Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 9 SO 2622/17
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 SO 4444/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
"1. Bestätigung der Rechtsprechung des Senats, wonach auch nach der Änderung des §§ 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII durch das Gesetz zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 2. Dezember 2006 (SGB 12 ÄndG – Bundesgesetzblatt I 2006, 2670) sich die Rechtslage ab 7. Dezember 2006 nicht dahingehend geändert hat, dass nun auf die Feststellungswirkung des Nachteilsausgleichs G oder das Vorliegen seiner Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Mehrbedarfs abzustellen ist.
2. die Rechtslage hat sich ab 7. Dezember 2006 nur insoweit verändert, als nun nicht mehr nur ein Ausweis, sondern auch der – regelmäßig früher ergangene – Bescheid der zuständigen Behörde zum Nachweis der Feststellung des Merkzeichens G ausreicht.
3. Nach dem Wortlaut des Gesetzes muss ein entsprechender Bescheid der nach § 69 Abs. 4 SGB IX zuständigen Stelle ergangen sein oder der Ausweis vorliegen, um den Mehrbedarf zu begründen.
2. die Rechtslage hat sich ab 7. Dezember 2006 nur insoweit verändert, als nun nicht mehr nur ein Ausweis, sondern auch der – regelmäßig früher ergangene – Bescheid der zuständigen Behörde zum Nachweis der Feststellung des Merkzeichens G ausreicht.
3. Nach dem Wortlaut des Gesetzes muss ein entsprechender Bescheid der nach § 69 Abs. 4 SGB IX zuständigen Stelle ergangen sein oder der Ausweis vorliegen, um den Mehrbedarf zu begründen.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 7. November 2017 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung eines Mehrbedarfs gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 2 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialhilfe - (SGB XII) für den Zeitraum 1. August 2016 bis 30. Juni 2017 auf Grund rückwirkender Feststellung des Merkzeichens G durch das Versorgungsamt.
Die am 3. April 1958 geborene Klägerin ist schwerbehindert. Sie bezieht Rente wegen voller Erwerbsminderung seit dem 1. August 2016; daneben bezog die Klägerin auch vom 1. August 2016 bis 30. Juni 2017 ergänzende Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII (Grundsicherung bei Erwerbsminderung, Änderungsbescheid vom 31. August 2016, Änderungsbescheid vom 10. März 2017, Änderungsbescheid vom 10. März 2017). Dabei wurde ausgehend vom geltenden Regelbedarf und den Kosten der Unterkunft und Heizung und zu berücksichtigendem Einkommen der Klägerin (Rente wegen Erwerbsminderung) ihr Leistungsanspruch berechnet, wobei jedoch ein Mehrbedarf in Folge einer Einschränkung des Gehvermögens (§ 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII) nicht berücksichtigt wurde. Hierzu wurde auch keine Aussage gemacht.
Im Juli 2017 wandte sich die Klägerin an die Beklagte und teilte mit, dass das Sozialgericht Mannheim (SG, Aktenzeichen: S 12 SB 632/15) das Land Baden-Württemberg in einem Schwerbehindertenstreitverfahren im September 2016 verurteilt hätte, dass Merkzeichen G festzustellen. Gegen diese Entscheidung sei vom Landesversorgungsamt Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (Aktenzeichen: L 8 SB 3876/16) eingelegt worden. Mittlerweile habe das Landesversorgungsamt diese Berufung jedoch mit Schriftsatz vom 10. Juli 2017 zurückgenommen. In der diesbezüglichen versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 4. Juli 2017 habe Dr. W. die Voraussetzungen für das Merkzeichen G schon ab dem 28. Oktober 2014 bestätigt. Die Klägerin legte im Weiteren den Bescheid der Versorgungsverwaltung vom 7. August 2017 sowie den dazugehörigen Schwerbehindertenausweis vor, wonach der Grad der Behinderung (GdB) für die Zeit seit dem 28. Oktober 2014 auf 90 v.H. erhöht worden ist. Zudem stellte das Versorgungsamt hierin - ebenfalls zum 28. Oktober 2014 - eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr (Merkzeichen G) förmlich fest.
Mit Bescheid vom 27. Juli 2017 erhöhte die Beklagte die laufenden Sozialhilfeleistungen der Klägerin ab dem Monat August 2017 (bei unveränderten Verhältnissen befristet bis zum 31. Juli 2018) um den Mehrbedarfszuschlag bei Merkzeichen G (62,56 EUR monatlich auf 484,18 EUR). Mit einem weiteren Bescheid vom 3. August 2017 nahm die Beklagte auch für den Monat Juli 2017 eine entsprechende Leistungserhöhung vor (monatlicher Leistungsbetrag 486,52 EUR).
Gegen den Bescheid vom 27. Juli 2017 erhob die Klägerin am 2. August 2017 Widerspruch, den sie mit Schreiben vom 4. August 2017 auch auf den Bescheid vom 3. August 2017 bezog und trug zur Begründung vor, die Voraussetzungen für den Mehrbedarfszuschlag (Merkzeichen G) seien doch bereits ab dem 28. Oktober 2014 faktisch erfüllt. Zudem sei das Land Baden-Württemberg vom SG bereits am 14. September 2016 entsprechend verurteilt worden.
Mit Bescheid vom 10. August 2017 lehnte die Beklagte die Gewährung eines Mehrbedarfszuschlags im Hinblick auf das Merkzeichen G für die Zeit vor dem 1. Juli 2017 ab. Der Mehrbedarfszuschlag könne nur und erst ab dem Zeitpunkt gewährt werden, ab dem ein entsprechender Bescheid bzw. Schwerbehindertenausweis des Versorgungsamtes vorliege. Alleine der Umstand, dass der betreffende Nachteilsausgleich von der Versorgungsverwaltung rückwirkend gewährt worden sei, sei zur Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen nicht ausreichend.
Am 16. August 2017 erhob die Klägerin auch gegen den Bescheid vom 10. August 2017 Widerspruch.
Mit Widerspruchsbescheid vom 23. August 2017 wies die Beklagte die Widersprüche der Klägerin zurück.
Die Klägerin hat am 29. August 2017 beim SG Klage erhoben und vorgetragen, das Land Baden-Württemberg sei schon im September 2016 verurteilt worden, das Merkzeichen G festzustellen. Nachdem das Landesversorgungsamt seine gegen das Urteil des SG gerichtete Berufung zurückgenommen habe, sei ihr rückwirkend zum 28. Oktober 2014 ein entsprechender Bescheid bzw. Schwerbehindertenausweis ausgehändigt worden. Sie sei nicht damit einverstanden, dass der gesetzliche Mehrbedarfszuschlag erst für die Zeit ab dem 1. Juli 2017 berücksichtigt worden sei. Sie gehe davon aus, dass sie ab dem Gültigkeitsdatum ihres diesbezüglichen Schwerbehindertenausweises, also 28. Oktober 2014 einen entsprechenden Leistungsanspruch habe.
Der Beklagte ist der Klage entgegen getreten und hat die Auffassung vertreten, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für den Mehrbedarfszuschlag bei Merkzeichen G erst zum 1. Juli 2017 erfüllt seien. Der diesbezügliche Anspruch setze voraus, dass zum Nachweis des Merkzeichens G ein entsprechender Bescheid des Versorgungsamtes oder ein entsprechender Schwerbehindertenausweis vorgelegt werde. Dies sei hier erst zum 1. Juli 2017 möglich gewesen. Allein der Umstand, dass die Versorgungsverwaltung den betreffenden Nachteilsausgleich rückwirkend festgestellt habe, reiche nicht aus.
