Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Köln (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 5 KR 322/03
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Klage wird abgewiesen. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Umstritten ist die Freistellung des Klägers vom Gesamtsozialversicherungsbeitrag beziehungsweise die Verminderung der Beitragshöhe gemäß der Kinderzahl.
Der 1954 geborene Kläger ist verheiratet und Vater dreier in den Jahren 1990, 1993 und 1996 geborener Kinder. Ab 1990 war er als angestellter Journalist beschäftigt. Nach seinen eigenen Angaben betrug sein Monatsbruttoverdienst im Jahre 1997 5.000,- DM nebst Sonderzahlungen. Für das Jahr 2003 hat er ein Jahresbruttoeinkommen von 33.400,- Euro angegeben. Seit 01.01.2004 ist der Kläger arbeitslos und bezieht Arbeitslosengeld.
Im Mai 1997 beantragte der Kläger bei der Beklagten die umgehende Freistellung von der Beitragspflicht zur Rentenversicherung. Die Beklagte vertrat damals die Auffassung, über die Befreiung entscheide der zuständige Rentenversicherungsträger (Bundesversicherungsanstalt für Angestellte) und leitete den Antrag an diese weiter. Bereits im März 1997 hatte der Kläger auch bei der BfA beantragt, auf die Erhebung von Pflichtbeiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung zu verzichten. Er meinte, bei steigenden Beiträgen und sinkenden Leistungen sei private Vorsorge geboten, die sich eine fünfköpfige Familie mit durchschnittlichem Einkommen nicht leisten könne. Durch die Erziehung der Kinder trage er zudem zur Bestandssicherung der gesetzlichen Rentenversicherung bei. Ausserdem sei die Generationengerechtigkeit nicht gewährleistet. Mit Bescheid vom 31.07.1997 und Widerspruchsbescheid vom 10.02.1998 lehnte die BfA den Antrag ab, weil eine gesetzliche Grundlage zur Befreiung von der Versicherungspflicht nicht bestehe und die Beitragspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung nicht verfassungswidrig sei. Die Klage vor dem SG Köln (S 8 (6) RA 295/97) und die Berufung vor dem LSG NW (L 3 RA 38/99) blieben erfolglos. Im Revisionsverfahren (B 12 RA 7/01 R) wurden die Bescheide der BfA wegen der alleinigen Zuständigkeit der Beklagten als Beitragseinzugsstelle aufgehoben, im übrigen jedoch die Revison zurückgewiesen. Der Hilfsantrag auf Erstattung der Arbeitnehmeranteile zur gesetzlichen Rentenversicherung sei zu Recht von den Instanzgerichten mangels Durchführung eines Verwaltungsverfahrens abgewiesen worden.
Im Oktober 2003 beantragte der Kläger erneut und unter Hinweis auf sein Begehren vom Mai 1997, ihn umgehend von der Beitragspflicht zur Rentenversicherung freizustellen. Mit Bescheid vom 21.10.2003 lehnte die Beklagte den Antrag ab, weil der Kläger gegen Arbeitsentgelt beschäftigt und versicherungspflichtig in der Rentenversicherung sei (§ 1 Nr. 1 SGB VI).
Noch im Oktober 2003 legte der Kläger Widerspruch ein unter Hinweis auf seinen ursprünglichen Antrag. Er verweigere die Beitragszahlung für die gesetzliche Rentenversicherung und beantrage hilfsweise, ihn aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu entlassen oder von der Beitragspflicht zu befreien sowie die bisher gezahlten Beiträge (Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteil zu erstatten). Als unterhaltspflichtiger Vater von drei Kindern mache er die Beitragsäquivalenz seiner Kindererziehungsleistungen geltend. Er stützte sich dabei auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 03.04.2001, welches sinngemäß auch auf die gesetzliche Rentenversicherung anzuwenden sei. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 26.11.2003 als unbegründet zurück. Am 29.12.2003 hat der Kläger ausdrücklich Klage wegen Rentenversicherungsbeiträgen beim SG Köln erhoben und zunächst die Befreiung von der Beitragszahlung zur Rentenversicherung unter Aufhebung der Bescheide der Beklagten beantragt.
