S 52 SO 5/14

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Duisburg (NRW)
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
52
1. Instanz
SG Duisburg (NRW)
Aktenzeichen
S 52 SO 5/14
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 9 SO 340/18
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Verpflichtung der Beklagten, ihm höhere Leistungen nach dem Dritten Kapitel des Zwölften Buchs Sozialgesetzbuch (SGB XII) unter Berücksichtigung der tatsächlichen Kosten der Unterkunft zu gewähren.

Der 1977 geborene Kläger beantragte am 18.04.2013 Leistungen nach dem Dritten Kapitel SGB XII, nachdem ihm eine Erwerbsminderungsrente auf Zeit bewilligt worden war.

Zuvor hatte er Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) bezogen. Während des Leistungsbezuges war er zum 01.09.2010 in die Wohnung unter der An-schrift Zum Mühlkotten 1, Duisburg, gezogen. Die zuständige ARGE Duisburg, die dem Umzug nicht zugestimmt hatte, gewährte dem Kläger seitdem Leistungen nicht unter Berücksichtigung der tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 400 EUR (280 EUR Kaltmiete, 70 EUR Betriebskosten, 50 EUR Heizkosten), sondern jeweils der angemes-senen Kosten der Unterkunft. Ein dagegen eingelegter Widerspruch des Klägers war er-folglos geblieben. Zuletzt hatte das Jobcenter Duisburg mit Bescheid vom 13.03.2013 Leistungen nach dem SGB II für die Zeit vom 01.04.2013 bis zum 30.09.2013 unter Be-rücksichtigung von Bedarfen für Unterkunft und Heizung in Höhe von 335,03 EUR gewährt.

Mit Bescheiden vom 22.04.2013 und 23.04.2013 bewilligte die Beklagte dem Kläger Leistungen nach dem Dritten Kapitel SGB XII unter Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft und Heizung in Höhe von 341,50 EUR. Zur Begründung führte sie aus, dass die angemessene Grundmiete laut Mietspiegel 2009 221,50 EUR betrage. Die tatsächliche Miete überschreite diesen Wert um 86,50 EUR. Zusätzlich seien die tatsächlichen Betriebskosten in Höhe von 70 EUR sowie die Heizkosten in Höhe von 50 EUR monatlich berücksichtigt worden. Mit Bescheid vom 03.05.2013 bewilligte die Beklagte dem Kläger Leistungen für Mai 2013 unter zusätzlicher Berücksichtigung eines Mehrbedarfs für Warmwasser.

Mit Bescheiden vom 22.05.2013 und 21.06.2013 bewilligte die Beklagte dem Kläger Leistungen für die Monate Juni bzw. Juli 2013 unter Berücksichtigung von Kosten der Unterkunft und Heizung von 341,50 EUR.

Mit Bescheid vom 12.07.2013 bewilligte die Beklagte dem Kläger für Juli 2013 höhere Leistungen unter Berücksichtigung einer Bruttokaltmiete von 329 EUR zuzüglich 50 EUR Heizkosten.

Mit Bescheid vom 22.07.2013 bewilligte die Beklagte dem Kläger Leistungen für August 2013, mit Bescheid vom 23.08.2013 für September 2013 und Bescheid vom 20.09.2013 für Oktober 2013, jeweils unter Zugrundelegung einer Bruttokaltmiete von 329 EUR.

Gegen sämtliche Bescheide erhob der Kläger Widerspruch und führte aus, die tatsächli-che Miete liege derzeit bei 428 EUR. Er sei schwerbehindert mit einem GdB von 60 sowie Merkzeichen "G". Er sei auf eine Erdgeschosswohnung angewiesen. Aufgrund von Be-suchskontakten mit seiner Tochter benötige er eine höhere Wohnfläche. Ihm sei auch nicht klar, aus welchen Gründen erst ab Juli 2013 höhere Kosten der Unterkunft berücksichtigt würden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 03.12.2013 half die Beklagte dem Widerspruch insoweit ab, als ab 01.05.2013 Leistungen unter Zugrundelegung einer Bruttokaltmiete in Höhe von 329 EUR gewährt wurden. Im Übrigen wies sie den Widerspruch zurück und führte aus, der Kläger habe nur Anspruch auf Leistungen unter Berücksichtigung der angemessenen Kosten der Unterkunft. Bereits das Jobcenter habe eine Kürzung vorgenommen, Gründe für eine Überprüfung seien nicht vorgetragen worden. Besuchskontakte erhöhten nicht den Wohnbedarf.