Mit Urteil vom 7. November 2017 hat das SG die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 27. Juni 2017 und vom 3. August 2017 und unter Aufhebung des Bescheids vom 10. August 2017 - jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. August 2017 - verurteilt, bei den bewilligten Sozialhilfeleistungen rückwirkend ab dem 1. August 2016 den Mehrbedarfszuschlag bei Merkzeichen G zu berücksichtigen, der Klägerin deshalb höhere Leistungen zu gewähren und die dem entgegen stehenden Bescheide (Bescheide vom.31. August 2016 und vom 10. März 2017) zurückzunehmen bzw. abzuändern. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klage sei als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zulässig. Bei sachdienlicher Auslegung des Klagebegehrens ergebe sich, dass die Klägerin der Sache nach im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) die Korrektur der bereits bestandskräftig gewordenen Bescheide für den Zeitraum ab Leistungsbeginn (1. August 2016) bis zum 30. Juni 2017 anstrebe, damit ihr rückwirkend der Mehrbedarfszuschlag beim Merkzeichen G gewährt werden könne. Ab 1. August 2016 habe die Klägerin einen Anspruch auf Gewährung des streitigen Mehrbedarfszuschlags. Die Feststellung seitens des Versorgungsamtes über das Vorliegen des Nachteilsausgleichs G entfalte für den Sozialhilfeträger im Hinblick auf den Mehrbedarf nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII Tatbestandswirkung. Mit der Feststellung des Versorgungsamtes stehe auch fest, dass die Klägerin die materiellen Voraussetzungen dieses Mehrbedarfs bereits seit dem 28. Oktober 2014 erfülle. Nach Auffassung des Gerichts sei es daher geboten, insoweit im Rahmen des nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X beruhenden Überprüfungsverfahrens eine Korrektur der bestandskräftigen Bewilligungsbescheide vorzunehmen und der Klägerin diesen Mehrbedarf grundsätzlich rückwirkend zu gewähren. Dem stehe nicht entgegen, dass § 30 Abs. 1 SGB XII voraussetze, dass die betreffenden Sozialhilfebezieher die Voraussetzungen (Feststellung des Merkzeichen G) gegenüber dem Sozialamt durch einen Schwerbehindertenausweis oder einen entsprechenden Feststellungsbescheid des Versorgungsamts nachwiesen. Hieraus könne nicht abgeleitet werden, dass die sozialhilferechtliche Berücksichtigung dieses Mehrbedarfs erst ab dem Zeitpunkt möglich sei, ab dem die entsprechenden Nachweise dem Sozialamt vorgelegen hätten. Denn im Rahmen seiner Rechtsprechung zur Anwendung von § 44 Abs. 1 SGB XII im Rahmen der Sozialhilfe habe das Bundessozialgericht (BSG) mittlerweile mehrfach ausgesprochen, dass der Grundsatz keine Hilfe für die Vergangenheit die nachträgliche Gewährung von Sozialhilfe dann nicht ausschließe, wenn sich die (vergangene) ungedeckte Bedarfslage auf einen pauschalierten Bedarf beziehe und die Hilfebedürftigkeit bis zur Antragstellung nach § 44 Abs. 1 SGB X ohne Unterbrechungen angedauert habe. Da der Mehrbedarf nach § 30 Abs. 1 SGB XII die Funktion einer Pauschalierung habe und vorliegend ein Bedarfswegfall nicht ersichtlich sei, sei der streitige Mehrbedarf unter Berücksichtigung von § 116 a SGB XII auch für die Vergangenheit zu berücksichtigen. Das § 30 Abs. 1 SGB XII den Nachweis der Anspruchsvoraussetzungen durch die Vorlage eines Schwerbehindertenausweises bzw. eines entsprechenden Bescheides der Versorgungsverwaltung erfordere, stehe dem nicht entgegen. Hieraus könne bei strenger Betrachtung nicht abgeleitet werden, dass die rückwirkende Anerkennung dieses Mehrbedarfs ausgeschlossen sei. Vielmehr könne der entsprechende Nachweis auch nachträglich geführt werden. Im Übrigen müsse beachtet werden, dass der Kenntnisnahmegrundsatz (§ 18 Abs. 1 SGB XII) bei der hier zur Diskussion stehenden Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII schon nach dem Gesetzeswortlaut keine Anwendung finde, denn § 44 Abs. 1 Satz 2 SGB XII stelle insoweit für den Leistungsbeginn auf den Antragsmonat ab. Die Antragstellung umfasse nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung auch einen etwaige Mehrbedarf. Im Übrigen ergebe sich weder aus dem Wortlaut noch aus dem Sinn und Zweck von § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII, dass der Besitz bzw. das Innehaben des Schwerbehindertenausweises bzw. des maßgeblichen Feststellungsbescheids ein unerlässlicher materiell-rechtlicher Teil der Tatbestandsvoraussetzungen des Mehrbedarfs sei (so aber Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 18. September 2013 - L 2 SO 404/13 - ; ähnlich Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 8. Mai 2014 - L 9 SO 55/14 B). Vielmehr fordere der Gesetzeswortlaut lediglich den Nachweis des Merkzeichens G durch einen Schwerbehindertenausweis oder einen Feststellungsbescheid des Versorgungsamts. Nach Auffassung des Gerichts erstrecke sich die Tatbestandswirkung dieser Feststellung auch auf den vom Versorgungsamt festgestellten Zeitpunkt, zu dem der Nachteilsausgleich G einsetze. Das SG hat die Berufung zugelassen.
Gegen das der Beklagten gegen Empfangsbekenntnis am 13. November 2017 zugestellte Urteil hat diese am 23. November 2017 schriftlich beim Landessozialgericht Berufung eingelegt und hält an ihrer Auffassung fest, dass § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII nicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens G abstelle, sondern er verlange dem Wortlaut nach eindeutig den Nachweis der Feststellung und zwar durch einen Bescheid der nach § 69 Abs. 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) zuständigen Stelle oder durch einen Ausweis nach § 69 Abs. 5 SGB IX. Dieser Nachweis gelinge der Klägerin keinesfalls vor dem 1. August 2017. Der Feststellungsbescheid sei am 7. August 2017 ergangen und sei mit seinem Zugang in den Besitz der Klägerin gelangt. Dem Bescheid beigefügt gewesen sei der Ausweis des Merkzeichens G, so dass von einer zeitgleichen Besitzerlangung auszugehen sei. Den Nachweis habe die Klägerin erst mit Vorlage am 10. August 2017 erbracht. Unabhängig davon, wann der Nachweis im Sinne der Norm erbracht sei, hätten alle Auffassungen gemein, dass sie an tatsächliche Umstände anknüpften, die nicht rückwirkend herbeigeführt werden könnten. Auf das bloße Vorliegen der Voraussetzungen für die Erteilung eines entsprechenden Ausweises mit Merkzeichen G komme es hingegen gerade nicht an. Darüber hinaus habe der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und andere Gesetze vom 2. Dezember 2006 lediglich eine weitere Nachweismöglichkeit geschaffen, um damit den Nachteil auszugleichen, der daraus entstehe, dass zwischen Erlass des Bescheides und Übermittlung des Ausweises Wochen liegen könnten. Es habe grundsätzlich keine sachliche Änderung hergeführt werden sollen. Vor Erlass eines Feststellungsbescheides sei es Hilfeempfängern bzw. Antragstellern zu dem unbenommen, einen individuellen - ggf. sogar höheren - behinderungsbedingten Mehrbedarf geltend zu machen, so dass insofern auch kein Rechtsverlust im Raum stehe, wenn man nicht von einer Rückwirkung der Feststellung des Merkzeichens G ausginge.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 7. November 2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und wiederholt ihr Vorbringen aus dem Widerspruchs- und Klageverfahren. Sie hält ausdrücklich daran fest, dass ihr die Gewährung des Nachteilsausgleichs/Mehrbedarfs ab August 2016 zustehe.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Prozessakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte auf Grund der Zustimmung der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.
