S 12 KA 34/17

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Marburg (HES)
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
12
1. Instanz
SG Marburg (HES)
Aktenzeichen
S 12 KA 34/17
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 4 KA 24/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Bei der Berechnung einer Honorarkürzung aufgrund einer patientenbezogenen Plausibilitätsprüfung ist im Rahmen des Schätzungsermessens zu berücksichtigen, dass ein organisierter Ärztlicher Bereitschaftsdienst nicht stattgefunden hat.
1. Der Bescheid vom 12.07.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.12.2016 wird insoweit aufgehoben, als eine höhere Honorarkürzung für das Quartal I/13 von mehr als 4.053,00 EUR, II/13 mehr als 1.766,98 EUR, III/13 mehr als 3.236,35 EUR und IV/13 mehr als 4.701,12 EUR festgesetzt wird.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Der Kläger hat 72 %, die Beklagte hat 28 % der notwendigen Verfahrenskosten zu tragen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um Honorarrückforderungen in Höhe von 69.742,17 EUR aufgrund von patientenbezogenen Plausibilitätsprüfungen der Honorarabrechnungen der neun Quartale I/13 bis I/15, die die Beklagte insb. mit Hilfe eines Praxisabgleichs innerhalb der Praxisgemeinschaft des Klägers mit Herrn Dr. C. mit einem Anteil gemeinsamer Patienten von 41,39 % und 62,51 % durchgeführt hat.

Der 1953 geb. Kläger ist als praktischer Arzt seit 12.12.1995 zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz in A-Stadt, A-Straße, zugelassen. Herr Dr. C., geb. 1942, ist als praktischer Arzt seit 27.10.1981, seit 16.01.1995 als Facharzt für Allgemeinmedizin zur vertragsärztlichen Versorgung mit Praxissitz wie der Kläger zugelassen. Sie führten in den Quartalen IV/06 bis IV/07 eine Berufsausübungsgemeint, ebenso wieder ab dem Quartal III/15.

Die Beklagte führte zunächst für die Quartale I/08 bis IV/10 eine patientenbezogene Plausibilitätsprüfung durch. Mit Schreiben vom 17.01.2012 nahm sie eine Verfahrenseinstellung mit beratendem Hinweis vor. Darin führte sie weiter aus, die Praxis des Klägers sei mit der Praxis des Dr. C., mit der er eine Praxisgemeinschaft bilde, gegenübergestellt worden. Nach den aufgeführten Berechnungsergebnissen habe der Anteil identischer Patienten im Quartal II/08 bei 18,7 %, in den übrigen Quartalen zwischen 44,07 % und 66,29 % gelegen. Als Tendenz sei zwar – wie in den Vorquartalen – zu erkennen, dass der zu vertretende Arzt an vielen Tagen tatsächlich nicht gearbeitet und auch öfters zusammenhängend über mehrere Tage Urlaub gehabt habe (lt. Tagesprofil). Aber in den Fällen, in denen kein zusammenhängender Urlaub über mehrere Tage festzustellen gewesen sei, sei der zu vertretende Arzt zeitweise kurzfristig in der Praxis oder habe ein bis drei Besuche gefahren. Positiv zu berücksichtigen sei die besondere Situation der beiden Praxen im Rahmen der Bereitschaftsdienste auf dem sog. flachen Land. Die Diagnosen seien in ca. 70 % der Fälle abweichend. Es handele sich ausschließlich um Urlaubs- und Krankheitsvertretungen mit der Scheinart 42; Überweisungen zum Zweck von besonderen Untersuchungen hätten nicht stattgefunden. Die Behandlung durch beide Ärzte sei nicht immer plausibel nachzuvollziehen. Das Abrechnungsverhalten erwecke daher den Verdacht, dass der Kläger mit Herrn Dr. C. in weiten Bereichen wie eine Berufsausübungsgemeinschaft zusammenarbeite. Dies zeige sich an der hohen Zahl von bis zu 750 gemeinsamen Patienten. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 23.05.2012 als unzulässig zurück. Die Beklagte setzte ferner mit Bescheid vom 28.08.2014 auf Grund einer patientenbezogenen Plausibilitätsprüfung der Honorarabrechnung für die Quartale I/11 bis IV/12 eine Honorarrückforderung in Höhe von insg. 25.365,22 EUR fest. Die Praxis des Klägers sei wiederum mit der Praxis des Dr. C., mit der er eine Praxisgemeinschaft bilde, gegenübergestellt worden. Es hätte sich bei dem Kläger ein Anteil gemeinsamer Patienten zwischen 59,43 % und 66,70 % ergeben. Den hiergegen erhobenen Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21.01.2015 als unbegründet zurück.

In den Quartalen I/13 bis I/15 setzte die Beklagte das Honorar des Klägers jeweils wie folgt fest:
Quartal I/13 II/13 III/13 IV/13
Honorar PK/EK/SKT in EUR 51.388,10 52.018,62 50.438,89 55.340,62
Fallzahl 1.065 1.001 1.013 1.130

Quartal I/14 II/14 III/14 IV/14
Honorar PK/EK/SKT in EUR 46.096,71 48.280,75 50.902,43 53.261,02
Fallzahl 991 908 1.035 906

Quartal I/15
Honorar PK/EK/SKT in EUR 53.409,96
Fallzahl 914

Die Beklagte forderte den Kläger unter Datum vom 08.02.2016 aufgrund einer Plausibilitätsprüfung der Quartalsabrechnung für die Quartale I/13 bis II/15 zu einer Stellungnahme auf. Sie habe die Honorarabrechnung des Klägers zusammen mit der Honorarabrechnung der Praxis Dr. med. C. in A-Stadt, mit der der Kläger eine Praxisgemeinschaft gebildet habe, einer Plausibilitätsprüfung unterzogen und beide Abrechnungen gegenübergestellt. Hierbei habe sie eine Anzahl von gemeinsam abgerechneten Fällen festgestellt, was sie zahlenmäßig in einer Tabelle darstellte. Ferner fügte sie eine Patientenliste mit 20 Patientennamen gemeinsamer Behandlungsfälle bei.

Der Kläger trug mit Schriftsatz vom 29.03.2016 vor, bis zu diesem Plausibilitätsverfahren seien weder er noch Dr. C. jemals auffällig geworden. Er habe bereits anderenorts präzise beschrieben, dass die kleine Dienstgemeinschaft nach einem Zerwürfnis, an dem er völlig unbeteiligt gewesen sei, von den Kollegen der anderen Praxen vor Ort ohne triftigen Grund aufgelöst worden sei. Dr. C. sei bereits vom regelmäßigen KV-Notdienst befreit gewesen. Dies habe zur Folge gehabt, dass er bis auf ca. 68 Tage im Jahr rund um die Uhr Dienst gehabt hätte, ganz zu schweigen vom Dienstplan über Weihnachten usw. über 5-7 Tage. Seine Intervention bei der Beklagten um eine Notdienstregelung sei ergebnislos geblieben. Den nachträglichen Verweis auf die notwendige Umwandlung in eine Gemeinschaftspraxis vor dem Hintergrund einer unmenschlichen Arbeitsbelastung empfinde er als zynisch und menschenverachtend, zumal die Genehmigung zur Führung einer Praxisgemeinschaft vorgelegen habe. Sein Kollege habe in dieser kritischen Zeit einen manifesten Myokardinfarkt erlitten. In dieser Zeit habe er ihn durchgehend vertreten müssen.

