L 8 KR 115/17

Land
Hessen
Sozialgericht
Hessisches LSG
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
8
1. Instanz
SG Kassel (HES)
Aktenzeichen
S 5 KR 331/14
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KR 115/17
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 14/18 R
Datum
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 19. Januar 2017 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander keine Kosten zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Kostenübernahme des Aufenthalts des Klägers streitig, die im Rahmen einer Mutter-Kind-Maßnahme seiner Pflegemutter, C. A. (frühere Klägerin zu 1), zu Lasten ihrer privaten Krankenversicherung und der Beihilfestelle des Landes Hessen im Jahr 2014 entstanden sind.

Die frühere Klägerin zu 1) (im Weiteren: Pflegemutter) und ihr Ehemann sind die Pflegeeltern des 2013 geborenen Klägers. Der Kläger ist der Beklagten familienversichert. Er wurde von den Pflegeeltern im Alter von drei Monaten aufgenommen; dort befand sich bereits ein im Jahr 2010 aufgenommenes Pflegekind, F. F. geb. 2010, das ebenfalls bei der Beklagten familienversichert ist. Die Pflegemutter ist über ihren Ehemann beihilfeberechtigt und privat krankenversichert (G. Krankenversicherung).

Am 15. September 2014 ging bei der Beklagten der Antrag des Pflegevaters, gestellt für den Kläger und das weitere Pflegekind, ein, vorab die Kostenübernahme der Teilnahme des Klägers und des weiteren Pflegekindes an der stationären Mutter-Kind-Kur ihrer Pflegemutter in H-Stadt vom 26. November bis zum 17. Dezember 2014 zu erklären. Zur Begründung der Notwendigkeit wurde für den Kläger ein Attest des behandelnden Arztes J. (Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin) vom 19. Juli 2014 vorgelegt. Danach bedürfe der Kläger als Kind einer stationären Mutter-Kind-Maßnahme nach § 24 SGB V mit Angabe folgender Diagnosen: rez. obstruktive Bronchitis (J44.89.G) und Dystrophie (R63). Seit dem 6. Lebensmonat bestünden rez. obstruktive Bronchitiden und es seien bereits fünf stationäre Aufenthalte aus diesem Grunde durchgeführt worden. Aufgrund der rezidivierenden Atemwegsinfekte sei ein entsprechender Aufenthalt an der See oder in den Bergen sinnvoll.

Die Beklagte holte eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung in Hessen (MDK) vom 19. September 2014 zum Kläger ein. Danach sei seine Teilnahme des Klägers als Begleitkind medizinisch nachvollziehbar.

Die Beklagte lehnte mit Bescheid vom 26. September 2014 den Antrag ab. Es handele sich bei dem Kläger um ein Begleitkind. Eine medizinische Notwendigkeit für ein Indikationskind sei nach den vorliegenden Unterlagen nicht ersichtlich. Es sei bei der Krankenkasse der Pflegemutter ein Antrag auf Kostenübernahme zu stellen.

Dagegen erhob der Pflegevater für den Kläger Widerspruch. Der Kläger solle nicht als Begleitkind an der Kur teilnehmen. Es bestehe für ihn eine medizinische Notwendigkeit für diese Kur. Trotz der Krankenhausaufenthalte sei er weiterhin auf Medikamente angewiesen (2mal täglich Salbutamol und 2mal täglich Budiair).

Die Beklagte holte erneut eine Stellungnahme des MDK ein, die am 1. Oktober 2014 erstellt wurde. Danach sei der Kläger, wie das weitere Pflegekind, ein Begleitkind, solle aber mit aufgenommen werden.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 11. November 2014 zurück. Krankenkassen gewährten Leistungen zur Verhütung von Krankheiten; die medizinische Vorsorgeleistung umfasse neben der ärztlichen Behandlung u.a. auch die Gewährung von Mutter-Kind-Kuren (§ 24 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch – SGB V). Es handele sich bei dem Kläger um ein Begleitkind ohne eigenständigen Therapiebedarf im Rahmen einer Mutter-Kind-Kur. Nachvollziehbar sei, dass der Kläger aufgrund seines Alters während der Dauer der Maßnahme nicht von der Pflegemutter zu trennen sei. Es sei festzustellen, dass der Kläger aufgrund seines Alters die Kuranwendungen nicht realistisch umsetzen könne. Es werde nicht in Abrede gestellt, dass ein Klimawechsel therapeutisch sinnvoll und die Gesundheit des Klägers förderlich sei. Dies führe jedoch nicht zu ihrer Leistungspflicht. Es liege nicht in ihrem Regime, die Kosten für den Kläger als Begleitkind zu tragen, da die Hauptmaßnahme von der privaten Krankenversicherung der Pflegemutter gewährt werde.

