S 88 SO 815/17

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
SG Berlin (BRB)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
88
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 88 SO 815/17
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Ein Guthaben aus einer Nebenkostenabrechnung ist nach § 82 Absatz 4 Satz 2 SGB XII auf einen Zeitraum von regelmäßig sechs Monaten zu verteilen und nicht lediglich im Monat des Zuflusses anzurechnen, wenn der Leistungsanspruch durch die Berücksichtigung im Zuflussmonat entfiele.
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander nicht zu erstatten. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Anrechnung eines Nebenkostenguthabens auf laufende ergänzende Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel des Sozialgesetzbuchs Zwölftes Buch (SGB XII) umstritten.

Die 1964 geborene Klägerin ist mit einem Grad der Behinderung (GdB) von 50 anerkannt und voll erwerbsgemindert, wobei nicht ausgeschlossen werden kann, dass die volle Erwerbsminderung behoben werden kann. Sie bezieht eine bis zum 31. März 2018 befristete Rente wegen voller Erwerbsminderung, die sich seit Juli 2016 nach Abzug der Beiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung der Rentner auf 799,85 Euro netto monatlich und ab dem 1. Januar 2017 auf 798,06 Euro netto im Monat belief. Über einzusetzendes Vermögen verfügt die Klägerin nicht. Ihr entstehen monatlich Kosten an Unterkunft und Heizung in Höhe von insgesamt 535,59 Euro, wobei der Klägerin ein Umzug aus gesundheitlichen Gründen nicht zumutbar ist, so dass der Beklagte diese Kosten vollständig bei der Bedarfsberechnung der Klägerin berücksichtigt. Mit Bescheid vom 8. Juli 2016 bewilligte der Beklagte der Klägerin für die Zeit von Juli 2016 bis längstens März 2018 ergänzende Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel des SGB XII in Höhe von 139,74 Euro im Monat.

Am 29. November 2016 legte die Klägerin die Nebenkostenabrechnung ihres Vermieters für das Jahr 2015 vom 10. November 2016 beim Beklagten vor, aus der sich ein Guthaben in Höhe von 550,81 Euro zugunsten der Klägerin ergab. Der Vermieter der Klägerin teilte dazu mit, das Guthaben werde bei der Miete für Dezember 2016 berücksichtigt. Ein über eine Monatsmiete hinausgehendes Guthaben werde im Folgemonat verrechnet. Der Vermieter verrechnete das Guthaben anschließend tatsächlich mit der vollständigen Miete für Dezember 2016 und in Höhe von weiteren 15,22 Euro mit der Miete für Februar 2017.

Mit Bescheid vom 20. Dezember 2016 berechnete der Beklagte die ergänzenden Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt der Klägerin wegen der Regelsatz- und Rentenänderung sowie der Anrechnung des Nebenkostenguthabens in sechs monatlichen Teilbeträgen von jeweils 91,80 Euro für die Zeit ab Januar 2017 neu. Für die Monate Januar bis Juni 2017 errechnete der Beklagte einen monatlichen Leistungsanspruch in Höhe von 54,73 Euro und ab Juli 2017 in Höhe von 146,53 Euro. Gegen den Bescheid legte die Klägerin am 10. Januar 2017 Widerspruch ein, mit dem sie vortrug, das Guthaben aus der Nebenkostenabrechnung habe ihr nicht zur freien Verfügung gestanden, sondern sei von ihrem Vermieter mit der Miete für Dezember 2016 verrechnet worden. Es könne daher nicht in den Monaten Januar bis Juni 2017 als Einkommen angerechnet werden. Der Beklagte wies diesen Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 3. Mai 2017 mit der Begründung zurück, die Anrechnung einmaliger Einnahmen, zu denen auch ein nicht ausgezahltes Nebenkostenguthaben zähle, sei nach § 82 Absatz 4 Satz 1 SGB XII im Folgemonat vorzunehmen, wenn – wie vorliegend angesichts des am 29. November 2016 für Dezember 2016 bereits ausgelösten Zahllaufs – im Monat des Zuflusses eines Einkommens Leistungen ohne dessen Berücksichtigung bereits erbracht worden seien. Sofern die Anrechnung zu einem Entfallen des Leistungsanspruchs führe, sei nach § 82 Absatz 4 Satz 2 SGB XII eine Aufteilung auf sechs Monate vorzunehmen.

Die Klägerin hat am 29. Mai 2017 Klage vor dem Sozialgericht Berlin erhoben, mit der sie ihr Begehren weiter verfolgt und darauf verweist, dass ihr in den Monaten Januar bis Juni 2017 das Guthaben nicht tatsächlich als Einkommen zur Verfügung gestanden habe, so dass es ihr nicht als solches angerechnet werden dürfe. Die von dem Beklagten vorgenommene Anrechnung fiktiver Einnahmen führe zu einer Verringerung ihres Existenzminimums in dieser Zeit. Tatsächlich habe die von dem Vermieter vorgenommene Verrechnung lediglich ihren Bedarf an Unterkunftskosten vermindert.

