S 11 KR 106/17 ER

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Fulda (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Fulda (HES)
Aktenzeichen
S 11 KR 106/17 ER
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KR 396/17 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. § 31 Abs. 6 SGB V ermöglicht eine indikationsübergreifende Verwendung von Arzneimitteln auf Cannabisbasis.
2. Die Voraussetzungen des Off-Label-Use müssen bei der Versorgung mit einem cannabishaltigem Fertigarzneimittel (hier Sativex®) nicht kumulativ vorliegen.
1. Die Antragsgegnerin wird im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet, vorläufig die Genehmigung zur Versorgung mit dem Fertigarzneimittel Sativex® zu erteilen und die Antragstellerin längstens bis zum rechtskräftigen Abschluss des Hauptsacheverfahren mit diesem Fertigarzneimittel in maximaler Tagesdosis von 0,5g bei einem 4-Wochen-Bedarf von 15g zu versorgen, soweit und solange es vertragsärztlich verordnet wird.

2. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin.

Gründe:

I.

Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtschutzverfahrens die Versorgung mit dem Arzneimittel Sativex®, hilfsweise die Genehmigung von Verordnungen über Cannabisblüten. Die 1966 geborene Antragstellerin ist bei der Antragsgegnerin gesetzlich krankenversichert. Sie war zuletzt als wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Hochschule C-Stadt beschäftigt; die Tätigkeit vor Ort wurde aufgrund bestehender Arbeitsunfähigkeit aufgegeben. Die Antragstellerin leidet seit 2003 an erheblichen orthopädischen Erkrankungen: Im Jahr 2003 wurde sie zweimal im Lendenwirbelsäulenbereich operiert, eine weiterer Eingriff schloss sich 2005 an. In der Folgezeit entwickelten sich aufgrund einer instabilen Wirbelsäule Durchbrechschmerzen - es folgte eine erste Versteifungsoperation. In den Folgejahren unterzog sich die Antragstellerin weiteren chirurgischen Eingriffen, zuletzt im Januar 2016. Die Antragstellerin entwickelte ein chronisches Schmerzsyndrom mit neuropathischen Beschwerden sowie Bewegungs- und Belastungsschmerzen.

Unter dem 10.08.2016 beantragte die Antragstellerin bei der Antragsgegnerin die Versorgung mit Dronabinol beziehungsweise Sativex®. Zur Begründung bezog sie sich auf eine ärztliche Bescheinigung des Dr. Y vom 07.08.2016. Danach leidet die Klägerin an einem chronischen Schmerzsyndrom, das durch die bisherige medikamentöse und operative Behandlung, die zum Teil mit ausgeprägten Nebenwirkungen einhergegangen sind, nicht relevant gelindert werden konnte. Ein Behandlungsversuch mit dem Cannabiswirkstoff Dronabinol beziehungsweise dem Cannabisextrakt Sativex® sei aufgrund der wissenschaftlichen Datenlage angezeigt.

Zur Beurteilung erbat die Antragsgegnerin eine medizinische Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) Hessen. In der Stellungnahme des MDK vom 10.08.2016 war aufgeführt, dass die Lebensqualität sicherlich erheblich auf Dauer beeinträchtigt sei, der Therapieerfolg im Einzelfall aber kein Kriterium beim Off-Label-Use darstelle. Ein akut notstandsähnlicher Befund sei nicht übermittelt worden; die Erkrankung sei nicht singulär. Dronabinol sei als neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode grundsätzlich nicht verordnungsfähig, bei Sativex® könne man bei gut dokumentierter Alternativlosigkeit die Kostenübernahme zunächst für drei Monate erwägen. Das vorgelegte Kurzattest reiche hierzu nicht aus. Zudem sei das Arzneimittel durch einen Vertragsarzt zu verordnen (Bl. 11 ff. der Verwaltungsakte).

Am 23.08.2016 erfolgte eine weitere sozialmedizinische Begutachtung durch den MDK nach Aktenlage. Die Beurteilung erfolgte erneut anhand der Kriterien für den genannten Off-Label-Use. Der MDK empfahl eine multimodale Schmerztherapie (Bl. 22 der Verwaltungsakte). Die Antragsgegnerin lehnte den Antrag daraufhin mit Bescheid vom 30.08.2016 ab.

