L 9 SO 354/16

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
9
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 10 SO 492/15
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 SO 354/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
1.
Zur Abgrenzung von Antrag und Kenntnis bei Grundsicherungsleistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII.
2.
Für die Annahme eines Antrages i.S.v. § 41 Abs. 1 Satz 1, § 44 Abs. 1 Satz 2 SGB XII bedarf es nicht der Rückgabe des Antragsformulars und der Einreichung von Nachweisen.
3.
Handelt ein nach § 5 Abs. 5 SGB XII beauftragter Verband der freien Wohlfahrtspflege über seinen Auftrag hinaus, muss sich der Sozialhilfeträger auch dieses Handeln (hier: Antragsaufnahme) zurechnen lassen.
Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 25.05.2016 abgeändert und die Beklagte unter entsprechender Aufhebung ihres Bescheides vom 17.04.2015/24.06.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.10.2015 verurteilt, dem Kläger auch für die Zeit vom 01.09.2014 bis 28.02.2015 Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten Leistungen nach dem Vierten Kapitel des Sozialgesetzbuches Zwölftes Buch (SGB XII) für den Zeitraum vom 01.09.2014 bis zum 28.02.2015.

Der am 00.00.1996 geborene Kläger ist aufgrund einer Trisomie 21, eines Z.n. perimembranösen Ventrikelseptumdefekt und Patchverschluss, einer Mitralklappeninsuffizienz 2.Grades, Implantation eines VVI-Schrittmachers und Intelligenzminderung schwerbehindert mit einem GdB von 100 und den Merkzeichen G, B, H und RF. Vom 01.08.2003 bis zum 31.07.2015 besuchte er die K-Schule C e.V., eine freie heilpädagogische Waldorfschule. Ausweislich des MDK-Gutachtens vom 16.09.2014 wurde der Kläger bereits 2008 in die Pflegestufe II mit festgestellter Einschränkung der Alltagskompetenz in erheblichem Maße eingestuft. Zur gesetzlichen Betreuerin ist am 17.09.2014 seine Mutter bestellt worden.

Am 26.09.2014 sprach diese bei Herrn L, einem Mitarbeiter der K e.V., der für die Seniorenberatung im Bezirksamt der Beklagten in S zuständig war, vor. Dieser händigte ihr einen Ankreuzzettel, das Formular "Antrag auf Sozialhilfe nach dem SGB XII" sowie weitere Fragebögen aus und legte folgenden Vermerk nieder: "Vorsprache der Mutter. Antrag für den Sohn ausgehändigt, der am Down-Syndrom leidet. Sohn lebt noch zu Hause. Kindergeld wird ihm als Einkommen angerechnet. Sohn geht noch zur Schule. Ankreuzzettel an 50 weitergeleitet."

Nach Angaben der Mutter des Klägers legte sie bei dem Termin auch ein an die Beklagte gerichtetes Schreiben vom 25.09.2014 vor, in dem es heißt: "Hiermit beantrage ich die Grundsicherung. Ich bitte um Aushändigung der notwendigen Formulare.". Aus der Verwaltungsakte der Beklagten lässt sich das genaue Eingangsdatum dieses Schreibens nicht entnehmen.

Im Dezember 2014 bewilligte die Agentur für Arbeit dem Kläger Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (Förderung im Eingangsverfahren/Berufsbildungsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen) ab dem 01.09.2015.

Die ausgefüllten Formulare reichte die Mutter des Klägers am 17.03.2015 bei dem Seniorenberater L ein. Sie gab in dem Antragsformular ausdrücklich an, die Leistungen "rückwirkend ab September 2014 zu beantragen". Auf telefonische Sachverhaltsschilderung der Beklagten verneinte das Jobcenter L am 20.03.2015 seine Zuständigkeit mangels Erwerbsfähigkeit. Ausweislich ihrer Leitverfügung beauftragte die Beklagte daraufhin am 08.04.2015 den Rentenversicherungsträger mit der Begutachtung der Erwerbsfähigkeit des Klägers.

Sodann erließ sie am 17.04.2015 einen Bescheid, mit dem sie "den Antrag auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII" ablehnte. Hierauf bestehe kein Anspruch, da der Kläger derzeit noch eine Förderschule (ohne Behindertenwerkstatt) besuche.

Hiergegen erhob er am 30.04.2015 Widerspruch. Er habe nicht Leistungen nach dem Dritten Kapitel des SGB XII, sondern nach dessen Vierten Kapitel beantragt. Im Widerspruchsverfahren legte er eine Bestätigung seiner Schule, wonach er "aufgrund seiner Behinderung eindeutig nicht für den ersten Arbeitsmarkt geeignet" sei und "eine dauerhafte Erwerbsminderung beibehalten" werde, sowie eine Bestätigung des Werkstattträgers H L GmbH, Zweigwerkstatt S, wonach der Fachausschuss am 05.05.2015 beschlossen habe, dass er ab dem 31.08.2015 die dortige Einrichtung besuchen werde, vor.

Die Beklagte bewilligte ihm daraufhin durch Bescheid vom 24.06.2015 ab dem 01.07.2015 laufende Grundsicherungsleistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII i.H. des Regelbedarfs für eine alleinstehende Person (399,00 Euro) sowie eine entsprechende Nachzahlung für die Monate Mai und Juni.

Gegen den vorgenannten Bescheid legte er am 17.07.2015 Widerspruch hinsichtlich des Bewilligungsbeginns ein. Die Voraussetzung einer dauerhaften vollen Erwerbsminderung habe bereits zum Antragszeitpunkt im September 2014 vorgelegen. Dies hätte durch den Rentenversicherungsträger geklärt werden können.

