L 10 U 2584/16

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 9 U 401/15
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 2584/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 21.06.2016 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.

Tatbestand:

Zwischen den Beteiligten ist die Feststellung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV) streitig (im Folgenden BK 2301).

Der am 1963 geborene Kläger war von 1981 bis 1989 in der Schweißerei der damaligen W. Deutschland GmbH (heute: T. Automotive Deutschland) als Schweißer beschäftigt. Von 1989 bis 2012 war er bei der F. S. Technologies GmbH & Co. KG tätig, und zwar zunächst im Kunststoffwerk und von Juli 1995 bis 31.01.2012 in der Stanzerei als Einrichter und Handstanzer.

Der Präventionsdienst der Beklagten (vgl. Bl. 47/49 bzw. Bl. 43 ff. VerwA) ermittelte für die Tätigkeit bei der W. Deutschland GmbH auf Grund Erfahrungen mit vergleichbaren Arbeitsplätzen einen personenbezogenen Lärmexpositionspegel von mehr als 85 dB (A) und für die Tätigkeit bei der F. S. Technologies GmbH & Co im Kunststoffwerk von 80 dB (A) sowie in der Stanzerei von 102 dB (A). In diesem Sinne äußerte sich auch der letzte Arbeitgeber des Klägers, der für die Stanzerei einen Lärmexpositionspegel von 104 dB (A) mitteilte (vgl. Bl. 42 VerwA).

Im Dezember 2012 zeigte der Arzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde Dr. K. bei der Beklagten den Verdacht auf eine Lärmschwerhörigkeit als BK an. Der Kläger leide an einer Schwerhörigkeit beidseits und einem Tinnitus; die Beschwerden seien vor über zehn Jahren erstmals aufgetreten. Er legte das Audiogramm vom 11.12.2012 vor. Der zur Auswertung dessen hinzugezogene Beratungsarzt Dr. H. , Facharzt für HNO, sah keinen begründeten Verdacht auf das Vorliegen einer BK, da die Hörschwellenkonfiguration mit chronischen Lärmeinflüssen nicht zu erklären sei, weshalb die Beklagte zunächst kein Verfahren zur Feststellung einer BK einleitete.

Im Mai 2013 machte der Kläger das Vorliegen einer BK 2301 geltend und führte aus, seine Hörfähigkeit habe sich in den letzten Jahren stark verschlechtert, obwohl er bei der Arbeit ständig Gehörschutz trage, was auch immer kontrolliert werde. In dem ihm übersandten Fragebogen gab er u.a. an, die Erkrankung habe sich erstmals 1996 bei der jährlichen medizinischen Betriebsuntersuchung bemerkbar gemacht. Die Erkrankung führte er auf den großen Lärm in der Handstanzerei zurück.

Die Beklagte zog bei der Krankenkasse des Klägers, der Betriebskrankenkasse F. , ein Vorerkrankungsverzeichnis bei und holte einen Befundbericht der HNO-Ärztin Dr. K. ein, die von einer erstmaligen Vorstellung am 04.07.2007 wegen einer akuten Hörstörung (Hörsturz) berichtete, die mit einer Infusionstherapie behandelt worden sei. Eine Hörgeräteversorgung sei 2009 erfolgt. Das Ohrgeräusch rechts sei - möglicherweise unter Lärmbelastung - im November 2011 lauter geworden. Diagnostisch ging sie von einer Innenohrschwerhörigkeit und einem Tinnitus auris rechts aus (vgl. Bl. 37 VerwA). Nach Eingang der Stellungnahme ihres Präventionsdienstes holte die Beklagte ein Gutachten bei dem Facharzt für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde Dr. E. ein, der den Kläger im März 2014 untersuchte, eine an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit beschrieb (prozentualer Hörverlust rechts 90 %, links 95 %) und das Vorliegen einer lärmbedingten Schwerhörigkeit verneinte. Zwar seien mehrere für eine Lärmschwerhörigkeit sprechende Kriterien erfüllt (relevante berufliche Lärmbelastung, Entwicklung der Schwerhörigkeit während der Lärmarbeit, annähernde Symmetrie, positives Recruitment), jedoch zeigten die Tonschwellenkurven keinen typischen Verlauf mit einer Hochtonsenke um 4 kHz und Steilabfall mit Übergang in einen Schrägabfall und es liege keine reine Schallempfindungsschwerhörigkeit vor, sondern es zeige sich eine Schallleitungskomponente im Tonaudiogramm.

