Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
6
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 6 KR 8/16
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 03.08.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.12.2015 wird aufgehoben und die Beklagte verpflichtet, dem Kläger gemäße Verordnung vom 24.06.2015 in aktuell angepasster Form ein Therapiedreirad abzüglich eines angemessenen Eigenanteils in Höhe von 100EUR zu gewähren.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Versorgung des Klägers mit einem Therapiedreirad.
Der Kläger, geboren 2011, leidet an einer genetisch bedingten motorischen Entwicklungsverzögerung aufgrund einer Chromosomenaberration, einer kombinierten Entwicklungsstörung sowie einem Krampfleiden und West-Syndrom. Zudem ist der Kläger blind. Seitens der Pflegekasse der Beklagten bezieht er Leistungen nach Pflegegrad 4. Der Kläger hat einen Grad der Behinderung von 100 sowie die Merkzeichen GB, AG, BL H und RF. Unter Vorlage einer Verordnung von Dr. C. vom 24.06.2015 über ein Therapiedreirad in patientengerechter Ausstattung mit Schiebestange und Begleitlenkung reichte der Kläger über das Sanitätshaus D. am 14.07.2015 einen Kostenvoranschlag bei der Beklagten ein. In diesem Kostenvoranschlag, der insgesamt 3.309,86EUR lautete, führte das Sanitätshaus aus, dass das beantragte Therapiedreirad bereits erfolgreich erprobt worden sei. Es diene den folgenden Therapiezwecken: Die wiederholte alternierende Bewegung diene der Anbahnung des begleitenden Gehens. Dies könne kein anderes verfügbares Hilfsmittel leisten. Nach großer Wiederholungszahl/entsprechend zurückgelegter Strecke beginne der Kläger bereits diese Bewegung mit aufzunehmen. Kräftigung und Tonusaufbau in der unteren Extremität seien oberstes Therapieziel im Hinblick auf die spätere Pflegeerleichterung. Durch den allgemeinen Hypotonus sei unter anderem auch der Verdauungstrakt stark beeinträchtigt. Es komme zu Verstopfungen und Entzündungen mit teilweise blutigem Stuhl. Das Therapierad biete die Möglichkeit, ausreichend Bewegung in den Unterleib des Kindes zu bringen, um diese Situation zu verbessern.
Bei der Beklagten eingereicht wurde zudem eine Stellungnahme der Frühförderstelle der Deutschen Blindenstudienanstalt e.V., Frau E., vom 06.07.2015. Darin wurde ausgeführt, dass der Kläger ein Bedürfnis nach körperlicher Bewegung habe, dabei jedoch ständig Begleitung oder einen sicheren Rahmen benötige, da er Gefahren – wie sie z.B. durch Hindernisse – nicht selbstständig einschätzen und damit mögliche Unfälle vermeiden könne. Um dem Bedürfnis nach Bewegung des Klägers gerecht zu werden, aber auch der Möglichkeit nach aktiver Freizeitgestaltung in der Familie nachkommen zu können, werde der Antrag der Familie ausdrücklich unterstützt. In einer Testsituation mit einem Leihrad habe bereits festgestellt werden können, dass diese Form der Bewegung dem Kläger viel Freude bereite, seine Muskulatur für aktives Stehen und späteres Laufen trainiere und in der Koordination (Hände halten den Lenker in aufrechter Sitzposition mit guter Kopfkontrolle) zu einer erhöhten Muskelspannung führe. Die Beklagte leitete diese Unterlagen dem MDK zu. Mit Kurzgutachten vom 29.07.2015 führte der MDK aus, dass die im Hilfsmittelverzeichnis gesandten Zielsetzungen einer Therapiedreiradversorgung im vorliegenden Fall nicht erreicht werden könnten. Eine sozialmedizinische Indikation für die beantragte Ausstattung sei nicht erkennbar. Auf dieser Grundlage lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 03.08.2015 ab. Der Kläger widersprach diesem Bescheid mit Schreiben vom 20.08.2015 unter Beifügung einer Stellungnahme von Herrn Dr. C. vom 21.08.2015. Dieser führte aus, dass er die Einschätzung bei dem schwer-mehrfachbehinderten Kläger für falsch halte. Es gehe nicht um Teilhabe, sondern um den medizinisch sinnvollen Weg, den Kläger auch im häuslichen Bereich zu mobilisieren und seine Muskulatur für die spätere Vertikalisierung zu trainieren. Dass dies außerdem mit einer Verbesserung seiner chronischen abdominellen Probleme einhergehen werde, sehe er als positiven Nebeneffekt.
Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens beauftragte die Beklagte erneut den MDK. In seinem sozialmedizinischen Gutachten vom 08.09.2015 bestätigte Herr Dr. F. die nicht bestehende Indikation nach den Vorgaben im Hilfsmittelverzeichnis. Da der Kläger nicht in der Lage sei, das Therapiedreirad eigenständig zu führen, entfalle das wesentliche Therapieziel einer solchen Versorgung, nämlich die Integration in die Gruppe Gleichaltriger. Zur Steigerung der Mobilität des Kindes und für das Training von Muskulatur und Bewegungskoordination seien Krankengymnastik und Ergotherapie mit entsprechender Behandlungsfrequenz notwendig. Zunächst soll die weitere Vertikalisierung in einem geeigneten Stehständer der Produktgruppe 28 und nachfolgend der Einsatz einer geeigneten Gehhilfe für Kinder erwogen werden. Diese Versorgungen seien zunächst ausreichend, zweckmäßig und medizinisch sachgerecht. Unter Bezugnahme auf diese Ausführungen wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 08.12.2015 zurück. Hiergegen richtet sich die Klage vom 21.01.2016. Der Klageschrift beigefügt wurde eine Stellungnahme des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum G Stadt und A-Stadt, Herr Dr. H. vom 11.02.2016. Aus kinderneurologischer Sicht sei ein Therapiefahrrad sehr geeignet, um die Aktivität und Mobilität des Klägers zu fördern, womit gleichzeitig eine Verbesserung hinsichtlich der Obstipation zu erwarten sei. Auch stelle diese Form von muskulärer Aktivierung eine Prävention im Hinblick auf eine Hüftluxation dar.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 03.08.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.12.2015 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm ein Therapiedreirad in aktuell angepasster Form auf der Grundlage der Verordnung vom 24.06.2015 abzüglich eines angemessenen Eigenanteils zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung beschränkt sich die Beklagte auf die Wiedergabe der Stellungnahmen des MDK. Im Klageverfahren hat am 19.07.2017 ein Erörterungstermin mit den Beteiligten stattgefunden. Infolge dieses Termins hat das Gericht bei Herrn Dr. C., Herrn Dr. H. und in der KiTa I. Befundberichte bzw. Stellungnahmen zum aktuellen Therapiekonzept angefordert. In seiner Stellungnahme vom 04.08.2017 hat Herr Dr. H. dargelegt, dass das Behandlungskonzept in einer umfassenden Förderung der motorischen Entwicklung und besonders der Mobilität mit dem Ziel, eine allgemeine körperliche Stabilisierung zu erreichen bestehe. Das Therapiedreirad könne als Bestandteil dieses Konzeptes eingesetzt werden. Der Einsatzzeitraum sei auf Jahre zu sehen. Zwar könne das Therapiedreirad aufgrund der Schwere der Behinderung diese nicht ausgleichen, diene jedoch zur Vorbeugung von Folgebehinderungen und darüber hinaus gehe es um die tendenzielle Verbesserungen und Mehrung der Lebensfreude. Alternativen seien im Hinblick auf die spezifische Problematik des Klägers nicht bekannt. In seinem Befundbericht vom 04.09.2017 erläuterte Herr Dr. C. das Therapiekonzept ganz konkret wie folgt:
- Soziale Interaktion und Teilhabe am Alltag sichern
- Physisches Training der Ausdauer und Muskulatur gewährleisten
- über Gewichtszunahme, Muskelaktivität und erhöhten Stoffwechsel die Knochendichte verbessern
- durch die Aktivität Atmung und Kreislauf positiv beeinflussen
- durch Dehnung und Streckung der Muskulatur den Tonus regulieren und Kontrakturen und Deformitäten vorbeugen
- durch die aktive Bewegung die kognitiven Fähigkeiten fördern
Nach seiner Einschätzung würde die Versorgung die Behandlung stützen und die bestehende Behinderung teilweise ausgleichen. Seinem Befundbericht hat Herr Dr. C. einen Auszug des Förderplanes der KiTa betreffend den Bereich Grobmotorik beigefügt.
