Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
8
1. Instanz
SG Chemnitz (FSS)
Aktenzeichen
S 21 SO 283/17 ER
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 8 SO 123/17 B ER
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
1. Leistungen der Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung durch den Träger der Eingliederungshilfe sind auch an Förderschulen denkbar.
2. Die schulrechtlichen Pflichten der Schulträger zur behinderungsgerechten Beschulung behinderter Kinder können den allein sozialhilferechtlich zu bestimmenden pädagogischen Kernbereich, der der Zuständigkeit des Eingliederungshilfeträgers entzogen ist, weder erweitern noch beschränken.
3. Kommt der Schulträger seinen über den pädagogischen Kernbereich hinausgehenden schulrechtlichen Pflichten zur behinderungsgerechten Beschulung behinderter Kinder an Förderschulen (hier: Schule für Hörgeschädigte) nicht nach, ist der Sozialhilfeträger verpflichtet, die erforderlichen Leistungen (hier: Gärdensprachdolmetscher) als Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung im Rahmen der Eingliederungshilfe zu erbringen.
4. Die Möglichkeit des Sozialhilfeträgers, die vorrangige Verpflichtung des Schulträgers für außerhalb des pädagogischen Kernbereichs liegende Leistungen nach Überleitung der aus dem Schulrecht resultierenden Ansprüche gegen den Schulträger in einem gesonderten Verfahren geltend zu machen, bleibt unberührt.
2. Die schulrechtlichen Pflichten der Schulträger zur behinderungsgerechten Beschulung behinderter Kinder können den allein sozialhilferechtlich zu bestimmenden pädagogischen Kernbereich, der der Zuständigkeit des Eingliederungshilfeträgers entzogen ist, weder erweitern noch beschränken.
3. Kommt der Schulträger seinen über den pädagogischen Kernbereich hinausgehenden schulrechtlichen Pflichten zur behinderungsgerechten Beschulung behinderter Kinder an Förderschulen (hier: Schule für Hörgeschädigte) nicht nach, ist der Sozialhilfeträger verpflichtet, die erforderlichen Leistungen (hier: Gärdensprachdolmetscher) als Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung im Rahmen der Eingliederungshilfe zu erbringen.
4. Die Möglichkeit des Sozialhilfeträgers, die vorrangige Verpflichtung des Schulträgers für außerhalb des pädagogischen Kernbereichs liegende Leistungen nach Überleitung der aus dem Schulrecht resultierenden Ansprüche gegen den Schulträger in einem gesonderten Verfahren geltend zu machen, bleibt unberührt.
I. Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 6. Dezember 2017 abgeändert und der Antragsgegner verpflichtet, vorläufig längstens jedoch bis zur Entscheidung in der Hauptsache Eingliederungshilfe in Form der Übernahme der Kosten für einen Gebärdensprachdolmetscher für den Besuch der Y ...-Schule, Schule für Hörgeschädigte, X ... im Schuljahr 2017/2018 im Umfang von 23 Unterrichtsstunden pro Woche ab 27. März 2018 zu tragen.
II. Der Antragsgegner hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtschutzes die vorläufige Übernahme der Kosten für einen Gebärdensprachdolmetscher als Schulassistenz.
Die 2001 geborene Antragstellerin ist hochgradig schwerhörig, nahezu gehörlos. Bei ihr sind ein Grad der Behinderung von 100 sowie die Merkzeichen B, G, H, RF und GI festgestellt. Sie ist beidseitig durch HdO-Geräte und mit einer FM-Anlage versorgt. Sie kann sich in der Gebärdensprache verständigen. Seit dem Schuljahr 2007/2008 besucht die Antragstellerin die Y ...-Schule, Schule für Hörgeschädigte in X ..., derzeit in der zehnten Klasse. Im laufenden Schuljahr strebt sie den Realschulabschluss an.
Am 22.06.2017 beantragte die Antragstellerin beim Antragsgegner die Übernahme der Kosten für eine Schulassistenz in Form eines Gebärdensprachdolmetschers für den Besuch der zehnten Klasse, da sie nur durch eine Kommunikation in deutscher Gebärdensprache dem Unterricht uneingeschränkt folgen und sich an Diskussionen beteiligen könne.
Auf Anforderung des Antragsgegners nahm die Klassenlehrerin der Antragstellerin mit Schreiben vom 24.08.2017 zum Antrag Stellung.
Mit Bescheid vom 04.09.2017 lehnte der Antragsgegner den Antrag ab. Die Lernbedingungen an Schulen für Hörgeschädigte seien so zu gestalten, dass die Hörschädigung und ihre Folgen den Erwerb des erforderlichen Wissens und Könnens wenig behinderten. Die Lehrkräfte müssten über die pädagogisch bedeutsamen Auswirkungen einer Hörschädigung hinreichend informiert sein, um ihre Erziehungsmaßnahmen und den Unterricht behinderungsgemäß und individuell gestalten zu können. Dazu gehörten auch gebärdensprachliche Kommunikationskompetenzen. Der Lehrer trage nach dem Schulgesetz für den Freistaat Sachsen (SchulG) die unmittelbare pädagogische Verantwortung für die Erziehung und Bildung der Schüler. Die Bildungsvermittlung sei damit nicht Aufgabe der Eingliederungshilfe. Hiergegen hat die Antragstellerin am 25.09.2017 Widerspruch eingelegt, über den noch nicht entschieden ist.
Am 07.11.2017 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Chemnitz (SG) den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt, den das Gericht mit Beschluss vom 06.12.2017 abgelehnt hat. Die Vermittlung des Unterrichtsinhaltes an Hörgeschädigte gehöre zum Kernbereich der pädagogischen Arbeit einer Schule für Hörgeschädigte. Den durch die Schulordnung für Förderschulen im Freistaat Sachsen (SOFS) definierten Aufgaben, werde die Schule nicht gerecht. Insoweit sei es nicht Aufgabe des Sozialhilfeträgers, sondern der Schulaufsichtsbehörde, tätig zu werden und die unzureichende Qualifikation der Lehrer auszugleichen.