Die Pflegemutter führte gemeinsam mit den Pflegekindern in der Zeit vom 26. November bis zum 12. Dezember 2014 eine Mutter-Kind-Maßnahme in der Klinik H. in H-Stadt durch. Diese berechnete für jeden Teilnehmer jeweils einen Betrag i.H.v. 1.199,20 EUR. Die private Krankenversicherung der Pflegemutter bzw. die Beihilfestelle des Landes Hessen übernahmen ihre Kosten des Aufenthalts, nicht jedoch die Kosten des Aufenthalts der Pflegekinder.

Am 28. November 2014 haben zunächst die Pflegemutter und ihr Ehemann als Pflegeeltern beim Sozialgericht Kassel Klage erhoben mit dem Ziel der Verurteilung der Beklagten, zur Erstattung der Kosten des Aufenthalts des Klägers während der Mutter-Kind-Maßnahme zuzüglich Zinsen. Im Laufe des Rechtsstreits haben die Pflegemutter als Klägerin zu 1) und der Kläger als Kläger zu 2) das Verfahren weitergeführt.

Sie haben die Auffassung vertreten, es bestünden sowohl in der Person des Klägers eigene medizinische Gründe für die Kur-Maßnahme als auch Gründe des Kinderwohls. Zur Behandlung seiner asthmatischen Erkrankung sei ein Kuraufenthalt förderlich. Es sei nicht nachvollziehbar, dass die Beklagte den Kläger als Begleitkind ohne eigenen Behandlungsbedarf ansehe.

Auf Antrag der Kläger hat das Sozialgericht ein Gutachten nach § 109 SGG bei Dr. med. K. vom 2. September 2015 eingeholt. Dr. med. K. kommt in seinem Gutachten zu dem Ergebnis, es bestehe beim Kläger eine bronchiale Hyperreagibilität. Bei diesem Krankheitsbild komme es zu Bronchialverengung infolge einer Schleimhautschwellung, Bildung eines besonders zähen Schleims und Kontraktion der Bronchialmuskulatur. Es komme aufgrund dieses Krankheitsbildes nachvollziehbar zu den berichteten nächtlichen schweren Schlafstörungen. Der bekannt gute Einfluss des Seeklimas und die Entlastung der Pflegemutter, die die Interaktion erleichtere – auf die § 24 SGB V abziele – würden dem Kläger zu Gute kommen. Psychische Faktoren seien Triggerfunktionen bei bronchialer Hyperreagibilität. Zudem sei der Kläger mit einem Gewicht unterhalb der 3er Parzentille ein dystrophes Kind. Aus kinderärztlicher Erfahrung sei bei diesen Seeklima der hilfreichste Therapie-Baustein. Aus somatischen Gründen und unter Würdigung der seelischen Besonderheiten des Klägers sei eine stationäre Maßnahme in H-Stadt indiziert.