In ihrer Stellungnahme vom 27.09.2017 hat die behandelnde Physiotherapeutin, Frau J., ausgeführt, dass das Therapiedreirad aus ihrer Sicht eine sinnvolle Ergänzung und Unterstützung der aktuell laufenden Therapien darstelle. Das Hauptproblem des Klägers bestehe in dem niedrigem Muskeltonus und der geringen Ausdauer. Dies mache sich vor allem beim Laufen im NF-Walker bemerkbar. Ein kontinuierliches Muskelaufbautraining durch das Therapiedreirad sei daher eine wichtige Unterstützung der Therapie. Das Rad könne stundenweise sowohl im Kindergarten als auch zuhause genutzt werden. Die Beklagte hat diese Befundberichte und Stellungnahmen erneut dem MDK zur Begutachtung vorgelegt. Frau Dr. K. ist in ihrem sozialmedizinischen Gutachten vom 26.10.2017 zu der Beurteilung gekommen, dass auch in Anbetracht dieser Stellungnahmen die Versorgung nicht als sachgerecht und begründet nachvollzogen werden könne. Es sei nicht vorstellbar, wie der schwerstbehinderte Kläger das Dreirad nach den Vorgaben des Hilfsmittelverzeichnisses nutzen können solle. Dies sei wohl eigenständig nicht möglich. Darüber hinaus sei nicht erkennbar, dass die Ausstattung mit einem Therapiefahrrad integrativer Bestandteil eines unter den ärztlichen und nichtärztlichen Behandlern abgestimmten Behandlungskonzeptes sei. Demzufolge sei anzunehmen, dass mit der Bereitstellung eines Therapiefahrrades nur allgemein gesundheitsfördernde Ziele wie Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit, Mobilisierung von Restfunktionen, Erhöhung von Ausdauer und Belastungsfähigkeit sowie Hilfe bei der Krankheitsbewältigung verfolgt werden sollten. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 16.11.2017 hat Herr Dr. C. ausgeführt, dass grundsätzlich natürlich die Vertikalisierung vordringlich sei. Dies sei allerdings sehr theoretisch. Der Kläger könne nicht mehrere Stunden am Tag von einer Hilfsperson zum/beim Laufen geführt werden, bis perspektivisch eine Versorgung mit Orthesen und einem Walker möglich sei und den Rest der Zeit im Rollstuhl oder im Bett verbringen. Das nachvollziehbare Bedürfnis nach Mobilität komme eben nicht später, sondern sei bei dem Kläger definitiv vorhanden. Im Rahmen des bereits geschilderten Therapiekonzeptes stelle ein Therapierad momentan die sinnvollste Maßnahme dar. In einer erneuten sozialmedizinischen Stellungnahme vom 14.11.2017 hat der Gutachten Herr L. die Vorgaben des Hilfsmittelverzeichnisses wörtlich wiedergegeben. Die vom Kinderarzt dargelegten Ziele könnten im vorliegendem Fall mit einem Therapiefahrrad nicht erreicht werden, zumal der Kläger das Fahrrad nicht selbstständig und aktiv nutzen könne – möglicherweise auch nur mit Inkaufnahme einer zusätzlichen Eigengefährdung. Von wesentlicher therapeutischer Bedeutung erscheine die Anbahnung des Stehens. Bei einer stark verzögerten motorischen Entwicklung und nicht zeitgerechter Steh- und Gehfähigkeit bestehe ein hohes Risiko für Hüftluxationen. Dem könne therapeutisch nur entgegen gewirkt werden, wenn das Kind zielgerichtet vertikalisiert werde, um eine Kräftigung der Muskulatur durch regelmäßige krankengymnastische Behandlungen auf neurophysiologischer Basis zu erreichen. Dafür sei das Therapiedreirad medizinisch nicht erforderlich. Die Belastung der Hüftgelenke im Sitzen, z.B. auf einem Therapiedreirad, stelle keinesfalls eine adäquate Alternative zur achsgerechten vertikalen Belastung der Hüftgelenke und der Wirbelsäule dar.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Prozessakte verwiesen, die in der mündlichen Verhandlung vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist auch begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 03.08.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.12.2015 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er hat einen Anspruch auf Versorgung mit einem Therapiedreirad.
Das Therapiedreirad dient "zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung" im Sinne von § 33 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. SGB V.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG, Urteil vom 7. Oktober 2010, B 3 KR 5/10 R) fallen Maßnahmen oder Hilfen zur Bewegungsförderung zwar grundsätzlich nur ausnahmsweise in die Leistungszuständigkeit der Krankenkassen. Jedenfalls zur Krankenbehandlung i.S. von §§ 27 Abs. 1, 28 Abs. 1 Satz 1 SGB V gehören regelmäßig nur Maßnahmen mit Behandlungs- und Therapiecharakter, die einen eindeutigen Krankheitsbezug aufweisen (BSGE 85, 132, 138). Bloß allgemeine Maßnahmen der Erhaltung und Förderung der Gesundheit genügen diesen Anforderungen nach der Rechtsprechung des BSG demgegenüber nicht, selbst wenn sie von qualifizierten Fachkräften unter ärztlicher Betreuung und Überwachung (§ 44 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX) durchgeführt werden (BSG, Urteil vom 22. April 2009, B 3 KR 5/08).
Ausnahmsweise können bewegliche sächliche Mittel gleichwohl zur Förderung oder Ermöglichung der Mobilisation - wie hier das Therapiedreirad - in besonders gelagerten Fällen Hilfsmittel "zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung" i.S. von § 33 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. SGB V sein (BSG, Urteil vom 7. Oktober 2010, a.a.O.).