Zum 31.08.2015 trat der Kläger in das Eingangsverfahren des Berufsbildungsbereichs der H-Zweigwerkstatt S ein.

Die Beklagte half seinem Widerspruch im Widerspruchsbescheid vom 08.10.2015, zugestellt am 10.10.2015, insoweit ab, als sie ihm rückwirkend ab dem 01.05.2015 auch einen behinderungsbedingten Mehrbedarf i.S.v. § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII bewilligte. Im Übrigen wies sie den Widerspruch als unbegründet zurück. Erst mit den Feststellungen des Fachausschusses gelte die dauerhaft volle Erwerbsminderung des Klägers als festgestellt. Daher sei eine Begutachtung durch den Rentenversicherungsträger nicht notwendig. Hinsichtlich des vorherigen Zeitraumes sei der Kläger grundsätzlich leistungsberechtigt nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II), was aus § 21 SGB XII folge.

Daraufhin hat der Kläger mit Schreiben vom 27.10.2015, eingegangen am 09.11.2015, Klage zum Sozialgericht Köln erhoben:

Er habe bereits ab Antragstellung am 26.09.2014 Anspruch auf Grundsicherungsleistungen. Denn aus medizinischen Gründen sei die Annahme seiner Erwerbsfähigkeit auch vor dem Eintritt in den Eingangsbereich der Behindertenwerkstatt ausgeschlossen gewesen. Bereits am 26.09.2014 habe mithin ein Hilfebedarf vorgelegen, der der Beklagten auch bekannt gewesen sei. Denn seine Mutter habe die Notlage konkret gegenüber Herrn L geschildert. Sie habe diesem das Schreiben vom 25.09.2014 mit dem Antrag auf Grundsicherung sowie den Schwerbehindertenausweis im Original vorgelegt, von dem eine Kopie zu den Akten genommen worden sei. Das Gesetz stelle ausdrücklich gerade nicht auf eine schriftliche Antragstellung ab. Das Ausfüllen von Formularen stelle lediglich die Erfüllung einer Mitwirkungspflicht dar. Werde gegen diese vermeintliche Mitwirkungspflicht verstoßen, so müsse zunächst ein entsprechender Hinweis mit Belehrung über die Folgen eines Verstoßes erfolgen.

In der Klageerwiderung hat die Beklagte mitgeteilt, dass sie Regelbedarf und Mehrbedarf bereits ab dem 01.03.2015 gewähre, da der Antrag im Monat März eingegangen sei. Ein gesonderter Bescheid ist nicht ergangen.

Der Kläger hat daraufhin beantragt,

die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 24.06.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 08.10.2015 zu verurteilen, ihm auch im Zeitraum von September 2014 bis einschließlich Februar 2015 Leistungen nach dem SGB XII nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu bewilligen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hat die Auffassung vertreten, zwar handele es sich bei Grundsicherungsleistungen um antragsabhängige Leistungen. Da die Antragsformulare aber erst am 17.03.2015 bei ihr abgegeben worden seien, könne die Leistungsgewährung erst mit Kenntnis einsetzen. Denn der Sozialhilfeträger sei nicht verpflichtet, die Notwendigkeit der Hilfe zu erahnen. Die Kenntnis des Vorliegens der Voraussetzungen für die Leistungen definiere den Zeitpunkt des Entstehens des Anspruchs auf Hilfe. Der Sozialhilfeträger habe keine Leistungspflicht für Zeiträume vor Kenntnis der Notlage. Erst mit den am 17.03.2015 gemachten Angaben sei es möglich gewesen, eine Hilfebedürftigkeit festzustellen. Zum Zeitpunkt der erstmaligen Vorsprache bei der Seniorenberatung sei noch keine offizielle Feststellung über die Erwerbsfähigkeit des Klägers erfolgt. Er habe daher grundsätzlich zum leistungsberechtigten Personenkreis nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) gehört. Das zuständige Jobcenter hätte daher eine Entscheidung über seine Erwerbsfähigkeit zu treffen gehabt.

Das durch Beschluss des Sozialgerichts vom 05.04.2016 beigeladene Jobcenter L hat keinen Antrag gestellt und weiterhin gemeint, dass ein Anspruch nach dem SGB II nicht bestanden habe, da der Kläger zu keiner Zeit erwerbsfähig gewesen sei.

Zum 01.12.2015 ist der Kläger in den Berufsbildungsbereich der H-Zweigwerkstatt S gewechselt.

Das Sozialgericht hat die Klage durch Urteil vom 25.05.2016 abgewiesen:

Die gegen den Bescheid der Beklagten vom 24.06.2015 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 08.10.2015 gerichtete Klage sei zulässig, aber nicht begründet.