Das Sozialgericht hat nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 19. Januar 2017 die Klage abgewiesen. Es habe ohne die angeregte Beiladung der privaten Krankenversicherung der Pflegemutter entscheiden können, da weder eine einfache noch eine notwendige Beiladung in Betracht gekommen sei. Eine Beiladung sei auch nicht sinnvoll, da das Sozialgericht sachlich nicht über die Streitfragen der privaten Krankenversicherung zu entscheiden habe. Die Klage der Pflegemutter sei unbegründet, da sie nicht bei der Beklagten versichert sei und somit gegen die Beklagte in eigener Person keinen Anspruch geltend machen könne. Der Kläger wiederum sei von einer Erkrankung im Sinne von § 23 Abs. 1 SGB V nicht bedroht und erfülle deshalb die Leistungsvoraussetzungen für eine Vorsorgemaßnahme in eigener Person als so genanntes Therapie- oder Indikationskind nicht. Wie die Beklagte zutreffend ausgeführt habe, ergäben sich aus den ärztlichen Dokumentationen des behandelnden Kinderarztes bis auf die Tatsache, dass Seeluft sich insgesamt günstig auf Bronchialerkrankungen auswirke, kein besonderes Reha-Ziel oder Therapieschema, welches nicht ambulant oder als ambulante Vorsorgemaßnahme durchgeführt werden könnte. Es sei nicht erkennbar, dass bei dem Kläger als damals 16 Monate altem Baby über die ambulant durchgeführte Inhalationstherapie und die Gabe von cortisonähnlichen Medikamenten hinaus im Rahmen einer stationären Vorsorgeleistung eine besondere Therapie hätte durchgeführt werden können. Hierzu sei auch nichts vorgetragen worden. Auch das Ergebnis des nach § 109 SGG eingeholten Gutachtens bei Dr. med. K. ändere nichts an dieser Einschätzung. Die Kammer sei von dem Gutachten nicht überzeugt. Es werde nicht in Abrede gestellt, dass die psychische Entlastung der Pflegemutter sich speziell positiv auf den Kläger als Pflegekind auswirke. Dies begründe jedoch nicht seinen Therapiebedarf. Denn dieser Effekt trete auch als reines Begleitkind ein. Gleiches gelte für den guten Einfluss des Seeklimas.

Gegen den am 24. Januar 2017 zugestellten Gerichtsbescheid haben die Pflegemutter und der Kläger am 8. Februar 2017 Berufung eingelegt.

Die Pflegemutter hat als Klägerin zu 1) am 17. März 2017 ihre Klage zurückgenommen.

Der Kläger nimmt Bezug auf den bisherigen Vortrag. Ergänzend führt er aus, es bestehe ein Systemwiderspruch in der vorliegenden Konstellation, dass seine privatversicherte Pflegemutter aus medizinischen Gründen eine Mutter-Kind-Kur wahrnehme, jedoch die Kosten seines eigenen Aufenthalts von seiner gesetzlichen Krankenversicherung nicht übernommen würden. Diese Konsequenz könne der Gesetzgeber im Hinblick auf die unerlässliche Notwendigkeit der Pflegeelternschaft im Allgemeinen nicht gewollt haben. Der systemwidrigen Regelungslücke sei mit einer Analogie zu begegnen. Die Folge, dass seine Kosten des Aufenthalts nur gedeckt seien, wenn auch er bei der privaten Krankenversicherung der Pflegemutter versichert sei, führe zu keinem akzeptablen Ergebnis. Da die private Krankenversicherung und die Beihilfestelle des Landes Hessen die Kostenübernahme mit dem Hinweis auf seine Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung ablehnten, könne in dieser Konstellation sein Aufenthalt als Begleitkind ohne eigenen Therapiebedarf niemals realisiert werden. Dies führe zu einem unbefriedigenden und systemwidrigen Ergebnis.

Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 19. Januar 2017 und den Bescheid der Beklagten vom 26. September 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. November 2014 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm die Kosten in Höhe von 1.199,20 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozent über dem Basiszinssatz seit dem 12. Dezember 2014 zu erstatten.

Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte vertritt die Auffassung, das Sozialgericht habe mit dem angefochtenen Gerichtsbescheid zutreffend entschieden. Hierzu beruft sie sich ergänzend auf ein weiteres Gutachten des MDK nach Aktenlage vom 5. September 2017.

Der Senat hat einen Befundbericht bei Dr. med. L. (Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin, Pädiatrische Pneumologie, Allergologie) vom 31. März 2017 und dem behandelnden Kinderarzt J. vom 7. April 2017 eingeholt. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor dem Senat gewesen ist.