Der Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung dient ein bewegliches sächliches Mittel nach der Rechtsprechung des BSG, soweit es spezifisch im Rahmen der ärztlich verantworteten Krankenbehandlung eingesetzt wird, um zu ihrem Erfolg beizutragen (BSGE 98, 213; BSGE 93, 176). Eine unmittelbare Bedienung des Hilfsmittels durch den Arzt selbst ist dabei nicht zwingend erforderlich, so dass ein Hilfsmittel nicht schon deshalb nach § 33 Abs. 1 SGB V ausgeschlossen ist, weil die praktische Anwendung durch den Versicherten selbst erfolgt (BSGE 87, 105). Jedoch ist nicht jedwede gesundheitsfördernde Betätigung als "spezifischer Einsatz im Rahmen der ärztlich verantworteten Krankenbehandlung" anzusehen. Keinen ausreichend engen Bezug zu einer konkreten Krankenbehandlung weisen nach den dargelegten Maßstäben demgemäß diejenigen gesundheitsförderlichen Maßnahmen auf, die (nur) allgemein auf die Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit, die Mobilisierung von Restfunktionen des behinderten Menschen, die Erhöhung der Ausdauer und Belastungsfähigkeit sowie die Hilfe bei der Krankheitsbewältigung zielen (BSG, Urteil vom 7. Oktober 2010, a.a.O.).
Ein weitergehender spezifischer Bezug zur ärztlich verantworteten Krankenbehandlung i.S. von § 27 Abs. 1 SGB V kommt daher nur solchen Maßnahmen zur körperlichen Mobilisation zu, die in einem engen Zusammenhang zu einer andauernden, auf einem ärztlichen Therapieplan beruhenden Behandlung durch ärztliche und ärztlich angeleitete Leistungserbringer stehen und für die gezielte Versorgung i.S. der Behandlungsziele des § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V als erforderlich anzusehen sind. Davon ist bei einer Hilfe zur körperlichen Betätigung - wie hier mit einem Therapiedreirad - dann auszugehen, wenn der Versicherte aufgrund der Schwere der Erkrankung dauerhaft Anspruch auf Maßnahmen der Physikalischen Therapie hat und die durch das beanspruchte Hilfsmittel unterstützte eigene körperliche Betätigung diese Therapie entweder wesentlich fördert oder die Behandlungsfrequenz infolge der eigenen Betätigung geringer ausfallen kann und sich deshalb die Versorgung mit dem Hilfsmittel im Rahmen der Wahlmöglichkeit des Versicherten (vgl. § 33 SGB I und § 9 Abs. 1 SGB IX) als wirtschaftlich darstellt.
Vorliegend hat der Kläger unstreitig und dauerhaft Anspruch auf ein ganzes Konglomerat von Therapien, die in enger Abstimmung zwischen Kita, Frühförderstelle und Kinderarzt koordiniert werden. Dies belegen sämtliche Befundberichte, die von den beteiligten Stellen im Laufe des Klageverfahrens eingeholt worden sind. Danach gibt es einen konkreten Förderplan, aus dem sich die Therapieziele und Umsetzungsschritte ergeben.
Die Kammer hält es für abwegig, unter diesen Umständen das Vorliegen eines Therapiekonzeptes zu verneinen, wie es der MDK beharrlich tut. Eine derartige Äußerung, wie zuletzt im Gutachten vom 27.10.2017 vorgenommen, spottet nicht nur sämtlichen Bemühungen der Behandler, ein schwerstbehindertes Kind im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung gut zu versorgen, sondern lässt auch erhebliche Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Gutachters aufkommen.
Die Kammer hat keinen Zweifel, dass das Therapiedreirad, das im Rahmen dieses Gesamtkonzeptes zum Einsatz kommen soll, diese Therapie auch wesentlich fördert. Die Kammer folgt insoweit den übereinstimmenden Aussagen sämtlicher an der Therapie Beteiligten. So hat der behandelnde Neuropädiater Herr Dr. H. dargelegt, dass das Behandlungskonzept in einer umfassenden Förderung der motorischen Entwicklung und besonders der Mobilität mit dem Ziel bestehe, eine allgemeine körperliche Stabilisierung zu erreichen. Das Gericht ist mit Dr. H. der Überzeugung, dass das Therapiedreirad im Rahmen dieser Zielsetzung eingesetzt werden kann und es dazu auch keine Alternative gibt. Diese Einschätzung bestätigt auch Dr. C. sowie die behandelnde Physiotherapeutin.
Die fachkundig mit einer ehrenamtlichen Richterin, die als Trainerin für Lerngymnastik arbeitet, besetzte Kammer hält das dargestellte Therapiekonzept auch für absolut nachvollziehbar. Es ist davon auszugehen, dass durch das Training mit dem Therapiedreirad positive Auswirkungen auch auf das Vestibularsystem erzielt werden, die für das spätere Laufen von Bedeutung sein werden.
Die Kammer hat sich zudem im Erörterungstermin und im Termin zur mündlichen Verhandlung ein Bild vom Kläger machen können. Es ist bereits aus Laiensicht erkennbar, dass der Kläger, der im Wesentlichen auf dem Arm der Eltern im Sitzungssaal anwesend war, Probleme mit dem Muskeltonus hat und ihm jegliche Körperstabilisierung und Haltungskontrolle (sowohl Sitzen als auch Stehen) schwer fällt. Insofern überzeugt es die Kammer, wenn die Behandler darlegen, dass vor allem – im Hinblick auf die anzustrebende Vertikalisierung - eine Aktivierung der Muskulatur und Tonusregulierung angestrebt werden. Soweit die Physiotherapeutin den niedrigen Muskeltonus und die fehlende Ausdauer als Hauptprobleme für den weiteren Entwicklungsfortschritt definiert, überzeugt dies die Kammer vollends. Für den Kläger geht es gerade darum, mit dem Therapiedreirad an diesen beiden Kernproblemen zu arbeiten, um dann später ausdauernder das Laufen trainieren zu können.
Für die Kammer ist zudem nicht ersichtlich, auf welche andere Art und Weise, ein entsprechendes Training zusätzlich zur Physio- und Ergotherapie erzielt werden könnte.
Der Einwand des MDK, dass vorrangig die Anbahnung des Stehens anzustreben sei, weil bei der stark verzögerten motorischen Entwicklung ein hohes Risiko für Hüftluxationen besteht, wird von Dr. C. so bestätigt. Die Kammer folgt jedoch seinen Ausführungen dahingehend, dass das Therapiedreirad nicht dazu dient, einen Bestandteil der Therapie, die auf das Stehen und Gehen ausgerichtet ist, zu ersetzen, sondern es darum geht, diese Therapie sinnvoll zu ergänzen und zu unterstützen.
Nicht zuletzt würde eine Verweigerung einer weiteren Bewegungsmöglichkeit für den Kläger bedeuten, dass er darauf beschränkt wäre, kurzzeitig unter Hilfestellung zu gehen, kurze Zeiten im Walker zu verbleiben und den Rest des Tages im Rollstuhl oder im Bett zu verbringen. Dass dies nicht dem Bewegungsbedürfnis eines sechsjährigen gerecht wird, ist offenkundig.
