Land
Hessen
Sozialgericht
SG Wiesbaden (HES)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
32
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 32 U 39/13
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 9 U 224/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
1. Der Bescheid der Beklagten zur Berufskrankheit 4101 (Silikose) vom 26. August 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Februar 2013 wird aufgehoben. Es wird festgestellt, dass beim Kläger eine Berufskrankheit 4101 (Silikose) vorliegt. Die Beklagte wird verurteilt, dem Kläger wegen dieser Berufskrankheit ab Dezember 2010 eine Verletztenrente nach einer MdE von 30 % zu gewähren.
2. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 4101 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BK 4101: Silikose) und die Gewährung einer Verletztenrente.
1. Der Kläger wurde 1936 geboren. Er war von Dezember 1951 bis März 1967 als Lehrling, Knappe und Hauer in der Zeche E. der F. AG in F-Stadt im Steinkohlebergbau beschäftigt. Ab dem Ende des zweiten Lehrjahres bis zum Ausscheiden aus dem Betrieb arbeitete er unter Tage. Dort war er zunächst ein bis zwei Jahre mit dem Abbau von Steinkohle, danach mit dem Rückbau der Schächte ("Rauben") beschäftigt. Von 1967 bis 1985 arbeitete in einer Raffinerie der Firma "G." als Chemiefachwerker, hier war er als Anlagenfahrer in einer Messwarte tätig. Ab. Januar 1986 bis Ende 1996 arbeitete er bei der "H. AG" und überwachte dort Tanks mit chemischen Flüssigkeiten. Seit Januar 1997 bezieht er eine Altersrente.
Im April 2009 suchte der Kläger einen Lungenfacharzt auf und gab an, seit dem Winter 2008/2009 verstärkt unter Atemnot zu leiden. Im Mai 2010 diagnostizierten die Kliniken des Main-Taunus-Kreises, Klinik für Pneumologie, bei ihm eine "ausgeprägte Silikose-Anthrakose" und eine Asbestose. Dieser Diagnose lagen bildgebende Untersuchungen zu Grunde, außerdem die cytologische Untersuchung der Spülflüssigkeit nach einer Lungenspiegelung (Bronchio-alveoläre Lavage, BAL), in der ca. 8 Asbestkörper gefunden worden waren; ferner hatte eine pathologische Untersuchung entnommenen Lungengewebes eine "ausgeprägte Anthrakose" gezeigt.
2. Im Mai 2010 meldete die behandelnde Lungenfachärtzin der Beklagten den Verdacht auf das Vorliegen einer Silikose gem. BK 4101 oder einer Asbestose gem. BK 4103.
Die Beklagte leitete zwei getrennte Verwaltungsverfahren ein. Sie ermittelte zur BK 4103 eine Gesamtbelastung von 0,1 Faserjahren.
Im Verfahren zur BK 4101 stellte sie fest, dass der Kläger während der rund 13 Jahre dauernden Grubentätigkeit in den E-Schächten eine gefährdende Tätigkeit i.S. dieser BK ausgeübt hat. In der Raffinerie und bei der H. AG sei der Kläger nicht mit Quarz in Kontakt gekommen.
Die Beklagte holte ein lungenfachärztliches Gutachten zu den Berufskrankheiten 4103 und 4101 bzw. 4102 ein, das auf Wunsch des Klägers von seinem behandelnden Arzt, dem Chefarzt der Klinik für Pneumologie und Allgemeine Innere Medizin der Main-Taunus-Kliniken, Dr. M., im Februar 2011 erstellt wurde. Der Gutachter hat den Kläger am 30. November 2011 untersucht und dabei auch eine CT-Aufnahme der Lunge angefertigt. Der Gutachter erkannte fibrotische Veränderungen des Lungengerüsts und eine Verdickung der Pleura (Lungenfell), verursacht durch Pleuraplaques. Er diagnostizierte eine Asbestose mit Pleuraplaques, die beruflich verursacht sei. Zur Silikose führte er aus, dass sich im Lungengewebe des Klägers Staubablagerungen gefunden haben, sich aber das typische radiologische Bild der Silikose nicht zeige; allenfalls liege eine Sonderform der Silikose vor, hier sei eine Zuordnung zur beruflichen Belastung nicht möglich. Der Kläger leide an einer leicht- bis mittelgradigen restriktiven Ventilationsstörung (eingeschränkte Dehnbarkeit der Lunge) und einer leicht eingeschränkten Diffusionskapazität (Fähigkeit zum Gasaustausch Lunge/Blut). Die MdE betrage 30 %.
Der die Beklagte beratende Arbeitsmediziner teilte mit, dass die geringe berufliche Asbestexposition in der Regel nicht ausreiche, um eine Asbestose auszulösen. Die Computertomographien aus dem November 2010 erfüllten nicht die notwendigen Qualitätsstandards zur Bewertung der BKen 4101 und 4103; entsprechend belegten sie asbest-assoziierte Veränderungen oder eine Silikose nicht mit der notwendigen Gewissheit.
Mit einem ersten, hier nicht mehr streitgegenständlichen Bescheid vom 26. August 2011 lehnte die Beklagte eine Entschädigung aus Anlass der BK 4103 ab.
Mit einem weiteren, hier angegriffenen Bescheid vom 26. August 2011 lehnte die Beklagte die Anerkennung der BK 4101/4102 ab, Ansprüche auf Leistungen bestünden nicht. Die CT-Aufnahme aus dem November 2010 zeige keine sicheren Quarzstaublungenveränderungen und auch keine aktive Lungentuberkulose.
Gegen beide Bescheide legte der Kläger Widerspruch ein. Er verwies auf das Gutachten des Dr. M. Nachdem der beratende Arzt mitgeteilt hatte, dass die Bilder nicht den erforderlichen Qualitätsstandards genügten, hätte die Beklagte weiter müssen.
Daraufhin führte die Beklagte eine radiologische Begutachtung durch. Auf Wunsch des Klägers erfolgte die Untersuchung durch Dr. L., einen Radiologen am Wohnort des Klägers, der sein Gutachten im Mai 2012 erstellte. Der Gutachter kam zu der Einschätzung, dass eine Asbestose I° vorliege. Zwar reichten die im CT sichtbaren Veränderungen "für sich allein betrachtet" nicht aus, um eine Asbestose zu diagnostizieren, aber im Lungengewebe des Kläger seien Asbestfasern gefunden worden. Außerdem zeigten sich diskrete Veränderungen des Lungengewebes und des Lungenfells, "wie sie bei einer Silikose vorkommen können". Vom Vorliegen der BKen 4101 und 4103 müsse ausgegangen werden.
Der die Beklagte beratende Lungenfacharzt teilte mit, die radiologischen Befunde belegten weder die BK 4101 noch die BK 4103. Nach Zusendung der zytologischen Befunde teilte er mit, auch diese belegten keine Silikose.
Mit hier nicht streitigem Widerspruchsbescheid vom 22. Februar 2013 wies die Beklagte den Widerspruch zur BK 4103 zurück.
Mit weiterem, hier angegriffenen Widerspruchsbescheid vom 22. Februar 2013 wies die Beklagte den Widerspruch zur BK 4101 zurück. Die Anerkennung dieser BK setze den Nachweis eindeutiger quarzstaubbedingter Veränderungen der Lunge voraus. Dafür müsse zumindest das Ausmaß 1/1 der Staublungenklassifikation der ILO 2000 erreicht sein. Dies sei beim Kläger nicht der Fall.