Dagegen richtet sich die fristgerecht erhobene Klage, mit der der Kläger Leistungen unter Berücksichtigung der tatsächlichen Kosten der Unterkunft begehrt. Zur Begründung trägt er vor, er bewohne die Wohnung zeitweise gemeinsam mit seiner Tochter. Außerdem sei er aufgrund seiner seelischen Erkrankung auf eine Erdgeschosswohnung angewiesen. Er leide an einer Borderline-Störung und sei suizidgefährdet. Aufgrund des festgestellten GdB und des Merkzeichens "G" sei ein Umzug erschwert. Er sei aufgrund seiner psychischen Instabilität auf sein gewohntes Umfeld angewiesen und könne deshalb die Wohnung nicht wechseln. Er sei der Meinung, er habe beim Jobcenter Leistungen unter Be-rücksichtigung der vollen Kosten der Unterkunft und Heizung erhalten. Er sei inzwischen in Pflegegrad 2 eingestuft und erhalte Leistungen der Pflegeversicherung.

Der Kläger beantragt,

die Beklagte unter Änderung der Bescheide vom 22.04.2013, 23.04.2013, 22.05.2013, 21.06.2013, 12.07.2013, 22.07.2013, 23.08.2013 und 20.09.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 03.12.2013 zu verpflichten, ihm Leis-tungen nach dem Dritten Kapitel SGB XII unter Zugrundelegung der tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Bescheide für rechtmäßig. Der Kläger habe Anspruch auf Leistungen unter Zugrundelegung der angemessenen Kosten der Unterkunft für eine Person nach dem schlüssigen Konzept der Firma Analyse & Konzepte. Ein erhöhter Wohnbedarf wegen der Tochter bestehe nicht, weil diese sich überwiegend nicht im Haushalt des Klägers aufhalte. Ein Kostensenkungsverfahren sei nicht erforderlich gewesen, weil dieses bereits vom Jobcenter Duisburg durchgeführt worden sei und der Kläger so hinreichend gewarnt gewesen sei. Es sei nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen die seelische Erkrankung eine Erdgeschosswohnung erforderlich mache, im Übrigen seien auch Erdgeschosswohnungen zu Preisen innerhalb der Angemessenheitsgrenze verfügbar.

Das Gericht hat Befundberichte eingeholt von den behandelnden Ärzten Dr. St., Dr. St. und Frau Dr. J ... Sodann hat das Gericht Beweis erhoben durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens von dem Arzt für Psychiatrie und Psychotherapie und Arzt für Nervenheilkunde Prof. Dr. W ... Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt der Gerichtsakte verwiesen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, der den Kläger betreffenden Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie der den Kläger betreffenden Verwaltungsvorgänge des Jobcenters Duisburg Band II und III Bezug genommen, die vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist unbegründet, denn die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig. Streitgegenstand sind die Leistungsbewilligungen für die Zeit Mai bis Dezember 2013, denn die Folgebescheide ab Juni 2013 sind in entsprechender Anwendung von § 86 des So-zialgerichtsgesetzes (SGG) Gegenstand des Widerspruchsverfahrens geworden (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 09.12.2016 B 8 SO 14/15 R m. w. N.).

Der Kläger hat sein Begehren zulässigerweise auf die Leistungen für Unterkunft und Heizung beschränkt, denn insoweit handelt es sich um einen abtrennbaren Streitgegenstand (vgl. BSG, Urteil vom 10.11.2011 B 8 SO 18/10 R).

Der Kläger hat dem Grunde nach Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel des SGB XII. Hierüber besteht zwischen den Beteiligten kein Streit.

