L 8 SB 1692/17

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 25 SB 6698/13
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 1692/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 16.03.2017 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist streitig, ob dem Kläger gegen den Beklagten ein Anspruch auf (Neu-)Feststellung eines höheren Grades der Behinderung (GdB; mehr als 50 statt 50) seit 26.11.2012 zusteht.

Bei dem 1963 geborenen Kläger, türkischer Staatsangehöriger (zum Aufenthaltstitel vgl. Blatt 2 der Beklagtenakte), hatte das Landratsamt B. (LRA) in Ausführung eines gerichtlichen Anerkenntnisses mit Bescheid vom 13.12.2011 (Blatt 63/64 der Beklagtenakte) einen GdB von 50 seit 01.07.2009 festgestellt (zugrundeliegende Funktionsbehinderungen: Depression. Seelische Störung; Bandscheibenschaden, Nervenwurzelreizerscheinungen).

Am 26.12.2012 (Blatt 69/77 der Beklagtenakte) beantragte der Kläger die höhere (Neu-)Feststellung des GdB. Wegen einer fehlplatzierten Spritze sei es zu schwerwiegenden Folgen und dauerhaften Schäden gekommen. Er leide unter erheblichen Beschwerden der Lunge, auch in psychischer Hinsicht bestünden ganz erhebliche Beschwerden (depressive Störung, Platzangst, schwere Panikerkrankung), die Beschwerden im Rückenbereich hätten sich verstärkt. Der Kläger hat ärztliche Unterlagen von Dr. L. , der Klinik S. , von Dipl. Psych. K. , vom R. Krankenhaus und Dr. H. vorgelegt (Blatt 79/87 der Beklagtenakte).

In seiner Stellungnahme vom 06.01.2013 (Blatt 89/90 der Beklagtenakte) schätzte der Versorgungsarzt Dr. W. den GdB auf 50 (zugrundeliegende Funktionsbehinderungen: Depression, seelische Störung, chronisches Schmerzsyndrom (GdB 40); Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Bandscheibenschaden (GdB 30)).

Das LRA lehnte mit Bescheid vom 10.01.2013 (Blatt 92/93 der Beklagtenakte) die Neufeststellung eines höheren GdB ab.

Hiergegen erhob der Kläger am 31.01.2013 (Blatt 95 der Beklagtenakte) Widerspruch, zu dessen Begründung er sich auf Schmerzen und Behandlungen berief (Blatt 104/105 der Beklagtenakte) und einen Bericht des Klinikums S. vom 23.08.2012 (Blatt 106/108 der Beklagtenakte) vorlegte.

Das LRA zog Befundangaben von Dr. H. , Facharzt für Allgemeinmedizin, bei (dazu vgl. Blatt 116/121 der Beklagtenakte) und von Dr. B. , Arzt für Orthopädie (dazu vgl. Blatt 124 der Beklagtenakte).

Der Versorgungsarzt Dr. L. schätzte in seiner Stellungnahme vom 21.09.2013 (Blatt 126 der Beklagtenakte) den GdB weiterhin auf 50 (zugrundeliegende Funktionsbehinderungen: Depression, seelische Störung, chronisches Schmerzsyndrom (GdB 40); Funktionsbehinderung der Wirbelsäule, Bandscheibenschaden, Schulter-Arm-Syndrom (GdB 30)).

Mit Widerspruchsbescheid vom 28.10.2013 (Blatt 128/129 der Beklagtenakte) wies der Beklagte durch das Regierungspräsidium Stuttgart – Landesversorgungsamt – den Widerspruch zurück.

Am 27.11.2013 hat der Kläger hiergegen mit dem Ziel der Feststellung eines GdB von mehr als 50 beim Sozialgericht (SG) Stuttgart Klage erhoben. Er habe mehrere Monate im Krankenhaus liegen und schwere Eingriffe über sich ergehen lassen müssen Hiervon sei er nach wie vor betroffen. Zwar leide er nicht mehr unter gleich schweren gesundheitlichen Beeinträchtigungen, wie während des Krankenhausaufenthaltes, gleichwohl sei festzustellen, dass er nach wie vor in diesem Bereich unter ganz erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen leide und weiterhin behandelt werden müsse. Er leide unter einem Schmerzsyndrom und weiteren Beschwerden. Die psychischen Beschwerden hätten sich verstärkt und erweitert. Er leide nunmehr auch unter einer Panikerkrankung, insbesondere einer Agoraphobie (Platzangst), z.B. bei der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Dass diese Störungen nicht ausreichend berücksichtigt worden seien ergebe sich z.B. aus Nr. 26.3 der MdE-Tabellen. Alleine bei einer mittelgradigen psychischen Störung sei von einem GdB nach der MdE-Tabelle von 60 auszugehen. Hinzu kämen noch die ganz erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen in orthopädischer Hinsicht.

Das SG hat Beweis erhoben durch schriftliche Befragung der den Kläger behandelnden Ärzte als sachverständige Zeugen. Wegen des Inhalts und Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf Blatt 39/41, 42/53, 54/56 und 63/64 der SG-Akte Bezug genommen. Der Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. L. hat dem SG am 10.02.2014 geschrieben, bei den bestehenden sozialen Anpassungsstörungen bei mittelgradig ausgeprägter depressiver Störung, Agoraphobie mit Panikattacken und chronischem Schmerzsyndrom sei mindestens von einem GdB auf psychiatrischem Fachgebiet von 50 auszugehen. Der Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. H. hat mit Schreiben vom 12.02.2014 mitgeteilt, da die angegebenen Schmerzen nicht objektivierbar gemacht werden könnten, gehe er von einer schweren Gesundheitsstörung aus. Dr. L. vom Klinikum E. hat am 19.02.2014 geschrieben, der Kläger fühle sich subjektiv sehr stark durch die Schmerzen beeinträchtigt, objektiv betrachtet müsste sich durch konsequente Physiotherapie die Beweglichkeit des linken Armes wieder bessern lassen; der versorgungsärztlichen Einschätzung stimme sie zu. Der Arzt für Orthopädie Dr. B. hat dem SG am 18.03.2014 geschrieben, die wirbelsäulenabhängigen Beschwerden bezeichne er als mittelschwer bis schwer, da mehrere Wirbelsäulenabschnitte betroffen seien. Der GdB von 30 sei insoweit zutreffend.