3. Gegen beide Bescheide hat der Kläger am 14. März 2013 Klagen zum Sozialgericht Wiesbaden erhoben. Mit Beschluss vom 25. Februar 2014 hat das Sozialgericht beide Verfahren zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
a. Das Gericht hat ein arbeitsmedizinisches Sachverständigengutachten eingeholt, das Prof. B., Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin, im Dezember 2014 erstellt hat. Der Sachverständige hat den Kläger im April 2014 untersucht, dabei wurde auch eine CT-Untersuchung nach Kontrastmittelgabe durchgeführt. Ein radiologisches Zusatzgutachten wurde von Prof. D., Zentrum Radiologie der Universitätskliniken Göttingen, im Oktober 2014 erstellt und ist in das Hauptgutachten eingeflossen.
Der Radiologe Prof. D. sieht den typischen Befund eine Silikose bzw. Siliko-Antrakose mit dem Ausmaß 1/1 nach der ILO-Klassifikation 2011. Befunde einer asbest-assoziierten Erkrankung des Lungenfells und damit Brückenbefunde einer BK 4103 sah er dagegen nicht.
Nach Einschätzung des Arbeitsmediziners Prof. B. liegen die medizinischen Voraussetzungen der BK 4103 nicht vor. Erstens sei eine Asbestose oder asbestassoziierte Pleura-Erkrankung nicht im Vollbeweis gesichert. Zwar seien im Mai 2010 in der Spülflüssigkeit der Lunge Asbestkörper nachgewiesen worden; dies belege aber keine asbest-verursachte Veränderung des Lungengewebes oder Lungenfells. Daher komme den Bildern eine besondere Bedeutung zu; der Radiologe habe asbest-assoziierte Veränderungen klar verneint. Zweitens sei – selbst wenn man von einer entsprechenden Erkrankung ausgehen wollte – ein Kausalzusammenhang äußerst unwahrscheinlich. Denn der Kläger sei nur äußerst geringen Mengen an Asbest ausgesetzt gewesen; dies gelte selbst dann, wenn man die von der Beklagten errechnete Dosis auf 0.2 FJ verdopple. Zwar gebe es keinen formalen Grenzwert. Es sei aber sicher, dass die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung dosisabhängig sei; erst bei mindestens 25 Faserjahren werde in der wissenschaftlichen Literatur ein Ursachenzusammenhang anerkannt. Dies entspreche den molekularen und zellulären Mechanismen der Erkrankung.
Dagegen sei die BK 4101 anzuerkennen. Das Krankheitsbild der Silikose sei im Vollbeweis gesichert. Zwar habe das behandelnde Krankenhaus zunächst eher eine Asbestose als eine Silikose angenommen und der im Verwaltungsverfahren gehörte Radiologe eine Silikose nicht für hinreichend gesichert gehalten. Der im Verwaltungsverfahren gehörte Lungenfacharzt sowie vor allem das Zusatzgutachten von Prof. D. belegten diese Erkrankung aber, auch die Gewebeanalysen aus dem Mai 2010 (Lavage und Gewebeprobe) wiesen sie nach. Auch ein Ursachenzusammenhang sei hinreichend wahrscheinlich. Denn der Kläger sei über mehrere Jahre hinweg einer extrem hohen Staubbelastung ausgesetzt gewesen. Beim Rückbau der Stollen werde der gesamte abgelagerte Gesteins- und Kohlestaub wieder aufgewirbelt und ein Luftaustausch ("Bewetterung") finde nach dem Ende der Förderung kaum noch statt. Die Krankheit sei auch zeitnah zur Belastung aufgetreten; der Kläger habe nämlich sowohl dem Gutachter im Verwaltungsverfahren als auch ihm gegenüber glaubhaft geschildert, dass er bereits in den 1970er Jahren Atembeschwerden und eine eingeschränkte Leistungsfähigkeit bemerkt habe. Konkurrierende Ursachen seien nicht erkennbar, insbes. habe der Kläger nie geraucht und leide nicht an Erkrankungen, die die vorliegenden Befunde auslösen könnten. Die MdE sei mit 30 % zu bewerten. Die Dehnbarkeit der Lunge sei kaum eingeschränkt; der Gasaustausch zwischen Lunge und Blut sei dagegen eindeutig behindert, was sich bei körperlicher Belastung bemerkbar mache und nur bis zu einem gewissen Grad durch vermehrtes Atmen (Hyperventilation) ausgeglichen werden könne. Diese Einschränkungen seien spätestens seit der Untersuchung durch Dr. M. im Verwaltungsverfahren, d.h. seit 30. November 2010 nachgewiesen.
In seiner ergänzenden Stellungnahme aus dem Oktober 2015 erläutert Prof. B., dass bei dem Kläger zweifelsfrei eine Fibrose (d.h. Verdickung des Bindegewebes) der Lunge vorliege. Unklar sei lediglich, ob diese Fibrose durch Quarzstaub oder Asbest verursacht worden sei. Wegen angenommener Verdickungen des Lungenfells sei der Gutachter, den die Beklagte beauftragt habe, eher von einer Asbestose als von einer Silikose ausgegangen. Die Grundannahme einer verdickten Pleura sei nun aber radiologisch widerlegt, so dass es sich um eine Silikose handele.
b. Der Kläger hat die Klage gegen die Ablehnung der BK 4103 (Asbestose) in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen. Er geht davon aus, dass bei ihm die BK 4101 vorliegt und verweist dazu auf das Gutachten von Prof. B.
Der Bevollmächtigte des Klägers beantragt,
den Bescheid der Beklagten zur Berufskrankheit 4101 (Silikose) vom 26. August 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Februar 2013 aufzuheben, festzustellen, dass beim Kläger die Berufskrankheit 4101 (Silikose) vorliegt und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger wegen dieser Berufskrankheit ab Dezember 2010 eine Verletztenrente nach einer MdE von 30 % zu gewähren.
Der Bevollmächtigte der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen; hilfsweise eine Stellungnahme vom Radiologen Prof. Dr. D. zur abweichenden CT-Bewertung des Bildmaterials durch Prof. Dr. SW. vom 10.8.2015 und 16.11.2015 einzuholen oder eine erneute radiologische Begutachtung einzuholen.
Die Beklagte beruft sich auf ihren beratenden Lungenfacharzt Prof. SW. Dieser hält das radiologische Zusatzgutachten von Prof. D. nicht für überzeugend und meint nach eigenen Auswertung der CT-Aufnahme aus dem April 2015, sie zeige keine eindeutige Silikose. Der radiologische Sachverständige hätte die Erkrankung nach "ICOERD" klassifizieren müssen.
Die Akte der Beklagten lag dem Gericht vor. Auf die Gerichts- und Verwaltungsakte wird ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, sie ist insbesondere als kombinierte Anfechtungs-, Feststellungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1, Abs. 4, § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG statthaft. Das nach § 78 Abs. 1 SGG notwendige Vorverfahren hat stattgefunden, darin hat die Beklagte sich nicht nur mit der Frage befasst, ob eine BK 4101 vorliegt, sondern auch Leistungsansprüche des Klägers ausdrücklich abgelehnt.
Die Klage ist auch begründet. Der Kläger ist durch den angegriffenen Bescheid in seinen Rechten verletzt.