Die Beklagte setzte mit Bescheid vom 12.07.2016 die strittigen Honorarrückforderungen für die Quartale I/13 bis I/15 fest. Im Einzelnen entfielen auf die streitbefangenen Quartale folgende Honorarrückforderungen:

Quartal Honorar in EUR
I/13 8.878,00
II/13 6.963,98
III/13 8.215,35
IV/13 9.598,12
I/14 7.773,20
II/14 6.965,27
III/14 8.901,58
IV/14 6.172,95
I/15 6.603,72
70.072,17

Zur Begründung referierte sie ausführlich auch die Stellungnahme des Dr. C. und führte weiter aus, die Abrechnungen von Ärzten, welche untereinander in einer Praxisgemeinschaft verbunden seien, könnten unplausibel sein, wenn bestimmte Grenzwerte des Anteils identischer Patienten überschritten worden seien. Die Anzahl der doppelt abgerechneten Patienten sei ins Verhältnis zur praxiseigenen Patientenzahl zu setzen. Eine Abrechnungsauffälligkeit sei bei 20% Patientenidentität - auf die abrechnenden Praxen bezogen - bei versorgungsbereichsidentischen Praxen zu vermuten. Die Berechnungsergebnisse hätten für die Praxis des Klägers folgende Werte ergeben:

Quartal Fallzahl Gemeinsame Patienten Anteil in Prozent
I/13 1065 658 61,78
II/13 1001 479 47,85
III/13 1013 589 58,14
IV/13 1130 700 61,95
I/14 991 573 57,82
II/14 908 466 51,32
III/14 1035 647 62,51
IV/14 906 375 41,39
I/15 914 404 44,20
II/15 806 230 28,54

Die Partner der Praxisgemeinschaft hätten auf die Prüfungen in den Vorquartalen nur dahingehend reagiert, dass in allen Vertretungsfällen der zu vertretende Arzt tatsächlich nicht gearbeitet habe und auch nicht in der Praxis gewesen sei. Die Zahl der gemeinsamen Fälle habe sich jedoch nicht verringert und sei derzeit bei bis zu 700 Fällen gemeinsamer Patienten angekommen, dieser Trend könne auch nicht durch die eingereichte Stellungnahme erklärt werden. Es würden im Quartal zwar über 100 Notfallpauschalen abgerechnet werden, dies erkläre aber sicher nicht eine erhöhte Präsenz im Bereitschaftsdienst gegenüber vergleichbaren Praxen. Ab dem Quartal I/14 werde diese Leistung nicht mehr abgerechnet, da ab diesem Zeitpunkt eine Umorganisation im ÄBD-Dienst stattgefunden habe. Auch das Argument einer erhöhten Versorgung eigener Patienten im Notdienst sei so nicht nachvollziehbar, da beispielsweise nur wenige Besuche zur Unzeit abgerechnet würden. Durch die erhöhte Abrechnungsfrequenz der Ziffer 01430 (Verwaltungskomplex) werde der Eindruck erweckt, dass hier zusätzliche Scheine generiert würden, ohne dass hierfür eine regelhafte Notwendigkeit zu erkennen sei. Dies führe zu dem Ergebnis, dass für über 700 Patienten eine Behandlungsnotwendigkeit durch zwei Hausärzte suggeriert werde. Die Karteneinlesung erfolge überwiegend am gleichen Tag, was auf einen Gestaltungsmissbrauch mit dem Ziel der ungerechtfertigten Fallzahlvermehrung schließen lasse. Ab dem Quartal II/15 sei auf die Vorprüfung dahingehend reagiert worden, als die Karteneinlesung nunmehr fast ausschließlich an unterschiedlichen Tagen erfolgt sei. Ab III/15 sei dann eine BAG gebildet worden. Die Diagnosen seien in ca. 80 % der Fälle abweichend. Es handele sich ausschließlich um Urlaubs- und Krankheitsvertretungen mit der Scheinart 42; Überweisungen zum Zweck von besonderen Untersuchungen hätten nicht stattgefunden. Ungewöhnlich sei, dass in vielen Vertretungsfällen der zu vertretende Arzt keinen zusammenhängenden Urlaub gehabt habe, sondern, wie vom Kläger dargelegt, lediglich nur einen Tag nicht in der Praxis gewesen sei. Auch dies deute auf einen Gestaltungsmissbrauch mit dem Ziel der ungerechtfertigten Fallzahlzahlvermehrung bei den Vertretungen hin. Zur Untermauerung dieser Ausführungen führte die Beklagte verschiedene Behandlungsfälle an, in denen Dr. C. den Kläger bzw. der Kläger Herrn Dr. C. vertrat, obwohl der andere Arzt jeweils nur tageweise abwesend gewesen sei. Ab dem Quartal II/15 sei eine Veränderung erkennbar, d.h., der vertretende Arzt habe immer in dieser Zeit zusammenhängenden Urlaub von mind. 1 Woche gehabt. Der Kläger und sein Kollege hätten anscheinend auf die Vorprüfungen reagiert. Dies zeige sich auch an der kleineren Zahl von gemeinsamen Patienten. Nicht nachvollziehbar sei auch die in den Prüfquartalen festzustellende, nicht unerhebliche Steigerung der Zahl von gemeinsamen Patienten. Die Stellungnahme des Klägers erkläre diesen Zuwachs nicht. Von indizieller Bedeutung sei weiterhin die ungewöhnlich hohe Anzahl von Vertreterfällen in der Praxis des Klägers, die nicht in allen Fällen plausibel habe erklärt werden können. Ein Teil der Vertreterscheine entfalle auf eine nur stundenweise Abwesenheit des Praxisgemeinschaftspartners. In diesen Fällen seien von ihm Leistungen abgerechnet worden, die einen unmittelbaren und persönlichen Arzt-Patienten-Kontakt voraussetzten, sodass von einer Besetzung der Praxis an diesen Behandlungstagen auszugehen sei. Die ärztliche Kooperation sei über den üblichen Betrieb einer Praxisgemeinschaft als reine Organisationsgemeinschaft zur Kostenminimierung hinausgegangen. Dies habe zu einer deutlichen Erhöhung der Fallzahlen und damit verbunden zu einer erheblichen Steigerung des Honorars geführt, ohne dass dies in diesem Zusammenhang durch die Morbidität der Klientel oder strukturelle Besonderheiten begründet werden könne. Wenn die Patienten einer Praxisgemeinschaft regelmäßig von mehreren Ärzten betreut würden, so führe dies zu einer unzulässigen Fallzahlvermehrung und stelle letztlich einen Missbrauch der Gestaltungsform der Praxisgemeinschaft dar. Der prozentuale Anteil an Vertretungsfällen liege hessenweit bei unter 10 %. Im hausärztlichen Bereich sei hessenweit von einem Anteil an Vertretungsfällen von 5 % bis 10 % auszugehen. Er habe 20 % der gemeinsamen Patienten aufgrund einiger als plausibel bewerteter Vertretungen anerkannt. Darüber hinaus habe er im Rahmen einer individuellen Ermessensentscheidung einen weiteren Abschlag in Höhe von 30 % zu Gunsten des Klägers berücksichtigt. Im Prüfquartal II/15 habe der Kläger bereits reagiert gehabt, hier fänden sich keine Vertretungen, die zu beanstanden seien. Die Korrekturhöhe pro Behandlungsfall errechne sich dabei aus dem quotierten Nettofalldurchschnitt aus allen Behandlungsfällen der Praxis multipliziert mit der Gesamtzahl der implausiblen Behandlungsfälle. Im Einzelnen verweise er auf die beigefügte Anlage.

Hiergegen legte der Kläger am 11.08.2016 Widerspruch ein. Er wies darauf hin, dass sein Kollege und er einer extremen Arbeitsbelastung ausgesetzt gewesen seien. Auch sei ihnen die Unterschiede zwischen der Praxisgemeinschaft und der Berufsausübungsgemeinschaft als juristischen Laien nicht in dem erforderlichen Maße bewusst gewesen. Zur Gewährleistung der Versorgung sei auch der freie Tag eingeführt worden, da sein Kollege und er gesundheitlich angeschlagen gewesen seien. Es sei nicht um die Generierung von Vertretungsfällen gegangen. Untersuchungen hätten oftmals stattfinden müssen, um festzustellen, ob ein Notfall vorliege oder nicht. Die doppelte Einlesung der Versichertenkarten sei auf Grund der Belastungssituation aus Vereinfachungsgründen geschehen. Auch der Disziplinarausschuss sei in der Sitzung vom 22.07.2015 zu dem Ergebnis gekommen, dass die Verstöße gegen vertragsärztliche Regelungen im konkreten Fall nicht zwingend als grobfahrlässig anzusehen seien, also auf keinen Fall vorsätzlich.

