S 7 U 98/11

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
SG Schleswig (SHS)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Schleswig (SHS)
Aktenzeichen
S 7 U 98/11
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze
Der Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung erstreckt sich auch auf solche Tätigkeiten, die nicht sämtliche Merkmale eines Arbeits- oder Beschäftigungsverhältnisses aufweisen.
1. Der Bescheid der Beklagten vom 22. Juli 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24. Oktober 2011 wird aufgehoben. 2. Die Beklagte wird verurteilt, das Ereignis vom 28. Mai 2011 als Ar-beitsunfall anzuerkennen und der Klägerin die gesetzlichen Leis-tungen zu gewähren. 3. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten um die Anerkennung eines entschädigungspflichtigen Arbeitsunfalls. Die am. geborene Klägerin erlitt am 28. Mai 2011 nach Beendigung einer Zuchtveranstal-tung beim Verladen einer jungen Stute, deren Halter der Betrieb war, einen schweren Unfall. Die Klägerin ist mit der Inhaberin des Betriebes , , etwa seit dem Jahre 2004 befreundet. Bei dem Unfall wurde der linke Daumen der Klägerin durch den Führstrick ein-geklemmt und hierbei abgetrennt. Der Zeuge. ist wie die Klägerin Pferdehalter und züchtet in seinem Betrieb Holsteiner Pferde. Auf der Körveranstaltung am 28. Mai 2011 war nur die Zeugin. anwesend. Zwecks Klärung ihrer Einstandspflicht holte die Beklagte u.a. die Auskunft des Zeugen ein. Demnach habe die Klägerin dort im Jahre 2008 bereits zweimal beim Verladen von Pferden geholfen. Eine Entlohnung hierfür war nicht vereinbart worden. Ohne die Tätigkeit der Klägerin hätte auch Sohn der Zeugen , , in etwa zum selben Zeitpunkt helfen können. Die Hilfeleistung sei am Unfalltag nur ausnahmsweise erfolgt. Mit Bescheid vom 22. Juli 2011 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 24. Okto-ber 2011 lehnte die Beklagte die Feststellung eines entschädigungspflichtigen Arbeitsunfalls ab. Hierzu führte sie aus: Nicht jede Arbeit, die einem Unternehmen diene und dem Willen des Unternehmens entspreche, sei versichert. Es müsse sich vielmehr um eine Arbeitsleis-tung (auch vorübergehender Art) handeln, die unter solchen Umständen erbracht werde, dass sie einer Tätigkeit aufgrund eines Beschäftigungsverhältnisses ähnlich sei, § 2 Absatz 2 des Siebten Buches des Sozialgesetzbuches (SGB VII). Entscheidend für die Beurteilung des Einzelfalles seien Art, Umfang und Zeitdauer der Tätigkeit. Insbesondere Gefälligkeits-handlungen unter Freunden oder Vereinskameraden, die von kameradschaftlichen Bezie-hungen aufgrund desselben Hobbys – hier der Reiterei – geprägt seien, unterlägen nicht dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Die Klägerin habe den Unfall erlitten, als sie ihrer Nachbarin, der Zeugin , beim Transport eines Pferdes habe helfen wollen. Diese Tätigkeit stelle eine Gefälligkeitsleistung dar und stehe somit nicht unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung. Die Klägerin selbst sei Pferdehalterin bzw. betreibe mit ihrem Ehemann selbst ein Unternehmen der Reittierhaltung, und es bestehe eine freundschaftliche Beziehung zu der Zeugin ... Hiergegen richtet sich die am 1. November 2011 vor dem Sozialgericht Schleswig erhobene Klage. Die Klägerin trägt vor: Der Zeuge sei am Unfalltag betriebsbedingt gehindert ge-wesen, seiner Ehefrau beim Transport des Pferdes zu helfen. Für das Verladen und das Ent-laden der Stute seien jedoch mindestens zwei Personen notwendig und erforderlich. Die eine Person führe das Pferd am Halfter und Strick auf den Hänger. Die andere Person treibe hin-terher und habe die Stange vorzulegen, so dass das Pferd nicht wieder nach hinten entwei-chen könne. Außerdem habe die zweite Person die Heckklappe des Anhängers zu schließen, während die vornestehende Person das Pferd an den Seiten im Anhänger festbinde. Die Zeugen hätten sie, die Klägerin, darum gebeten, bei dem Transport der Stute zu helfen. Hierzu sei die Klägerin bereit gewesen. Sie habe die Weisung erhalten, das noch unerfahrene Pferd am Strick auf den Hänger zu führen. Dies sei zunächst auch ganz gut gelungen. Die Klägerin habe beim Entladen auf dem Körplatz ebenfalls geholten, das Pferd nachgeputzt und Frau auch beim Vormustern geholfen. Die Klägerin sei als sog. Leiharbeitnehmerin tätig gewesen. Sie sei auch subjektiv einer Beschäftigten vergleichbar tätig geworden. Dass ein persönliches Freundschaftsverhältnis gegeben gewesen sei, ändere an der Tätigkeit der Klägerin als Leiharbeitnehmerin nichts. Von einer kurzen Gefälligkeitsleistung habe nicht die Rede sein können, da der Zeitaufwand bis zu vier Stunden betragen habe. Die Klägerin beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 22. Juli 2011 in der Fassung des Widerspruchsbe-scheides vom 24. Oktober 2011 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, das Er-eignis vom 28. Mai 2011 als Arbeitsunfall anzuerkennen und der Klägerin die gesetz-lichen Leistungen zu gewähren. Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen und bezieht sich hierbei auf den Inhalt der angefochtenen Bescheide. Dieses Ereignis könne sie nicht als Arbeitsunfall anerkennen, da die Klägerin nicht zum Kreise der versicherten Personen rechne. Insbesondere komme hier eine Versicherung nach § 2 Absatz 2 SGB VII aufgrund einer arbeitnehmerähnlichen Stellung gerade nicht in Betracht. Die Klägerin sei seit langen Jahren mit den Eheleuten befreundet und helfe gelegentlich aus. Sie sei jedoch nicht wie eine Beschäftigte tätig gewesen. In der Gesamtschau aller maßgeblichen Umstände habe sich die Mithilfe beim Verladen des Pferdes als freundschaftlich geprägte Unterstüt-zungsleistung im Rahmen des gemeinsamen Hobbys dargestellt. Das Gericht hat die Verwaltungsakte der Beklagten zum Verfahren beigezogen. Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 13. Juni 2013 hat die Kammer das Sach- und Streitverhält-nis mit den Beteiligten erörtert. Wegen der Einzelheiten wird auf die Sitzungsniederschrift verwiesen. Im Übrigen wird auf die Gerichtsakte einschließlich der gewechselten Schriftsätze der Betei-ligten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist zulässig. Die Klage ist auch begründet. Zu Unrecht hat die Beklagte es abgelehnt, das Ereignis vom 28. Mai 2011 als Arbeitsunfall anzuerkennen. Diese Entscheidung beruht im Wesentlichen auf den folgenden Feststellungen des Gerichts. Arbeitsunfälle sind nach der Legaldefinition des § 8 Absatz 1 SGB VII Unfälle von Versicher-ten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätig-keit. Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Für einen Arbeitsunfall ist demnach im Regelfall u.a. erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls einer versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist. Die Klägerin ist nicht als Versicherte nach § 2 Absatz 1 SGB VII sondern als Wie-Beschäftigte nach § 2 Absatz 2 SGB VII tätig gewesen. Wie das Schleswig-Holsteinische Landessozialgericht (LSG) in einem ähnlich gelagerten Ver-fahren festgestellt hat, soll durch § 2 Absatz 2 Satz 1 SGB VII der Versicherungsschutz auf Tätigkeiten erstreckt werden, die zwar nicht sämtliche Merkmale eines Arbeits- oder Be-schäftigungsverhältnisses aufweisen, in ihrer Grundstruktur aber einer abhängigen Beschäf-tigung ähneln, indem eine ernstliche, einem fremden Unternehmen dienende, dem wirklichen oder mutmaßlichen Willen des Unternehmers entsprechende Tätigkeit von wirtschaftlichem Wert erbracht wird, die ihrer Art nach sonst von Personen verrichtet werden könnte, die in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stehen ( LSG, Urteil vom 20. März 2013, L 8 U 27/11). Dies gilt allerdings nicht für jede dieser Tätigkeiten. Entscheidend ist die mit dem objektiv arbeitnehmerähnlichen Verhalten verbundene Handlungstendenz (Bundessozialgericht, Urteil vom 5. März 2002, B 2 U 9/01 R, rech. nach juris). Dann, wenn eine Person in Wirklichkeit wesentlich eigene Angelegenheiten verfolgt, ist sie nicht nach § 2 Absatz 2 SGB VII tätig und es liegt keine versicherte Tätigkeit vor. Die Tätigkeit der Klägerin am 28. Mai 2011 geht weit über eine reine Gefälligkeitsleistung gegenüber den Eheleuten hinaus. Zwar sind die Zeugin ... und die Klägerin miteinander befreundet. Der zeitliche Aufwand, den die Klägerin erbrachte, und ihre persönliche Qualifi-kation, auf die die Eheleute in dieser Situation angewiesen waren, steht dem jedoch ent-gegen. Die Hilfe der Klägerin ist auch nicht als unternehmerähnliche Tätigkeit anzusehen, da eine Verfolgung wesentlich eigener Interessen der Klägerin nicht erkennbar ist. Zu Unrecht hat die Beklagte die Arbeit der Klägerin auf das eigentliche Verladen reduziert. Der Aufwand, den die Klägerin betrieben hat, ging weit über das eigentliche Verladen hinaus. Die Klägerin war über einen Zeitraum von etwa vier Stunden mit der Unterstützung der Ehe-leute bei der Präsentation ihrer Stute auf der Körveranstaltung befasst, die nur deshalb überhaupt in der Lage waren, ihre Stute präsentieren zu können. Zweifellos hat die Klägerin hier bei Gesamtwürdigung aller Umstände eine ernstliche Tätigkeit für die Eheleute erbringen wollen, nämlich u.a. die Hilfe beim Verbringen der Stute in den Hänger und beim Transport des Tieres zur Körveranstaltung. Diese Tätigkeit hat dem Unternehmen der Eheleute gedient und repräsentiert einen gewissen wirtschaftlichen Wert. Die Tatsache, dass die Klägerin hierfür kein Entgelt erhalten hat und dass der Sohn der Eheleute ebenfalls zugegen war, steht der Arbeitnehmerähnlichkeit der unfallbringenden Tätigkeit nicht entgegen. Der Klage ist stattzugeben. Die Entscheidung über die Kostenerstattung folgt aus § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG) und korreliert mit dem Ergebnis des Verfahrens.
Rechtskraft
Aus
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