Zur Begründung verweist der Kläger auf sein Vorbringen in den früheren Verfahren gegen die BfA. Er meint, die Anrechnung von Erziehungszeiten sei zum Ausgleich der Belastung Kindererziehender nicht geeignet. Die Stichtagsregelung zum 01.01.1992 sei verfassungswidrig; eines seiner Kinder sei vor diesem Stichtag geboren. Aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 03.04.2001 (1 BvR 1629/94) leitet er ab, dass die Kindererziehung für umlagefinanzierte Systeme der Alterssicherung konstitutive Bedeutung habe und den Geldbeiträgen gleichwertig sei. Zudem werde er durch Steuerpflichten (Ökosteuer, Mehrwertsteuer) im Vergleich zu Kinderlosen überproportional belastet. Die gesetzliche Rentenversicherung sei insgesamt verfassungswidrig wegen steigender Beitragslasten und schwindender Rentenanwartschaften. Ausserdem hält der Kläger Verstöße gegen europäisches Recht für gegeben.
In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger beantragt,
dass bei Weiterbestehen der Mitgliedschaft des Klägers in der gesetzlichen Rentenversicherung und bei weiterem Aufbau von Rentenanwartschaften nach Maßgabe des versicherten Arbeitsentgelts der seit August 1997 zu leistende Gesamtsozialver- sicherungsbeitrag des Klägers wegen der Erziehung von drei Kindern auf Null zu reduzieren ist, hilfsweise gemäß der Kinderzahl zu reduzieren ist.
Nachträglich weist der Kläger daraufhin, dass er sich möglicherweise irrtümlich auf das Jahr 1997 statt 1996 in seinem Antrag bezogen habe.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist auf die angefochtenen Bescheide und bindende gesetzliche Regelungen über die Beitragspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist unzulässig soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung erstmals statt der Rentenversicherungsbeiträge den Gesamtsozialversicherungsbeitrag zur Entscheidung stellt. In diese Klageänderung hat die Beklagte nicht eingewilligt; sie ist auch nicht sachdienlich, denn die angefochtenen Bescheide betreffen ebenso wie das Vorbringen der Beteiligten nur die Beitragspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung.
Der geänderte Klageantrag ist bei verständiger Würdigung des gesamten Klagevorbringens und Begehrens als Anfechtungs- und Feststellungsklage auszulegen. Mit der Feststellungsklage begehrt der Kläger in erster Linie das Nichtbestehen der Beitragspflicht gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG. Würde der Kläger nicht zusätzlich zu der erstrebten Feststellung die Bescheide vom 21.10.2003 und 26.11.2003 anfechten, stünde der erstrebten Feststellung ein den selben Gegenstand regelnder bindender Verwaltungsakt bezüglich der Beitragspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung entgegen und die Klage wäre insoweit unzulässig (vergleiche BSG 15, 286; 70, 99). Für die Zeit ab 01.01.2004 ist die Feststellungsklage allerdings als Popularklage nicht zulässig. Nach § 170 Abs. 1 Nr. 2 b SGB VI trägt die Beiträge bei Beziehern von Arbeitslosengeld (nur) der Leistungsträger. Ein eigenes berechtigtes Feststellungsinteresse des Klägers besteht mangels eigener Pflicht zur (teilweisen) Beitragstragung seitdem nicht mehr. Ob der Kläger als älterer Arbeitsloser noch einmal eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung aufnehmen kann ist ungewiss; die reine Möglichkeit reicht zur Begründung des Feststellungsinteresses nicht aus.
Die Klage ist allein als Anfechtungs- und Feststellungsklage bezüglich der Beitragspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung bis zum 31.12.2003 zulässig, jedoch unbegründet. Für die Zeit bis 31.12.2003 war der Kläger auch nach seinen eigenen Angaben versicherungspflichtig Beschäftigter gemäß § 1 Nr. 1 SGB VI. Seine Beitragspflicht und diejenige des Arbeitgebers ergibt sich grundsätzlich aus § 168 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI. Die grundsätzliche Beitragspflicht von Versicherten mit Kindern ist ebenso wie in der sozialen Pflegeversicherung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Im Urteil vom 03.04.2001 (1 BvR 1629/94) hatte das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich die grundsätzliche Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers hervorgehoben, die es nicht zulasse, konkrete Folgerungen für die einzelnen Rechtsgebiete und Teilsysteme, in denen der Familienlastenausgleich zu verwirklichen ist, abzuleiten. Der Gesetzgeber bewegt sich innerhalb dieses Spielraums, wenn er auch die Familien mit Beiträgen zur sozialen Pflegeversicherung belastet. Nichts anderes gilt grundsätzlich für die Rentenversicherung.