Die Klägerin widersprach am 13.09.2016: Die MDK-Stellungnahme würde nicht auf dem aktuellen Erkenntnisstand und aktuellen Arztberichten basieren. Danach seien alle Therapieversuche ausgeschöpft beziehungsweise aufgrund von Unverträglichkeiten abgebrochen worden. Die Synkopen hätten nach der neunten Wirbelsäulenoperation im Januar 2016 an Häufigkeit zugenommen. Sie habe jedes Mal Gehirnerschütterungen und Hämatome im Gesicht und am Kopf erlitten. Es seien ausschlussdiagnostische Untersuchungen durch den behandelnden Hausarzt Dr. Z eingeleitet worden, die ergebnislos geblieben seien. Seit Mitte August 2016 werde einmal täglich einschleichend Sativex® gesprüht. Hierdurch könne sie neben den Tramadoltropfen auf die Einnahme von Stilnox verzichten. Die massiven Schlafprobleme hätten sich gebessert. Seit dem Absetzen von Tramadol seien keine Synkopen mehr aufgetreten. Dem Widerspruchsschreiben waren Arztberichte des Hausarztes Dr. Z vom 06.09.2016 (Bl. 31 f. der Verwaltungsakte), des Psychologen Dr. W vom 02.09.2016 (Bl. 29 f. der Verwaltungsakte), des Neurologen Dr. K vom 01.12.2014 und vom 29.08.2016 (Bl. 27 f. der Verwaltungsakte) beigefügt, auf deren Inhalt Bezug genommen wird.

Die Beklagte erbat eine weitere sozialmedizinische Stellungnahme beim MDK, der am 11.10.2016 im Wesentlichen auf die bereits erfolgten Beurteilungen verwies (Bl. 41 ff. der Verwaltungsakte). Mit Schreiben vom 14.11.2016 teilte die Antragsgegnerin der Antragstellerin mit, dass chronische Schmerzen im Gegensatz zu akuten Schmerzen oft eine eigene Dynamik aufweisen würden, die einen interdisziplinären Therapieansatz erfordere. Die multimodale Schmerztherapie gehe von einer kombinierten Schmerzbehandlung unter Einbeziehung von somatischen, psychiatrischen, psychosomatischen oder psychologischen Disziplinen aus und erfordere ein entsprechend strukturiertes Vorgehen. Aus den Unterlagen sei nicht ersichtlich, dass eine derartig umfangreiche Schmerztherapie durchgeführt worden sei. Sie verwies die Antragstellerin auf das DRK Schmerz-Zentrum Mainz.

Die Antragstellerin nahm hierzu ausführlich Stellung: Eine Schmerztherapie sei bereits durchgeführt worden, das Ergebnis sei die bekannte medikamentöse Therapie sowie eigenmotivierte Reha-Sportmaßnahmen, tägliche Wärmeanwendungen und bewusste Entspannungsverfahren. Die Erfahrungen mit dem behandelnden Schmerztherapeuten im Schmerz- und Palliativzentrum Fulda seien negativ gewesen. Es handele sich mittlerweile um eine 13jährige komplexe Krankheitsgeschichte; die chronifizierte Schmerzsituation habe ein massiv verfestigtes Schmerzgedächtnis entstehen lassen. Daneben würden sich die neuropathischen Schmerzen im Arm und Bein nicht mehr beseitigen, sondern nur medikamentös mildern lassen. Ende 2015 sei die Indikation einer anhaltenden Instabilität der Wirbelsäule diagnostiziert worden. Die Behandlung sei im Januar 2016 durch eine zweite Versteifungsoperation der Lendenwirbelsäule im Segment L5/S1 erfolgt. Unter der täglichen Anwendung von Sativex® hätten sich die Fähigkeiten im Umgang mit der Bewältigung der chronischen Schmerzen und das Aktivitäts- und Motivationspotential deutlich verbessert. Psycho- und verhaltenstherapeutisch befände sich die Antragstellerin erneut in gezielter Betreuung. Im weiteren Verlauf des Widerspruchsverfahrens vertiefte die Antragstellerin noch einmal ihre Ausführungen und beschrieb im Einzelnen die seit der Einnahme von Sativx® eingetretenen Veränderungen (Bl. 66 ff. der Verwaltungsakte).

Am 24.01.2017 erteilte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) der Antragstellerin eine Erlaubnis nach § 2 Abs. 2 BtMG für den Erwerb von Cannabis, die ihr zum 10.06.2017 entzogen wurde.

Am 10.02.2017 nahm der MDK noch einmal Stellung, in der die zuvor getroffenen Feststellungen bekräftigt wurden. Insgesamt könne im Falle der Antragstellerin nicht von einer gesicherten medizinischen Indikation für den Einsatz des Arzneimittels ausgegangen werden (Bl. 115 ff. der Verwaltungsakte).