Die aufgrund der Zulassung durch das SG gemäß §§ 143, 144 Abs. 1, Abs. 2 SGG statthafte Berufung ist zulässig; sie ist unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften nach § 151 Abs. 1 SGG eingelegt worden.
Die Berufung ist auch begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Gewährung des Mehrbedarfs wegen der Einschränkung des Gehvermögens für den Zeitraum vom 1. August 2016 bis 30. Juni 2017 auf Grund der rückwirkenden Feststellung des Merkzeichens G durch das Versorgungsamt.
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 10. August 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. August 2017, mit dem die Beklagte die nachträgliche Zahlung eines pauschalierten behinderungsbedingten Mehraufwands für den Zeitraum vom 1. August 2016 bis 30. Juni 2017 abgelehnt hat. Hierbei handelt es sich um einen abtrennbaren Streitgegenstand (BSG, Urteil vom 10. November 2011 - B 8 SO 12/10 R -, juris Rn. 11 m.w.N.), auf den die Klägerin ausgehend von ihren Schreiben vom 28. August 2017 und 29. August 2017 ihr Begehren ausdrücklich beschränkt hat. Streitgegenstand ist damit vorliegend nur der pauschalierte behinderungsbedingte Mehrbedarf nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs¬, Verpflichtungs- und Leistungsklage zulässig.
Materiell - rechtlich beurteilt sich die Begründetheit der Berufung nach § 44 Abs. 1 SGB X. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X findet keine Anwendung (BSG) B 8 SO 12/10 R aaO. - (juris Rn. 15). Nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X soll ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung bei einer Änderung in den tatsächlichen und oder rechtlichen Verhältnissen, die bei dessen Erlass vorlagen, mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zu Gunsten des Betroffenen erfolgt. Eine Änderung der Verhältnisse ist im streitigen Zeitraum vom 1. August 2016 bis 30. Juni 2017 hingegen gegenüber den maßgeblichen Bewilligungsbescheiden nicht eingetreten, sondern frühestens mit der Abgabe des Anerkenntnisses für die Zeit ab Juli 2017. Erst ab diesem Zeitpunkt konnte die Klägerin durch einen Bescheid der zuständigen Behörde oder durch einen Ausweis gegenüber der Beklagten die Feststellung des Merkzeichens G nachweisen. Deshalb sind auch erst ab Juli 2017 die Voraussetzungen für den Mehrbedarf nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII zu bejahen, den die Beklagte auch ab Juli 2017 gewährt.
Auch die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 SGB X liegen nicht vor, weil bei Erlass der Bewilligungsbescheide vom 31. August 2016 und vom 10. März 2017 das Recht nicht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist. Die Dauerverwaltungsakte durften auch auf Grund der rückwirkenden Zuerkennung des Merkzeichens G ab 28. Oktober 2014 für den streitigen Zeitraum so erlassen werden.
Für die streitige Zeit vom 1. August 2016 bis 30. Juni 2017 bestimmt sich der Anspruch der voll erwerbsgeminderten Klägerin auf Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung nach den Vorschriften der §§ 41 ff SGB XII. Diese umfassen nach § 42 Satz 1 Nr. 3 SGB XII u.a. die Mehrbedarfe nach § 30 SGB XII. Nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII wird für Personen, die die Altersgrenze nach § 41 Abs. 2 noch nicht erreicht haben - dies ist bei der Klägerin der Fall - , voll erwerbsgemindert nach dem Sechsten Buch sind - dies ist die Klägerin - und durch einen Bescheid der nach § 69 Abs. 4 SGB IX zuständigen Behörde oder einen Ausweis nach § 69 Abs. 5 SGB IX die Feststellung des Merkzeichens G nachweisen, ein Mehrbedarf von 17 v.H. der maßgebenden Regelbedarfsstufe anerkannt, soweit nicht im Einzelfall ein abweichender Bedarf besteht. Über beide Dokumente verfügte die Klägerin - unabhängig von den übrigen Tatbestandsvoraussetzungen für den Bezug von Leistungen nach dem SGB XII - in dem streitbefangenen Zeitraum jedenfalls nicht. Danach knüpft der Mehrbedarfszuschlag wegen Einschränkung des Gehvermögens seither an den Nachweis der Feststellung des Merkzeichens G durch einen Bescheid oder einen entsprechenden Schwerbehindertenausweis, während die vorherige Fassung den Mehrbedarf noch ausschließlich von dem Besitz eines Ausweises nach dem SGB IX mit dem Merkzeichen G abhängig machte (§ 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII in der Fassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 - BGBl I 3022). Die Vorgängerregelung hat das Bundessozialgericht (BSG, Urteil vom 10.11.2011 – B 8 SO 12/10 R –, juris) in einem gleichgelagerten Fall dahingehend ausgelegt, dass der Mehrbedarf des § 30 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII a.F. tatbestandlich mit der Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises und der Zuerkennung des Merkzeichens G verbunden ist; allein der Zeitpunkt der Feststellungswirkung des Merkzeichens G ist zur Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen nicht ausreichend. Anders als die Feststellung des Nachteilsausgleichs G selbst, die für die Zeit davor Wirkung entfaltet, wird der "Besitz" nicht rückwirkend eingeräumt. Dies wurde auch damit begründet, dass nach § 40 Abs. 1 SGB I Ansprüche auf Sozialleistungen erst mit Vorliegen der im Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen entstehen, was im Umkehrschluss bedeutet, dass vor dieser Zeit kein Anspruch nach den bezeichneten Vorschriften besteht. Auch Sinn und Zweck der Regelungen - Nachweiszwecke, Verwaltungspraktikabilität und Verwaltungsvereinfachung, keine eigenen Ermittlungen des Sozialhilfeträgers für die Gewährung eines typisierten, pauschalierten Mehrbedarfs (BSG aaO Rn. 20) - rechtfertigen keine erweiternde Auslegung. Eine Anknüpfung an das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erteilung des Schwerbehindertenausweises ist nicht gerechtfertigt, da die Gültigkeit des Ausweises in der Regel der Tag des Eingangs des Antrags auf eine entsprechende Feststellung sei. Wollte man auch bei dem typisierten Mehrbedarf nach dem SGB XII auf den Status des Schwerbehinderten und die Berechtigung zur Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen abstellen, führte dies bei vorangegangenem Leistungsbezug in jedem Falle zu einer rückwirkenden Leistung pauschalierter Mehrbedarfe für die Vergangenheit. Dies würde bedeuten, dass eine Korrektur praktisch in allen Fällen, in denen ein Antrag nach dem SGB IX gestellt wird, im Gesetz bereits angelegt wäre, was der Zielsetzung widerspricht (BSG aaO Rn. 21). Verfassungsrechtliche Bedenken sind verneint worden. Ob diese Auslegung auch für die Zeit ab 7. Dezember 2006 gilt, hat das BSG offen gelassen (Rn. 22).
