S 14 U 63/17

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 14 U 63/17
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheides vom 06.12.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.02.2017 verurteilt, die Klägerin wegen der Gewährung laufender Witwenbeihilfe nach dem Tod des Versicherten am 00.00.2016 erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden. Die Beklagte trägt die außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand:

Streitig ist, ob die Klägerin nach dem Tod ihres Ehemannes H K, geboren am 00.00.1942, verstorben am 00.00.2016 (nachfolgend: Versicherter), Anspruch auf laufende Witwenbeihilfe hat.

Die am 00.00.1947 geborene Klägerin war seit dem 00.00.1970 mit dem Versicherten bis zu dessen Tode verheiratet. Seinem beruflichen Werdegang nach durchlief der Versicherte von April 1960 bis März 1963 eine Lehre zum Textilkaufmann, nach deren Abschluss er von April 1963 bis Juni 1968, unterbrochen durch den Wehrdienst von Oktober 1965 bis März 1967, als Angestellter im Unternehmen seines Vaters, welcher einen Textileinzelhandel mit Schwerpunkt Raumausstattung betrieb, arbeitete. Für die Zeit von April 1960 bis Juni 1968, ausgenommen die Wehrdienstzeit, für welche Pflichtbeitragszeiten für Wehrdienst berücksichtigt wurden von der DRV, wurden für den Kläger Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung entrichtet. Ab Juli 1968 war der Kläger nach Übernahme des Geschäftsbetriebes von seinem Vater als Pächter dessen Unternehmens selbstständig und bei der Beklagten satzungsgemäß pflichtversichert mit einer Versicherungssumme von 12.000,- DM. Freiwillige Beiträge zur Rentenversicherung wurden von ihm ab Beginn der Selbstständigkeit nicht entrichtet.

Der Versicherte verunfallte am 02.07.1971 auf einer betrieblich veranlassten Fahrt, als er frontal mit seinem Kraftfahrzeug mit einem vorschriftswidrig überholenden Lastkraftwagen kollidierte. Er erlitt hierbei ein schweres Schädel-Hirn-Trauma mit frontobasalen Frakturen. Mit Bescheid vom 21.09.1972 in der Gestalt des Bescheides vom 12.06.1974 bewilligte die Beklagte dem Versicherten Vollrente ab Unfalltage und stellte als Unfallfolgen eine Erblindung des rechten Auges durch Sehnervenschwund, starke Einschränkung der Sehschärfe und des Gesichtsfeldes des linken Auges, verminderte Belastbarkeit, Konzentrationsmangel und Gedächtnisstörungen nach Hirnquetschung und Schädelbasisbruch sowie linksseitige Gesichtsnervenlähmung und Hörminderung auf dem linken Ohr fest.

