Freudenberg, a.a.O., Rn. 98 ff. m.w.N.).
Soweit das Bundessozialgericht mit Urteil vom 28. Oktober 1966 (Az. 4 RJ 121/64, SozR Nr. 11 zu § 1286 RVO, bestätigt in BSG, Urteil vom 26. Juni 1969 – 12 RJ 418/66, SozR Nr. 74 zu § 1246 RVO = juris, Rn. 11) entschieden hat, dass ein Versicherter nicht bereits deswegen erwerbsgemindert ist, weil er – ohne an einer Krankheit oder anderen Gebrechen oder Schwächen zu leiden – wegen Suizidgefahr (d.h. Eigengefährdung) in der geschlossenen Abteilung eines Krankenhauses untergebracht ist, spricht dies im vorliegenden Fall nicht gegen einen Rentenanspruch des Klägers, denn er ist – wie ausgeführt – eindeutig psychisch krank. Anders als in dem seinerzeit vom Bundessozialgericht entschiedenen Fall ist die Unterbringung nicht etwa trotz mangelnder diagnostischer Abklärung erfolgt und aufrechterhalten worden, sondern aufgrund regelmäßiger Prüfung durch geeignete Sachverständige. Außerdem mögen zwar seit der Zeit, aus der das Urteil des Bundessozialgerichts vom 28. Oktober 1966 stammt, die positiv-rechtlichen Maßstäbe für ein behördliches Einschreiten zur Verhinderung eines Suizids gleich geblieben sein mögen, ihre Auslegung hat sich indes erheblich geändert: Während nach heutigem Verständnis der in freier Selbstbestimmung geplante und versuchte Suizid (sog Bilanzselbstmord) eine Unterbringung nicht rechtfertigt (dazu etwa OLG Zweibrücken, Beschluss vom 14. Juni 2006 – 3 W 98/06, juris, Rn. 13), wurde seinerzeit jedweder (versuchte) Suizid als Verstoß gegen die öffentliche Ordnung im Sinne des Gefahrenabwehrrechts betrachtet (dazu rückblickend Vahle, DVP 2014, 91 [92] unter Hinweis auf einschlägiges rechtswissenschaftliches Schrifttum aus den Jahren 1961 und 1972): Hierbei sollte zugleich eine Art Vermutung gelten, wonach der Betroffene sich in einem die freie Willensbestimmung ausschließenden Zustand befinde und daher die Risiken einer Selbstgefährdung nicht zutreffend abschätzen könne (so Frotscher, DVBl. 1976, 695 [701]). Während also die Tatsache der Unterbringung seinerzeit oft nicht mehr als ein Indiz für das Vorliegen einer gravierenden psychischen Erkrankung geliefert haben mag, ist das genannte Urteil des Bundessozialgerichts nicht auch auf Fallkonstellationen anwendbar, in denen – wie im vorliegenden Fall – eine psychische Erkrankung erheblichen Ausmaßes durch eine Vielzahl ärztlicher Gutachten festgestellt worden ist.
Ist hingegen eine Krankheit im Sinne von § 43 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 SGB VI festgestellt, so schließt eine aus Sicherheitsgründen angeordnete Unterbringung einen Rentenanspruch nicht per se aus (so insbesondere BSG, Urteil vom 26. Juni 1969 – 12 RJ 418/66, SozR Nr. 74 zu § 1246 RVO = juris, Rn. 11 und 12): Das Bundessozialgericht statuiert auch insoweit lediglich die Einschränkung, dass Krankheit oder Behinderung die wesentliche Bedingung für die Minderung der Fähigkeit des Versicherten zum Erwerb sein müssen und es nicht genügt, wenn der Versicherte aus anderen Gründen – etwa aus Gründen der öffentlichen Sicherheit – in einer Heil- oder Pflegeanstalt untergebracht worden ist und nur infolge seiner Unterbringung nicht imstande ist, durch eine Erwerbstätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsfeld die gesetzliche Lohnhälfte zu verdienen (BSG, a.a.O., Rn. 11, Hervorhebungen hinzugefügt).
Der Kläger ist nicht etwa allein aufgrund seiner Unterbringung außerstande, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Vielmehr schließt seine psychische Erkrankung auch unabhängig vom Vorliegen der Voraussetzungen aus § 63 StGB seine Erwerbsfähigkeit aus. Der Kläger wäre auch dann voll erwerbsgemindert, wenn die Unterbringung aus Rechtsgründen (etwa wegen Unvereinbarkeit der einschlägigen Vorschriften mit Verfassungsrecht) zu beenden wäre.