Der Senat vertritt die Auffassung, dass sich die Rechtslage durch die Änderung in § 30 Abs. 1 SGB XII durch das Gesetz zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 2. Dezember 2006 (BGBl I 2670) nicht dahingehend geändert hat, dass nun auf die Feststellungswirkung des Nachteilsausgleichs G oder das Vorliegen seiner Voraussetzungen abzustellen ist. Die neue Rechtslage hat sich nur insoweit verändert, als nun nicht mehr nur ein Ausweis, sondern auch der Bescheid der zuständigen Behörde zum Nachweis ausreicht. Diesen Schluss zieht der Senat insbesondere aus der amtlichen Begründung (BT-Drucks 16/2711, S. 11 zu Nr. 8) zur Änderung des Abs. 1. Darin heißt es:
"Nach derzeitiger Rechtslage ist der Mehrbedarf davon abhängig, dass die Leistungsberechtigten tatsächlich einen entsprechenden Schwerbehindertenausweis besitzen; der Besitz eines entsprechenden Feststellungsbescheides nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch reicht nicht aus. Dies hat zur Folge, dass der Mehrbedarf auch erst ab dem Zeitpunkt der Ausstellung des Schwerbehindertenausweises und damit regelmäßig erst mehrere Wochen nach Bekanntgabe des Feststellungsbescheides in Anspruch genommen werden kann (OVG Lüneburg – Beschlüsse vom 16. Juli 2001 – AZ: 12 PA 2413/01 – FEVS 2002, 445 und vom 14. Januar 2004 – AZ: 12 PA 562/03). Bescheid und Ausweis haben faktisch denselben Beweiswert. Außerdem kann ein Teil der betroffenen Leistungsberechtigten – bis auf den Mehrbedarf – keine der mit dem Ausweis verbundenen Vorteile nutzen, d. h. die Mehrzahl dieser Leistungsberechtigten würde voraussichtlich auf Grund der vorgesehenen Änderung in Zukunft auf die Ausstellung des Ausweises verzichten. Die vorgesehene Änderung erleichtert somit den Zugang der Leistungsberechtigten zu den ihnen zustehenden Leistungen, indem es sie von nicht erforderlichen Behördengängen bzw. vermeidbarem Schriftverkehr mit Behörden entlastet. Sie trägt dadurch gleichzeitig bei den für das Feststellungsverfahren zuständigen Behörden und den Trägern der Sozialhilfe zum Abbau von Verwaltungsaufwand bei."
Dadurch wird klar, dass auf Grund des Auseinanderfallens der Zeitpunkte des Erlasses des Feststellungsbescheids und der Ausstellung des Ausweises die Betroffenen bezogen darauf zum früheren Zeitpunkt den Mehrbedarf in Anspruch nehmen können sollten, nämlich bereits regelmäßig mehrere Wochen früher mit dem Feststellungsbescheid sollte dies möglich sein. Allein diese Verzögerung wollte der Gesetzgeber beseitigen. Die Möglichkeit hierzu besteht, weil Feststellungsbescheid und Ausweis den gleichen Beweiswert haben. Neben der Erleichterung für die Betroffenen wird nach wie vor der Abbau von Verwaltungsaufwand zur Begründung angeführt. Auch ist in der Begründung wie in der Vorgängerregelung "der Besitz" des Schwerbehindertenausweises oder eines Feststellungsbescheides benannt. Von daher ist davon auszugehen, dass die Neuformulierung "die Feststellung des Merkzeichens G nachweisen" gegenüber "bei Besitz" eines Schwerbehindertenausweises lediglich eine semantische Verfeinerung aber keine grundsätzliche sachliche Änderung herbeiführen sollte. Anhaltspunkte dafür, dass für die Inanspruchnahme des Mehrbedarfs auf einen noch früheren Zeitpunkt abzustellen sein sollte, ergeben sich hieraus gerade nicht.
Daraus folgt, dass es weiterhin nicht genügt, dass lediglich die materiellen Voraussetzungen für die Erteilung eines Ausweises nach § 69 Abs. 5 SGB IX mit dem Merkzeichen G vorliegen. Nach dem klaren Gesetzeswortlaut muss ein entsprechender Bescheid der nach § 69 Abs. 4 SGB IX zuständigen Stelle ergangen sein oder der Ausweis vorliegen, um den Mehrbedarf zu begründen (so nun eindeutig Adolph in Linhart/Adolph , SGB II, SGB XII, AsylbLG, Stand Mai 2013, § 30 Rn. 13). Dem Ausweis steht jetzt der Feststellungsbescheid gleich, da beide denselben Beweiswert haben. Damit wird der Zugang zu den Leistungen erleichtert. Nicht ausreichend ist es also, wenn nur ein Antrag gestellt worden ist, aber noch kein Bescheid oder Ausweis vorliegt. Eine rückwirkende Gewährung kommt auch in diesen Fällen nicht in Betracht (Dauber in Mergler/Zink, SGB XII, 19. Lfg, Stand September 2011, § 30 Rn. 12; ebenso Wenzel in Fichtner/Wenzel, SGB XII, 4. Aufl., § 30 Rn. 7; Scheider in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. Aufl., § 30 Rn. 9; Schwengers in Kruse/Reinhard/Winkler SGB XII, 3. Aufl. 2012, § 30 Rn. 3; a.A. Grube in Grube/Wahrendorf SGB XII, 4. Aufl. § 30 Rn. 8, Münder in LPK SGB XII 9. Aufl., § 30 Rn. 6 unter Bezugnahme auf Grube/Wahrendorf).
Die nach der Entscheidung des BSG (aaO) ergangenen Urteile des Hessischen Landessozialgerichts (Hess. LSG, Urteil vom 20. März 2013 – L 6 SO 73/10 –, juris Rn 51) und des Sozialgerichts Freiburg (SG Freiburg, Urteil vom 6. Dezember 2012 – S 6 SO 24/10 –, juris) lassen keine anderen Schlussfolgerungen zu, weil die dortigen Sachverhalte nicht vergleichbar sind. Im einen Fall hatte sich der Beklagte bereit erklärt einen Mehrbedarf rückwirkend ab dem Gültigkeitstag des Schwerbehindertenausweises anzuerkennen. Im anderen Fall war der Ausweis schon lange ausgestellt gewesen, nur dem Sozialhilfeträger erst Jahre später vorgelegt worden.
Die vom SG angenommenen Schutzlücken für die Betroffenen liegen nicht vor. Das BSG (aaO, Rn. 28) hat in seiner Entscheidung aufgezeigt, wie bei einer längeren Wartezeit auf die Entscheidung des Versorgungsamts oder bis zum Ende eines über das Merkzeichen G geführten Rechtsstreits der erhöhte finanzielle Aufwand zum Ausgleich der Behinderung durch Nachweis des Bedarfs im einzelnen ggf. gem. § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII ( in der bis 31. Dezember 2010 geltenden Fassung) bzw. § 27a Abs. 4 Satz 1 SGB XII (in der ab 1. Januar 2011 gültigen Fassung) geltend gemacht werden kann und das Existenzminimum gesichert wird. Dies ist jedoch wie oben ausgeführt vorliegend nicht Streitgegenstand.