Nach dem Unfall wurde der Geschäftsbetrieb zunächst von der im Unternehmen seit April 1970 als Angestellte sozialversicherungspflichtig beschäftigten Klägerin fortgeführt; der Versicherte selbst erledigte gelegentliche schriftliche Arbeiten bzw. half noch bei der Dekoration von Gardinen mit (Bericht des Berufshelfers vom 31.08.1972) bzw. verrichtete in geringem Umfang Hilfsarbeiten (Gutachten von Dr. F, C, vom 30.01.1973 bzw. Berufshelferbericht vom 13.04.1973); im Rahmen der Weiterführung erhielt der Versicherte von der gegnerischen Haftpflichtversicherung auch zunächst Vorschüsse in Höhe von 100.000,- DM auf Schadensersatz- bzw. Schmerzensgeldansprüche, welche dazu verwendet wurden, die im Rahmen der seinerzeitigen Übernahme des Geschäftes vom Vater entstandenen bzw. übergegangenen Schulden - nach Aktenlage war das Unternehmen wohl hoch verschuldet - zu tilgen; Grundlage war (Bericht des Berufshelfers vom 12.06.1986) ausweislich Angaben der Klägerin im Rahmen eines Verfahrens zur Prüfung, ob im Hinblick auf die von ihr dem Versicherten geleistete Hilfe bei der Pflege Beiträge zur freiwilligen Rentenversicherung übernommen werden könnten, die beiderseitige Entscheidung, im Hinblick auf das noch nicht abschließend überschaubare Ausmaß der Verletzungsfolgen keine überstürzten Entscheidungen zu treffen und den Geschäftsbetrieb zunächst weiter zu führen. Letztlich wurde der Geschäftsbetrieb zum 12.10.1975 wegen Schwierigkeiten im Zusammenhang mit Differenzen von im Betrieb beschäftigten Verwandten, Begrenzung des Geschäftsumfanges auf den Verkauf und die Doppelbelastung der Klägerin durch Geschäftsführung und Betreuung des Versicherten und Haushaltsführung aufgegeben. Auf einen im Juni 1973 gestellten Antrag wurde dem Versicherten im Übrigen von der Rentenversicherung Rente wegen Erwerbsunfähigkeit unter Zugrundelegung eines mit Unfalltage eingetretenen Versicherungsfalles ab Juni 1973 bewilligt, ferner bewilligte die Beklagte ihm im Hinblick auf schwerwiegende Beeinträchtigungen auf dem Boden eines organischen Psychosyndromes sowie der hochgradigen, an Erblindung reichenden Sehschwäche Pflegegeld ab Unfalltag (Bescheid vom 27.08.1976).

Beim Versicherten traten ab 2006 unklare Gesichtsschwellungen mit Zunahme ab 2009 auf, hinsichtlich derer die Beklagte prüfte, ob diese in Unfallzusammenhang ständen. Zuletzt war der Versicherte vom 06.01. bis zu seinem Tode im Klinikum Lippe-M nach dortiger notfallmäßiger Aufnahme bei akuten Bauchbeschwerden auf dem Boden von Darmverschlingungen in stationärer Behandlung; nach operativer Behandlung und zunächst gutem Verlauf erlitt er im Folgenden einen Atemstillstand, ferner einen Herzstillstand, wonach sich der dringende Verdacht auf einen hypoxischen Hirnschaden ergab; bei Beschränkung auf eine lediglich palliative Therapie verstarb der Versicherte am 11.02.2016. Mit Einverständnis der Klägerin wurde nachfolgend eine Leichenöffnung vorgenommen und abschließend ein fachpathologisches Gutachten von Prof. Dr. U, Institut für Pathologie der Ruhr-Universität in Bochum eingeholt; in dem Gutachten vom 18.03.2016 gelangte diese zum Ergebnis, Todesursache des Versicherten sei eine akute respiratorische Insuffizienz mit Lymphombefall der Lunge auf der Grundlage eines restrospektiv seit 2005 anzunehmenden Grundleidens im Sinne eines niedrigmalignen Non-Hodgkin-Lymphomes; es handele sich um ein anlagebedingtes schicksalmäßiges Leiden.