Der Kläger habe im Zeitraum vom September 2014 bis zum Februar 2015 keinen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII besessen. Sowohl für Grundsicherungsleistungen nach dem Vierten Kapitel als auch für die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII gelte § 18 Abs. 1 SGB XII, wonach die Sozialhilfe einsetze, sobald dem Träger der Sozialhilfe oder den von ihm beauftragten Stellen bekannt werde, dass die Voraussetzungen für die Leistungen vorliegen. Für die Grundsicherung komme hinzu, dass ein Antrag gestellt werden müsse. Das sei zwar, wie im Fall des Klägers im September 2014 geschehen, auch formlos möglich, aber die Beklagte habe zu diesem Zeitpunkt noch keine Kenntnis von den Leistungsvoraussetzungen gehabt. Hierzu habe das Bundessozialgericht (BSG) in seinem Urteil vom 10.11.2011 zum Az. B 8 SO 18/10 R, dem sich die Kammer anschließe, ausgeführt, dass unter Kenntnis die positive Kenntnis aller Tatsachen zu verstehen sei, die den Leistungsträger in die Lage versetzten, die Leistungen zu erbringen. § 18 SGB XII sichere zum Schutz der Hilfebedürftigen einen niedrigschwelligen Zugang zum Sozialhilfesystem. Es sei ausreichend, dass die Notwendigkeit der Hilfe, nicht jedoch ihr Umfang erkennbar sei. Die Kenntnis von den Voraussetzungen für die Leistung, die auch durch einen Antrag auf die Leistung vermittelt werde, beziehe sich daher nicht auf die Höhe der Leistungen, sondern darauf, dass die Leistungen erforderlich seien. Für die Grundsicherungsleistungen, die auf Antrag gewährt würden, gelte das höhere Erfordernis der Antragstellung, jedoch könnten die Grundsicherungsleistungen nicht zu einem früheren Zeitpunkt einsetzen als die anderen Sozialhilfeleistungen. Für alle Leistungen sei der Zeitpunkt der Kenntnis ihrer Voraussetzungen nach § 18 Abs. 1 SGB XII der maßgebliche Zeitpunkt für das Einsetzen der Hilfe.

Sowohl die Leistungen der Grundsicherung nach dem Vierten Kapitel als auch die Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII setzten voraus, dass der Hilfebedürftige seinen Lebensunterhalt nicht aus Einkommen oder Vermögen bestreiten könne. Der Vermögensgrenzbetrag liege für dauerhaft erwerbsgeminderte Personen bei 3.400,00 Euro. Im vorliegenden Fall sei durch die Angaben der Mutter gegenüber Herrn L und durch die Kopie des Schwerbehindertenausweises erkennbar gewesen, dass der Kläger voraussichtlich dauerhaft erwerbsgemindert gewesen sei und er nicht über eigenes Einkommen verfügt habe. Es seien jedoch keine Angaben über das Vermögen des Klägers gemacht worden. Die vollständigen Voraussetzungen der Sozialhilfeleistungen seien damit der Beklagten erst im März 2015 bekannt gewesen. Es sei auch nicht abwegig anzunehmen, dass der Kläger unter Umständen ein Vermögen von z.B. 4.000,00 oder 5.000,00 Euro gehabt habe. Denn er habe im Zeitpunkt der Antragstellung nicht in prekären Verhältnissen gelebt, sondern stamme aus einer Mittelschichtfamilie. In Mittelschichtfamilien sei es durchaus üblich, dass, etwa um den Steuerfreibetrag der Kinder für Vermögenseinkünfte zu nutzen, von den Eltern Beträge angespart und zur Vollendung des 18. Lebensjahres übergeben würden. Es sei auch nicht ungewöhnlich, dass Großeltern oder Paten zum 18. Geburtstag oder zuvor Geld zuwendeten. Es sei somit für die Beklagte im September 2014 keinesfalls klar erkennbar gewesen, dass die Voraussetzungen der Leistungsgewährung erfüllt gewesen seien.

Es sei zudem ausgesprochen ungewöhnlich, dass ein Hilfebedürftiger die Antragsformulare erst mehrere Monate später zurückreiche. Da sich die Betroffenen in aller Regel in einer Notlage befänden und dringend auf Sozialhilfe angewiesen seien, sei der typische Ablauf, dass das Antragsformular wenige Tage später ausgefüllt zurückgereicht werde. Herr L habe daher nicht ahnen können, dass es so lange dauern würde und es habe keine Veranlassung für ihn bestanden, die weiteren Voraussetzungen der Sozialhilfe abzufragen.

Da im September 2014 über das Vermögen des Klägers nichts bekannt gewesen sei, habe die Beklagte auch nicht die Feststellung der dauerhaften Erwerbsminderung veranlassen können. § 45 Abs. 1 S. 1 SGB XII regele hierzu ausdrücklich, dass der für die Ausführung des Gesetzes zuständige Sozialhilfeträger den Rentenversicherungsträger zu ersuchen habe, die medizinischen Voraussetzungen für die dauerhafte volle Erwerbsminderung zu prüfen, wenn es aufgrund der Angaben und Nachweise des Leistungsberechtigen als wahrscheinlich erscheine, dass diese erfüllt seien und das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen nicht ausreiche, um den Lebensunterhalt vollständig zu decken. Dementsprechend sei die Beklagte und nicht etwa der Beigeladene zuständig zur Prüfung der dauerhaften vollen Erwerbsminderung, weil aufgrund des Schwerbehindertenausweises und der Darlegungen der Mutter wahrscheinlich gewesen sei, dass beim Kläger eine dauerhafte Erwerbsminderung bestand. Die Beklagte habe aber diese Überprüfung im September 2014 noch nicht veranlassen können, weil noch keine Angaben zum Einkommen oder Vermögen des Klägers vorgelegen hätten. Nach den Angaben der Mutter habe noch vermutet werden können, dass der Kläger nicht über Einkommen verfügte, sondern nur das Kindergeld gezahlt würde. Hinsichtlich des Vermögens hätten der Beklagten aber keinerlei Angaben vorgelegen und hätte sie keinerlei Kenntnis besessen.

Leistungen gegenüber dem Beigeladenen seien zum einen nicht beantragt worden, zum anderen schieden sie aufgrund der im Bereich des SGB II zu berücksichtigenden Einkommensverhältnisse der mit dem Kläger in Bedarfsgemeinschaft lebenden Eltern aus. Die Mutter des Klägers habe in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, dass die Familie über Einkommen deutlich über dem Sozialhilfeniveau verfüge.

