L 1 KR 308/16

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 143 KR 1768/15
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 1 KR 308/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 29/18 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. Mai 2016 wird abgeändert. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 12.865,59 EUR zu zahlen. Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen. Die Klägerin trägt 1/10, die Beklagte 9/10 der Kosten des Verfahrens. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Klägerin verlangt von der Beklagten die Erstattung von Kosten für Rehabilitationsmaßnahmen.

Der 1952 geborene bei der Beklagten krankenversicherte R B (Versicherter – V) beantragte bei der Klägerin unter dem 6. Oktober 2013 (Datum der Unterschrift), bei der Klägerin am 6. November 2013 eingegangen, stationäre Leistungen zur medizinischen Rehabilitation für Abhängigkeitskranke. Er verwendete dabei ein Formular der Klägerin, auf dessen letzter Seite die Beklagte unter dem Datum 4. Oktober 2013 unter anderem bescheinigte, dass V bei ihr pflichtversichert sei. Er befand sich zu dieser Zeit in Altersteilzeit in der passiven Phase. Die Klägerin bewilligte die Maßnahme mit Bescheid vom 12. November 2013. Zuvor hatte sie einer Kontenübersicht entnommen, dass eine Altersrente für langjährig Versicherte ohne Vertrauensschutz, der zu ermitteln sei, mit Abschlag ab 1. März 2015 möglich sei, ohne Abschlag am 1. September 2017. Bei Vertrauensschutz sei frühester Rentenbeginn mit Abschlag der 1. März 2014. Der V ließ sich vom 16. Dezember 2013 bis zum 29. März 2014 in der Rehabilitationsabteilung der Fachklinik F- in P behandeln.

Am 23. Dezember 2013 stellte er einen Antrag auf Altersrente für langjährig Versicherte nach § 36 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch (SGB VI). Mit Bescheid vom 22. Januar 2014 wurde ihm für die Zeit ab dem 1. März 2014 eine solche Rente bewilligt.

Am 28. Februar 2014 beantragte er ferner bei der Klägerin ambulante Suchtnachsorgeleistungen. Die Klägerin bewilligte daraufhin mit Bescheid vom 19. März 2014 zunächst eine ambulante Nachsorgeleistung in der D Suchthilfe L. Mit weiterem Bescheid vom 28. März 2014 ersetzte sie diese Einrichtung durch die Fachambulanz der Klinik L. Der vorangegangene Bescheid sei dadurch gegenstandslos. Am 18. August 2014 verlängerte sie die Bewilligung bis 30. März 2015. Unter dem 28. März 2014 ist in der Akte der Klägerin des V festgehalten, dass dieser am 23. Dezember 2013 eine Vollrente beantragt hatte.

Die ambulante Behandlung wurde zwischen dem 31. März 2014 und dem 27. Januar 2015 durchgeführt.

Mit Schreiben vom 31. März 2014 meldete die Klägerin gegenüber der Beklagten Erstattungsansprüche nach § 103 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) an. Durch den Antrag auf Altersrente, welchem für die Zeit ab 1. März 2014 entsprochen worden sei, sei der V nach § 12 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI aus dem Personenkreis ausgeschieden, welcher Rehabilitationsleistungen durch den Rentenversicherungsträger erhalten könne. Deswegen sei die Krankenkasse zuständig. Dem V seien für 15 Wochen Rehabilitationsleistungen zuerkannt worden. Die Kosten der stationären Reha-Maßnahme bezifferte sie in diesem Schreiben auf 8.438,98 EUR, darunter Pflegekosten für die Zeit vom 16. Dezember 2013 bis zum 28. Februar 2014 in Höhe von 8.370,14 EUR. Die Beklagte widersprach dem Erstattungsanspruch mit Schreiben vom 17. April 2014. Der Rentenversicherungsträger sei der Kostenträger einer Leistung zur medizinischen Rehabilitation, wenn sich der Versicherte in der Freistellungsphase der Altersteilzeit befinde. In der Kontoübersicht der Klägerin für den V ist unter demselben Datum die Rentenbewilligung am 22. Januar 2014 enthalten. Die Klägerin meldete mit Schreiben vom 10. April 2014 auch Erstattungsansprüche hinsichtlich der ambulanten Nachsorge an.