1. Die Lungenerkrankung des Klägers ist eine Berufskrankheit nach Nr. 4101 der Anlage zur BKV.
a. Rechtsgrundlage der Entscheidung ist § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. der Berufskrankheitenverordnung.
Nach dieser Vorschrift ist nicht jede Erkrankung, die durch eine berufliche Belastung bei einem individuellen Versicherten verursacht wird, eine "Berufskrankheit" im Sinne des Unfallversicherungsrechts. Vielmehr werden die Berufskrankheiten im rechtlichen Sinne in der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung aufgelistet (BKV, erlassen von der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats, auf der Grundlage von § 9 Abs. 6 SGB VII). Diese Liste benennt sowohl die Erkrankung als auch die Belastung, auf der sie beruhen kann. Silikose und Asbestose, die im Fall des Klägers diskutiert wurden, gehören zu den in der Anlage zur BKV aufgeführten Listen-BKen, die Silikose ist unter Nr. 4101, die Asbestose unter Nr. 4103 aufgeführt.
Eine sog. Listen-BK ist im Einzelfall festzustellen, wenn erstens eine in der Liste genannte Erkrankung eingetreten ist, zweitens die betroffene Person bei ihrer versicherten Tätigkeit den in der Liste genannten Belastungen ausgesetzt war und drittens im Einzelfall davon ausgegangen werden kann, dass die Belastungen tatsächlich die Ursache für die Erkrankung gewesen sind. Dabei müssen die Krankheit und die berufsbedingten Belastungen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein (sog. Vollbeweis). Für den Ursachenzusammenhang zwischen den berufsbedingten Belastungen und der Erkrankung genügt eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, d.h. bei vernünftiger Abwägung aller für und gegen den Zusammenhang sprechenden Umstände müssen die für den Zusammenhang sprechenden Erwägungen so stark überwiegen, dass die dagegen sprechenden billigerweise für die Bildung und Rechtfertigung der richterlichen Überzeugung außer Betracht bleiben können (vgl. HLSG, Urt. v. 29. Oktober 2013 - L 3 U 28/10 -, juris, Rn. 22; Urt. v. 21. November 2006 - L 3 U 103/05 -, juris, Rn. 26).
Das Gericht geht von folgendem aktuellen medizinischen Kenntnisstand zu der hier streitgegenständlichen BK 4101 (Silikose) und der konkurrierend diskutierten BK 4103 (Asbestose) aus (s. Schönberger u.a., Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, S. 993 ff.; "Falkensteiner Empfehlung" zur BK 4103 (Asbestose) vom Februar 2011 und "Bochumer Empfehlung" zur BK 4101 (Silikose) vom Juni 2011, beide erarbeitet von mehreren fachärztlichen Gesellschaften, der Vereinigung der Landesgewerbeärzte und den Unfallversicherungsträgern; AMWF-Leitlinie: Diagnostik und Begutachtung der Berufskrankheit Nr. 4101 Quarzstaublungenerkrankung (Silikose), gültig bis September 2013, Revision noch nicht abgeschlossen): Das Einatmen von bestimmten anorganischen Stäuben führt zu Veränderungen des Lungengewebes. Denn diese Staubpartikel können wegen ihrer Größe nicht abgefangen und ausgeatmet werden, so dass sie in die feineren Verzweigungen der Lunge, evtl. bis in die Lungenbläschen geraten, können dort aber auch nicht vom Immunsystem entfernt werden. Sie lagern sich dauerhaft ab. Durch die anhaltend erfolglose Immunantwort entstehen chronisch-entzündliche Prozesse, es bildet sich vermehrt Bindegewebe (Fibrosierung). Dieses Krankheitsbild wird als Pneumokoniose ("Staublunge") bezeichnet und nach Art des eingeatmeten Staubes weiter unterschieden: Die durch Quarzstaub verursachte Silikose ist ebenso eine Unterform der Pneumokoniose wie die durch Kohlenstaub verursachte Anthrakose oder die durch Asbeststaub verursachte Asbestose; bei Steinkohlebergleuten taucht häufig die Anthrakosilikose auf, die durch das Einatmen von Quarz- und Kohlestaub entsteht. Die Unterarten der Pneumokoniose lassen sich diagnostisch voneinander unterscheiden, weil die verschiedenen Stäube sich in unterschiedlichen Regionen der Lunge bevorzugt ablagern und zu spezifischen Entzündungsprozessen und Fibrose-Formen führen: Während sich Asbestpartikel vorwiegend im mittleren und unteren Teil der Lunge finden und häufig auch in das Lungenfell (Pleura) wandern, wo sich um die Asbestpartikel herum tafelbergartige Plaques bilden, lagern sich Quarzstaubpartikel in den Lungenbläschen der gesamten Lunge ab, mit einem Schwerpunkt im oberen und mittleren Teil, und verursachen rundliche, zwiebelschalenartige Verdickungen (silikotische Knötchen). Die im Kohlebergbau im Ruhrgebiet – wo der Kläger gearbeitet hat – eingeatmeten Misch-Stäube verursachen wegen des hohen Anteils an Kohlestaub typischerweise matt- bis tiefschwarze Knötchen.
Für die Feststellung der BK 4101 folgt aus diesen medizinischen Erkenntnissen, dass die Belastung mit Quarzstaub und die Pneumokoniose im Vollbeweis nachgewiesen sein müssen. Weil mit der medizinischen Diagnose einer "Silikose" bzw. "Asbestose" zugleich eine Aussage über die Ursache der Lungenerkrankung getroffen wird, gilt an diesem Punkt der Beweismaßstab der hinreichenden Wahrscheinlichkeit.
b. Die o.g. Voraussetzungen für die Feststellung einer BK 4101 (Silikose) sind beim Kläger erfüllt.
aa. Er war während der insgesamt über 13 Jahre ausgeübten Tätigkeit im Steinkohlebergbau unter Tage unstreitig einer Belastung durch Quarzstaub ausgesetzt. Kohlengrubenstaub setzt sich aus verschiedenen Mineralien und den Stäuben der verwendeten Baustoffe zusammen und enthält in unterschiedlichen Prozentanteilen den besonders gefährlichen Quarzstaub (s. AMWF-Leitlinie: Diagnostik und Begutachtung der Berufskrankheit Nr. 4101, Ziff. 4.1). Die Staubbelastung war nach den plastischen Schilderungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung und den überzeugenden Ausführungen des arbeitsmedizinischen Sachverständigen gerade beim Rückbau der Stollen, den der Kläger über elf Jahre lang betrieben hat, besonders hoch.
bb. Der Kläger leidet an einer Pneumokoniose. Dies diagnostizieren alle behandelnden und begutachtenden Mediziner. Auch die Beklagte bestreitet dies nicht, ihr beratender Lungenfacharzt stellt eine Pneumokoniose nicht in Frage, sondern hält nur die Unterform einer Silikose i.S.d. BK 4101 nicht für nachgewiesen.
cc. Das Gericht hält auch eine Silikose – als durch den eingeatmeten Quarzstaub verursachte Form der Pneumokoniose – für nachgewiesen.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Kläger als Bergarbeiter im Ruhrgebiet keiner reinen Quarzstaub-Belastung ausgesetzt war, sondern ein Staub-Gemisch eingeatmet hat. Das Bild einer reinen Silikose ist hier also nicht zu erwarten. Dem entspricht die erste Diagnose der behandelnden Lungenfachärzte, die histologisch eine ausgeprägte Anthrakose und bildgebend eine Anthrakosilikose festgestellt hatten (auch die Anthrakosilikose gehört zu den von der BK 4101 erfassten Berufskrankheiten; s. Falkensteiner Empfehlung, Ziff. 3.1).