Im Mai 2017 gab der behandelnde Hausarzt Dr. Z eine ärztliche Stellungnahme zur Versorgung mit Sativex® ab und legte eine "Ärztliche Bescheinigung zur Verwendung von Cannabinoiden nach § 31 Abs. 6 SGB V" vor (Bl. 123 ff. der Verwaltungsakte) Zur Verwendung von cannabisbasierten Medikamenten machte er folgende Angaben:

"Die Patientin hatte keine Vorerfahrungen mit Cannabis. Ein Therapieversuch mit Sativex wurde ab August 2016 unter Beteiligung von Dr. Y vorgenommen. Nach einer sehr vorsichtigen Eindosierung stellte sich ab der 3. Woche eine deutliche Besserung ein. Nach etwa 2 Monaten konnten folgende Veränderungen festgestellt werden: Die schmerzlindernde Wirkung von Sativex führte zu einer deutlichen Verringerung des Opiateinsatzes sowie von Pregablin. Das Schlafmittel (Stilnox) konnte abgesetzt werden. Die Schlafqualität hat sich deutlich gebessert und führte morgens zu einem relativ ausgeruhtem und weniger gestressten Zustand. Aufgrund der deutlichen Reduzierung der Tramadoldosis gab es keine weiteren Synkopen mehr. Auf zusätzliche Muskelrelaxanz in Form von Tizinadin konnte ebenfalls vollkommen verzichtet werden. Auch die Ressourcen zur Schmerzbewältigung haben sich deutlich gebessert, sodass die Patientin auf Cannabisprodukte nicht mehr verzichten kann und möchte. Die Therapie mit Medizinalcannabisprodukten bzw. -blüten sollte daher legal fortgesetzt werden. Ich unterstütze daher, ebenso wie Dr. Y (Cannabismediziner), Dr. Marcus K (Neurologe) und Dr. W (Psychotherapeut) den Antrag. Eine Abwägung möglicher Schäden und des möglichen Nutzens fällt zu Gunsten des therapeutischen Nutzens aus. Es gibt keinen Anhalt für ein Compliance-Problem."

Mit Bescheid vom 22.05.2017 wies die Antragsgegnerin den Widerspruch der Antragstellerin zurück. Unter dem 26.06.2017 erhob die Antragstellerin Klage zum Sozialgericht Fulda. Das Verfahren wird unter dem Az. S 11 KR 90/17 geführt und ist noch nicht entschieden.

Am 21.07.2017 stellte sie beim Sozialgericht Fulda einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtschutzes. Es wird der im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren gemachte Vortrag wiederholt und im Hinblick auf das Beschwerdebild sowie die bereits durchgeführten Behandlungsmaßnahmen vertieft. Die Antragstellerin meint, dass sich ein Anordnungsanspruch aus § 31 Abs. 6 S. 1 Nr. 1b und 2 SGB V ergäbe. Die Vorschrift sei mit Wirkung zum 10.03.2017 eingeführt worden, der Widerspruchsausschuss hätte daher am 22.05.2017 nach der zu diesem Zeitpunkt geltenden Rechtslage entscheiden müssen. Die Voraussetzungen seien erfüllt. Bei Sativex® handele es sich um ein Medikament aus Cannabisextrakten. Mit der Verweisung auf Therapiealternativen unterlaufe die Antragsgegnerin die Therapiehoheit des behandelnden Arztes; sie verkenne die Voraussetzungen der Vorschrift. Es gehe nicht um die Ausschöpfung sämtlicher Therapieoptionen wie beim Off-Label-Use, sondern um die begründete Einschätzung des behandelnden Arztes. Im Übrigen sei zu beachten, dass schon die Erteilung der Ausnahmegenehmigung mit Blick auf § 13 BtMG erfolgt sei. Die Erteilung der Genehmigung sei damit Indiz dafür, dass keine Standardtherapie zur Verfügung stehe. Der Gesetzgeber habe ein Regel-Ausnahmeverhältnis geschaffen, das die Genehmigung zum Regelfall mache. Die Entscheidung sei getroffen worden, um schwerkranken Patienten eine Erleichterung zu verschaffen und um über die Begleitforschung mehr Informationen über das Potential dieser Arzneimittel zu erhalten. Sativex® falle unter § 31 Abs. 6 SGB V. Ausweislich der Gesetzgebungsmaterialien sei es dem Gesetzgeber ausdrücklich darum gegangen, das Arzneimittel in das Gesetz einzubeziehen. Gerade bei ganz neuen Gesetzen komme dem gesetzgeberischen Willen besondere Bedeutung zu. Es mache wenig Sinn, ausgerechnet ein gut dosierbares und als Fertigarzneimittel besonderen Sicherheitsstandards unterliegendes Medikament gegenüber anderen Zubereitungsformen der gleichen Wirkstoffe zu benachteiligen. Für den Fall, dass kein Anordnungsanspruch festgestellt werden könne, sei der Versorgungsanspruch aufgrund einer Interessenabwägung zuzuerkennen.