Die Klägerin beantragt, den Bescheid des Beklagten vom 20. Dezember 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Mai 2017 zu ändern und den Beklagten zu verurteilen, ihr für die Monate Januar 2017 sowie März 2017 bis Juni 2017 weitere Leistungen der ergänzenden Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel des SGB XII in Höhe von monatlich 91,80 Euro und für den Monat Februar 2017 weitere Leistungen in Höhe von 76,59 Euro zu gewähren und insgesamt 535,59 Euro an sie nachzuzahlen sowie die Berufung zuzulassen.

Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Dabei nimmt er Bezug auf die Begründung des angefochtenen Bescheides und trägt darüber hinaus vor, dass die fehlenden Aufwendungen der Klägerin für Mietkosten im Dezember 2016 dazu geführt hätten, dass dieser Mittel für die Folgemonate in diesem Umfang tatsächlich zur Verfügung standen.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte sowie die die Klägerin betreffende Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen, die in der mündlichen Verhandlung vorgelegen haben und deren Inhalte Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.

Der Bescheid des Beklagten vom 20. Dezember 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 3. Mai 2017 ist rechtmäßig. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Gewährung weiterer Leistungen der ergänzenden Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel des SGB XII in Höhe von monatlich 91,80 Euro für die Monate Januar 2017 sowie März 2017 bis Juni 2017 und weiterer Leistungen in Höhe von 76,59 Euro für den Monat Februar 2017 und Nachzahlung von insgesamt 535,59 Euro. Die Änderung der Berechnung der Höhe der der Klägerin für die Zeit von Januar bis Juni 2017 bewilligten ergänzenden Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel des SGB XII durch den Beklagten ist rechtmäßig.

Nach § 48 Absatz 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, vorliegend also der ursprüngliche Bewilligungsbescheid des Beklagten vom 8. Juli 2016, mit dem der Klägerin zunächst auch für die Zeit von Januar 2017 bis März 2018 monatliche Leistungen in Höhe von 139,74 Euro bewilligt worden waren, mit Wirkung für die Zukunft zu ändern, soweit in den tatsächlichen und rechtlichen Verhältnissen, die bei dessen Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Dabei soll der Verwaltungsakt gemäß § 48 Absatz 1 Satz 2 SGB X mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt (Nr. 1) und soweit nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde (Nr. 3).

Die gegenüber der ursprünglichen Berechnung erfolgte Regelsatzerhöhung zum 1. Januar 2017 und gleichzeitige Reduzierung des Zahlbetrages der befristeten Erwerbsminderungsrente der Klägerin bewirkten – auch zwischen den Beteiligten unstreitig – eine ab dem 1. Januar 2017 bei der Bedarfsberechnung zu berücksichtigende Änderung zugunsten der Klägerin. Darüber hinaus stellt das Nebenkostenguthaben aus der Abrechnung des Vermieters der Klägerin für das Jahr 2015 in Höhe von 550,81 Euro Einkommen dar, das zu einer gleichzeitigen Minderung des Anspruchs der Klägerin auf ergänzende Leistungen der Hilfe zum Lebensunterhalt führte.

Nach § 19 Absatz 1 SGB XII ist Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem 3. Kapitel des SGB XII Personen zu leisten, die ihren notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, insbesondere aus ihrem Einkommen und Vermögen bestreiten können. Der notwendige Lebensunterhalt der Klägerin setzte sich in der Zeit von Januar bis Juni 2017 monatlich aus dem Regelsatz der Regelbedarfsstufe 1 in Höhe von 409,00 Euro sowie ihren tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 535,59 Euro zusammen. Dem stand das Nettorenteneinkommen der Klägerin in Höhe von 798,06 Euro im Monat sowie ein anteiliges Einkommen aus der Nebenkostenabrechnung ihres Vermieters in Höhe von 91,80 Euro monatlich gegenüber. Der Beklagte hat mithin den monatlichen Zahlbetrag der Leistungen zutreffend mit 54,73 Euro berechnet.

Nach § 82 Absatz 1 Satz 1 SGB XII gehören zum Einkommen alle Einkünfte in Geld oder Geldeswert mit Ausnahme der Leistungen nach diesem Buch, der Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz und nach den Gesetzen, die eine entsprechende Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes vorsehen und der Renten oder Beihilfen nach dem Bundesentschädigungsgesetz für Schaden an Leben sowie an Körper oder Gesundheit, bis zur Höhe der vergleichbaren Grundrente nach dem Bundesversorgungsgesetz.