Mit Bescheid vom 05.04.2016 lehnte es die Beklagte daraufhin ab, der Klägerin Hinterbliebenenrente zu gewähren, da der Tod nicht Folge des Versicherungsfalles sei; zugleich legte sie die Voraussetzungen der Gewährung einer einmaligen Witwenbeihilte, welche gegeben seien, bzw. einer laufenden Witwenbeihilfe dar. Die Klägerin beantragt insoweit die Gewährung laufender Witwenbeihilfe mit der Begründung, der Versicherte sei aufgrund des Unfalles gehindert gewesen, eine Erwerbstätigkeit auszuüben und habe nach dem Unfall in keiner Weise mehr den Betrieb leiten noch sonst wirtschaftlich gewinnbringend beeinflussen können, weshalb die Klägerin die Leitung übernommen habe; die Hinderung an einer entsprechenden Erwerbstätigkeit habe eine erhebliche Reduzierung der eigenen Versorgung bedingt; ausweislich eines Witwenrentenbescheides der DRV (vom 28.04.2016) war der Klägerin Hinterbliebenenrente ab dem 01.03.2016, monatlich in Höhe von 579,25 Euro, bewilligt worden, wobei der Rentenbewilligung, wie auch früher im Rahmen der Bewilligung der eigenen Erwerbsunfähigkeitsrente des Versicherten, Pflichtbeitragszeiten bis Juni 1968 bzw. Zurechnungszeiten bis zur Vollendung des 55. Lebensjahres des Versicherten zugrunde gelegt wurden. Mit Bescheid vom 06.12.2016 bewilligte die Beklagte der Klägerin einmalige Hinterbliebenenbeihilfe in Höhe von 8.594,47 Euro und lehnte es ab, ihr anstelle dessen eine laufende Witwenbeihilfe zu gewähren; dabei führte sie aus, die gesetzliche Bestimmung, wonach solche laufende Witwenbeihilfe gewährt werden könne, wenn der Versicherte infolge des Versicherungsfalles gehindert gewesen sei, eine entsprechende Erwerbstätigkeit auszuüben und wenn dadurch die Versorgung des Hinterbliebenen um wenigstens 10 v.H. gemindert sei, habe den Zweck, den Ausgleich des bei Hinterbliebenen durch den Versicherungsfall mittelbar verursachten Schadens herbeizuführen, soweit dieser entstanden sei, dass die Folgen den Versicherten gehindert hätten, weiter Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung zu entrichten und die Rente der Hinterbliebenen aus dieser zu erhöhen; eine wesentlich unfallbedingt unterbliebene Versorgung sei indes nicht erkennbar, da er von der Möglichkeit, sich ab Beginn seiner Selbstständigkeit freiwillig in der gesetzlichen Rentenversicherung zu versichern, keinen Gebrauch gemacht habe; unabhängig vom Unfall habe er sich bereits entschieden, eine wesentliche Altersversorgung nicht zu betreiben; auch sei er nach dem Unfall nicht gehindert gewesen, eine seiner Leistungsfähigkeit entsprechende Erwerbstätigkeit auszuüben, da er trotz der erheblichen Folgen weiterhin im Betrieb bis zu dessen Aufgabe tätig gewesen sei. Hiergegen erhob die Klägerin am 03.01.2017 Widerspruch, mit welchem sie zunächst ihre Angaben im Antragsverfahren wiederholte und im Übrigen ausführte, es sei hinsichtlich eines angeblich unterlassenen Versorgungsaufbaus in keiner Weise unüblich, dass selbstständig Erwerbstätige einen anderen Versorgungsaufbau als abhängig Beschäftigte betrieben, zumal kurz vor dem Unfall erst das Geschäft übernommen worden war und man im Begriff gewesen sei, das Geschäft zu erweitern; man habe sich im Berufsaufbau befunden und es seien zunächst geschäftliche Investitionen von Bedeutung gewesen, die zu einem erhöhten Erwerbseinkommen und auch späterem Versorgungsaufbau hätten führen sollen; zweifelsfrei sei, dass ohne den Unfall die Hinterbliebenenversorgung deutlich höher gewesen wäre als nunmehr real. Mit Widerspruchsbescheid vom 01.02.2017 wies die Beklagte den Widerspruch mit der Begründung zurück, etwaige Versorgungsminderungen aufgrund eines erkennbar fehlenden Versorgungswillens seien nicht zu berücksichtigen; weder vor dem Unfall noch nach dem Unfall seien Beiträge vom Versicherten zur gesetzlichen Rentenversicherung geleistet worden.

Hiergegen richtet sich die am 23.02.2017 erhobene Klage, mit welcher die Klägerin mit im wesentlichen gleicher Begründung ihr Begehren weiter verfolgt und nochmals bekräftigt, der Versicherte habe nach dem Unfall in keiner Weise mehr das Unternehmen leiten noch sonst wirtschaftlich gewinnbringend beeinflussen bzw. eine seinem damaligen Stand entsprechende Erwerbstätigkeit ausüben können; durch die unfallbedingte Schädigung war er deshalb gehindert, eine übliche Versorgung vorzunehmen; die beklagtenseitige Annahme, er habe keinen Versorgungswillen gehabt, widerspreche, gerade bei selbstständig Erwerbstätigen, der allgemeinen Lebenserfahrung.

