Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
7
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 12 R 3475/16
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 R 257/18
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 8. Januar 2018 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die Absenkung des Zugangsfaktors bei der Berechnung seiner Rente wegen Erwerbsminderung.
Der Kläger ist in 1964 geboren. Er ist bei der Beklagten rentenversichert. Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg verurteilte die Beklagte mit rechtskräftigem Urteil vom 16. März 2016 (L 2 R 1479/14) in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 25. April 2016, dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 1. Mai 2014 bis 30. April 2017 zu gewähren. Die Beklagte bewilligte dem Kläger daraufhin mit Bescheid vom 31. Mai 2016 Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 1. Mai 2014 bis 30. April 2017. Sie legte dabei einen Zugangsfaktor von 0,892 Punkten zu Grunde (Zugangsfaktor 1,0 abzüglich Faktor 0,003 x 36 Kalendermonate). Mit Bescheid vom 5. Januar 2017 bewilligte die Beklagte die Rente weiter bis zum 30. April 2020.
Gegen den Bescheid vom 31. Mai 2016 erhob der Kläger am 1. Juli 2016 Widerspruch. Er wende sich gegen den "versicherungsmathematischen Abschlag". Durch das Inkrafttreten des Gesetzes über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Leistungsverbesserungsgesetz vom 23. Juni 2014, BGBl. I S. 787) zum 1. Juli 2014 sei bewiesen, dass eine Notlage nicht mehr bestehe und damit der Eingriff in die Rentenanwartschaft in Form des versicherungsmathematischen Abschlages gegen Art. 14 Grundgesetz (GG) verstoße.
Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 23. August 2016 zurück. Bei einem Rentenbeginn im Jahr 2014 würden Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bei einem Rentenbeginn vor Vollendung des 63. Lebensjahres und acht Monaten um einen Abschlag gemindert. Dieser Abschlag bestimme sich über den Zugangsfaktor. Der Zugangsfaktor von 1,0 werde um 0,3 Prozent pro Monat der Inanspruchnahme der Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 63. Lebensjahres und acht Monaten, höchstens jedoch um 10,8 Prozent gemindert. Der Kläger habe zum Rentenbeginn am 1. Mai 2014 das Lebensalter von 60 Jahren und acht Monaten noch nicht vollendet. Der Zugangsfaktor sei deshalb um 10,8 Prozent auf 0,892 gekürzt worden. Die Minderung des Zugangsfaktors bei Erwerbsminderungsrente sei Gegenstand mehrerer sozialgerichtlicher Verfahren und zweier Verfahren beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gewesen. Das BVerfG habe entschieden, dass die Minderung des Zugangsfaktors mit dem Grundgesetz vereinbar sei.
Hiergegen erhob der Kläger am 30. August 2016 Klage. Aus dem Beschluss des BVerfG vom 11. Januar 2011 (1 BvR 3588/08 und 1 BvR 558/09) ergebe sich, wann ein Eingriff in die nach Art. 14 GG geschützten Rentenanwartschaften und Rentenansprüche zulässig sei und wann nicht. Hieraus ergebe sich, dass nur die finanzielle Notsituation der gesetzlichen Rentenversicherung den Eingriff in die Anwartschaften gerechtfertigt habe. Der Eingriff sei erforderlich gewesen, weil die Finanzsituation der gesetzlichen Rentenversicherung schlecht gewesen sei. Falle die Notlage weg, werde der geschmälerte Zugangsfaktor bzw. § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI automatisch verfassungswidrig und der Dauerrentenbescheid schlittere somit sozusagen in die Verfassungswidrigkeit ab 1. Juli 2014. Es sei nämlich durch das RV-Leistungsverbesserungsgesetz zum 1. Juli 2014 bewiesen, dass die Rentenversicherung eine Notlage nicht mehr aufweise. Anders wäre es nicht zu erklären, dass man Gesetze verabschiede, die der Rentenversicherung sechs Milliarden Mehrausgaben im Jahr verursachten. Wer so etwas tue, wisse, dass eine Notlage nicht mehr gegeben sei und die entsprechende Presseberichterstattung in den Medien bestätige dies ja auch. Wer so viel Geld zur Verfügung habe, übersehe, dass es an der Erforderlichkeit eines Eingriffs in die Rentenanwartschaft mangele. Die Kürzung der Zugangsfaktoren und die versicherungsmathematischen Abschläge seien zum 1. Juli 2014 eigentlich schon mit den Beratungen über das Gesetz im Herbst 2013 nicht mehr erforderlich gewesen. Es gehe im vorliegenden Fall auch nicht darum, dem Gesetzgeber vorschreiben zu wollen, eine Einsparung in anderen Bereichen des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung erzielen zu können, sondern hier gehe es darum, dass der Gesetzgeber statt einer die Rentenversicherung belastenden Gesetzgebung durch neue Leistungen (Verdopplung der Kindererziehungszeiten für die Zeit vor 1992 und Rente mit 63 ohne Abschläge für bestimmte Jahrgänge) die versicherungsmathematischen Abschläge zurücknehmen müsse. Die Vorgehensweise des Gesetzgebers sei eindeutig verfassungswidrig. Es könne wohl kaum angehen, dass die eine Hälfte der Versichertengemeinschaft weiter belastet würde und damit die Wohltat gegenüber der anderen Hälfte der Versichertengemeinschaft bei Nichtbestehen einer Notlage finanziere. Die Versichertengemeinschaft sei homogen und nicht inhomogen. Alle hätten Beiträge gezahlt und daraus werde die Rente finanziert und bezahlt. Die Versicherten der Vergangenheit seien keine anderen Versicherten als die Versicherten der Gegenwart. Insoweit sei auch Art. 3 GG betroffen. Es gebe keinen sachlichen Grund für eine entsprechende Differenzierung. Die Verfassungswidrigkeit der Aufrechterhaltung der versicherungsmathematischen Abschläge stehe der Regelung auf die Stirn geschrieben und die Beschlüsse des BVerfG könnten jetzt zu seinen – des Klägers – Gunsten herangezogen werden.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat auf ihren Widerspruchsbescheid verwiesen.
Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 8. Januar 2018 abgewiesen. Es hat auf die Gründe des Widerspruchsbescheides Bezug genommen und ergänzend ausgeführt, dass § 77 SGB VI keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken begegne.
Gegen den ihm am 11. Januar 2018 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 18. Januar 2018 Berufung eingelegt. Er hat seine Begründung aus dem erstinstanzlichen Verfahren wiederholt und ergänzend ausgeführt, es könne wohl auch vor dem Hintergrund des Art. 3 Abs. 1 GG nicht angehen, dass man der Rentenversicherung, "also dem Steuerzahler", der ohnehin mit 100 Milliarden die Renten eigentlich bezahle, weitere Belastungen aufbürde und diese Belastungen dann durch die Rentenbezieher, die Abschläge hätten, finanziert würden. Man dürfe nicht in Rentenanwartschaften eingreifen, wenn aus dem "Steuersäckel" sowieso genug Geld fließe.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 8. Januar 2018 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 31. Mai 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. August 2016 zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 1. Mai 2014 bis 30. April 2017 eine höhere Rente wegen Erwerbsminderung unter Berücksichtigung eines Zugangsfaktors von 1,0 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält an ihrer Entscheidung fest und verweist auf den angefochtenen Gerichtsbescheid.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge, die Akte des LSG Baden-Württemberg im Verfahren L 2 R 1479/14 sowie die beigezogenen Akten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
1. Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgerichtgesetz (SGG) statthafte und gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte (§ 124 Abs. 2 SGG), ist auch im Übrigen zulässig. Sie bedurfte insbesondere nicht der Zulassung, da die Berufung Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).
2. Die Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
a) Gegenstand des Verfahrens ist der Rentenbewilligungsbescheid vom 31. Mai 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. August 2016. Soweit die Beklagte damit die Höhe der Rente des Klägers festgelegt hat, kommt diesem Bescheid Regelungswirkung und damit Verwaltungsaktsqualität zu. Die Verurteilung der Beklagten zur Rentengewährung erfolgte lediglich dem Grunde nach, so dass es sich auch nur insofern um einen Ausführungsbescheid ohne eigene Regelungswirkung handelt (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 18. September 2003 – B 9 V 82/02 B – juris Rdnr. 6). Der Verwaltungsakt der Beklagten vom 5. Januar 2017, mit dem dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 1. Mai 2017 bis zum 30. April 2020 bewilligt wurde, ist nicht gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden, weil durch diesen Verwaltungsakt der Verwaltungsakt vom 31. Mai 2016, der nur die Rentenhöhe geregelt hat, weder abgeändert noch ersetzt worden ist.
b) Der Bescheid vom 31. Mai 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. August 2016 ist rechtmäßig. Die Beklagte hat die Rentenhöhe der Klägers zutreffend festgesetzt.
