Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Aachen (NRW)
Sachgebiet
Kindergeld-/Erziehungsgeldangelegenheiten
Abteilung
8
1. Instanz
SG Aachen (NRW)
Aktenzeichen
S 8 (4) KG 6/02
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Der Bescheid vom 16.04.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.06.2002 wird aufgehoben. Die Beklagte wird verurteilt, das dem Kläger nach dem 04.01.1991 bewilligte Kindergeld gemäß § 21 BKGG zu überprüfen. Im übrigen wird die Klage abgewiesen. Die Beklagte hat ¾ der Kosten des Klägers zu erstatten.
Tatbestand:
Streitig ist die Verpflichtung der Beklagten zur Neuberechnung des dem Kläger gewährten Kindergeldes.
Der am 00.00.1939 geborene Kläger ist Vater von 4 Kindern (I, geb. 0000; T, geb. 0000; L, geb. 0000 und B, geb. 0000). Der Kläger ist P a. D., seit April 1986 ist er im Ruhestand. Der Kläger bezog - zuletzt für B - bis November 1999 Kindergeld.
Mit Schreiben vom 29.12.1990 (eingegangen bei der Beklagten am 04. Januar 1991) beantragte der Kläger höheres Kindergeld. Der Antrag hatte folgenden Wortlaut: "Hiermit beantrage ich gemäß § 44 SGB X, rückwirkend ab 1986 ein höheres Kindergeld, da die gesetzliche Regelung laut Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (1 BvL 20/84, 26/84, 04/86) verfassungswidrig war uns ist. Gleichzeitig bitte ich, die Entscheidung bis zu einer gesetzlichen Neuregelung beziehungsweise bis zur Entscheidung des laufenden Verfahrens 1 BvR 1022/88 auszusetzen und verweise dabei auf den entsprechenden Erlaß der Bundesanstalt für Arbeit vom 13. August 1990. Erlasse anderer Behörden diesbezüglich sind mit leider nicht bekannt."
Die Beklagte teilte dem Kläger daraufhin am 04.02.1991 mit, die Angelegenheit werde bearbeitet und der Kläger erhalte weitere Nachricht.
Mit Bescheid vom 16.04.2002 lehnte die Beklagte den von ihr als "Antrag vom 29.12.1990 auf Überprüfung bestandskräftig (bindend) gewordener Kindergeldbewilligungen ab 01.01.1986" bezeichneten Antrag ab. Zwar habe das Bundesverfassungsgericht zwischenzeitlich in drei Entscheidungen vom 10. November 1998 den Familienlastenausgleich in bestimmten Fällen als nicht ausreichend angesehen. Gemäß § 21 BKGG sei - soweit eine steuerliche Nachbesserung durch das Finanzamt nicht mehr vorgenommen werden könne, weil die Steuerfestsetzungen bindend sind - die Nachzahlung eines zusätzlichen Kindergeldes nur vorgesehen, wenn der Betroffene Rechtsbehelfe ("Widerspruch, Klage, Berufung, Revision") eingelegt habe. Die dem Kläger erteilten Kindergeldbewilligungen seien von ihm nicht durch Rechtsbehelf angefochten und damit bindend geworden.
Im Widerspruchsverfahren meinte der Kläger, die Beklagte habe redlicherweise das Schreiben vom 29.12.1990 als Widerspruch ansehen müssen. Zwar habe er dieses nicht ausdrücklich als "Widerspruch" bezeichnet, inhaltlich habe die Beklagte jedoch dem Schreiben entnehmen können, dass er mit den Kindergeldfestsetzungen in gesetzlicher Höhe nicht einverstanden sei. Er habe die Zwischennachricht der Beklagten vom 04.02.1991 dahingehend verstanden, dass es weiterer Rechtsbehelfe seinerseits nicht bedürfe.