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 06.12.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.02.2017 zu verurteilen, sie hinsichtlich der Gewährung laufender Witwenbeihilfe nach dem Tod des Versicherten am 00.00.2016 erneut und ermessensfehlerfrei zu bescheiden.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie macht die Ausführungen ihrer Verwaltungsentscheidungen zum Gegenstand ihrer Klageerwiderung und bekräftigt ihre Auffassung, es sei nicht davon auszugehen, dass der Versicherte ohne den Unfall eine wesentliche Altersvorsorge innerhalb des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung betrieben hätte; bereits vor dem Unfall sei eine solche durch Leistung freiwilliger Beiträge zur Rentenversicherung nicht erfolgt wie auch Beiträge nicht nachfolgend des Unfalles bis zur Geschäftsaufgabe entrichtet worden seien; ein Versorgungswille des Versicherten sei nicht erkennbar.

Wegen der sonstigen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den weiteren Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen. Dieser war Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige Klage ist im Sinne der Neubescheidung der Klägerin begründet.

Die Beklagte hat es mit streitgegenständlichem Bescheid vom 06.12.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.02.2017 ermessensfehlerhaft abgelehnt, der Klägerin anstelle der einmaligen Witwenbeihilfe eine laufende Witwenbeihilfe zu gewähren. Die Bescheide waren deshalb aufzuheben, weil sie die Klägerin in ihren Rechten verletzen( § 54 Abs.2 SGG).

Gemäß § 71 Abs. 1 des 7. Buches Sozialgesetzbuch -SGB VII- haben Witwen oder Witwer von Versicherten Anspruch auf eine einmalige Beihilfe, wenn ein Anspruch auf Hinterbliebenenrente nicht besteht, weil der Tod des Versicherten nicht Folge eines Versicherungsfalles war, (1.) und die Versicherten zurzeit ihres Todes Anspruch eine Rente nach einer MdE von 50 v.H. oder mehr (2.) hatten. Haben Versicherte mehr als 10 Jahre eine Rente nach einer MdE von 80 v.H. oder mehr bezogen und sind sie nicht an den Folgen eines Versicherungsfalles gestorben, kann anstelle der Beihilfe nach Absatz 1 den Berechtigten eine laufende Beihilfe bis zur Höhe einer Hinterbliebenenrente gezahlt werden, wenn die Versicherten infolge des Versicherungsfalles gehindert waren, eine entsprechende Erwerbstätigkeit auszuüben, und wenn dadurch die Versorgung der Hinterbliebenen um mindestens 10 v.H. gemindert ist. Im Gegensatz zur einmaligen Beihilfe ist die Entscheidung über den Anspruch über die laufende Beihilfe sowohl dem Grunde als auch der Höhe nach in das Ermessen des Unfallversicherungsträgers gestellt, liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen vor.

Die Voraussetzungen sind gegeben, weshalb die Beklagte verpflichtet ist, die Klägerin erneut und unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu bescheiden.

Da die laufende Beihilfe nach Absatz 4 anstelle der einmaligen Beihilfe gewährt wird, setzt sie voraus, dass sämtliche Anspruchsvoraussetzungen der einmaligen Beihilfe nach Absatz 1 erfüllt sind. Diese Voraussetzungen sind gegeben. Ein Anspruch auf Hinterbliebenenrente besteht nicht, weil der Tod des Versicherten nicht Folge des Arbeitsunfalles vom 02.07.1971 war. Dies ist durch Bescheid vom 05.04.2016 bindend geregelt. Ebenso hatte der Versicherte zur Zeit seines Todes Anspruch auf eine Rente nach einer MdE von 50 v.H., als ihm ab Unfallzeitpunkt mit rechtsverbindlichem Bescheid vom 12.06.1974 Vollrente bewilligt worden war, welche er bis zu seinem Tode bezogen hat. Von daher sind auch die Voraussetzungen des § 71 Abs. 4, nämlich der mehr als 10-jährige Bezug einer Rente nach einer MdE von 80 v.H. gegeben.