Die Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 14.12.2016 den Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung verwies sie auf die Patientenidentitäten zwischen 41,39 % und 62,51 % in den streitgegenständigen Quartalen. Die bewusste Abstimmung der Behandlungszeiten der ärztlichen Kollegen sei typisch für eine BAG. Entstünden durch das begrenzte Sprechstundenangebot viele "Vertretungsfälle" bei Kollegen, dann stelle sich die Frage, ob das Sprechstundenangebot wirklich den Bedürfnissen nach einer ausreichenden und zweckmäßigen vertragsärztlichen Versorgung entspreche. Die Abwesenheit an einzelnen Tagen, auch aus Gesundheitsgründen, könne nicht dazu führen, dass fast die gesamte Praxis des Kollegen übernommen werde. Der Kläger habe beispielsweise am Freitag, den 18.01.2013, insgesamt 64 Patienten behandelt. Hiervon seien 35 Patienten als Vertretungsfälle für Herrn Dr. C. und damit mehr als eigene Patienten behandelt worden. Mehr als 30 Vertretungsfälle an einem freien Tag des Kollegen seien nicht selten (Quartal I/13: 04.01.2013 von 87 Patienten 38 Vertretungsfälle; Quartal I/14: 08.01.2014 von 84 Patienten 38 Vertretungsfälle; Quartal I/15: 21.01.2015 von 73 Patienten 31 Vertretungsfälle). Teilweise sei dort nur der Verwaltungskomplex nach Nr. 01430 EBM abgerechnet worden. Auch das alleinige Ausstellen von Rezepten sei dann als unzulässige Parallelbehandlung zu werten, wenn dies systematisch über mehrere Quartale erfolge und nicht auf einem dringlichen Medikamentenbedarf beruhe, sondern von dem Arzt abgerechnet werde, der zufällig gerade den Praxisbetrieb übernehme. Es bestehe die Pflicht des Hausarztes, einer unkoordinierten Inanspruchnahme anderer Ärzte entgegen zu wirken, indem er die Patienten darauf hinweise, dass sie innerhalb des Quartals an die Behandlung durch einen Hausarzt gebunden seien, es sei denn, es liege ein wichtiger Grund für den Wechsel vor. Wenn die gesamte Organisation darauf ausgerichtet sei, dass jeweils ein Arzt den anderen regelmäßig vertrete, dann werde die regelmäßige, gegenseitige Mitbehandlung der Patienten der anderen Praxis in Kauf genommen. Sie erhielten dann die Versichertenpauschale, aber ohne die entsprechenden hausärztlichen Aufgaben (Umfassende Betreuung, Koordination, Dokumentation) zu erfüllen. Die Zusammenarbeit wie in einer BAG lasse sich durch eine Weitergabe von Patientendaten bestätigen. Eine bewusste Doppeleinlesung zur Vereinfachung des Praxisablaufs sei ein wesentliches Indiz für die faktisch fehlende Trennung der Praxen und Organisation wie in einer BAG. So ließen sich unter den 658 identischen Patienten im Quartal I/13 nur 80 Behandlungsscheine, im Quartal I/14 48 Scheine und im Quartal I/15 44 Scheine nachweisen, in denen die Krankenversichertenkarte in beiden Praxen nicht am selben Tag eingelesen worden sei. Im Bescheid werden verschiedene Fälle für die gemeinsame Karteneinlesung aufgeführt. Die Weitergabe der Krankenversichertenkarte sowie Einlesung und Speicherung der Daten in anderen, rechtlich eigenständigen Praxen verstoße gegen den Datenschutz, die ärztliche Schweigepflicht und gegen die Vorgaben der Bundesmantelverträge (§ 19 Abs. 5, § 35 BMV-Ä). Es sei auch nicht glaubhaft, dass in jedem Quartal zwischen 375 und 700 Patienten einen wichtigen Grund gehabt hätten, den Arzt zu wechseln oder Notfälle gewesen seien. Ferner erläuterte sie nochmals die Ausübung ihres Kürzungsermessens.

Hiergegen hat der Kläger am 11.01.2017 die Klage erhoben. Zur Begründung verweist er nochmals auf die damalige Situation im Rahmen des Bereitschaftsdienstes hin und auf die damit einhergehende Dauerbelastung. Hinsichtlich des Vorwurfs der Doppeleinlesung von Versichertenkarten trägt er weiterhin vor, dies habe der allgemeinen Vereinfachung des Praxisablaufs in der beschriebenen Extremsituation gedient und um den ständigen Diskussionen mit den Patienten entgegenzuwirken. Ein Schaden für die Krankenkassen sei nicht entstanden, es sei vielmehr eine Optimierung der Versorgung kranker Menschen angestrebt worden. Mit dem Ansatz der Verwaltungspauschale sei ein Honorar von 1,25 EUR im Quartal erzielt worden. Ferner verweist er nochmals auf das Disziplinarverfahren. Die Rechtsprechung des LSG Hessen sei auf seinen Fall nicht übertragbar, da nicht eine vergleichbare Belastungssituation bestanden habe.

Der Kläger beantragt,
den Bescheid vom 12.07.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.12.2016 aufzuheben.

Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

Sie verweist auf ihre Ausführungen im angefochtenen Bescheid sowie im Widerspruchsbescheid und trägt ergänzend vor, eine Patientenidentität von 50 % gemeinsamer Patienten sei ein eindeutiges Indiz dafür, dass die Rechtsform der Praxisgemeinschaft nicht transparent realisiert worden sei, sondern tatsächlich die für eine Gemeinschaftspraxis kennzeichnende Ausübung der ärztlichen Tätigkeit stattgefunden habe. Hierfür spreche auch die Karteneinlesung der Versichertenkarten überwiegend am selben Tag und die Urlaubsvertretungen oftmals nur für einen Tag. Bei der Berechnung der Rückforderung seien auch bereits Sicherheitsabschläge zu Gunsten des Klägers vorgenommen worden. Auf Seite 1 des Ausgangsbescheides finde sich hinsichtlich des Quartals I/14 insoweit ein Schreibfehler, als dort ein Betrag in Höhe von 7.773,20 EUR ausgewiesen sei. Wie sich dem beigefügten Berechnungsbogen entnehmen lasse, betrage die Rückforderung für dieses Quartal tatsächlich nur 7.443,20 EUR. Die Kürzung für die Quartale II bis IV/14 sei für beide Praxisgemeinschaftspartner zwischenzeitlich bestandskräftig geworden. Ein Disziplinarverfahren sei losgelöst vom hiesigen Klageverfahren zu betrachten und habe insoweit keine Indizwirkung.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den übrigen Inhalt der Gerichts- und beigezogenen Verwaltungsakte, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Kammer hat in der Besetzung mit einer ehrenamtlichen Richterin und einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten verhandelt und entschieden, weil es sich um eine Angelegenheit der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG).

Die Klage ist zulässig, denn sie ist insb. form- und fristgerecht bei dem zuständigen Sozialgericht erhoben worden.

Die Klage ist auch z. T. begründet. Der angefochtene Bescheid der Beklagten vom 12.07.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.12.2016 ist rechtswidrig, als eine höhere Honorarkürzung für das Quartal I/13 von mehr als 4.053,00 EUR, für das Quartal II/13 von mehr als 1.766,98 EUR, für das Quartal III/13 von mehr als 3.236,35 EUR und für das Quartal IV/13 von mehr als 4.701,12 EUR festgesetzt wird. Insoweit war der angefochtene Bescheid aufzuheben. Im Übrigen ist der angefochtene Bescheid rechtmäßig und war die Klage daher abzuweisen.

Die Teilaufhebung beruht auf dem Umstand, dass das Fehlen eines organisierten Bereitschaftsdienstes bis zum Quartal IV/13 von der Beklagten bei Ausübung des Schätzungsermessens nicht berücksichtigt wurde.

Die Beklagte war grundsätzlich zuständig für die sachlich-rechnerische Berichtigung.

Nach § 75 Abs. 1 SGB V haben die Kassenärztlichen Vereinigungen die vertragszahnärztliche Versorgung sicher zu stellen und den Krankenkassen und ihren Verbänden gegenüber die Gewähr dafür zu übernehmen, dass die vertragszahnärztliche Versorgung den gesetzlichen und vertraglichen Erfordernissen entspricht. Nach § 75 Abs. 2 Satz 2 1. Halbsatz haben die Kassenärztlichen Vereinigungen die Erfüllung der den Vertragsärzten obliegenden Pflichten zu überwachen. Zu den Pflichten der Vertragsärzte gehört unter anderem auch eine ordnungsgemäße Abrechnung der von ihnen erbrachten Leistungen. Die Kassenärztliche Vereinigung stellt die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der Vertragsärzte fest; dazu gehört auch die arztbezogene Prüfung der Abrechnungen auf Plausibilität sowie die Prüfung der abgerechneten Sachkosten (§ 106a Abs. 2 Satz 1 SGB V, eingefügt durch das GKV-Modernisierungsgesetz vom 14.11.2003, BGBl. I 2003, 2190, mit Wirkung zum 01.01.2004, hier in der bis zum 31.12.2016 geltenden Fassung, aktuell § 106d SGB V).

