S 5 RA 794/03

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
SG Dresden (FSS)
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 5 RA 794/03
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Gerichtsbescheid
Leitsätze
Zur näheren Bestimmung des Begriffes "ingenieurtechnische Beschäftigung".
I. Die Klage wird abgewiesen. II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die beklagte Bundesanstalt für Angestellte als Versorgungsträger für das Zusatzversorgungssystem der Anlage 1 Nr. 1 zum Anspruchs- und Anwartschaftsüberführungsgesetz (AAÜG) verpflichtet ist, für Beschäftigungszeiten des Klägers Zeiten der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der technischen Intelligenz sowie die entsprechenden Arbeitsverdienste festzustellen.

Der im Jahre 1950 geborene Kläger ist Hochschulingenieur für Informationsverarbeitung. Diesen akademischen Grad erlangte er am 27.02.1975 nach bestandener Abschlussprüfung an der Ingenieurhochschule Dresden. Im Anschluss war er zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Zentralen Forschungsinstitut des Verkehrswesens der DDR in Berlin beschäftigt. Von Juli 1979 bis April 1981 arbeitete er dann als Planungsingenieur beim VEB E. Dresden. Es folgte eine Tätigkeit als Sachgebietsverantwortlicher bzw. Gruppenleiter Planung beim VEB Zentrum für F. und T. der M. Dresden. Ab Januar 1987 war er schließlich als Abteilungsleiter für Preiskalkulation wiederum beim VEB E. tätig.

Am 11.07.2002 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Überführung von Zusatzversorgungsanwartschaften für seine Beschäftigungszeiten von März 1975 bis Juni 1990.

Mit Bescheid vom 28.11.2002 lehnte die Beklagte die Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem für den Zeitraum vom 01.03.1975 bis 30.06.1990 ab. Eine Versorgungsanwartschaft im Sinne von § 1 Abs. 1 AAÜG sei nicht entstanden. Weder habe für den Kläger eine positive Versorgungszusage (Anwartschaft) zu Zeiten der DDR vorgelegen, noch habe er am 30.06.1990 (Schließung der Zusatzversorgungssysteme) eine Beschäftigung ausgeübt, die - aus bundesrechtlicher Sicht - dem Kreis der obligatorisch Versorgungsberechtigten zuzuordnen wäre.

Dem widersprach der Kläger mit Schreiben vom 20.12.2002. Da er den Titel eines Diplomingenieurs führe und während seiner Berufstätigkeit im Zeitraum vom 01.03.1975 bis 30.06.1990 in einem volkseigenen Produktionsbetrieb bzw. einem gleichgestellten Betrieb (Forschungsinstitut) tätig gewesen sei, erfülle er zweifelsfrei die Voraussetzungen für die Einbeziehung in die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz. Zudem sei ihm bekannt, dass ehemalige Arbeitskollegen mit gleichen Voraussetzungen bereits eine Anerkennung erhalten hätten.

Mit Widerspruchsbescheid vom 26.03.2003 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zwar sei der Kläger berechtigt gewesen, den Titel eines Ingenieurs bzw. Ingenieurökonom zu führen. Er sei jedoch nicht als Ingenieur, sondern als Abteilungsleiter Preise beschäftigt gewesen.

Mit der am 28.04.2003 erhobenen Klage verfolgt der Kläger unter Ergänzung und Vertiefung seiner bereits im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren vorgebrachten Argumente sein Begehren weiter. Zusätzlich weist er darauf hin, dass sein Aufgabenbereich bei der Tätigkeit als Abteilungskleiter Preise die gesamte Preisbildung der Firma, die Koordinierung der Erarbeitung langfristiger strategischer Dokumente und komplexen Aussagen zum Reproduktionsprozess des Betriebes und die Vervollkommnung spezieller Methoden zur Analyse und Trendentwicklung langfristiger ökonomischer Hauptkennziffern umfasst habe. Ohne eine entsprechende ingenieurwissenschaftliche Vorbildung sei es unmöglich gewesen, dieser Aufgabenstellung gerecht zu werden. Zur weiteren Untermauerung seines Anspruches legt er ein Zeugnis der Elektromat GmbH vom 29.01.1991 sowie einen Funktionsplan für die Funktion "Abteilungsleiter Preise" bei.