Rechtsgrundlage des Begehrens des Klägers auf höhere Erwerbsminderungsrente sind die Regelungen der §§ 63 ff. Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) über die Rentenhöhe. Der Monatsbetrag einer Rente ergibt sich gemäß § 63 Abs. 6, § 64 Nr. 1 bis 3 SGB VI, wenn die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte, der Rentenartfaktor und der aktuelle Rentenwert mit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden.
Der Zugangsfaktor ist ein Berechnungselement der persönlichen Entgeltpunkte. Nach § 77 Abs. 1 SGB VI in der hier anwendbaren, vom 1. Januar 2008 bis zum 30. Juni 2017 geltenden Fassung des Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersrente an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung vom 20. April 2007 (BGBl. I S. 554) richtet sich der Zugangsfaktor nach dem Alter der Versicherten bei Rentenbeginn oder bei Tod und bestimmt, in welchem Umfang Entgeltpunkte bei der Ermittlung des Monatsbetrags der Rente als persönliche Entgeltpunkte zu berücksichtigen sind. Der Zugangsfaktor ist für Entgeltpunkte, die noch nicht Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer Rente waren, gemäß § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und bei Erziehungsrenten für jeden Kalendermonat, für den eine Rente vor Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 65. Lebensjahres in Anspruch genommen wird, um 0,003 niedriger als 1,0. Beginnt eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 62. Lebensjahres, so bestimmt § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI, dass die Vollendung des 62. Lebensjahres für die Bestimmung des Zugangsfaktors maßgebend ist. Davon abweichend regelt § 264d SGB VI, dass für den Fall des Beginns einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor dem 1. Januar 2024 bei der Ermittlung des Zugangsfaktors anstelle der Vollendung des 65. Lebensjahres und des 62. Lebensjahres jeweils das in der Tabelle zu § 264d Satz 1 SGB VI aufgeführte Lebensalter maßgebend ist. Nach dieser Tabelle tritt bei Beginn der Rente im Jahr 2014 an die Stelle des 65. Lebensjahres das Lebensalter 63 Jahre und acht Monate und an die Stelle des 62. Lebensjahres das Lebensalter 60 Jahre und acht Monate.
Der Kläger bezieht eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des für ihn danach maßgeblichen Lebensalters von 60 Jahren und acht Monaten, denn zum Zeitpunkt des Beginns der Rente wegen voller Erwerbsminderung am 1. Mai 2014 hatte der im Juni 1964 geborene Kläger erst das 49. Lebensjahr vollendet.
Die Regelung des § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI ist als Berechnungsregel zu verstehen, mit der Folge, dass bei Inanspruchnahme von Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 62. Lebensjahres der Zugangsfaktor um maximal 0,108 (36 Kalendermonate x 0,003) zu mindern ist. Hierdurch ergibt sich in diesen Fällen – und so auch im vorliegenden Fall – ein Zugangsfaktor von 0,892. Diesen hat die Beklagte der Berechnung der Rente in den streitgegenständlichen Bescheiden zugrunde gelegt. Der Auffassung, wonach es sich bei § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI um eine Art Ausschlussregel handele, welche den frühesten Beginn einer "vorzeitigen" Erwerbsminderungsrente auf die Vollendung des 60. Lebensjahres festlege, lässt sich weder aus Wortlaut und Systematik der Norm, noch aus deren Sinn und Zweck, dem systematischen Gesamtzusammenhang oder der Entstehungsgeschichte ableiten. Dies entspricht der inzwischen ständigen Rechtsprechung des BSG (etwa Urteil vom 14. August 2008 – B 5 R 32/07 R – juris Rdnr. 11 ff.; Urteil vom 28. September 2011 – B 5 R 18/11 R – juris Rdnr. 10 ff.).