Sie hat am 15. Juni 2015 Klage beim Sozialgericht Berlin (SG) erhoben. Ihr stehe ein Erstattungsanspruch nach § 14 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch (in der bis 31. Dezember 2017 geltenden Fassung = "SGB IX a. F.") analog zu, weil sie als erstangegangene Rehabilitationsträgerin nach den ihr vorliegenden Angaben und Unterlagen von ihrer Zuständigkeit habe ausgehen können und sich im weiteren Verlauf des Verfahrens aufgrund neuer Erkenntnisse die Zuständigkeit eines anderen Rehabilitationsträgers herausgestellt habe. Dass der V eine Altersrente beantragt habe, sei ihr erst nach Bewilligung der Reha-Maßnahme mit Bescheid vom 12. November 2013 bekanntgeworden. Sie stütze sich auf § 5 Abs. 1 Satz 2 der Gemeinsamen Empfehlung über die Ausgestaltung des in § 14 SGB IX bestimmten Verfahrens in der Fassung vom 28. September 2010 (Gemeinsame Empfehlung zur Zuständigkeitserklärung). Auch bei der Bewilligung der Suchtnachsorgeleistungen sei keine erneute Prüfung der Zuständigkeit nach § 14 SGB IX a. F. erforderlich gewesen, weil die ambulante Nachsorgeleistung zur Sicherung des Behandlungserfolges keine eigenständige Leistung im Sinne des SGB IX darstelle. Sie diene nur der Festigung der während der vorhergehenden Hauptleistung erzielten Reha-Ergebnisse.

Der Beklagte hat vorgebracht, § 14 Abs. 4 SGB IX a. F. (analog) könne vorliegend keine Anwendung finden, da kein anderer Rehabilitationsträger als die Klägerin für die Leistung zuständig gewesen sei. Die Krankenkasse erbringe nur dann Maßnahmen der medizinischen Reha nach § 40 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V), wenn nach den für andere Träger der Sozialversicherung geltenden Vorschriften mit Ausnahme des § 31 SGB VI solche Leistungen nicht erbracht werden könnten. Grundsätzlich treffe also den Rentenversicherungsträger nach § 9 SGB VI die Pflicht, solche medizinischen Rehabilitationsmaßnahmen zu leisten. Die Klägerin habe die ambulante Nachsorgebehandlung zu einem Zeitpunkt bewilligt, zu dem bereits klar gewesen sei, dass der V ab 1. März 2014 eine Altersrente beziehen werde. Es bestehe deshalb nach § 5 Abs. 1 Satz 3 der Gemeinsamen Empfehlung zur Zuständigkeitserklärung kein Erstattungsanspruch.