Die Befugnis zu Richtigstellungen besteht auch für bereits erlassene Honorarbescheide (nachgehende Richtigstellung). Sie bedeutet dann im Umfang der vorgenommenen Korrekturen eine teilweise Rücknahme des Honorarbescheids. Die genannten, auf § 82 Abs. 1 SGB V beruhenden bundesmantelvertraglichen Bestimmungen stellen Sonderregelungen dar, die gemäß § 37 Satz 1 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) in ihrem Anwendungsbereich die Regelung des § 45 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) verdrängen. Eine nach den Bestimmungen zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung rechtmäßige (Teil-)Aufhebung des Honorarbescheids mit Wirkung für die Vergangenheit löst nach § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X, der Grundnorm des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruchs für den gesamten Bereich des Sozialrechts, eine entsprechende Rückzahlungsverpflichtung des Empfängers der Leistung aus (vgl. BSG, Urt. v. 14.12.2005 - B 6 KA 17/05 R - BSGE 96, 1 = SozR 4-2500 § 85 Nr. 22, zitiert nach juris Rdnr. 11 m. w. N.)

Die Prüfung auf sachlich-rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen des Vertragsarztes zielt auf die Feststellung, ob die Leistungen rechtmäßig, also im Einklang mit den gesetzlichen, vertraglichen oder satzungsrechtlichen Vorschriften des Vertragsarztrechts - mit Ausnahme des Wirtschaftlichkeitsgebots -, erbracht und abgerechnet worden sind. Die Befugnis zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung der Honorarforderung auf bundesmantelvertraglicher Rechtsgrundlage besteht danach nicht nur im Falle rechnerischer und gebührenordnungsmäßiger Fehler, sondern erfasst auch Fallgestaltungen, in denen der Vertragsarzt Leistungen unter Verstoß gegen Vorschriften über formale oder inhaltliche Voraussetzungen der Leistungserbringung durchgeführt und abgerechnet hat. Dementsprechend erfolgt eine sachlich-rechnerische Richtigstellung z. B. bei der Abrechnung fachfremder Leistungen oder qualitativ mangelhafter Leistungen, aber auch bei Leistungen eines nicht genehmigten Assistenten sowie bei der Aufrechterhaltung eines übergroßen Praxisumfangs mit Hilfe eines Assistenten, bei der Abrechnung von Leistungen, die nach stationärer Aufnahme erbracht werden, bei der Nichtbeachtung der bereichsspezifischen Vorschriften zur Datenerhebung, -verarbeitung und -nutzung im Rahmen der vertragsärztlichen Abrechnung und schließlich bei einem Missbrauch vertragsarztrechtlicher Kooperationsformen (vgl. zuletzt BSG, Urt. v. 23.06.2010 - B 6 KA 7/09 R - BSGE 106, 222 = SozR 4-5520 § 32 Nr. 4, juris Rdnr. 26 f. m.w.N.).

Bei missbräuchlicher Nutzung der Kooperationsform der Praxisgemeinschaft können Honorarbescheide korrigiert werden.

Für die berufliche Kooperation im Status der Gemeinschaftspraxis bzw. jetzt Berufsausübungsgemeinschaft i. S. des § 33 Abs. 2 Satz 1 der Zulassungsverordnung für Vertragsärzte (Ärzte-ZV) ist kennzeichnend, dass sich mehrere Ärzte des gleichen Fachgebietes oder ähnlicher Fachgebiete zur gemeinsamen und gemeinschaftlichen Ausübung des ärztlichen Berufs in einer Praxis zusammenschließen, wobei - über die gemeinsame Nutzung der Praxiseinrichtungen sowie die gemeinsame Beschäftigung von Personal hinaus - die gemeinschaftliche Behandlung von Patienten und die gemeinschaftliche Karteiführung und Abrechnung in den Vordergrund treten. Einen Schwerpunkt bildet die Zusammenarbeit zur gemeinsamen Einnahmenerzielung. Für die Annahme einer gemeinschaftlichen Berufsausübung im Rahmen einer Gemeinschaftspraxis ist neben einer Beteiligung der Partner an den Investitionen und Kosten der Praxis grundsätzlich auch eine Beteiligung am immateriellen Wert der Praxis (dem "Goodwill") erforderlich, wobei die vertragliche Ausgestaltung im Einzelfall unterschiedlich sein kann. Diese Form der Zusammenarbeit bedarf vorheriger Genehmigung durch den Zulassungsausschuss (§ 33 Abs. 2 Satz 2 Ärzte-ZV). Bei der Praxisgemeinschaft handelt es sich um eine Organisationsgemeinschaft, die nicht der gemeinsamen, in der Regel jederzeit austauschbaren ärztlichen Behandlung an gemeinsamen Patienten dient. Mit ihr wird vielmehr die gemeinsame Nutzung von Praxisräumen und Praxiseinrichtungen sowie die gemeinsame Beschäftigung von Hilfspersonal durch mehrere Ärzte mit dem vorrangigen Zweck, bestimmte Kosten zur besseren Ausnutzung der persönlichen und sachlichen Mittel auf mehrere Ärzte umzulegen. Es verbleibt bei der selbstständigen Praxisführung mit verschiedenem Patientenstamm und jeweils eigener Patientenkartei (vgl. BSG, Urt. v. 22.03.2006 B 6 KA 76/04 R - BSGE 96, 99 = SozR 4-5520 § 33 Nr. 6, juris Rdnr. 14 f. m.w.N.).

Behandeln die Partner einer Praxisgemeinschaft die Patienten zu einem hohen Anteil gemeinschaftlich, bedienen sie sich der Kooperationsform der Praxisgemeinschaft missbräuchlich. Die zwischen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) und den Spitzenverbänden der Krankenkassen mit Wirkung vom 1. Januar 2005 vereinbarten Richtlinien zum Inhalt und zur Durchführung der Abrechnungsprüfungen der KVen und der Krankenkassen (DÄ 2004, A-2555) (im Folgenden: ARL) geben in § 11 Abs. 2 für die Plausibilitätsprüfung bereits bei 20 % Patientenidentität in (teil )gebietsgleichen/versorgungsbereichsidentischen bzw. 30 % bei gebietsübergreifenden/versorgungsübergreifenden Praxisgemeinschaften die Annahme einer Abrechnungsauffälligkeit vor. Diese Aufgreifkriterien lassen die in den Richtlinien vorgenommenen Grenzziehungen erkennen, dass jedenfalls dann, wenn zwei in der Rechtsform einer Praxisgemeinschaft kooperierende Vertragsärzte desselben Fachgebietes annähernd bzw. mehr als 50 % der Patienten in einem Quartal gemeinsam behandeln, tatsächlich die für eine Gemeinschaftspraxis kennzeichnende gemeinsame und gemeinschaftliche Ausübung der ärztlichen Tätigkeit durch Behandlung eines gemeinsamen Patientenstammes stattfindet. Bei einer derart hohen Patientenidentität muss das Patientenaufkommen koordiniert werden, was wiederum die für eine Gemeinschaftspraxis typische einheitliche Praxisorganisation erfordert (vgl. BSG, Urt. v. 22.03.2006 - B 6 KA 76/04 R - a.a.O., Rdnr. 19 f.; BSG, Beschl. v. 05.11.2008 - B 6 KA 17/07 B - juris Rdnr. 12). Gestaltungsmissbrauch in Form eines Missbrauchs der Rechtsform liegt immer dann vor, wenn die formal gewählte Rechtsform nicht den tatsächlichen Gegebenheiten entspricht (vgl. BSG, Beschl. v. 11.10.2017 - B 6 KA 29/17 B - juris Rdnr. 8).