Gegen das ihm am 03.06.2016 zugestellte Urteil hat der Kläger am 27.06.2016 beim Landessozialgericht Berufung eingelegt.

Der Kläger wiederholt und ergänzt sein bisheriges Vorbringen. Für die verzögerte Rückgabe der Antragsformulare seien eigene Erkrankungen sowie solche seiner Mutter ursächlich. Das Sozialgericht habe verkannt, dass Voraussetzung für einen Anspruch nach dem Vierten Kapitel des SGB XII ein Antrag sei, dem sowohl verfahrens- als auch materiell-rechtliche Bedeutung zukomme. Einen solchen Antrag habe die Mutter als Betreuerin für den Kläger auch eindeutig bereits am 26.09.2014 gestellt. Wenn die verspätete Rückgabe der Antragsformulare tatsächlich zu einer Vereitelung des Leistungsanspruches führen würde, hätte die Beklagte jedenfalls eine Pflicht zur Beratung über diesen Umstand gemäß § 16 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) besessen und diese verletzt. Die Überlegungen des Sozialgerichtes zu den Vermögensverhältnissen in einer Mittelschichtfamilie seien im Übrigen spekulativ.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 25.05.2016 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 17.04.2015/24.06.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.10.2015 zu verurteilen, ihm auch für die Zeit vom 01.09.2014 bis zum 28.02.2015 Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu bewilligen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das aus ihrer Sicht zutreffende erstinstanzliche Urteil.

Der Beigeladene verzichtet auf einen eigenen Antrag und wiederholt sein Vorbringen aus dem erstinstanzlichen Verfahren.

Auf die Verfügung des Berichterstatters vom 17.08.2016 hat die Beklagte die am 26.09.2014 und am 17.03.2015 erstellte Dokumentation, den darin bezeichneten Ankreuzzettel sowie die im Vorfeld des Schriftsatzes vom 31.03.2016 eingeholte Stellungnahme des Seniorenberaters L vorgelegt. Auf die gleichzeitige Aufforderung zur Mitteilung, wie im Fachbereich 50 mit dem Antrag bzw. dem Ankreuzzettel umgegangen worden ist und ob vor dem 20.03.2015 eine Mitwirkungsaufforderung erfolgt bzw. aus welchen Gründen dies unterblieben ist, hat die Beklagte folgende Stellungnahme ihres - ausweislich des Ankreuzzettels für den Kläger zuständigen - Sachbearbeiters Krämer vom 31.08.2016 vorgelegt:

"( ...) hinsichtlich der Fragestellung der Vorsitzenden Richterin am LSG ergibt sich folgende Verfahrensweise bei 502/12 in Bezug auf Ankreuzzettel:

Die Ankreuzzettel werden bei der Erstvorsprache anhand der gemachten Angaben der vorsprechenden Person (Antragsteller bzw. Bevollmächtigter) ausgefüllt und ausgehändigt. Sofern die Aushändigung durch die Seniorenberatung erfolgt wird eine Kopie an den zuständigen Sachbearbeiter weitergegeben. Dieser legt den Ankreuzzettel auf Wiedervorlage. Eine Erinnerung oder Mitwirkungsaufforderung an den Antragsteller bzw. Bevollmächtigten erfolgt nicht. Der Ankreuzzettel wird von dem Sachbearbeiter nach 4 Wochen im allgemeinen Postordner mit dem Vermerk ,keine Antragstellung‘ abgelegt und nach 12 Monaten vernichtet, sofern innerhalb dieser Zeit keine neuen Schreiben/Vorgänge hierzu eingehen.

Die Frage, ob dies die einheitliche Vorgehensweise im Fachbereich 50 in Bezug auf Ankreuzzettel ist, kann von 502/12 nicht beantwortet werden. ( ...)".

Auf weitere Nachfrage des Berichterstatters hat die Beklagte erklärt, hinsichtlich des am 08.04.2015 erteilten Begutachtungsauftrages keine Resonanz des Rentenversicherungsträgers erhalten zu haben. Dieser habe sie allerdings über die Rentenantragstellung der Klägerin vom 07.12.2015 informiert.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat hat die Beklagte ein nicht unterschriebenes Schriftstück mit der Überschrift "Beauftragung nach § 5 Absatz 5 Sozialgesetzbuch XII für den K e.V., Regionalverband Köln/Rhein-Erft-Kreis/Leverkusen durch die Stadt L" mit den Anlagen Nr. 2 und 5 vorgelegt und angegeben, die Tätigkeit des Seniorenberaters L basiere hierauf.

Aktuell erhält der Kläger von der Beklagten weiterhin Grundsicherungsleistungen und steht kurz vor dem Wechsel vom Berufsbildungsbereich in den Arbeitsbereich seiner Werkstatt zum 01.12.2017.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Diese Unterlagen haben vorgelegen und sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe:

Die Berufung ist zulässig und begründet.

I. Die Berufung ist zulässig.

Sie ist insbesondere gemäß §§ 143, 144 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt worden (§§ 151 Abs. 1, 64 Abs. 2 SGG). Die vollständig abgefasste Entscheidung ist dem Kläger am 03.06.2016 zugestellt worden. Die Berufungsschrift ist bei dem Landessozialgericht am 27.06.2016 eingegangen.

II. Die Berufung ist auch begründet. Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§§ 54 Abs. 1, 4, 56 SGG) ist in vollem Umfang zulässig und begründet.