Auch wenn die Kindererziehung für die umlagefinanzierten Systeme der Alters- sicherung konstitutive Bedeutung hat, führt dies nicht zur Gleichwertigkeit mit Beitragszahlung in dem vom Kläger gewünschten Sinne des Wegfalls oder der Minderung der Beitragspflicht. Die Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts zur gesetzlichen Pflegeversicherung sind in Übereinstimmung mit der Entscheidung des LSG NW vom 22.10.2001 (L 3 RA 38/99) und des LSG Baden-Württemberg vom 17.09.2002 (L 13 RA 890/02) nicht auf das Rentenversicherungsrecht übertragbar. Im Gegensatz zur Pflegeversicherung als Risikoversicherung ist es im Rentenversicherungsrecht möglich, die Kindererziehung leistungsrechtlich durch Anerkennung von Kindererziehungs- und Kinderberücksichtigungszeiten (§§ 56, 57 SGB VI) zu honorieren. Mit der Rechtsprechung der genannten Landessozialgerichte ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber den Verfassungsauftrag zur Beseitigung von durch Kindererziehung bedingten Nachteilen bei der Altersversorgung in der gesetzlichen Rentenversicherung grundsätzlich erfüllt hat, indem er die Kindererziehungszeiten für Kinder mit einem Geburtsdatum ab den 01.01.1992 auf drei Jahre ausgedehnt hat und die Bewertung auf 100 Prozent des Durchschnittsverdienstes angehoben hat (Bundesverfassungsgericht vom 29.03.1996 - 1 BvR 1238/95). Durch § 70 Abs. 3 a SGB VI ist der Familienlastenausgleich bei unterdurchschnittlichen Verdiensten während der Kinderberücksichtigungszeiten und bei der nicht erwerbsmäßigen Pflege eines pflegebedürftigen Kindes ausgebaut worden. Soweit der Kläger die Stichtagsregelung zum 01.01.1992 für verfassungswidrig hält, ist diese Frage allein im Zusammenhang mit der Bewertung der Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung zu klären und ändert nichts an der grundsätzlichen Honorierung dieser Zeiten im Unterschied zur sozialen Pflegeversicherung.
Im übrigen hat das Bundsverfassungsgericht im Beschluss vom 09.12.2003 (1 BvR 558/99) in vergleichbarer Weise hervorgehoben, dass im Unterschied zur sozialen Pflegeversicherung Erziehungsleistungen bei der Alterssicherung (für Landwirte nach dem ALG) nicht unberücksichtigt geblieben sind, sondern sich für die Wartezeit rechtsbegründend auswirkten. Darüberhinaus wirken sich die anrechenbaren Zeiten der Kindererziehung in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht nur rechtsbegründend, sondern auch leistungserhöhend aus (vergleiche §§ 70 Abs. 2, 66 und 64 SGB VI). Daneben ist der Unterschied zur sozialen Pflegeversicherung zu berücksichtigen, welcher über den Rentenzweck der Alterssicherung hinaus noch Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und Renten wegen Todes des Versicherten vorsieht. Von der Waisenrente profitieren zeitnah die Kinder, Stiefkinder und Pflegekinder sowie Enkel und Geschwister, die dem Haushalt des Verstorbenen angehörten. Auch dieses besondere versicherte Risiko, welches bei kinderlosen Versicherten nicht in Betracht kommt, stellt im Unterschied zur Pflegeversicherung einen Ausgleich dar.
Soweit der Kläger eine überproportionale Belastung durch Mehrwert- und Ökosteuer geltend macht, ist dieses Vorbringen im Gesamtzusammenhang des Familienlastenausgleichs unmittelbar relevant für die Frage der Steuerfreistellung des Existenzminimums von Kindern, nicht jedoch für die Frage der Beitragspflicht beziehungsweise Beitragshöhe in der gesetzlichen Rentenversicherung. Soweit die Bundeszuschüsse als Einnahmen der Rentenversicherung auch aus diesen Steuern erbracht werden, ergibt sich keine unmittelbare Belastung des Klägers, sondern eine grundsätzlich sachgerechte Entlastung durch entsprechend niedrigerer Beitragssätze. Im übrigen mag der Kläger die von ihm geforderte Eigenverantwortung im Zusammenhang mit einem "kinderlosen Lebensentwurf" zum Anlass nehmen, über Konsumverzicht im Hinblick auf Öko- und Mehrwertsteuer nachzudenken. Seine Einstellung zur Kinderlosigkeit verschweigt oder übersieht die Probleme der ungewollt Kinderlosen in anmaßender Weise.
Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass die Prüffrist des Gesetzgebers aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 03.04.2001 erst Ende 2004 abläuft. Für den zulässigerweise umstrittenen Zeitraum bis 31.12.2003 fehlt es an der zeitlichen Kongruenz. Soweit der Kläger befürchtet, dass bei steigenden Beitragslasten seine Rentenanwartschaften gleichzeitig schwinden, kann die Verfassungswidrigkeit der Beitragserhebung daraus nicht abgeleitet werden. Im Hinblick auf das derzeit geltende Umlageverfahren mit Einnahmen der Rentenversicherung aus Beiträgen und Bundeszuschüssen sind bereits unterschiedliche Wege erkennbar, einer Minderung der künftigen Leistungen entgegenzuwirken. Zum Beispiel kommt insoweit neben der Erhöhung des Beitragssatzes die Ausdehnung der beitragspflichtigen Einnahmen und die Erhöhung der Bundeszuschüsse in Betracht. Bei den vielfältigen Möglichkeiten des Gesetzgebers und in Folge fehlender Kenntnis der maßgeblichen Umstände zum Zeitpunkt des Versicherungsfalles des Klägers in der Rentenversicherung wäre eine Entscheidung des Gerichts zum jetzigen Zeitpunkt lediglich spekulativ.
Im übrigen verstößt das Beitragsrecht der gesetzichen Rentenversicherung nicht gegen europarechtliche Vorschriften, weil das Gemeinschaftsrecht nicht auf die Existenz öffentlicher Monopole der sozialen Sicherheit anzuwenden ist, soweit diese keine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben. Die gesetzliche Rentenversicherung ist kein Unternehmen im Sinne Artikel 81 und 86 EGV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Tatbestand:
Umstritten ist die Freistellung des Klägers vom Gesamtsozialversicherungsbeitrag beziehungsweise die Verminderung der Beitragshöhe gemäß der Kinderzahl.
Der 1954 geborene Kläger ist verheiratet und Vater dreier in den Jahren 1990, 1993 und 1996 geborener Kinder. Ab 1990 war er als angestellter Journalist beschäftigt. Nach seinen eigenen Angaben betrug sein Monatsbruttoverdienst im Jahre 1997 5.000,- DM nebst Sonderzahlungen. Für das Jahr 2003 hat er ein Jahresbruttoeinkommen von 33.400,- Euro angegeben. Seit 01.01.2004 ist der Kläger arbeitslos und bezieht Arbeitslosengeld.
Im Mai 1997 beantragte der Kläger bei der Beklagten die umgehende Freistellung von der Beitragspflicht zur Rentenversicherung. Die Beklagte vertrat damals die Auffassung, über die Befreiung entscheide der zuständige Rentenversicherungsträger (Bundesversicherungsanstalt für Angestellte) und leitete den Antrag an diese weiter. Bereits im März 1997 hatte der Kläger auch bei der BfA beantragt, auf die Erhebung von Pflichtbeiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung zu verzichten. Er meinte, bei steigenden Beiträgen und sinkenden Leistungen sei private Vorsorge geboten, die sich eine fünfköpfige Familie mit durchschnittlichem Einkommen nicht leisten könne. Durch die Erziehung der Kinder trage er zudem zur Bestandssicherung der gesetzlichen Rentenversicherung bei. Ausserdem sei die Generationengerechtigkeit nicht gewährleistet. Mit Bescheid vom 31.07.1997 und Widerspruchsbescheid vom 10.02.1998 lehnte die BfA den Antrag ab, weil eine gesetzliche Grundlage zur Befreiung von der Versicherungspflicht nicht bestehe und die Beitragspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung nicht verfassungswidrig sei. Die Klage vor dem SG Köln (S 8 (6) RA 295/97) und die Berufung vor dem LSG NW (L 3 RA 38/99) blieben erfolglos. Im Revisionsverfahren (B 12 RA 7/01 R) wurden die Bescheide der BfA wegen der alleinigen Zuständigkeit der Beklagten als Beitragseinzugsstelle aufgehoben, im übrigen jedoch die Revison zurückgewiesen. Der Hilfsantrag auf Erstattung der Arbeitnehmeranteile zur gesetzlichen Rentenversicherung sei zu Recht von den Instanzgerichten mangels Durchführung eines Verwaltungsverfahrens abgewiesen worden.