Dass die so angewandte Regelung auch verfassungsgemäß ist, hat das BVerfG mit Beschluss vom 11. Januar 2011 (1 BvR 3588/08, 1 BvR 558/09 – juris Rdnr. 33 ff.) entschieden. Dieser Beschluss bindet gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden und damit auch den Senat. Es kann mithin insbesondere keine Rede davon sein, dass § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI "automatisch" verfassungswidrig werde. Zwar können grundsätzlich eine Änderung der tatsächlichen Umstände oder Rechtsänderungen dazu führen, dass eine einmal als verfassungsgemäß erkannte Norm verfassungswidrig wird (vgl. Dollinger in Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, 2015, § 80 Rdnr. 101). Dass mit Blick auf § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI die Voraussetzungen hierfür vorliegen, ist entgegen der Auffassung des Klägers indes nicht zu erkennen. Der Senat ist (weiterhin) von der Verfassungsmäßigkeit des § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI überzeugt (so auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 7. März 2018 – L 2 R 284/18 – n.v.), so dass eine Vorlage gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG an das BVerfG nicht in Betracht kommt. Allein die Einführung von Leistungsverbesserungen, namentlich der Altersrente für besonders langjährig Versicherte (sog. "Rente mit 63") gemäß § 33 Abs. 2 Nr. 3a, § 236b SGB VI sowie einer besseren Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten (§ 307d SGB VI), durch das RV-Leistungsverbesserungsgesetz mit Wirkung zum 1. Juli 2014 stellt die Verfassungsmäßigkeit des § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI nicht in Frage. Der Kläger verkennt insofern bereits, dass die Leistungsverbesserungen durch das RV-Leistungsverbesserungsgesetz nichts über die beitragsfinanzierte Finanzsituation der gesetzlichen Rentenversicherung aussagen, schon weil sie teilweise aus Steuermitteln finanziert werden; so beteiligt sich der Bund ab dem Kalenderjahr mit zusätzlichen Mitteln, die bis zum Jahr 2022 stufenweise auf rund zwei Milliarden Euro jährlich erhöht werden (Begründung des Gesetzentwurfes, Bundestags-Drucksache 18/909, S. 2 f.). Abgesehen davon sagt die politische Entscheidung über die Ausweitung der Leistungen der Rentenversicherung nichts über die Solidität deren Finanzierung. Insoweit liegt es im Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, bei der Ausgestaltung des Rentenversicherungssystems auch politische Präferenzen umzusetzen. Auch berücksichtigt der Kläger nicht, dass der Gesetzgeber mit der Absenkung des Zugangsfaktors bei Erwerbsminderungsrenten auf die Inanspruchnahme der Rente vor Eintritt des Regelalters für die Altersrente und damit auf eine Verlängerung der Rentenbezugszeit reagiert hat, also den Vorteil der verlängerten Rentenbezugszeit durch eine Absenkung des monatlichen Zahlbetrags zumindest teilweise kompensieren wollte (BVerfG, Beschluss vom 11. Januar 2011 – 1 BvR 3588/08, 1 BvR 558/09 – juris Rdnr. 41). Dieser Gesichtspunkt sowie das Ziel des Gesetzgebers, ein Ausweichen der Versicherten auf eine (abschlagsfreie) Erwerbsminderungsrente statt einer mit Abschlägen behafteten vorgezogenen Altersrente zu verhindern (BVerfG, Beschluss vom 11. Januar 2011 – 1 BvR 3588/08, 1 BvR 558/09 – juris Rdnr. 38 f.), wird durch das RV-Leistungsverbesserungsgesetz nicht berührt.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.
4. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Außergerichtliche Kosten auch des Berufungsverfahrens sind nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen die Absenkung des Zugangsfaktors bei der Berechnung seiner Rente wegen Erwerbsminderung.