Es liegen auch die weiteren Voraussetzungen des Absatz 4 Satz 1 als Grundlage der erforderlichen Ermessensausübung vor, d.h. der Versicherte war infolge des Arbeitsunfalles gehindert, eine entsprechende Erwerbstätigkeit auszuüben und hierdurch ist eine Minderung der Versorgung der Klägerin bedingt.

Ebenso wie die Vorgängervorschrift des § 602 Reichsversicherungsordnung -RVO- soll § 71 Abs. 4 über den allgemeinen Normzweck hinaus als Härtefallregelung /BSGE 34, 269) einem Ausgleich wegen eines bei dem Hinterbliebenen durch den Versicherungsfall mittelbar verursachten Schadens dienen, soweit er ihm insbesondere deshalb entstanden ist, weil die Folgen des Versicherungsfalles in Gestalt einer lang dauernden hochgradigen MdE den Versicherten gehindert haben, weiter Beiträge zur Rentenversicherung zu entrichten und damit auch die spätere Rente des Hinterbliebenen entsprechend zu erhöhen (BSG, a.a.O.). Ebenso wie die jetzige Entscheidung nach neuem Recht handelt es sich bei der früheren Entscheidung um eine Ermessensentscheidung des Versicherungsträgers, wobei eine gerichtliche Nachprüfung nur im Rahmen des § 54 Abs. 2 Satz 2 SGG erfolgen kann. Die tatbestandlichen Voraussetzungen weisen zwar gewisse Unterschiede aus, sind jedoch an § 48 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz -BVG- angelehnt, weshalb die hierzu gebildeten Rechtsgrundsätze im Rahmen von § 71 Abs. 4 berücksichtigt werden können (vgl. Hauck, Gesetzliche Unfallversicherung, Kommentar SGB VII, § 71 Randnummer 22).

Grundvoraussetzung ist, dass die Minderung der Versorgung auf einer schadensbedingten Unmöglichkeit einer "entsprechenden Erwerbstätigkeit" beruhen muss. Unter einer entsprechenden Erwerbstätigkeit ist eine Erwerbstätigkeit zu verstehen, die dem Ausbildungsstand, dem beruflichen Werdegang und weiteren für die Erwerbsmöglichkeiten des Versicherten ausschlaggebenden Gesichtspunkten, insbesondere in Bezug auf die Entlohnung entspricht. Zu prüfen ist, wie der berufliche Werdegang des Versicherten ohne den Versicherungsfall mit Wahrscheinlichkeit verlaufen wäre und inwieweit durch dessen Folgen die Versorgung des Hinterbliebenen gemindert ist. Die Unmöglichkeit einer entsprechenden Erwerbstätigkeit muss Einbußen im Arbeitsentgelt/-einkommen zur Folge gehabt haben mit niedrigeren Beiträgen zur Rentenversicherung oder sonstigen Vorsorgen für den Todesfall mit demzufolge niedrigeren Leistungen nach dem Tod (BSG SozR 2200 § 602 Nr. 2). Lediglich Einbußen infolge Nichtaufnahme zumutbarer Tätigkeiten oder sonst wie erkennbarer Versorgungswille trotz gegebener Möglichkeit gehen zu Lasten des Versicherten. Auszugehen ist bei der erforderlichen Vergleichsbetrachtung von dem Verdienst, den der Verstorbene trotz der Folgen des Versicherungsfalles zumutbar noch erzielen konnte, was bei abhängig Beschäftigten in aller Regel dem tatsächlichen Einkommen gleichzusetzen ist; bei Selbstständigen ist, entsprechend Grundsätzen der Rechtsprechung zu § 48 BVG (vgl. BSG SozR 3-3100 § 48 BVG Nr. 8) darauf abzustellen, was sie, ausgehend von dem nach dem Versicherungsfall verbliebenen Leistungsvermögen, noch auf dem Arbeitsmarkt als Unselbstständige hätten erzielen können (vgl. auch Hauck, a.a.O. § 71 Randnummer 25).