Soweit der MDK darüber hinaus einwendet, es bestehe aufgrund des cerebralen Krampfleidens eine zusätzliche potentielle Gefährdung bei der Nutzung des Therapiedreirades so ist diese Sorge sicherlich berechtigt. Allerdings wird es Aufgabe des Rehatechnikers sein, das Therapiedreirad so auszurüsten, dass derartige Gefährdungen möglichst ausgeschlossen werden. Darüber hinaus dürften sowohl die Eltern als auch die fachkundigen Erzieher/innen und Behandler in der Lage sein, dieses Gefährdungspotenzial einzuschätzen und entsprechend zu reagieren. Jedenfalls vermag die Kammer nicht zu erkennen, dass durch eine hypothetische Gefährdungslage der grundsätzliche Versorgungsanspruch ausgeschlossen werden könnte.
Dass mit der Nutzung des Therapiedreirades ein positiver Einfluss auf die chronischen abdominellen Probleme des Klägers einhergehen wird, sieht die Kammer mit Dr. C. als positiven Nebeneffekt.
Damit ist das Therapiedreirad bereits zur "Sicherung des Erfolges der Krankenbehandlung" notwendig und entsprechend zu gewähren. Auf die Frage, ob das Therapiedreirad auch noch einen mittelbaren Behinderungsausgleich leistet, kommt es damit nicht mehr an.
Selbst wenn man jedoch davon ausgehen wollte, dass die "Sicherung des Erfolges der Krankenbehandlung" nicht erfüllt wäre, so wäre das Therapiedreirad unter dem Aspekt des mittelbaren Behinderungsausgleichs im Sine von § 33 Abs. 1, 2. Variante SGB V zu gewähren.
Ein Behinderungsausgleich in diesem Sinne kann nur dann beansprucht werden, wenn es sich um ein Grundbedürfnis handelt, das mit dem Hilfsmittel befriedigt werden kann. Die Begrenzung folgt daraus, dass den gesetzlichen Krankenversicherungen lediglich die medizinische Rehabilitation obliegt, nicht hingegen eine berufliche oder "soziale" Reha. Ziel ist es, den Behinderten ein weitgehend selbstständiges Leben und die Bewältigung des Alltags zu ermöglichen (Urteil des BSG vom 23.07.2002, Az. B 3 KR 3/02 R, Rn. 10). Zu den elementaren Grundbedürfnissen gehören unter anderem die Ernährung und die Körperpflege sowie die selbstständige Haushaltsführung und die Kommunikation. Daneben stellt auch die Bewegungsfreiheit beziehungsweise Mobilität ein von der Rechtsprechung anerkanntes Grundbedürfnis dar, das jedoch regelmäßig auf den Nahbereich im Sinne eines "Erschließen eines gewissen körperlichen Freiraums" beschränkt ist (vgl. Urteil des BSG vom 21.11.2002, Az. B 3 KR 8/02 R, Rn. 15). Eine Ausnahme dieses Grundsatzes wird jedoch bei Kindern oder Jugendlichen wegen ihrer besonderen Entwicklungsphase anerkannt (Kasseler-Kommentar-Höfler, SGB V, § 33, Rn. 12a).
In diesen Fällen ist der anzustrebende Behinderungsausgleich auf eine möglichst weitgehende Eingliederung in den Kreis Gleichaltriger gerichtet (Krauskopf-Wagner, SGB V, § 33, Rn. 12). Im vorliegenden Verfahren ist der Kläger unter diesem Gesichtspunkt der sozialen Integration mit dem streitgegenständlichen Hilfsmittel zu versorgen.
Die Versorgung mit dem Therapiedreirad ist auch erforderlich im Sinne von geeignet, notwendig und angemessen (§ 33 Abs. 1 S. 1 SGB V in Verbindung mit § 12 Abs. 1 SGB V). Geeignetheit liegt vor. Unbedingte Voraussetzung hierfür ist nach Auffassung des Gerichts die Fähigkeit des Versicherten, das Hilfsmittel zu nutzen. Dass der Kläger hierzu in der Lage ist, steht einhellig zur Überzeugung des Gerichts aufgrund der vorgelegten Befundberichte, fest.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts kann ein Versicherter im Bereich der Hilfsmittelversorgung nicht das Gleichziehen mit den Möglichkeiten eines Gesunden beanspruchen. Umgekehrt darf die Versorgung dann aber auch nicht davon abhängig gemacht werden, dass die Behinderung in dem Maße ausgeglichen wird, dass der Versicherte letztendlich mit einem Gesunden vergleichbar wäre (vgl. Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 13.09.2007, Az. L 8 KR 247/06, Rn. 32).
Der Geeignetheit steht schließlich auch nicht entgegen, dass die Nutzung des Therapiedreirades nur unter Aufsicht erfolgen kann und der Kläger auf Hilfestellung bei der Betätigung angewiesen ist (so auch SG Fulda, Urteil vom 16.12.2010, Az. S 11 KR 7/09). Die soziale Integration ist hierdurch nicht ausgeschlossen. Richtig ist zwar, dass die Anwesenheit eines Erwachsenen von Kindern und Jugendlichen bei Aktivitäten, mit denen Sie gerade Selbstständigkeit und Unabhängigkeit beweisen wollen, üblicherweise nicht akzeptiert wird (vgl. Urteil des BSG vom 21.11.2002, Az. B 3 KR 8/02 R, Rn. 19). Dieser Grundsatz kann allerdings nicht uneingeschränkt für jede Altersgruppe gelten. Sicherlich ist eine soziale Integration bei Jugendlichen und älteren Kindern regelmäßig nicht mehr zu erreichen, wenn ein Erwachsener anwesend ist. Anders gestaltet sich die Situation jedoch bei Kindern im Grundschulalter (sechs bis zehn Jahre). Auch normale, gesund entwickelte Kinder bedürfen in diesem Alter noch der regelmäßigen Aufsicht durch Kontrolle und Beobachtung. Dies muss erst recht bei der Teilnahme am Straßenverkehr gelten. Insoweit kann die Geeignetheit des Therapiedreirades bei dem zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung sechsjährigen Kläger nicht mit der Begründung verneint werden, dass soziale Integration wegen der Anwesenheit einer Begleitperson nicht möglich sei. Im Übrigen ist fraglich, ob immer uneingeschränkt auf die Integration von gleichaltrigen Kindern abzustellen ist. Liegt eine geistige Behinderung vor, dürfte es im Einzelfall auch sachgerecht sein, bei der Integration das "Entwicklungsalter" des Versicherten zu Grunde zu legen.
Die Kammer hat dem Kläger einen Eigenanteil an der Anschaffung des Therapiedreirades auferlegt. Denn das Therapiedreirad ersetzt von seiner Funktion her anteilig ein Fahrrad. Ein Fahrrad wiederum stellt sich als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens dar, den jeder Versicherte unabhängig von günstigen Effekten auf die Gesunderhaltung auf eigene Kosten anschaffen muss. Unter Würdigung der Gesamtumstände des Falles, nicht zuletzt der Gewichtung des Kriteriums des Therapieeffekts, hat die Kammer einen Betrag von 100,00 EUR als angemessen erachtet.
Nach alledem war der Klage stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Versorgung des Klägers mit einem Therapiedreirad.
