L 1 RJ 54/01

Land
Hamburg
Sozialgericht
LSG Hamburg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
1
1. Instanz
SG Hamburg (HAM)
Aktenzeichen
S 9 RJ 1378/97
Datum
2. Instanz
LSG Hamburg
Aktenzeichen
L 1 RJ 54/01
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 8. Januar 2001 aufgehoben. Die auf Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit gerichtete Klage wird abgewiesen. Die Beklagte hat dem Kläger zwei Drittel seiner außergerichtlichen Kosten für die erste Instanz und ein Fünftel seiner außergerichtlichen Kosten für die zweite Instanz zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Im Streit ist, ob die Beklagte dem Kläger an Stelle der ab 26. September 1996 gewährten Rente wegen Berufsunfähigkeit die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu zahlen hat.

Der Beklagte lehnte den am 15. August 1996 gestellten Rentenantrag des 1946 geborenen türkischen Klägers, der sich vom 28. August bis 25. September 1996 zu einem Heilverfahren in Bad B. (Entlassungsbericht vom 28. Oktober 1996: mittelschwere Arbeiten im Wechselrhythmus ohne häufiges Heben, Tragen von Lasten, Bücken und ohne überwiegend einseitige Körperhaltung) aufgehalten und für diese Zeit Übergangsgeld bezogen hatte, nach Einholung der Stellungnahme der Ärztin für Psychiatrie und Neurologie B. vom 2. Dezember 1996 und des Gutachtens des Chirurgen Dr. P. vom 14. April 1997 durch Bescheid vom 13. Februar 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. August 1997 ab. Der Kläger, dessen Grad der Behinderung 40 beträgt (Bescheid des Versorgungsamtes vom 24. April 1996), sei noch in der Lage, leichte Arbeiten im Wechselrhythmus vollschichtig zu verrichten. Daran sei er durch eine chronisch-rezidivierende Lumboischialgie, degenerative Knochenveränderungen der Wirbelsäule, ein Übergewicht, einen medikamentös behandelten Bluthochdruck und durch ein Glaukom nicht gehindert. Hiergegen richtet sich die am 29. September 1997 erhobene Klage.

Das Sozialgericht hat den Kläger von dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. F. (Gutachten vom 27. September 1998) und dem Chirurgen M. (Gutachten vom 6. Oktober 1998) untersuchen lassen, im Termin vom 18. Oktober 1999, in welchem den Beteiligten die berufskundliche Stelllungnahme des Arbeitsberaters S. vom 21. Juni 1999 im Verfahren 20 J 1227/97 überreicht worden ist, den Chirurgen Dr. K. und im Termin vom 8. Januar 2001 u. a. den Orthopäden Dr. S1 sowie den Arbeitsberater M1 vom Arbeitsamt Hamburg gehört. Durch Urteil vom 8. Januar 2001 hat es die Beklagte verurteilt, dem Kläger nach einem Leistungsfall vom Tage der Antragstellung die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Dauer "nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen" zu gewähren. Der Kläger sei trotz des ihm grundsätzlich verbliebenen vollschichtigen Leistungsvermögens erwerbsunfähig, weil ihm auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt keine "leistungsgerechte Verweisungstätigkeit" mehr zur Verfügung stehe. Dem Kläger sei der allgemeine Arbeitsmarkt verschlossen. Zwar könne er Arbeiten im Wechsel der Körperhaltung � also im Gehen, Stehen und Sitzen � vollschichtig verrichten, jedoch müsse er bei den im Stehen und Gehen anfallenden Tätigkeiten innerhalb einer Stunde 10 bis 15 Minuten im Sitzen arbeiten. Bei ausschließlich im Sitzen zu verrichtenden Tätigkeiten bedürfe er innerhalb einer Stunde jeweils eines Geh- oder Stehanteils von 10 Minuten. Deshalb schieden für den Kläger leichte Pack-, Sortier- und Etikettierarbeiten aus und komme auch die Tätigkeit einer Spielhallenaufsicht für ihn nicht mehr in Betracht.

Gegen das ihr am 10. Mai 2001 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 8. Juni 2001 Berufung eingelegt. Mit Schriftsatz vom 16. Oktober 2001 hat sie das Vorliegen von Berufsunfähigkeit des Klägers ab Rentenantragstellung anerkannt, weil er Berufsschutz als Facharbeiter (Schlosser) genieße, und mit Bescheid vom 3. April 2002 Rente wegen Berufsunfähigkeit ab 26. September 1996 gewährt. Erwerbsunfähig sei der Kläger nicht, weil er noch leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes im Wechselrhythmus (oder häufiges Bücken, Überkopfarbeiten rechts, Zwangshaltungen oder besonderen Zeitdruck) vollschichtig zu verrichten vermöge. Es liege bei ihm weder eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen noch eine schwere spezifische Leistungseinschränkung vor. Die Rente wegen Berufsunfähigkeit ist dem Kläger unter Berücksichtigung der individuellen Hinzuverdienstgrenze zumeist nur anteilsweise, ab 1. Februar 2000 nicht mehr gezahlt worden.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Hamburg vom 8. Januar 2001 zu ändern und die Klage abzuweisen, soweit die Beklagte verurteilt worden ist, dem Kläger nach einem Leistungsfall vom 15. August 1996 die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit auf Dauer nach Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.

Der Kläger beantragt,

die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil für zutreffend.