Der Berufung des Beklagten war daher stattzugeben und das Urteil des SG aufzuheben sowie die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Gewährung eines Mehrbedarfs gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 2 Zwölftes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialhilfe - (SGB XII) für den Zeitraum 1. August 2016 bis 30. Juni 2017 auf Grund rückwirkender Feststellung des Merkzeichens G durch das Versorgungsamt.
Die am 3. April 1958 geborene Klägerin ist schwerbehindert. Sie bezieht Rente wegen voller Erwerbsminderung seit dem 1. August 2016; daneben bezog die Klägerin auch vom 1. August 2016 bis 30. Juni 2017 ergänzende Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII (Grundsicherung bei Erwerbsminderung, Änderungsbescheid vom 31. August 2016, Änderungsbescheid vom 10. März 2017, Änderungsbescheid vom 10. März 2017). Dabei wurde ausgehend vom geltenden Regelbedarf und den Kosten der Unterkunft und Heizung und zu berücksichtigendem Einkommen der Klägerin (Rente wegen Erwerbsminderung) ihr Leistungsanspruch berechnet, wobei jedoch ein Mehrbedarf in Folge einer Einschränkung des Gehvermögens (§ 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII) nicht berücksichtigt wurde. Hierzu wurde auch keine Aussage gemacht.
Im Juli 2017 wandte sich die Klägerin an die Beklagte und teilte mit, dass das Sozialgericht Mannheim (SG, Aktenzeichen: S 12 SB 632/15) das Land Baden-Württemberg in einem Schwerbehindertenstreitverfahren im September 2016 verurteilt hätte, dass Merkzeichen G festzustellen. Gegen diese Entscheidung sei vom Landesversorgungsamt Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg (Aktenzeichen: L 8 SB 3876/16) eingelegt worden. Mittlerweile habe das Landesversorgungsamt diese Berufung jedoch mit Schriftsatz vom 10. Juli 2017 zurückgenommen. In der diesbezüglichen versorgungsärztlichen Stellungnahme vom 4. Juli 2017 habe Dr. W. die Voraussetzungen für das Merkzeichen G schon ab dem 28. Oktober 2014 bestätigt. Die Klägerin legte im Weiteren den Bescheid der Versorgungsverwaltung vom 7. August 2017 sowie den dazugehörigen Schwerbehindertenausweis vor, wonach der Grad der Behinderung (GdB) für die Zeit seit dem 28. Oktober 2014 auf 90 v.H. erhöht worden ist. Zudem stellte das Versorgungsamt hierin - ebenfalls zum 28. Oktober 2014 - eine erhebliche Beeinträchtigung der Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr (Merkzeichen G) förmlich fest.
Mit Bescheid vom 27. Juli 2017 erhöhte die Beklagte die laufenden Sozialhilfeleistungen der Klägerin ab dem Monat August 2017 (bei unveränderten Verhältnissen befristet bis zum 31. Juli 2018) um den Mehrbedarfszuschlag bei Merkzeichen G (62,56 EUR monatlich auf 484,18 EUR). Mit einem weiteren Bescheid vom 3. August 2017 nahm die Beklagte auch für den Monat Juli 2017 eine entsprechende Leistungserhöhung vor (monatlicher Leistungsbetrag 486,52 EUR).
Gegen den Bescheid vom 27. Juli 2017 erhob die Klägerin am 2. August 2017 Widerspruch, den sie mit Schreiben vom 4. August 2017 auch auf den Bescheid vom 3. August 2017 bezog und trug zur Begründung vor, die Voraussetzungen für den Mehrbedarfszuschlag (Merkzeichen G) seien doch bereits ab dem 28. Oktober 2014 faktisch erfüllt. Zudem sei das Land Baden-Württemberg vom SG bereits am 14. September 2016 entsprechend verurteilt worden.
Mit Bescheid vom 10. August 2017 lehnte die Beklagte die Gewährung eines Mehrbedarfszuschlags im Hinblick auf das Merkzeichen G für die Zeit vor dem 1. Juli 2017 ab. Der Mehrbedarfszuschlag könne nur und erst ab dem Zeitpunkt gewährt werden, ab dem ein entsprechender Bescheid bzw. Schwerbehindertenausweis des Versorgungsamtes vorliege. Alleine der Umstand, dass der betreffende Nachteilsausgleich von der Versorgungsverwaltung rückwirkend gewährt worden sei, sei zur Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen nicht ausreichend.
Am 16. August 2017 erhob die Klägerin auch gegen den Bescheid vom 10. August 2017 Widerspruch.
Mit Widerspruchsbescheid vom 23. August 2017 wies die Beklagte die Widersprüche der Klägerin zurück.
Die Klägerin hat am 29. August 2017 beim SG Klage erhoben und vorgetragen, das Land Baden-Württemberg sei schon im September 2016 verurteilt worden, das Merkzeichen G festzustellen. Nachdem das Landesversorgungsamt seine gegen das Urteil des SG gerichtete Berufung zurückgenommen habe, sei ihr rückwirkend zum 28. Oktober 2014 ein entsprechender Bescheid bzw. Schwerbehindertenausweis ausgehändigt worden. Sie sei nicht damit einverstanden, dass der gesetzliche Mehrbedarfszuschlag erst für die Zeit ab dem 1. Juli 2017 berücksichtigt worden sei. Sie gehe davon aus, dass sie ab dem Gültigkeitsdatum ihres diesbezüglichen Schwerbehindertenausweises, also 28. Oktober 2014 einen entsprechenden Leistungsanspruch habe.
Der Beklagte ist der Klage entgegen getreten und hat die Auffassung vertreten, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für den Mehrbedarfszuschlag bei Merkzeichen G erst zum 1. Juli 2017 erfüllt seien. Der diesbezügliche Anspruch setze voraus, dass zum Nachweis des Merkzeichens G ein entsprechender Bescheid des Versorgungsamtes oder ein entsprechender Schwerbehindertenausweis vorgelegt werde. Dies sei hier erst zum 1. Juli 2017 möglich gewesen. Allein der Umstand, dass die Versorgungsverwaltung den betreffenden Nachteilsausgleich rückwirkend festgestellt habe, reiche nicht aus.