Gegen den am 07.12.2017 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 28.12.2017 Beschwerde eingelegt. Zwar würden die Bildungs- und Wissensvermittlung an der Schule realisiert und die im Lehrplan dargelegten Bildungsinhalte vermittelt. Auch seien die Lehrkräfte an der Y ...-Schule über die pädagogisch bedeutsamen Auswirkungen einer Hörschädigung ausreichend informiert. Sie benötige jedoch aufgrund ihrer Taubheit überdurchschnittliche Unterstützung, die sich auf die Möglichkeit der Wahrnehmung der pädagogischen Inhalte beziehe. Da die Vermittlung lautsprachlich orientiert sei, könne sie, anders als ihre Mitschüler, die auf Gebärdensprache nicht angewiesen seien, dem Unterricht nur schwer folgen und bleibe damit immer hinter ihren eigentlichen Fähigkeiten und möglichen Leistungen zurück. Mit Unterstützung eines Gebärdensprachdolmetschers könne sie aktiver am Unterricht teilnehmen und Lernfortschritte erzielen, die ihr ohne barrierefreie Kommunikation in deutscher Gebärdensprache verwehrt blieben. Die Dolmetscherleistungen seien somit nicht als pädagogische Tätigkeit an sich sondern als Begleitung und Absicherung der pädagogischen Arbeit zu betrachten.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß, den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 6. Dezember 2017 aufzuheben und den Antragsgegner zu verpflichten, ihr vorläufig längstens jedoch bis zur Entscheidung in der Hauptsache Eingliederungshilfe in Form der Übernahme der Kosten für einen Gebärdensprachdolmetscher für den Besuch der Y ...-Schule, Schule für Hörgeschädigte, X ... im Schuljahr 2017/2018 im Umfang von 23 Unterrichtsstunden pro Woche zu tragen.
Der Antragsgegner beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen,
Er hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend.
Beigezogen waren die Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners. Auf diese und auf die Gerichtsakte wird ergänzend Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde der Antragstellerin ist begründet. Das SG hat den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtschutzes zu Unrecht abgelehnt.
Nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d. h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bzw. die besondere Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung [ZPO]). Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun der überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Bestehens von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können. Es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 07.04.2011 – B 9 VG 15/10 B – juris RdNr. 6).
1. Unter Berücksichtigung dessen hat die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch für die begehrte Regelungsanordnung hinreichend glaubhaft gemacht. Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Leistungen der Eingliederungshilfe im Sinne der §§ 53 ff. Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) liegen vor.
In Betracht kommt allein ein Anspruch auf Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu, nach § 53 i.V.m. § 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII, der in § 12 der Verordnung nach § 60 SGB XII – Eingliederungshilfe-Verordnung (EinglhV) konkretisiert wird.
Die Antragstellerin erfüllt – was zwischen den Beteiligten nicht streitig ist – die personenbezogenen Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII.
Die begehrte Assistenzleistung durch einen Gebärdensprachdolmetscher während der Unterrichtszeit ist vorliegend eine Hilfe zur angemessenen Schulbildung im Sinne des Sozialhilferechts, die nicht den Kernbereich pädagogischer Tätigkeit berührt, für den eine Zuständigkeit des Beklagten ausgeschlossen ist. Nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII i.V.m. § 12 EinglhV umfasst die Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung auch heilpädagogische sowie sonstige Maßnahmen zugunsten körperlich und geistig behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahme erforderlich und geeignet ist, dem behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen und zu erleichtern, also insoweit die Behinderungsfolgen zu beseitigen oder zu mildern (vgl. BSG, Urteil vom 09.12.2016 – B 8 SO 8/15 R – juris RdNr. 24 f.).
Wie bereits § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII verdeutlicht ("nach der Besonderheit des Einzelfalles"), liegt § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII i.V.m. § 12 Nr. 1 Eingliederungshilfe-VO ein individualisiertes Förderverständnis zugrunde (BSG, Urteil vom 29.09.2009 – B 8 SO 19/08 R – juris RdNr. 22). Eine Unterscheidung der Maßnahmen nach ihrer Art, etwa nach pädagogischen oder nichtpädagogischen bzw. begleitenden, ist rechtlich nicht geboten, weil grundsätzlich alle Maßnahmen in Betracht kommen, die im Zusammenhang mit der Ermöglichung einer angemessenen Schulbildung geeignet und erforderlich sind, die Behinderungsfolgen zu beseitigen oder zu mildern (BSG, Urteil vom 22.03.2013 – B 8 SO 30/10 R – juris RdNr. 21 m.w.N.). Deshalb können von der Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers auch Maßnahmen umfasst werden, die zum Aufgabenbereich der Schulverwaltung gehören. Ausgeschlossen sind allerdings Maßnahmen, die dem Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Schule zuzuordnen sind.