Für die Prüfung von § 43 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 SGB VI ist nicht entscheidend, ob ein regelwidriger Zustand für sich genommen das Leistungsvermögen für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes einschränkt oder ob er aus anderen tatsächlichen Gründen (z.B. bei ansteckenden Krankheiten oder hochgradiger Entstellung) dazu führt, dass der Versicherte unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes generell nicht vermittelbar ist (Freudenberg, a.a.O., Rn. 67; ähnlich BSG, Urteil vom 8. November 1995 – 13/4 RA 93/94, SozR 3-2600 § 44 Nr. 5). Insbesondere sind bei der Beurteilung, ob das verbliebene Leistungsvermögen eine Erwerbstätigkeit unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes zulässt, Aspekte der Selbst- und Fremdgefährdung zu beachten (vgl. hierzu und zum Folgenden BSG, Urteil vom 12. Dezember 2006 – B 13 R 27/06 R, SozR 4-2600 § 43 Nr. 10 zu Einschränkungen durch epileptische Anfälle) und zwar sowohl unter dem Aspekt der eigentlichen beruflichen Einsetzbarkeit als auch unter dem der Wegefähigkeit (das heißt dem Vermögen, viermal arbeitstäglich Wegstrecken von über 500 m in jeweils innerhalb von 20 Minuten zu Fuß bewältigen und ferner zwei Mal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren zu können; dazu aus neuerer Zeit BSG, Urteil vom 12. Dezember 2011 – B 13 R 21/10 R, juris, Rn. 21, 22).
Auf der Grundlage der beschriebenen psychischen Störung, die beim Kläger besteht, ist nach der Einschätzung von Dr. L. im Mai 2014 nach wie vor das Risiko deutlich erhöht, dass sich beim Kläger erneut Tötungsphantasien ausbilden, die unmittelbar und dranghaft in die Tat umgesetzt werden, wenn er sich außerhalb des Maßregelvollzugs aufhält. Es überwiegen eindeutig prognostisch ungünstige Faktoren, die unverändert für eine umfassende Gefährlichkeit mit dem hohen Risiko einer Wiederholung der Anlasstaten sprechen. Mit weiteren Straftaten ist zu rechnen. Aus den älteren Gutachten ergibt sich weiter, dass sich dieser Zustand zwischenzeitlich nicht dahingehend gebessert hätte, dass ein Aufenthalt außerhalb des Maßregelvollzugs ohne unvertretbare Fremdgefährdung möglich gewesen wäre.
Unter den Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes kann der Kläger daher nicht arbeiten, da von ihm – außerhalb der richterlich angeordneten Freiheitsentziehung – eine erhebliche Fremdgefährdung ausgeht, die der Allgemeinheit eindeutig nicht zugemutet werden kann. Aus denselben Gründen ist der Kläger auch nicht wegefähig. In ausreichendem Maße ausschließen ließe sich diese Fremdgefährdung nur, wenn der Kläger während der Arbeitsleistung sowie auf dem Hin- und Rückweg permanent in einer Weise überwacht würde, die ein sofortiges und effektives Eingreifen für den Fall sicherstellt, dass der bei ihm vorhandene Tötungsdrang wieder auftritt oder er einen Fluchtversuch unternimmt. Unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ist dergleichen nicht sichergestellt, so dass auch der Umstand, dass der Kläger im besonderen Umfeld eines psychiatrischen Krankenhauses einer Tätigkeit nachgeht, nicht gegen das Vorliegen von Erwerbsminderung spricht. Der Kläger ließe sich auch dann nicht sinnvoll in eine Betriebsorganisation integrieren, wenn entsprechende Überwachungsmaßnahmen von dritter Seite bereitgestellt würden: anderen Mitarbeitern wäre die Zusammenarbeit mit einem Kollegen, vor dem sie stets auf der Hut sein müssen, nicht zumutbar.