Mit Urteil vom 7. November 2017 hat das SG die Beklagte unter Abänderung der Bescheide vom 27. Juni 2017 und vom 3. August 2017 und unter Aufhebung des Bescheids vom 10. August 2017 - jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. August 2017 - verurteilt, bei den bewilligten Sozialhilfeleistungen rückwirkend ab dem 1. August 2016 den Mehrbedarfszuschlag bei Merkzeichen G zu berücksichtigen, der Klägerin deshalb höhere Leistungen zu gewähren und die dem entgegen stehenden Bescheide (Bescheide vom.31. August 2016 und vom 10. März 2017) zurückzunehmen bzw. abzuändern. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen und die Berufung zugelassen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klage sei als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage zulässig. Bei sachdienlicher Auslegung des Klagebegehrens ergebe sich, dass die Klägerin der Sache nach im Rahmen eines Überprüfungsverfahrens nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) die Korrektur der bereits bestandskräftig gewordenen Bescheide für den Zeitraum ab Leistungsbeginn (1. August 2016) bis zum 30. Juni 2017 anstrebe, damit ihr rückwirkend der Mehrbedarfszuschlag beim Merkzeichen G gewährt werden könne. Ab 1. August 2016 habe die Klägerin einen Anspruch auf Gewährung des streitigen Mehrbedarfszuschlags. Die Feststellung seitens des Versorgungsamtes über das Vorliegen des Nachteilsausgleichs G entfalte für den Sozialhilfeträger im Hinblick auf den Mehrbedarf nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII Tatbestandswirkung. Mit der Feststellung des Versorgungsamtes stehe auch fest, dass die Klägerin die materiellen Voraussetzungen dieses Mehrbedarfs bereits seit dem 28. Oktober 2014 erfülle. Nach Auffassung des Gerichts sei es daher geboten, insoweit im Rahmen des nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X beruhenden Überprüfungsverfahrens eine Korrektur der bestandskräftigen Bewilligungsbescheide vorzunehmen und der Klägerin diesen Mehrbedarf grundsätzlich rückwirkend zu gewähren. Dem stehe nicht entgegen, dass § 30 Abs. 1 SGB XII voraussetze, dass die betreffenden Sozialhilfebezieher die Voraussetzungen (Feststellung des Merkzeichen G) gegenüber dem Sozialamt durch einen Schwerbehindertenausweis oder einen entsprechenden Feststellungsbescheid des Versorgungsamts nachwiesen. Hieraus könne nicht abgeleitet werden, dass die sozialhilferechtliche Berücksichtigung dieses Mehrbedarfs erst ab dem Zeitpunkt möglich sei, ab dem die entsprechenden Nachweise dem Sozialamt vorgelegen hätten. Denn im Rahmen seiner Rechtsprechung zur Anwendung von § 44 Abs. 1 SGB XII im Rahmen der Sozialhilfe habe das Bundessozialgericht (BSG) mittlerweile mehrfach ausgesprochen, dass der Grundsatz keine Hilfe für die Vergangenheit die nachträgliche Gewährung von Sozialhilfe dann nicht ausschließe, wenn sich die (vergangene) ungedeckte Bedarfslage auf einen pauschalierten Bedarf beziehe und die Hilfebedürftigkeit bis zur Antragstellung nach § 44 Abs. 1 SGB X ohne Unterbrechungen angedauert habe. Da der Mehrbedarf nach § 30 Abs. 1 SGB XII die Funktion einer Pauschalierung habe und vorliegend ein Bedarfswegfall nicht ersichtlich sei, sei der streitige Mehrbedarf unter Berücksichtigung von § 116 a SGB XII auch für die Vergangenheit zu berücksichtigen. Das § 30 Abs. 1 SGB XII den Nachweis der Anspruchsvoraussetzungen durch die Vorlage eines Schwerbehindertenausweises bzw. eines entsprechenden Bescheides der Versorgungsverwaltung erfordere, stehe dem nicht entgegen. Hieraus könne bei strenger Betrachtung nicht abgeleitet werden, dass die rückwirkende Anerkennung dieses Mehrbedarfs ausgeschlossen sei. Vielmehr könne der entsprechende Nachweis auch nachträglich geführt werden. Im Übrigen müsse beachtet werden, dass der Kenntnisnahmegrundsatz (§ 18 Abs. 1 SGB XII) bei der hier zur Diskussion stehenden Leistungen nach dem Vierten Kapitel des SGB XII schon nach dem Gesetzeswortlaut keine Anwendung finde, denn § 44 Abs. 1 Satz 2 SGB XII stelle insoweit für den Leistungsbeginn auf den Antragsmonat ab. Die Antragstellung umfasse nach dem Grundsatz der Meistbegünstigung auch einen etwaige Mehrbedarf. Im Übrigen ergebe sich weder aus dem Wortlaut noch aus dem Sinn und Zweck von § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII, dass der Besitz bzw. das Innehaben des Schwerbehindertenausweises bzw. des maßgeblichen Feststellungsbescheids ein unerlässlicher materiell-rechtlicher Teil der Tatbestandsvoraussetzungen des Mehrbedarfs sei (so aber Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 18. September 2013 - L 2 SO 404/13 - ; ähnlich Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 8. Mai 2014 - L 9 SO 55/14 B). Vielmehr fordere der Gesetzeswortlaut lediglich den Nachweis des Merkzeichens G durch einen Schwerbehindertenausweis oder einen Feststellungsbescheid des Versorgungsamts. Nach Auffassung des Gerichts erstrecke sich die Tatbestandswirkung dieser Feststellung auch auf den vom Versorgungsamt festgestellten Zeitpunkt, zu dem der Nachteilsausgleich G einsetze. Das SG hat die Berufung zugelassen.
Gegen das der Beklagten gegen Empfangsbekenntnis am 13. November 2017 zugestellte Urteil hat diese am 23. November 2017 schriftlich beim Landessozialgericht Berufung eingelegt und hält an ihrer Auffassung fest, dass § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII nicht auf das Vorliegen der Voraussetzungen für die Feststellung des Merkzeichens G abstelle, sondern er verlange dem Wortlaut nach eindeutig den Nachweis der Feststellung und zwar durch einen Bescheid der nach § 69 Abs. 4 Neuntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IX) zuständigen Stelle oder durch einen Ausweis nach § 69 Abs. 5 SGB IX. Dieser Nachweis gelinge der Klägerin keinesfalls vor dem 1. August 2017. Der Feststellungsbescheid sei am 7. August 2017 ergangen und sei mit seinem Zugang in den Besitz der Klägerin gelangt. Dem Bescheid beigefügt gewesen sei der Ausweis des Merkzeichens G, so dass von einer zeitgleichen Besitzerlangung auszugehen sei. Den Nachweis habe die Klägerin erst mit Vorlage am 10. August 2017 erbracht. Unabhängig davon, wann der Nachweis im Sinne der Norm erbracht sei, hätten alle Auffassungen gemein, dass sie an tatsächliche Umstände anknüpften, die nicht rückwirkend herbeigeführt werden könnten. Auf das bloße Vorliegen der Voraussetzungen für die Erteilung eines entsprechenden Ausweises mit Merkzeichen G komme es hingegen gerade nicht an. Darüber hinaus habe der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und andere Gesetze vom 2. Dezember 2006 lediglich eine weitere Nachweismöglichkeit geschaffen, um damit den Nachteil auszugleichen, der daraus entstehe, dass zwischen Erlass des Bescheides und Übermittlung des Ausweises Wochen liegen könnten. Es habe grundsätzlich keine sachliche Änderung hergeführt werden sollen. Vor Erlass eines Feststellungsbescheides sei es Hilfeempfängern bzw. Antragstellern zu dem unbenommen, einen individuellen - ggf. sogar höheren - behinderungsbedingten Mehrbedarf geltend zu machen, so dass insofern auch kein Rechtsverlust im Raum stehe, wenn man nicht von einer Rückwirkung der Feststellung des Merkzeichens G ausginge.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 7. November 2017 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und wiederholt ihr Vorbringen aus dem Widerspruchs- und Klageverfahren. Sie hält ausdrücklich daran fest, dass ihr die Gewährung des Nachteilsausgleichs/Mehrbedarfs ab August 2016 zustehe.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten sowie die Prozessakten beider Rechtszüge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Der Senat konnte auf Grund der Zustimmung der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) ohne mündliche Verhandlung entscheiden.
Die Berufung der Beklagten hat Erfolg.