Mit Bescheid vom 20.06.2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie führte aus, ein Antrag nach § 44 SGB X sei kein die Bestandkraft im Sinne des § 21 BKGG hindernder Rechtsbehelf, weshalb eine Neuberechnung nicht in Betracht komme.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die am 15.07.2002 erhobene Klage. Der Kläger wiederholt und vertieft sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren und meint ergänzend, jedenfalls habe die Beklagte ihn darauf hinweisen müssen, dass das Schreiben vom 29.12.1990 als Widerspruch nicht ausreichend sei.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 16.04.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.06.2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, das ihm bewilligte Kindergeld gemäß § 21 BKGG neu zu berechnen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie meint weiterhin, das Schreiben vom 29.12.1990 hindere den Eintritt der Bestandskraft der Kindergeldbewilligungen nicht. Eine Beratungspflicht habe sie nicht verletzt, weil sie nicht verpflichtet sei, auf eine mögliche Verfassungswidrigkeit gesetzlicher Vorschriften hinzuweisen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und im Wesentlichen begründet. Soweit die Beklagte die Überprüfung der Kindergeldbewilligungen nach dem 04.01.1991 ablehnt, ist der angefochtene Bescheid rechtswidrig im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Die Beklagte ist insoweit zu einer Neuberechnung verpflichtet.
Gemäß § 21 Satz 1 BKGG kommt eine von den §§ 10 und 11 BKGG in der jeweils geltenden Fassung abweichende Bewilligung von Kindergeld nur in Betracht, wenn die Entscheidung über die Höhe des Kindergeldanspruchs für Monate in dem Zeitraum zwischen 01. Januar 1983 und dem 31. Dezember 1995 noch nicht bestandskräftig geworden ist und wenn die Einkommenssteuer formell bestandskräftig und hinsichtlich der Höhe der Kinderfreibeträge nicht vorläufig festgesetzt sowie das Existenzminimum des Kindes nicht unter der Maßgabe des § 53 des Einkommenssteuergesetzes steuerfrei belassen worden ist.
Während die steuerrechtlichen Entscheidungen nach Aktenlage nicht mehr anfechtbar sind, ist die Entscheidung der Beklagten über die Höhe des Kindergeldanspruchs für Monate nach dem 04.01.1991 noch nicht bestandskräftig geworden.
Wird der gegen einen Verwaltungsakt gegebene Rechtsbehelf nicht oder erfolglos eingelegt, so ist der Verwaltungsakt für die Beteiligten gemäß § 77 SGG in der Sache bindend.
Der Kläger hat mit den Schreiben vom 29.12.1990 mit Wirkung ab dem 04.01.1991 einen Rechtsbehelf im Sinne dieser Vorschrift eingelegt.
Die Auslegung auch einer Behörde gegenüber abzugebenden Erklärung richtet sich nach den Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB, das heißt, dass unter Berücksichtigung des Empfängerhorizontes der wirkliche Wille zu erforschen ist und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdruckes zu haften ist. Im Geltungsbereich des Sozialgesetzbuches ist die Behörde zudem gemäß § 2 Abs. 2 SGB I verpflichtet sicherzustellen, dass die sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden. Schließlich bestimmt § 16 Abs. 3 SGB I, dass die Leistungsträger verpflichtet sind, darauf hinzuwirken, dass unverzüglich klare und sachdienliche Anträge gestellt und unvollständige Angaben ergänzt werden. Die Form des Widerspruchs ist in § 84 Abs. 1 SGG allein dahingehend bestimmt, dass dieser schriftlich oder zur Niederschrift bei der Stelle einzureichen ist, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Das SGG gibt damit keine nähren Vorgaben über die Ausgestaltung eines Widerspruchs, insbesondere muss der Rechtsbehelf nicht ausdrücklich als Widerspruch bezeichnet sein. Es genügt, dass zum Ausdruck kommt, dass der Betroffene sich durch den Verwaltungsakt beeinträchtigt fühlt und eine Überprüfung durch die Verwaltung anstrebt. Schließlich ergibt sich aus § 86 Abs. 1 SGG, dass ein Widerspruch auch noch nicht ergangene Verwaltungsakte erfassen kann, denn nach dieser Vorschrift wird auch eine neuer Verwaltungsakt, der einen angefochtenen Verwaltungsakt abändert, Gegenstand des Vorverfahrens. (vergleiche hierzu insgesamt Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage, Rn. 2 ff. zu § 84).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist das Schreiben vom 29.12.1990 als Widerspruch auszulegen. Denn der Kläger hat für die Beklagte hinreichend deutlich zu erkennen gegeben, dass er im Hinblick auf vor dem Bundesverfassungsgericht anhängige Verfahren mit der Höhe des ihm bewilligten Kindergeldes nicht einverstanden ist.