Somit erscheint die Unterbringung des Klägers – entgegen der Auffassung von Dr. R., die insoweit juristischer und nicht medizinischer Natur ist – nur auf den ersten Blick als Ursache der fehlenden Einsetzbarkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sowie der mangelnden Wegefähigkeit. Aus Sicht des Rentenversicherungsrechts bekräftigt die Unterbringung, die aufgrund des gesundheitlichen Zustandes des Klägers angeordnet worden ist, lediglich den Befund, der zur Annahme voller Erwerbsminderung führt: Der Kläger ist nicht erwerbsgemindert, weil er nach § 63 StGB untergebracht ist, sondern seine krankheitsbedingte Gefährlichkeit, die diese Unterbringung erforderlich gemacht hat, wirkt sich auch auf seine Erwerbsfähigkeit aus.
II.) Die Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, der versperrte Zugang zum Erwerbsleben sei vom Strafrecht gewollt und es sei daher systemwidrig, wenn dem Kläger aus der Unterbringung ein rentenrechtlicher Vorteil entstünde. Einen normativen Anknüpfungspunkt für diese Betrachtungsweise bieten lediglich die §§ 103, 104 SGB VI, deren Voraussetzungen indes nicht erfüllt sind. Nach § 103 SGB VI erste Alternative SGB VI besteht ein Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nicht für Personen, die die für die Rentenleistung erforderliche gesundheitliche Beeinträchtigung absichtlich herbeigeführt haben. Nach § 104 Abs. 1 Satz 1 erste Alternative SGB VI können Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit ganz oder teilweise versagt werden, wenn die Berechtigten sich die für die Rentenleistung erforderliche gesundheitliche Beeinträchtigung bei einer Handlung zugezogen haben, die nach strafgerichtlichem Urteil ein Verbrechen oder vorsätzliches Vergehen ist. Einer dieser Fälle liegt jedoch nicht vor. Die Erkrankung, die Anlass für die Freiheitsentziehung war und ist, hat der Kläger nicht im Sinne von § 103 SGB VI absichtlich herbeigeführt. Dass er die Taten, in deren Folge die Freiheitsentziehung angeordnet worden ist, vorsätzlich herbeigeführt hat, ist schon deswegen unbeachtlich, weil die Vorschrift auf die gesundheitliche Beeinträchtigung abstellt und nicht auf Handlungen, die kausal auf diese gesundheitliche Beeinträchtigung zurückzuführen sind oder auf Rechtsfolgen dieser Handlungen. Aus denselben Gründen – die als Verbrechen zu qualifizierenden Handlungen sind Folge der gesundheitlichen Beeinträchtigung und nicht umgekehrt – kommt auch ein Ausschluss aus § 104 SGB VI nicht in Betracht.
Soweit die Beklagte es für systemwidrig hält, wenn dem Kläger aus der Unterbringung ein rentenrechtlicher Vorteil entstünde, kennt weder das Strafrecht eine Bestrafung im Wege des "Rentenentzugs", noch ist es Aufgabe des Rentenversicherungsrechts, Strafzwecke umzusetzen. Es handelt sich bei dem Rentenanspruch auch nicht um ein Privileg, dessen sich der Versicherte würdig erweisen müsste.
III.) Die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen aus § 43 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 2 und 3 SGB VI sind erfüllt, da ein Fall der vorzeitigen Wartezeiterfüllung nach § 53 Abs. 2 SGB VI vorliegt. Der Senat hat diese Anspruchsvoraussetzungen von Amts wegen zu prüfen, obwohl die Beklagte zwischenzeitlich geäußert hatte, sie lägen vor.
Hierbei geht der Senat von einem Versicherungsfall am 23. November 1987 – dem Datum der ersten Tötungshandlung – aus. Soweit die Beklagte in diesem Zusammenhang die Auffassung vertritt, eine Prüfung der Wartezeit und der besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen der begehrten Rente setze die zeitliche Festlegung eines Eintritts von Erwerbsminderung voraus, die sich anhand forensischer Gutachten zur Unterbringung im Maßregelvollzug nicht treffen lasse, mag dies im Regelfall zutreffen. Der vorliegende Fall allerdings unterscheidet sich hiervon dadurch, dass die außerordentlich gravierenden Manifestationen der psychischen Erkrankung des Klägers weitgehend eindeutig dokumentiert und auch durch das Gutachten des Arztes für Psychiatrie und Neurologie Prof. Dr. H. vom 9. März 1992 hinreichend medizinisch aufgeklärt worden sind. Im Übrigen wären die Voraussetzungen aus § 43 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 2 und 3 SGB VI auch dann erfüllt, wenn das erstmalige Auftreten des Tötungsdrangs (im Sommer 1987) oder aber die Festnahme des Klägers (im Dezember 1990) als Versicherungsfall anzusehen wären. Zugleich ist in Anbetracht dessen, dass sich das Auftreten des Tötungsdrangs nicht vor Sommer 1987 nachweisen lässt, nicht davon auszugehen, dass die psychische Erkrankung bereits bei Eintritt in die gesetzliche Rentenversicherung vorhanden war.