Mit Bescheid vom 28.08.2014 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer BK 2301 u.a. mit der Begründung ab, beim Kläger fehle im Tonaudiogramm der für eine Lärmschwerhörigkeit typische Steilabfall der Hörkurve nach 1 kHz und die typische Hochtonsenke bei 4 kHz (sog. c&8309;-Senke). Auch liege ein lärmuntypischer Hörverlust im Mittel- und Tieftonbereich vor. Im Widerspruchsverfahren zog die Beklagte Audiogramme arbeitsmedizinischer Vorsorgeuntersuchungen vom 08.09.1998, 10.01.2002, 16.02.2005 und 24.06.2008 bei und veranlasste die beratungsärztliche Stellungnahme des Dr. H. , der ausführte, dass nach wissenschaftlichen Erkenntnissen mit einer chronischen Lärmschädigung weder der Verlauf der Hörstörung (erheblicher beruflicher Lärm von 1995 bis 2005 ohne Hörschädigung bei dramatischer Verschlechterung in den Folgejahren) noch die Hörschwellenkonfiguration und auch nicht das Entstehen einer hochgradigen, an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit vereinbar sei. Mit Widerspruchsbescheid vom 14.01.2015 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück.

Am 12.02.2015 hat der Kläger dagegen beim Sozialgericht Mannheim (SG) Klage erhoben und geltend gemacht, seine Schwerhörigkeit sei auf seine langjährige Tätigkeit unter extremer Lärmbelastung zurückzuführen. Er hat das Ton- und Sprachaudiogramm vom 16.06.2015 mit dem Hinweis vorgelegt, dass eine weitere Verschlechterung eingetreten sei.

Das SG hat Dr. K. und Dr. K. schriftlich als sachverständige Zeugen angehört. Diese haben über den Behandlungsverlauf von Juli 2007 bis April 2015 (Dr. K. ) bzw. die Vorstellungen im Dezember 2012 und April 2015 (Dr. K. ) berichtet und Tonaudiogramme vom 19.07.2007, 16.11.2007, 02.03.2009, 02.12.2010 und 17.02.2014 bzw. vom 21.04.2015 vorgelegt. Sodann hat das SG das Gutachten des Prof. Dr. P. , Hals-, Nasen- und Ohrenklinik im Universitätsklinikum H. , auf Grund Untersuchung des Klägers im Oktober 2015 eingeholt. Der Sachverständige hat darauf hingewiesen, dass sich das Ausmaß der Hörstörung in den subjektiven Angaben (Tonaudiogramm) und den objektiven Hörtests (CERA = Cortikale Elektrische Reaktions-Audiometrie) unterschieden habe, was auf eine Aggravation der sicherlich vorliegenden Hörstörung hinweise. Ausgehend von den CERA-Untersuchungen hat er den prozentualen Hörverlust rechtsseitig mit 70 % und linksseitig mit 45 % angegeben. Er hat die für eine berufliche Ursache der Hörstörung sprechenden Gesichtspunkte (adäquate Lärmbelastung, Entwicklung der Schwerhörigkeit während der Lärmbelastung, reine Schallempfindungsschwerhörigkeit, annähernde Symmetrie) bejaht - angesichts der durch die CERA ermittelten Hörschwellenwerte insbesondere auch einem Hochtonabfall mit Werten im typischen Bereich - und ist vom Vorliegen einer BK 2301 ausgegangen.

Hiergegen hat die Beklagte unter Vorlage der beratungsärztlichen Stellungnahme des Dr. H. vom 25.02.2016 Einwände erhoben. Dieser hat u.a. dargelegt, dass die CERA-Untersuchung lediglich Auskunft über die Hörschwelle bei 1.000, 2.000 und 3.000 Hz gebe und im Messbereich daher lediglich zur Verifizierung der tonaudiometrisch bestimmten Hörschwellen herangezogen werden könne. Eine Aussage über die gesamte Hörstörung lasse sich daraus nicht ableiten. Während das Tonaudiogramm rechtsseitig mit der objektiven Audiometrie übereinstimme, lasse sich linksseitig wegen der großen Diskrepanz keine Aussage zum exakten Hörverlust treffen. Allerdings spreche die sowohl subjektiv als auch objektiv dokumentierte Asymmetrie gegen eine lärmbedingte Schädigung. Das SG hat die ergänzende Stellungnahme des Prof. Dr. P. eingeholt, der darauf hingewiesen hat, dass auch Hörverluste im tiefen und mittleren Frequenzbereich lärmbedingt sein können. Wegen der Sprachbarriere hat er es beim Kläger für zulässig erachtet, der Beurteilung die Werte der CERA-Untersuchung zu Grunde zu legen. Im Hinblick auf die Asymmetrie des Hörverlustes hat er eine stärkere Hinwendung des rechten Ohres zur Lärmquelle in Betracht gezogen. Hierzu hat die Beklagte die weitere beratungsärztliche Stellungnahme des Dr. H. vorgelegt, wonach den Schlussfolgerungen des Sachverständigen nicht zu folgen sei.

Mit Urteil vom 21.06.2016 hat das SG die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Hörminderung des Klägers in ihrem Gesamtausmaß als Folge einer BK nach Nr. 2301 festgestellt. Ausgehend von der Vermutungsregelung des § 9 Abs. 3 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuchs (SGB VII) ist das SG davon ausgegangen, dass sämtliche für die Annahme einer Lärmschwerhörigkeit heranzuziehenden Kriterien erfüllt seien.