Das SG hat die Akte des Verfahrens S 25 R 5981/12 über die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung, darin u.a. die Gutachten der Fachärzte für Neurologie und Psychiatrie, Rehabilitationswesen und Sozialmedizin B. vom 17.10.2011 und Dr. V. vom 21.02.2014 sowie des Arztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. A. vom 08.05.2015 (Hinweis: Das Rentenverfahren endete durch Vergleich über Gewährung einer Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 01.09.2012 bis zum 31.08.2017), beigezogen.

Nach § 109 SGG hat das SG nunmehr bei Dr. A. (Dr. M. A. ) ein psychiatrisches Gutachten eingeholt. Dr. A. hat in seinem Gutachten vom 19.03.2016 (Blatt 124/152 der SG-Akte; Untersuchung des Klägers am 18.03.2016) eine rezidivierende depressive Störung, aktuell leichte Krankheitsepisode, eine posttraumatische Belastungsstörung im Rahmen einer lebensbedrohlich erlebten Krankheit, eine somatoforme Schmerzstörung, eine Persönlichkeitsveränderung bei chronischem Schmerzsyndrom und posttraumatischer Belastungsstörung diagnostiziert und den GdB auf psychiatrischem Fachgebiet auf 70, den Gesamt-GdB auf 80 eingeschätzt.

Des Weiteren hat das SG nach § 109 SGG ein orthopädisches Gutachten beim Facharzt für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. Th. A. eingeholt. Dieser hat in seinem Gutachten vom 05.10.2016 (Blatt 179/195 der SG-Akte; Untersuchung des Klägers am 28.09.2016) ein chronisches Halswirbelsäulenschmerzsyndrom mit Spinalkanalstenose der Halswirbelsäule C4/5 und Bandscheibendegeneration der Halswirbelsäule C4 bis Th1 mit einem GdB von 30, ein chronsiches Brustwirbelsäulenschmerzsyndrom bei plurietageren Protrusion, vorwiegend Th6 bis Th9 mit einem GdB von 30 und eine rezidivierende Lumboischialgie mit chronifiziertem Schmerzsyndrom der Lendenwirbelsäule bei Protrusion L4/5 und L5/S1 mit einem GdB von 30 bewertet sowie einen Zustand nach Pneumothorax links und eine Zyte distale tibia und tendinitis der Tibia posterior-Sehne links diagnostiziert. Den Gesamt-GdB hat er unter zusätzlicher Berücksichtigung der Erkrankung Depression, seelische Störung und chronisches Schmerzsyndrom seit November 2012 auf 50 geschätzt.

In der mündlichen Verhandlung vom 16.03.2017 hat der Kläger ausgeführt, er ginge eigentlich nicht "raus", außer "mal" zum Einkaufen. Die Kontakte zu Freunden hätten sich verlaufen. Wenn er das Gefühl habe, unbedingt jemanden sehen zu müssen um zu reden ginge das schon, aber die Freunde hätten oft keine Zeit. Treffen mit Freunden dauerten allenfalls eine Stunde. Eine psychotherapeutische Behandlung führe er nicht mehr durch, weil er die Termine nicht habe wahrnehmen können; in neurologisch-psychiatrischer Behandlung beim Nervenarzt sei er noch.

Mit Urteil vom 16.03.2017 hat das SG die Klage abgewiesen. Die im Funktionssystem Psyche liegenden Behinderungen des Klägers seien mit einem Einzel-GdB von 40 ausreichend bemessen. Die im Funktionssystem Rumpf liegenden Behinderungen des Klägers seien mit einem Einzel-GdB von 30 leidensgerecht bemessen. Im Funktionssystem Lunge hätten die Ergebnisse der medizinischen Ermittlungen nicht ergeben, dass bei dem Kläger eine Herabsetzung der Lungenfunktion vorliege. Die Aussagen der behandelnden Ärzte hätten für eine solche Beeinträchtigung keine Hinweise erbracht. Der Gesamt-GdB betrage 50.