Die allgemeine Wartezeit beträgt nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB VI fünf Jahre; angerechnet werden nach § 51 Abs. 1 SGB VI Kalendermonate mit Beitragszeiten sowie nach § 51 Abs. 4 SGB VI Kalendermonate mit Ersatzzeiten. Zwar weist das Versicherungskonto des Klägers bis zum 1. Januar 1991 nur insgesamt 50 mit Pflichtbeitragszeiten belegte Kalendermonate auf (die Zeiten der Arbeitslosigkeit waren auch nach damaligem Recht keine Pflichtbeitragszeiten, vgl. § 1259 Abs. 1 Nr. 3 Reichsversicherungsordnung), allerdings lag ein Fall der vorzeitigen Wartezeiterfüllung nach § 53 Abs. 2 SGB VI vor. Nach § 53 Abs. 2 Satz 1 SGB VI ist die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt, wenn Versicherte vor Ablauf von sechs Jahren nach Beendigung einer Ausbildung voll erwerbsgemindert geworden sind und in den letzten zwei Jahren vorher (gemeint ist: vor dem Eintritt der Erwerbsminderung, dazu Heidemann in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 2. Aufl. 2013, § 53 Rn. 59) mindestens ein Jahr Pflichtbeträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben. Der Zeitraum von zwei Jahren vor Eintritt der vollen Erwerbsminderung (oder des Todes) verlängert sich gemäß § 53 Abs. 2 Satz 2 SGB VI um Zeiten einer schulischen Ausbildung nach Vollendung des 17. Lebensjahres auf bis zu sieben Jahre.
§ 53 Abs. 2 SGB VI ist auch auf einen Versicherungsfall zu einem der genannten Zeitpunkte anwendbar, denn nach § 300 Abs. 1 SGB VI sind die Vorschriften des (am 1. Januar 1992 in Kraft getretenen) SGB VI von dem Zeitpunkt ihres Inkrafttretens an auf einen Sachverhalt auch dann anzuwenden, wenn bereits vor diesem Zeitpunkt der Sachverhalt bestanden hat. Eine Sonderregelung im Sinne von § 300 Abs. 5 SGB VI, die dies ausschlösse, besteht nicht, insbesondere enthalten die thematisch einschlägigen §§ 302a, 302b SGB VI hierzu keine Regelung. Auch § 245 SGB VI erweitert die in § 53 SGB VI geregelten Fälle lediglich um weitere Fallkonstellationen der vorzeitigen Wartezeiterfüllung, schränkt die Geltung des § 53 SGB VI aber nicht ein.
Die Voraussetzungen des § 53 Abs. 2 SGB VI sind erfüllt. Hierbei ist angesichts der Auskunft der Handelskammer Hamburg vom 18. April 2016 davon auszugehen, dass der Kläger nach Abschluss der Fachoberschule eine Ausbildung zum Groß- und Einzelhandelskaufmann begonnen und diese zum 28. Februar 1986 abgebrochen hat. In diesem Abbruch lag die Beendigung einer Ausbildung im Sinne von § 53 Abs. 2 Satz 1 SGB VI. Einen erfolgreichen Abschluss der Ausbildung setzt die Vorschrift nicht voraus (Heidemann in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 2. Aufl. 2013, § 53 Rn. 55). Der vom Senat angenommene Versicherungsfall am 23. November 1987 sowie die anderen genannten denkbaren Versicherungsfälle fallen in den in § 53 Abs. 2 Satz 1 SGB VI geregelten Zeitraum von sechs Jahren nach Beendigung der Ausbildung. Die weitere Voraussetzung von mindestens einem Jahr Pflichtbeiträgen in den letzten beiden Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung sind ebenfalls erfüllt, denn alle Monate der Jahre 1986 und 1987 sind mit Pflichtbeiträgen belegt. Dasselbe gilt auch unter Annahme eines Versicherungsfalles im Dezember 1994. Zwar waren in den zwei Jahren davor lediglich zehn Monate mit Pflichtbeiträgen belegt, allerdings verlängerte sich dieser Zeitraum nach Maßgabe von § 53 Abs. 2 Satz 2 SGG VI. Der Begriff der schulischen Ausbildung im Sinne von § 53 Abs. 2 Satz 2 SGB VI entspricht dem in § 58 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB VI (Heidemann, a.a.O., Rn. 62) und hierunter fällt