Am 12.07.2016 hat die Beklagte dagegen beim Landessozialgericht (LSG) Berufung eingelegt und geltend gemacht, die Regelung des § 9 Abs. 3 SGB VII sei bei der Entscheidung zum Vorliegen einer Lärmschwerhörigkeit nicht heranzuziehen. Hinsichtlich der durch Lärm versurachten Schwerhörigkeit lägen klar definierte - in der Königsteiner Empfehlung niedergelegte - medizinisch-wissenschaftliche Kriterien vor, bei deren Vorliegen eine Lärmschwerhörigkeit zu bejahen sei. Raum für die Anwendung der Kausalitätsvermutung des § 9 Abs. 3 SGB VII sei nicht mehr vorhanden. Dr. E. und Dr. H. hätten überzeugend dargelegt, dass die maßgeblichen Kriterien beim Kläger nicht erfüllt seien.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Mannheim vom 21.06.2016 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Er hält die angefochtene Entscheidung für richtig. Insbesondere greife die Vermutung des § 9 Abs. 3 SGB VII, weil Anhaltspunkte für eine Verursachung der Erkrankung außerhalb der versicherten Tätigkeit nicht ersichtlich seien.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakten der Beklagten sowie der Akten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet.

Das SG hätte den Bescheid der Beklagten vom 28.08.2014 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 14.01.2015 nicht aufheben und feststellen dürfen, dass die beim Kläger vorliegende Hörminderung eine BK nach Nr. 2301 der BKV ist. Denn die angefochtenen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger leidet nicht an einer Lärmschwerhörigkeit.

BKen sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates als BKen bezeichnet und die Versicherte infolge einer der den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VI begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung Erkrankungen als BKen zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (§ 9 Abs. 1 Satz 2 erster Halbsatz SGB VII). Hierzu zählt nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV eine Lärmschwerhörigkeit.

Nach ständiger Rechtsprechung müssen im Unfallversicherungsrecht die anspruchsbe-gründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit, die schädigende Einwirkung (Arbeitsunfall bzw. BK) und die als Gesundheitsschaden geltend gemachte Gesundheitsstörung erwiesen sein, d. h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können; sie müssen daher mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen (vgl. u. a. BSG, Urteil vom 20.12.2016, B 2 U 16/15 R in SozR 4-2700 § 8 Nr. 60). Nur hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung sowie der schädigenden Einwirkung und dem Gesundheitsschaden genügt eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (BSG, a.a.O.; vgl. auch BSG, Urteil vom 30.04.1985, 2 RU 43/84 in SozR 2200 § 555a Nr. 1 mit weiteren Ausführungen zur Begründung); hinreichende Wahrscheinlichkeit bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen muss, wobei dieser nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er nicht auszuschließen oder nur möglich ist (vgl. BSG, Urteil vom 02.11.1999, B 2 U 47/98 R in SozR 3-1300 § 48 Nr. 67; Urteil vom 02.05.2001, B 2 U 16/00 R in SozR 3-2200 § 551 Nr. 16). Kommen mehrere Ursachen in Betracht (konkurrierende Kausalität), so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.1988, 2/9b RU 28/87 in SozR 2200 § 548 Nr. 91). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (vgl. BSG, Urteil vom 27.06.1991, 2 RU 31/90 in SozR 3-2200 § 548 Nr. 11).

Bei Anwendung dieser Grundsätze kann das Vorliegen einer Lärmschwerhörigkeit beim Kläger nicht festgestellt werden, mithin auch keine BK nach Nr. 2301 der Anlage 1 zur BKV. Zwar war der Kläger in der Zeit von 1981 bis 1989 im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit als Schweißer (W. Deutschland GmbH) bei einem Lärmexpositionspegel von mehr als 85 dB (A) - so die nach den Erfahrungen des Präventionsdienstes der Beklagten auf vergleichbaren Arbeitsplätzen vorhandene Lärmbelastung - und in der Zeit von Juli 1995 bis Januar 2012 in der Stanzerei der F. S. Technologies GmbH & Co. KG bei einem Lärmexpositionspegel von 102 dB (A) relevanten und als gehörschädigend anzusehenden Lärmeinwirkungen (vgl. Schönberger, Mehrtens, Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage, S. 347) von mehr als 85 dB (A) ausgesetzt, jedoch ist die beim Kläger aufgetretene Schwerhörigkeit nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit wesentlich durch diese berufliche Lärmeinwirkung verursacht. Hiervon ging die Beklagte auf der Grundlage des im Verwaltungsverfahren eingeholten Gutachtens des Facharztes für Hals-Nasen-Ohrenheilkunde Dr. E. und den Ausführungen des Dr. H. zutreffend aus.