Das Gericht folgt hinsichtlich der Bewertung der Pneumokoniose des Klägers als Silikose dem arbeitsmedizinischen Gutachten von Prof. B. und dem radiologischen Zusatzgutachten von Prof. D. Prof. D. ist am Institut für Diagnostische Radiologie der Universitätsklinik Göttingen tätig und damit auf die Auswertung radiologischer Befunde in hohem Maße spezialisiert. Er hat eine eigene CT-Begutachtung durchgeführt und legt seiner Bewertung – wie dies von der Bochumer und der Falkensteiner Empfehlung gefordert wird – die von der International Labour Organization entwickelte "International Qualification of Radiographs of Pneumoconioses" in der aktuellen Fassung von 2011 (ILO-Klassifikation 2011) zu Grunde. Seiner Bewertung nach handelt es sich um den "typischen" Befund einer Silikose bzw. Siliko-Anthrakose. Prof. B. hat sich dieser Bewertung angeschlossen. Er ist ein erfahrener Arbeitsmediziner und auch mit Erkrankungen von Bergleuten vertraut. Sein Gutachten ist durchgängig sehr gut verständlich und nachvollziehbar.
Diese Diagnose wird nicht dadurch erschüttert, dass die im Verwaltungsverfahren beteiligten Gutachter (Dres M. bzw. L.) weniger eindeutige Aussagen getroffen haben. Denn dies lässt sich zum einen mit der geringeren Spezialisierung und gutachterlichen Erfahrung der Ärzte – auf Wunsch des Klägers waren sein behandelnder Arzt und ein wohnortnaher Radiologe beauftragt worden – zum anderen mit dem Fortschreiten der Erkrankung erklären. Auch trifft die Aussage von Dr. M., eine radiologisch für möglich gehaltene "Sonderform" der Silikose, die sich nur mikroskopisch eindeutig diagnostizieren ließe, könne generell einer beruflichen Ursache nicht zugeordnet werden, nach Überzeugung des Gerichts nicht zu. Aus der Definition der Silikose als gerade durch Quarzstaub verursachte Erkrankung folgt, dass auch die untypischen Formen der Silikose immer auf eine Quarzstaub-Inhalation zurückgehen – andernfalls dürfte die Pneumokoniose nicht als Silikose klassifiziert werden. Wenn auch bei untypischen Krankheitsformen ein Ursachenzusammenhang mit Quarzstaub definitionsgemäß angenommen wird (vgl. auch AMWF-Leitlinie: Diagnostik und Begutachtung der Berufskrankheit Nr. 4101, Ziff. 4.2), ist nicht nachvollziehbar, weshalb ein Zusammenhang gerade mit beruflichen Quarzstaub-Belastungen verneint werden sollte.
Das Gericht teilt auch nicht den Bedenken der Beklagten bzw. des von ihr befragten beratenden Arztes. Dieser teilt nach eigener Auswertung der CT-Aufnahme aus dem April 2014, er erkenne "keine eindeutige Silikose" und kritisiert, dass der Radiologe ein bestimmtes Formular zur Beschreibung von CT-Aufnahmen von Lungen ("International Classification for Occupational and Environmental Respiratory Diseases, ICOERD") nicht vorgelegt hat. Der Beratungsarzt begründet seine Zweifel an der Diagnose nicht näher und erläutert auch nicht, welche zusätzlichen Erkenntnisse bei Verwendung bzw. Vorlage des Formulars zu erwarten gewesen wären. Zudem verengt der Beratungsarzt den Anwendungsbereich der BK 4101 auf "eindeutige" Silikosen, wofür das Gesetz keinen Anhaltpunkt bietet. Schon der Weil das Gericht die medizinische Lage für aufgeklärt hält, ist es dem Hilfsantrag der Beklagten auf eine weitere Beweiserhebung nicht gefolgt.
3. Der Kläger hat wegen dieser Berufskrankheit Anspruch auf eine Verletztenrente nach einer MdE von 30 % ab Dezember 2010.
a. Rechtsgrundlage für die Rentenbewilligung ist § 56 SGB VII.
Nach § 56 SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls – hier einer Berufskrankheit – über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 % gemindert ist, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 S. 1 SGB VII). Die Erwerbsfähigkeit ist gemindert, soweit die Arbeitsmöglichkeiten der verletzten Person auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens reduziert sind, weil das körperliche und geistige Leistungsvermögen beeinträchtigt ist, (§ 56 Abs. 2 S. 1 SGB VII). Die Bemessung des Grades der Erwerbsminderung (MdE) hängt also von zwei Faktoren ab: Erstens von den Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens (soweit sie durch die Berufskrankheit verursacht sind) und zweitens vom Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten (vgl. nur BSG, Urt. v. 22. Juni 2004 - B 2 U 14/03 R -, juris, Rn. 12).
Die Bemessung des Grades der MdE trifft das Gericht als Tatsachenfeststellung nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 128 Abs. 1 S. 1 SGG). Bei dieser Schätzung hat das Gericht nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts die Erfahrungssätze zu beachten, die von Rechtsprechung und Schrifttum herausgearbeitet worden sind und die eine Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis bieten. Sie sind allerdings für die Entscheidung im Einzelfall nicht bindend (vgl. nur BSG, Urt. v. 22. Juni 2004 - B 2 U 14/03 R -, juris, Rn. 12).
b. Danach beträgt die MdE des Klägers 30 %.
Nach der Falkensteiner Empfehlung ist bei der Bemessung der MdE zu berücksichtigen, ob und in welchem Ausmaß Luftnot besteht, inwieweit Atmung und Herzfunktion beeinträchtigt sind, welche Ergebnisse verschiedene Lungenfunktionsprüfungen und Blutgasanalysen zeigen und welche Therapie nach den aktuellen Behandlungsleitlinien indiziert ist.
Nach diesen Kriterien ist die MdE mit 30 % zu bemessen, wie es auch der Sachverständige Prof. B. vorschlägt. Der Kläger leidet unter Atemnot bei Belastungen, er muss beim Treppensteigen nach jedem Absatz pausieren. Der vom Gericht beauftragte Sachverständige stellte ein Knistern und trockene Rasselgeräusche beim Atmen fest, die Herzfunktion war nicht beeinträchtigt. Die Lungenfunktionsprüfung ergab leichte Einschränkungen der Vitalkapazität und eine auf 41 % bzw. 51 % des Sollwertes deutlich reduzierte Diffusionskapazität. Eine Blutgasanalyse des im Verwaltungsverfahren beauftragten Sachverständigen zeigte eine eindeutige Sauerstoff-Unterversorgung in Ruhe, die bei leichter körperlicher Belastung durch vermehrtes Atmen ausgeglichen werden konnte. Eine spezifische Medikation findet nicht statt.
Hinsichtlich des Rentenbeginns entspricht das Gericht dem Antrag des Klägers. Erkrankung und Funktionseinbußen im tenorierten Ausmaß sind durch das Gutachten von Dr. M. belegt, der den Kläger Ende November 2010 untersucht hat.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
2. Die Beklagte hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Anerkennung einer Berufskrankheit nach Nr. 4101 der Anlage zur Berufskrankheitenverordnung (BK 4101: Silikose) und die Gewährung einer Verletztenrente.