Der Kernbereich pädagogischer Tätigkeit wird durch die von der Antragstellerin begehrte Unterrichtsassistenz durch einen Gebärdensprachdolmetscher nicht berührt. Das BSG hat hierzu bereits unter Verweis auf § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2. Halbsatz SGB XII, wonach die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht von den Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung nach Maßgabe des Sozialhilferechts unberührt bleiben, ausgeführt (vgl. BSG, Urteil vom 23.08.2013 – B 8 SO 10/12 R – juris RdNr. 18), dass sich dieser Kernbereich schon aus systematischen Gründen nach Maßgabe – und entgegen der Auffassung des Beklagten, der hierzu auf landesrechtliche, schulrechtliche Bestimmungen abstellt – des Sozialhilferechts bestimmt. Schulrechtliche Verpflichtungen, bestehen demnach grundsätzlich neben den Sozialhilferecht. Dies hat zur Folge, dass im Kernbereich pädagogischer Tätigkeit keine, auch keine nachrangige Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers besteht, weil es sich um originär und ausschließlich schulrechtliche Verpflichtungen handelt. Allein mit der Entscheidung der Schulverwaltung über die Form der allgemeinen Schulpflicht ist noch keine Aussage darüber getroffen, ob und inwieweit zur Erfüllung dieser Pflicht Leistungen der Sozialhilfe zu gewähren sind. Der Kernbereich pädagogischer Tätigkeit ist danach nicht betroffen, wenn die begehrte Unterstützungsmaßnahme die eigentliche pädagogische Arbeit der Lehrkräfte nur absichert (begleitet). Er berührt deshalb alle integrierenden, beaufsichtigenden und fördernden Assistenzdienste nicht, die flankierend zum Unterricht erforderlich sind, damit der behinderte Mensch das pädagogische Angebot der Schule überhaupt wahrnehmen kann. Die Vorgabe und Vermittlung der Lerninhalte sowie der Unterricht selbst, seine Inhalte, das pädagogische Konzept der Wissensvermittlung wie auch die Bewertung der Schülerleistungen bleibt den Lehrkräften vorbehalten, ist damit dem Kernbereich der pädagogischen Arbeit zuzuordnen (BSG, Urteil vom 09.12.2016 – B 8 SO 8/15 R – juris RdNr. 24 f.).
Die anderslautende Auffassung des Beklagten, der sich das SG angeschlossen hat, wonach die Bestimmung des Kernbereichs pädagogischer Tätigkeit für die jeweilige Schulform nach Maßgabe der jeweils geltenden landesrechtlichen Vorschriften erfolgen müsse, ist nicht zu folgen. Ein solches Verständnis widerspricht bereits dem Wortlaut und der Systematik der für die Beurteilung des Hilfebedarfs der Antragstellerin allein maßgeblichen sozialhilferechtlichen Vorschriften. Das Verständnis, der pädagogische Kernbereich bestimme sich an einer Förderschule nicht in gleicher Weise wie an einer Regelschule, da dies anderenfalls zur Konsequenz habe, dass die Aufgaben der Förderschule nicht mehr von dieser, sondern von einer vom Träger der Sozialhilfe finanzierten Schulbegleitung wahrgenommen werden müssten, zielt darauf ab, aus dem Landesrecht resultierende Verpflichtungen der Schulverwaltung im Hinblick auf die Ausstattung der Schulen durchzusetzen. Die dahinter stehende Auffassung, dass das Landesschulrecht den Kernbereich der pädagogischen Arbeit regele, trifft indessen nicht zu, da Landesschulrecht gerade keinen sozialhilferechtlich bestimmten Kernbereich regeln kann. Der Begriff des "Kernbereichs pädagogischer Tätigkeit" ist gerade nicht schulrechtlicher Natur, sondern es handelt sich dabei um einen rein für das Sozialhilferecht entwickelten Begriff, für dessen Verständnis das Schulrecht ohne rechtliche Bedeutung ist (vgl. BSG, Urteil vom 09.12.2016 – B 8 SO 8/15 R – juris RdNr. 28 f.).
Dies bedeutet aber nicht, dass der Schulträger seinen in den schulrechtlichen Bestimmungen geregelten Pflichten nicht mehr nachzukommen hätte und seinen gesetzlichen Auftrag nicht mehr erfüllen müsste. Durch die gesetzliche Verpflichtung zur Art und Weise der Beschulung von Kindern und Jugendlichen an Förderschulen im Freistaat Sachen gehören vielmehr auch Bereiche zum Aufgabengebiet der Schule, die nicht dem Kernbereich der pädagogischen Arbeit zuzuordnen sind. In diesen Bereichen hat der Sozialhilfeträger nur nachrangig (vgl. § 2 Abs. 1 SGB XII) aufgrund des tatsächlichen Ausfalls jener Leistungen seitens des Schulträgers einzustehen. Die vorrangige Verpflichtung des Schulträgers auch für diese außerhalb des pädagogischen Kernbereichs liegenden Aufgaben kann der Sozialhilfeträger dann in einem gesonderten Verfahren nach Überleitung der aus dem Schulrecht resultierenden Ansprüche (vgl. § 93 SGB XII) gegen den Schulträger geltend machen (vgl. BSG, Urteil vom 09.12.2016 – B 8 SO 8/15 R – juris RdNr. 30).
Unter Berücksichtigung dessen steht der Antragstellerin ein Leistungsanspruch gegen den Antragsgegner zu. Die begehrte Unterstützung und Begleitung während des Unterrichts durch einen Gebärdensprachdolmetscher berührt nicht den Kernbereich der pädagogischen Arbeit.
Nach Auskunft der Klassenlehrerin der Antragstellerin gegenüber dem Beklagten vom 24.08.2017, ist es der Antragstellerin kaum möglich, Sprache auditiv wahrzunehmen. Die von ihr genutzte FM-Anlage bringe keine wesentliche Verbesserung, so dass sie Informationen im Wesentlichen über das Lippenablesen und vereinfachte Schrifttexte aufnehmen müsse. Über Gebärdensprache, könne sie dagegen Unterrichtsinhalte schnell und viel besser verstehen. Sie verfüge insoweit über einen umfangreichen Wortschatz und könne Sachverhalte gut darstellen. Einem Unterricht ohne Gebärdensprache könne sie nur sehr eingeschränkt folgen und verstehe auch Unterrichtsbeiträge ihrer Mitschüler nur sehr begrenzt. Dies limitiere eine aktive Teilnahme an Unterrichtsgesprächen und führe zu Frustrationen. Mit Hilfe der Lautsprache könne sie sich zwar verständlich aber nur unvollständig ausdrücken, was zu Missverständnissen führen könne. Zwar sei die Antragstellerin sehr motiviert, schulische Sachverhalte zu verstehen und zu begreifen. Wegen des Fehlens des durchgehenden Gebärdensprachangebots und des Umstandes, dass sie nur maximal 30 Prozent von den Lippen ablesen könne, erfordere dies von ihr jedoch ein hohes Maß an Konzentration und Fleiß, um Verständnislücken kognitiv über den Kontext zu schließen.