Gegen das seiner Bevollmächtigten am 29.03.2017 zugestellte Urteil hat der Kläger am 28.04.2017 beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg Berufung eingelegt. Das SG habe die Klage zu Unrecht abgewiesen. Zu Unrecht gehe es davon aus, dass eine Verschlimmerung nicht eingetreten sei. Das SG habe die behandelnden Ärzte vernommen, jedoch diese in der Entscheidungsfindung nicht ausreichend berücksichtigt. Das Klagebegehren werde insbesondere durch die Aussagen des Dr. L. sowie des Dr. H. gestützt. Dr. L. ordne Gesundheitsstörungen als mittelgradig bis schwer ein und diagnostiziere eine mittelgradig ausgeprägte Anpassungsstörung. Er spreche allein schon auf psychiatrischem Fachgebiet einen GdB von 50 zu. Eine Bemessung der in dem Funktionssystem Psyche liegenden Behinderung des Klägers mit lediglich 40 sei daher zu gering und nicht dem Ausmaß der Behinderung entsprechend. Auch Dr. H. gehe von einer schweren Gesundheitsstörung aus und stufe die seelische Störung als schwer ein. Das Klagebegehren werde aber auch durch das Gutachten des Dr. M. A. gestützt. Dieser habe insbesondere ausgeführt, dass die psychische Beschwerdeproblematik derart schwer ausgeprägt sei, dass hieraus insgesamt mittelgradige bis schwergradige soziale Anpassungsstörungen resultierten. Er bemesse den Einzel-GdB auf psychischem Fachgebiet mit 70. Die angefochtenen Entscheidungen bewerteten den GdB daher nicht zutreffend. Der Kläger werde in unberechtigter Weise von den gerichtlich bestellten Sachverständigen insbesondere "Aggravation" vorgeworfen. Diese Belastungstendenzen ihmgegenüber seien nicht nachvollziehbar. Das Gespräch mit Dr. V. sei ohnehin absolut inkompetent und unangenehmen gewesen. Vor Augen sei schließlich zuhalten, dass er im Januar 2012, also nach den Feststellungen des Beklagten im Bescheid vom 13.12.2011 eine lebensgefährliche Operation im R. Krankenhaus erlitten habe. Hierdurch sei nicht nur das psychische Krankheitsbild erheblichst verschlechtert worden, sondern auch das orthopädische Krankheitsbild, insbesondere im Thoraxbereich. Ihm seien bleibende Schäden verblieben. Da die lebensbedrohliche Operation einen einschneidenden Einfluss auf das Krankheitsbild bewirkt habe, sei es nicht nachvollziehbar, dass das SG zu dem Ergebnis gelangt sei, dass seit dem 01.07.2009 eine Verschlimmerung des Behinderungszustandes nicht eingetreten sei. Aufgrund der bestehenden Funktionsbeeinträchtigungen und Gesundheitsstörungen sei ein höherer GdB als 50 gerechtfertigt.

Der Kläger beantragt das Urteil des Sozialgericht Stuttgart vom 16.03.2017 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 10.01.2013 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 28.10.2013 zu verurteilen, bei ihm einen höheren Grad der Behinderung als 50 seit dem 26.11.2012 festzustellen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Beklagte ist der Berufung entgegengetreten und hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte sowie die beigezogenen Akten des SG, auch des Verfahrens S 25 R 5981/12 und des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig, in der Sache aber ohne Erfolg.

Der angefochtene Bescheid des LRA Bescheids vom 10.01.2013 in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 28.10.2013 ist nicht rechtswidrig, der Kläger wird dadurch nicht in seinen Rechten verletzt. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren GdB als 50, der Senat konnte nicht feststellen, dass in den Verhältnissen, die dem Bescheid des LRA vom 13.12.2011, der beim Kläger seit 01.07.2009 einen GdB von 50 festgestellt hatte, zugrundegelegen hatten, eine GdB-relevante wesentliche Änderung i.S.d. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X eingetreten ist. Der Senat konnte feststellen, dass die behinderungsbedingten Beeinträchtigungen der Teilhabe des Klägers am Leben in der Gesellschaft (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX) keinen GdB von mehr als 50 rechtfertigen. Die Berufung ist daher unbegründet.

Rechtsgrundlage für die vom Kläger begehrte Neufeststellung eines höheren GdB ist § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Wesentlich ist eine Änderung dann, wenn sich der GdB um wenigstens 10 erhöht oder vermindert. Im Falle einer solchen Änderung ist der Verwaltungsakt aufzuheben und durch eine zutreffende Bewertung zu ersetzen (vgl. BSG SozR 1300 § 48 SGB X Nr. 29 m.w.N.). Die den einzelnen Behinderungen welche ihrerseits nicht zum so genannten Verfügungssatz des Bescheides gehören zugrunde gelegten GdB-Sätze erwachsen nicht in Bindungswirkung (BSG 10.09.1997 - 9 RVs 15/96 - BSGE 81, 50 ff.). Hierbei handelt es sich nämlich nur um Bewertungsfaktoren, die wie der hierfür (ausdrücklich) angesetzte Einzel- oder Teil-GdB nicht der Bindungswirkung des § 77 SGG unterliegen. Ob eine wesentliche Änderung eingetreten ist, muss damit durch einen Vergleich des gegenwärtigen Zustands mit dem bindend festgestellten früheren Behinderungszustand ermittelt werden.

Rechtsgrundlage für die GdB-Bewertung sind die Vorschriften des SGB IX (§ 152 SGB IX) in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung des Bundesteilhabegesetzes vom 23.12.2016 (BGBl. I 2016, 3234), da maßgeblicher Zeitpunkt bei Verpflichtungs- und Leistungsklagen der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz ist, wobei es für laufende Leistungen auf die Sach- und Rechtslage in dem jeweiligen Zeitraum ankommt, für den die Leistungen begehrt werden; das anzuwendende Recht richtet sich nach der materiellen Rechtslage (Keller in: Meyer- Ladewig, SGG, 12. Auflage, § 54 RdNr. 34). Nachdem § 241 Abs. 2 SGB IX lediglich eine (Übergangs-)Vorschrift im Hinblick auf Feststellungen nach dem Schwerbehindertengesetz enthält, ist materiell-rechtlich das SGB IX in seiner derzeitigen Fassung anzuwenden.

Nach dessen § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX sind Menschen mit Behinderung solche Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung in diesem Sinne liegt nach § 2 Abs.1 Satz 2 SGB IX liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht.

Auf Antrag des behinderten Menschen stellen die für die Durchführung des Bundesversorgungsgesetzes zuständen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB zum Zeitpunkt der Antragstellung fest (§ 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX).