So reicht das zeitliche Zusammenfallen einer Lärmeinwirkung mit der Entstehung einer Schwerhörigkeit alleine nicht aus, um von einer Lärmschwerhörigkeit auszugehen. Denn das Innehaben eines Lärmarbeitsplatzes führt nicht zwangsläufig zu einer Lärmschwerhörigkeit. Schließlich weisen nur 5 % der Lärmarbeiter (100.000 von ca. 2 Millionen) eine Lärmschwerhörigkeit auf und nur 1 % davon beziehen eine Rente. Die Lärmschwerhörigkeit ist damit eine vergleichsweise selten auftretende Erkrankung (vgl. Senatsurteil vom 19.01.2012, L 10 U 4615/09 auf der Grundlage der dortigen Sachverständigengutachten). Die Beurteilung des Vorliegens einer Lärmschwerhörigkeit im Einzelfall ist durch zahlreiche Faktoren erschwert. So kann eine Schwerhörigkeit das Symptom vieler, teilweise unklärbarer Krankheiten sein, bestimmte Gesundheitsstörungen können allein eine Innenohrschwerhörigkeit hervorrufen, aber auch die Entstehung einer Lärmschwerhörigkeit begünstigen und Hörstörungen anderer Ursachen können das Bild einer Lärmschwerhörigkeit vortäuschen. Zudem reagiert das menschliche Gehör unterschiedlich auf Lärm und die Disposition im Einzelfall lässt sich nicht messen. Auch der zeitliche Beginn der Erkrankung ist im Allgemeinen nicht feststellbar (vgl. zum Ganzen Schönberger, Mehrtens, Valentin, a.a.O., S. 344).

Ein Zusammenhang zwischen der beruflichen Lärmexposition und der Schwerhörigkeit ist dann als wahrscheinlich anzusehen, wenn mehr Gesichtspunkte für einen Zusammenhang sprechen als dagegen. Nach dem aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Kenntnisstand, der in der "Empfehlung für die Begutachtung der Lärmschwerhörigkeit (BK-Nr.2301) - Königsteiner Empfehlung -" (abgedruckt in Mehrtens/Brandenburg, Die Berufskrankheitenverordnung, M 2301 S. 8 ff.) dokumentiert ist, ist dies dann der Fall, wenn sich die Hörstörung während der Lärmexposition entwickelt hat, es sich um eine reine Innenohrschwerhörigkeit (Hörstörung der Sinneszellen des Innenohrs) mit Betonung des Hörverlustes in den hohen Frequenzen (c&8309;-Senke) handelt und das Ausmaß und die Entwicklung der Hörstörung im adäquaten Verhältnis zur Lärmeinwirkung stehen.

Diese Kriterien sind im Falle des Klägers nicht (alle) erfüllt.

Die Erfüllung der maßgeblichen Kriterien vermag der Senat insbesondere nicht dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. P. zu entnehmen, der diese bejaht hat und insbesondere auch vom Vorliegen einer typischen Tonschwellenkurve ausgegangen ist. Seine diesbezügliche Auffassung hat der Sachverständige ausschließlich mit dem Ergebnis der CERA-Untersuchungen, mithin den in den objektiven Hörtests ermittelten Hörschwellen begründet. Denn angesichts der von ihm in der Tonaudiometrie erhobenen Befunde, die sich zum Teil deutlich von den in den objektiven Hörtests ermittelten Werten unterschieden haben, hat er auf eine Aggravation des Klägers geschlossen, wodurch es sich seines Erachtens verboten hat, der Beurteilung die in der Tonaudiometrie ermittelten Werte zu Grunde zu legen. Im Hinblick auf das von Prof. Dr. P. deshalb herangezogene Ergebnis der CERA-Untersuchungen hat Dr. H. in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme für die Beklagte vom 25.02.2016 (Bl. 115/116 SG-Akte) aber zutreffend dargelegt, dass mit den hierbei gemessenen drei Frequenzen (1.000, 2.000 und 3.000 Hz) lediglich ein kleines Frequenzband abgebildet wird, das zwar - wie vom Sachverständigen angenommen - tendenziell einen Hochtonabfall zeigt, letztlich jedoch keine Aussage über den Hörkurvenverlauf zulässt, da weder der Tieftonbereich noch die hohen oberen Frequenzen (über 3.000 Hz) abgebildet sind. Diese Untersuchung eignet sich daher - so zu Recht Dr. H. - zwar zur Verifizierung der von der Mitarbeit des Probanden abhängigen tonaudiometrisch bestimmten Hörschwellen im Messbereich der entsprechenden Frequenzen von 1.000, 2.000 und 3.000 Hz, hingegen erlauben diese Untersuchungen keine Beurteilung der gesamten Hörstörung, wie dies jedoch für die Beurteilung, ob es sich bei der im Einzelfall vorliegenden Hörstörung um eine Lärmschwerhörigkeit handelt, zwingend erforderlich ist. Soweit der Sachverständige die Heranziehung dieser Werte angesichts der Sprachbarriere beim Kläger für sachgerecht erachtet hat, überzeugt dies nicht. Denn für die Erstellung eines Tonaudiogramms bedarf es, anders als bei einem Sprachaudiogramm, keiner Sprachkenntnisse, da der Proband lediglich bestätigen muss, wenn er einen Ton hört. Dr. H. hat daher zu Recht darauf hingewiesen, dass eine tonaudiometrische Untersuchung auch bei erheblicher Sprachbarriere suffizient durchgeführt werden kann, da lediglich der Untersuchungsablauf verstanden werden muss. Mit dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. P. lässt sich das Vorliegen einer Lärmschwerhörigkeit daher schon deshalb nicht begründen, weil sich das Vorliegen einer typischen Tonschwellenkurve mit den von ihm herangezogenen drei Messwerten nicht konstatieren lässt.