Darüber hinaus könne sie Unterrichtstexte nur unzureichend selbst erfassen, da ihre Muttersprache (Gebärdensprache) eine komplett andere Grammatikstruktur besitze und der eingeschränkte Wortschatz ebenfalls erschwerend auf das Textverständnis wirke. Durch diese besonderen Anforderungen lasse die Konzentration rasch nach, was bei einem Stundenpensum von sieben bis acht Unterrichtsstunden pro Tag sehr problematisch sei. Der Antragstellerin sei es damit nicht möglich ihr eigentliches Potential auszuschöpfen, da sie in einer "Fremdsprache", die sie nur schlecht beherrsche und auch nicht höre, kommunizieren müsse. Motivation und Leistung könnten gesteigert werden, wenn es ihr möglich wäre, sich komplett in deutscher Gebärdensprache ausdrücken zu können und ihr ebenso die Unterrichtsinhalte und Schülerbeiträge wiedergegeben würden. Sie könnte so mehr Bildungsinhalte quantitativ und qualitativ aufnehmen, sowie einen höheren Abschluss erzielen. Dem könne die Schule jedoch nicht gerecht werden. Die Lehrkräfte hätten nur zum Teil einen Grundlagenkurs in Gebärdensprache besucht. Zudem würde durch die unterschiedlichen Hörstörungen innerhalb der Klasse ein hohes didaktisches und sonderpädagogisches Geschick vom Lehrer abverlangt, dem er nicht immer in allen Facetten gerecht werden könne. Hilfe habe bislang nur durch eine neue Sitzordnung gefunden werden können, die es ermögliche, dass ihr ein Mitschüler als Unterrichtspate für sie wichtige Informationen gebärde.
Die bislang von der Schule vorgehalten Unterstützungsangebote, die sich in Schülerpatenschaften, einen Gebärdensprachenkurs für die fünften und siebenten Klassen sowie Grundkenntnisse der Lehrer in Gebärdensprache erschöpfen, reichen nicht aus, um den von der Klassenleiterin aufgezeigten Unterstützungsbedarf der Antragstellerin, der allein auf eine Begleitung der pädagogischen Arbeit gerichtet ist, ohne deren Kernbereich zu berühren, abzudecken. Der Beklagte ist damit als Sozialhilfeträger verpflichtet, die entsprechenden Leistungen als Eingliederungshilfe nach §§ 53 ff. SGB XII zu erbringen, da die notwendige Unterstützung derzeit tatsächlich nicht vom Schulträger erbracht wird, und diese unter Berücksichtigung der Auskunft der Klassenleiterin geeignet und erforderlich ist, den Schulbesuch der Antragstellerin jedenfalls zu erleichtern.
Ausgehend vom im Verwaltungsverfahren vorgelegten Wochenstundenplan umfasst der Anspruch auf Eingliederungshilfe die Unterstützung durch einen Gebärdensprachdolmetscher im Umfang von 23 Unterrichtsstunden wöchentlich. Dabei sind – insoweit vom Antragsgegner auch nicht in Abrede gestellt – die Unterstützungsleistungen für die Fächer Deutsch, Englisch, Geografie, Gemeinschaftskunde Biologie, Geschichte und Physik erforderlich. Für die Fächer Sport, Chemie, Ethik, Informatik und Fördern hat die Antragstellerin Eingliederungshilfe nicht beantragt.
Da bislang Dolmetscherleistungen nicht in Anspruch genommen worden sind bzw. angefallene Kosten nicht nachgewiesen wurden, können die Leistungen nur für die Zukunft gewährt werden. Denn Sozialhilfe dient nur der Behebung einer gegenwärtigen Notlage (sogenanntes Gegenwärtigkeitsprinzip) und ist nicht als nachträgliche Geldleistung ausgestaltet (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 – juris RdNr. 19; Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 04.02.1988 – 5 C 89/85 – juris RdNr. 9). Dieser Vorstellung folgt auch § 18 SGB XII. Danach setzt die Sozialhilfe ein, wenn dem Träger der Sozialhilfe bekannt wird, dass die Voraussetzungen für die Leistung vorliegen. Die Leistung ist also nicht zwingend von einem Antrag abhängig, sondern von einer Notlage und der Kenntnis hiervon.
Deshalb müssen Sozialhilfeleistungen für einen zurückliegenden Zeitraum auch nur dann erbracht werden, wenn die Notlage im Zeitpunkt der beanspruchten Hilfeleistung noch besteht, sie also den Bedarf des Hilfebedürftigen noch decken kann (BSG, Urteil vom 29.09.2009 – B 8 SO 16/08 R – juris RdNr. 13 f.). Dies setzt eine aktuelle Bedürftigkeit des Hilfesuchenden voraus. Sind Leistungen für einen bereits abgelaufenen Zeitraum – wie hier – rückwirkend (überhaupt) nicht mehr zu erbringen, da Leistungen auch nicht selbst beschafft worden sind, für die nunmehr eine Erstattung begehrt werden könnte, besteht ein Leistungsanspruch für diesen Zeitraum nicht. Weder kann die Sachleistung rückwirkend erbracht werden, noch sind erstattungsfähige Kosten für eine Ersatzbeschaffung angefallen.