1. Der Kläger wurde 1936 geboren. Er war von Dezember 1951 bis März 1967 als Lehrling, Knappe und Hauer in der Zeche E. der F. AG in F-Stadt im Steinkohlebergbau beschäftigt. Ab dem Ende des zweiten Lehrjahres bis zum Ausscheiden aus dem Betrieb arbeitete er unter Tage. Dort war er zunächst ein bis zwei Jahre mit dem Abbau von Steinkohle, danach mit dem Rückbau der Schächte ("Rauben") beschäftigt. Von 1967 bis 1985 arbeitete in einer Raffinerie der Firma "G." als Chemiefachwerker, hier war er als Anlagenfahrer in einer Messwarte tätig. Ab. Januar 1986 bis Ende 1996 arbeitete er bei der "H. AG" und überwachte dort Tanks mit chemischen Flüssigkeiten. Seit Januar 1997 bezieht er eine Altersrente.
Im April 2009 suchte der Kläger einen Lungenfacharzt auf und gab an, seit dem Winter 2008/2009 verstärkt unter Atemnot zu leiden. Im Mai 2010 diagnostizierten die Kliniken des Main-Taunus-Kreises, Klinik für Pneumologie, bei ihm eine "ausgeprägte Silikose-Anthrakose" und eine Asbestose. Dieser Diagnose lagen bildgebende Untersuchungen zu Grunde, außerdem die cytologische Untersuchung der Spülflüssigkeit nach einer Lungenspiegelung (Bronchio-alveoläre Lavage, BAL), in der ca. 8 Asbestkörper gefunden worden waren; ferner hatte eine pathologische Untersuchung entnommenen Lungengewebes eine "ausgeprägte Anthrakose" gezeigt.
2. Im Mai 2010 meldete die behandelnde Lungenfachärtzin der Beklagten den Verdacht auf das Vorliegen einer Silikose gem. BK 4101 oder einer Asbestose gem. BK 4103.
Die Beklagte leitete zwei getrennte Verwaltungsverfahren ein. Sie ermittelte zur BK 4103 eine Gesamtbelastung von 0,1 Faserjahren.
Im Verfahren zur BK 4101 stellte sie fest, dass der Kläger während der rund 13 Jahre dauernden Grubentätigkeit in den E-Schächten eine gefährdende Tätigkeit i.S. dieser BK ausgeübt hat. In der Raffinerie und bei der H. AG sei der Kläger nicht mit Quarz in Kontakt gekommen.
Die Beklagte holte ein lungenfachärztliches Gutachten zu den Berufskrankheiten 4103 und 4101 bzw. 4102 ein, das auf Wunsch des Klägers von seinem behandelnden Arzt, dem Chefarzt der Klinik für Pneumologie und Allgemeine Innere Medizin der Main-Taunus-Kliniken, Dr. M., im Februar 2011 erstellt wurde. Der Gutachter hat den Kläger am 30. November 2011 untersucht und dabei auch eine CT-Aufnahme der Lunge angefertigt. Der Gutachter erkannte fibrotische Veränderungen des Lungengerüsts und eine Verdickung der Pleura (Lungenfell), verursacht durch Pleuraplaques. Er diagnostizierte eine Asbestose mit Pleuraplaques, die beruflich verursacht sei. Zur Silikose führte er aus, dass sich im Lungengewebe des Klägers Staubablagerungen gefunden haben, sich aber das typische radiologische Bild der Silikose nicht zeige; allenfalls liege eine Sonderform der Silikose vor, hier sei eine Zuordnung zur beruflichen Belastung nicht möglich. Der Kläger leide an einer leicht- bis mittelgradigen restriktiven Ventilationsstörung (eingeschränkte Dehnbarkeit der Lunge) und einer leicht eingeschränkten Diffusionskapazität (Fähigkeit zum Gasaustausch Lunge/Blut). Die MdE betrage 30 %.
Der die Beklagte beratende Arbeitsmediziner teilte mit, dass die geringe berufliche Asbestexposition in der Regel nicht ausreiche, um eine Asbestose auszulösen. Die Computertomographien aus dem November 2010 erfüllten nicht die notwendigen Qualitätsstandards zur Bewertung der BKen 4101 und 4103; entsprechend belegten sie asbest-assoziierte Veränderungen oder eine Silikose nicht mit der notwendigen Gewissheit.
Mit einem ersten, hier nicht mehr streitgegenständlichen Bescheid vom 26. August 2011 lehnte die Beklagte eine Entschädigung aus Anlass der BK 4103 ab.
Mit einem weiteren, hier angegriffenen Bescheid vom 26. August 2011 lehnte die Beklagte die Anerkennung der BK 4101/4102 ab, Ansprüche auf Leistungen bestünden nicht. Die CT-Aufnahme aus dem November 2010 zeige keine sicheren Quarzstaublungenveränderungen und auch keine aktive Lungentuberkulose.
Gegen beide Bescheide legte der Kläger Widerspruch ein. Er verwies auf das Gutachten des Dr. M. Nachdem der beratende Arzt mitgeteilt hatte, dass die Bilder nicht den erforderlichen Qualitätsstandards genügten, hätte die Beklagte weiter müssen.
Daraufhin führte die Beklagte eine radiologische Begutachtung durch. Auf Wunsch des Klägers erfolgte die Untersuchung durch Dr. L., einen Radiologen am Wohnort des Klägers, der sein Gutachten im Mai 2012 erstellte. Der Gutachter kam zu der Einschätzung, dass eine Asbestose I° vorliege. Zwar reichten die im CT sichtbaren Veränderungen "für sich allein betrachtet" nicht aus, um eine Asbestose zu diagnostizieren, aber im Lungengewebe des Kläger seien Asbestfasern gefunden worden. Außerdem zeigten sich diskrete Veränderungen des Lungengewebes und des Lungenfells, "wie sie bei einer Silikose vorkommen können". Vom Vorliegen der BKen 4101 und 4103 müsse ausgegangen werden.
Der die Beklagte beratende Lungenfacharzt teilte mit, die radiologischen Befunde belegten weder die BK 4101 noch die BK 4103. Nach Zusendung der zytologischen Befunde teilte er mit, auch diese belegten keine Silikose.
Mit hier nicht streitigem Widerspruchsbescheid vom 22. Februar 2013 wies die Beklagte den Widerspruch zur BK 4103 zurück.
Mit weiterem, hier angegriffenen Widerspruchsbescheid vom 22. Februar 2013 wies die Beklagte den Widerspruch zur BK 4101 zurück. Die Anerkennung dieser BK setze den Nachweis eindeutiger quarzstaubbedingter Veränderungen der Lunge voraus. Dafür müsse zumindest das Ausmaß 1/1 der Staublungenklassifikation der ILO 2000 erreicht sein. Dies sei beim Kläger nicht der Fall.
3. Gegen beide Bescheide hat der Kläger am 14. März 2013 Klagen zum Sozialgericht Wiesbaden erhoben. Mit Beschluss vom 25. Februar 2014 hat das Sozialgericht beide Verfahren zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
a. Das Gericht hat ein arbeitsmedizinisches Sachverständigengutachten eingeholt, das Prof. B., Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin, im Dezember 2014 erstellt hat. Der Sachverständige hat den Kläger im April 2014 untersucht, dabei wurde auch eine CT-Untersuchung nach Kontrastmittelgabe durchgeführt. Ein radiologisches Zusatzgutachten wurde von Prof. D., Zentrum Radiologie der Universitätskliniken Göttingen, im Oktober 2014 erstellt und ist in das Hauptgutachten eingeflossen.