Demgegenüber hat Dr. H. für den Senat überzeugend herausgearbeitet, dass die vorliegenden Tonaudiogramme gerade keine für eine Lärmschwerhörigkeit typischen Tonschwellenkurven zeigen und im Übrigen weitere gegen das Vorliegen einer durch Lärm verursachten Schwerhörigkeit sprechende Gesichtspunkte vorhanden sind, die der Sachverständige unberücksichtigt gelassen hat und die daher keinen Eingang in seine Beurteilung gefunden haben. So wies Dr. H. bereits im Widerspruchsverfahren in seiner beratungsärztlichen Stellungnahme vom 10.11.2014 darauf hin, dass bereits das Ausmaß der beim Kläger vorliegenden Hörstörung gegen das Vorliegen einer Lärmschwerhörigkeit spricht. Denn eine hochgradige an Taubheit grenzende Schwerhörigkeit, wie sie Dr. E. aus dem Tonaudiogramm ermittelte und wie sie jedenfalls für das rechte Ohr auch von Prof. Dr. P. durch die CERA-Befunde bestätigt wurde (vgl. Dr. H. in seiner Stellungnahme vom 25.02.2016: gute Übereinstimmung der Werte der CERA-Untersuchung mit dem Tonaudiogramm, das somit den tatsächlichen Gegebenheiten entspricht), entsteht nach aktueller Lehrmeinung nicht durch eine chronische Lärmeinwirkung (vgl. auch Senatsurteil vom 19.01.2012, L 10 U 4615/09, unter Hinweis auf das Merkblatt zu dieser BK, abgedruckt in Mehrtens/Brandenburg, a.a.O., M 2301 III S. 5 m.w.N.; so auch Dr. H. a.a.O.: Durch eine chronische Lärmeinwirkung entsteht keine hochgradige Schwerhörigkeit). Schon dies steht der Annahme eines Kausalzusammenhangs entgegen.

Darüber hinaus wies Dr. H. , anknüpfend an die Darlegungen des Dr. E. und die von diesem beschriebene Schallleitungskomponente im Tonaudiogramm, zu Recht darauf hin, dass auch dieser Befund gegen eine durch Lärm verursachte Hörstörung spricht. Denn eine Schallleitungsstörung ist niemals durch chronische Lärmeinwirkung verursacht (vgl. Schönberger, Mehrtens, Valentin, a.a.O., S. 350). Die Lärmschwerhörigkeit ist vielmehr eine reine Innenohrschwerhörigkeit, nämlich eine Störung der Sinneszellen des Innenohrs. Insoweit hat Dr. H. in seiner im Berufungsverfahren vorgelegten beratungsärztlichen Stellungnahme vom 16.09.2016 nochmals deutlich gemacht, dass eine chronische Schallexposition zwar zu einer Schädigung der Haarzellen im Innenohr führen kann, jedoch keinesfalls zu einer Schädigung des Schallübertragungsapparates und eine Schallleitungskomponente daher immer lärmfremd ist. Auch diesen Gesichtspunkt hat der Sachverständige unberücksichtigt gelassen. Insoweit hat er lediglich ausgeführt, dass zum Zeitpunkt seiner Untersuchung eine Schallleitungskomponente nicht nachweisbar gewesen sei. Eine Diskussion dieses Kriteriums ist damit jedoch nicht entbehrlich geworden, nachdem sich in früheren Untersuchungen gerade eine Schallleitungskomponente zeigte und sowohl Dr. E. und Dr. H. als auch Dr. K. in seiner dem SG erteilten Auskunft als sachverständiger Zeuge hierauf hingewiesen und dies als einen maßgeblich gegen eine Lärmschwerhörigkeit sprechenden Gesichtspunkt aufgeführt haben. Zu Recht hat Dr. H. in seiner im Berufungsverfahren vorgelegten beratungsärztlichen Stellungnahme daher kritisiert, dass Prof. Dr. P. die in Voruntersuchungen im Tonaudiogramm dokumentierte Schallleitungskomponente einfach negiert bzw. nur die CERA-Untersuchung zur Bewertung "zugelassen" hat.