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die Bewertung des Grades der Behinderung, die Kriterien für die Bewertung der Hilflosigkeit und die Voraussetzungen für die Vergabe von Merkzeichen maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind (§ 153 Abs. 2 SGB IX). Soweit noch keine Verordnung nach § 153 Abs. 2 SGB IX erlassen ist, gelten die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 BVG und der auf Grund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend. Damit gilt weiterhin die Versorgungsmedizin-Verordnung (VersMedV) vom 10.12.2009 (BGBl. I, 2412), deren Anlage zu § 2 die "Versorgungsmedizinischen Grundsätze" (VG) beinhalten. Diese stellen – wie auch die zuvor geltenden Anhaltspunkte (AHP) - auf funktionelle Beeinträchtigungen ab, die im Allgemeinen zunächst nach Funktionssystemen zusammenfassend (dazu vgl. A Nr. 2 Buchst. e) VG) und die hieraus gebildeten Einzel-GdB (vgl. A Nr. 3a) VG) nach § 152 Abs. 3 SGB IX (zuvor: § 69 Abs. 3 SGB IX) anschließend in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung ihrer wechselseitigen Beziehungen festzustellen sind. Die Feststellung der jeweiligen Einzel-GdB folgt dabei nicht einzelnen Erkrankungen sondern den funktionellen Auswirkungen aller derjenigen Erkrankungen, die ein einzelnes Funktionssystem betreffen.

Die Bemessung des Gesamt-GdB (dazu s. unten) erfolgt nach § 152 Abs. 3 SGB IX (zuvor: § 69 Abs. 3 SGB IX). Danach ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet. Insoweit scheiden dahingehende Rechtsgrundsätze, auch solche, dass ein Einzel-GdB nie mehr als die Hälfte seines Wertes den Gesamt-GdB erhöhen kann, aus. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel-GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamt-beeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. Teil A Nr. 3 VG). Der Gesamt-GdB ist unter Beachtung der VersMedV einschließlich der VG in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3 3879 § 4 Nr. 5 zu den AHP). Es ist also eine Prüfung vorzunehmen, wie die einzelnen Behinderungen sich zueinander verhalten und ob die Behinderungen in ihrer Gesamtheit ein Ausmaß erreichen, das die Schwerbehinderung bedingt. Insoweit ist für die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft – gleiches gilt für alle Feststellungsstufen des GdB - nach den allgemeinen Beschreibungen in den einleitenden Teilen der VG als Maßstab der Vergleich zu den Teilhabebeeinträchtigungen anderer Behinderungen anzustellen, für die im Tabellenteil ein Wert von 50 – oder anderer Werte - fest vorgegeben ist (BSG 16.12.2014 – B 9 SB 2/13 R – SozR 4-3250 § 69 Nr. 18 = juris). Damit entscheidet nicht die Anzahl einzelner Einzel-GdB oder deren Höhe die Höhe des festzustellenden Gesamt-GdB, sondern der Gesamt-GdB ist durch einen Vergleich der im zu beurteilenden Einzelfall bestehenden Funktionsbehinderungen mit den vom Verordnungsgeber in den VG für die Erreichung einer bestimmten Feststellungsstufe des GdB bestimmten Funktionsbehinderungen – bei Feststellung der Schwerbehinderung ist der Vergleich mit den für einen GdB von 50 in den VG vorgesehenen Funktionsbehinderungen, bei Feststellung eines GdB von 60 ist der Vergleich mit den für einen GdB von 60 in den VG vorgesehenen Funktionsbehinderungen usw. vorzunehmen – zu bestimmen. Maßgeblich sind damit grds. weder Erkrankungen noch deren Schlüsselung in Diagnosemanualen an sich, sondern ob und wie stark die funktionellen Auswirkungen der tatsächlich vorhandenen bzw. ärztlich objektivierten Erkrankungen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX) anhand eines abstrakten Bemessungsrahmens (Senatsurteil 26.09.2014 – L 8 SB 5215/13 – juris RdNr. 31) beeinträchtigen. Dies ist – wie dargestellt – anhand eines Vergleichs mit den in den VG gelisteten Fällen z.B. eines GdB von 50 festzustellen. Letztlich handelt es sich bei der GdB-Bewertung nämlich nicht um eine soziale Bewertung von Krankheit und Leid, sondern um eine anhand rechtlicher Rahmenbedingungen vorzunehmende, funktionell ausgerichtete Feststellung.

Der Senat ist nach eigener Prüfung zu der Überzeugung gelangt, dass die beim Kläger vorliegenden Funktionsbehinderungen in ihrer Gesamtschau und unter Berücksichtigung ihrer Auswirkungen auf die Teilhabefähigkeit einen höheren Gesamt-GdB als 50 nicht rechtfertigen; dies gilt sowohl unter der seit 01.01.2018 anzuwendenden Rechtslage, als auch unter Anwendung der bis 31.12.2017 geltenden Rechtslage des SGB IX.

Der Senat weist die Berufung aus den vom SG im angefochtenen Urteil dargestellten Gründen, denen es sich nach eigener Prüfung vollumfänglich anschließt, zurück und sieht von einer weitergehenden Begründung ab (§ 153 Abs. 2 SGG). Lediglich ergänzend und im Hinblick auf den Vortrag in der Berufungsbegründung wird auf folgendes hingewiesen:

Im Funktionssystem des Rumpfes, zu dem der Senat die Wirbelsäule einschließlich der Halswirbelsäule zählt, ist ein Einzel-GdB von 30 anzunehmen. Nach B Nr. 18.9 VG ist bei Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurz dauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) ein GdB von 10, mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) ein GdB von 20, mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) ein GdB von 30 und mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulen-abschnitten ein GdB von 30 bis 40 gerechtfertigt. Maßgebend ist dabei, dass die Bewertungsstufe GdB 30 bis 40 erst erreicht wird, wenn mittelgradige bis schwere funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten vorliegen. Die Obergrenze des GdB von 40 ist danach erreicht bei schweren Auswirkungen in mindestens zwei Wirbelsäulenabschnitten (Senatsurteil 24.01.2014 - L 8 SB 2497/11 - juris und www.sozialgerichtsbarkeit.de). Erst bei Wirbelsäulenschäden mit besonders schweren Auswirkungen (z.B. Versteifung großer Teile der Wirbelsäule; anhaltende Ruhigstellung durch Rumpforthese, die drei Wirbelsäulenabschnitte umfasst (z.B. Milwaukee-Korsett); schwere Skoliose (ab ca. 70° nach Cobb) ist ein GdB von 50 bis 70 und bei schwerster Belastungsinsuffizienz bis zur Geh- und Stehunfähigkeit ein GdB von 80 bis 100 gerechtfertigt.