Das SG hat die auf Zahlung von 10.216,94 EUR gerichtete Klage mit Urteil vom 10. Mai 2016 abgewiesen. Zur Begründung hat es u. a. ausgeführt, die Klägerin sei für die stationäre Reha-Maßnahme nach § 9 SGB VI der zuständige Reha-Träger gewesen. Denn die Ausschluss-Voraussetzungen des § 12 Abs. 1 Nr. 4 a SGB VI seien während der passiven Phase der Altersteilzeit nicht erfüllt, selbst wenn der Versicherte die Absicht gehabt habe, demnächst einen Rentenantrag zu stellen (Bezugnahme auf Urteile des BSG vom 2. November 2010 – B 1 KR 9/10 R – sowie des Bayerischen LSG vom 16. Dezember 2014 – L 6 R 856/12). Auch durch den Beginn der Reha-Maßnahme am 16. Dezember 2013 habe sich die Sach- und Rechtslage nicht geändert. Es bestehe deshalb kein Anlass für eine ausnahmsweise analoge Anwendung des § 14 Abs. 4 SGB IX a. F ... Der Antrag auf Altersrente vom 23. Dezember 2013 habe nicht rückwirkend die Zuständigkeit der Klägerin zum Zeitpunkt der Bewilligung und des Leistungsbeginns geändert. Es bestehe für eine Rückwirkung keine gesetzliche Grundlage. Im Gegenteil greife § 12 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI erst für Versicherte, die eine Altersrente beantragt hätten. Auch schließe erst der Rentenbezug nach § 12 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI die Zuständigkeit des Rentenversicherungsträgers aus und nicht etwa der eventuell rückwirkende mögliche Rentenbeginn. Dieses Ergebnis entspreche auch dem Sinn und Zweck der Erstattungsregelung. Die Klägerin müsse nicht geschützt werden, weil die Beklagte ihrer gesetzlichen Verpflichtung nicht rechtzeitig nachgekommen sei. Die Beklagte sei nicht säumig gewesen. Auch der zweite Schutzzweck der Erstattungsregelung, Doppelversorgungen zu vermeiden, greife nicht. Die Gefahr einer Doppelversorgung habe vorliegend nicht bestanden. Die Sperrzeit des § 40 Abs. 3 Satz 4 SGB V werde durch jede öffentlich-rechtlich finanzierte Reha-Leistung ausgelöst. Zuletzt bestehe auch aus systematischer Hinsicht kein Grund für eine Erstattung. Die Bewilligungsentscheidung der Klägerin sei weder von Anfang an oder aufgrund einer späteren, rückwirkenden Änderung, rechtswidrig gewesen. Noch habe die spätere Änderung dazu geführt, dass der Anspruch des Versicherten ab diesem Zeitpunkt gegen die Klägerin als leistenden Träger entfallen sei. Voraussetzung hierfür sei nämlich eine gesetzliche Wegfallbestimmung, die das Entfallen des Anspruches regele. Für stationäre Rehabilitationsmaßnahmen enthalte das SGB keine entsprechende Wegfallbestimmung. Dies sei auch nachvollziehbar, denn die Reha-Leistung sei nicht aufteilbar, anders als die Leistungen, für die eine solche Wegfallbestimmung im Gesetz angeordnet seien, wie zum Beispiel Krankengeld. Folge man der Auffassung der Klägerin, müsste die Reha-Leistung aufgeteilt werden. Die Klägerin sei jedenfalls bis zum Rentenantrag vom 23. Dezember 2013 der zuständige Reha-Träger gewesen. Auch nach ihrer eigenen Auffassung könne diese frühestens mit dem 23. Dezember 2013 Erstattung verlangen. Eine solche Aufteilung von Reha-Kosten zwischen verschiedenen Reha-Trägern sei im Gesetz nicht vorgesehen und würde zudem auch an praktischen Fragen scheitern. Die Klägerin besitze auch keinen Erstattungsanspruch für die ambulante Suchtnachsorge. Folge man der Rechtsauffassung der Klägerin, dass diese keine eigenständige Leistung darstelle, folge dies aus den gleichen Gründen wie zuvor. Unabhängig davon sei der Anspruch jedenfalls dadurch ausgeschlossen, dass die Klägerin mit Bescheid vom 28. März 2014 eine eigenständige Entscheidung getroffen habe, obwohl zu diesem Zeitpunkt der Ausschlussgrund des § 12 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI eingetreten sei. Die Klägerin habe hiervon auch Kenntnis gehabt.

Gegen dieses ihr am 2. Juni 2016 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung der Klägerin vom 24. Juni 2016. Zu deren Begründung hat sie ihr bisheriges Vorbringen wiederholt. Sie sei erstangegangene Trägerin gewesen und habe ihre Zuständigkeit zunächst zutreffend und fristgerecht festgestellt. Sie habe den Antrag bei Eintritt ihrer Unzuständigkeit nicht mehr weiterleiten können, sondern sei zur Leistungserbringung gemäß § 14 Abs. 2 Satz 1 SGB IX a. F. verpflichtet gewesen. Sie sei insbesondere nicht berechtigt gewesen, die bereits erfolgte Leistungsbewilligung nach § 48 SGB X aufzuheben oder zu ändern. Dies wäre dem Zweck der Regelung des § 14 Abs. 1 und 2 SGB IX a. F. zuwidergelaufen. Sie beziffert die ihr entstandenen Kosten für die stationäre Reha-Maßnahme nunmehr für den Zeitraum vom 16. Dezember 2013 bis zum 23. Dezember 2013 einschließlich der Reisekosten auf 1007,11 EUR, für den nachfolgenden Zeitraum bis 29. März 2014 klageerweiternd auf 11.087,63 EUR sowie für die Nachsorgeleistung auf 1.777,96 EUR. Die Klinik habe zum Zweitpunkt der Anmeldung des Erstattungsanspruches den Monat März 2014 noch nicht abgerechnet gehabt.