Gegen das Vorliegen einer Lärmschwerhörigkeit spricht darüber hinaus auch der Umstand, dass sich die Hörstörung des Klägers nach Aufgabe der Tätigkeit (Januar 2012) weiter verschlechterte. So berichtete Dr. K. in ihrer dem SG erteilten Auskunft als sachverständige Zeugin von einer im Februar 2014 audiometrisch festgestellten Zunahme der Innenohrschwerhörigkeit links und auch der Kläger bestätigte anlässlich seiner Untersuchung bei Dr. E. im März 2014, dass seine Schwerhörigkeit auch im letzten Jahr noch zugenommen habe. Über eine weitere Verschlechterung, die die Verordnung einer neuen Hörhilfe erforderlich gemacht habe, hat der Kläger dann nachfolgend im Juni 2015 im Klageverfahren berichtet und das Tonaudiogramm der Dr. K. vom 16.06.2015 vorgelegt. Ein solcher Verlauf mit einer Verschlimmerung der Hörstörung auch noch deutlich nach Aufgabe der Tätigkeit weist aber auf eine andere als die Lärmexposition als Ursache der Schwerhörigkeit hin. Denn eine Lärmschwerhörigkeit kann sich nach wissenschaftlicher Kenntnis nach Ende der Lärmexposition nicht weiter verschlimmern (vgl. Schönberger, Mehrtens, Valentin, a.a.O., S. 349).

Letztlich weist gerade auch der Hörkurvenverlauf beim Kläger nicht auf eine Hörschädigung durch Lärm hin.

Besonders empfindlich sind die Haarzellen, die für die Schalltransformation im Hochtonbereich verantwortlich sind. Dies ist der Frequenzbereich um 4.000 Hz. Aus diesem Grund kommt es zu Beginn einer Lärmschwerhörigkeit stets zur Entstehung einer sog. c&8309;-Senke. Nach längerer dauernder Lärmbelastung kann sich die Senke vertiefen und verbreitern. Meist besteht oberhalb 2.000 Hz oder nach weiterem Fortschreiten oberhalb 1.000 Hz ein Steilabfall. Der maximale Hörverlust im Hochtonbereich beträgt oft nicht mehr als 60 dB. Im Bereich der ganz hohen Frequenzen steigt die Hörverlustkurve wieder an, so dass sich das Bild einer Senke ergibt. Ein Hochtonschrägabfall ist dagegen nicht typisch für eine Lärmschwerhörigkeit, eher für einen anders gearteten Innenohrschaden bzw. eine degenerative Schwerhörigkeit. In der Mehrzahl der Lärmschädigungen bleibt der Hörverlust auf die Frequenz oberhalb von 1.000 Hz beschränkt; entsprechend erweist sich der 1.000 Hz-Ton oft als unterer Grenzwert des Schädigungsbereichs im Tonaudiogramm. Jedoch können auch Hörverluste im tiefen und mittleren Frequenzbereich lärmbedingt sein. Allerdings sind sie im mittleren Frequenzbereich (bei 1.000 Hz) erst nach jahre- bzw. jahrzehntelanger und erheblicher Lärmbelastung denkbar. Hörverluste im Tieftonbereich sind nur dann lärmbedingt, wenn eine jahrzehntelange Lärmexposition mit Lärmeinwirkungen deutlich über 85 dB (A) bzw. extrem hohen Schallpegeln gegeben war (vgl. Schönberger, Mehrtens, Valentin, a.a.O., S. 352 f. und damit übereinstimmend die Stellungnahmen von Dr. H. , Bl. 115 f., 131 f. SG-Akte, 20 f. LSG-Akte).