Der Kläger, geboren 2011, leidet an einer genetisch bedingten motorischen Entwicklungsverzögerung aufgrund einer Chromosomenaberration, einer kombinierten Entwicklungsstörung sowie einem Krampfleiden und West-Syndrom. Zudem ist der Kläger blind. Seitens der Pflegekasse der Beklagten bezieht er Leistungen nach Pflegegrad 4. Der Kläger hat einen Grad der Behinderung von 100 sowie die Merkzeichen GB, AG, BL H und RF. Unter Vorlage einer Verordnung von Dr. C. vom 24.06.2015 über ein Therapiedreirad in patientengerechter Ausstattung mit Schiebestange und Begleitlenkung reichte der Kläger über das Sanitätshaus D. am 14.07.2015 einen Kostenvoranschlag bei der Beklagten ein. In diesem Kostenvoranschlag, der insgesamt 3.309,86EUR lautete, führte das Sanitätshaus aus, dass das beantragte Therapiedreirad bereits erfolgreich erprobt worden sei. Es diene den folgenden Therapiezwecken: Die wiederholte alternierende Bewegung diene der Anbahnung des begleitenden Gehens. Dies könne kein anderes verfügbares Hilfsmittel leisten. Nach großer Wiederholungszahl/entsprechend zurückgelegter Strecke beginne der Kläger bereits diese Bewegung mit aufzunehmen. Kräftigung und Tonusaufbau in der unteren Extremität seien oberstes Therapieziel im Hinblick auf die spätere Pflegeerleichterung. Durch den allgemeinen Hypotonus sei unter anderem auch der Verdauungstrakt stark beeinträchtigt. Es komme zu Verstopfungen und Entzündungen mit teilweise blutigem Stuhl. Das Therapierad biete die Möglichkeit, ausreichend Bewegung in den Unterleib des Kindes zu bringen, um diese Situation zu verbessern.
Bei der Beklagten eingereicht wurde zudem eine Stellungnahme der Frühförderstelle der Deutschen Blindenstudienanstalt e.V., Frau E., vom 06.07.2015. Darin wurde ausgeführt, dass der Kläger ein Bedürfnis nach körperlicher Bewegung habe, dabei jedoch ständig Begleitung oder einen sicheren Rahmen benötige, da er Gefahren – wie sie z.B. durch Hindernisse – nicht selbstständig einschätzen und damit mögliche Unfälle vermeiden könne. Um dem Bedürfnis nach Bewegung des Klägers gerecht zu werden, aber auch der Möglichkeit nach aktiver Freizeitgestaltung in der Familie nachkommen zu können, werde der Antrag der Familie ausdrücklich unterstützt. In einer Testsituation mit einem Leihrad habe bereits festgestellt werden können, dass diese Form der Bewegung dem Kläger viel Freude bereite, seine Muskulatur für aktives Stehen und späteres Laufen trainiere und in der Koordination (Hände halten den Lenker in aufrechter Sitzposition mit guter Kopfkontrolle) zu einer erhöhten Muskelspannung führe. Die Beklagte leitete diese Unterlagen dem MDK zu. Mit Kurzgutachten vom 29.07.2015 führte der MDK aus, dass die im Hilfsmittelverzeichnis gesandten Zielsetzungen einer Therapiedreiradversorgung im vorliegenden Fall nicht erreicht werden könnten. Eine sozialmedizinische Indikation für die beantragte Ausstattung sei nicht erkennbar. Auf dieser Grundlage lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers mit Bescheid vom 03.08.2015 ab. Der Kläger widersprach diesem Bescheid mit Schreiben vom 20.08.2015 unter Beifügung einer Stellungnahme von Herrn Dr. C. vom 21.08.2015. Dieser führte aus, dass er die Einschätzung bei dem schwer-mehrfachbehinderten Kläger für falsch halte. Es gehe nicht um Teilhabe, sondern um den medizinisch sinnvollen Weg, den Kläger auch im häuslichen Bereich zu mobilisieren und seine Muskulatur für die spätere Vertikalisierung zu trainieren. Dass dies außerdem mit einer Verbesserung seiner chronischen abdominellen Probleme einhergehen werde, sehe er als positiven Nebeneffekt.
Im Rahmen des Widerspruchsverfahrens beauftragte die Beklagte erneut den MDK. In seinem sozialmedizinischen Gutachten vom 08.09.2015 bestätigte Herr Dr. F. die nicht bestehende Indikation nach den Vorgaben im Hilfsmittelverzeichnis. Da der Kläger nicht in der Lage sei, das Therapiedreirad eigenständig zu führen, entfalle das wesentliche Therapieziel einer solchen Versorgung, nämlich die Integration in die Gruppe Gleichaltriger. Zur Steigerung der Mobilität des Kindes und für das Training von Muskulatur und Bewegungskoordination seien Krankengymnastik und Ergotherapie mit entsprechender Behandlungsfrequenz notwendig. Zunächst soll die weitere Vertikalisierung in einem geeigneten Stehständer der Produktgruppe 28 und nachfolgend der Einsatz einer geeigneten Gehhilfe für Kinder erwogen werden. Diese Versorgungen seien zunächst ausreichend, zweckmäßig und medizinisch sachgerecht. Unter Bezugnahme auf diese Ausführungen wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 08.12.2015 zurück. Hiergegen richtet sich die Klage vom 21.01.2016. Der Klageschrift beigefügt wurde eine Stellungnahme des Zentrums für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum G Stadt und A-Stadt, Herr Dr. H. vom 11.02.2016. Aus kinderneurologischer Sicht sei ein Therapiefahrrad sehr geeignet, um die Aktivität und Mobilität des Klägers zu fördern, womit gleichzeitig eine Verbesserung hinsichtlich der Obstipation zu erwarten sei. Auch stelle diese Form von muskulärer Aktivierung eine Prävention im Hinblick auf eine Hüftluxation dar.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 03.08.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.12.2015 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm ein Therapiedreirad in aktuell angepasster Form auf der Grundlage der Verordnung vom 24.06.2015 abzüglich eines angemessenen Eigenanteils zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung beschränkt sich die Beklagte auf die Wiedergabe der Stellungnahmen des MDK. Im Klageverfahren hat am 19.07.2017 ein Erörterungstermin mit den Beteiligten stattgefunden. Infolge dieses Termins hat das Gericht bei Herrn Dr. C., Herrn Dr. H. und in der KiTa I. Befundberichte bzw. Stellungnahmen zum aktuellen Therapiekonzept angefordert. In seiner Stellungnahme vom 04.08.2017 hat Herr Dr. H. dargelegt, dass das Behandlungskonzept in einer umfassenden Förderung der motorischen Entwicklung und besonders der Mobilität mit dem Ziel, eine allgemeine körperliche Stabilisierung zu erreichen bestehe. Das Therapiedreirad könne als Bestandteil dieses Konzeptes eingesetzt werden. Der Einsatzzeitraum sei auf Jahre zu sehen. Zwar könne das Therapiedreirad aufgrund der Schwere der Behinderung diese nicht ausgleichen, diene jedoch zur Vorbeugung von Folgebehinderungen und darüber hinaus gehe es um die tendenzielle Verbesserungen und Mehrung der Lebensfreude. Alternativen seien im Hinblick auf die spezifische Problematik des Klägers nicht bekannt. In seinem Befundbericht vom 04.09.2017 erläuterte Herr Dr. C. das Therapiekonzept ganz konkret wie folgt:
- Soziale Interaktion und Teilhabe am Alltag sichern
- Physisches Training der Ausdauer und Muskulatur gewährleisten
- über Gewichtszunahme, Muskelaktivität und erhöhten Stoffwechsel die Knochendichte verbessern
- durch die Aktivität Atmung und Kreislauf positiv beeinflussen
- durch Dehnung und Streckung der Muskulatur den Tonus regulieren und Kontrakturen und Deformitäten vorbeugen
- durch die aktive Bewegung die kognitiven Fähigkeiten fördern
Nach seiner Einschätzung würde die Versorgung die Behandlung stützen und die bestehende Behinderung teilweise ausgleichen. Seinem Befundbericht hat Herr Dr. C. einen Auszug des Förderplanes der KiTa betreffend den Bereich Grobmotorik beigefügt.