Die Antragstellerin beantragt,
die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, vorläufig bis zum rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens die Kosten einer Versorgung mit Sativex in maximaler Tagesdosis von 0,5g bei einem 4-Wochen-Bedarf von 15g zu übernehmen. Unter dem 14.08.2017 beantragt sie hilfsweise, die Antragsgegnerin zu verpflichten, die Verordnungen des Vertragsarztes Dr. Z über 15g getrockneter Cannabisblüten für jeweils 4 Wochen der Sorten Penelope, Bediol, Pedanios 8/8 oder vergleichbarer erhältlicher Cannbisblüten vorläufig, längstens bis zur rechtskräftigen Entscheidung in der Hauptsache, zu genehmigen.

Die Antragsgegnerin beantragt (sinngemäß), den Antrag abzuweisen.
Sie verweist zunächst zur Begründung auf den Inhalt ihres Widerspruchsbescheides vom 22.05.2017. Die Antragsgegnerin meint, dass das streitgegenständliche Arzneimittel nicht unter § 31 Abs. 6 SGB V falle, da es die Wirkstoffe Tetrahydrocannabinol und Cannabidiol enthalte und nicht Dronabinol oder Nabilon.

Auf den weiteren Inhalt der Verwaltungs- und Gerichtsakte wird vollumfänglich Bezug genommen.

II.

Der Antrag ist zulässig. Gemäß § 86b Abs. 2 S. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache, soweit ein Fall des § 86b Abs. 1 SGG nicht vorliegt, auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustands die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Sicherungsanordnung). Nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Ein Fall des § 86b Abs. 1 SGG liegt hier erkennbar nicht vor, da sich die Antragstellerin nicht gegen einen Eingriff in eine bestehende Rechtsposition wehrt, sondern die Versorgung mit dem Arzneimittel Sativex® beziehungsweise hilfsweise mit Cannabis und damit die Einräumung einer zusätzlichen Rechtsposition begehrt. In diesen Konstellationen kommt ausschließlich die Gewährung einstweiligen Rechtschutzes in Form einer Regelungsanordnung nach § 86b Abs. 2 S. 2 SGG in Betracht. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob es sich in der Hauptsache um eine kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage handelt oder im Hinblick auf die gemäß § 31 Abs. 6 S. 2 Sozialgesetzbuch (SGB) V bei der Erstverordnung einzuholende Genehmigung zugleich um eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage.

Das erforderliche Rechtschutzbedürfnis ist gegeben. Der Widerspruchsbescheid der Antragsgegnerin vom 22.05.2017 ist nicht bestandskräftig geworden. Die Antragstellerin hat am 26.06.2017 und damit rechtzeitig Klage erhoben. Gemäß § 87 Abs. 1 S. 1 SGG ist Klage binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsaktes zu erheben. Hat ein Vorverfahren stattgefunden, so beginnt die Frist mit der Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides (§ 87 Abs. 2 SGG). Der Widerspruchsbescheid der Antragsgegnerin datiert vom 22.05.2017. Den Angaben der Antragstellerin zu Folge ist er am 25.05.2017 zugegangen. Sie bezieht sich bei dem Zeitpunkt des Zugangs offensichtlich auf die Bekanntgabefiktion des § 37 Abs. 2 S, 1 SGB X. Danach gilt ein schriftlicher Verwaltungsakt, der im Inland durch die Post übermittelt wird, am dritten Tag nach der Aufgabe zur Post als bekannt gegeben. Die Bekanntgabefiktion greift auch dann, wenn der Tag wie im vorliegenden Verfahren auf einen Sonn- oder Feiertag, nämlich Christi Himmelfahrt, fällt (vgl. hierzu Breitkreuz/Fichte-Wolff-Dellen, SGG, 2. Auflage 2014, § 87, Rn. 12). In Bezug auf die Berechnung der Fristen ist § 64 SGG einschlägig. Gemäß § 64 Abs. 2 S. 1 SGG endet eine nach Monaten bestimmte Frist mit dem Ablauf desjenigen Tages des letzten Monats, welcher nach Benennung oder Zahl dem Tage entspricht, in den das Ereignis oder der Zeitpunkt fällt. Das ist im vorliegenden Verfahren der 25.06.2017 gewesen. Da es sich allerdings um einen Sonntag gehandelt hat, hat die Frist erst mit Ablauf des nächsten Werktages geendet (§ 64 Abs. 3 SGG), das heißt am 26.06.2017.