Die aufgrund der Zulassung durch das SG gemäß §§ 143, 144 Abs. 1, Abs. 2 SGG statthafte Berufung ist zulässig; sie ist unter Beachtung der maßgeblichen Form- und Fristvorschriften nach § 151 Abs. 1 SGG eingelegt worden.
Die Berufung ist auch begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Gewährung des Mehrbedarfs wegen der Einschränkung des Gehvermögens für den Zeitraum vom 1. August 2016 bis 30. Juni 2017 auf Grund der rückwirkenden Feststellung des Merkzeichens G durch das Versorgungsamt.
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 10. August 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. August 2017, mit dem die Beklagte die nachträgliche Zahlung eines pauschalierten behinderungsbedingten Mehraufwands für den Zeitraum vom 1. August 2016 bis 30. Juni 2017 abgelehnt hat. Hierbei handelt es sich um einen abtrennbaren Streitgegenstand (BSG, Urteil vom 10. November 2011 - B 8 SO 12/10 R -, juris Rn. 11 m.w.N.), auf den die Klägerin ausgehend von ihren Schreiben vom 28. August 2017 und 29. August 2017 ihr Begehren ausdrücklich beschränkt hat. Streitgegenstand ist damit vorliegend nur der pauschalierte behinderungsbedingte Mehrbedarf nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII. Die Klage ist als kombinierte Anfechtungs¬, Verpflichtungs- und Leistungsklage zulässig.
Materiell - rechtlich beurteilt sich die Begründetheit der Berufung nach § 44 Abs. 1 SGB X. § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X findet keine Anwendung (BSG) B 8 SO 12/10 R aaO. - (juris Rn. 15). Nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB X soll ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung bei einer Änderung in den tatsächlichen und oder rechtlichen Verhältnissen, die bei dessen Erlass vorlagen, mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit die Änderung zu Gunsten des Betroffenen erfolgt. Eine Änderung der Verhältnisse ist im streitigen Zeitraum vom 1. August 2016 bis 30. Juni 2017 hingegen gegenüber den maßgeblichen Bewilligungsbescheiden nicht eingetreten, sondern frühestens mit der Abgabe des Anerkenntnisses für die Zeit ab Juli 2017. Erst ab diesem Zeitpunkt konnte die Klägerin durch einen Bescheid der zuständigen Behörde oder durch einen Ausweis gegenüber der Beklagten die Feststellung des Merkzeichens G nachweisen. Deshalb sind auch erst ab Juli 2017 die Voraussetzungen für den Mehrbedarf nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII zu bejahen, den die Beklagte auch ab Juli 2017 gewährt.
Auch die Voraussetzungen des § 44 Abs. 1 SGB X liegen nicht vor, weil bei Erlass der Bewilligungsbescheide vom 31. August 2016 und vom 10. März 2017 das Recht nicht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist. Die Dauerverwaltungsakte durften auch auf Grund der rückwirkenden Zuerkennung des Merkzeichens G ab 28. Oktober 2014 für den streitigen Zeitraum so erlassen werden.
Für die streitige Zeit vom 1. August 2016 bis 30. Juni 2017 bestimmt sich der Anspruch der voll erwerbsgeminderten Klägerin auf Leistungen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung nach den Vorschriften der §§ 41 ff SGB XII. Diese umfassen nach § 42 Satz 1 Nr. 3 SGB XII u.a. die Mehrbedarfe nach § 30 SGB XII. Nach § 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII wird für Personen, die die Altersgrenze nach § 41 Abs. 2 noch nicht erreicht haben - dies ist bei der Klägerin der Fall - , voll erwerbsgemindert nach dem Sechsten Buch sind - dies ist die Klägerin - und durch einen Bescheid der nach § 69 Abs. 4 SGB IX zuständigen Behörde oder einen Ausweis nach § 69 Abs. 5 SGB IX die Feststellung des Merkzeichens G nachweisen, ein Mehrbedarf von 17 v.H. der maßgebenden Regelbedarfsstufe anerkannt, soweit nicht im Einzelfall ein abweichender Bedarf besteht. Über beide Dokumente verfügte die Klägerin - unabhängig von den übrigen Tatbestandsvoraussetzungen für den Bezug von Leistungen nach dem SGB XII - in dem streitbefangenen Zeitraum jedenfalls nicht. Danach knüpft der Mehrbedarfszuschlag wegen Einschränkung des Gehvermögens seither an den Nachweis der Feststellung des Merkzeichens G durch einen Bescheid oder einen entsprechenden Schwerbehindertenausweis, während die vorherige Fassung den Mehrbedarf noch ausschließlich von dem Besitz eines Ausweises nach dem SGB IX mit dem Merkzeichen G abhängig machte (§ 30 Abs. 1 Nr. 2 SGB XII in der Fassung des Gesetzes zur Einordnung des Sozialhilferechts in das Sozialgesetzbuch vom 27.12.2003 - BGBl I 3022). Die Vorgängerregelung hat das Bundessozialgericht (BSG, Urteil vom 10.11.2011 – B 8 SO 12/10 R –, juris) in einem gleichgelagerten Fall dahingehend ausgelegt, dass der Mehrbedarf des § 30 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII a.F. tatbestandlich mit der Ausstellung eines Schwerbehindertenausweises und der Zuerkennung des Merkzeichens G verbunden ist; allein der Zeitpunkt der Feststellungswirkung des Merkzeichens G ist zur Erfüllung der Anspruchsvoraussetzungen nicht ausreichend. Anders als die Feststellung des Nachteilsausgleichs G selbst, die für die Zeit davor Wirkung entfaltet, wird der "Besitz" nicht rückwirkend eingeräumt. Dies wurde auch damit begründet, dass nach § 40 Abs. 1 SGB I Ansprüche auf Sozialleistungen erst mit Vorliegen der im Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes bestimmten Voraussetzungen entstehen, was im Umkehrschluss bedeutet, dass vor dieser Zeit kein Anspruch nach den bezeichneten Vorschriften besteht. Auch Sinn und Zweck der Regelungen - Nachweiszwecke, Verwaltungspraktikabilität und Verwaltungsvereinfachung, keine eigenen Ermittlungen des Sozialhilfeträgers für die Gewährung eines typisierten, pauschalierten Mehrbedarfs (BSG aaO Rn. 20) - rechtfertigen keine erweiternde Auslegung. Eine Anknüpfung an das Vorliegen der Voraussetzungen für die Erteilung des Schwerbehindertenausweises ist nicht gerechtfertigt, da die Gültigkeit des Ausweises in der Regel der Tag des Eingangs des Antrags auf eine entsprechende Feststellung sei. Wollte man auch bei dem typisierten Mehrbedarf nach dem SGB XII auf den Status des Schwerbehinderten und die Berechtigung zur Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen abstellen, führte dies bei vorangegangenem Leistungsbezug in jedem Falle zu einer rückwirkenden Leistung pauschalierter Mehrbedarfe für die Vergangenheit. Dies würde bedeuten, dass eine Korrektur praktisch in allen Fällen, in denen ein Antrag nach dem SGB IX gestellt wird, im Gesetz bereits angelegt wäre, was der Zielsetzung widerspricht (BSG aaO Rn. 21). Verfassungsrechtliche Bedenken sind verneint worden. Ob diese Auslegung auch für die Zeit ab 7. Dezember 2006 gilt, hat das BSG offen gelassen (Rn. 22).