Allerdings hat er ausdrücklich ausgeführt, dass er den Antrag auf § 44 SGB X stützt, diese Vorschrift lässt indes nur die Überprüfung in der Vergangenheit erlassener bestandskräftiger Bescheide zu. Allerdings ist der Kläger für die Beklagte erkennbar juristischer Laie. Die Beklagte ist daher - § 133 BGB - nicht berechtigt, den Kläger an dieser ausdrücklichen Formulierung festzuhalten und den Antrag allein als in die Vergangenheit gerichtet auszulegen. Auch war für die Beklagte erkennbar, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Antragstellung laufend Kindergeld bezog und es für ihn daher keinerlei Sinn gemacht hätte, lediglich die bereits ergangenen Kindergeldbescheide überprüfen zu lassen.
Die Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass sie den Kindergeldbewilligungsbescheiden regelmäßig Rechtsbehelfsbelehrungen beigefügt hat. Denn sie hat dem Kläger mit Schreiben vom 04.02.1991 ausdrücklich mitgeteilt, dass die Angelegenheit "bearbeit wird". Der Kläger durfte dies so verstehen, dass er keiner weiteren Handlungen seinerseits bedurfte, um die Überprüfung der Kindergeldhöhe sicherzustellen. Hierzu hätte es der Beklagten im Rahmen der Beratungspflicht (§ 16 Abs. 3 SGB I, siehe auch § 14 Satz 1 SGB I) oblegen, den Kläger darauf hinzuweisen, dass nach ihrer Auffassung das Schreien vom 29.12.1990 allein die bereits erteilten Bewilligungsbescheide erfasst und zur Hinderung der Bestandskraft weiterer Bescheide ausdrückliche Erklärungen des Klägers erforderlich sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Streitig ist die Verpflichtung der Beklagten zur Neuberechnung des dem Kläger gewährten Kindergeldes.
Der am 00.00.1939 geborene Kläger ist Vater von 4 Kindern (I, geb. 0000; T, geb. 0000; L, geb. 0000 und B, geb. 0000). Der Kläger ist P a. D., seit April 1986 ist er im Ruhestand. Der Kläger bezog - zuletzt für B - bis November 1999 Kindergeld.
Mit Schreiben vom 29.12.1990 (eingegangen bei der Beklagten am 04. Januar 1991) beantragte der Kläger höheres Kindergeld. Der Antrag hatte folgenden Wortlaut: "Hiermit beantrage ich gemäß § 44 SGB X, rückwirkend ab 1986 ein höheres Kindergeld, da die gesetzliche Regelung laut Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (1 BvL 20/84, 26/84, 04/86) verfassungswidrig war uns ist. Gleichzeitig bitte ich, die Entscheidung bis zu einer gesetzlichen Neuregelung beziehungsweise bis zur Entscheidung des laufenden Verfahrens 1 BvR 1022/88 auszusetzen und verweise dabei auf den entsprechenden Erlaß der Bundesanstalt für Arbeit vom 13. August 1990. Erlasse anderer Behörden diesbezüglich sind mit leider nicht bekannt."
Die Beklagte teilte dem Kläger daraufhin am 04.02.1991 mit, die Angelegenheit werde bearbeitet und der Kläger erhalte weitere Nachricht.