Insofern ist es die klare Aufgabe des Arztes, nicht nur auf die bestehende Kooperationsform der Praxisgemeinschaft hinzuweisen (vgl. BSG, Urt. v. 22.03.2006 B 6 KA 76/04 R - a.a.O., Rdnr. 19; LSG Bayern, Urt. v. 16.05.2007 L 12 KA 563/04 - juris Rdnr. 34 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen durch BSG, Beschl. v. 17.09.2008 - B 6 KA 65/07 B - BeckRS 2008, 57265)), sondern auch ggf. die Behandlung des Patienten – abgesehen von Notfällen – abzulehnen und auf die bereits begonnene Behandlung durch den Praxisgemeinschaftspartner hinzuweisen und sich im Falle einer Vertretungsbehandlung auf die notwendige, d. h. keinen Aufschub zulassende Behandlung zu beschränken. Speziell für den Fall der hausärztlichen Versorgung, an der beide Ärzte der Praxisgemeinschaft teilnehmen, ergibt sich die Pflicht zur Festlegung auf einen bestimmten Hausarzt zwingend aus § 76 Abs. 3 Satz 2 SGB V. Danach wählt der Versicherte einen Hausarzt. Das Nebeneinander von zwei Hausärzten kommt schon begrifflich nicht in Betracht und widerspräche dem Hausarztkonzept, wonach die ärztliche Betreuung und die Koordination diagnostischer, therapeutischer und pflegerischer Maßnahmen in einer Hand sein sollen (vgl. § 73 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Nach § 76 Abs. 3 Satz 3 SGB V ist der Arzt verpflichtet, die Versicherten über Inhalt und Umfang der hausärztlichen Versorgung vorab zu informieren und damit auch über die Verpflichtung des Versicherten, einen bestimmten Hausarzt zu wählen.

Nach diesen Kriterien hat die Beklagte in den angefochtenen Bescheiden eine missbräuchliche Nutzung der Kooperationsform der Praxisgemeinschaft hinreichend nachgewiesen. Sie hat in den angefochtenen Bescheiden im Einzelnen zutreffend dargelegt, dass der Anteil der gemeinsam behandelten Patienten in den streitbefangenen Quartalen bei dem Kläger zwischen 41,39 % und 62,51 % beträgt. Je höher der Anteil gemeinsam behandelter Patienten ist, desto eher kann allein aus diesem Umstand auf eine missbräuchliche Nutzung der Kooperationsform der Praxisgemeinschaft geschlossen werden. Dabei können auch Erfahrungswerte berücksichtigt werden, dass im hausärztlichen Bereich von einem Anteil an Vertretungsfällen von 5 % bis 10 % auszugehen ist. So weist das LSG Nordrhein-Westfalen auf Ermittlungen der KZV Nordrhein hin, die für ihren - vertragszahnärztlichen - Bereich einen Anteil von Doppelbehandlungen in Praxisgemeinschaften von 3 bis 5 % festgestellt habe (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 13.12.2006 - L 11 KA 60/06 - www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris Rdnr. 21; LSG Nordrhein-Westfalen, Urt. v. 13.12.2006 - L 11 KA 59/06 - www.sozialgerichtsbarkeit.de = juris Rdnr. 19). Die Beklagte geht im Allgemeinen von einem Anteil von 5 % für Vertretungsscheine aus (vgl. SG Marburg, Urt. v. 08.12.2010 S 12 KA 30/10 - juris Rdnr. 50) bzw. – wie im hier vorliegenden Verfahren - von einer gegenseitigen Vertretung im Fachgruppendurchschnitt von unter 10 % aus (vgl. SG Marburg, Urt. v. 05.12.2012 - S 12 KA 80/12GesR 2013, 225, juris Rdnr. 42; SG Marburg, Urt. v. 29.01.2014 - S 12 KA 359/12 und S 12 KA 360/12 - juris Rdnr. 22; SG Marburg, Urt. v. 02.04.2014 - S 12 KA 634/12 - juris Rdnr. 37). LSG Niedersachsen geht gleichfalls davon aus, dass bei Praxisgemeinschaften üblicherweise auftretende Patientenidentitäten deutlich geringer sind als 20 % (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urt. v. 21.03.2012 - L 3 KA 103/08 - juris Rdnr. 23). Clemens weist darauf hin, dass die Überschneidungsquote bei Praxisgemeinschaften normalerweise bis max. 15 % beträgt (vgl. Clemens in: jurisPK-SGB V, 2. Aufl., § 106a Rdnr. 175). Danach kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Durchschnitt im Einzelfall überschritten wird.

Die Beklagte hat zutreffend festgestellt, dass nicht alle diese Fälle darauf beruhen, dass es sich um, wenn auch der Organisation der klägerischen Praxis geschuldete Notfälle gehandelt hat. Insofern setzen die geltenden vertragsarztrechtlichen Regelungen für eine letztlich arbeitsteilige Behandlungsweise Grenzen. Die von dem Kläger mit seinem Gemeinschaftspraxispartner gewählte Organisationsform wäre allenfalls nur dann zulässig, wenn die strikte Trennung beider Praxen durchgehalten werde würde. Sie wäre selbst dann noch problematisch, wenn sich aufgrund der zwangsläufig gehäuften Abwesenheitszeiten vermehrt Überlappungen der Behandlungen ergäben.

Die Beklagte hat im Einzelnen auf die große Zahl der gemeinsamen Patienten und auf weitere Indizien hingewiesen, die eindeutig auf das Vorliegen einer Berufsausübungsgemeinschaft hindeuten, so die gegenseitige Vertretungspraxis, den Praxiswechsel innerhalb des Quartals ohne erkennbaren Grund - und das vertragsarztwidrige Benutzen der Versichertenkarten. Ferner hat sie dargelegt, dass die hohe Zahl der doppelten Patienten - jedenfalls nicht ausschließlich - nicht auf Vertretungen im ärztlichen Notfalldienst zurückzuführen ist. Das Gericht sieht von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab, da der Begründung des Widerspruchsbescheides folgt (§ 136 Abs. 3 SGG).

Zutreffend geht die Beklagte davon aus, dass ein Vertretungsfall nur dann angenommen werden kann, wenn der Vertragsarzt aus einem besonderen Grund "an der Ausübung seiner Praxis verhindert" sei, d. h. nicht nur stundenweise abwesend ist und die Praxis insgesamt geschlossen bleibt (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 08.06.2007 L 3 KA 9/07 ER - juris Rdnr. 31). Bereits nach dem Bundesmantelvertrag im Primärkassenbereich in der bis Juni 2007 geltenden Fassung - die gleiche Rechtslage besteht fort - war der Vertragsarzt gehalten, seine Sprechstunden entsprechend dem Bedürfnis nach einer ausreichenden und zweckmäßigen vertragsärztlichen Versorgung und den Gegebenheiten seines Praxisbereiches festzusetzen (§ 17 Abs. 1 Satz 1 BMV Ä). Bei der Verteilung der Sprechstunden auf den einzelnen Tag sollen die Besonderheiten des Praxisbereiches und die Bedürfnisse der Versicherten (z. B. durch Sprechstunden am Abend oder an Samstagen) berücksichtigt werden (§ 17 Abs. 2 BMV Ä). Der Vertragsarzt war und ist gehalten, in dem Umfang Sprechstundenzeiten anzubieten, in denen er seine Patienten das gesamte Quartal hindurch behandeln kann und diese nicht gehalten sind, einen "Vertreter" aufzusuchen. Dies folgt bereits aus seinen allgemeinen vertragsärztlichen Pflichten (§ 95 Abs. 3 SGB V). Der Vertragsarzt hat die vertragsärztliche Tätigkeit persönlich in freier Praxis auszuüben (§ 32 Abs. 1 Satz 1 Ärzte-ZV). Nur bei Krankheit, Urlaub oder Teilnahme an ärztlicher Fortbildung oder an einer Wehrübung kann er sich innerhalb von zwölf Monaten bis zur Dauer von drei Monaten vertreten lassen. Dauert die Vertretung länger als eine Woche, so ist sie der Kassenärztlichen Vereinigung mitzuteilen (§ 32 Abs. 1 Satz 2 und 4 Ärzte-ZV). Eine Gemeinschaftspraxis kann nicht unter Hinweis auf die generelle Vertretungsbefugnis wie eine Praxisgemeinschaft geführt werden; der Vertragsarzt hat in dem Umfang Sprechstundenzeiten anzubieten, in denen er seine Patienten das gesamte Quartal hindurch behandeln kann und diese nicht gehalten sind, einen "Vertreter" aufzusuchen (vgl. SG Marburg, Urt. v. 08.12.2010 - S 12 KA 30/10 R - juris Rdnr. 40 ff.).