Der (Haupt-)Antrag ist zudem begründet. Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung bedarf es eines Anordnungsanspruches und eines Anordnungsgrundes. Sie sind glaubhaft zu machen. Ein Anordnungsanspruch ist gegeben, wenn dem Antragsteller der Hauptsachenspruch mit überwiegender Wahrscheinlichkeit zusteht, ein Anordnungsgrund, wenn dem Antragsteller ohne Eilrechtsschutz mit überwiegender Wahrscheinlichkeit erhebliche Rechtsverletzungen drohen (BeckOK-Krodel, SGG, Stand: 01.04. 2016, § 86b, Rn. 67). Da Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund nicht isoliert nebeneinander stehen, sondern aufgrund ihres funktionalen Zusammenhangs ein bewegliches System bilden, sind die Anforderungen an den Anordnungsanspruch mit zunehmender Eilbedürftigkeit beziehungsweise Schwere des drohenden Nachteils zu verringern und umgekehrt (vgl. zuletzt Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 13.04.2013, Az. L 9 AL 102/13 B ER, Rn. 5, zitiert nach juris, mit weiteren Nachweisen). Daraus folgt zugleich, dass ein Recht, das geschützt werden muss, nicht vorhanden ist, wenn die Klage offensichtlich unzulässig oder unbegründet ist. Im umgekehrten Fall hingegen verringern sich zwar die Anforderungen an den Anordnungsgrund; verzichtbar ist er jedoch nicht. Ist der Ausgang des Hauptsacheverfahrens offen, bedarf es einer umfassenden Folgenabwägung (Beschluss des Hessischen Landessozialgerichts vom 29.06.2005, Az. L 7 AS 1/05 B ER, Rn. 28, zitiert nach juris). Danach wird die einstweilige Anordnung erlassen, wenn es dem Antragsteller unter Berücksichtigung der Interessen aller Beteiligten nicht zuzumuten ist, die Hauptsacheentscheidung abzuwarten (Beschluss des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 19.04.2013, Az. L 4 P 4/13 B ER, Rn. 18, zitiert nach juris).

Von diesen Grundsätzen ausgehend, hat die Antragstellerin einen Anspruch auf vorläufige Versorgung mit dem Fertigarzneimittel Sativex® zu Lasten der Antragsgegnerin. Nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung ist ein Obsiegen in der Hauptsache überwiegend wahrscheinlich. Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch ist § 31 Abs. 6 S. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) V. Da für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage der Zeitpunkt der Entscheidung maßgeblich ist, ist die vorgenannte Regelung zu beachten, die durch das Gesetz zur Änderung betäubungsmittelrechtlicher und anderer Vorschriften vom 06.03.2017 mit Wirkung vom 10.03.2017 neu eingefügt worden ist. Gemäß § 31 Abs. 6 S. 1 SGB V haben Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon, wenn 1. entweder eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung entweder nicht zur Verfügung steht oder im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann und 2. eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht. Nach § 31 Abs. 6 S. 2 SGB V bedarf die Leistung bei der ersten Verordnung für eine Versicherte oder einen Versicherten der nur in begründeten Ausnahmefällen abzulehnenden Genehmigung der Krankenkasse, die vor Beginn der Leistung zu ersteilen ist.