Im Oktober 2003 beantragte der Kläger erneut und unter Hinweis auf sein Begehren vom Mai 1997, ihn umgehend von der Beitragspflicht zur Rentenversicherung freizustellen. Mit Bescheid vom 21.10.2003 lehnte die Beklagte den Antrag ab, weil der Kläger gegen Arbeitsentgelt beschäftigt und versicherungspflichtig in der Rentenversicherung sei (§ 1 Nr. 1 SGB VI).
Noch im Oktober 2003 legte der Kläger Widerspruch ein unter Hinweis auf seinen ursprünglichen Antrag. Er verweigere die Beitragszahlung für die gesetzliche Rentenversicherung und beantrage hilfsweise, ihn aus der gesetzlichen Rentenversicherung zu entlassen oder von der Beitragspflicht zu befreien sowie die bisher gezahlten Beiträge (Arbeitnehmer- und Arbeitgeberanteil zu erstatten). Als unterhaltspflichtiger Vater von drei Kindern mache er die Beitragsäquivalenz seiner Kindererziehungsleistungen geltend. Er stützte sich dabei auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 03.04.2001, welches sinngemäß auch auf die gesetzliche Rentenversicherung anzuwenden sei. Den Widerspruch wies die Beklagte mit Bescheid vom 26.11.2003 als unbegründet zurück. Am 29.12.2003 hat der Kläger ausdrücklich Klage wegen Rentenversicherungsbeiträgen beim SG Köln erhoben und zunächst die Befreiung von der Beitragszahlung zur Rentenversicherung unter Aufhebung der Bescheide der Beklagten beantragt.
Zur Begründung verweist der Kläger auf sein Vorbringen in den früheren Verfahren gegen die BfA. Er meint, die Anrechnung von Erziehungszeiten sei zum Ausgleich der Belastung Kindererziehender nicht geeignet. Die Stichtagsregelung zum 01.01.1992 sei verfassungswidrig; eines seiner Kinder sei vor diesem Stichtag geboren. Aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 03.04.2001 (1 BvR 1629/94) leitet er ab, dass die Kindererziehung für umlagefinanzierte Systeme der Alterssicherung konstitutive Bedeutung habe und den Geldbeiträgen gleichwertig sei. Zudem werde er durch Steuerpflichten (Ökosteuer, Mehrwertsteuer) im Vergleich zu Kinderlosen überproportional belastet. Die gesetzliche Rentenversicherung sei insgesamt verfassungswidrig wegen steigender Beitragslasten und schwindender Rentenanwartschaften. Ausserdem hält der Kläger Verstöße gegen europäisches Recht für gegeben.
In der mündlichen Verhandlung hat der Kläger beantragt,
dass bei Weiterbestehen der Mitgliedschaft des Klägers in der gesetzlichen Rentenversicherung und bei weiterem Aufbau von Rentenanwartschaften nach Maßgabe des versicherten Arbeitsentgelts der seit August 1997 zu leistende Gesamtsozialver- sicherungsbeitrag des Klägers wegen der Erziehung von drei Kindern auf Null zu reduzieren ist, hilfsweise gemäß der Kinderzahl zu reduzieren ist.
Nachträglich weist der Kläger daraufhin, dass er sich möglicherweise irrtümlich auf das Jahr 1997 statt 1996 in seinem Antrag bezogen habe.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verweist auf die angefochtenen Bescheide und bindende gesetzliche Regelungen über die Beitragspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung.
Entscheidungsgründe:
Die Klage ist unzulässig soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung erstmals statt der Rentenversicherungsbeiträge den Gesamtsozialversicherungsbeitrag zur Entscheidung stellt. In diese Klageänderung hat die Beklagte nicht eingewilligt; sie ist auch nicht sachdienlich, denn die angefochtenen Bescheide betreffen ebenso wie das Vorbringen der Beteiligten nur die Beitragspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung.