Insofern ist es die klare Aufgabe des Arztes, nicht nur auf die bestehende Kooperationsform der Praxisgemeinschaft hinzuweisen (vgl. BSG, Urt. v. 22.03.2006 B 6 KA 76/04 R - a.a.O., Rdnr. 19; LSG Bayern, Urt. v. 16.05.2007 L 12 KA 563/04 - juris Rdnr. 34 (Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen durch BSG, Beschl. v. 17.09.2008 – B 6 KA 65/07 B - BeckRS 2008, 57265)), sondern auch ggf. die Behandlung des Patienten – abgesehen von Notfällen – abzulehnen und auf die bereits begonnene Behandlung durch den Praxisgemeinschaftspartner hinzuweisen und sich im Falle einer Vertretungsbehandlung auf die notwendige, d. h. keinen Aufschub zulassende Behandlung zu beschränken. Speziell für den Fall der hausärztlichen Versorgung, an der all Ärzte der Praxisgemeinschaft teilnehmen, ergibt sich die Pflicht zur Festlegung auf einen bestimmten Hausarzt zwingend aus § 76 Abs. 3 Satz 2 SGB V. Danach wählt der Versicherte einen Hausarzt. Das Nebeneinander von zwei Hausärzten kommt schon begrifflich nicht in Betracht und widerspräche dem Hausarztkonzept, wonach die ärztliche Betreuung und die Koordination diagnostischer, therapeutischer und pflegerischer Maßnahmen in einer Hand sein sollen (vgl. § 73 Abs. 1 Satz 2 SGB V). Nach § 76 Abs. 3 Satz 3 SGB V ist der Arzt verpflichtet, die Versicherten über Inhalt und Umfang der hausärztlichen Versorgung vorab zu informieren und damit auch über die Verpflichtung des Versicherten, einen bestimmten Hausarzt zu wählen.

Das hat der Kläger nicht oder jedenfalls nicht ausreichend getan. Fälle einer "kollegialen Vertretung" sind nicht aus der Zahl der von beiden Ärzten behandelten Fälle herauszurechnen (vgl. LSG Hessen, Urt. v. 30.11.2016 - L 4 KA 22/14 - juris Rdnr. 50 m.w.N.). Vielmehr geht aus den Ausführungen des Klägers hervor, dass aufgrund des Unterlaufens der Hausarztbindung eine wirkliche Akzeptanz nicht zu erreichen war bzw. sich der Kläger und sein Gemeinschaftspraxispartner nicht hinreichend bemüht haben, auf eine Akzeptanz der Trennung beider Praxen hinzuwirken. So führt der Kläger selbst aus, die doppelte Einlesung der Versichertenkarten sei aus Vereinfachungsgründen geschehen. Das deckt sich insofern mit den Feststellungen der Beklagten, dass bei Abwesenheit eines Praxispartners die Behandlung von dem anwesenden Praxispartner fortgeführt wurde. Soweit in einzelnen (Not-)Fällen aus medizinischen Gründen eine Abweisung der Patienten nicht möglich gewesen sein sollte, wird dem von der Beklagten bei der Neufeststellung der Honorare mit den zugestandenen gemeinsamen Fällen - zum Umfang im Einzelnen sogleich - mehr als ausreichend Rechnung getragen (vgl. LSG Bayern, Urt. v. 16.05.2007 - L 12 KA 563/04 - juris Rdnr. 35; LSG Bayern, Urt. v. 28.03.2007 - L 12 KA 216/04 - juris Rdnr. 26). Im Übrigen ist ein Einlesen und Speichern der Daten der Krankenversichertenkarte vor Erbringung einer Leistung (Vorabeinlesung) im Rahmen einer Praxisgemeinschaft, wenn es nicht nur in ganz vereinzelten Fällen vorkommt, ein deutliches und kaum zu widerlegendes Indiz für das Vorliegen einer tatsächlichen Berufsausübungsgemeinschaft (Gemeinschaftspraxis) (vgl. SG Marburg, Gerichtsb. v. 10.08.2017 - S 12 KA 136/17 WA - juris Rdnr. 40).

Von daher geht die Kammer davon aus, dass in allen streitgegenständlichen Quartalen ein Missbrauch der Kooperationsform vorliegt. Dabei hat die Kammer auch die unzureichende Organisation des Notdienstes berücksichtigt. In der mündlichen Verhandlung konnte geklärt werden, dass ab dem Quartal I/14 mit der Neuorganisation des Ärztlichen Bereitschaftsdienstes dieses Problem nicht mehr bestand. Für die Quartale ab I/14 ist die Vertretung in den üblichen Bereitschaftsdienstzeiten ohne Bedeutung. Für den Zeitraum bis Ende 2013 geht die Kammer aber nach dem unwiderlegten Vortrag des Klägers davon aus, dass am Praxissitz des Klägers kein von der Beklagten organisierter Bereitschaftsdienst bestand. Die Kammer hat mit den Beteiligten in der mündlichen Verhandlung den Hinweis der Beklagten im angefochtenen Widerspruchsbescheid erörtert, dass im Quartal über 100 Notfallpauschalen abgerechnet werden, und dass dies nicht den wesentlich größeren Umfang der gemeinsamen Fälle erklären kann. So wird auch z. B. im Quartal IV/13 die Versichertenpauschale bei 810 von 1.053 Behandlungsfällen abgerechnet, die Zahl gemeinsamer Patienten betrifft aber 658 Behandlungsfälle. Im Quartal IV/13 wird die Versichertenpauschale 572-mal bei 1.130 Behandlungsfällen und 700 gemeinsamen Patienten abgerechnet. Die hohe Anzahl gemeinsamer Patienten kann daher keinesfalls allein auf die spezifische Notdienstsituation zurückgeführt werden, was sich auch aus der geschilderten Kooperationsweise und den übrigen von der Beklagten aufgeführten Indizien ergibt. Der Umstand des fehlenden organisierten Bereitschaftsdienstes war aber, dazu sogleich, im Rahmen des Schätzungsermessens zu berücksichtigen.

Eine "Beratung vor Regress" ist gesetzlich nur und erst seit Neuerem für eine Richtgrößenprüfung vorgeschrieben, nicht aber für ein Verfahren nach § 106a SGB V.

Kürzungs- bzw. Rückforderungsbescheide aufgrund der Richtigstellung von fehlerhaften vertragsärztlichen Abrechnungen nach einem Verstoß gegen Vorschriften über formale oder inhaltliche Voraussetzungen der Leistungserbringung setzen grundsätzlich kein Verschulden des Vertragsarztes voraus (vgl. BSG, Urt. v. 23.06.2010 - B 6 KA 7/09 R - BSGE 106, 222 = SozR 4-5520 § 32 Nr. 4, juris Rdnr. 61; BSG, Urt. v. 22.03.2006 B 6 KA 76/04 R - BSGE 96, 99 = SozR 4-5520 § 33 Nr. 6, juris Rdnr. 28; BSG, Urt. v. 23.03.2016 - B 6 KA 8/15 R - SozR 4-2500 § 106a Nr. 15, juris Rdnr. 39). Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Kassenärztliche Vereinigung den gesamten Honorarbescheid für ein Quartal allein wegen der Unrichtigkeit der Abrechnungssammelerklärung aufhebt, worauf offensichtlich die Beklagte abstellt. Diese Rechtsfolge setzt voraus, dass unrichtige Angaben in den Behandlungsausweisen zumindest grob fahrlässig erfolgt sind. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts besteht aber kein Zusammenhang zwischen einer Richtigstellung infolge eines Gestaltungsmissbrauchs und einer unrichtigen Abrechnungssammelerklärung (vgl. BSG, Beschl. v. 11.10.2017 - B 6 KA 29/17 B - juris Rdnr. 9; BSG, Beschl. v. 17.2.2016 - B 6 KA 50/15 B - GesR 2016, 311, juris Rdnr. 12 f.; vgl. LSG Hessen, Urt. v. 30.11.2016 - L 4 KA 22/14 - juris Rdnr. 54).