Der Kläger beantragt daher sinngemäß,

den Bescheid vom 28.11.2002 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.03.2003 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, seine Beschäftigungszeiten vom 01.03.1975 bis 30.06.1990 als Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz sowie die entsprechenden Arbeitsentgelte festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie weist nochmals darauf hin, dass der Kläger eindeutig keine originär ingenieurtechnische, sondern eine rein betriebswirtschaftliche bzw. kaufmännische Tätigkeit ausgeübt habe. Dies ergäbe sich aus dem von ihm vorgelegten Arbeitszeugnis der Elektromat GmbH. Auch wenn die Ausübung der Tätigkeit als Abteilungsleiter Preise technische Kenntnisse vorausgesetzt habe, könne keinesfalls von einer wesentlichen technischen Tätigkeit, etwa im Bereich der Planung, Entwicklung oder Produktion ausgegangen werden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, die vorgelegen hat, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Das Gericht konnte durch Gerichtsbescheid gemäß § 105 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheiden, da der Sachverhalt geklärt war und die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufwies. Die Beteiligten wurden hierzu angehört.

Die Klage ist zulässig, jedoch nicht begründet. Der Kläger hat keinen mit der Anfechtungs- und Verpflichtungsklage durchsetzbaren Anspruch auf Feststellung von Zeiten der Zugehörigkeit zur Altersversorgung der technischen Intelligenz im streitgegenständlichen Zeitraum (01.03.1975 bis 30.06.1990) sowie auf Feststellung der in diesem Zeitraum erzielten Arbeitsentgelte.

Der Kläger wird schon nicht vom Anwendungsbereich des AAÜG erfasst. Maßstabsnorm ist insoweit § 1 Abs. 1 AAÜG. Danach gilt das Gesetz für Ansprüche und Anwartschaften, die aufgrund der Zugehörigkeit zu Versorgungssystemen im Beitrittsgebiet erworben worden sind. (Satz 1). Soweit die Regelungen der Versorgungssysteme einen Verlust der Anwartschaft bei Ausscheiden aus dem Versorgungssystem vor dem Leistungsfall vorsahen, gilt dieser Verlust als nicht eingetreten (Satz 2). Dieser 2. Tatbestand ist vorliegend offensichtlich nicht einschlägig.

Der Kläger unterliegt nicht dem Anwendungsbereich des § 1 Abs. 1 Satz 1 AAÜG.

Einen "Anspruch" auf Versorgung hat er beim Inkrafttreten des AAÜG am 01. August 1991 nicht gehabt. Denn schon ein "Versorgungsfall" (Alter, Invalidität) war bis zu diesem Zeitpunkt nicht eingetreten. Er war auch nicht Inhaber einer bei Inkrafttreten des AAÜG am 01. August 1991 bestehenden Versorgungsanwartschaft.

Dies beurteilt sich allein nach dem zu diesem Zeitpunkt gültigen Bundesrecht. Dabei untersagt das bundesrechtliche Neueinbeziehungsverbot neue Versorgungsberechtigungen ab 01. Juli 1990 zu begründen. Dies folgt aus Anlage II Kapitel VIII Sachgebiet H Abschnitt III Nr. 9 Buchst. a Satz 1 Hbs. 2 zum Einigungsvertrag vom 31. August 1990 (Bundesgesetzblatt II 889) in Verbindung mit dem am 03. Oktober 1990 zu sekundärem Bundesrecht gewordenen § 22 Abs. 1 des Rentenangleichungsgesetzes der DDR vom 28. Juni 1990 (Gesetzblatt I 495). Nach diesen Regelungen sind Neueinbeziehungen ab 01. Juli 1990 nicht mehr zulässig. Hinsichtlich der tatsächlichen Gegebenheiten ist daher rückschauend auf den 30. Juni 1990 abzustellen. Bei Personen, die zu diesem Zeitpunkt in ein Versorgungssystem nicht einbezogen waren und die nachfolgend auch nicht aufgrund originärem Bundesrechts einbezogen wurden, ist allerdings aufgrund verfassungskonformer Auslegung des § 1 Abs. 1 AAÜG zu prüfen, ob sie aus der Sicht des am 01. August 1991 gültigen Bundesrechts nach den am 30. Juni 1990 gegebenen Umständen ein Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage gehabt hätten (vgl. hierzu: Bundessozialgericht - BSG - Urteile v. 09.04.2002, SozR 3-8570 § 1 Nr. 2 u. 7).