Der Senat konnte in diesem Funktionssystem anhand des Gutachtens von Dr. Th. A. beim Kläger Veränderungen der Halswirbelsäule mit Spinalkanalstenose der Halswirbelsäule C4/5 und Bandscheibendegeneration der Halswirbelsäule C4 bis Th1, Veränderungen der Brustwirbelsäule bei plurietageren Protrusion, vorwiegend Th6 bis Th9, eine rezidivierende Lumboischialgie der Lendenwirbelsäule bei Protrusion L4/5 und L5/S1 und einen Zustand nach Pneumothorax links feststellen.

Dr. Th. A. hat folgende Funktionsparameter der Wirbelsäule gemessen (Normalmaße in Klammer): Halswirbelsäule Vorneigung/Rückneigung 40-0-30o (50/70-0-40/50) Seitneigung rechts/links 40-0-40o (45-0- 45) Drehen rechts/links 40-0-60o (60/80-0-60/80)

Brust- und Lendenwirbelsäule Seitneigung recht/links: 20-0-20o (30/40-0-30/40) Drehen rechts/links: 20-0-20o (30/50-0-30/50) Finger- Boden-Abstand: 13 cm Zeichen nach Ott: 30/35 cm (30/32) Zeichen nach Schober: 10/12 cm (10/15).

Dr. Th. A. hat in seinem Gutachten ausgeführt, dass sich beim Kläger im Stehen keine pathologischen Abweichungen der normalen Wirbelsäulenkrümmungen in der Frontal- und Sagittalebene gezeigt hätten, ebenso kein Rundrücken und kein Flachrücken. Die Schulterblätter lagen dem Brustkorb flach an. Die gesamte Muskulatur war in etwa altersentsprechend ausgebildet. Die Gesäßhälften waren gleichmäßig bemuskelt. Die physiologischen Wirbelsäulenkrümmungen waren im Bereich der Brustwirbelsäule eher etwas verstärkt und im Bereich der Lendenwirbelsäule physiologisch ausgeprägt. Die Dornfortsätze waren gleichmäßig in einer Reihe gestellt. Die Muskulatur war insbesondere im mittleren und unteren Lendenwirbelsäulenbereich wie auch im Halswirbelsäulenbereich verhärtet und druckempfindlich. Der Kläger gab über den Dornfortsätzen im Bereich der Halswirbelsäule, diskret auch im Bereich der Brustwirbelsäule, heftiger im oberen und unteren Lendenwirbelsäulenabschnitt eine diffuse Druck- und Klopfschmerzhaftigkeit an. Die Kreuz- und Darmbeingelenke waren beidseits druckempfindlich. Ein Fallenlassen aus dem Zehenspitzenstand auf die Fersen war dem Kläger aufgrund seiner Schmerzen im Bereich der Kniegelenke, der Beine und der Lendenwirbelsäule nicht möglich. Der Langsitz auf der Untersuchungsliege war dagegen möglich. Die Beweglichkeit der Wirbelsäule bei Flexion, Extension und Rotation war – wie die Bewegungsmaße zeigen in sämtlichen Bewegungsrichtungen eingeschränkt und mit Schmerzsymptomatik verbunden. Die durchgeführte neurologische Untersuchung zeigte im Bereich beider unterer Extremitäten einen altersentsprechenden Befund. Die Sensibilität im Bereich der unteren Extremitäten war am Untersuchungstag nicht gemindert. Das Zeichen nach Lasègue wie auch die Bragardsche Verstärkung war beidseits negativ.

Damit hat Dr. Th. A. im Ergebnis mittelgradige Beeinträchtigungen der Wirbelsäule in 3 Wirbelsäulenabschnitten dargestellt. Neurologische Ausfallerscheinungen sind nicht vorhanden. Liegen aber in 3 Wirbelsäulenabschnitten mittelgradige Funktionsbeeinträchtigungen vor, ist der GdB-Rahmen von 30 bis 40 zwar eröffnet, kann aber auch unter Berücksichtigung der Schmerzen nicht bis zum oberen Rand des Bewertungsrahmens ausgeschöpft werden. Denn nach der Rechtsprechung des Senats ist die Bewertungsstufe von 40 erst erreicht, wenn schwere funktionelle Auswirkungen in mindestens 2 Wirbelsäulenabschnitten vorliegen (Senatsurteil 24.01.2014 - L 8 SB 2497/11 - juris und www.sozialgerichtsbarkeit.de). Das ist aber bei durchgehend lediglich mittelgradigen funktionellen Auswirkungen nicht der Fall.