Bei dem Nebenkostenguthaben aus der Abrechnung des Vermieters der Klägerin für das Jahr 2015 handelt es sich um Einkommen im Sinne von § 82 Absatz 1 Satz 1 SGB XII, auch wenn dieses nicht an die Klägerin ausgezahlt wurde, sondern mit der Miete des Monats Dezember 2016 vollständig und mit der Miete des Monats Februar 2017 anteilig durch deren Vermieter verrechnet wurde. Auch dadurch ist ein "wertmäßiger Zuwachs" bei der Klägerin verblieben, der in Form der Verringerung der im Dezember 2016 und Februar 2017 von ihr zu zahlenden Miete einen in Geld ausdrückbaren wirtschaftlichen Wert besitzt (vgl. BSG, Urteil vom 16. Mai 2012 – B 4 AS 132/11 R, Rn.21 bei Juris). Da Nebenkostenabrechnungen des Vermieters nicht der Pfändung unterliegen (BGH, Urteil vom 20. Juni 2013 – IX ZR 310/12, Rn.8 bei Juris im Anschluss an BSG, Urteil vom 16. Oktober 2012 – B 14 AS 188/11 R, Rn.19 f. bei Juris) und eine gleichwohl vorgenommene Aufrechnung nach § 394 Satz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB) unzulässig ist, handelt es sich bei dem Nebenkostenguthaben auch um eine gegenüber ihrem Vermieter realisierbare Zahlungsforderung der Klägerin.

Einmalige Einnahmen, bei denen für den Monat des Zuflusses bereits Leistungen ohne Berücksichtigung der Einnahme erbracht worden sind, werden nach § 82 Absatz 4 Satz 1 SGB XII im Folgemonat berücksichtigt. Entfiele der Leistungsanspruch durch die Berücksichtigung in einem Monat, ist die einmalige Einnahme gemäß § 82 Absatz 4 Satz 2 SGB XII auf einen Zeitraum von sechs Monaten gleichmäßig zu verteilen und mit einem entsprechenden Teilbetrag zu berücksichtigen; in begründeten Einzelfällen ist der Anrechnungszeitraum angemessen zu verkürzen.

Da die Leistungen der ergänzenden Hilfe zum Lebensunterhalt vorliegend für den Monat Dezember 2016, in dem der Klägerin das Betriebskostenguthaben in Form des fälligen Zahlungsanspruchs in Höhe von 550,81 Euro gegenüber ihrem Vermieter zur Verfügung stand, bereits an die Klägerin ausgezahlt waren, hat der Beklagte danach zutreffend das Guthaben ab Januar 2017 in sechs monatlich gleich hohen Teilbeträgen von jeweils 91,80 Euro bei der Berechnung der Hilfe zum Lebensunterhalt als Einkommen berücksichtigt. Das Vorgehen des Beklagten entspricht dem Wortlaut des § 82 Absatz 4 Satz 2 SGB XII und war ausweislich der Gesetzesmaterialien ausdrückliches Ziel des Änderungsgesetzgebers, der für einmalige Einnahmen abweichend von der strengen Anwendung des Zuflussprinzips eine umfassendere Anrechnungsmöglichkeit vorsehen wollte, als es nach der früheren Gesetzeslage möglich war (BT-Drucks 18/6284, Seite 20; vgl. zum Ganzen von Koppenfels-Spies, in: Knickrehm/Kreikebohm/Waltermann, 5. Auflage 2017, Rn.15 zu § 82 SGB XII). Eine Verletzung des grundgesetzlich geschützten Anspruchs der Klägerin auf Gewährleistung ihres Existenzminimums vermag die Kammer bei dieser dem Wortlaut und dem Willen des Gesetzgebers entsprechenden Auslegung der Regelung nicht zu erblicken. Soweit infolge der vorzeitigen Ausgabe des angerechneten Einkommens Mittellosigkeit eintreten sollte, bestünde die Möglichkeit der Gewährung eines ergänzenden Darlehens nach § 37 Absatz 1 SGB XII. Die vorgenommene Auslegung des § 82 Absatz 4 SGB XII dient zudem einer möglichst weitgehenden Erfüllung des generellen Zwecks von § 82 SGB XII, nämlich der Wahrung der Nachrangigkeit der Sozialhilfe (§ 2 SGB XII).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Absatz 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und folgt dem Ergebnis in der Hauptsache.

Die Kammer hat die mit Blick auf den Streitwert von 535,59 Euro nach § 144 Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 SGG zulassungsbedürftige Berufung angesichts bisher – soweit ersichtlich – fehlender obergerichtlicher Rechtsprechung zu der streitgegenständlichen Frage der Auslegung des seit dem 1. Januar 2016 geltenden § 82 Absatz 4 SGB XII nach § 144 Absatz 2 Nr. 1 SGG zugelassen.
Rechtskraft
Aus
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