auch der Besuch einer Fachoberschule (Fichte in Hauck/Noftz, SGB, 08/14, § 58 SGB VI Rn. 99). Dass der Besuch der Fachoberschule (von August 1983 bis Juni 1985) selbst nicht in den Zweijahreszeitraum des § 53 Abs. 2 Satz 2 SGB VI fiel, ist hierbei unbeachtlich, denn unter dieser Annahme käme höchstens eine Verdoppelung des Zeitraums auf vier Jahre in Betracht, nicht aber die gesetzlich vorgesehene Verlängerung auf bis zu sieben Jahre. Die nächsten beiden mit Pflichtbeiträgen belegten Monate waren – nach dem insoweit unstreitigen Versicherungsverlauf – die Monate Oktober und November 1988. Da sich der Zeitraum von zwei Jahren nach § 53 Abs. 2 Satz 1 SGB VI um mindestens die Zeit des Fachoberschulbesuchs (August 1983 bis Juni 1985) verlängerte, fallen auch diese noch mit hinein und die Voraussetzungen einer vorzeitigen Wartezeiterfüllung sind gegeben. Eine zusammenhängende Belegung ist nicht erforderlich (Heidemann in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 2. Aufl. 2013, § 53, Rn. 38).
Da somit die Wartezeit vorzeitig erfüllt war, setzt ein Rentenanspruch nicht auch das Vorliegen der in § 43 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 SGB VI normierten Drei-Fünftel-Belegung voraus, denn nach § 43 Abs. 5 SGB VI ist eine Pflichtbeitragszeit von drei Jahren für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit nicht erforderlich, wenn die Erwerbsminderung aufgrund eines Tatbestandes eingetreten ist, durch den die allgemeine Wartezeit vorzeitig erfüllt ist.
IV.) Die Rente ist unbefristet zu leisten, da nach dem Gesamtergebnis der medizinischen Beweiserhebung eine Behebung der festgestellten Erwerbsminderung unwahrscheinlich im Sinne von § 102 Abs. 3 Satz 5 SGB VI ist. Infolge dessen richtet sich der Beginn der Rente auch nicht nach § 101 Abs. 1 SGB VI, sondern nach der allgemeinen Vorschrift in § 99 Abs. 1 Satz 2 SGB VI. Ein früherer Beginn nach Maßgabe von § 99 Abs. 1 Satz 1 SGB VI kommt angesichts der erheblichen zeitlichen Diskrepanz zwischen dem Eintritt der Erwerbsminderung und der Antragstellung nicht in Betracht.
V.) Weitergehende Ansprüche auf andere Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bestehen nicht. Ansprüche auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit oder wegen Berufsunfähigkeit nach dem bis zum 31. Dezember 2000 geltenden Recht (§§ 43, 44 SGB VI a.F.) kommen auch unter Annahme eines Versicherungsfalles vor diesem Datum nicht in Betracht, da der Kläger nicht – wie § 300 Abs. 2 SGB VI es verlangt – auch den Rentenantrag bis zum Ablauf von drei Monaten nach Aufhebung der insoweit einschlägigen Rechtsgrundlagen gestellt hat (vgl. etwa Freudenberg in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 2. Aufl. 2013, § 43 Rn. 8). Gegen Berufsunfähigkeit ist der im Jahr 1964 geborene Kläger nach dem ab dem 1. Januar 2001 geltenden Recht nicht mehr versichert (§ 240 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI), außerdem würde neben einer Rente wegen voller Erwerbsminderung eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit ohnehin nicht geleistet (§ 89 Abs. 1 Satz 1 SGB VI i.V.m. § 67 Nrn. 2 und 3 SGB VI).
VI.) Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Insbesondere weicht der Senat gerade nicht von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ab, wonach es für einen Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit nicht genügt, wenn eine Freiheitsentziehung aus anderen als den in § 43 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 Satz 2 SGB VI genannten Gründen angeordnet worden ist.
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