Soweit Dr. Th. A. seine Teil-GdB-Ansätze für einzelne Wirbelsäulenabschnitte auch durch die Diagnosestellung eines chronisches Schmerzsyndroms in allen drei Wirbelsäulenabschnitten begründet und daher die Funktionsbeeinträchtigungen als "sehr schwer" beurteilt hatte, folgt ihm der Senat nicht. Eine Versteifung von Teilen der Wirbelsäule, oder eine anhaltende Ruhigstellung, eine schwere Skoliose oder sonstige schwere Funktionsbeeinträchtigungen wie häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkungen oder Instabilitäten schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome, die nach der Definition der VG als schwer eingestuft sind, konnte der Senat nicht feststellen. Zwar können Schmerzen den GdB auch an der Wirbelsäule erhöhen (B Nr. 18.9 VG); der Senat hat bei seiner Feststellung der mittelschweren Funktionsbeeinträchtigungen bereits Schmerzen mitberücksichtigt. Eine Erhöhung kommt vorliegend aber deshalb nicht in Betracht, weil beim Kläger ein chronisches Schmerzsyndrom besteht, das über die Schmerzen im Funktionssystem des Rumpfes hinausgeht. Zwar erfasst das Schmerzsyndrom auch die Wirbelsäule, umfasst aber auch die Gesundheitsstörungen in den Knie- und Beinbereichen (vgl. Blatt 181 der SG-Akte = Seite 3 des Gutachtens) und ein Schmerzsyndrom der gesamten linken Thoraxhälfte (Blatt 46 der SG-Akte). Damit geht das Schmerzsyndrom über das Funktionssystem des Rumpfes hinaus und ist nach der Rechtsprechung des Senats im Funktionssystem des Gehirns einschließlich der Psyche zu bewerten. Damit verbleibt im Funktionssystem des Rumpfes ein Einzel-GdB von insgesamt 30. Mit dieser Bewertung entspricht der Senat auch der Bewertung des behandelnden Orthopäden Dr. B ...

Auch soweit Dr. Th. A. für jeden der 3 Wirbelsäulenabschnitte einen GdB von 30 angenommen hatte, hat er dies nicht als Einzelbewertungen verstanden. Vielmehr zeigt sich in seiner Gesamt-Bewertung des GdB, wo er aus dreimal 30 und einmal 40 unter Berücksichtigung der psychischen Beeinträchtigungen einen Gesamt-GdB von 50 ableitet, dass er gerade keine sich verstärkende Einzel-Bewertung der 3 Wirbelsäulenabschnitte gemeint hatte. Andernfalls wäre seine Gesamt-Bewertung nicht nachzuvollziehen, widerspräche auch den Vorgaben der VG, wonach bei schweren funktionellen Auswirkungen in zwei oder drei Wirbelsäulenabschnitten ein GdB von 40 angenommen wird.

Der Zustand nach Pneumothorax links, also dem Eintritt von Luft in den Pleuraspalt, ist funktionell ohne überdauernde Auswirkungen geblieben; Dr. Th. A. und auch kein anderer Arzt konnten insoweit Funktionsbeeinträchtigungen berichten. Alleine der Umstand, dass ein Pneumothorax aufgetreten ist, bedeutet ohne verbliebene Funktionsbeeinträchtigung keine GdB-relevante Behinderung.

Damit verbleibt es im Funktionssystem des Rumpfes bei einem GdB von 30, der bereits Schmerzen mitberücksichtigt.

Im Funktionssystem der Beine hat Dr. A. eine Zyste distale tibia und tendinitis der Tibia posterior-Sehne links diagnostiziert. Außerdem hat er Schmerzen im Knie- und Beinbereich mitgeteilt (vgl. Blatt 181 der SG-Akte = Seite 3 des Gutachtens). Funktionelle Auswirkungen konnte Dr. Th. A. in seinem Gutachten aber nicht mitteilen. Insbesondere hat er an keinem Gelenk weder eine Lockerung des Bandapparates, eine Versteifung oder eine Bewegungseinschränkung feststellen können. Im Hinblick auf die Bewertungsvorgaben von B Nr. 18.14 VG hat Dr. Th. A. daher zu Recht keine GdB-Bewertung vorgenommen. Mangels Vorliegens von Funktionsbeeinträchtigungen durch die bestehenden Gesundheitsstörungen konnte der Senat in diesem Funktionssystem keinen GdB annehmen. Die Schmerzen in den Knien und Beinen werden im Rahmen des Schmerzsyndroms im Funktionssystem des Gehirns einschließlich der Psyche mitberücksichtigt.

Im Funktionssystem der Atmung konnte der Senat mit den behandelnden Ärzten eine dauernde Einschränkung der Lungenfunktion ebensowenig feststellen, wie Brüche und Defekte der Knochen des Brustkorbs (Rippen, Brustbein, Schlüsselbein), Rippendefekte mit Brustfellschwarten, Brustfellverwachsungen und –schwarten, Fremdkörper im Lungengewebe oder in der Brustkorbwand, eine chronische Bronchitis, Bronchiektasen, Pneumokoniosen eine Lungentransplantation, einen Lungentumor oder Bronchialtumor, ein Bronchialasthma, ein Schlaf-Apnoe-Syndrom, eine Tuberkulose oder eine Sarkoidose. Insbesondere die von Dr. H. vorgelegten Berichte des Klinikums E. , Klinik für Gefäß- und Thoraxchirurgie, haben keine Einschränkung der Lungenfunktion oder eine andere überdauernde Erkrankung des Funktionssystems der Atmung ergeben. Damit konnte der Senat in diesem Funktionssystem keinen GdB annehmen.