1. Klagegegenstand sind der Bescheid vom 17.04.2015 und der diesen ändernde Bescheid vom 26.04.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.10.2015. Im Streit steht die Ablehnung von Grundsicherungsleistungen in Form von Regelbedarf der Stufe 1 und behinderungsbedingtem Mehrbedarf im Zeitraum vom 01.09.2014 bis zum 29.02.2015 [4 x (391,00 Euro + 66,47 Euro) und 2 x (399,00 Euro + 67,83 Euro) = 2.763,54 Euro].

2. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen.

Es hat zwar zutreffend erkannt, dass keine Zuständigkeit des Beigeladenen gegeben war. Denn zwischen § 44 SGB II und § 45 SGB XII besteht kein Vorrrang-/Nachrangverhältnis, so dass es allein darauf ankommt, wo der Leistungsbegehrende einen Antrag stellt (vgl. Wahrendorf, in: Grube/Wahrendorf, SGB XII, 5. Aufl. 2014, § 45 Rn. 2a). Hält der Sozialhilfeträger den Hilfebedürftigen für erwerbsfähig, darf und muss er ihn an den SGB II-Träger verweisen und dabei den Tag der Antragstellung vermerken (vgl. hierzu Blüggel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 45 SGB XII, Rn. 25). Dies ist hier nicht erfolgt. Abgesehen davon ist ein Antrag auf SGB II-Leistungen weder gestellt noch beabsichtigt worden.

Allerdings erweist sich - entgegen der erstinstanzlichen Entscheidung - der Bescheid vom 17.04.2015 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 24.06.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.10.2015 als rechtswidrig und den Kläger im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG in seinen Rechten verletzend. Er hat auch im Streitzeitraum Anspruch auf Leistungen der Grundsicherung nach dem Vierten Kapitel des SGB XII.

Älteren und dauerhaft voll erwerbsgeminderten Personen mit gewöhnlichem Aufenthalt im Inland, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht aus Einkommen oder Vermögen beschaffen können, ist auf Antrag Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung zu leisten (§ 19 Abs. 2 Satz 1, § 41 Abs. 1 Satz 1 SGB XII). Leistungsberechtigt wegen einer dauerhaften vollen Erwerbsminderung ist, wer das 18.Lebensjahr vollendet hat, unabhängig von der jeweiligen Arbeitsmarktlage voll erwerbsgemindert im Sinne des § 43 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI) und bei dem unwahrscheinlich ist, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden kann (§ 41 Abs. 3 SGB XII).

a) Der Senat stellt - im Gegensatz zur Beklagten - fest, dass die Mutter des Klägers bereits am 26.09.2014 für ihn einen entsprechenden Antrag i.S.v. § 41 Abs. 1 Satz 1, § 44 Abs. 1 Satz 2 SGB XII gestellt hat. Dies hat auch das Sozialgericht zutreffend angenommen, für die Prüfung der Anspruchsvoraussetzungen dann jedoch auf den Zeitpunkt des Eingangs der Antragsunterlagen am 17.03.2015 abgestellt.

aa) Maßgeblich ist hingegen der Zeitpunkt der Antragstellung und nicht derjenige der Rückgabe der Antragsformulare bzw. Einreichung der Nachweise. Denn das Verwaltungsverfahren beginnt bereits mit der Antragstellung (vgl. Wahrendorf in: Wahrendorf/Grube, SGB XII, 5. Aufl. 2014, § 41 Rn. 25). Über den § 18 SGB XII lässt sich das Antragsprinzip nicht durch den Kenntnisgrundsatz aushebeln. Zwar setzt die Sozialhilfe grundsätzlich ein, sobald ihrem Träger oder der von diesem beauftragten Stelle bekannt wird, dass die Voraussetzungen für die Leistungen vorliegen. Als Ausnahmefall hierzu ist allerdings bei den Grundsicherungsleistungen nach der ausdrücklichen gesetzlichen Anordnung der sogenannte Kenntnisgrundsatz durch das Antragsprinzip ersetzt worden (vgl. BSG, Urteil vom 10.11.2011 - B 8 SO 18/10 R -, juris Rn. 21; s. a. BSG, Urteil vom 20.04.2016 - B 8 SO 5/15 R -, juris Rn. 15, und Urteil vom 26.08.2008 - B 8/9b SO 18/07 R -, juris Rn. 23). Die Beklagte verkennt, dass es nicht vorrangige Aufgabe des § 18 SGB XII ist, Leistungen für die Vergangenheit auszuschließen, sondern ein rechtzeitiges Eingreifen des Sozialhilfeträgers auch ohne Antrag zu gewährleisten. Der Antrag ist damit der frühestmögliche Zeitpunkt des Beginns der Hilfe und zugleich der späteste Zeitpunkt, wenn im Zeitpunkt die gesetzlichen Voraussetzungen für die konkrete Hilfe erfüllt waren. Folgte man der Auffassung der Beklagten und des Sozialgerichtes, wäre stets erst dann Kenntnis gegeben, wenn die Antragsformulare und alle weiteren im Ankreuzzettel angekreuzten, ggf. auch noch weitere Informationen, beigebracht wären. Dann käme es nie auf den Antragszeitpunkt, sondern immer auf denjenigen der Kenntnis von Bedarf und Hilfebedürftigkeit an, unabhängig davon, ob vorher schon nachweisbar Bedarf und Hilfebedürftigkeit vorlagen. Das ist jedoch nicht der Sinn des Antragsverfahrens.