Sie beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. Mai 2016 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, an sie 13.872,70 EUR zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurück- und die Klage abzuweisen.

Auch sie wiederholt ihr bisheriges Vorbringen. Sie hat erklärt, davon auszugehen, dass die Klägerin die medizinische Notwendigkeit der bewilligten Maßnahmen trägerübergreifend geprüft zu haben.

Entscheidungsgründe:

Neben der Berufung ist auch die Klageerweiterung zulässig. Diese Klage ist sachdienlich nach § 153 Abs. 1 i. V. m. § 99 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG), weil ein weiterer Rechtsstreit vermieden wird und die Erweiterung keinen gänzlich neuen Streitgegenstand betrifft, sondern nur die Abrechnung eines weiteren Zeitraumes.

Die Berufung hat überwiegend Erfolg.

Für die Kosten der stationären Reha-Maßnahme bis zum 23. Dezember 2013 in Höhe von 1.007,11 EUR hat das SG jedoch die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung, auf die gemäß § 153 Abs. 2 SGG verwiesen wird, abgewiesen. Bis zu diesem Zeitpunkt war die Klägerin zuständiger Rehabilitationsträger. Während der passiven Phase der Altersteilzeit sind weder § 12 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI noch § 12 Abs. 1 Nr. 4 a SGB VI einschlägig. Denn bei dem aufgestockten Entgelt für die Altersteilzeit handelt es sich nicht um Leistungen für Personen, die dauerhaft aus dem Erwerbsleben ausgeschieden sind. Die Altersteilzeit muss sich lediglich bis zu einem Zeitpunkt erstrecken, von dem an Rente wegen Alters beansprucht werden kann. Dies ist aber nicht gleichbedeutend damit, dass der Arbeitnehmer dauerhaft aus dem Erwerbsleben ausgeschieden ist (vgl. BSG, Urteil vom 22. Juni 2010 – B 1 KR 32/09 R – juris – Rdnr. 17). Auch der hiesige Senat teilt die vom SG angeführte Auffassung des Bayerischen Landessozialgerichts, dass eine analoge Anwendung des § 12 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI auf diejenigen, die erst noch beabsichtigen, eine Rente zu beantragen, nicht möglich ist.

Die Klägerin kann von der Beklagten jedoch eine Erstattung der ihr für die stationäre Behandlung ab 24. Dezember 2013 entstandenen Kosten nach § 104 Abs. 1 SGB X verlangen.

Hat ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, ohne dass die Voraussetzungen von § 103 Abs. 1 SGB X vorliegen, ist nach § 104 Abs. 1 SGB X der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Berechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, soweit der Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Nachrangig verpflichtet ist ein Leistungsträger, soweit dieser bei rechtzeitiger Erfüllung der Leistungsverpflichtung eines anderen Leistungsträgers selbst nicht zur Leistung verpflichtet gewesen wäre. Ein Erstattungsanspruch besteht nicht, soweit der nachrangige Leistungsträger seine Leistungen auch bei Leistung des vorrangig verpflichteten Leistungsträgers hätte erbringen müssen.