In ihrer Stellungnahme vom 27.09.2017 hat die behandelnde Physiotherapeutin, Frau J., ausgeführt, dass das Therapiedreirad aus ihrer Sicht eine sinnvolle Ergänzung und Unterstützung der aktuell laufenden Therapien darstelle. Das Hauptproblem des Klägers bestehe in dem niedrigem Muskeltonus und der geringen Ausdauer. Dies mache sich vor allem beim Laufen im NF-Walker bemerkbar. Ein kontinuierliches Muskelaufbautraining durch das Therapiedreirad sei daher eine wichtige Unterstützung der Therapie. Das Rad könne stundenweise sowohl im Kindergarten als auch zuhause genutzt werden. Die Beklagte hat diese Befundberichte und Stellungnahmen erneut dem MDK zur Begutachtung vorgelegt. Frau Dr. K. ist in ihrem sozialmedizinischen Gutachten vom 26.10.2017 zu der Beurteilung gekommen, dass auch in Anbetracht dieser Stellungnahmen die Versorgung nicht als sachgerecht und begründet nachvollzogen werden könne. Es sei nicht vorstellbar, wie der schwerstbehinderte Kläger das Dreirad nach den Vorgaben des Hilfsmittelverzeichnisses nutzen können solle. Dies sei wohl eigenständig nicht möglich. Darüber hinaus sei nicht erkennbar, dass die Ausstattung mit einem Therapiefahrrad integrativer Bestandteil eines unter den ärztlichen und nichtärztlichen Behandlern abgestimmten Behandlungskonzeptes sei. Demzufolge sei anzunehmen, dass mit der Bereitstellung eines Therapiefahrrades nur allgemein gesundheitsfördernde Ziele wie Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit, Mobilisierung von Restfunktionen, Erhöhung von Ausdauer und Belastungsfähigkeit sowie Hilfe bei der Krankheitsbewältigung verfolgt werden sollten. In einer ergänzenden Stellungnahme vom 16.11.2017 hat Herr Dr. C. ausgeführt, dass grundsätzlich natürlich die Vertikalisierung vordringlich sei. Dies sei allerdings sehr theoretisch. Der Kläger könne nicht mehrere Stunden am Tag von einer Hilfsperson zum/beim Laufen geführt werden, bis perspektivisch eine Versorgung mit Orthesen und einem Walker möglich sei und den Rest der Zeit im Rollstuhl oder im Bett verbringen. Das nachvollziehbare Bedürfnis nach Mobilität komme eben nicht später, sondern sei bei dem Kläger definitiv vorhanden. Im Rahmen des bereits geschilderten Therapiekonzeptes stelle ein Therapierad momentan die sinnvollste Maßnahme dar. In einer erneuten sozialmedizinischen Stellungnahme vom 14.11.2017 hat der Gutachten Herr L. die Vorgaben des Hilfsmittelverzeichnisses wörtlich wiedergegeben. Die vom Kinderarzt dargelegten Ziele könnten im vorliegendem Fall mit einem Therapiefahrrad nicht erreicht werden, zumal der Kläger das Fahrrad nicht selbstständig und aktiv nutzen könne – möglicherweise auch nur mit Inkaufnahme einer zusätzlichen Eigengefährdung. Von wesentlicher therapeutischer Bedeutung erscheine die Anbahnung des Stehens. Bei einer stark verzögerten motorischen Entwicklung und nicht zeitgerechter Steh- und Gehfähigkeit bestehe ein hohes Risiko für Hüftluxationen. Dem könne therapeutisch nur entgegen gewirkt werden, wenn das Kind zielgerichtet vertikalisiert werde, um eine Kräftigung der Muskulatur durch regelmäßige krankengymnastische Behandlungen auf neurophysiologischer Basis zu erreichen. Dafür sei das Therapiedreirad medizinisch nicht erforderlich. Die Belastung der Hüftgelenke im Sitzen, z.B. auf einem Therapiedreirad, stelle keinesfalls eine adäquate Alternative zur achsgerechten vertikalen Belastung der Hüftgelenke und der Wirbelsäule dar.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Prozessakte verwiesen, die in der mündlichen Verhandlung vorgelegen haben und Gegenstand der Entscheidungsfindung waren.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Klage ist auch begründet.
Der Bescheid der Beklagten vom 03.08.2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.12.2015 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten. Er hat einen Anspruch auf Versorgung mit einem Therapiedreirad.
Das Therapiedreirad dient "zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung" im Sinne von § 33 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. SGB V.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. BSG, Urteil vom 7. Oktober 2010, B 3 KR 5/10 R) fallen Maßnahmen oder Hilfen zur Bewegungsförderung zwar grundsätzlich nur ausnahmsweise in die Leistungszuständigkeit der Krankenkassen. Jedenfalls zur Krankenbehandlung i.S. von §§ 27 Abs. 1, 28 Abs. 1 Satz 1 SGB V gehören regelmäßig nur Maßnahmen mit Behandlungs- und Therapiecharakter, die einen eindeutigen Krankheitsbezug aufweisen (BSGE 85, 132, 138). Bloß allgemeine Maßnahmen der Erhaltung und Förderung der Gesundheit genügen diesen Anforderungen nach der Rechtsprechung des BSG demgegenüber nicht, selbst wenn sie von qualifizierten Fachkräften unter ärztlicher Betreuung und Überwachung (§ 44 Abs. 1 Nr. 3 SGB IX) durchgeführt werden (BSG, Urteil vom 22. April 2009, B 3 KR 5/08).
Ausnahmsweise können bewegliche sächliche Mittel gleichwohl zur Förderung oder Ermöglichung der Mobilisation - wie hier das Therapiedreirad - in besonders gelagerten Fällen Hilfsmittel "zur Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung" i.S. von § 33 Abs. 1 Satz 1, 1. Alt. SGB V sein (BSG, Urteil vom 7. Oktober 2010, a.a.O.).