Die Voraussetzungen sind nach summarischer Prüfung erfüllt. Dabei ist zunächst festzustellen, dass Sativex® entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin der Regelung unterfällt. Es handelt sich hierbei um ein Produkt, das Cannabisextrakte aus Delta 9-Tetrahydrocannabinol (THC) und Cannabidiol enthält (Beipackzettel, abrufbar unter https://www.gelbe-liste.de). Ob Sativex® wegen der Kombination von THC/Cannabidiol zu den "Extrakten in standardisierten Qualität" gehört oder hier vielmehr den Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol zuzurechnen ist, weil THC und Dronabinol teilweise synonym verwendet werden (vgl. www.pharmawiki.ch; www.wikipedia.org.), ergibt sich aus der Vorschrift nicht. In der Gesetzesbegründung zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch ("zu Artikel 4") heißt es in diesem Zusammenhang:
"Mit einer Ausnahmeerlaubnis des BfArM nach § 3 Absatz 2 BtMG wird derzeit im Einzelfall für einige Patientinnen und Patienten, denen keine geeigneten schulmedizinischen Behandlungsmöglichkeiten mehr zur Verfügung stehen, Cannabis zu medizinischen Zwecken in Form von getrockneten Blüten nach Deutschland eingeführt oder ein Cannabisextrakt in Deutschland hergestellt, in Apotheken abgegeben und von diesen Patientinnen und Patienten in Form einer medizinisch betreuten Selbsttherapie angewandt. Mit der in diesem Gesetz enthaltenen Änderung des BtMG wird die Therapie mit Cannabisarzneimitteln in Form von getrockneten Blüten und Extrakten in die ärztliche Verantwortung gegeben, indem eine entsprechende Verschreibungsfähigkeit hergestellt wird. Die Neuregelung im SGB V schafft parallel für Versicherte in eng begrenzten Ausnahmefällen einen Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten. Das gilt aber nur für solchen Cannabis in Form von getrockneten Blüten, der die betäubungsmittelrechtlichen sowie arzneimittel- und apothekenrechtlichen Anforderungen erfüllt und von der jeweiligen Ärztin bzw. dem jeweiligen Arzt verordnet wurde. Auch in Deutschland zugelassene Fertigarzneimittel (z. B. Sativex®) fallen unter diese Regelung. In denselben begrenzten Ausnahmefällen sollen Versicherte zudem einen Anspruch auf Arzneimittel mit den Wirkstoffen Dronabinol oder Nabilon erhalten. Wenn man eine Erstattung von Cannabis in Form von getrockneten Blüten und Extrakten vorsieht, ist es sachgerecht, auch für Arzneimittel mit den Wirkstoffen Dronabinol und Nabilon die Erstattungsfähigkeit herzustellen. Eine Erstattung z. B. der Rezeptur Dronabinol scheitert nach der Rechtsprechung bisher insbesondere daran, dass die Behandlung als Gegenstand einer neuen Behandlungsmethode im Sinne des § 135 Absatz 1 angesehen wird (BSG, Urteil vom 13. Oktober 2010, Az. B 6 KA 48/09 R), für die keine Richtlinien-Empfehlung des G-BA vorliegt. Mit der neuen gesetzlichen Regelung kommt es darauf künftig nicht mehr an."
(BTDrs.: 18/8965, zur Änderung des Fünften Buches Sozialgesetzbuch, S. 23 f.)

Danach ist Sativex®, obgleich es sich um ein zugelassenes Fertigarzneimittel handelt, den Cannabisextrakten zuzuordnen und nicht den von § 31 Abs. 6 S. 1 SGB erfassten Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol und Nabilon. Das ergibt sich aus dem Gesamtzusammenhang der Gesetzesbegründung. Es wird bei den Fertigarzneimitteln ausdrücklich ein Bezug hergestellt zu Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität ("Auch in Deutschland zugelassene Fertigarzneimittel (z.B. Sativex®) fallen unter diese Regelung"). Hätte der Gesetzgeber Sativex® den Arzneimitteln zuordnen wollen – was nach Auffassung des Gerichts nahe gelegen hätte - wären Ausführungen hierzu auch erst an dieser Stelle zu erwarten gewesen.

Fest steht jedenfalls, dass Sativex® gemäß § 31 Abs. 6 S. 1 SGB V zu Lasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordnungsfähig ist. Dass es sich um ein Fertigarzneimittel handelt, welches ausschließlich zur Behandlung von speziellen Symptomen zugelassen ist, die bei Multipler Sklerose auftreten, steht der Verordnungsfähigkeit per se nicht entgegen. Die mit Wirkung vom 10.03.2017 neu eingeführte Vorschrift soll gerade auch eine therapeutische Verwendung von cannabishaltigen Präparaten indikationsübergreifend - das heißt im Wege des Off-Label- Use - ermöglichen, ohne dass die von dem Bundessozialgericht aufgestellten Kriterien bei Fertigarzneimitteln kumulativ erfüllt sein müssen. Das ergibt sich aus dem Sinn und Zweck der Vorschrift unter Einbeziehung der Gesetzesbegründung. Eine andere Auslegung würde eindeutig der Intention des Gesetzgebers widersprechen. Eine Schlechterstellung zugelassener Fertigarzneimittel gegenüber einem kontrollierten Cannabis-Anbau wäre auch unter Qualitätsgesichtspunkten nicht zu rechtfertigen, da die Sicherheit, Wirksamkeit und die Qualität dieser Arzneimittel durch die Zulassung schon belegt sind (vgl. Stellungnahme des Bundesverbandes der Arzneimittelhersteller e.V. (B.A.H.) vom 19.09.2016 zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, S. 3, abrufbar unter https://www.bundestag.de). Dass die Regelung nach der Gesetzesbegründung explizit auch Rezepturarzneimittel umfasst, für die der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) noch keine Empfehlung ausgesprochen hat, macht deutlich, dass die Vorschrift insgesamt erkennbar darauf gerichtet ist, Versicherten unter den dort genannten engen - Voraussetzungen einen zusätzlichen Versorgungsanspruch zu verschaffen.