Ausgehend hiervon hat Dr. H. insbesondere in seiner Stellungnahme Bl. 115 f. SG-Akte für den Senat überzeugend dargelegt, dass sich der Hörkurvenverlauf im aktuellen Tonaudiogramm nicht mit einer Lärmschwerhörigkeit vereinbaren lässt. Während eine chronische Lärmschädigung durch eine primäre Hochtonsenke gekennzeichnet ist, die sich bei langjähriger Exposition in einen Hochtonsteilabfall entwickeln kann und bei weiterer ausreichender Lärmbelastung eine Mitbeteiligung der mittleren und tiefen Frequenzen im Sinne eines Schrägabfalls auftreten kann, zeigt sich beim Kläger rechtsseitig eine bei 55 bis 60 dB nahezu horizontale Hörschwelle und linksseitig ein Schrägabfall von 50 dB auf 110 dB, was nicht auf eine Lärmschädigung hinweist. Dabei ist gerade auch der rechtsseitig dokumentierte stark ausgeprägte Hörverlust bei 1.000 Hz von 50 dB nicht mit einer chronischen Lärmeinwirkung zu erklären. Soweit Prof. Dr. P. in seiner ergänzenden Stellungnahme diesbezüglich eingewandt hat, dass beim Kläger bei einem Lärmbelastungszeitraum von ca. 30 Jahren von einer jahrzehntelangen Einwirkung auszugehen sei, der nach wissenschaftlichen Erkenntnissen auch zu Hörverlusten im mittleren und tiefen Frequenzbereich führen könne, hat Dr. H. daraufhin (Stellungnahme Bl. 131 f. SG-Akte) unter Hinweis auf Feldmann (Das Gutachten des HNO-Arztes, 7. Auflage 2012, S. 273, 286) überzeugend dargelegt, dass beim Kläger angesichts dessen zwar grundsätzlich eine Mitbeteiligung der mittleren und tiefen Frequenzen in Betracht zu ziehen sei, bei einer Lärmschädigung jedoch gleichwohl eine lärmtypische Tonschwellenkurve vorliegen müsse, was beim Kläger nicht der Fall sei. So zeige sich auch bei langfristiger hoher Lärmexposition ein Schrägabfall der Hörschwellenkurve, d.h. die tiefen Frequenzen sind physiologisch weniger geschädigt als die mittleren Frequenzen und diese wiederum weniger als die hohen Frequenzen. Das Schädigungsmaximum liegt daher immer im hohen Frequenzbereich. Der rechtsseitig horizontal verlaufende Hörschwellenverlauf kann mit chronischen Lärmeinwirkungen somit nicht erklärt werden, da die lärmrefraktären tieferen Frequenzen nicht deutlich weniger als die hohen Frequenzen geschädigt sind. Linksseitig könnte der dokumentierte Hörschwellenverlauf mit einer stärkeren Schädigung im hohen Frequenzbereich zwar grundsätzlich auf eine Lärmursache hinweisen, allerdings ist der Tieftonbereich mit einem Hörverlust zwischen 50 und 60 dB nach anerkannter Lehrmeinung nicht mit einer Lärmschwerhörigkeit vereinbar. Denn auch nach jahrzehntelanger und sehr hoher ungeschützter Lärmbelastung sind Hörverluste im Tieftonbereich von nur maximal 20 bis 30 dB denkbar. Auch die Königsteiner Empfehlung (vgl. Nr. 4.2) geht davon aus, dass nach jahre- bzw. jahrzehntelanger und erheblicher Lärmbelastung im mittleren und tiefen Frequenzbereich lärmbedingt nur leichte Hörverluste zu erwarten sind. Vor diesem Hintergrund kann dahingestellt bleiben, ob der Kläger, der ca. neun Jahre (1981 bis 1989) einem Schallpegel von zumindest 85 dB (A) und ca. 17 Jahre (Juli 1995 bis Januar 2012) einem Schallpegel von 102 dB (A) ausgesetzt war, in dem dargelegten Sinne überhaupt jahrzehntelang - Prof. Dr. P. ist von ca. 30 Jahren ausgegangen - einer erheblichen Lärmbelastung ausgesetzt war. Denn der sehr hohe Schallpegel von 102 dB (A) in den letzten ca. 17 Jahren wird dadurch relativiert, dass der Kläger durchgehend Lärmschutzmaßnahmen verwendete, was von Seiten des Arbeitgebers - so der Kläger ausdrücklich - auch kontrolliert wurde. Von einem für eine Lärmschwerhörigkeit untypischen Hörkurvenverlauf sind neben Dr. H. letztlich auch Dr. E. und Dr. K. in seiner dem SG erteilten Auskunft als sachverständiger Zeuge ausgegangen.

Schließlich ist auch die Entwicklung der Hörstörung beim Kläger nicht typisch für eine Lärmschwerhörigkeit. Dr. H. hat insbesondere in seiner Stellungnahme Bl. 20 f. LSG-Akte insoweit dargelegt, dass eine chronische Lärmschädigung langsam voranschreitet, während eine sprunghafte Zunahme der Hörstörung in jedem Fall als lärmfremd zu werten ist. Ausgehend von einer potentiell schädlichen Lärmexposition von 1981 bis 1989 und erneut ab 1995 zeigen die vorliegenden Tonaudiogramme nach den Ausführungen des Dr. H. bis zum Jahr 2005 rechtsseitig im Wesentlichen eine Normalhörigkeit und linksseitig eine gerade beginnende Hochtonsenke. Die Untersuchungen 2007 und 2008 zeigen dann eine Hochtonschwerhörigkeit, bei der die Asymmetrie deutlich zunahm und die Hörkurve links nun auf 80 dB abfällt. Nachfolgend kam es dann zu einer dramatischen Verschlechterung der gesamten Hörleistung bis zu der von Dr. E. im März 2014 beschriebenen hochgradigen, an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit. Dieser Verlauf und gerade auch das letztlich erreichte Ausmaß der Hörstörung sind aber lärmuntypisch und lassen die Lärmexposition, auch wenn 2007/2008 eine lärmtypische Entwicklung im Hochtonbereich stattfand, nicht als rechtlich wesentliche Ursache der Hörstörung erscheinen. Denn auch seinerzeit zeigten sich in den Tonaudiogrammen schon lärmfremde Schädigungselemente im Tieftonbereich, die auf eine endogene Innenohrschädigung hinwiesen.