Hier ist § 103 SGB X nicht einschlägig. Hat ein Leistungsträger Sozialleistungen erbracht und ist der Anspruch auf diese nachträglich ganz oder teilweise entfallen, bestimmt § 103 Abs. 1 SGB X, dass der für die entsprechende Leistung zuständige Leistungsträger erstattungspflichtig ist, soweit dieser nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Der Erstattungsanspruch nach § 103 SGB X setzt also voraus, dass ein Leistungsträger (§ 12 SGB I) Sozialleistungen (§ 11 SGB I) erbracht hat und der Anspruch auf diese nachträglich ganz oder teilweise entfallen ist (v. Wulffen/Schütze/Roos SGB X § 103 Rdnr. 4) Die Klägerin hat hier als zwar als Leistungsträger Sozialleistungen erbracht, die stationäre Reha-Maßnahme. Der Anspruch gegen die Klägerin als Rentenversicherungsträger ist aber nach der Rentenantragstellung am 23. Dezember 2013 nicht nachträglich (also rückwirkend) weggefallen, sondern hat jedenfalls ab Rentenantragstellung nicht mehr bestanden. Mit Stellung des Rentenantrages ist § 12 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI einschlägig, weil die an diesem Tag beantragte Rente wegen Alters später auch bewilligt wurde. Entgegen der Auffassung des SG folgt bereits aus dem Wortlaut, dass nicht erst der Altersrentenbezug, sondern bereits der (später positiv beschiedene) Rentenantrag Reha-Maßnahmen ausschließt. Dies ergibt sich ferner aus § 9 SGB VI (Aufgabe der Leistungen zur Teilhabe). Die Träger der Rentenversicherung erbringen unter anderem Leistungen zur medizinischen Rehabilitation, um den Auswirkungen einer Krankheit oder einer Behinderung auf die Erwerbsfähigkeit der Versicherten vorzubeugen, entgegenzuwirken oder sie zu überwinden und dadurch Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit der Versicherten oder ihr vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben zu verhindern oder sie möglichst dauerhaft in das Erwerbsleben wiedereinzugliedern. Mit der Stellung eines Antrages auf eine Altersrente erübrigt sich das Ziel, eine solches vorzeitiges Ausscheiden aus dem Erwerbsleben verhindern zu wollen. Ab dem Antragszeitpunkt bestand also nach § 12 Abs. 1 SGB VI kein Anspruch des V mehr auf die Leistung zur Teilhabe nach § 9 Abs. 1 SGB VI. Die Klägerin ist seitdem unzuständiger Rehabilitationsträger. Gleichzeitig fiel der Leistungsausschluss nach § 40 Abs. 4 SGB V weg. Die Beklagte wurde nach § 40 Abs. 1, Abs. 2 SGB V leistungsverpflichtet. Entgegen der Auffassung des SG stellt § 12 Abs. 1 SGB VI eine "Wegfallregelung" dar, die bewirkt, dass der Leistungsanspruch gegen den Rentenversicherungsträger entfällt. § 12 SGB VI stellt negative Anspruchsvoraussetzungen zusammen, die Leistungen eines Rentenversicherungsträgers zur Teilhabe ausschließen (KassKomm/Kater SGB VI § 12 Rdnr. 2). Der Grundsatz der Einheitlichkeit des Reha-Verfahrens stünde einem Berufen auf den Wegfall nur im Außenverhältnis dem Versicherten gegenüber entgegen. Im Außenverhältnis verbietet dies hier aber § 14 Abs. 1 SGB IX a. F. (dazu sogleich). Die Klägerin ist auch nicht zuständig geblieben, weil sie den V entsprechend beschieden hatte und der Bewilligungsbescheid nicht aufgehoben wurde. § 12 Abs. 1 Nr. 2 SGB VI ist ein gesetzlicher Ausschlussgrund, der materiell-rechtlich regelt, dass kein Reha-Anspruch nach § 9 SGB VI mehr besteht. Stellte man auf die Bescheidlage ab, gäbe es in Fällen des § 14 SGB IX kaum je einen gesetzlichen Ausschlussgrund. Die Klägerin hat hier zutreffend darauf hingewiesen, dass einer Aufhebung des Bewilligungsbescheides nach § 48 Abs. 1 SGB X die Pflicht aus § 14 Abs. 1 SGB IX entgegen stand.

§ 14 SGB IX bewirkt hier eine nachrangige Zuständigkeit im Sinne des § 104 SGB X. (vgl. BSG, Urt. v. 26. Juni 2007 -B 1 KR 34/06 R- juris-Rdnr. 10ff für einen ähnlichen Fall, in welchem der Rentenversicherungsträger seine Zuständigkeit von Anfang an nur irrtümlich angenommen hat). § 14 SGB IX a. F. regelt für alle Reha-Träger abschließend ein Verfahren, das die Zuständigkeit rasch klären soll. Der zuerst angegangene Reha-Träger wird nach § 14 Abs. 1, 2 SGB IX a. F. verpflichtet, binnen zwei Wochen seine Zuständigkeit zu prüfen und – falls er die eigene Zuständigkeit verneint – den Antrag unverzüglich an den nach seiner Auffassung zuständigen Reha-Träger weiterzuleiten. Hier ist die Klägerin erstangegangener Leistungsträger, weil der V den Antrag erst am 6. Oktober 2013 unterschrieben hat.