Der Kläger ist in 1964 geboren. Er ist bei der Beklagten rentenversichert. Das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg verurteilte die Beklagte mit rechtskräftigem Urteil vom 16. März 2016 (L 2 R 1479/14) in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 25. April 2016, dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 1. Mai 2014 bis 30. April 2017 zu gewähren. Die Beklagte bewilligte dem Kläger daraufhin mit Bescheid vom 31. Mai 2016 Rente wegen voller Erwerbsminderung für die Zeit vom 1. Mai 2014 bis 30. April 2017. Sie legte dabei einen Zugangsfaktor von 0,892 Punkten zu Grunde (Zugangsfaktor 1,0 abzüglich Faktor 0,003 x 36 Kalendermonate). Mit Bescheid vom 5. Januar 2017 bewilligte die Beklagte die Rente weiter bis zum 30. April 2020.
Gegen den Bescheid vom 31. Mai 2016 erhob der Kläger am 1. Juli 2016 Widerspruch. Er wende sich gegen den "versicherungsmathematischen Abschlag". Durch das Inkrafttreten des Gesetzes über Leistungsverbesserungen in der gesetzlichen Rentenversicherung (RV-Leistungsverbesserungsgesetz vom 23. Juni 2014, BGBl. I S. 787) zum 1. Juli 2014 sei bewiesen, dass eine Notlage nicht mehr bestehe und damit der Eingriff in die Rentenanwartschaft in Form des versicherungsmathematischen Abschlages gegen Art. 14 Grundgesetz (GG) verstoße.
Der Widerspruchsausschuss der Beklagten wies den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 23. August 2016 zurück. Bei einem Rentenbeginn im Jahr 2014 würden Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit bei einem Rentenbeginn vor Vollendung des 63. Lebensjahres und acht Monaten um einen Abschlag gemindert. Dieser Abschlag bestimme sich über den Zugangsfaktor. Der Zugangsfaktor von 1,0 werde um 0,3 Prozent pro Monat der Inanspruchnahme der Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 63. Lebensjahres und acht Monaten, höchstens jedoch um 10,8 Prozent gemindert. Der Kläger habe zum Rentenbeginn am 1. Mai 2014 das Lebensalter von 60 Jahren und acht Monaten noch nicht vollendet. Der Zugangsfaktor sei deshalb um 10,8 Prozent auf 0,892 gekürzt worden. Die Minderung des Zugangsfaktors bei Erwerbsminderungsrente sei Gegenstand mehrerer sozialgerichtlicher Verfahren und zweier Verfahren beim Bundesverfassungsgericht (BVerfG) gewesen. Das BVerfG habe entschieden, dass die Minderung des Zugangsfaktors mit dem Grundgesetz vereinbar sei.
Hiergegen erhob der Kläger am 30. August 2016 Klage. Aus dem Beschluss des BVerfG vom 11. Januar 2011 (1 BvR 3588/08 und 1 BvR 558/09) ergebe sich, wann ein Eingriff in die nach Art. 14 GG geschützten Rentenanwartschaften und Rentenansprüche zulässig sei und wann nicht. Hieraus ergebe sich, dass nur die finanzielle Notsituation der gesetzlichen Rentenversicherung den Eingriff in die Anwartschaften gerechtfertigt habe. Der Eingriff sei erforderlich gewesen, weil die Finanzsituation der gesetzlichen Rentenversicherung schlecht gewesen sei. Falle die Notlage weg, werde der geschmälerte Zugangsfaktor bzw. § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI automatisch verfassungswidrig und der Dauerrentenbescheid schlittere somit sozusagen in die Verfassungswidrigkeit ab 1. Juli 2014. Es sei nämlich durch das RV-Leistungsverbesserungsgesetz zum 1. Juli 2014 bewiesen, dass die Rentenversicherung eine Notlage nicht mehr aufweise. Anders wäre es nicht zu erklären, dass man Gesetze verabschiede, die der Rentenversicherung sechs Milliarden Mehrausgaben im Jahr verursachten. Wer so etwas tue, wisse, dass eine Notlage nicht mehr gegeben sei und die entsprechende Presseberichterstattung in den Medien bestätige dies ja auch. Wer so viel Geld zur Verfügung habe, übersehe, dass es an der Erforderlichkeit eines Eingriffs in die Rentenanwartschaft mangele. Die Kürzung der Zugangsfaktoren und die versicherungsmathematischen Abschläge seien zum 1. Juli 2014 eigentlich schon mit den Beratungen über das Gesetz im Herbst 2013 nicht mehr erforderlich gewesen. Es gehe im vorliegenden Fall auch nicht darum, dem Gesetzgeber vorschreiben zu wollen, eine Einsparung in anderen Bereichen des Systems der gesetzlichen Rentenversicherung erzielen zu können, sondern hier gehe es darum, dass der Gesetzgeber statt einer die Rentenversicherung belastenden Gesetzgebung durch neue Leistungen (Verdopplung der Kindererziehungszeiten für die Zeit vor 1992 und Rente mit 63 ohne Abschläge für bestimmte Jahrgänge) die