Im Funktionssystem des Gehirns einschließlich der Psyche hat Dr. M. A. beim Kläger eine rezidivierende depressive Störung, eine posttraumatische Belastungsstörung im Rahmen einer lebensbedrohlich erlebten Krankheit, eine somatoforme Schmerzstörung, eine Persönlichkeitsveränderung bei chronischem Schmerzsyndrom und posttraumatischer Belastungsstörung diagnostiziert. Auch unter Zugrundelegung dieser Erkrankungen (der Gutachter B. hat eine spezifische Phobie mit koprophobischen Zügen, Angst vor Stuhlinkontinenz, leicht bis mäßiggradiges Vermeidungsverhalten, keine ausreichend begründende quantitative Konsekutiv leichtgradig depressive Entwicklung, der Gutachter Dr. V. hat den Verdacht auf Angst und depressive Störung gemischt, chronische Schmerzstörung mit körperlichen und psychischen Faktoren, neuralgieförmige Schmerzen linker Thorax nach Thoraktomie mitgeteilt) konnte der Senat keine Funktionsbehinderungen feststellen, die mit einem höheren GdB als 40 zu bewerten sind. Dabei hat der Senat auch berücksichtigt, dass Dr. L. soziale Anpassungsstörungen bei mittelgradig ausgeprägter depressiver Störung, Agoraphobie mit Panikattacken und chronischem Schmerzsyndrom angegeben, Dr. M. A. aber eine Angst- oder Panikstörung aber nicht angenommen hatte. Insgesamt konnte der Senat im Hinblick auf die Depressivität einen gewissen schwankenden Verlauf feststellen, dem nach A Nr. 2 Buchst. f) VG mit einem Durchschnittswert Rechnung zu tragen ist.

Nach den B Nr. 3.7 VG ist bei Neurosen, Persönlichkeitsstörungen oder Folgen psychischer Traumen mit leichteren psychovegetativen oder psychischen Störungen der GdB mit 0 bis 20, bei stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z.B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) der GdB mit 30 bis 40 und bei schweren Störungen (z.B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten der GdB mit 50 bis 70 und mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten der GdB mit 80 bis 100 zu bewerten.

Der Senat konnte anhand des Gutachtens von Dr. M. A. aber auch des Gutachtens von Dr. V. sowie der Angaben der behandelnden Ärzte keine schweren Störungen (z.B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten oder mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten feststellen. Zwar ist der soziale Raum des Klägers, der von seiner Frau getrennt lebt, aber Kontakt zu seinen Kindern hat, den Einkauf erledigt, regelmäßig in eine Cafeteria zum Essen geht, dort Kontakt und Gespräche mit anderen Menschen – wenn auch über wenig belangvolles – pflegt, und der seinen Alltag trotz der Schmerzen und Erkrankungen auf erforderlich werdende Arzttermine ausrichten kann – so hat er Dr. M. A. mitgeteilt, bei morgendlichen Arztterminen sein Schlafverhalten entsprechend auszurichten (Blatt 134 der SG-Akte = Seite 11 des Gutachtens) , eingeengt, doch ist ein solcher vorhanden und wird aufrechterhalten. Auch konnte der Kläger, der eine Rente wegen voller Erwerbsminderung bezieht und alleine wohnt bei Dr. M. A. darlegen, wie er seinen Alltag gestaltet und auf die jeweiligen Bedürfnisse und Schmerzbeeinträchtigungen hin ausgestaltet. Zwar lebt der Kläger – wie Dr. A. mitteilt zurückgezogen, hat nur noch wenige soziale Kontakte und im Rahmen eines von ihm entwickelten umfangreichen Vermeidensverhaltens die Fähigkeit, am Leben teilnehmen zu können, massiv eingeschränkt, doch sind das gerade Zeichen einer wesentlichen Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, die den GdB-Rahmen von 30 bis 40 eröffnen. Wenn wie vorliegend die Teilhabefähigkeit tatsächlich nicht vollständig aufgehoben ist, ist die wesentliche Einengung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, bis hin zu einem annähernd aufgehobenen sozialen Kontakt, aber Zeichen einer stärker behindernden Störung, was eine GdB-Feststellung am oberen Rand dieser Bewertungsstufe rechtfertigt. Dieser Ausprägungsgrad erreicht aber regelmäßig noch nicht die Schwelle zu schweren Störungen.

Das Nichtvorliegen einer schweren Störung zeigt sich auch im psychischen Untersuchungsbefund des Dr. M. A ... Dieser hatte den Kläger als einfach gekleidet und mit gepflegtem Äußeren beschrieben. Im Kontakt war er zugewandt, körperliche Beschwerden wurden primär fokussiert und reflektiert, im Weiteren werden Ängste vor imperativen Stuhlabgängen beschrieben. Eine weitere psychische Introspektion und Reflexion war erschwert, schambesetzt und Abwehrprozessen unterworfen. Das Sprechen war leise, die Stimmlage monoton, die Gesichtsmimik verarmt. Psychopathologisch war der Kläger aber bewusstseinsklar, wach und voll orientiert. Die Stimmungslage war herabgedrückt, der Affekt nur etwas verflacht, der Antrieb nur etwas reduziert. Die Denkvorgänge waren immer wieder stockend, es fanden sich negative Denkeinengungen auf nicht bewältigbar erlebte Schmerzerlebnisweisen, Ängste vor imperativen Stuhlabgängen, mangelhaft erlebte Belastbarkeit wie auch dissoziativ anmutende flashbackartige Wiedererlebnisweisen der erlebten Krankenhaussituation mit diesbezüglich erfolglosem Vermeidungsbemühen, teils reaktiviert im Rahmen von Atemnoterleben mit Erstickungsängsten. Konzentration und Aufmerksamkeit zeigten im Rahmen der Denkstörungen bezüglich Fokussierbarkeit und Durchhaltefähigkeit nur geringfügige Beeinträchtigungen. Hinweise auf eine akute Suizidgefährdung ließen sich nicht eruieren. Vergleichbare Befunde konnte der Senat auch dem Gutachten von Dr. V. entnehmen.