Der Radiologe Prof. D. sieht den typischen Befund eine Silikose bzw. Siliko-Antrakose mit dem Ausmaß 1/1 nach der ILO-Klassifikation 2011. Befunde einer asbest-assoziierten Erkrankung des Lungenfells und damit Brückenbefunde einer BK 4103 sah er dagegen nicht.
Nach Einschätzung des Arbeitsmediziners Prof. B. liegen die medizinischen Voraussetzungen der BK 4103 nicht vor. Erstens sei eine Asbestose oder asbestassoziierte Pleura-Erkrankung nicht im Vollbeweis gesichert. Zwar seien im Mai 2010 in der Spülflüssigkeit der Lunge Asbestkörper nachgewiesen worden; dies belege aber keine asbest-verursachte Veränderung des Lungengewebes oder Lungenfells. Daher komme den Bildern eine besondere Bedeutung zu; der Radiologe habe asbest-assoziierte Veränderungen klar verneint. Zweitens sei – selbst wenn man von einer entsprechenden Erkrankung ausgehen wollte – ein Kausalzusammenhang äußerst unwahrscheinlich. Denn der Kläger sei nur äußerst geringen Mengen an Asbest ausgesetzt gewesen; dies gelte selbst dann, wenn man die von der Beklagten errechnete Dosis auf 0.2 FJ verdopple. Zwar gebe es keinen formalen Grenzwert. Es sei aber sicher, dass die Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung dosisabhängig sei; erst bei mindestens 25 Faserjahren werde in der wissenschaftlichen Literatur ein Ursachenzusammenhang anerkannt. Dies entspreche den molekularen und zellulären Mechanismen der Erkrankung.
Dagegen sei die BK 4101 anzuerkennen. Das Krankheitsbild der Silikose sei im Vollbeweis gesichert. Zwar habe das behandelnde Krankenhaus zunächst eher eine Asbestose als eine Silikose angenommen und der im Verwaltungsverfahren gehörte Radiologe eine Silikose nicht für hinreichend gesichert gehalten. Der im Verwaltungsverfahren gehörte Lungenfacharzt sowie vor allem das Zusatzgutachten von Prof. D. belegten diese Erkrankung aber, auch die Gewebeanalysen aus dem Mai 2010 (Lavage und Gewebeprobe) wiesen sie nach. Auch ein Ursachenzusammenhang sei hinreichend wahrscheinlich. Denn der Kläger sei über mehrere Jahre hinweg einer extrem hohen Staubbelastung ausgesetzt gewesen. Beim Rückbau der Stollen werde der gesamte abgelagerte Gesteins- und Kohlestaub wieder aufgewirbelt und ein Luftaustausch ("Bewetterung") finde nach dem Ende der Förderung kaum noch statt. Die Krankheit sei auch zeitnah zur Belastung aufgetreten; der Kläger habe nämlich sowohl dem Gutachter im Verwaltungsverfahren als auch ihm gegenüber glaubhaft geschildert, dass er bereits in den 1970er Jahren Atembeschwerden und eine eingeschränkte Leistungsfähigkeit bemerkt habe. Konkurrierende Ursachen seien nicht erkennbar, insbes. habe der Kläger nie geraucht und leide nicht an Erkrankungen, die die vorliegenden Befunde auslösen könnten. Die MdE sei mit 30 % zu bewerten. Die Dehnbarkeit der Lunge sei kaum eingeschränkt; der Gasaustausch zwischen Lunge und Blut sei dagegen eindeutig behindert, was sich bei körperlicher Belastung bemerkbar mache und nur bis zu einem gewissen Grad durch vermehrtes Atmen (Hyperventilation) ausgeglichen werden könne. Diese Einschränkungen seien spätestens seit der Untersuchung durch Dr. M. im Verwaltungsverfahren, d.h. seit 30. November 2010 nachgewiesen.
In seiner ergänzenden Stellungnahme aus dem Oktober 2015 erläutert Prof. B., dass bei dem Kläger zweifelsfrei eine Fibrose (d.h. Verdickung des Bindegewebes) der Lunge vorliege. Unklar sei lediglich, ob diese Fibrose durch Quarzstaub oder Asbest verursacht worden sei. Wegen angenommener Verdickungen des Lungenfells sei der Gutachter, den die Beklagte beauftragt habe, eher von einer Asbestose als von einer Silikose ausgegangen. Die Grundannahme einer verdickten Pleura sei nun aber radiologisch widerlegt, so dass es sich um eine Silikose handele.
b. Der Kläger hat die Klage gegen die Ablehnung der BK 4103 (Asbestose) in der mündlichen Verhandlung zurückgenommen. Er geht davon aus, dass bei ihm die BK 4101 vorliegt und verweist dazu auf das Gutachten von Prof. B.
Der Bevollmächtigte des Klägers beantragt,
den Bescheid der Beklagten zur Berufskrankheit 4101 (Silikose) vom 26. August 2011 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. Februar 2013 aufzuheben, festzustellen, dass beim Kläger die Berufskrankheit 4101 (Silikose) vorliegt und die Beklagte zu verurteilen, dem Kläger wegen dieser Berufskrankheit ab Dezember 2010 eine Verletztenrente nach einer MdE von 30 % zu gewähren.
Der Bevollmächtigte der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen; hilfsweise eine Stellungnahme vom Radiologen Prof. Dr. D. zur abweichenden CT-Bewertung des Bildmaterials durch Prof. Dr. SW. vom 10.8.2015 und 16.11.2015 einzuholen oder eine erneute radiologische Begutachtung einzuholen.
Die Beklagte beruft sich auf ihren beratenden Lungenfacharzt Prof. SW. Dieser hält das radiologische Zusatzgutachten von Prof. D. nicht für überzeugend und meint nach eigenen Auswertung der CT-Aufnahme aus dem April 2015, sie zeige keine eindeutige Silikose. Der radiologische Sachverständige hätte die Erkrankung nach "ICOERD" klassifizieren müssen.
Die Akte der Beklagten lag dem Gericht vor. Auf die Gerichts- und Verwaltungsakte wird ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig, sie ist insbesondere als kombinierte Anfechtungs-, Feststellungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 1, Abs. 4, § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG statthaft. Das nach § 78 Abs. 1 SGG notwendige Vorverfahren hat stattgefunden, darin hat die Beklagte sich nicht nur mit der Frage befasst, ob eine BK 4101 vorliegt, sondern auch Leistungsansprüche des Klägers ausdrücklich abgelehnt.
Die Klage ist auch begründet. Der Kläger ist durch den angegriffenen Bescheid in seinen Rechten verletzt.
1. Die Lungenerkrankung des Klägers ist eine Berufskrankheit nach Nr. 4101 der Anlage zur BKV.
a. Rechtsgrundlage der Entscheidung ist § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. der Berufskrankheitenverordnung.