versicherungsmathematischen Abschläge zurücknehmen müsse. Die Vorgehensweise des Gesetzgebers sei eindeutig verfassungswidrig. Es könne wohl kaum angehen, dass die eine Hälfte der Versichertengemeinschaft weiter belastet würde und damit die Wohltat gegenüber der anderen Hälfte der Versichertengemeinschaft bei Nichtbestehen einer Notlage finanziere. Die Versichertengemeinschaft sei homogen und nicht inhomogen. Alle hätten Beiträge gezahlt und daraus werde die Rente finanziert und bezahlt. Die Versicherten der Vergangenheit seien keine anderen Versicherten als die Versicherten der Gegenwart. Insoweit sei auch Art. 3 GG betroffen. Es gebe keinen sachlichen Grund für eine entsprechende Differenzierung. Die Verfassungswidrigkeit der Aufrechterhaltung der versicherungsmathematischen Abschläge stehe der Regelung auf die Stirn geschrieben und die Beschlüsse des BVerfG könnten jetzt zu seinen – des Klägers – Gunsten herangezogen werden.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat auf ihren Widerspruchsbescheid verwiesen.
Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 8. Januar 2018 abgewiesen. Es hat auf die Gründe des Widerspruchsbescheides Bezug genommen und ergänzend ausgeführt, dass § 77 SGB VI keinen durchgreifenden verfassungsrechtlichen Bedenken begegne.
Gegen den ihm am 11. Januar 2018 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 18. Januar 2018 Berufung eingelegt. Er hat seine Begründung aus dem erstinstanzlichen Verfahren wiederholt und ergänzend ausgeführt, es könne wohl auch vor dem Hintergrund des Art. 3 Abs. 1 GG nicht angehen, dass man der Rentenversicherung, "also dem Steuerzahler", der ohnehin mit 100 Milliarden die Renten eigentlich bezahle, weitere Belastungen aufbürde und diese Belastungen dann durch die Rentenbezieher, die Abschläge hätten, finanziert würden. Man dürfe nicht in Rentenanwartschaften eingreifen, wenn aus dem "Steuersäckel" sowieso genug Geld fließe.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 8. Januar 2018 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 31. Mai 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. August 2016 zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 1. Mai 2014 bis 30. April 2017 eine höhere Rente wegen Erwerbsminderung unter Berücksichtigung eines Zugangsfaktors von 1,0 zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hält an ihrer Entscheidung fest und verweist auf den angefochtenen Gerichtsbescheid.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Zu den weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge, die Akte des LSG Baden-Württemberg im Verfahren L 2 R 1479/14 sowie die beigezogenen Akten der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
1. Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgerichtgesetz (SGG) statthafte und gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten durch Urteil ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte (§ 124 Abs. 2 SGG), ist auch im Übrigen zulässig. Sie bedurfte insbesondere nicht der Zulassung, da die Berufung Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (vgl. § 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).
2. Die Berufung ist unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
a) Gegenstand des Verfahrens ist der Rentenbewilligungsbescheid vom 31. Mai 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. August 2016. Soweit die Beklagte damit die Höhe der Rente des Klägers festgelegt hat, kommt diesem Bescheid Regelungswirkung und damit Verwaltungsaktsqualität zu. Die Verurteilung der Beklagten zur Rentengewährung erfolgte lediglich dem Grunde nach, so dass es sich auch nur insofern um einen Ausführungsbescheid ohne eigene Regelungswirkung handelt (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 18. September 2003 – B 9 V 82/02 B – juris Rdnr. 6). Der Verwaltungsakt der Beklagten vom 5. Januar 2017, mit dem dem Kläger Rente wegen voller Erwerbsminderung vom 1. Mai 2017 bis zum 30. April 2020 bewilligt wurde, ist nicht gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden, weil durch diesen Verwaltungsakt der Verwaltungsakt vom 31. Mai 2016, der nur die Rentenhöhe geregelt hat, weder abgeändert noch ersetzt worden ist.
b) Der Bescheid vom 31. Mai 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. August 2016 ist rechtmäßig. Die Beklagte hat die Rentenhöhe der Klägers zutreffend festgesetzt.