Der Sicherung des Erfolgs der Krankenbehandlung dient ein bewegliches sächliches Mittel nach der Rechtsprechung des BSG, soweit es spezifisch im Rahmen der ärztlich verantworteten Krankenbehandlung eingesetzt wird, um zu ihrem Erfolg beizutragen (BSGE 98, 213; BSGE 93, 176). Eine unmittelbare Bedienung des Hilfsmittels durch den Arzt selbst ist dabei nicht zwingend erforderlich, so dass ein Hilfsmittel nicht schon deshalb nach § 33 Abs. 1 SGB V ausgeschlossen ist, weil die praktische Anwendung durch den Versicherten selbst erfolgt (BSGE 87, 105). Jedoch ist nicht jedwede gesundheitsfördernde Betätigung als "spezifischer Einsatz im Rahmen der ärztlich verantworteten Krankenbehandlung" anzusehen. Keinen ausreichend engen Bezug zu einer konkreten Krankenbehandlung weisen nach den dargelegten Maßstäben demgemäß diejenigen gesundheitsförderlichen Maßnahmen auf, die (nur) allgemein auf die Verbesserung der körperlichen Leistungsfähigkeit, die Mobilisierung von Restfunktionen des behinderten Menschen, die Erhöhung der Ausdauer und Belastungsfähigkeit sowie die Hilfe bei der Krankheitsbewältigung zielen (BSG, Urteil vom 7. Oktober 2010, a.a.O.).
Ein weitergehender spezifischer Bezug zur ärztlich verantworteten Krankenbehandlung i.S. von § 27 Abs. 1 SGB V kommt daher nur solchen Maßnahmen zur körperlichen Mobilisation zu, die in einem engen Zusammenhang zu einer andauernden, auf einem ärztlichen Therapieplan beruhenden Behandlung durch ärztliche und ärztlich angeleitete Leistungserbringer stehen und für die gezielte Versorgung i.S. der Behandlungsziele des § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V als erforderlich anzusehen sind. Davon ist bei einer Hilfe zur körperlichen Betätigung - wie hier mit einem Therapiedreirad - dann auszugehen, wenn der Versicherte aufgrund der Schwere der Erkrankung dauerhaft Anspruch auf Maßnahmen der Physikalischen Therapie hat und die durch das beanspruchte Hilfsmittel unterstützte eigene körperliche Betätigung diese Therapie entweder wesentlich fördert oder die Behandlungsfrequenz infolge der eigenen Betätigung geringer ausfallen kann und sich deshalb die Versorgung mit dem Hilfsmittel im Rahmen der Wahlmöglichkeit des Versicherten (vgl. § 33 SGB I und § 9 Abs. 1 SGB IX) als wirtschaftlich darstellt.
Vorliegend hat der Kläger unstreitig und dauerhaft Anspruch auf ein ganzes Konglomerat von Therapien, die in enger Abstimmung zwischen Kita, Frühförderstelle und Kinderarzt koordiniert werden. Dies belegen sämtliche Befundberichte, die von den beteiligten Stellen im Laufe des Klageverfahrens eingeholt worden sind. Danach gibt es einen konkreten Förderplan, aus dem sich die Therapieziele und Umsetzungsschritte ergeben.
Die Kammer hält es für abwegig, unter diesen Umständen das Vorliegen eines Therapiekonzeptes zu verneinen, wie es der MDK beharrlich tut. Eine derartige Äußerung, wie zuletzt im Gutachten vom 27.10.2017 vorgenommen, spottet nicht nur sämtlichen Bemühungen der Behandler, ein schwerstbehindertes Kind im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherung gut zu versorgen, sondern lässt auch erhebliche Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Gutachters aufkommen.
Die Kammer hat keinen Zweifel, dass das Therapiedreirad, das im Rahmen dieses Gesamtkonzeptes zum Einsatz kommen soll, diese Therapie auch wesentlich fördert. Die Kammer folgt insoweit den übereinstimmenden Aussagen sämtlicher an der Therapie Beteiligten. So hat der behandelnde Neuropädiater Herr Dr. H. dargelegt, dass das Behandlungskonzept in einer umfassenden Förderung der motorischen Entwicklung und besonders der Mobilität mit dem Ziel bestehe, eine allgemeine körperliche Stabilisierung zu erreichen. Das Gericht ist mit Dr. H. der Überzeugung, dass das Therapiedreirad im Rahmen dieser Zielsetzung eingesetzt werden kann und es dazu auch keine Alternative gibt. Diese Einschätzung bestätigt auch Dr. C. sowie die behandelnde Physiotherapeutin.
Die fachkundig mit einer ehrenamtlichen Richterin, die als Trainerin für Lerngymnastik arbeitet, besetzte Kammer hält das dargestellte Therapiekonzept auch für absolut nachvollziehbar. Es ist davon auszugehen, dass durch das Training mit dem Therapiedreirad positive Auswirkungen auch auf das Vestibularsystem erzielt werden, die für das spätere Laufen von Bedeutung sein werden.
Die Kammer hat sich zudem im Erörterungstermin und im Termin zur mündlichen Verhandlung ein Bild vom Kläger machen können. Es ist bereits aus Laiensicht erkennbar, dass der Kläger, der im Wesentlichen auf dem Arm der Eltern im Sitzungssaal anwesend war, Probleme mit dem Muskeltonus hat und ihm jegliche Körperstabilisierung und Haltungskontrolle (sowohl Sitzen als auch Stehen) schwer fällt. Insofern überzeugt es die Kammer, wenn die Behandler darlegen, dass vor allem – im Hinblick auf die anzustrebende Vertikalisierung - eine Aktivierung der Muskulatur und Tonusregulierung angestrebt werden. Soweit die Physiotherapeutin den niedrigen Muskeltonus und die fehlende Ausdauer als Hauptprobleme für den weiteren Entwicklungsfortschritt definiert, überzeugt dies die Kammer vollends. Für den Kläger geht es gerade darum, mit dem Therapiedreirad an diesen beiden Kernproblemen zu arbeiten, um dann später ausdauernder das Laufen trainieren zu können.
Für die Kammer ist zudem nicht ersichtlich, auf welche andere Art und Weise, ein entsprechendes Training zusätzlich zur Physio- und Ergotherapie erzielt werden könnte.
Der Einwand des MDK, dass vorrangig die Anbahnung des Stehens anzustreben sei, weil bei der stark verzögerten motorischen Entwicklung ein hohes Risiko für Hüftluxationen besteht, wird von Dr. C. so bestätigt. Die Kammer folgt jedoch seinen Ausführungen dahingehend, dass das Therapiedreirad nicht dazu dient, einen Bestandteil der Therapie, die auf das Stehen und Gehen ausgerichtet ist, zu ersetzen, sondern es darum geht, diese Therapie sinnvoll zu ergänzen und zu unterstützen.
Nicht zuletzt würde eine Verweigerung einer weiteren Bewegungsmöglichkeit für den Kläger bedeuten, dass er darauf beschränkt wäre, kurzzeitig unter Hilfestellung zu gehen, kurze Zeiten im Walker zu verbleiben und den Rest des Tages im Rollstuhl oder im Bett zu verbringen. Dass dies nicht dem Bewegungsbedürfnis eines sechsjährigen gerecht wird, ist offenkundig.