Nach dieser Vorschrift ist nicht jede Erkrankung, die durch eine berufliche Belastung bei einem individuellen Versicherten verursacht wird, eine "Berufskrankheit" im Sinne des Unfallversicherungsrechts. Vielmehr werden die Berufskrankheiten im rechtlichen Sinne in der Anlage zur Berufskrankheiten-Verordnung aufgelistet (BKV, erlassen von der Bundesregierung mit Zustimmung des Bundesrats, auf der Grundlage von § 9 Abs. 6 SGB VII). Diese Liste benennt sowohl die Erkrankung als auch die Belastung, auf der sie beruhen kann. Silikose und Asbestose, die im Fall des Klägers diskutiert wurden, gehören zu den in der Anlage zur BKV aufgeführten Listen-BKen, die Silikose ist unter Nr. 4101, die Asbestose unter Nr. 4103 aufgeführt.
Eine sog. Listen-BK ist im Einzelfall festzustellen, wenn erstens eine in der Liste genannte Erkrankung eingetreten ist, zweitens die betroffene Person bei ihrer versicherten Tätigkeit den in der Liste genannten Belastungen ausgesetzt war und drittens im Einzelfall davon ausgegangen werden kann, dass die Belastungen tatsächlich die Ursache für die Erkrankung gewesen sind. Dabei müssen die Krankheit und die berufsbedingten Belastungen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nachgewiesen sein (sog. Vollbeweis). Für den Ursachenzusammenhang zwischen den berufsbedingten Belastungen und der Erkrankung genügt eine hinreichende Wahrscheinlichkeit, d.h. bei vernünftiger Abwägung aller für und gegen den Zusammenhang sprechenden Umstände müssen die für den Zusammenhang sprechenden Erwägungen so stark überwiegen, dass die dagegen sprechenden billigerweise für die Bildung und Rechtfertigung der richterlichen Überzeugung außer Betracht bleiben können (vgl. HLSG, Urt. v. 29. Oktober 2013 - L 3 U 28/10 -, juris, Rn. 22; Urt. v. 21. November 2006 - L 3 U 103/05 -, juris, Rn. 26).
Das Gericht geht von folgendem aktuellen medizinischen Kenntnisstand zu der hier streitgegenständlichen BK 4101 (Silikose) und der konkurrierend diskutierten BK 4103 (Asbestose) aus (s. Schönberger u.a., Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 8. Aufl. 2010, S. 993 ff.; "Falkensteiner Empfehlung" zur BK 4103 (Asbestose) vom Februar 2011 und "Bochumer Empfehlung" zur BK 4101 (Silikose) vom Juni 2011, beide erarbeitet von mehreren fachärztlichen Gesellschaften, der Vereinigung der Landesgewerbeärzte und den Unfallversicherungsträgern; AMWF-Leitlinie: Diagnostik und Begutachtung der Berufskrankheit Nr. 4101 Quarzstaublungenerkrankung (Silikose), gültig bis September 2013, Revision noch nicht abgeschlossen): Das Einatmen von bestimmten anorganischen Stäuben führt zu Veränderungen des Lungengewebes. Denn diese Staubpartikel können wegen ihrer Größe nicht abgefangen und ausgeatmet werden, so dass sie in die feineren Verzweigungen der Lunge, evtl. bis in die Lungenbläschen geraten, können dort aber auch nicht vom Immunsystem entfernt werden. Sie lagern sich dauerhaft ab. Durch die anhaltend erfolglose Immunantwort entstehen chronisch-entzündliche Prozesse, es bildet sich vermehrt Bindegewebe (Fibrosierung). Dieses Krankheitsbild wird als Pneumokoniose ("Staublunge") bezeichnet und nach Art des eingeatmeten Staubes weiter unterschieden: Die durch Quarzstaub verursachte Silikose ist ebenso eine Unterform der Pneumokoniose wie die durch Kohlenstaub verursachte Anthrakose oder die durch Asbeststaub verursachte Asbestose; bei Steinkohlebergleuten taucht häufig die Anthrakosilikose auf, die durch das Einatmen von Quarz- und Kohlestaub entsteht. Die Unterarten der Pneumokoniose lassen sich diagnostisch voneinander unterscheiden, weil die verschiedenen Stäube sich in unterschiedlichen Regionen der Lunge bevorzugt ablagern und zu spezifischen Entzündungsprozessen und Fibrose-Formen führen: Während sich Asbestpartikel vorwiegend im mittleren und unteren Teil der Lunge finden und häufig auch in das Lungenfell (Pleura) wandern, wo sich um die Asbestpartikel herum tafelbergartige Plaques bilden, lagern sich Quarzstaubpartikel in den Lungenbläschen der gesamten Lunge ab, mit einem Schwerpunkt im oberen und mittleren Teil, und verursachen rundliche, zwiebelschalenartige Verdickungen (silikotische Knötchen). Die im Kohlebergbau im Ruhrgebiet – wo der Kläger gearbeitet hat – eingeatmeten Misch-Stäube verursachen wegen des hohen Anteils an Kohlestaub typischerweise matt- bis tiefschwarze Knötchen.
Für die Feststellung der BK 4101 folgt aus diesen medizinischen Erkenntnissen, dass die Belastung mit Quarzstaub und die Pneumokoniose im Vollbeweis nachgewiesen sein müssen. Weil mit der medizinischen Diagnose einer "Silikose" bzw. "Asbestose" zugleich eine Aussage über die Ursache der Lungenerkrankung getroffen wird, gilt an diesem Punkt der Beweismaßstab der hinreichenden Wahrscheinlichkeit.
b. Die o.g. Voraussetzungen für die Feststellung einer BK 4101 (Silikose) sind beim Kläger erfüllt.
aa. Er war während der insgesamt über 13 Jahre ausgeübten Tätigkeit im Steinkohlebergbau unter Tage unstreitig einer Belastung durch Quarzstaub ausgesetzt. Kohlengrubenstaub setzt sich aus verschiedenen Mineralien und den Stäuben der verwendeten Baustoffe zusammen und enthält in unterschiedlichen Prozentanteilen den besonders gefährlichen Quarzstaub (s. AMWF-Leitlinie: Diagnostik und Begutachtung der Berufskrankheit Nr. 4101, Ziff. 4.1). Die Staubbelastung war nach den plastischen Schilderungen des Klägers in der mündlichen Verhandlung und den überzeugenden Ausführungen des arbeitsmedizinischen Sachverständigen gerade beim Rückbau der Stollen, den der Kläger über elf Jahre lang betrieben hat, besonders hoch.
bb. Der Kläger leidet an einer Pneumokoniose. Dies diagnostizieren alle behandelnden und begutachtenden Mediziner. Auch die Beklagte bestreitet dies nicht, ihr beratender Lungenfacharzt stellt eine Pneumokoniose nicht in Frage, sondern hält nur die Unterform einer Silikose i.S.d. BK 4101 nicht für nachgewiesen.
cc. Das Gericht hält auch eine Silikose – als durch den eingeatmeten Quarzstaub verursachte Form der Pneumokoniose – für nachgewiesen.
Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Kläger als Bergarbeiter im Ruhrgebiet keiner reinen Quarzstaub-Belastung ausgesetzt war, sondern ein Staub-Gemisch eingeatmet hat. Das Bild einer reinen Silikose ist hier also nicht zu erwarten. Dem entspricht die erste Diagnose der behandelnden Lungenfachärzte, die histologisch eine ausgeprägte Anthrakose und bildgebend eine Anthrakosilikose festgestellt hatten (auch die Anthrakosilikose gehört zu den von der BK 4101 erfassten Berufskrankheiten; s. Falkensteiner Empfehlung, Ziff. 3.1).