Ausgehend hiervon steht außer Zweifel, dass der Versicherte einer seinem Ausbildungsstand und beruflichen Werdegang "entsprechenden Tätigkeit" nicht nachgehen konnte. Dies folgt allein aus dem Umstand der seinerzeitigen Berentung durch die Deutsche Rentenversicherung mit Bescheid vom 05.04.1974, wonach ihm unter Zugrundelegung am Unfalltage eingetretener Erwerbsunfähigkeit Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zuerkannt wurde; vor dem Hintergrund, dass darauf abzustellen ist, ob mit dem verbliebenen Leistungsvermögen noch der Versicherte auf dem Arbeitsmarkt als Unselbstständiger hätte Einkommen erzielen können, sind die Erwägungen der Beklagten, nach dem Unfall habe der Versicherte noch im Unternehmen mitgearbeitet, obsolet. Unabhängig davon hat er nach den konsistenten Angaben und unter Berücksichtigung des Aktenbestandes nach dem Unfall allenfalls noch Hilfstätigkeiten, etwa im Sinne der Bedienung von Bettenreinigungsmaschinen, verrichtet, war jedoch zu unternehmerischen Leistungen, welche die Klägerin an seiner Stelle übernommen hatte, nicht mehr in der Lage.

Durch den insoweit unfallbedingt abgebrochenen beruflichen Werdegang des Versicherten sind ebenso unzweifelhaft Auswirkungen auf die Versorgung der nunmehr hinterbliebenen Klägerin in Bezug auf deren Hinterbliebenenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung bzw. sonstige Vorsorgen für den Todesfall durch den Versicherten bedingt worden, so dass es nach der auch hier geltenden Zurechnungslehre der wesentlichen Bedingung des insoweit erforderlichen ursächlichen Zusammenhanges ebenfalls nicht mangelt. Dabei kann, wie bereits angesprochen, auf die Grundsätze des annähernd inhaltsgleichen § 48 Abs. 1 BVG zurückgegriffen werden, nach dessen Absatz 1, ist ein rentenberechtigter Beschädigter nicht an den Folgen der Schädigung gestorben, der Witwe eine Witwenbeihilfe zu zahlen ist, wenn der Beschädigte durch die Folgen der Schädigung gehindert war, eine entsprechende Erwerbstätigkeit auszuüben und die aus der Ehe mit dem Beschädigten hergeleitete Witwenversorgung insgesamt gemindert ist. Es bestimmt nämlich § 48 Abs. 1 Satz 5 BVG, dass die Voraussetzungen des Satz 1 im Sinne einer Vermutung als erfüllt gelten, wenn der Beschädigte im Zeitpunkt seines Todes Anspruch auf die Grundrente eines Beschädigten mit einem Grad der Schädigungsfolgen von 100 oder wegen nicht nur vorübergehender Hilflosigkeit Anspruch auf eine Pflegezulage hatte. Übertragen auf den vorliegenden Fall ist hierzu festzustellen, dass der Versicherte Vollrente auf der gesetzlichen Unfallversicherung (nach einer MdE von 100 v.H.) seit Unfalltage bezog und ihm auch mit weiterem Bescheid vom 27.08.1976 ab Unfalltage Pflegegeld zuerkannt wurde, so dass die Kausalitätsverknüpfung gegeben ist.