Diese übrigen Voraussetzungen sind nach summarischer Prüfung ebenfalls erfüllt. Die Antragstellerin leidet - dieser Umstand ist zwischen den Beteiligten unstreitig - bereits seit Jahren an schwerwiegenden Erkrankungen der Wirbelsäule, die aufgrund ihrer Dauer zu einem chronischen Schmerzsyndrom geführt haben. Der MDK selbst legt bei seiner sozialmedizinischen Beurteilung vom 10.02.2017 eine "chronifizierte vielschichtig-komplexe Schmerzproblematik" zugrunde (Bl. 116 der Verwaltungsakte).

Es ist darüber hinaus überwiegend wahrscheinlich, dass keine weiteren allgemein anerkannten, dem medizinischen Standard entsprechende Maßnahmen zur Behandlung des Krankheitsbildes mehr zur Verfügung stehen. Das ergibt sich aus den substantiierten Befundberichten der Fachärzte sowie des behandelnden Hausarztes, die die Antragstellerin seit Jahren betreuen Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. K hat bereits in der fachärztlichen Bescheinigung vom 01.12.2014 die Versorgung mit Präparaten auf Cannabisbasis als "ultima ratio" bezeichnet, weil mit den bisherigen zugelassenen Medikamenten entweder keine Linderung habe herbeigeführt werden können oder sie aber unerwünschte Nebenwirkungen erbracht hätten (Bl. 27 der Verwaltungsakte). Sowohl Dr. Z (Bl. 7 der Verwaltungsakte) als auch der Psychologe W bestätigen diese Einschätzung. Im Befundbericht vom 02.09.2016. macht W. zum Krankheitsverlauf nach dem chirurgischen Eingriff im Januar 2016 folgende Angaben: "[ ] Dennoch mussten die auch weiterhin persistierenden Schmerzen mit Lyrica, Tramabeta und Tramadol behandelt werden. Es hatte sich eine Opiatabhängigkeit entwickelt, die körperliche Funktionsstörungen sowie Synkopen mit z. T. erheblichen Kopfverletzungen und Gehirnerschütterungen zur Folge hatten. In den Wochen nach der Operation im Januar 2016 nahmen die Synkopen in ihrer Häufigkeit zu, sodass ab Juli 2016 ein Entzug der Medikamente unablässig war. Die letzte Medikation vor dem Entzug waren Stilnox nach Bedarf, Lyrica 600mg täglich, Tramabeta long 150mg sowie Tramadol 100 mg zusätzlich nach Bedarf. Durch das Absetzen der Opiate und deren Austausch durch die Medikamente Palexia retard, Carbamazepin und Novaminsulfon 500 entwickelten sich neue, intolerable Störungs- und Beschwerdebilder wie extreme Abgeschlagenheit und Müdigkeit, Herzrhythmusstörungen, Kopfschmerzen, Haureaktionen sowie eine erneut ausgelöste depressive Symptomatik [ ]" (Bl. 30 der Verwaltungsakte). Der behandelnde Hausarzt Dr. Z beschreibt ebenfalls ausführlich die Folgen der medikamentösen Therapien (Bl. 31 der Verwaltungsakte) - auch bezüglich der Gabe von Arcoxia als (weiteres) Substitut für Tramadol (Bl. 124 der Verwaltungsakte). Es kann der Antragstellerin bei diesem Behandlungsverlauf nicht mehr zugemutet werden, trotz der gravierenden Nebenwirkungen weiterhin auf die zur Verfügung stehenden zugelassenen Arzneimittel zurückgreifen zu müssen.