Mit Bescheid vom 16.04.2002 lehnte die Beklagte den von ihr als "Antrag vom 29.12.1990 auf Überprüfung bestandskräftig (bindend) gewordener Kindergeldbewilligungen ab 01.01.1986" bezeichneten Antrag ab. Zwar habe das Bundesverfassungsgericht zwischenzeitlich in drei Entscheidungen vom 10. November 1998 den Familienlastenausgleich in bestimmten Fällen als nicht ausreichend angesehen. Gemäß § 21 BKGG sei - soweit eine steuerliche Nachbesserung durch das Finanzamt nicht mehr vorgenommen werden könne, weil die Steuerfestsetzungen bindend sind - die Nachzahlung eines zusätzlichen Kindergeldes nur vorgesehen, wenn der Betroffene Rechtsbehelfe ("Widerspruch, Klage, Berufung, Revision") eingelegt habe. Die dem Kläger erteilten Kindergeldbewilligungen seien von ihm nicht durch Rechtsbehelf angefochten und damit bindend geworden.
Im Widerspruchsverfahren meinte der Kläger, die Beklagte habe redlicherweise das Schreiben vom 29.12.1990 als Widerspruch ansehen müssen. Zwar habe er dieses nicht ausdrücklich als "Widerspruch" bezeichnet, inhaltlich habe die Beklagte jedoch dem Schreiben entnehmen können, dass er mit den Kindergeldfestsetzungen in gesetzlicher Höhe nicht einverstanden sei. Er habe die Zwischennachricht der Beklagten vom 04.02.1991 dahingehend verstanden, dass es weiterer Rechtsbehelfe seinerseits nicht bedürfe.
Mit Bescheid vom 20.06.2002 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Sie führte aus, ein Antrag nach § 44 SGB X sei kein die Bestandkraft im Sinne des § 21 BKGG hindernder Rechtsbehelf, weshalb eine Neuberechnung nicht in Betracht komme.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die am 15.07.2002 erhobene Klage. Der Kläger wiederholt und vertieft sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren und meint ergänzend, jedenfalls habe die Beklagte ihn darauf hinweisen müssen, dass das Schreiben vom 29.12.1990 als Widerspruch nicht ausreichend sei.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 16.04.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.06.2002 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, das ihm bewilligte Kindergeld gemäß § 21 BKGG neu zu berechnen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie meint weiterhin, das Schreiben vom 29.12.1990 hindere den Eintritt der Bestandskraft der Kindergeldbewilligungen nicht. Eine Beratungspflicht habe sie nicht verletzt, weil sie nicht verpflichtet sei, auf eine mögliche Verfassungswidrigkeit gesetzlicher Vorschriften hinzuweisen.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze und die übrige Gerichtsakte sowie die beigezogene Verwaltungsakte, deren wesentlicher Inhalt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist zulässig und im Wesentlichen begründet. Soweit die Beklagte die Überprüfung der Kindergeldbewilligungen nach dem 04.01.1991 ablehnt, ist der angefochtene Bescheid rechtswidrig im Sinne des § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG. Die Beklagte ist insoweit zu einer Neuberechnung verpflichtet.
Gemäß § 21 Satz 1 BKGG kommt eine von den §§ 10 und 11 BKGG in der jeweils geltenden Fassung abweichende Bewilligung von Kindergeld nur in Betracht, wenn die Entscheidung über die Höhe des Kindergeldanspruchs für Monate in dem Zeitraum zwischen 01. Januar 1983 und dem 31. Dezember 1995 noch nicht bestandskräftig geworden ist und wenn die Einkommenssteuer formell bestandskräftig und hinsichtlich der Höhe der Kinderfreibeträge nicht vorläufig festgesetzt sowie das Existenzminimum des Kindes nicht unter der Maßgabe des § 53 des Einkommenssteuergesetzes steuerfrei belassen worden ist.
Während die steuerrechtlichen Entscheidungen nach Aktenlage nicht mehr anfechtbar sind, ist die Entscheidung der Beklagten über die Höhe des Kindergeldanspruchs für Monate nach dem 04.01.1991 noch nicht bestandskräftig geworden.
Wird der gegen einen Verwaltungsakt gegebene Rechtsbehelf nicht oder erfolglos eingelegt, so ist der Verwaltungsakt für die Beteiligten gemäß § 77 SGG in der Sache bindend.
Der Kläger hat mit den Schreiben vom 29.12.1990 mit Wirkung ab dem 04.01.1991 einen Rechtsbehelf im Sinne dieser Vorschrift eingelegt.