Soweit Dr. H. schließlich dargelegt hat, dass entgegen der Auffassung des Sachverständigen Prof. Dr. P. eine Asymmetrie der Hörschwellenkurven dokumentiert sei, die gegen im Wesentlichen lärmbedingte Schädigungseinflüsse spreche, und das SG auf Grund der Angaben des Klägers, wonach sein rechtes Ohr der Stanze zugewandt und das linke Ohr im Schallschatten gewesen sei, eine die Asymmetrie erklärende stärkere Hinwendung des rechten Ohres zur Lärmquelle angenommen hat, kann der Senat dahingestellt sein lassen, ob der Kläger in der Stanzerei tatsächlich über 17 Jahre hinweg einer einseitigen, überwiegend rechtsseitigen Lärmexposition ausgesetzt war. Denn angesichts des für das Vorliegen einer Lärmschwerhörigkeit bereits untypischen Hörkurvenverlaufs kann offen bleiben, ob darüber hinaus zusätzlich auch das Auftreten einer asymmetrische Hörstörung gegen die behauptete Lärmursache spricht. Es bedarf daher keiner weiteren Ausführungen dazu, dass das von Dr. K. seiner dem SG erteilten Auskunft als sachverständiger Zeuge beigefügte Tonaudiogramm vom 21.04.2015 im Vergleich zu der Voruntersuchung bei der Dr. E. rechtsseitig gerade auch im Tieftonbereich eine weitere Verschlechterung dokumentiert und damit auch gänzlich ohne Lärmeinwirkung auf dieser Seite.

Insgesamt verneint der Senat daher, dass die berufliche Lärmexposition beim Kläger rechtlich wesentlich zu der aufgetretenen Hörstörung führte.

Entgegen der Ansicht des SG lässt sich das Vorliegen einer BK 2301 auch nicht aus der Vermutungsregelung des § 9 Abs. 3 SGB VII herleiten. Danach wird, wenn Versicherte, die infolge der besonderen Bedingungen ihrer versicherten Tätigkeit in erhöhtem Maße der Gefahr der Erkrankung an einer in der Rechtsverordnung nach Abs. 1 genannten BK ausgesetzt waren, wenn sie an einer solchen Erkrankung erkranken und Anhaltspunkte für eine Verursachung außerhalb der versicherten Tätigkeit nicht festgestellte werden können, vermutet, dass diese infolge der versicherten Tätigkeit verursacht worden ist.

Diese Regelung ist vorliegend schon deshalb nicht einschlägig, weil sie gegenüber der früher geltenden Reichsversicherungsordnung neu ist, also erst mit dem SGB VII zum 01.01.1997 eingeführt wurde und deshalb für die bereits 1929 in die Liste der BKen aufgenommene Lärmschwerhörigkeit (vgl. Mehrtens/Brandenburg, a.a.O., M 2301, Anmerkungen Rdnr. 1) keine Bedeutung hat (vgl. BSG, Urteil vom 30.01.2007, B 2 U 15/05 R in SozR 4-5671 Anl. 1 Nr. 4104 Nr. 2). Im Übrigen hat die Beklagte zu Recht darauf hingewiesen, dass sich beim Kläger eine BK 2301 mit dieser Vermutungsregelung nicht begründen lässt. So liegen zu dem zu beurteilenden Krankheitsbild der Lärmschwerhörigkeit (= Schwerhörigkeit durch Lärmeinwirkung) hinreichende medizinisch-wissenschaftliche Erkenntnisse vor, um diese Erkrankung von einer Schwerhörigkeit auf Grund sonstiger Ursachen abzugrenzen. Dabei ist der aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisstand in der bereits erwähnten "Königsteiner Empfehlung" zusammengefasst. Diese führt insbesondere auch die Kriterien auf, bei deren Bejahung sich die aufgetretene Schwerhörigkeit hinreichend wahrscheinlich auf eine Lärmexposition zurückführen lässt. Sind diese Kriterien im Einzelfall nicht erfüllt, so schließt dies grundsätzlich einen solchen Zusammenhang zwar nicht aus, allerdings lässt sich ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der beruflichen Lärmeinwirkung und dem aufgetretenen Gehörschaden nach den im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Beweismaßstäben nicht mehr wahrscheinlich machen. Daher spricht unter diesen Voraussetzungen mehr dagegen als dafür, dass die Hörstörung auf die berufliche Lärmexposition zurückzuführen ist, mit der Folge, dass die Ursache des Gehörschadens eher außerhalb der versicherten Tätigkeit liegt. Damit verbleibt kein Raum für die in § 9 Abs. 3 SGB VII normierte Vermutung, dass die berufliche Lärmexposition die aufgetretene Schwerhörigkeit verursacht hat. Im Sinne dieser Regelung liegen dann nämlich gerade Anhaltspunkte für eine außerberufliche Verursachung der Schwerhörigkeit vor. Dementsprechend weist im Falle des Klägers insbesondere das Ausmaß des Hörschadens gerade an dem nach seinen Angaben der Schallquelle zugewandten rechten Ohr, das Fehlen einer lärmtypischen Hörkurve und auch das Fortschreiten seiner Hörstörung nach Expositionsende auf eine außerberufliche Ursache dieser Störung hin, wobei es mangels Anhaltspunkten für außerberufliche Einwirkungen als Ursache der Schwerhörigkeit wahrscheinlich ist, dass ein degeneratives und damit schicksalhaftes Geschehen vorliegt.

Nach alledem ist das angefochtene Urteil auf die Berufung der Beklagten aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Für eine Zulassung der Revision besteht keine Veranlassung.
Rechtskraft
Aus
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