Unabhängig von der Frage, dass bei Greifen dieser Vermutung die Beklagte darlegungs- und beweisbelastet wäre, die Vermutung zu widerlegen, kann sie sich vorliegend nach den Gesamtumständen des Einzelfalles unter Berücksichtigung des Akteninhaltes und einer lebensnahen Würdigung dessen auch nicht darauf berufen, dass der Versicherte seine Arbeitskraft ohne verständigen Grund nicht in einem zumutbaren Umfang eingesetzt hat, weshalb eine Minderversorgung unberücksichtigt zu bleiben habe, bzw. einen sonst wie erkennbar fehlenden Versorgungswillen an den Tag gelegt hat. Mag auch das Landessozialgericht Baden-Württemberg in seinem Urteil vom 22.06.1989, auf welches sich die Beklagte maßgeblich beruft, zur Vorgängervorschrift des § 602 RVO und zum Begriff des Härtefalls ausgeführt haben, ein unfallbedingter Schaden und damit das Vorliegen eines Härtefalles sei nicht anzunehmen, wenn anzunehmen sei, dass der Versicherte ohne den Unfall eine wesentliche Altersvorsorge außerhalb des Systems oder innerhalb des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung betrieben hätte, ist zum einen darauf hinzuweisen, dass nach obigen Darlegungen lediglich Einbußen infolge Nichtaufnahme zumutbarer Tätigkeit oder Einbußen aufgrund sonst wie erkennbaren fehlenden Versorgungswilles trotz gegebener Möglichkeit schädlich sind. Eine Möglichkeit zu einer entsprechenden Erwerbstätigkeit hatte der Versicherte bei festgestellter Erwerbsunfähigkeit jedoch nicht. Zutreffend ist, dass der Versicherte auch nach dem Unfall nach den seinerzeit geltenden Rechtsvorschriften die Möglichkeit einer freiwilligen Beitragsleistung zur Rentenversicherung hatte, was § 1233 Abs. 2 RVO ( bzw. § 10 Abs.2 Angestelltenversicherungsgesetz - AVG - ) beinhaltete; hiernach konnten Beiträge zur Rentenversicherung auch nach eingetretener Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit geleistet werden, wurden jedoch dann nur bei einem späteren Versicherungsfall, insbesondere beim Bezug von Altersrente oder Hinterbliebenenrente berücksichtigt. Die Möglichkeit, sich aus eigener Erwerbstätigkeit finanzielle Leistungen zur Bestreitung derartiger Beiträge zur freiwilligen Rentenversicherung zu verschaffen, war dem Versicherten jedoch spätestens mit Aufgabe des Betriebes im Oktober 1975 genommen.

Aus dem bis zu diesem Zeitpunkt gezeigten Verhalten des Versicherten kann auch nicht der Schluss gezogen werden, ihm hätte es eines Versorgungswillens auch für die Zukunft durch Aufbau einer entweder privaten Vorsorge oder Versorgung innerhalb der Solidargemeinschaft der Rentenversicherung gemangelt. Wie die Klägerin zutreffend ausführt, befand sich das Unternehmen zum Zeitpunkt des Unfalles nach Übernahme durch den Versicherten 3 Jahre zuvor von seinem Vater, dies belastet mit hohen Schulden, noch im Aufbau und es standen zunächst Schuldentilgung und geschäftliche Investitionen, auch durch Erweiterung des Geschäftes, im Vordergrund, was die Klägerin auch im Rahmen des Berufshelferbesuches am 11.06.1986 ausführlich dargelegt hat. Ihre nunmehrigen und früheren Angaben sind insoweit konsistent. Ebenso ist nachvollziehbar, dass sie zunächst, da das Ausmaß der Verletzungsfolgen nicht übersehbar war, das Geschäft weiterführen wollte, was Erhärtung in dem Umstand findet, dass auch die seinerzeitigen Vorschüsse an Schmerzensgeld- und Schadensersatzzahlungen in das Geschäft gesteckt wurden, um hier ein Erwerbseinkommen zu sichern. Die Auffassung der Klägerin, in Anbetracht des jungen Alters Beider und des Umstandes, sich eine Existenzgrundlage zunächst nach Übernahme des Geschäfts vom Vater zu schaffen, ohne dass zu diesem Zeitpunkt konkrete Versorgungsvorstellungen vorgelegen hätten, entspricht auch nach Auffassung des Gerichts einer lebensnahen Würdigung, begründet jedoch nicht die Annahme eines fehlenden Versorgungswillens über den Unfall bzw. die Geschäftsaufgabe hinaus. Dass der Versicherte hinsichtlich der Klägerin nicht versorgungsunwillig war, wird auch durch den Umstand erhärtet, dass die Klägerin, welche in das Geschäft im April 1970 eingetreten ist, trotz Heirat im Juni 1970 weiter mit einem relevanten Entgelt von seinerzeit 900,- DM als Angestellte versicherungspflichtig beschäftigt, und nicht, etwa um Kosten zu sparen, als mithelfende Familienangehörige tätig wurde.