2. Im tenorierten Umfang liegt ebenfalls ein Anordnungsgrund vor. Ein weiteres Abwarten einer abschließenden Entscheidung ist der Antragstellerin angesichts des Zeitablaufs und der ohnehin nur für das laufende Schuljahr beantragten Leistungen nicht zuzumuten. Zumal bislang über den Widerspruch noch nicht entschieden wurde. Es besteht damit die Gefahr, dass der Anspruch allein wegen Zeitablaufs nicht realisiert werden kann. Die Folgen einer Nichtgewährung der Unterstützung durch einen Gebärdensprachdolmetscher wiegen für die Antragstellerin damit schwerer als diejenige eines Kostenausfalls im Falle des Obsiegens in der Hauptsache für den Antragsgegner.
3. Die Kostentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar, § 177 SGG.
Dr. Wahl Fischer Schurigt
II. Der Antragsgegner hat die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Antragstellerin zu erstatten.
Gründe:
I.
Die Antragstellerin begehrt im Wege des einstweiligen Rechtschutzes die vorläufige Übernahme der Kosten für einen Gebärdensprachdolmetscher als Schulassistenz.
Die 2001 geborene Antragstellerin ist hochgradig schwerhörig, nahezu gehörlos. Bei ihr sind ein Grad der Behinderung von 100 sowie die Merkzeichen B, G, H, RF und GI festgestellt. Sie ist beidseitig durch HdO-Geräte und mit einer FM-Anlage versorgt. Sie kann sich in der Gebärdensprache verständigen. Seit dem Schuljahr 2007/2008 besucht die Antragstellerin die Y ...-Schule, Schule für Hörgeschädigte in X ..., derzeit in der zehnten Klasse. Im laufenden Schuljahr strebt sie den Realschulabschluss an.
Am 22.06.2017 beantragte die Antragstellerin beim Antragsgegner die Übernahme der Kosten für eine Schulassistenz in Form eines Gebärdensprachdolmetschers für den Besuch der zehnten Klasse, da sie nur durch eine Kommunikation in deutscher Gebärdensprache dem Unterricht uneingeschränkt folgen und sich an Diskussionen beteiligen könne.
Auf Anforderung des Antragsgegners nahm die Klassenlehrerin der Antragstellerin mit Schreiben vom 24.08.2017 zum Antrag Stellung.
Mit Bescheid vom 04.09.2017 lehnte der Antragsgegner den Antrag ab. Die Lernbedingungen an Schulen für Hörgeschädigte seien so zu gestalten, dass die Hörschädigung und ihre Folgen den Erwerb des erforderlichen Wissens und Könnens wenig behinderten. Die Lehrkräfte müssten über die pädagogisch bedeutsamen Auswirkungen einer Hörschädigung hinreichend informiert sein, um ihre Erziehungsmaßnahmen und den Unterricht behinderungsgemäß und individuell gestalten zu können. Dazu gehörten auch gebärdensprachliche Kommunikationskompetenzen. Der Lehrer trage nach dem Schulgesetz für den Freistaat Sachsen (SchulG) die unmittelbare pädagogische Verantwortung für die Erziehung und Bildung der Schüler. Die Bildungsvermittlung sei damit nicht Aufgabe der Eingliederungshilfe. Hiergegen hat die Antragstellerin am 25.09.2017 Widerspruch eingelegt, über den noch nicht entschieden ist.
Am 07.11.2017 hat die Antragstellerin beim Sozialgericht Chemnitz (SG) den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt, den das Gericht mit Beschluss vom 06.12.2017 abgelehnt hat. Die Vermittlung des Unterrichtsinhaltes an Hörgeschädigte gehöre zum Kernbereich der pädagogischen Arbeit einer Schule für Hörgeschädigte. Den durch die Schulordnung für Förderschulen im Freistaat Sachsen (SOFS) definierten Aufgaben, werde die Schule nicht gerecht. Insoweit sei es nicht Aufgabe des Sozialhilfeträgers, sondern der Schulaufsichtsbehörde, tätig zu werden und die unzureichende Qualifikation der Lehrer auszugleichen.
Gegen den am 07.12.2017 zugestellten Beschluss hat die Antragstellerin am 28.12.2017 Beschwerde eingelegt. Zwar würden die Bildungs- und Wissensvermittlung an der Schule realisiert und die im Lehrplan dargelegten Bildungsinhalte vermittelt. Auch seien die Lehrkräfte an der Y ...-Schule über die pädagogisch bedeutsamen Auswirkungen einer Hörschädigung ausreichend informiert. Sie benötige jedoch aufgrund ihrer Taubheit überdurchschnittliche Unterstützung, die sich auf die Möglichkeit der Wahrnehmung der pädagogischen Inhalte beziehe. Da die Vermittlung lautsprachlich orientiert sei, könne sie, anders als ihre Mitschüler, die auf Gebärdensprache nicht angewiesen seien, dem Unterricht nur schwer folgen und bleibe damit immer hinter ihren eigentlichen Fähigkeiten und möglichen Leistungen zurück. Mit Unterstützung eines Gebärdensprachdolmetschers könne sie aktiver am Unterricht teilnehmen und Lernfortschritte erzielen, die ihr ohne barrierefreie Kommunikation in deutscher Gebärdensprache verwehrt blieben. Die Dolmetscherleistungen seien somit nicht als pädagogische Tätigkeit an sich sondern als Begleitung und Absicherung der pädagogischen Arbeit zu betrachten.
Die Antragstellerin beantragt sinngemäß, den Beschluss des Sozialgerichts Chemnitz vom 6. Dezember 2017 aufzuheben und den Antragsgegner zu verpflichten, ihr vorläufig längstens jedoch bis zur Entscheidung in der Hauptsache Eingliederungshilfe in Form der Übernahme der Kosten für einen Gebärdensprachdolmetscher für den Besuch der Y ...-Schule, Schule für Hörgeschädigte, X ... im Schuljahr 2017/2018 im Umfang von 23 Unterrichtsstunden pro Woche zu tragen.
Der Antragsgegner beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen,
Er hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend.