Daraus kann der Senat aber keine überdauernde, im Durchschnitt einer schweren Zwangskrankheit vergleichbare schwere Störung i.S. von B Nr. 3.7 VG ableiten, was bereits Dr. R. in seiner versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 09.06.2016 mitgeteilt und dabei sogar lediglich einen GdB von 30 – z.B. auch im Hinblick auf eine fehlende Pharmakotherapie für leidensgerecht gehalten hatte.

Auch Dr. L. hat lediglich eine mittelgradige Ausprägung der depressiven Störung bei Agoraphobie mit Panikattacken und chronischem Schmerzssyndrom mitgeteilt.

Vor diesem Hintergrund konnte der Senat nicht feststellen, dass beim Kläger über eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit hinausgehende schwere Störungen vorliegen, sodass der GdB-Rahmen von 30 bis 40 allenfalls zugunsten des Klägers am oberen Rand ausgeschöpft werden kann. Einen höheren Einzel-GdB im Funktionssystem des Gehirns einschließlich der Psyche als 40 konnte der Senat nicht feststellen. Der abweichenden Beurteilung durch Dr. L. und Dr. M. A. konnte der Senat daher nicht folgen.

Weitere - bisher nicht berücksichtigte - GdB-relevante Funktionsbehinderungen, die einen Einzel- bzw. Teil-GdB von wenigstens 10 bedingen, wurden weder geltend gemacht noch konnte der Senat solche feststellen.

Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt. Der Senat hält weitere Ermittlungen von Amts wegen, nicht für erforderlich. Soweit der Kläger Einwendungen gegen das Gutachten von Dr. V. erhebt, kommt es hierauf nicht an, denn der Senat konnte seine Überzeugung auch alleine aus den Gutachten von Dr. M. A. und den Angaben von Dr. L. stützen, sodass es auf das Gutachten von Dr. V. nicht weiter ankommt – lediglich am Rande sei erwähnt, dass der Kläger selbst bei Dr. M. A. angegeben hat, seit der letzten Begutachtung (das ist das Gutachten Dr. V. ) habe sich sein Tagesablauf nicht geändert und Dr. V. vergleichbare Befunde zu denjenigen des Dr. M. A. erhoben hatte.

Die vorliegenden ärztlichen Unterlagen haben mit den Gutachten dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 118 Abs. 1 Satz 1 SGG, § 412 Abs. 1 ZPO). Denn der medizinische festgestellte Sachverhalt bietet die Basis für die alleine vom Senat vorzunehmende rechtliche Bewertung des GdB unter Einschluss der Bewertung der sich zwischen den einzelnen Erkrankungen und Funktionsbehinderungen ergebenden Überschneidungen und Wechselwirkungen. Insoweit ist für die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft nach den allgemeinen Beschreibungen in den einleitenden Teilen der VG als Maßstab der Vergleich zu den Teilhabebeeinträchtigungen anderer Behinderungen anzustellen, für die im Tabellenteil ein Wert von 50 fest vorgegeben ist (BSG 16.12.2014 – B 9 SB 2/13 R – SozR 4-3250 § 69 Nr. 18 = juris).

Nach Überzeugung des Senats ist der Gesamt-GdB unter integrierender Bewertung der Funktionsbehinderungen und unter Beachtung ihrer gegenseitigen Auswirkungen der Gesamt-GdB zu bilden aus Einzel-GdB-Werten von - 30 für die Funktionsbeeinträchtigungen im Funktionssystem des Rumpfes (Wirbelsäule) und - 40 für die Funktionsbeeinträchtigungen im Funktionssystem des Gehirns einschließlich der Psyche. Nachdem beim Kläger vorliegend von zu berücksichtigenden höchsten Einzel-GdB von 40 sowie einem GdB-Wert von 30 auszugehen ist und kein Fall vorliegt, in denen ausnahmsweise GdB-Werte von 10 erhöhend wirken, konnte der Senat seit Antragstellung einen Gesamt-GdB i.S.d. § 152 Abs. 1 SGB IX (bzw. zuvor: § 69 Abs. 1 SGB IX) von 50 feststellen. Denn sowohl im Funktionssystem des Rumpfes als auch demjenigen des Gehirns einschließlich der Psyche sind erhebliche Schmerzen bei der Bewertung der Einzel-GdB berücksichtigt, weshalb Überschneidungen in den Einzel-GdB-Bewertungen vorliegen, die einem höheren Gesamt-GdB entgegenstehen. Bei der Bewertung des Gesamt-GdB von 50 hat der Senat berücksichtigt, dass die Schmerzen erhebliche Auswirkungen auf die psychische Situation haben, aber zum psychischen Befund hat Dr. M. A. lediglich eine leichtgradige depressive Symptomatik beschrieben, sodass eine Verstärkung der Auswirkungen nicht vorliegt.

Insgesamt ist der Senat unter Berücksichtigung eines Vergleichs der beim Kläger insgesamt vorliegenden Funktionsbeeinträchtigungen und deren gegenseitigen Auswirkungen einerseits und derjenigen Fälle, für die die VG einen GdB von 60 vorsehen andererseits, zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger nicht entsprechend schwer funktionell in ihrer Teilhabe im Leben in der Gesellschaft eingeschränkt ist. So sind die Erkrankungen des Klägers weder einzeln noch in ihrer Zusammenschau den nach den VG in Teil B mit einem GdB von 60 bewerteten Gesundheitsstörungen vergleichbar.

Damit konnte der Senat nicht feststellen, dass im Verhältnis zu der früheren GdB-Feststellung eine wesentliche Änderung i.S.d. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X eingetreten wäre. Soweit der Kläger auf die später stattgefundenen Operationen, Behandlungsfehler usw. verweist, begründet dies keine solche wesentliche Änderung, denn die verbleibenden funktionellen Auswirkungen begründen keine von der früheren GdB-Feststellung abweichende GdB-Bewertung.

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht.
Rechtskraft
Aus
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