Das Gericht folgt hinsichtlich der Bewertung der Pneumokoniose des Klägers als Silikose dem arbeitsmedizinischen Gutachten von Prof. B. und dem radiologischen Zusatzgutachten von Prof. D. Prof. D. ist am Institut für Diagnostische Radiologie der Universitätsklinik Göttingen tätig und damit auf die Auswertung radiologischer Befunde in hohem Maße spezialisiert. Er hat eine eigene CT-Begutachtung durchgeführt und legt seiner Bewertung – wie dies von der Bochumer und der Falkensteiner Empfehlung gefordert wird – die von der International Labour Organization entwickelte "International Qualification of Radiographs of Pneumoconioses" in der aktuellen Fassung von 2011 (ILO-Klassifikation 2011) zu Grunde. Seiner Bewertung nach handelt es sich um den "typischen" Befund einer Silikose bzw. Siliko-Anthrakose. Prof. B. hat sich dieser Bewertung angeschlossen. Er ist ein erfahrener Arbeitsmediziner und auch mit Erkrankungen von Bergleuten vertraut. Sein Gutachten ist durchgängig sehr gut verständlich und nachvollziehbar.
Diese Diagnose wird nicht dadurch erschüttert, dass die im Verwaltungsverfahren beteiligten Gutachter (Dres M. bzw. L.) weniger eindeutige Aussagen getroffen haben. Denn dies lässt sich zum einen mit der geringeren Spezialisierung und gutachterlichen Erfahrung der Ärzte – auf Wunsch des Klägers waren sein behandelnder Arzt und ein wohnortnaher Radiologe beauftragt worden – zum anderen mit dem Fortschreiten der Erkrankung erklären. Auch trifft die Aussage von Dr. M., eine radiologisch für möglich gehaltene "Sonderform" der Silikose, die sich nur mikroskopisch eindeutig diagnostizieren ließe, könne generell einer beruflichen Ursache nicht zugeordnet werden, nach Überzeugung des Gerichts nicht zu. Aus der Definition der Silikose als gerade durch Quarzstaub verursachte Erkrankung folgt, dass auch die untypischen Formen der Silikose immer auf eine Quarzstaub-Inhalation zurückgehen – andernfalls dürfte die Pneumokoniose nicht als Silikose klassifiziert werden. Wenn auch bei untypischen Krankheitsformen ein Ursachenzusammenhang mit Quarzstaub definitionsgemäß angenommen wird (vgl. auch AMWF-Leitlinie: Diagnostik und Begutachtung der Berufskrankheit Nr. 4101, Ziff. 4.2), ist nicht nachvollziehbar, weshalb ein Zusammenhang gerade mit beruflichen Quarzstaub-Belastungen verneint werden sollte.
Das Gericht teilt auch nicht den Bedenken der Beklagten bzw. des von ihr befragten beratenden Arztes. Dieser teilt nach eigener Auswertung der CT-Aufnahme aus dem April 2014, er erkenne "keine eindeutige Silikose" und kritisiert, dass der Radiologe ein bestimmtes Formular zur Beschreibung von CT-Aufnahmen von Lungen ("International Classification for Occupational and Environmental Respiratory Diseases, ICOERD") nicht vorgelegt hat. Der Beratungsarzt begründet seine Zweifel an der Diagnose nicht näher und erläutert auch nicht, welche zusätzlichen Erkenntnisse bei Verwendung bzw. Vorlage des Formulars zu erwarten gewesen wären. Zudem verengt der Beratungsarzt den Anwendungsbereich der BK 4101 auf "eindeutige" Silikosen, wofür das Gesetz keinen Anhaltpunkt bietet. Schon der Weil das Gericht die medizinische Lage für aufgeklärt hält, ist es dem Hilfsantrag der Beklagten auf eine weitere Beweiserhebung nicht gefolgt.
3. Der Kläger hat wegen dieser Berufskrankheit Anspruch auf eine Verletztenrente nach einer MdE von 30 % ab Dezember 2010.
a. Rechtsgrundlage für die Rentenbewilligung ist § 56 SGB VII.
Nach § 56 SGB VII haben Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls – hier einer Berufskrankheit – über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 % gemindert ist, Anspruch auf Rente (§ 56 Abs. 1 S. 1 SGB VII). Die Erwerbsfähigkeit ist gemindert, soweit die Arbeitsmöglichkeiten der verletzten Person auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens reduziert sind, weil das körperliche und geistige Leistungsvermögen beeinträchtigt ist, (§ 56 Abs. 2 S. 1 SGB VII). Die Bemessung des Grades der Erwerbsminderung (MdE) hängt also von zwei Faktoren ab: Erstens von den Beeinträchtigungen des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens (soweit sie durch die Berufskrankheit verursacht sind) und zweitens vom Umfang der dadurch verschlossenen Arbeitsmöglichkeiten. Entscheidend ist nicht der Gesundheitsschaden als solcher, sondern vielmehr der Funktionsverlust unter medizinischen, juristischen, sozialen und wirtschaftlichen Gesichtspunkten (vgl. nur BSG, Urt. v. 22. Juni 2004 - B 2 U 14/03 R -, juris, Rn. 12).
Die Bemessung des Grades der MdE trifft das Gericht als Tatsachenfeststellung nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung (§ 128 Abs. 1 S. 1 SGG). Bei dieser Schätzung hat das Gericht nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts die Erfahrungssätze zu beachten, die von Rechtsprechung und Schrifttum herausgearbeitet worden sind und die eine Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis bieten. Sie sind allerdings für die Entscheidung im Einzelfall nicht bindend (vgl. nur BSG, Urt. v. 22. Juni 2004 - B 2 U 14/03 R -, juris, Rn. 12).
b. Danach beträgt die MdE des Klägers 30 %.
Nach der Falkensteiner Empfehlung ist bei der Bemessung der MdE zu berücksichtigen, ob und in welchem Ausmaß Luftnot besteht, inwieweit Atmung und Herzfunktion beeinträchtigt sind, welche Ergebnisse verschiedene Lungenfunktionsprüfungen und Blutgasanalysen zeigen und welche Therapie nach den aktuellen Behandlungsleitlinien indiziert ist.
Nach diesen Kriterien ist die MdE mit 30 % zu bemessen, wie es auch der Sachverständige Prof. B. vorschlägt. Der Kläger leidet unter Atemnot bei Belastungen, er muss beim Treppensteigen nach jedem Absatz pausieren. Der vom Gericht beauftragte Sachverständige stellte ein Knistern und trockene Rasselgeräusche beim Atmen fest, die Herzfunktion war nicht beeinträchtigt. Die Lungenfunktionsprüfung ergab leichte Einschränkungen der Vitalkapazität und eine auf 41 % bzw. 51 % des Sollwertes deutlich reduzierte Diffusionskapazität. Eine Blutgasanalyse des im Verwaltungsverfahren beauftragten Sachverständigen zeigte eine eindeutige Sauerstoff-Unterversorgung in Ruhe, die bei leichter körperlicher Belastung durch vermehrtes Atmen ausgeglichen werden konnte. Eine spezifische Medikation findet nicht statt.
Hinsichtlich des Rentenbeginns entspricht das Gericht dem Antrag des Klägers. Erkrankung und Funktionseinbußen im tenorierten Ausmaß sind durch das Gutachten von Dr. M. belegt, der den Kläger Ende November 2010 untersucht hat.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
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