Nach § 35 Abs. 1 Satz 1 SGB XII werden die Leistungen für die Unterkunft zunächst in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen erbracht. Nach § 35 Abs. 2 Satz 1 SGB XII sind die Aufwendungen für die Unterkunft, wenn sie den der Besonderheit des Einzelfalles angemessenen Umfang übersteigen, insoweit als Bedarf der Personen, deren Einkommen und Vermögen nach § 27 Abs. 2 SGB XII zu berücksichtigen sind, anzuerkennen. § 35 Abs. 2 Satz 2 SGB XII bestimmt, dass dies solange gilt, als es diesen Personen nicht möglich oder nicht zuzumuten ist, durch einen Wohnungswechsel, durch Vermieten oder auf andere Weise die Aufwendungen zu senken, in der Regel jedoch längstens für sechs Monate. Im Hinblick darauf, dass die ARGE Duisburg bereits im Jahr 2010 die Zu-stimmung zur Anmietung der Wohnung abgelehnt und in der Folge jeweils nur die angemessenen Kosten der Unterkunft übernommen hatte, hatte der Kläger ab Beginn der Leistungen nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch lediglich Anspruch auf Leistungen für die angemessenen Unterkunftskosten. Einer erneuten Kostensenkungsaufforderung, nunmehr durch den Sozialhilfeträger, bedurfte es nicht, weil der Kläger insoweit hinreichend gewarnt war. Die von dem Kläger bewohnte Wohnung überschreitet mit ei-ner Bruttokaltmiete von 378 EUR die angemessenen Aufwendungen für die Unterkunft. Bedenken gegen die von der Beklagten für einen 1-Personen-Haushalt ermittelte angemessene Bruttokaltmiete in Höhe von 329 EUR bestehen nicht. Nach der Rechtsprechung des 8. Senats des BSG, der sich die Kammer nach eigener Prüfung anschließt, ist die abstrakte Angemessenheit der Aufwendungen für die Kosten der Unterkunft nach der sogenannten Produkttheorie zu ermitteln. Hiernach bestimmt sich die Angemessenheitsgrenze nicht nur durch die Wohnungsgröße, sondern auch durch Ausstattung, La-ge und Bausubstanz, die nur einfachen und grundlegenden Bedürfnissen entsprechen müssen und keinen gehobenen Lebensstandard aufwenden dürfen; die Angemessenheit ergibt sich dann aus dem Produkt von Wohnfläche und Standard, das sich in der Wohnungsmiete niederschlägt. Dabei sind zunächst die angemessene Größe der Wohnung und sodann der angemessene Quadratmeterpreis mittels eines schlüssigen Kon-zepts zu ermitteln (vgl. BSG, Urteil vom 23.03.2010 B 8 SO 24/08 R).

Die von der Beklagte mit Gutachten der Firma Analyse & Konzepte GmbH entwickelten Richtlinien entsprechen nach Überzeugung der Kammer den Anforderungen an ein "schlüssiges Konzept". Die Kammer schließt sich insoweit nach eigener Prüfung den überzeugenden Ausführungen der 48. Kammer im Urteil vom 19.04.2016 (S 48 SO 528/12) an. Daraus resultiert eine angemessene Bruttokaltmiete in Höhe von 329 EUR, so dass die tatsächliche Bruttokaltmiete die angemessene um 49 EUR überschreitet.

Die im Falle des Klägers angemessenen Kosten der Unterkunft sind nicht unter Zugrundelegung einer abweichenden Wohnungsgröße zu bestimmen. Soweit der Kläger mit der Klage vorgetragen hat, dass seine Tochter zeitweilig bei ihm wohne, steht dies im Widerspruch zu seinen Angaben gegenüber dem Sachverständigen Prof. Dr. Wurth-mann, der den Kläger im Jahre 2012 und 2017 untersucht hat. Bei beiden Untersuchungen hat der Kläger angegeben, dass seine Tochter seit Jahren den Kontakt zu ihm ablehne. Selbst wenn die Tochter des Klägers bei diesem wohnen würde, wäre die Beklagte nicht zu höheren Leistungen für die Unterkunft verpflichtet, denn die Kosten der Unterkunft wären in diesem Fall auf den Kläger und seine Tochter aufzuteilen, die Tochter steht jedoch nicht bei der Beklagten im Leistungsbezug.