Der Umstand, dass das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) der Antragstellerin die Erlaubnis für den Erwerb von Cannabis gemäß § 3 Abs. 2 Betäubungsmittelgesetz (BtMG) erteilt hatte, ist zudem ebenfalls ein gewichtiges Indiz dafür, dass die bisherigen Therapien zur Behandlung des Krankheitsbildes versagt haben. Gemäß § 13 Abs. 1 S. 2 BtMG ist die Anwendung der in Anlage III bezeichneten Betäubungsmittel insbesondere dann nicht begründet, wenn der beabsichtigte Zweck auf andere Weise erreicht werden kann. Zu den in der Anlage III gelisteten Betäubungsmitteln gehören auch Cannabis und Dronabinol. Konkrete weitere Behandlungsalternativen im Arzneimittelsektor hat auch der MDK in den sozialmedizinischen Stellungnahmen, auf die sich die Antragsgegnerin bezieht, nicht aufgezeigt. Er hat die Antragstellerin lediglich wiederholt auf interdisziplinäre multimodale Schmerztherapien verwiesen. Dabei wird aber verkannt, dass sich die Antragstellerin bereits umfassend disziplinübergreifend behandeln lässt. Den Angaben des behandelnden Hausarztes zu Folge nimmt die Antragstellerin eine Vielzahl von begleitenden Therapien zur Behandlung in Anspruch. Das Leistungsspektrum umfasst neben den stattgehabten operativen Maßnahmen Heilmittel, Hilfsmittel, konservative Therapien mit Infiltrationen auch Psychotherapie (Bl. 125 der Verwaltungsakte).

Daneben hat die Antragstellerin glaubhaft gemacht, dass mit dem Arzneimittel Sativex® eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht. Zur Beurteilung der nicht ganz entfernt liegenden Erfolgsaussichten ist auf die zu § 2 Abs. 1a SGB V entwickelten Kriterien zurückzugreifen. Danach ist es erforderlich dass unter Berücksichtigung des gebotenen Wahrscheinlichkeitsmaßstabes sowohl die abstrakte als auch die konkret-individuelle Chancen-/Risikoabwägung ergibt, dass der voraussichtliche Nutzen die möglichen Risiken überwiegt. Je schwerwiegender die Erkrankung und hoffnungsloser die Situation ist, desto geringer sind dabei die Anforderungen an die "ernsthaften Hinweise" auf einen nicht ganz entfernt liegenden Behandlungserfolg (Urteil des BSG vom 02.09.2014, Az. B 1 KR 4/13 R, Rn. 17, zitiert nach juris). Danach besteht bei der Antragstellerin konkret-individuell durchaus eine auf Indizien gestützte spürbar positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf beziehungsweise die Symptome. Seit der Einnahme von Sativex® werden den Informationen des Dr. Z zu Folge Opiate und Pregabalin in deutlich verringerter Dosis eingesetzt. Daneben seien keine Synopen mehr aufgetreten, und auf das Medikament Stilnox könne vollständig verzichtet werden, ebenso auf das Muskelrelaxanz (Tizinadin). Der behandelnde Hausarzt hat glaubhaft dargelegt, dass es kein Compliance-Problem geben würde und der therapeutische Nutzen insgesamt größer sei als mögliche Schäden (Bl. 124 der Verwaltungsakte). Nach alledem hat die Antragsgegnerin die Genehmigung für das verordnete Arzneimittel gemäß § 31 Abs. 6 S. 2 SGB V zu erteilen. Einen begründeten Ausnahmefall, der zur Ablehnung berechtigen würde, hat die Antragsgegnerin nicht glaubhaft gemacht. Einer Entscheidung über den hilfsweise gestellten Antrag bedarf es nicht mehr, nachdem bereits der Hauptanordnungsanspruch besteht.

Darüber hinaus liegt auch ein Anordnungsgrund vor. Es verbietet sich, die Antragstellerin im Hinblick auf die gravierenden Nebenwirkungen bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens auf die bereits in der Vergangenheit verabreichten Arzneimittel zu verweisen. Wegen der Schwere des Schmerzsyndroms kommt ein Verzicht auf eine schmerzlindernde Medikation bis zur Entscheidung im Hauptsacheverfahren ebenfalls nicht in Betracht. Letztendlich ist es wegen der erheblichen Kosten auch nicht möglich, die Antragstellerin zunächst zur Selbstbeschaffung anzuhalten und im Hauptsacheverfahren Kostenerstattung geltend zu machen. Das gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass Leistungen der gesetzlichen Krankenversicherung grundsätzlich als Sach- und Dienstleistungen gewährt werden (§ 2 Abs. 2 S. 1 SGB V). Eine Kostenerstattung sieht das Gesetz nur in Ausnahmefällen vor. Eine echte Vorwegnahme der Hauptsache vermag das Gericht nicht zu erkennen. Sollte sich im Hauptsacheverfahren herausstellen, dass kein Anspruch auf Versorgung mit dem Arzneimittel Sativex® zu Lasten der Antragsgegnerin besteht, ist Schadenersatz zu leisten (Meyer-Ladewig-Keller, SGG, 11. Auflage, 2014, § 86b, Rn. 49a).

Die Kostenentscheidung beruht auf einer analogen Anwendung des § 193 Abs. 1 S. 1 SGG.
Rechtskraft
Aus
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