Entscheidungsgründe:

Die gem. § 151 Abs. 1 und 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht erhobene Berufung des Klägers ist zulässig, konnte in der Sache jedoch keinen Erfolg haben.

Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Kassel vom 19. Januar 2017 ist nicht zu beanstanden. Der Bescheid der Beklagten vom 26. September 2014 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 11. November 2014 ist nicht rechtswidrig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Der Kläger besitzt gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten seiner Teilnahme an der Mutter-Kind-Kur seiner Pflegemutter vom 26. November bis zum 12. Dezember 2014 in der Klinik H. in H-Stadt in Höhe von 1.199,20 EUR.

Der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch kann nicht auf den allein einschlägigen § 13 Abs. 3 SGB V gestützt werden. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 20. Mai 2003, Az. B 1 KR 9/03 R), der sich der Senat in ständiger Rechtsprechung angeschlossen hat (zuletzt mit Beschluss vom 25. Juni 2015, Az. L 8 KR 114/14), gewährt § 13 Abs. 3 Satz 1 SGB V einen Erstattungsanspruch nur im Ausnahmefall, (1.) wenn eine von der Krankenkasse geschuldete notwendige Behandlung infolge eines Mangels im Leistungssystem der Krankenversicherung als Dienst- oder Sachleistung nicht oder nicht in der gebotenen Zeit zur Verfügung gestellt werden konnte oder (2.) wenn die Krankenkasse die Erbringung einer medizinisch notwendigen Leistung zu Unrecht abgelehnt hat. Auch geht der Kostenerstattungsanspruch nicht weiter als der ursprüngliche Sachleistungsanspruch.

Anhaltpunkte für das Vorliegen eines Kostenerstattungsanspruchs nach § 13 Abs. 3 Satz 1 1. Alt. SGB V (Nichterbringung einer unaufschiebbaren Leistung) sind weder vorgetragen noch erkennbar.

Aber auch die Voraussetzungen des § 13 Abs. 3 Satz 1 2. Alt. SGB V (unrechtmäßige Leistungsablehnung) sind nicht erfüllt. Der geltend gemachte Kostenerstattungsanspruch des Klägers scheitert bereits an dem fehlenden Sachleistungsanspruch.

Das Sozialgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger allenfalls einen Anspruch als Begleitkind ohne eigenen Therapiebedarf geltend machen könnte, dies jedoch ausgeschlossen ist, da die Hauptleistung der Mutter-Kind-Kur für die Pflegemutter nicht von der Beklagten zu gewähren war.

Ein Anspruch des Klägers als Begleitkind in Form der Nebenleistung eines Anspruchs der Pflegemutter als Mutter-Kind-Kur nach § 24 SGB V scheidet aus, da die Beklagte zur Erbringung nur verpflichtet wäre, wenn für sie eine Leistungspflicht im Hinblick auf die Hauptleistung bestanden hätte.

Gem. § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB V in der seit dem 1. April 2007 unverändert geltenden Fassung (BGBl. I S. 378) haben gesetzlich krankenversicherte (§§ 5 bis 10 SGB V) Mütter bzw. Väter unter den in § 23 Abs. 1 SGB V genannten Voraussetzungen Anspruch auf aus medizinischen Gründen erforderliche Vorsorgeleistungen in einer Einrichtung des Müttergenesungswerks oder einer gleichartigen Einrichtung; die Leistung kann auch in Form einer Mutter-Kind-Maßnahme erbracht werden. Die Vorschrift setzt damit voraus, dass die Mutter oder der Vater Versicherter der GKV ist und in seiner Person die gesundheitlichen Voraussetzungen für eine Vorsorgeleistung vorliegen (Welti in Becker/Kingreen, § 24 Rn. 5, 9). Die Verpflichtung zur Erbringung einer Nebenleistung als Begleitkind – wie vorliegend für den Kläger - setzt immer voraus, dass die Hauptleistung von der beklagten Krankenkasse zu leisten ist. Daran fehlt es jedoch vorliegend. Die Pflegemutter des Klägers gehört nicht zum berechtigten Personenkreis. Sie ist unstreitig nicht auf der Grundlage der §§ 5 bis 10 SGB V in der gesetzlichen Krankenversicherung, sondern privat krankenversichert.