Beigezogen waren die Verwaltungsvorgänge des Antragsgegners. Auf diese und auf die Gerichtsakte wird ergänzend Bezug genommen.
II.
Die Beschwerde der Antragstellerin ist begründet. Das SG hat den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtschutzes zu Unrecht abgelehnt.
Nach § 86b Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung in Bezug auf den Streitgegenstand treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte (Satz 1). Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Satz 2). Der Erlass einer einstweiligen Anordnung setzt das Bestehen eines Anordnungsanspruchs, d. h. des materiellen Anspruchs, für den vorläufiger Rechtsschutz begehrt wird, sowie das Vorliegen eines Anordnungsgrundes, d.h. die Unzumutbarkeit voraus, bei Abwägung aller betroffenen Interessen die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten. Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund bzw. die besondere Eilbedürftigkeit sind glaubhaft zu machen (§ 86 Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 der Zivilprozessordnung [ZPO]). Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun der überwiegenden Wahrscheinlichkeit des Bestehens von Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können. Es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist, weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 07.04.2011 – B 9 VG 15/10 B – juris RdNr. 6).
1. Unter Berücksichtigung dessen hat die Antragstellerin einen Anordnungsanspruch für die begehrte Regelungsanordnung hinreichend glaubhaft gemacht. Die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Leistungen der Eingliederungshilfe im Sinne der §§ 53 ff. Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch (SGB XII) liegen vor.
In Betracht kommt allein ein Anspruch auf Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung, insbesondere im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht und zum Besuch weiterführender Schulen einschließlich der Vorbereitung hierzu, nach § 53 i.V.m. § 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII, der in § 12 der Verordnung nach § 60 SGB XII – Eingliederungshilfe-Verordnung (EinglhV) konkretisiert wird.
Die Antragstellerin erfüllt – was zwischen den Beteiligten nicht streitig ist – die personenbezogenen Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII.
Die begehrte Assistenzleistung durch einen Gebärdensprachdolmetscher während der Unterrichtszeit ist vorliegend eine Hilfe zur angemessenen Schulbildung im Sinne des Sozialhilferechts, die nicht den Kernbereich pädagogischer Tätigkeit berührt, für den eine Zuständigkeit des Beklagten ausgeschlossen ist. Nach § 54 Abs. 1 Nr. 1 SGB XII i.V.m. § 12 EinglhV umfasst die Hilfe zu einer angemessenen Schulbildung auch heilpädagogische sowie sonstige Maßnahmen zugunsten körperlich und geistig behinderter Kinder und Jugendlicher, wenn die Maßnahme erforderlich und geeignet ist, dem behinderten Menschen den Schulbesuch im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht zu ermöglichen und zu erleichtern, also insoweit die Behinderungsfolgen zu beseitigen oder zu mildern (vgl. BSG, Urteil vom 09.12.2016 – B 8 SO 8/15 R – juris RdNr. 24 f.).
Wie bereits § 53 Abs. 1 Satz 1 SGB XII verdeutlicht ("nach der Besonderheit des Einzelfalles"), liegt § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII i.V.m. § 12 Nr. 1 Eingliederungshilfe-VO ein individualisiertes Förderverständnis zugrunde (BSG, Urteil vom 29.09.2009 – B 8 SO 19/08 R – juris RdNr. 22). Eine Unterscheidung der Maßnahmen nach ihrer Art, etwa nach pädagogischen oder nichtpädagogischen bzw. begleitenden, ist rechtlich nicht geboten, weil grundsätzlich alle Maßnahmen in Betracht kommen, die im Zusammenhang mit der Ermöglichung einer angemessenen Schulbildung geeignet und erforderlich sind, die Behinderungsfolgen zu beseitigen oder zu mildern (BSG, Urteil vom 22.03.2013 – B 8 SO 30/10 R – juris RdNr. 21 m.w.N.). Deshalb können von der Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers auch Maßnahmen umfasst werden, die zum Aufgabenbereich der Schulverwaltung gehören. Ausgeschlossen sind allerdings Maßnahmen, die dem Kernbereich der pädagogischen Arbeit der Schule zuzuordnen sind.
Der Kernbereich pädagogischer Tätigkeit wird durch die von der Antragstellerin begehrte Unterrichtsassistenz durch einen Gebärdensprachdolmetscher nicht berührt. Das BSG hat hierzu bereits unter Verweis auf § 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2. Halbsatz SGB XII, wonach die Bestimmungen über die Ermöglichung der Schulbildung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht von den Hilfen zu einer angemessenen Schulbildung nach Maßgabe des Sozialhilferechts unberührt bleiben, ausgeführt (vgl. BSG, Urteil vom 23.08.2013 – B 8 SO 10/12 R – juris RdNr. 18), dass sich dieser Kernbereich schon aus systematischen Gründen nach Maßgabe – und entgegen der Auffassung des Beklagten, der hierzu auf landesrechtliche, schulrechtliche Bestimmungen abstellt – des Sozialhilferechts bestimmt. Schulrechtliche Verpflichtungen, bestehen demnach grundsätzlich neben den Sozialhilferecht. Dies hat zur Folge, dass im Kernbereich pädagogischer Tätigkeit keine, auch keine nachrangige Leistungspflicht des Sozialhilfeträgers besteht, weil es sich um originär und ausschließlich schulrechtliche Verpflichtungen handelt. Allein mit der Entscheidung der Schulverwaltung über die Form der allgemeinen Schulpflicht ist noch keine Aussage darüber getroffen, ob und inwieweit zur Erfüllung dieser Pflicht Leistungen der Sozialhilfe zu gewähren sind. Der Kernbereich pädagogischer Tätigkeit ist danach nicht betroffen, wenn die begehrte Unterstützungsmaßnahme die eigentliche pädagogische Arbeit der Lehrkräfte nur absichert (begleitet). Er berührt deshalb alle integrierenden, beaufsichtigenden und fördernden Assistenzdienste nicht, die flankierend zum Unterricht erforderlich sind, damit der behinderte Mensch das pädagogische Angebot der Schule überhaupt wahrnehmen kann. Die Vorgabe und Vermittlung der Lerninhalte sowie der Unterricht selbst, seine Inhalte, das pädagogische Konzept der Wissensvermittlung wie auch die Bewertung der Schülerleistungen bleibt den Lehrkräften vorbehalten, ist damit dem Kernbereich der pädagogischen Arbeit zuzuordnen (BSG, Urteil vom 09.12.2016 – B 8 SO 8/15 R – juris RdNr. 24 f.).