Der geänderte Klageantrag ist bei verständiger Würdigung des gesamten Klagevorbringens und Begehrens als Anfechtungs- und Feststellungsklage auszulegen. Mit der Feststellungsklage begehrt der Kläger in erster Linie das Nichtbestehen der Beitragspflicht gemäß § 55 Abs. 1 Nr. 1 SGG. Würde der Kläger nicht zusätzlich zu der erstrebten Feststellung die Bescheide vom 21.10.2003 und 26.11.2003 anfechten, stünde der erstrebten Feststellung ein den selben Gegenstand regelnder bindender Verwaltungsakt bezüglich der Beitragspflicht zur gesetzlichen Rentenversicherung entgegen und die Klage wäre insoweit unzulässig (vergleiche BSG 15, 286; 70, 99). Für die Zeit ab 01.01.2004 ist die Feststellungsklage allerdings als Popularklage nicht zulässig. Nach § 170 Abs. 1 Nr. 2 b SGB VI trägt die Beiträge bei Beziehern von Arbeitslosengeld (nur) der Leistungsträger. Ein eigenes berechtigtes Feststellungsinteresse des Klägers besteht mangels eigener Pflicht zur (teilweisen) Beitragstragung seitdem nicht mehr. Ob der Kläger als älterer Arbeitsloser noch einmal eine rentenversicherungspflichtige Beschäftigung aufnehmen kann ist ungewiss; die reine Möglichkeit reicht zur Begründung des Feststellungsinteresses nicht aus.
Die Klage ist allein als Anfechtungs- und Feststellungsklage bezüglich der Beitragspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung bis zum 31.12.2003 zulässig, jedoch unbegründet. Für die Zeit bis 31.12.2003 war der Kläger auch nach seinen eigenen Angaben versicherungspflichtig Beschäftigter gemäß § 1 Nr. 1 SGB VI. Seine Beitragspflicht und diejenige des Arbeitgebers ergibt sich grundsätzlich aus § 168 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI. Die grundsätzliche Beitragspflicht von Versicherten mit Kindern ist ebenso wie in der sozialen Pflegeversicherung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Im Urteil vom 03.04.2001 (1 BvR 1629/94) hatte das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich die grundsätzliche Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers hervorgehoben, die es nicht zulasse, konkrete Folgerungen für die einzelnen Rechtsgebiete und Teilsysteme, in denen der Familienlastenausgleich zu verwirklichen ist, abzuleiten. Der Gesetzgeber bewegt sich innerhalb dieses Spielraums, wenn er auch die Familien mit Beiträgen zur sozialen Pflegeversicherung belastet. Nichts anderes gilt grundsätzlich für die Rentenversicherung.
Auch wenn die Kindererziehung für die umlagefinanzierten Systeme der Alters- sicherung konstitutive Bedeutung hat, führt dies nicht zur Gleichwertigkeit mit Beitragszahlung in dem vom Kläger gewünschten Sinne des Wegfalls oder der Minderung der Beitragspflicht. Die Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts zur gesetzlichen Pflegeversicherung sind in Übereinstimmung mit der Entscheidung des LSG NW vom 22.10.2001 (L 3 RA 38/99) und des LSG Baden-Württemberg vom 17.09.2002 (L 13 RA 890/02) nicht auf das Rentenversicherungsrecht übertragbar. Im Gegensatz zur Pflegeversicherung als Risikoversicherung ist es im Rentenversicherungsrecht möglich, die Kindererziehung leistungsrechtlich durch Anerkennung von Kindererziehungs- und Kinderberücksichtigungszeiten (§§ 56, 57 SGB VI) zu honorieren. Mit der Rechtsprechung der genannten Landessozialgerichte ist davon auszugehen, dass der Gesetzgeber den Verfassungsauftrag zur Beseitigung von durch Kindererziehung bedingten Nachteilen bei der Altersversorgung in der gesetzlichen Rentenversicherung grundsätzlich erfüllt hat, indem er die Kindererziehungszeiten für Kinder mit einem Geburtsdatum ab den 01.01.1992 auf drei Jahre ausgedehnt hat und die Bewertung auf 100 Prozent des Durchschnittsverdienstes angehoben hat (Bundesverfassungsgericht vom 29.03.1996 - 1 BvR 1238/95). Durch § 70 Abs. 3 a SGB VI ist der Familienlastenausgleich bei unterdurchschnittlichen Verdiensten während der Kinderberücksichtigungszeiten und bei der nicht erwerbsmäßigen Pflege eines pflegebedürftigen Kindes ausgebaut worden. Soweit der Kläger die Stichtagsregelung zum 01.01.1992 für verfassungswidrig hält, ist diese Frage allein im Zusammenhang mit der Bewertung der Kindererziehungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung zu klären und ändert nichts an der grundsätzlichen Honorierung dieser Zeiten im Unterschied zur sozialen Pflegeversicherung.