Die Voraussetzungen der Gewährung einer laufenden Witwenbeihilfe liegen damit vor. Ob eine solche der Klägerin gewährt wird, gegebenenfalls in welcher Höhe, steht in der Ermessensausübung der Beklagten. Da eine solche in den streitgegenständlichen Bescheiden nicht beinhaltet ist, wird die Beklagte eine solche nachzuholen haben. Bei der Ausübung ihres Ermessens wird sie zum einen eine Vergleichsberechnung vorzunehmen haben, dies jedoch nur dann, sollte sie dem Grunde nach eine laufende Witwenbeihilfe gewähren wollen. Diesbezüglich sollte die Beklagte im Rahmen ihrer grundsätzlichen Ermessensausübung berücksichtigen, dass in 1986 geprüft wurde, ob Beiträge zur Sozialversicherung der den Versicherten unentgeltlich pflegenden Klägerin übernommen werden könnten, um dieser eine eigene Versorgung aufzubauen, was letztlich nach interner Prüfung verworfen wurde ohne Bescheidung der Klägerin. Dabei trug nach hiesiger Auffassung die seinerzeitige Begründung, die Klägerin habe ein Kind (geboren am 00.00.1977) bekommen, was sie gehindert hätte, beruflich tätig zu sein, die Ablehnung nicht. Wie in der seinerzeitigen Niederschrift über Besprechungsergebnisse von berufsgenossenschaftlichen Geschäftsführern angeführt war, kam die Übernahme von Beiträgen zur Sozialversicherung maßgeblich in solchen Fällen zum Tragen, in denen Angehörige die Pflege eines pflegebedürftigen Unfallversicherten übernahmen und aus diesem Grunde eine eigene berufliche Tätigkeit aufgaben; dieser Gedanke hat letztlich gesetzliche Umsetzung dahingehend gefunden, dass seit dem 01.04.1995 durch Einführung der gesetzlichen Pflegeversicherung pflegende Angehörige, soweit in einem Mindestumfang Pflege geleistet wird, versicherungspflichtig in der Rentenversicherung sind. Die Klägerin allerdings hatte sich, was sie im Rahmen des Berufshelferbesuches am 11.06.1986 dargelegt hat, erst nach Aufgabe des Geschäftes zu dieser Familienplanung entschlossen, wo hingegen bei der Heirat man sich einig gewesen war, keine Kinder haben zu wollen, vielmehr Geschäftsaufbau mit intensiver Arbeit betreiben zu wollen. Sicherlich musste die Klägerin für ihr Kind ein mehr an Arbeit und Zeit als familiäre Verpflichtung auf sich nehmen; eine berufliche Tätigkeit war ihr jedoch bereits zuvor aus Gründen der Betreuung und Pflege des Versicherten und Haushaltsführung auch für diesen nicht möglich, was letztlich in die Geschäftsaufgabe einmündete. Vor diesem Hintergrund sollte die Beklagte vergegenwärtigen, dass Normzweck des § 71 Abs. 4 entsprechend den auch in der Verwaltungsakte befindlichen Auszügen der Kommentierung von Jentsch (in Schlegel/Voelzke, SGB VII, § 71) ist, finanzielle Härten aufgrund der durch den Versicherungsfall geminderten Erwerbsfähigkeit des schwerverletzten Versicherten auszugleichen, wobei unfallbedingter geringerer Verdienst des in seiner Erwerbsfähigkeit Eingeschränkten zum einen die Ansprüche von Hinterbliebenen aus der gesetzlichen Rentenversicherung mindert, zum anderen aber auch die eigenen Verdienstmöglichkeiten der Angehörigen von Schwerverletzten durch den von ihnen erbrachten Betreuungs- und Pflegeaufwand eingeschränkt sein können.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Rechtskraft
Aus
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