Rechtsgrundlage des Begehrens des Klägers auf höhere Erwerbsminderungsrente sind die Regelungen der §§ 63 ff. Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) über die Rentenhöhe. Der Monatsbetrag einer Rente ergibt sich gemäß § 63 Abs. 6, § 64 Nr. 1 bis 3 SGB VI, wenn die unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors ermittelten persönlichen Entgeltpunkte, der Rentenartfaktor und der aktuelle Rentenwert mit ihrem Wert bei Rentenbeginn miteinander vervielfältigt werden.
Der Zugangsfaktor ist ein Berechnungselement der persönlichen Entgeltpunkte. Nach § 77 Abs. 1 SGB VI in der hier anwendbaren, vom 1. Januar 2008 bis zum 30. Juni 2017 geltenden Fassung des Gesetzes zur Anpassung der Regelaltersrente an die demografische Entwicklung und zur Stärkung der Finanzierungsgrundlagen der gesetzlichen Rentenversicherung vom 20. April 2007 (BGBl. I S. 554) richtet sich der Zugangsfaktor nach dem Alter der Versicherten bei Rentenbeginn oder bei Tod und bestimmt, in welchem Umfang Entgeltpunkte bei der Ermittlung des Monatsbetrags der Rente als persönliche Entgeltpunkte zu berücksichtigen sind. Der Zugangsfaktor ist für Entgeltpunkte, die noch nicht Grundlage von persönlichen Entgeltpunkten einer Rente waren, gemäß § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI bei Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit und bei Erziehungsrenten für jeden Kalendermonat, für den eine Rente vor Ablauf des Kalendermonats der Vollendung des 65. Lebensjahres in Anspruch genommen wird, um 0,003 niedriger als 1,0. Beginnt eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 62. Lebensjahres, so bestimmt § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI, dass die Vollendung des 62. Lebensjahres für die Bestimmung des Zugangsfaktors maßgebend ist. Davon abweichend regelt § 264d SGB VI, dass für den Fall des Beginns einer Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor dem 1. Januar 2024 bei der Ermittlung des Zugangsfaktors anstelle der Vollendung des 65. Lebensjahres und des 62. Lebensjahres jeweils das in der Tabelle zu § 264d Satz 1 SGB VI aufgeführte Lebensalter maßgebend ist. Nach dieser Tabelle tritt bei Beginn der Rente im Jahr 2014 an die Stelle des 65. Lebensjahres das Lebensalter 63 Jahre und acht Monate und an die Stelle des 62. Lebensjahres das Lebensalter 60 Jahre und acht Monate.
Der Kläger bezieht eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des für ihn danach maßgeblichen Lebensalters von 60 Jahren und acht Monaten, denn zum Zeitpunkt des Beginns der Rente wegen voller Erwerbsminderung am 1. Mai 2014 hatte der im Juni 1964 geborene Kläger erst das 49. Lebensjahr vollendet.
Die Regelung des § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI ist als Berechnungsregel zu verstehen, mit der Folge, dass bei Inanspruchnahme von Renten wegen verminderter Erwerbsfähigkeit vor Vollendung des 62. Lebensjahres der Zugangsfaktor um maximal 0,108 (36 Kalendermonate x 0,003) zu mindern ist. Hierdurch ergibt sich in diesen Fällen – und so auch im vorliegenden Fall – ein Zugangsfaktor von 0,892. Diesen hat die Beklagte der Berechnung der Rente in den streitgegenständlichen Bescheiden zugrunde gelegt. Der Auffassung, wonach es sich bei § 77 Abs. 2 Satz 2 SGB VI um eine Art Ausschlussregel handele, welche den frühesten Beginn einer "vorzeitigen" Erwerbsminderungsrente auf die Vollendung des 60. Lebensjahres festlege, lässt sich weder aus Wortlaut und Systematik der Norm, noch aus deren Sinn und Zweck, dem systematischen Gesamtzusammenhang oder der Entstehungsgeschichte ableiten. Dies entspricht der inzwischen ständigen Rechtsprechung des BSG (etwa Urteil vom 14. August 2008 – B 5 R 32/07 R – juris Rdnr. 11 ff.; Urteil vom 28. September 2011 – B 5 R 18/11 R – juris Rdnr. 10 ff.).