Eine Versorgungszusage in Form eines nach Artikel 19 Satz 1 Einigungsvertrages bindend gebliebenen Verwaltungsaktes war dem Kläger nicht erteilt worden. Er war auch nicht durch Einzelentscheidung der DDR (z.B. aufgrund eines Einzelvertrages) einbezogen worden. Eine Rahabilitierungsentscheidung liegt nicht vor, er war auch früher nicht einbezogen worden. Nach dem am 01. August 1991 gültigen Bundesrecht und aufgrund der am 30. Juni 1990 gegebenen tatsächlichen Umstände hatte der Kläger aus bundesrechtlicher Sicht auch keinen Anspruch auf Erteilung einer Versorgungszusage.

Der allein in Betracht kommende fiktive bundesrechtliche Anspruch auf Erteilung einer solchen Zusage im Bereich der Altersversorgung der technischen Intelligenz hängt gemäß § 1 der Verordung über die zusätzliche Altersversorgung der technischen Intelligenz in den volkseigenen und ihnen gleichgestellten Betrieben vom 17. August 1950 und der 2. Durchführungsbestimmung zur Verordnung vom 24. Mai 1951 von drei Voraussetzungen ab (vgl. auch hierzu u.a. BSG Urt. v. 09.04.2002, SozR 3-8570 § 1 Nr. 6 und Nr. 2). Generell war dieses System eingerichtet für

1. Personen, die berechtigt waren, eine bestimmte Berufsbe zeichnung zu führen (persönliche Voraussetzung) und

2. die entsprechende Tätigkeit tatsächlich ausgeübt haben (sachliche Voraussetzung), und zwar

3. in einem volkseigenen Produktionsbetrieb im Bereich der Industrie oder des Bauwesens.

Zwar war dem Kläger nach erfolgreichem Studium 1975 das Recht verliehen worden, die Berufsbezeichnung "Hochschulingenieur für Informationsverarbeitung" zu führen. Er erfüllte damit die persönliche Voraussetzung für eine Mitgliedschaft in der zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz.

Es fehlt jedoch an einer ingenieurtechnischen Beschäftigung in einem produzierenden VEB zum maßgeblichen Zeitpunkt (30.06.1990). Zu diesem Zeitpunkt war der Kläger als Abteilungsleiter Preise beim VEB E. Dresden tätig. Zwar war er damit wohl im Rahmen seines Berufsbildes beschäftigt und auch nicht berufsfremd eingesetzt. Eine Anwartschaft auf Feststellung von Zugehörigkeitszeiten nach der Altersversorgung der technischen Intelligenz setzt aber zusätzlich voraus, dass ein Hochschulingenieur tatsächlich auch technisch beschäftigt gewesen ist.

Hierfür spricht Wortlaut und Sinn der Versorgungsordnung zum Zusatzversorgungssystem "technische Intelligenz". Der Begriff der "technischen Intelligenz" selbst ist von DDR-Gesetz- und Verordnungsgebern nicht näher umschrieben worden; § 1 Abs. 1 Satz 2 der 2. Durchführungsbestimmung lässt indes erkennen, dass nur für bestimmte Berufsgruppen der technischen Intelligenz eine Zusatzversorgung vorgesehen war. Die "Präambel" der Verordnung vom 17.08.1950 und die - später durch die 2. Durchführungsbestimmung aufgehobene - 1. Durchführungsbestimmung vom 26.09.1950 stellen einen notwendigen Zusammenhang her zwischen der abstrakten beruflichen Qualifikation (Titel) einerseits und der konkreten beruflichen Tätigkeit andererseits, die den "großen wissenschaftlichen und technischen Aufgaben" für den "weiteren Aufschwung der Industrieproduktion" Rechnung zu tragen hatte. Versorgungsberechtigte mussten "konstruktiv und schöpferisch" in einem Produktionsbetrieb verantwortlich tätig sein und "hervorragenden Einfluss auf die Herstellungsvorgänge" nehmen (§ 1 Satz 1 der 1. Durchführungsbestimmung). Es sollte mithin nur die unmittelbare technische Mitwirkung bei der industriellen Fertigung von Produkten (Produktionsprozess) rentenrechtlich in besonderer Weise zusätzlich berücksichtigt werden, auch um einer weiteren Abwanderung besonders qualifizierter technischer "Kader" vorzubeugen.