Aber selbst wenn neben den Antrag noch die Kenntnis treten müsste, wie das Sozialgericht meint, hätten in Ansehung der im Folgenden dargelegten Gesprächsinhalte zwischen der Mutter des Klägers und dem Seniorenberater L schon am 26.09.2014 hinreichend konkrete Anhaltspunkte für eine Notlage im Sinne des SGB XII bestanden, deren weitere Details dann im Rahmen der Amtsermittlungspflicht des § 20 SGB X aufzuklären gewesen wären (zum Vorstehenden auch Senat, Urt. v. 28.08.2014 - L 9 SO 28/14 -, juris Rn. 28 ff.).

bb) Die Vorsprache der Mutter des Klägers am 26.09.2014 und die Vorlage des Schreibens vom 25.09.2014, welches einen ausdrücklichen Antrag enthält, stellen unzweifelhaft und eindeutig einen Antrag dar. Die Beklagte hat die Vorlage des Schreibens zudem nicht bestritten. Aber auch unabhängig davon, dass sich mangels Eingangsstempels in der Verwaltungsakte nicht nachvollziehen lässt, ob das Schreiben schon am 26.09.2014 oder erst am 17.03.2015 vorgelegt worden ist, reicht ein mündlicher Antrag aus, worauf das Sozialgericht zutreffend hingewiesen hat.

Die Beklagte geht demgegenüber in ihrer Berufungserwiderung fehl in der Annahme, der Seniorenbetreuer L habe der Mutter des Klägers "den Antrag" lediglich ausgehändigt. Vielmehr stellte diese ihm gegenüber einen solchen, so dass er ihr nur noch die - teilweise von ihm vorausgefüllten - Antragsformulare aushändigen konnte. Es handelte sich hier gerade nicht um einen Fall, in dem lediglich Antragsformulare bei einem Sozialhilfeträger abgeholt worden sind, sondern schon um einen Antrag.

Der vorgelegte Vermerk des Herrn L vom 26.09.2014 ist zwar missverständlich, spricht aber bei Auslegung im Lichte des § 2 Abs. 2 SGB I für eine Antragstellung. So vermerkte er nicht etwa, dass sich die Mutter des Klägers eine Antragstellung noch überlegen wolle und ihr die Unterlagen nur vorsorglich mitgegeben worden wären. Aus seinen Eintragungen im Ankreuzzettel, der als "zur Prüfung ihres Anspruches" bezeichnet bereits einen Antrag nahelegt, ergibt sich vielmehr übereinstimmend mit dem Klägervortrag, dass bei der Erstvorsprache auch über Vermögen, insbesondere darüber, dass kein Geld- und Immobilienvermögen, aber ein auf den Kläger zugelassener PKW vorhanden sei, gesprochen worden ist. Denn anders ist nicht zu erklären, dass Herr L betreffend das Vermögen vorzulegender Unterlagen die Rubriken "Sparbücher und Sparverträge, Geldanlagen, Zahlungen aus Fonds etc." und "bei eigenem Haus: ( ...)" nicht angekreuzt, demgegenüber aber die Rubrik "PKW ( )" angekreuzt hat. Folglich ist bei der Vorsprache und Antragstellung nicht nur über das Einkommen, sondern auch über das Vermögen des Klägers gesprochen worden. Herr L bereitete das weitere Verfahren zur Prüfung des Antrages durch den Sachbearbeiter Krämer durch die Ausfüllung des Ankreuzzettels vor. Für die Annahme eines Antrages spricht schließlich auch, dass Herr L an dem ihm von der Beklagten zur Verfügung gestellten Computer ein Antragsformular erzeugt hat und hierzu ausdrücklich ein Formular "Anlage zum Antrag auf Leistungen nach dem SGB XII vom 05.09.2014" erstellt hat, wobei Bezugspunkt nur das vorgelegte Antragsschreiben vom 25.09.2014 gewesen sein kann. Die Antragstellung kann nach alledem nicht zweifelhaft sei, wovon selbst das Sozialgericht ausgegangen ist.

Der Senat hat auch keine Bedenken dahingehend, dass der Antrag gegenüber einem Mitarbeiter der K e.V. Seniorenberatung im Bezirksamt S nicht wirksam hätte gestellt werden können. Denn wenn die Beklagte sich eines solchen Mitarbeiters dadurch bedient, dass er in Diensträumen ihrer Behörde Zugriff auf verwaltungseigene EDV-Mittel nehmen, einen verwaltungsinternen Ankreuzzettel ausfüllen und dabei festlegen darf, welche Unterlagen beizubringen sind, und überdies Anträge annehmen und weiterleiten darf, handelt er nicht als Erklärungsbote oder -vertreter des Klägers, sondern als Empfangsvertreter der Beklagten (vgl. Pattar in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, Stand: 01.12.2012, § 37 SGB X, Rn. 43). Wer es - wie die Beklagte zumindest - duldet, dass ein anderer für ihn wie ein Vertreter auftritt, muss sich nach den Grundsätzen der Duldungs- oder Anscheinsvollmacht dessen Verhalten auch dann anrechnen lassen, wenn er keinen Bevollmächtigungswillen hatte (vgl. BSG, Urteil vom 21.02.2002 - B 3 KR 4/01 R -, Rn. 18).