Im übrigen hat das Bundsverfassungsgericht im Beschluss vom 09.12.2003 (1 BvR 558/99) in vergleichbarer Weise hervorgehoben, dass im Unterschied zur sozialen Pflegeversicherung Erziehungsleistungen bei der Alterssicherung (für Landwirte nach dem ALG) nicht unberücksichtigt geblieben sind, sondern sich für die Wartezeit rechtsbegründend auswirkten. Darüberhinaus wirken sich die anrechenbaren Zeiten der Kindererziehung in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht nur rechtsbegründend, sondern auch leistungserhöhend aus (vergleiche §§ 70 Abs. 2, 66 und 64 SGB VI). Daneben ist der Unterschied zur sozialen Pflegeversicherung zu berücksichtigen, welcher über den Rentenzweck der Alterssicherung hinaus noch Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und Renten wegen Todes des Versicherten vorsieht. Von der Waisenrente profitieren zeitnah die Kinder, Stiefkinder und Pflegekinder sowie Enkel und Geschwister, die dem Haushalt des Verstorbenen angehörten. Auch dieses besondere versicherte Risiko, welches bei kinderlosen Versicherten nicht in Betracht kommt, stellt im Unterschied zur Pflegeversicherung einen Ausgleich dar.
Soweit der Kläger eine überproportionale Belastung durch Mehrwert- und Ökosteuer geltend macht, ist dieses Vorbringen im Gesamtzusammenhang des Familienlastenausgleichs unmittelbar relevant für die Frage der Steuerfreistellung des Existenzminimums von Kindern, nicht jedoch für die Frage der Beitragspflicht beziehungsweise Beitragshöhe in der gesetzlichen Rentenversicherung. Soweit die Bundeszuschüsse als Einnahmen der Rentenversicherung auch aus diesen Steuern erbracht werden, ergibt sich keine unmittelbare Belastung des Klägers, sondern eine grundsätzlich sachgerechte Entlastung durch entsprechend niedrigerer Beitragssätze. Im übrigen mag der Kläger die von ihm geforderte Eigenverantwortung im Zusammenhang mit einem "kinderlosen Lebensentwurf" zum Anlass nehmen, über Konsumverzicht im Hinblick auf Öko- und Mehrwertsteuer nachzudenken. Seine Einstellung zur Kinderlosigkeit verschweigt oder übersieht die Probleme der ungewollt Kinderlosen in anmaßender Weise.
Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass die Prüffrist des Gesetzgebers aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 03.04.2001 erst Ende 2004 abläuft. Für den zulässigerweise umstrittenen Zeitraum bis 31.12.2003 fehlt es an der zeitlichen Kongruenz. Soweit der Kläger befürchtet, dass bei steigenden Beitragslasten seine Rentenanwartschaften gleichzeitig schwinden, kann die Verfassungswidrigkeit der Beitragserhebung daraus nicht abgeleitet werden. Im Hinblick auf das derzeit geltende Umlageverfahren mit Einnahmen der Rentenversicherung aus Beiträgen und Bundeszuschüssen sind bereits unterschiedliche Wege erkennbar, einer Minderung der künftigen Leistungen entgegenzuwirken. Zum Beispiel kommt insoweit neben der Erhöhung des Beitragssatzes die Ausdehnung der beitragspflichtigen Einnahmen und die Erhöhung der Bundeszuschüsse in Betracht. Bei den vielfältigen Möglichkeiten des Gesetzgebers und in Folge fehlender Kenntnis der maßgeblichen Umstände zum Zeitpunkt des Versicherungsfalles des Klägers in der Rentenversicherung wäre eine Entscheidung des Gerichts zum jetzigen Zeitpunkt lediglich spekulativ.
Im übrigen verstößt das Beitragsrecht der gesetzichen Rentenversicherung nicht gegen europarechtliche Vorschriften, weil das Gemeinschaftsrecht nicht auf die Existenz öffentlicher Monopole der sozialen Sicherheit anzuwenden ist, soweit diese keine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben. Die gesetzliche Rentenversicherung ist kein Unternehmen im Sinne Artikel 81 und 86 EGV.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
Login
NRW
Saved