Der Senat vertritt die Auffassung, dass sich die Rechtslage durch die Änderung in § 30 Abs. 1 SGB XII durch das Gesetz zur Änderung des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 2. Dezember 2006 (BGBl I 2670) nicht dahingehend geändert hat, dass nun auf die Feststellungswirkung des Nachteilsausgleichs G oder das Vorliegen seiner Voraussetzungen abzustellen ist. Die neue Rechtslage hat sich nur insoweit verändert, als nun nicht mehr nur ein Ausweis, sondern auch der Bescheid der zuständigen Behörde zum Nachweis ausreicht. Diesen Schluss zieht der Senat insbesondere aus der amtlichen Begründung (BT-Drucks 16/2711, S. 11 zu Nr. 8) zur Änderung des Abs. 1. Darin heißt es:
"Nach derzeitiger Rechtslage ist der Mehrbedarf davon abhängig, dass die Leistungsberechtigten tatsächlich einen entsprechenden Schwerbehindertenausweis besitzen; der Besitz eines entsprechenden Feststellungsbescheides nach dem Neunten Buch Sozialgesetzbuch reicht nicht aus. Dies hat zur Folge, dass der Mehrbedarf auch erst ab dem Zeitpunkt der Ausstellung des Schwerbehindertenausweises und damit regelmäßig erst mehrere Wochen nach Bekanntgabe des Feststellungsbescheides in Anspruch genommen werden kann (OVG Lüneburg – Beschlüsse vom 16. Juli 2001 – AZ: 12 PA 2413/01 – FEVS 2002, 445 und vom 14. Januar 2004 – AZ: 12 PA 562/03). Bescheid und Ausweis haben faktisch denselben Beweiswert. Außerdem kann ein Teil der betroffenen Leistungsberechtigten – bis auf den Mehrbedarf – keine der mit dem Ausweis verbundenen Vorteile nutzen, d. h. die Mehrzahl dieser Leistungsberechtigten würde voraussichtlich auf Grund der vorgesehenen Änderung in Zukunft auf die Ausstellung des Ausweises verzichten. Die vorgesehene Änderung erleichtert somit den Zugang der Leistungsberechtigten zu den ihnen zustehenden Leistungen, indem es sie von nicht erforderlichen Behördengängen bzw. vermeidbarem Schriftverkehr mit Behörden entlastet. Sie trägt dadurch gleichzeitig bei den für das Feststellungsverfahren zuständigen Behörden und den Trägern der Sozialhilfe zum Abbau von Verwaltungsaufwand bei."
Dadurch wird klar, dass auf Grund des Auseinanderfallens der Zeitpunkte des Erlasses des Feststellungsbescheids und der Ausstellung des Ausweises die Betroffenen bezogen darauf zum früheren Zeitpunkt den Mehrbedarf in Anspruch nehmen können sollten, nämlich bereits regelmäßig mehrere Wochen früher mit dem Feststellungsbescheid sollte dies möglich sein. Allein diese Verzögerung wollte der Gesetzgeber beseitigen. Die Möglichkeit hierzu besteht, weil Feststellungsbescheid und Ausweis den gleichen Beweiswert haben. Neben der Erleichterung für die Betroffenen wird nach wie vor der Abbau von Verwaltungsaufwand zur Begründung angeführt. Auch ist in der Begründung wie in der Vorgängerregelung "der Besitz" des Schwerbehindertenausweises oder eines Feststellungsbescheides benannt. Von daher ist davon auszugehen, dass die Neuformulierung "die Feststellung des Merkzeichens G nachweisen" gegenüber "bei Besitz" eines Schwerbehindertenausweises lediglich eine semantische Verfeinerung aber keine grundsätzliche sachliche Änderung herbeiführen sollte. Anhaltspunkte dafür, dass für die Inanspruchnahme des Mehrbedarfs auf einen noch früheren Zeitpunkt abzustellen sein sollte, ergeben sich hieraus gerade nicht.
Daraus folgt, dass es weiterhin nicht genügt, dass lediglich die materiellen Voraussetzungen für die Erteilung eines Ausweises nach § 69 Abs. 5 SGB IX mit dem Merkzeichen G vorliegen. Nach dem klaren Gesetzeswortlaut muss ein entsprechender Bescheid der nach § 69 Abs. 4 SGB IX zuständigen Stelle ergangen sein oder der Ausweis vorliegen, um den Mehrbedarf zu begründen (so nun eindeutig Adolph in Linhart/Adolph , SGB II, SGB XII, AsylbLG, Stand Mai 2013, § 30 Rn. 13). Dem Ausweis steht jetzt der Feststellungsbescheid gleich, da beide denselben Beweiswert haben. Damit wird der Zugang zu den Leistungen erleichtert. Nicht ausreichend ist es also, wenn nur ein Antrag gestellt worden ist, aber noch kein Bescheid oder Ausweis vorliegt. Eine rückwirkende Gewährung kommt auch in diesen Fällen nicht in Betracht (Dauber in Mergler/Zink, SGB XII, 19. Lfg, Stand September 2011, § 30 Rn. 12; ebenso Wenzel in Fichtner/Wenzel, SGB XII, 4. Aufl., § 30 Rn. 7; Scheider in Schellhorn/Schellhorn/Hohm, SGB XII, 18. Aufl., § 30 Rn. 9; Schwengers in Kruse/Reinhard/Winkler SGB XII, 3. Aufl. 2012, § 30 Rn. 3; a.A. Grube in Grube/Wahrendorf SGB XII, 4. Aufl. § 30 Rn. 8, Münder in LPK SGB XII 9. Aufl., § 30 Rn. 6 unter Bezugnahme auf Grube/Wahrendorf).
Die nach der Entscheidung des BSG (aaO) ergangenen Urteile des Hessischen Landessozialgerichts (Hess. LSG, Urteil vom 20. März 2013 – L 6 SO 73/10 –, juris Rn 51) und des Sozialgerichts Freiburg (SG Freiburg, Urteil vom 6. Dezember 2012 – S 6 SO 24/10 –, juris) lassen keine anderen Schlussfolgerungen zu, weil die dortigen Sachverhalte nicht vergleichbar sind. Im einen Fall hatte sich der Beklagte bereit erklärt einen Mehrbedarf rückwirkend ab dem Gültigkeitstag des Schwerbehindertenausweises anzuerkennen. Im anderen Fall war der Ausweis schon lange ausgestellt gewesen, nur dem Sozialhilfeträger erst Jahre später vorgelegt worden.
Die vom SG angenommenen Schutzlücken für die Betroffenen liegen nicht vor. Das BSG (aaO, Rn. 28) hat in seiner Entscheidung aufgezeigt, wie bei einer längeren Wartezeit auf die Entscheidung des Versorgungsamts oder bis zum Ende eines über das Merkzeichen G geführten Rechtsstreits der erhöhte finanzielle Aufwand zum Ausgleich der Behinderung durch Nachweis des Bedarfs im einzelnen ggf. gem. § 28 Abs. 1 Satz 2 SGB XII ( in der bis 31. Dezember 2010 geltenden Fassung) bzw. § 27a Abs. 4 Satz 1 SGB XII (in der ab 1. Januar 2011 gültigen Fassung) geltend gemacht werden kann und das Existenzminimum gesichert wird. Dies ist jedoch wie oben ausgeführt vorliegend nicht Streitgegenstand.
Der Berufung des Beklagten war daher stattzugeben und das Urteil des SG aufzuheben sowie die Klage abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG liegen nicht vor.
Rechtskraft
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