Die Beklagte kann dem nicht eine etwaige fehlende Beauftragung des Herrn L entgegenhalten. Es kann in diesem Zusammenhang dahinstehen, ob die im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat von der Beklagten vorgelegte "Beauftragung nach § 5 Absatz 5 Sozialgesetzbuch XII für den K e.V., Regionalverband Köln/Rhein-Erft-Kreis/Leverkusen durch die Stadt L" tatsächlich zum 01.01.2014 erfolgt ist. Denn selbst wenn von ihrer Wirksamkeit auszugehen wäre, verbliebe es bei den vorstehenden Feststellungen. Ziffer 1 definiert den Gegenstand der Beauftragung und bezieht sich auf § 5 Abs. 5 SGB XII, wonach die Träger der Sozialhilfe allgemein an der Durchführung ihrer Aufgaben nach diesem Buch die Verbände der freien Wohlfahrtspflege beteiligen oder ihnen die Durchführung solcher Aufgaben übertragen können, wenn die Verbände mit der Beteiligung oder Übertragung einverstanden sind (Satz 1). Gleichwohl bleiben die Träger der Sozialhilfe den Leistungsberechtigten gegenüber verantwortlich (Satz 2). Die Beauftragung bestimmt als ihren Gegenstand die Erbringung von Dienstleistungen nach § 10 SGB XII für alte, kranke und behinderte Menschen durch Fachkräfte und bezeichnet diese als "Senioren-Beratung". Weiter heißt es, es handele sich um Maßnahmen im Rahmen der Altenhilfe gemäß § 71 SGB XII, die im Neunten Kapitel des SGB XII geregelt ist. Zwar wäre die Beratung des Klägers, der Grundsicherungsleistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII (§§ 41 ff. SGB XII) begehrte, dann möglicherweise nicht von dieser formalen Beauftragung umfasst gewesen, wenngleich das Verhalten des Seniorenberaters hier im Hinblick auf den Grundsatz niedrigschwelliger Hilfsangebote und des aus Anlage 2 Ziffer 2 der Beauftragung folgenden Gebots für die Seniorenberater, offensiv auf Notleidende (einsame und zurückgezogene Menschen, verwahrloste Menschen etc.) zuzugehen, verständlich erscheint. Allerdings hat die Beklagte das Handeln des Herrn L konkludent genehmigt und zumindest geduldet, wie die weitere Behandlung des Falles und letztlich die erfolgte Bewilligung ab dem 01.03.2015 verdeutlichen.

Der Senat weist am Rande darauf hin, dass auch die unter Ziffer 3 der Beauftragung vorgesehene Hilfe bei der Antragsformulierung durchaus als Antragsaufnahme aufgefasst werden kann. Anlage 5 Ziffer 2 der Beauftragung definiert zudem als ein Ziel, dass der ratsuchende Bürger umfassend bezüglich seines Anliegens beraten, an den jeweiligen Sachbearbeiter weitergeleitet und hinsichtlich der notwendigen Dokumente vorbereitet wird. Selbst wenn Herr L hier also innerhalb der Beauftragung agiert hätte, dann wäre sein Vorgehen ausreichend gewesen, um eine Antragstellung anzunehmen.

Bei rechtmäßigem Verwaltungshandeln (durch den Sachbearbeiter Krämer) hätte die Beklagte in der Folgezeit den Kläger zur Mitwirkung auffordern und ggf. einen Versagungsbescheid (§§ 61 ff. SGB I) oder einen auf die fehlende, nicht nachgewiesene Hilfebedürftigkeit gestützten Ablehnungsbescheid erlassen müssen. Die im Vermerk dieses Sachbearbeiters vom 31.08.2016 beschriebene Vorgehensweise der Ablage mit dem Vermerk "keine Antragstellung" nach vier Wochen und Vernichtung des Vorgangs nach zwölf Monaten begegnet in den Fällen einer - wie hier - anzunehmenden Antragstellung durchgreifenden Bedenken. Anderes mag in Fällen gelten, in denen lediglich Antragsformulare bei einem Sozialhilfeträger abgeholt worden sind, ohne dass ein Antrag gestellt worden ist. Der vorgenannte Vermerk bestätigt aber gerade, dass nicht sauber zwischen beiden Sachverhalten unterschieden wird, da zunächst von "Antragsteller" bzw. dessen "Bevollmächtigtem" die Rede ist, es dann jedoch heißt, dass die Sache dann, wenn kein weiterer Schriftverkehr eingehe, mit dem Vermerk "keine Antragstellung" zur Ablage bzw. Vernichtung gelange.

Der Senat sieht sich schließlich dazu veranlasst anzumerken, dass das befremdliche und nachlässige Verwaltungshandeln seinen Höhepunkt darin findet, dass die Beklagte vorgetragen hat, der Rentenversicherungsträger habe sie über eine Rentenantragstellung der Klägerin vom 07.12.2015 informiert, und als Beleg hierfür ein Schreiben der Deutschen Rentenversicherung Rheinland betreffend eine Versicherte vorgelegt hat, die mit dem ganzen Verfahren überhaupt nichts zu tun hat.

b) Im Zeitpunkt der Antragstellung am 26.09.2014 hatte der Kläger bereits das 18.Lebensjahr vollendet und war auch voll erwerbsgemindert auf Dauer.