Im Übrigen ist angesichts der im Einzelnen von der Beklagten dargelegten Implausibilität der Abrechnung für alle streitbefangenen Quartale von einem zumindest grob fahrlässigen Verhalten des Klägers auszugehen. Spätestens mit dem Schreiben der Beklagten vom 17.01.2012 zum Abschluss der patientenbezogenen Plausibilitätsprüfung für die Quartale I/08 bis IV/10 hätte dem Kläger - und seinem Partner - bewusst sein müssen, dass die von ihnen gewählte und praktizierte Kooperationsform unzulässig war. Insofern ist der Vortrag des Klägers, so z. B. im Schriftsatz vom 29.03.2016, bis zur Einleitung des hier streitgegenständlichen Plausibilitätsverfahrens seien weder er noch Dr. C. jemals auffällig geworden, nicht nachvollziehbar. Insofern folgt auch aus dem Disziplinarbescheid, der gerade die streitgegenständlichen Quartale nicht berücksichtigt hat, kein Indiz für ein fehlendes Verschulden in diesen Quartalen.

Keinesfalls steht den in einer vorgetäuschten Praxisgemeinschaft zusammenarbeitenden Ärzten mehr an Honorar zu, als ihnen zu zahlen gewesen wäre, wenn sie auch rechtlich eine genehmigte Gemeinschaftspraxis im Sinne von § 33 Abs. 2 Ärzte-ZV gebildet hätten (vgl. BSG, Urt. v. 22.03.2006 - B 6 KA 76/04 R - a.a.O., Rdnr. 22). Dies bedeutet jedoch nicht, dass den Ärzten auch tatsächlich das Honorar zu zahlen wäre, das sie erhalten hätten, wenn sie legal in einer genehmigten Gemeinschaftspraxis zusammengearbeitet hätten. Das BSG (ebd.) führt vielmehr weiter aus, dass jedenfalls bei einer Patientenidentität von mehr als 50 % bei formal unter der Rechtsform einer Praxisgemeinschaft zusammenarbeitenden Ärzten desselben Fachgebiets solche Gebührentatbestände des EBM, bei denen bei einer Behandlung in einer fachgleichen Gemeinschaftspraxis eine Vergütung für ein Quartal höchstens einmal gewährt werden kann, bei keinem Praxisgemeinschaftspartner zu berücksichtigen seien, denn insoweit scheide eine vergütungsrechtliche Zuordnung der Leistungen zu einem der Vertragsärzte aus. Das Bundessozialgericht hat in ständiger Rechtsprechung solche Gegenrechnungen bzw. Saldierungen abgelehnt, weil dadurch die Ordnungsvorgaben des Vertragsarztsystems unterlaufen würden. Honorarkürzungen dürfen sich vielmehr auf das gesamte Honorar erstrecken, das auf rechtswidrige Weise erlangt wurde, ohne dass gegenzurechnen ist, was bei rechtmäßigem Verhalten als Honorar zu zahlen gewesen wäre; in solchen Fällen kann eine Honorarneufestsetzung im Wege einer Schätzung erfolgen. Diese Grundsätze gelten auch in Fällen des Missbrauchs der Kooperationsform der Praxisgemeinschaft. Dabei können auch deutlich unter 50% liegende Quoten ausreichen, um Vergütungen, die bei Vorliegen einer Gemeinschaftspraxis nur einmal zu zahlen wären, beiden Ärzten zu kürzen (vgl. BSG, Beschl. v. 17.09.2008 - B 6 KA 65/07 B - BeckRS 2008, 57265, Rdnr. 9 ff.). Die Kammer ist bereits im Urteil vom 29.01.2014 - S 12 KA 359/12 - juris Rdnr. 38 davon ausgegangen, dass insofern § 11 Abs. 2 ARL verbindlich vorgibt, dass im Ergebnis ein Anteil von 20 % - bzw. bei fachübergreifenden Praxisgemeinschaften von 30 % - gemeinsamer Patienten anzuerkennen ist, soweit nicht besondere Umstände vorliegen, die einen höheren Anteil rechtfertigen. Auch in der Literatur werden, ausgehend davon, dass die Überschneidungsquote bei Praxisgemeinschaften normalerweise bis max. 15% beträgt, Kürzungen ab einer Quote von 20% an Doppelpatienten grundsätzlich als rechtens angesehen (vgl. Clemens in: jurisPK-SGB V, 2. Aufl. 2012, § 106a SGB V, Rdnr. 175). Soll eine darüber hinausgehende Kürzung vorgenommen werden, ist dies im Einzelnen zu begründen und reichen bei Ausübung des Kürzungsermessens allgemeine pauschalierende Erwägungen nicht mehr aus.

Nach § 11 Abs. 2 ARL ist eine Abrechnungsauffälligkeit nur ab der genannten Grenzwerte zu vermuten. Eine solche Abrechnungsauffälligkeit bedeutet aber noch nicht, dass automatisch eine Honorarkürzung ausgesprochen werden kann, da nach § 12 Abs. 1 und 2 ARL erst dann die Kassenärztliche Vereinigung weitere Prüfungen durchführt mit dem Ziel, mit Hilfe ergänzender Tatsachenfeststellungen und Bewertungen festzustellen, ob gegen die rechtliche Ordnungsmäßigkeit verstoßen worden ist oder nicht. § 11 Abs. 2 ARL gibt damit aber eine Untergrenze an, ab deren Überschreiten erst eine weitere Prüfung stattfindet, ohne die eine Honorarkürzung nicht erfolgen kann. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass diese Untergrenze trotz der Feststellung, dass tatsächlich ein Gestaltungsmissbrauch vorliegt, auch als Kürzungsgrenze jedenfalls verbleibt, soweit nicht eine ergänzende substantiierte Prüfung ergibt, dass mit hoher Wahrscheinlichkeit der Gestaltungsmissbrauch auch Unterhalb der Untergrenze zu unzulässigen Honorarverschiebungen geführt hat. Insofern beschränkt die für die Beteiligten verbindliche ARL (§ 106a Abs. 6 i. V. m. Abs. 5 Satz 3 SGB V) das Ermessen der Beklagten.

Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die Berechnung des Berichtigungsbetrags insoweit zu beanstanden als sie den Umstand des fehlenden organisierten Bereitschaftsdienstes im Rahmen des Schätzungsermessens nicht berücksichtigt hat.

Die Beklagte geht zunächst von der Anzahl gemeinsamer Patienten aus (nachfolgend: Spalte 3). Hiervon zieht sie aufgrund der von ihr anerkannten Besonderheiten 20 % der Fälle ab, so dass 80 % der gemeinsamen Patienten zunächst als unplausible Fälle angenommen werden (Spalte 4). Von diesen unplausiblen Fälle zieht sie einen nicht näher begründeten "Sicherheitsabschlag" von 30 % ab (Spalte 5). Die darüber hinaus verbliebene Anzahl der Fälle (Spalte 6) teilt sie hälftig (50 %) (Spalte 7) auf die Praxisgemeinschaftspartner auf, wodurch weitere 50 % anerkannt werden. Im Ergebnis verbleibt dem Kläger damit ein Anteil von 21,5 % bis 32,6 % der unplausiblen Fälle an seiner Gesamtzahl bzw. von 29,8 % bis 45,0 % der gemeinsamen Patienten an seiner Gesamtzahl, wie sich aus nachfolgenden Berechnungen der Kammer ergeben. Spalte 6 zeigt jeweils die verbleibenden Fälle aufgrund des 30 %-Abzugs, Spalte 7 die verbleibenden Fälle aufgrund der 50 %-Aufteilung, Spalte 8 gibt die Differenz der Spalten 4 und 7 wieder und damit die Anzahl der nicht beanstandeten gemeinsamen Fälle, Spalte 9 deren Anteil an der Gesamtfallzahl (Spalte 2), Spalte 10 die insgesamt anerkannten gemeinsamen Patienten und Spalte 11 deren Anteil an der Gesamtfallzahl (Spalte 2) an:

1 2 3 4 5 6 7 8 (4-7) 9 (8 von 2) 10 (3-7) 11 (10 von 2)
Quartal Fallzahl Gemeinsame Patienten Unplausible Fälle 30% Unpl.Fälle 50 % Gesamt anerkannt Gesamt in % Insgesamt anerkannt Insgesamt in %
I/13 1.065 658 526 157 369 184 342 32,1 474 44,5
II/13 1.001 479 383 114 269 134 249 24,9 345 34,5
III/13 1.013 589 471 141 330 165 306 30,2 424 41,9
IV/13 1.130 700 560 168 392 196 364 32,2 504 44,6
I/14 991 573 458 137 321 160 298 30,1 413 41,7
II/14 908 466 373 111 262 131 242 26,7 335 36,9
III/14 1.035 647 518 155 363 181 337 32,6 466 45,0
IV/14 906 375 300 90 210 105 195 21,5 270 29,8
I/15 914 404 323 96 227 113 210 23,0 291 31,8

Soweit die Beklagte in dem angefochtenen Berichtigungsbescheid einen unterschiedlichen Kürzungsmaßstab angewandt hat, wird der Kläger hierdurch nicht beschwert, da die zugestandenen Patientenanteile noch zwischen 29,8 % bis 45,0 % liegen (vgl. SG Marburg, Urt. v. 08.05.2013 - S 12 KA 435/12 - a.a.O., Rdnr. 59; Urt. v. 29.01.2014 - S 12 KA 359/12 -; zur Ausübung des Schätzungsermessens auch unter die Grenze von 20 % gemeinsamer Fälle vgl. SG Marburg, Gerichtsb. v. 10.08.2017 S 12 KA 136/17 WA - juris Rdnr. 51). Das LSG Hessen hat generell die von der Beklagten angewandte Methodik bei der Ausübung des Schätzungsermessens, die zu unterschiedlichen Ergebnissen führen kann, nicht beanstandet, soweit der Inhaber der verhältnismäßig größeren Praxis von dieser Berechnungsweise im Vergleich zu der Partnerin der Praxisgemeinschaft begünstigt werde und somit die Berechnungsweise insoweit jedenfalls nicht zu einer Verletzung subjektiv-öffentlicher Rechte führe (vgl. LSG Hessen, Urt. v. 30.11.2016 - L 4 KA 22/14 - juris Rdnr. 56). Zwar sei mit der Vorinstanz davon auszugehen, dass allein pauschalierende Erwägungen zur Begründung des Kürzungsermessens nicht ausreichend seien, wenn dies zu einer Anerkennungsquote der patientenidentischen Behandlungsfälle von weniger als 20% und damit unterhalb des in der Richtlinie nach § 106a SGB V angegebenen Grenzwertes führe. Es reiche aber aus, dass die Beklagte in ihre Ermessenserwägungen die Größenordnung der gegenseitigen Vertretung von unter 10% im Fachgruppendurchschnitt in Hessen einstelle und dieser Wert mit der Kürzung nicht unterschritten werde (vgl. LSG Hessen, Urt. v. 30.11.2016 - L 4 KA 22/14 - juris Rdnr. 58 f.).

Die Kammer hat aber bereits darauf hingewiesen, dass besondere Umstände im Rahmen des Kürzungsermessens zu berücksichtigen sind. So ist eine Kassenärztliche Vereinigung z. B. gehalten, sich substantiiert mit dem Einwand auseinanderzusetzen, es handele sich fast ausschließlich um Vertretungsfälle wegen Urlaubsabwesenheit oder am Freitagnachmittag. Es reicht dann nicht aus, lediglich die von den Klägern genannten Zahlen aufzugreifen, um die Abweichungen von ihren Feststellungen zu betonen (vgl. SG Marburg, Urt. v. 05.12.2012 - S 12 KA 80/12GesR 2013, 225, juris Rdnr. 49 ff.). Es reicht auch nicht aus, den Einwand des Kläger, es habe bis zum Ende des Jahres 2013 kein organisierter Ärztlicher Bereitschaftsdienst stattgefunden, unter Hinweis auf die verbliebenen anerkannten gemeinsamen Fälle als hinreichend berücksichtigt zu betrachten. Bei dem von der Klägerin angewandten und insbesondere von der Rechtsprechung des LSG Hessen gebilligten Kürzungsmodus handelt es sich um den allgemeinen Kürzungsmodus ohne Berücksichtigung von Praxisbesonderheiten. Schon aus Gründen der Gleichbehandlung ist zu verlangen, dass hiervon abgewichen wird, soweit besondere und nicht nur marginale Abweichungen vorliegen. So ist der fachkundig mit einer ehrenamtlichen Richterin und einem ehrenamtlichen Richter aus den Kreisen der Vertragsärzte besetzten Kammer bekannt, dass gerade im ländlichen Raum kaum eine Alternative in den sprechstundenfreien Zeiten zur eigenen hausärztlichen Praxis besteht. Der Kläger hat nachvollziehbar dargelegt, dass er und sein Partner sich gerade auch in den üblichen sprechstundenfreien Zeiten wegen des Fehlens eines organisierten Ärztlichen Bereitschaftsdienstes, wofür die Beklagte verantwortlich ist, ganzjährig vertreten haben. In dieser Vertretung ist jedenfalls kein Missbrauch der Kooperationsform zu sehen.

Bei Schätzungen besteht kein der Gerichtskontrolle entzogener Beurteilungsspielraum. Vielmehr hat das Gericht die Schätzung selbst vorzunehmen bzw. jedenfalls selbst nachzuvollziehen. Die Verpflichtung zur eigenen Schätzung bedeutet allerdings nicht, dass das Gericht nunmehr erneut alle Schätzungsgrundlagen erhebt und eine völlig eigene Schätzung vornimmt. Sofern der Verwaltungsakt überzeugende Ausführungen zur Schätzung enthält, reicht es aus, wenn das Gericht sich diese Ausführungen zu Eigen macht und sie in seinen Entscheidungsgründen nachvollzieht (vgl. BSG, Urt. v. 17.09.1997 - 6 RKa 86/95 - SozR 3-5550 § 35 Nr. 1, juris Rdnr. 28; LSG Hessen, Urt. v. 27.08.2014 - L 4 KA 11/13 - juris Rdnr. 99; LSG Hessen, Urt. v. 13.09.2017 - L 4 KA 65/14 - juris Rdnr. 70; LSG Schleswig-Holstein, Urt. v. 13.06.2017 - L 4 KA 16/14 - juris Rdnr. 32; LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 16.11.2016 - L 7 KA 54/13 - juris Rdnr. 60; SG Kiel, Urt. v. 07.11.2017 - S 2 KA 731/15 - juris Rdnr. 29).

Die Kammer schätzt die auf den fehlenden organisierten Ärztlichen Bereitschaftsdienst zurückzuführenden Vertretungsfälle auf 100 Behandlungsfälle pro Quartal. Hierbei greift sie auf die Zahl der abgerechneten Notdienstscheine und, mangels nicht vorhandener weiterer Daten, auf ihr allgemeines Erfahrungswissen zurück. Hieraus kann die zu hoch ausgefallene Kürzung, in deren Umfang der Bescheid aufzuheben war, errechnet werden. Grundlage sind die in der Anlage zum Ausgangsbescheid angegebenen Werte, wobei vom Kürzungsbetrag der Betrag aus dem Produkt von Fallwert mal 100 abzuziehen war. Im Einzelnen:
Quartal Honorarkürzung in EUR Fallwert in EUR Fallwert x 100 in EUR Verbleibende Kürzung in EUR
I/13 8.878,00 48,25 4.825 4.053,00
II/13 6.963,98 51,97 5.197 1.766,98
III/13 8.215,35 49,79 4.979 3.236,35
IV/13 9.598,12 48,97 4.897 4.701,12

Nach allem war der Klage im tenorierten Umfang stattzugeben und war sie im Übrigen abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i. V. m. § 155 Abs. 1 VwGO. Wenn ein Beteiligter teils obsiegt, teils unterliegt, so sind die Kosten gegeneinander aufzuheben oder verhältnismäßig zu teilen. Aus den entsprechenden Anteilen am Kürzungsbetrag ergibt sich die Kostenquote.
Rechtskraft
Aus
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