Diesen Voraussetzungen genügt die Tätigkeit des Klägers als Abteilungsleiter Preise nicht. Ausweislich des von ihm vorgelegten Zeugnisses vom 29. Januar 1991 und des Funktionsplanes für die Tätigkeit als Abteilungsleiter Preise umfasste sein Tätigkeitsbereich folgende spezielle Aufgaben:

1. Preisbildung und Bildung von POG/KOG,

2. Mitarbeit bei der Ausarbeitung spezieller Kalkulationsrichtlinien und anderer Zweige spezifischer Preisvorschriften,

3. Kontrolle der Einhaltung der Staatsdisziplin auf dem Gebiet der Preise im Betrieb,

4. Ausarbeitung von organisatorischen Regelungen, Grundsätzen und Methoden der Preisbildung im Betrieb,

5. Sicherung der Zusammenarbeit mit der Außenstelle des AFP und dem PKO,

6. Vorbereitung und Durchführung planmäßiger IPÄ nach entsprechender Anleitung durch das PKO,

7. Wahrnehmung der Aufgaben bei der Erarbeitung und Bestätigung von Kalkulationselementen,

8. Dokumentation aller geltenden Industriepreise entsprechend gesetzlicher Regelungen,

9. Durchführung der Preisanalyse des Betriebes,

10. Rationalisierung der Preisarbeit sowie der konzeptionellen Arbeit durch Einsatz der EDV,

11. Mitwirkung bei der Sicherung einer echten Leistungsbewertung des Betriebes mit Hilfe der Industriepreise und der konstanten Planpreise,

12. Koordinierungsfunktion für die langfristige Intensivierungskonzeption einschließlich Bewertung verschiedener langfristiger perspektifischer Dokumente,

13. ökonomische Bewertung des langfristigen Erzeugnissortimentes und Herausbildung der entsprechenden Hauptkennziffern,

14. Sicherung der notwendigen Zuarbeiten für Dokumente der Investitionsvorbereitung,

15. Vorbereitung von Teilnahme an Entwicklungs-Verteidigungen,

16. Vorbereitung-Kontrolle des Perspektivplanrapportes sowie Teilnahme an Komplexberatungen, Rapporten und Sonderrapporten entsprechend dem Leitungsregime des BD und Direktor für Ökonomie.

Diese Aufgaben waren entsprechend dem Zeugnis vom 29. Januar 1991 für den Kläger völlig neu und hatten nichts mit einer konstruktiven und schöpferischen technischen Tätigkeit mit hervorragendem Einfluss auf die Herstellungsvorgänge zu tun. Vielmehr handelte es sich um eine ökonomische Tätigkeit, für die wohl auch ein gewisses Maß an technischem Verständnis Voraussetzung war.

Soweit sinngemäß vom Kläger die Auffassung vertreten wird, es sei mit dem Grundgesetz unvereinbar, dass Personen mit gleichwertiger beruflicher Tätigkeit und gleichwertiger beruflicher Qualifikation keine "Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Versorgungssystem" erlangen könnten, so ist dem entgegenzuhalten, dass - eine derartige mögliche Ungleichbehandlung unterstellt - der Einigungsvertragsgesetzgeber nicht gehalten war, solche bereits in den Versorgungsordnungen angelegte Ungleichbehandlung nachträglich zu korrigieren. Denn er durfte an die insoweit vorgefundenen Versorgungsordnungen, wie sie am 02. Oktober 1990 vorgelegen haben, im Rahmen der Rentenüberleitung anknüpfen (vgl. Bundesverfassungsgericht in BVerfGE 100, 138, 193 f.).

Auch wenn Arbeitskollegen des Klägers bei gleichen Voraussetzungen fehlerhaft Zeiten der Zugehörigkeit zur zusätzlichen Altersversorgung der technischen Intelligenz anerkannt worden sein sollten, vermag dies dem Anspruch des Klägers nicht zu dienen. Eine Gleichstellung im Unrecht ist der bundesdeutschen Rechtsordnung fremd.

Da der Kläger somit am 01. August 1991 keine Versorgungsanwartschaften hatte, hat er keinen Anspruch gegen die Beklagte, Zeiten der Zugehörigkeit zu einem Zusatzversorgungssystem und die dabei erzielten tatsächlichen Verdienste festzustellen. Mithin war die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 183, 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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