Der Kläger besaß im streitigen Zeitpunkt gegen die Beklagte auch keinen Anspruch auf eine eigene medizinische Vorsorgeleistung nach § 23 SGB V. Gem. § 23 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf ärztliche Behandlung und Versorgung mit Arznei-, Verband-, Heil- und Hilfsmitten, wenn diese notwendig sind,
1. eine Schwäche der Gesundheit, die in absehbarer Zeit voraussichtlich zu einer Krankheit führen würde, zu beseitigen,
2. einer Gefährdung der gesundheitlichen Entwicklung eines Kindes entgegenzuwirken,
3. Krankheiten zu verhüten oder deren Verschlimmerung zu vermeiden oder
4. Pflegebedürftigkeit zu vermeiden. Gem. § 23 Abs. 2 SGB V kann die Krankenkasse aus medizinischen Gründen erforderlichen ambulanten Vorsorgeleistungen in anerkannten Kurorten erbringen, wenn bei Versicherten die Leistungen nach Absatz 1 nicht ausreichen oder wegen besonderer beruflicher oder familiärer Umstände nicht durchgeführt werden. Reichen bei Versicherten die Leistungen nach Abs. 1 und 2 nicht aus, kann die Krankenkasse gem. § 23 Abs. 4 Satz 1 1. Halbsatz SGB V Behandlung mit Unterkunft und Verpflegung in einer Vorsorgeeinrichtung erbringen, mit der ein Vertrag nach § 111 SGB V besteht.

Das Sozialgericht ist zutreffend auf der Grundlage der Stellungnahmen des MDK vom 19. September 2014 und vom 2. Oktober 2014 davon ausgegangen, dass bei dem Kläger im streitigen Zeitraum kein eigener Anspruch auf eine Vorsorgeleistung im Rahmen einer Mutter-Kind-Kur bestand. Das Sozialgericht hat in dem angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt, dass bei dem Kläger zwar ein akuter Behandlungsbedarf bestanden habe, der auch medikamentös behandelt wurde, jedoch der Kläger als 16 Monate altes Kind während der Vorsorgemaßnahme seiner Pflegemutter im Zeitraum vom 26. November bis zum 12. Dezember 2014 in der Klinik H. in H-Stadt nicht fähig gewesen sei, an entsprechenden Vorsorgeleistungen teilzunehmen.

Dieser Einschätzung steht das Attest des behandelnden Kinderarztes J. vom 19. Juli 2014 nicht entgegen, wonach aufgrund der rez. Atemwegeinfekte ein Aufenthalt an der See oder in den Bergen sinnvoll sei. Denn ein sinnvoller Aufenthalt begründet für sich allein noch keinen Behandlungsbedarf im Rahmen einer Vorsorgemaßnahme.

Auch die Ermittlungen des Senats und der Vortrag im Berufungsverfahren konnten zu keinem anderen Ergebnis führen.

Der bei dem behandelnden Kinderarzt eingeholte Befundbericht vom 7. April 2017 ergab keine neuen Gesichtspunkte. Danach wurden im Zeitraum vom März bis Juni 2014 bei dem Kläger vier stationäre Krankenhausbehandlungen wegen obstruktiver Bronchitis oder obstruktiver Bronchopneumonie durchgeführt und im Juni und Juli 2014 weitere ambulante Behandlungen im Klinikum Kassel z. T. zur diagnostischen Abklärung. Es wird von einer erheblichen Beeinträchtigung im Alltag und wechselhaften Krankheitsverlauf berichtet, da es in der kalten Jahreszeit (Infektzeit) zu einer Verschlechterung der Symptomatik komme. Dies führte zu einer Veränderung bzw. Anpassung der medikamentösen Behandlung des Klägers, Auch nach diesen Angaben bestand, wie der MDK in seinem Gutachten vom 17. August 2017 überzeugend ausführt, bei dem Kläger als einem damals 16 Monate alten Kind nicht die Fähigkeit, im Sinne eines eigenständigen Vorsorgebedarfs an einer multimodalen Komplexbehandlung mit Nutzung von Heilmitteln und physikalischen Maßnahmen sowie Patientenschulung teilzunehmen. Für den Kläger bestanden außerhalb der Nutzung des heilklimatischen Faktors der Seeluft keine realistischen eigenen Therapiemöglichkeiten. Der Kläger hat auch nicht vorgetragen, dass bei ihm eine multimodale Komplexbehandlung durchgeführt worden sei. Vielmehr hat der Kläger als Begleitkind die heilklimatischen Bedingungen am Ort der Mutter-Kind-Einrichtung genutzt.