Gibt der erstangegangene Leistungsträger den Antrag nicht unverzüglich weiter, hat er Leistungen aufgrund aller Rechtsgrundlagen zu erbringen, die in dieser Bedarfssituation für behinderte Menschen vorgesehen sind (KassKomm/Zieglmeier SGB V § 40 Rdnr. 53 mit Bezugnahme auf BSG Urt. v. 21.8.2008 – B 13 R 33/07 R,). Stellt sich später die Unzuständigkeit des Trägers, der die Leistung erbracht hat heraus, kann nach § 14 Abs. 4 SGB IX die Erstattung von Aufwendungen gegenüber dem (im Innenverhältnis der Träger) zuständigen Träger geltend gemacht werden (Zieglmeier a. a. O. mit Bezugnahme auf BSG Urt. v. 26. Juni 2007 und Urt. v. 8. September 2009 – B 1 KR 9/09 R ). Hat der Träger seine Zuständigkeit geprüft und bejaht, muss er im Nachhinein zu einer Korrektur im Rahmen der Erstattung befugt sein. Sonst wäre er gehalten, schon bei geringstem Verdacht einen Rehabilitationsantrag weiterzuleiten, um die Zuständigkeitsproblematik gegebenenfalls im Erstattungsstreit austragen zu können und andererseits nicht automatisch von jeglicher Erstattungsmöglichkeit ausgeschlossen zu sein. Das widerspräche sowohl dem Regelungszweck, zu einer schnellen Zuständigkeitsklärung gegenüber dem behinderten Menschen zu kommen, als auch dem Ziel, das gegliederte Sozialsystem zu erhalten (BSG, Urteil vom 26. Juni 2007 – B 1 KR 34/06 R juris-Rdnr. 26). § 14 SGB IX begründet deshalb eine nachrangige Zuständigkeit, die es zulässt, dass sich der erstangegangene Rehabilitationsträger im Rahmen eines Erstattungsstreits die Kosten vom "eigentlich" zuständigen, insoweit vorrangigen Träger erstatten lässt (BSG, a. a. O. Rdnr. 28).

Die Klägerin ist hier nach Auffassung des Senats erstangegangener Leistungsträger. Der V hat den Antrag auf die stationäre Entzugsbehandlung am 6. Oktober 2013 unterschrieben. Der Eingang bei der Klägerin erfolgte erst einen Monat später. Der V hat erst damit –und nicht bereits zuvor bei der Beklagten mündlich- die verbindliche Willenserklärung abgegeben.

Für den Erstattungsanspruch der Klägerin ist es unschädlich, dass diese den Antrag des V nicht an die Beklagte weitergeleitet hat:

Als spezielle Erstattungsregelung für den erstangegangenen Leistungsträger in dieser Situation sieht § 14 Abs. 4 Satz 3 SGB IX a. F. nämlich nur vor, für den unzuständigen Rehabilitationsträger - hier die Klägerin ab dem genannten Zeitraum - , der eine Leistung selbst erbracht und nicht weitergeleitet hat, (nur) § 105 SGB X nicht anzuwenden, es sei denn, die Rehabilitationsträger vereinbarten Abweichendes. Die allgemeinen Bestimmungen der §§ 103 und 104 SGX werden also durch die speziellere des § 14 Abs. 4 SGB IX a. F. nicht verdrängt. Davon gehen auch die Erstattungsvorschriften in der Gemeinsamen Empfehlung zur Zuständigkeitserklärung aus. Diese stellt insoweit keine die §§ 103 und 104 SGB X verdrängende abweichende Vereinbarung im Sinne des § 14 Abs. 4 S. 3 SGB IX a. F. dar.

§ 5 der Gemeinsamen Empfehlung zur Zuständigkeitserklärung lautet:

Erstattung Abs. 1

Hat der erstangegangene Träger den Antrag auf Rehabilitation nicht innerhalb von zwei Wochen nach Eingang weitergeleitet, weil er nach vorangegangener Prüfung seine Zuständigkeit irrtümlich angenommen hat, und stellt sich im Nachhinein seine Unzuständigkeit heraus, kann er einen Erstattungsanspruch nach § 104 SGB X gegen den eigentlich zuständigen Träger geltend machen.