Zwar war im Zeitpunkt der Antragstellung eine dauerhaft volle Erwerbsminderung bei dem Kläger noch nicht festgestellt worden. Das steht dem Anspruch letztlich aber nicht entgegen. § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB XII verlangt, dass der Träger der Sozialhilfe den zuständigen Träger der Rentenversicherung ersucht, die medizinischen Voraussetzungen des § 41 Abs. 3 SGB VI zu prüfen. Eine eigene Prüfungskompetenz zur Feststellung der Dauerhaftigkeit der vollen Erwerbsminderung steht ihm nicht zu (vgl. BSG, Urteil vom 23.03.2010 - B 8 SO 17/09 R -, juris). Dieses Ersuchen erfordert allerdings, dass auf Grund der Angaben und Nachweise des Leistungsberechtigten als wahrscheinlich erscheint, dass er einerseits diese medizinischen Voraussetzungen erfüllt, und andererseits aber auch das zu berücksichtigende Einkommen und Vermögen nicht ausreicht. Die Prognose ist auf den Zeitpunkt der Antragsstellung am 26.09.2014 zu beziehen, denn mit diesem beginnt das Verwaltungsverfahren. Das Ersuchen gemäß § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB XII war hier auch nicht entbehrlich, denn ein Fall des Abs. 1 Satz 3 lag im Streitzeitraum nicht vor.

Bereits aufgrund der Angaben der Mutter über die Behinderung des Klägers und dessen Einkommens- und Vermögensverhältnisse gegenüber dem Seniorenberater L am 26.09.2014 hätte der Beklagten aber wahrscheinlich erscheinen müssen, dass der Kläger die medizinischen Voraussetzungen der dauerhaft vollen Erwerbsminderung erfüllen und sein zu berücksichtigendes Einkommen und Vermögen nicht zur Bedarfsdeckung ausreichen würde. Nicht zu folgen vermag der Senat in diesem Zusammenhang der Einschätzung der Beklagten und des Sozialgerichtes, wonach die Mutter zwar Angaben zum Einkommen, nicht jedoch zum Vermögen gemacht habe. Die ebenfalls mündlich erfolgten Angaben zum Vermögen finden ihren Ausdruck - wie oben dargelegt - in den Kreuzen des Herrn L auf dem Ankreuzzettel.

Erst auf die Vorlage der angeforderten Nachweise am 17.03.2015 hin hat die Beklagte die Prognose über die Wahrscheinlichkeit bejaht und mit Verfügung vom 08.04.2015 durch Erteilung des Begutachtungsauftrages an den Rentenversicherungsträger reagiert. Eine (rückwirkende) Feststellung ist daraufhin offenbar nicht erfolgt. Das Verfahren nach § 45 SGB XII ist folglich nicht durchgeführt worden.

Während § 45 SGB XII dem Sozialhilfeträger Vorgaben für die Feststellung der dauerhaften vollen Erwerbsminderung macht, befreit die Norm die Gerichte nicht davon, die Tatbestandsvoraussetzung der dauerhaften vollen Erwerbsminderung (§ 41 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII) ebenso wie andere Tatbestandsvoraussetzungen in vollem Umfang festzustellen (vgl. Blüggel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XII, 2. Aufl. 2014, § 45 Rn. 62).

Der Senat stellt - in Ermangelung von Feststellungen eines Rentenversicherungsträgers für den Streitzeitraum - fest, dass der Kläger bereits bei Antragseingang am 26.09.2014 dauerhaft erwerbsunfähig gewesen ist. Zwar ergibt sich dieses nicht bereits aus dem Umstand, dass er eine Förderschule besucht hat oder in eine Werkstatt für behinderte Menschen aufgenommen worden ist (vgl. BSG, Urteil vom 23.02.2000 - B 5 RJ 8/99 R -, juris Rn. 18). Bereits am 26.09.2014 wies der Kläger allerdings ein Down-Syndrom und eine Intelligenzminderung auf, stand er unter Betreuung und lag bei ihm ein GdB von 100 u.a. mit dem Merkzeichen "H" vor. Die Pflegekasse hatte zuletzt in ihrem Gutachten vom 16.09.2014 den seit 2008 bestehenden Befund einer Pflegebedürftigkeit nach Pflegestufe II mit erheblicher Einschränkung der Alltagskompetenz bestätigt. Aus dem ärztlichen Attest zur Vorlage für die Arbeitsvermittlung der Fachärztin für Allgemeinmedizin Dr. L vom 31.10.2014 ergibt sich u.a., dass der Kläger zwar lesen kann, er aber bei mehr als zweisilbigen Worten den Inhalt nicht auf Anhieb versteht, und im Übrigen im Zahlenraum von eins bis zehn rechnen kann. Vor diesem Hintergrund geht der Senat davon aus, dass der Kläger im Streitzeitraum wegen seiner schweren Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande war, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein, und somit voll erwerbsgemindert i.S.v. § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI gewesen ist. Von weiteren Ermittlungen, insbesondere einer nachträglichen Begutachtung für diesen Zeitraum nach Aktenlage ist kein weitergehender Erkenntnisgewinn zu erwarten.

c) Zu berücksichtigendes Einkommen und Vermögen i.S.v. § 19 Abs. 2 Satz 1, § 41 Abs. 1 Satz 1 SGB XII standen dem Anspruch des Klägers im Streitzeitraum nicht entgegen, wie sich aus den glaubhaften schriftlichen Angaben seiner Mutter in dem Verwaltungsvorgang sowie gegenüber dem Senat ergibt.

d) Dem Kläger steht auch im Streitzeitraum eine monatliche Mehrbedarfspauschale nach Maßgabe des § 42 Nr. 2 i.V.m. § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII zu.

e) Der Anspruch des Klägers besteht gemäß § 44 Abs. 2 Satz 1 SGB XII ab dem 01.09.2014. Denn der Antrag wirkt auf den Ersten des Kalendermonats zurück, in dem er gestellt worden ist, wenn die Voraussetzungen des § 41 innerhalb dieses Kalendermonats erfüllt werden.

III. Die Kostenentscheidung folgt aus den §§ 183 Satz 1, 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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