Soweit der Kläger der Auffassung ist, es bestehe eine gesetzliche Lücke, die durch richterliche Rechtsfortbildung zu schließen sei, konnte sich der Senat dem nicht anschließen. Vielmehr ist es dem Senat verwehrt, den fehlenden Rechtsanspruch im Rahmen der richterlichen Rechtsfortbildung in Form der Auslegung vorhandener gesetzlicher Regelung, der Schließung einer Regelungslücke durch Analogie oder mittels teleologischer Interpretation des geltenden Rechts zu schaffen. Eine Verpflichtung der Beklagten durch den Senat zur Übernahme der geltend gemachten Kosten würde eine unzulässige richterliche Rechtsfortbildung darstellen. Die Verpflichtung der Beklagten zur Tragung dieser Kosten – ohne die Hauptleistung gewähren zu müssen - würde eine Erweiterung der Leistungsverpflichtung der gesetzlichen Krankenversicherung darstellen, ohne Rückbindung an das vom Gesetzgeber getroffene Regelungssystem, das von einer strikten Trennung zwischen dem Leistungssystem der privaten und der gesetzlichen Krankenversicherung ausgeht. Der Gesetzgeber hat mit der Regelung des § 24 SGB V die Leistungsverpflichtung der gesetzlichen Krankenkassen – wie der Beklagten - auf die Gewährung der Hauptleistung beschränkt. Allein im Rahmen dieser Verpflichtung ist es gerechtfertigt, sie auch zur Gewährung von Nebenleistungen – wie die Tragung der Kosten eines Begleitkindes – zu verpflichten.

Das Bundesverfassungsgericht hat wiederholt betont (BVerfG, Beschluss vom 26. September 2011 - 2 BvR 2216/06, 2 BvR 469/07 -, juris Rn.45), eine verfassungsrechtlich unzulässige richterliche Rechtsfortbildung sei dadurch gekennzeichnet, dass sie, ausgehend von einer teleologischen Interpretation, den klaren Wortlaut des Gesetzes hinten anstellt, ihren Widerhall nicht im Gesetz finde und vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich oder - bei Vorliegen einer erkennbar planwidrigen Gesetzeslücke - stillschweigend gebilligt worden sei (BVerfG, Beschlüsse vom 14. Juni 2007 - 2 BvR 1447/05, 2 BvR 136/05, juris Rn. 91). Richterliche Rechtsfortbildung überschreitet die verfassungsrechtlichen Grenzen, wenn sie deutlich erkennbare, möglicherweise sogar ausdrücklich im Wortlaut dokumentierte gesetzliche Entscheidungen abändert oder ohne ausreichende Rückbindung an gesetzliche Aussagen neue Regelungen schafft (BVerfG, Beschluss vom 6. Juli 2010 - 2 BvR 2661/06 -, juris Rn. 64). So im vorliegenden Fall. Der Gesetzgeber hat die Leistungspflicht der gesetzlichen Krankenkassen an den Anspruch des Versicherten geknüpft und allein der Gesetzgeber könnte die vorliegend streitige Leistungspflicht für Nebenleistungen neu regeln.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Nach dem Grundsatz der einheitlichen Kostenentscheidung profitiert die Pflegemutter als frühere Klägerin zu 1) als nach § 183 SGG nicht kostenprivilegierte Klägerin von dem kostenprivilegierten Kläger.

Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Rechtskraft
Aus
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