Außerdem kann der erstangegangene Träger, wenn der Anspruch auf Rehabilitation durch Eintritt eines gesetzlichen Ausschlussgrundes nachträglich entfallen ist, einen Erstattungsanspruch nach § 103 SGB X gegen den zuständigen Träger geltend machen.

Hat der erstangegangene Rehabilitationsträger in Kenntnis seiner Unzuständigkeit den Antrag nicht weitergeleitet und geleistet, hat er hingegen keinen Erstattungsanspruch.

Abs. 2 ( ...) Abs. 3 Der Erstattungsanspruch besteht unabhängig davon, ob sich die Nichtzuständigkeit des leistenden Rehabilitationsträgers vor oder nach Bewilligung der Leistungen herausstellt. Ein Erstattungsanspruch begründet sich nicht dadurch, dass sich eine ursprünglich durch den Rentenversicherungsträger festgestellte positive Rehabilitationsprognose während oder nach der Rehabilitation nicht bestätigt.

( ...) Zwar könnte aufgrund des Wortlauts des § 5 Abs. 1 S. 1 der Gemeinsamen Empfehlung zur Zuständigkeitserklärung, der einen Irrtum voraussetzt, angenommen werden, der Erstattungsanspruch setze eine fehlerhafte Annahme der Sach- und oder Rechtslage durch den erstangegangen Träger voraus. Dass allerdings alle Konstellationen –also auch schlichte Unkenntnis des Leistungsausschlussgrund -, welche der Annahme der Leistungsverpflichtung nach § 14 Abs. 1 SGB IX a. F. zu Grunde liegen, gemeint sind, ergibt sich aus der weiteren Formulierung, dass sich im Nachhinein die Unzuständigkeit herausstellt.

Nach § 104 Abs. 3 SGB X richtet sich der Umfang des Erstattungsanspruches nach den für den zuständigen Leistungsträger geltenden Rechtsvorschriften. Hier hat die Beklagte trotz gerichtlichen Hinweis keine Einwände gegen den Anspruch erhoben, welche sich speziell aus § 40 Abs. 2 SGB V ergeben könnten. Zum selben Ergebnis gelangt auch die Auffassung, die den aus § 14 Abs. 2 S. 1 SGB IX verpflichteten erstangegangenen Träger berechtigt sieht, als vorläufig Leistender nach § 102 SGB X Erstattung vom eigentlich Zuständigen zu verlangen (LSG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 29. April 2008 –L 30 R 1838/06- juris-Rdnr. 52 und Ulrich in juris PK, Std.: 2018, § 16 SGB IX RdNr. 38, vgl. auch BSG, Urteil vom 20. Oktober 2009 – B 5 R 22/08 R -, zitiert nach juris).

Der Gesamtbetrag für die stationäre Reha-Maßnahme ist entsprechend der zeitlichen Zuordnung aufzuteilen. Dies ist hier problemlos möglich, wie die Aufstellung der Klägerin zeigt.

Die Klägerin kann dabei die Erstattung auch für den Zeitraum 1. März 2014 bis 29. März 2014 verlangen, also den Betrag der Klageerweiterung. § 111 SGB X (Ausschluss eines Erstattungsanspruches, wenn der Erstattungsberechtigte ihn nicht spätestens zwölf Monate nach Ablauf des letzten Tages, für den die Leistung erbracht wurde, geltend macht) steht dem nicht entgegen:

Da "der" Anspruch auf Erstattung geltend zu machen ist, erfordert die Geltendmachung eine hinreichend konkrete Bezeichnung des Anspruchs, damit der als erstattungspflichtig angegangene Leistungsträger seinerseits den Erstattungsanspruch zuordnen und prüfen kann. Bei erst künftigen Forderungen ist eine genaue Bezifferung noch nicht möglich. Jedoch müssen folgende Voraussetzungen mitgeteilt werden: - die Person des Leistungsempfängers, - die gewährte Sozialleistung, für die Erstattung begehrt wird, - der Zeitraum, für den Erstattung begehrt wird, und - die Umstände, aus denen der Erstattungsanspruch abgeleitet wird (Becker in: Hauck/Noftz, SGB, 12/13, § 111 SGB X, Rdnr. 39 mit Bezugnahme unter anderem auf BSG, Urteile vom 25. April1989 - 4/11a RK 4/87, SozR 1300 § 111 Nr. 6 S. 23; vom 22. August 2000 - B 2 U 24/99 R, SozR 3-1300 § 111 Nr. 9; und vom 20. Dezember 2012 - B 7 AY 5/11 R, ). Das Anmeldungsschreiben der Klägerin vom 31. März 2014 enthält neben der Angabe des V, der ihm gewährten Reha-Maßnahme und des Zeitraums ("15 Wochen") eine Bezifferung der bereits bis 28. Februar 2014 –also für rund 11 Wochen- konkret entstandenen Kosten. Der Umfang des geltend gemachten Gesamterstattungsanspruches war damit für die Beklagte erkennbar, auch wenn das Ende der stationären Rehamaßnahme nicht als Datum angegeben war.

Die mit der Klageerweiterung begehrte Erstattungsforderung ist auch noch nicht verjährt. Die Verjährungsfrist des § 113 SGB X von vier Jahren ab Jahresende hat frühestens mit Ende des Jahres 2014 zu laufen begonnen.

Die Klägerin kann ferner nach § 104 SGB X auch Kostenerstattung für die von ihr aufgewandten Kosten der ambulanten Suchtnachsorge verlangen. Dies folgt bereits aus dem Umstand, dass die Zuständigkeit des Reha-Trägers umfassend so lange besteht, bis die Maßnahme mit dauerhaftem Erfolg abgeschlossen ist (vgl. Kater, a. a. O. § 12 Rdnr. 3 mit Bezugnahme auf BSG, Urt. v. 16. Juni 1994 -13 RJ 79/93- BSGE 74, 240). Die ambulante Suchtnachsorgeleistung war hier nach der Entzugsbehandlung notwendig.

Wie bereits ausgeführt, reicht es zudem für die Annahme einer nachrangigen Zuständigkeit aus, dass sich ein erstangegangener Leistungsträger irrtümlich für zuständig gehalten hat. Dass ein beachtlicher Irrtum in diesem Sinne ausgeschlossen wäre, falls die eigene Zuständigkeit aufgrund einer grob fahrlässigen Verkennung der Sach- oder Rechtslage angenommen wird, lässt sich der Rechtsprechung und auch § 14 SGX IX a. F. nicht entnehmen.

Im Übrigen kann hier von grob fahrlässiger Unkenntnis der Klägerin nicht ausgegangen werden: Diese ist zutreffend davon ausgegangen, mit der Bewilligung des Antrages auf stationäre Leistungen zur medizinischen Rehabilitation für Abhängigkeitskranke auch die sich zwingend daran anschließende ambulante Suchtnachsorge erbringen zu müssen. Nach Aktenlage musste die Klägerin zudem noch nicht erkennen, dass mittlerweile § 12 SGB VI einschlägig geworden war. Noch zum Zeitpunkt der erstmaligen Bewilligung der Nachsorgeleistungen am 19. März 2014 war ihr nach Aktenlage weder der Altersrentenantrag bekannt, noch ergab sich aus der Kontenübersicht, dass ein solcher zu erwarten war, weil die Voraussetzungen für eine abschlagsfreie Altersrente nach der Kontenübersicht noch nicht in absehbarer Zeit vorlagen. Der Bescheid enthält konsequenterweise einen Hinweis auf § 12 SGB VI und die Pflicht, einen Rentenantrag mitzuteilen. Dass der sachbearbeitenden Stelle der Klägerin der Rentenantrag und die Rentenbewilligung nicht früher bekannt wurden, obgleich auch dieses Verfahren von der Klägerin geführt wurde, lässt zwar auf organisatorische Defizite schließen. Diese stellten sich aber allenfalls als einfache Pflichtverletzung (einfache Fahrlässigkeit) dar.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG i. V. m. § 155 Abs. 1 S. 1 Verwaltungsgerichtsordnung.

Die Revision war nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG (grundsätzliche Bedeutung) zuzulassen.
Rechtskraft
Aus
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