Die Anmietung einer Wohnung im Rahmen der abstrakten Angemessenheit war im Falle des Klägers auch konkret möglich und zumutbar. Insbesondere hat die Beweisaufnahme weder ergeben, dass besondere Anforderungen an die Wohnung zu stellen wären noch dass ein Umzug aus gesundheitlichen Gründen unmöglich gewesen wäre. Die behandelnde Ärztin Frau Dr. J. hat ausgeführt, dass weder besondere Anforderungen an die Wohnung zu stellen seien noch die Umzugsfähigkeit des Klägers eingeschränkt sei. Auch der Neurologe und Psychiater Dr. St. führt aus, dass keine besonderen Anforderungen an die Wohnung zu stellen seien und ein Umzug möglich sei. Er hält es lediglich für wünschenswert, den instabilen Patienten in seinem gewohnten sozialen Umfeld zu belassen. Daraus ergibt sich jedoch nicht, dass der Verbleib in der Wohnung oder dem Haus zwingend notwendig wäre. Dr. St. sah sich nicht in der Lage, insoweit eine Aussage zu treffen.

Der Sachverständige Prof. Dr. W. hat im Einklang mit den Einschätzungen der behandelnden Ärzte ebenfalls die Notwendigkeit des Verbleibs des Klägers in der bisherigen Wohnung verneint. Prof. Dr. W. stützt sich bei seiner Einschätzung auf seine im Jahr 2012 und 2017 durchgeführten Untersuchungen. Aufgrund der erhobenen Befunde kommt er nachvollziehbar zu dem Ergebnis, dass bei dem Kläger eine emotional-instabile Persönlichkeitsstörung vom Boderline-Typ besteht, außerdem ein Alkoholabhängigkeitssyndrom und eine Sarkoidose mit Nikotinabusus. Eine relevante Ein-schränkung der Atmung bestehe nicht, der Kläger sei in der Lage, kilometerlange Wegstrecken zurückzulegen und auch Treppen bis in die 5. Etage zu steigen. Er leide lediglich unter Belastung unter Luftnot im üblichen Rahmen. Er verfüge über gute Kontakte, auch zu Nachbarn, diese könne er auch nach einem Umzug beibehalten. Die Beibehaltung der Wohnung sei insbesondere nicht relevant für die Vermeidung von Suizidversuchen. Trotz Inhabung der Erdgeschosswohnung habe er einen Suizidversuch unternommen. Für den Gesundheitszustand sei vielmehr relevant, dass der Kläger wenig Alkohol konsumiere und seine Problembereiche bearbeite.

Die Kammer hält diese Einschätzung für zutreffend. Prof. Dr. W. ist dem Gericht aus einer Vielzahl von Verfahren als sorgfältiger Untersucher und abwägender Beurteiler bekannt. Er begründet seine Einschätzung unter Zugrundelegung der Angaben des Klägers und der von ihm erhobenen Befunde und gelangt nachvollziehbar zu dem Ergebnis, dass dem Kläger auch unter Berücksichtigung seiner gesundheitlichen Situation ein Umzug möglich und zumutbar ist.

Die Kammer hat auch keine Zweifel daran, dass im Mai 2013 ausreichend anmietbare Wohnungen zu einem angemessenen Preis zur Verfügung standen. Der Kläger hat auch nicht einmal vorgetragen, dass er sich erfolglos um die Anmietung einer anderen Wohnung bemüht hätte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 SGG.

Die Berufung ist nicht zulässig, weil der Wert des Beschwerdegegenstandes 750 EUR nicht übersteigt (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG). Denn die von dem Kläger begehrte Über-nahme der tatsächlichen Kosten der Unterkunft für Mai bis Dezember 2013 erreicht diesen Wert nicht. Die Differenz zwischen der tatsächlichen und der angemessenen Bruttokaltmiete beträgt 49 EUR, so dass sich für acht Monate ein Betrag von 392 EUR ergibt.
Rechtskraft
Aus
Saved