Soweit der MDK darüber hinaus einwendet, es bestehe aufgrund des cerebralen Krampfleidens eine zusätzliche potentielle Gefährdung bei der Nutzung des Therapiedreirades so ist diese Sorge sicherlich berechtigt. Allerdings wird es Aufgabe des Rehatechnikers sein, das Therapiedreirad so auszurüsten, dass derartige Gefährdungen möglichst ausgeschlossen werden. Darüber hinaus dürften sowohl die Eltern als auch die fachkundigen Erzieher/innen und Behandler in der Lage sein, dieses Gefährdungspotenzial einzuschätzen und entsprechend zu reagieren. Jedenfalls vermag die Kammer nicht zu erkennen, dass durch eine hypothetische Gefährdungslage der grundsätzliche Versorgungsanspruch ausgeschlossen werden könnte.
Dass mit der Nutzung des Therapiedreirades ein positiver Einfluss auf die chronischen abdominellen Probleme des Klägers einhergehen wird, sieht die Kammer mit Dr. C. als positiven Nebeneffekt.
Damit ist das Therapiedreirad bereits zur "Sicherung des Erfolges der Krankenbehandlung" notwendig und entsprechend zu gewähren. Auf die Frage, ob das Therapiedreirad auch noch einen mittelbaren Behinderungsausgleich leistet, kommt es damit nicht mehr an.
Selbst wenn man jedoch davon ausgehen wollte, dass die "Sicherung des Erfolges der Krankenbehandlung" nicht erfüllt wäre, so wäre das Therapiedreirad unter dem Aspekt des mittelbaren Behinderungsausgleichs im Sine von § 33 Abs. 1, 2. Variante SGB V zu gewähren.
Ein Behinderungsausgleich in diesem Sinne kann nur dann beansprucht werden, wenn es sich um ein Grundbedürfnis handelt, das mit dem Hilfsmittel befriedigt werden kann. Die Begrenzung folgt daraus, dass den gesetzlichen Krankenversicherungen lediglich die medizinische Rehabilitation obliegt, nicht hingegen eine berufliche oder "soziale" Reha. Ziel ist es, den Behinderten ein weitgehend selbstständiges Leben und die Bewältigung des Alltags zu ermöglichen (Urteil des BSG vom 23.07.2002, Az. B 3 KR 3/02 R, Rn. 10). Zu den elementaren Grundbedürfnissen gehören unter anderem die Ernährung und die Körperpflege sowie die selbstständige Haushaltsführung und die Kommunikation. Daneben stellt auch die Bewegungsfreiheit beziehungsweise Mobilität ein von der Rechtsprechung anerkanntes Grundbedürfnis dar, das jedoch regelmäßig auf den Nahbereich im Sinne eines "Erschließen eines gewissen körperlichen Freiraums" beschränkt ist (vgl. Urteil des BSG vom 21.11.2002, Az. B 3 KR 8/02 R, Rn. 15). Eine Ausnahme dieses Grundsatzes wird jedoch bei Kindern oder Jugendlichen wegen ihrer besonderen Entwicklungsphase anerkannt (Kasseler-Kommentar-Höfler, SGB V, § 33, Rn. 12a).
In diesen Fällen ist der anzustrebende Behinderungsausgleich auf eine möglichst weitgehende Eingliederung in den Kreis Gleichaltriger gerichtet (Krauskopf-Wagner, SGB V, § 33, Rn. 12). Im vorliegenden Verfahren ist der Kläger unter diesem Gesichtspunkt der sozialen Integration mit dem streitgegenständlichen Hilfsmittel zu versorgen.
Die Versorgung mit dem Therapiedreirad ist auch erforderlich im Sinne von geeignet, notwendig und angemessen (§ 33 Abs. 1 S. 1 SGB V in Verbindung mit § 12 Abs. 1 SGB V). Geeignetheit liegt vor. Unbedingte Voraussetzung hierfür ist nach Auffassung des Gerichts die Fähigkeit des Versicherten, das Hilfsmittel zu nutzen. Dass der Kläger hierzu in der Lage ist, steht einhellig zur Überzeugung des Gerichts aufgrund der vorgelegten Befundberichte, fest.
Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts kann ein Versicherter im Bereich der Hilfsmittelversorgung nicht das Gleichziehen mit den Möglichkeiten eines Gesunden beanspruchen. Umgekehrt darf die Versorgung dann aber auch nicht davon abhängig gemacht werden, dass die Behinderung in dem Maße ausgeglichen wird, dass der Versicherte letztendlich mit einem Gesunden vergleichbar wäre (vgl. Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 13.09.2007, Az. L 8 KR 247/06, Rn. 32).
Der Geeignetheit steht schließlich auch nicht entgegen, dass die Nutzung des Therapiedreirades nur unter Aufsicht erfolgen kann und der Kläger auf Hilfestellung bei der Betätigung angewiesen ist (so auch SG Fulda, Urteil vom 16.12.2010, Az. S 11 KR 7/09). Die soziale Integration ist hierdurch nicht ausgeschlossen. Richtig ist zwar, dass die Anwesenheit eines Erwachsenen von Kindern und Jugendlichen bei Aktivitäten, mit denen Sie gerade Selbstständigkeit und Unabhängigkeit beweisen wollen, üblicherweise nicht akzeptiert wird (vgl. Urteil des BSG vom 21.11.2002, Az. B 3 KR 8/02 R, Rn. 19). Dieser Grundsatz kann allerdings nicht uneingeschränkt für jede Altersgruppe gelten. Sicherlich ist eine soziale Integration bei Jugendlichen und älteren Kindern regelmäßig nicht mehr zu erreichen, wenn ein Erwachsener anwesend ist. Anders gestaltet sich die Situation jedoch bei Kindern im Grundschulalter (sechs bis zehn Jahre). Auch normale, gesund entwickelte Kinder bedürfen in diesem Alter noch der regelmäßigen Aufsicht durch Kontrolle und Beobachtung. Dies muss erst recht bei der Teilnahme am Straßenverkehr gelten. Insoweit kann die Geeignetheit des Therapiedreirades bei dem zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung sechsjährigen Kläger nicht mit der Begründung verneint werden, dass soziale Integration wegen der Anwesenheit einer Begleitperson nicht möglich sei. Im Übrigen ist fraglich, ob immer uneingeschränkt auf die Integration von gleichaltrigen Kindern abzustellen ist. Liegt eine geistige Behinderung vor, dürfte es im Einzelfall auch sachgerecht sein, bei der Integration das "Entwicklungsalter" des Versicherten zu Grunde zu legen.
Die Kammer hat dem Kläger einen Eigenanteil an der Anschaffung des Therapiedreirades auferlegt. Denn das Therapiedreirad ersetzt von seiner Funktion her anteilig ein Fahrrad. Ein Fahrrad wiederum stellt sich als Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens dar, den jeder Versicherte unabhängig von günstigen Effekten auf die Gesunderhaltung auf eigene Kosten anschaffen muss. Unter Würdigung der Gesamtumstände des Falles, nicht zuletzt der Gewichtung des Kriteriums des Therapieeffekts, hat die Kammer einen Betrag von 100,00 EUR als angemessen erachtet.
Nach alledem war der Klage stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und folgt der Entscheidung in der Hauptsache.
Rechtskraft
Aus
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