Dass die so angewandte Regelung auch verfassungsgemäß ist, hat das BVerfG mit Beschluss vom 11. Januar 2011 (1 BvR 3588/08, 1 BvR 558/09 – juris Rdnr. 33 ff.) entschieden. Dieser Beschluss bindet gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden und damit auch den Senat. Es kann mithin insbesondere keine Rede davon sein, dass § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI "automatisch" verfassungswidrig werde. Zwar können grundsätzlich eine Änderung der tatsächlichen Umstände oder Rechtsänderungen dazu führen, dass eine einmal als verfassungsgemäß erkannte Norm verfassungswidrig wird (vgl. Dollinger in Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, 2015, § 80 Rdnr. 101). Dass mit Blick auf § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI die Voraussetzungen hierfür vorliegen, ist entgegen der Auffassung des Klägers indes nicht zu erkennen. Der Senat ist (weiterhin) von der Verfassungsmäßigkeit des § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI überzeugt (so auch LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 7. März 2018 – L 2 R 284/18 – n.v.), so dass eine Vorlage gemäß Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG an das BVerfG nicht in Betracht kommt. Allein die Einführung von Leistungsverbesserungen, namentlich der Altersrente für besonders langjährig Versicherte (sog. "Rente mit 63") gemäß § 33 Abs. 2 Nr. 3a, § 236b SGB VI sowie einer besseren Berücksichtigung von Kindererziehungszeiten (§ 307d SGB VI), durch das RV-Leistungsverbesserungsgesetz mit Wirkung zum 1. Juli 2014 stellt die Verfassungsmäßigkeit des § 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 SGB VI nicht in Frage. Der Kläger verkennt insofern bereits, dass die Leistungsverbesserungen durch das RV-Leistungsverbesserungsgesetz nichts über die beitragsfinanzierte Finanzsituation der gesetzlichen Rentenversicherung aussagen, schon weil sie teilweise aus Steuermitteln finanziert werden; so beteiligt sich der Bund ab dem Kalenderjahr mit zusätzlichen Mitteln, die bis zum Jahr 2022 stufenweise auf rund zwei Milliarden Euro jährlich erhöht werden (Begründung des Gesetzentwurfes, Bundestags-Drucksache 18/909, S. 2 f.). Abgesehen davon sagt die politische Entscheidung über die Ausweitung der Leistungen der Rentenversicherung nichts über die Solidität deren Finanzierung. Insoweit liegt es im Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers, bei der Ausgestaltung des Rentenversicherungssystems auch politische Präferenzen umzusetzen. Auch berücksichtigt der Kläger nicht, dass der Gesetzgeber mit der Absenkung des Zugangsfaktors bei Erwerbsminderungsrenten auf die Inanspruchnahme der Rente vor Eintritt des Regelalters für die Altersrente und damit auf eine Verlängerung der Rentenbezugszeit reagiert hat, also den Vorteil der verlängerten Rentenbezugszeit durch eine Absenkung des monatlichen Zahlbetrags zumindest teilweise kompensieren wollte (BVerfG, Beschluss vom 11. Januar 2011 – 1 BvR 3588/08, 1 BvR 558/09 – juris Rdnr. 41). Dieser Gesichtspunkt sowie das Ziel des Gesetzgebers, ein Ausweichen der Versicherten auf eine (abschlagsfreie) Erwerbsminderungsrente statt einer mit Abschlägen behafteten vorgezogenen Altersrente zu verhindern (BVerfG, Beschluss vom 11. Januar 2011 – 1 BvR 3588/08, 1 BvR 558/09 – juris Rdnr. 38 f.), wird durch das RV-Leistungsverbesserungsgesetz nicht berührt.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.
4. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
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