Die anderslautende Auffassung des Beklagten, der sich das SG angeschlossen hat, wonach die Bestimmung des Kernbereichs pädagogischer Tätigkeit für die jeweilige Schulform nach Maßgabe der jeweils geltenden landesrechtlichen Vorschriften erfolgen müsse, ist nicht zu folgen. Ein solches Verständnis widerspricht bereits dem Wortlaut und der Systematik der für die Beurteilung des Hilfebedarfs der Antragstellerin allein maßgeblichen sozialhilferechtlichen Vorschriften. Das Verständnis, der pädagogische Kernbereich bestimme sich an einer Förderschule nicht in gleicher Weise wie an einer Regelschule, da dies anderenfalls zur Konsequenz habe, dass die Aufgaben der Förderschule nicht mehr von dieser, sondern von einer vom Träger der Sozialhilfe finanzierten Schulbegleitung wahrgenommen werden müssten, zielt darauf ab, aus dem Landesrecht resultierende Verpflichtungen der Schulverwaltung im Hinblick auf die Ausstattung der Schulen durchzusetzen. Die dahinter stehende Auffassung, dass das Landesschulrecht den Kernbereich der pädagogischen Arbeit regele, trifft indessen nicht zu, da Landesschulrecht gerade keinen sozialhilferechtlich bestimmten Kernbereich regeln kann. Der Begriff des "Kernbereichs pädagogischer Tätigkeit" ist gerade nicht schulrechtlicher Natur, sondern es handelt sich dabei um einen rein für das Sozialhilferecht entwickelten Begriff, für dessen Verständnis das Schulrecht ohne rechtliche Bedeutung ist (vgl. BSG, Urteil vom 09.12.2016 – B 8 SO 8/15 R – juris RdNr. 28 f.).
Dies bedeutet aber nicht, dass der Schulträger seinen in den schulrechtlichen Bestimmungen geregelten Pflichten nicht mehr nachzukommen hätte und seinen gesetzlichen Auftrag nicht mehr erfüllen müsste. Durch die gesetzliche Verpflichtung zur Art und Weise der Beschulung von Kindern und Jugendlichen an Förderschulen im Freistaat Sachen gehören vielmehr auch Bereiche zum Aufgabengebiet der Schule, die nicht dem Kernbereich der pädagogischen Arbeit zuzuordnen sind. In diesen Bereichen hat der Sozialhilfeträger nur nachrangig (vgl. § 2 Abs. 1 SGB XII) aufgrund des tatsächlichen Ausfalls jener Leistungen seitens des Schulträgers einzustehen. Die vorrangige Verpflichtung des Schulträgers auch für diese außerhalb des pädagogischen Kernbereichs liegenden Aufgaben kann der Sozialhilfeträger dann in einem gesonderten Verfahren nach Überleitung der aus dem Schulrecht resultierenden Ansprüche (vgl. § 93 SGB XII) gegen den Schulträger geltend machen (vgl. BSG, Urteil vom 09.12.2016 – B 8 SO 8/15 R – juris RdNr. 30).
Unter Berücksichtigung dessen steht der Antragstellerin ein Leistungsanspruch gegen den Antragsgegner zu. Die begehrte Unterstützung und Begleitung während des Unterrichts durch einen Gebärdensprachdolmetscher berührt nicht den Kernbereich der pädagogischen Arbeit.
Nach Auskunft der Klassenlehrerin der Antragstellerin gegenüber dem Beklagten vom 24.08.2017, ist es der Antragstellerin kaum möglich, Sprache auditiv wahrzunehmen. Die von ihr genutzte FM-Anlage bringe keine wesentliche Verbesserung, so dass sie Informationen im Wesentlichen über das Lippenablesen und vereinfachte Schrifttexte aufnehmen müsse. Über Gebärdensprache, könne sie dagegen Unterrichtsinhalte schnell und viel besser verstehen. Sie verfüge insoweit über einen umfangreichen Wortschatz und könne Sachverhalte gut darstellen. Einem Unterricht ohne Gebärdensprache könne sie nur sehr eingeschränkt folgen und verstehe auch Unterrichtsbeiträge ihrer Mitschüler nur sehr begrenzt. Dies limitiere eine aktive Teilnahme an Unterrichtsgesprächen und führe zu Frustrationen. Mit Hilfe der Lautsprache könne sie sich zwar verständlich aber nur unvollständig ausdrücken, was zu Missverständnissen führen könne. Zwar sei die Antragstellerin sehr motiviert, schulische Sachverhalte zu verstehen und zu begreifen. Wegen des Fehlens des durchgehenden Gebärdensprachangebots und des Umstandes, dass sie nur maximal 30 Prozent von den Lippen ablesen könne, erfordere dies von ihr jedoch ein hohes Maß an Konzentration und Fleiß, um Verständnislücken kognitiv über den Kontext zu schließen.