Die Auslegung auch einer Behörde gegenüber abzugebenden Erklärung richtet sich nach den Grundsätzen der §§ 133, 157 BGB, das heißt, dass unter Berücksichtigung des Empfängerhorizontes der wirkliche Wille zu erforschen ist und nicht an dem buchstäblichen Sinne des Ausdruckes zu haften ist. Im Geltungsbereich des Sozialgesetzbuches ist die Behörde zudem gemäß § 2 Abs. 2 SGB I verpflichtet sicherzustellen, dass die sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden. Schließlich bestimmt § 16 Abs. 3 SGB I, dass die Leistungsträger verpflichtet sind, darauf hinzuwirken, dass unverzüglich klare und sachdienliche Anträge gestellt und unvollständige Angaben ergänzt werden. Die Form des Widerspruchs ist in § 84 Abs. 1 SGG allein dahingehend bestimmt, dass dieser schriftlich oder zur Niederschrift bei der Stelle einzureichen ist, die den Verwaltungsakt erlassen hat. Das SGG gibt damit keine nähren Vorgaben über die Ausgestaltung eines Widerspruchs, insbesondere muss der Rechtsbehelf nicht ausdrücklich als Widerspruch bezeichnet sein. Es genügt, dass zum Ausdruck kommt, dass der Betroffene sich durch den Verwaltungsakt beeinträchtigt fühlt und eine Überprüfung durch die Verwaltung anstrebt. Schließlich ergibt sich aus § 86 Abs. 1 SGG, dass ein Widerspruch auch noch nicht ergangene Verwaltungsakte erfassen kann, denn nach dieser Vorschrift wird auch eine neuer Verwaltungsakt, der einen angefochtenen Verwaltungsakt abändert, Gegenstand des Vorverfahrens. (vergleiche hierzu insgesamt Meyer-Ladewig, SGG, 7. Auflage, Rn. 2 ff. zu § 84).
Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist das Schreiben vom 29.12.1990 als Widerspruch auszulegen. Denn der Kläger hat für die Beklagte hinreichend deutlich zu erkennen gegeben, dass er im Hinblick auf vor dem Bundesverfassungsgericht anhängige Verfahren mit der Höhe des ihm bewilligten Kindergeldes nicht einverstanden ist.
Allerdings hat er ausdrücklich ausgeführt, dass er den Antrag auf § 44 SGB X stützt, diese Vorschrift lässt indes nur die Überprüfung in der Vergangenheit erlassener bestandskräftiger Bescheide zu. Allerdings ist der Kläger für die Beklagte erkennbar juristischer Laie. Die Beklagte ist daher - § 133 BGB - nicht berechtigt, den Kläger an dieser ausdrücklichen Formulierung festzuhalten und den Antrag allein als in die Vergangenheit gerichtet auszulegen. Auch war für die Beklagte erkennbar, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Antragstellung laufend Kindergeld bezog und es für ihn daher keinerlei Sinn gemacht hätte, lediglich die bereits ergangenen Kindergeldbescheide überprüfen zu lassen.
Die Beklagte kann sich auch nicht mit Erfolg darauf berufen, dass sie den Kindergeldbewilligungsbescheiden regelmäßig Rechtsbehelfsbelehrungen beigefügt hat. Denn sie hat dem Kläger mit Schreiben vom 04.02.1991 ausdrücklich mitgeteilt, dass die Angelegenheit "bearbeit wird". Der Kläger durfte dies so verstehen, dass er keiner weiteren Handlungen seinerseits bedurfte, um die Überprüfung der Kindergeldhöhe sicherzustellen. Hierzu hätte es der Beklagten im Rahmen der Beratungspflicht (§ 16 Abs. 3 SGB I, siehe auch § 14 Satz 1 SGB I) oblegen, den Kläger darauf hinzuweisen, dass nach ihrer Auffassung das Schreien vom 29.12.1990 allein die bereits erteilten Bewilligungsbescheide erfasst und zur Hinderung der Bestandskraft weiterer Bescheide ausdrückliche Erklärungen des Klägers erforderlich sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
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