Darüber hinaus könne sie Unterrichtstexte nur unzureichend selbst erfassen, da ihre Muttersprache (Gebärdensprache) eine komplett andere Grammatikstruktur besitze und der eingeschränkte Wortschatz ebenfalls erschwerend auf das Textverständnis wirke. Durch diese besonderen Anforderungen lasse die Konzentration rasch nach, was bei einem Stundenpensum von sieben bis acht Unterrichtsstunden pro Tag sehr problematisch sei. Der Antragstellerin sei es damit nicht möglich ihr eigentliches Potential auszuschöpfen, da sie in einer "Fremdsprache", die sie nur schlecht beherrsche und auch nicht höre, kommunizieren müsse. Motivation und Leistung könnten gesteigert werden, wenn es ihr möglich wäre, sich komplett in deutscher Gebärdensprache ausdrücken zu können und ihr ebenso die Unterrichtsinhalte und Schülerbeiträge wiedergegeben würden. Sie könnte so mehr Bildungsinhalte quantitativ und qualitativ aufnehmen, sowie einen höheren Abschluss erzielen. Dem könne die Schule jedoch nicht gerecht werden. Die Lehrkräfte hätten nur zum Teil einen Grundlagenkurs in Gebärdensprache besucht. Zudem würde durch die unterschiedlichen Hörstörungen innerhalb der Klasse ein hohes didaktisches und sonderpädagogisches Geschick vom Lehrer abverlangt, dem er nicht immer in allen Facetten gerecht werden könne. Hilfe habe bislang nur durch eine neue Sitzordnung gefunden werden können, die es ermögliche, dass ihr ein Mitschüler als Unterrichtspate für sie wichtige Informationen gebärde.
Die bislang von der Schule vorgehalten Unterstützungsangebote, die sich in Schülerpatenschaften, einen Gebärdensprachenkurs für die fünften und siebenten Klassen sowie Grundkenntnisse der Lehrer in Gebärdensprache erschöpfen, reichen nicht aus, um den von der Klassenleiterin aufgezeigten Unterstützungsbedarf der Antragstellerin, der allein auf eine Begleitung der pädagogischen Arbeit gerichtet ist, ohne deren Kernbereich zu berühren, abzudecken. Der Beklagte ist damit als Sozialhilfeträger verpflichtet, die entsprechenden Leistungen als Eingliederungshilfe nach §§ 53 ff. SGB XII zu erbringen, da die notwendige Unterstützung derzeit tatsächlich nicht vom Schulträger erbracht wird, und diese unter Berücksichtigung der Auskunft der Klassenleiterin geeignet und erforderlich ist, den Schulbesuch der Antragstellerin jedenfalls zu erleichtern.
Ausgehend vom im Verwaltungsverfahren vorgelegten Wochenstundenplan umfasst der Anspruch auf Eingliederungshilfe die Unterstützung durch einen Gebärdensprachdolmetscher im Umfang von 23 Unterrichtsstunden wöchentlich. Dabei sind – insoweit vom Antragsgegner auch nicht in Abrede gestellt – die Unterstützungsleistungen für die Fächer Deutsch, Englisch, Geografie, Gemeinschaftskunde Biologie, Geschichte und Physik erforderlich. Für die Fächer Sport, Chemie, Ethik, Informatik und Fördern hat die Antragstellerin Eingliederungshilfe nicht beantragt.
Da bislang Dolmetscherleistungen nicht in Anspruch genommen worden sind bzw. angefallene Kosten nicht nachgewiesen wurden, können die Leistungen nur für die Zukunft gewährt werden. Denn Sozialhilfe dient nur der Behebung einer gegenwärtigen Notlage (sogenanntes Gegenwärtigkeitsprinzip) und ist nicht als nachträgliche Geldleistung ausgestaltet (Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12.05.2005 – 1 BvR 569/05 – juris RdNr. 19; Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 04.02.1988 – 5 C 89/85 – juris RdNr. 9). Dieser Vorstellung folgt auch § 18 SGB XII. Danach setzt die Sozialhilfe ein, wenn dem Träger der Sozialhilfe bekannt wird, dass die Voraussetzungen für die Leistung vorliegen. Die Leistung ist also nicht zwingend von einem Antrag abhängig, sondern von einer Notlage und der Kenntnis hiervon.
Deshalb müssen Sozialhilfeleistungen für einen zurückliegenden Zeitraum auch nur dann erbracht werden, wenn die Notlage im Zeitpunkt der beanspruchten Hilfeleistung noch besteht, sie also den Bedarf des Hilfebedürftigen noch decken kann (BSG, Urteil vom 29.09.2009 – B 8 SO 16/08 R – juris RdNr. 13 f.). Dies setzt eine aktuelle Bedürftigkeit des Hilfesuchenden voraus. Sind Leistungen für einen bereits abgelaufenen Zeitraum – wie hier – rückwirkend (überhaupt) nicht mehr zu erbringen, da Leistungen auch nicht selbst beschafft worden sind, für die nunmehr eine Erstattung begehrt werden könnte, besteht ein Leistungsanspruch für diesen Zeitraum nicht. Weder kann die Sachleistung rückwirkend erbracht werden, noch sind erstattungsfähige Kosten für eine Ersatzbeschaffung angefallen.
2. Im tenorierten Umfang liegt ebenfalls ein Anordnungsgrund vor. Ein weiteres Abwarten einer abschließenden Entscheidung ist der Antragstellerin angesichts des Zeitablaufs und der ohnehin nur für das laufende Schuljahr beantragten Leistungen nicht zuzumuten. Zumal bislang über den Widerspruch noch nicht entschieden wurde. Es besteht damit die Gefahr, dass der Anspruch allein wegen Zeitablaufs nicht realisiert werden kann. Die Folgen einer Nichtgewährung der Unterstützung durch einen Gebärdensprachdolmetscher wiegen für die Antragstellerin damit schwerer als diejenige eines Kostenausfalls im Falle des Obsiegens in der Hauptsache für den Antragsgegner.
3. Die Kostentscheidung beruht auf §§ 183, 193 SGG.
Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar, § 177 SGG.
Dr. Wahl Fischer Schurigt
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