Das Berufungsgericht hat Befundberichte eingeholt von dem Internisten Dr. R., dem Chirurgen Dr. S2, dem Arzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. T ..., dem Augenarzt Dr. T1., dem HNO-Arzt Dr. F1 und der praktischen Ärztin U ... Sodann hat es den Kläger am 2. April 2003 von dem Chirurgen Dr. P1 untersuchen lassen (Befundbericht und Stellungnahme vom 4. April 2003) und diesen Arzt im Termin vom 15. April 2003 gehört. Auf dessen in die Niederschrift aufgenommene Ausführungen wird Bezug genommen.

In dem auf Antrag nach § 109 Sozialgerichtsgesetz (SGG) erstatteten Gutachten vom 21. November 2003 ist der Nervenarzt Prof. Dr. T2 nach Untersuchung vom 24. Oktober 2003 zu dem Ergebnis gelangt, bezüglich der auf neurologischem Gebet beim Kläger zu erhebenden Befunde sei gegen die vollschichtige Verrichtung mittelschwerer körperlicher Arbeiten sowie Arbeiten einfacher bis durchschnittlicher geistiger Art nichts einzuwenden, wenn ein regelmäßiger Wechsel der Körperhaltung möglich sei. Ausschließliches oder überwiegendes Tragen, Heben oder Bücken und Arbeiten an gefährdenden Arbeitsplätzen, auch Arbeiten unter Zeitdruck und im Akkord, seien zu vermeiden. Übliche Pausen reichten aus. Beim Kläger sei eine erhebliche Aggravation festzustellen. Er sei wegefähig.

Wegen des weiteren Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der Renten- und Gutachtenakten der Beklagten, der Leistungsakten des Arbeitsamts und der Akten des Versorgungsamts Hamburg verwiesen, in welchen die im für den Kläger erfolglos gebliebenen Verfahren S 30 SB 358/98 eingeholten Gutachten des Arztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. N. vom 7. Februar 2002 und des Chirurgen Dr. K1 vom 28. September 2000 enthalten sind.

Entscheidungsgründe:

Der Senat entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch den Berichterstatter (§§ 124 Abs. 2, 155 Abs. 3 und 4 SGG).

Die Berufung der Beklagten des statthaft, frist und formgerecht eingelegt und auch im Übrigen zulässig (§§ 143, 144, 151 SGG).

Das Rechtsmittel ist auch begründet. Das Sozialgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben, soweit es die Beklagte � sinngemäß - verurteilt hat, dem Kläger ab 26 September 1996 die Rente wegen Erwerbsunfähigkeit zu zahlen. Der Bescheid vom 13. Februar 1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 25. August 1997 und des ab 26. September 1996 die Rente wegen Berufsunfähigkeit gewährenden Bescheides vom 3. April 2002 verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Er hat nämlich keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsunfähigkeit oder � ab 1. Januar 2001 � auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung.

Nach § 44 Abs. 2 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) in der von 1996 bis zum 31. Dezember 2000 bestehenden Fassung (a. F.) sind erwerbsunfähig u. a. Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, eine Erwerbstätigkeit in gewisser Regelmäßigkeit auszuüben oder Arbeitsentgelt oder Arbeitseinkommen zu erzielen, das ein Siebtel der monatlichen Bezugsgröße � ab 1. April 1999 monatlich 630 Deutsche Mark (Art. 4 des Gesetzes zur Neuregelung der geringfügigen Beschäftigungsverhältnisse vom 24. März 1999, BGBl. I S 3888) � übersteigt. Erwerbsunfähig ist nicht, wer eine Tätigkeit vollschichtig ausüben kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 44 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB VI a. F.). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt.

Der Kläger leidet auf orthopädisch-chirurgischem Gebiet an deutlichen Verschleißveränderungen der Lendenwirbel- und mäßigen Verschleißveränderungen der Halswirbelsäule. An diesen Wirbelsäulenabschnitten besteht eine deutliche Beweglichkeitseinschränkung, die ungefähr ein Drittel des normalen Bewegungsumfangs ausmacht. Seitengleiche Muskelumfänge am Ober- und Unterarm sowie Beschwielungen an der linken Hand lassen auf eine, vom Kläger vorgegebene, Einbuße der groben Kraft der linken oberen Extremität nicht schließen. Gemessen mit der Beckenwaage ist eine Beinverkürzung links (Dr. S2: 1,5 cm; Dr. P1: 3 cm) festzustellen.

Auf neurologisch-psychiatrischen Gebiet besteht ein sensomotorisches L 5-Syndrom links im Rahmen eines 1995 nachgewiesenen � im Fortbestand fraglichen � Bandscheibenvorfalls mit angegebenen Ausstrahlungen in das linke Bein und Sensibilitätsstörungen im Dermatom L 4/L 5 links bei vom Kläger berichteter diffuser, nicht genau einzuordnender Sensibilitätsstörung der linken Körperhälfte, aber ohne nachgewiesene Wurzelkompression. Auch eine motorische Beteiligung ist nicht nachgewiesen. Das vom Kläger dargetane chronische Schmerzsyndrom erklärt sich aus dem Zusammenhang einer erkennbaren Verhaltensänderung und des übrigen psychopathologischen Befundes, nach welchem eine ausgeprägte Aggravationstendenz vorherrscht. Für den vom Kläger angegebenen unsystematischen � von Dr. P1 im Anschluss an Dr. T. auf eine Einengung der Halswirbelsäulenschlagader (Stenose der arteria vertebralis rechts) zurückgeführten - Schwindel findet sich kein neurologisches Korrelat, so dass Prof. Dr. T2 abschließend resumiert hat, dass letztlich lediglich eine gewisse lumbale Wurzelirritation nachvollziehbar � d. h. halbwegs objektivierbar � ist.

Eine bedeutende psychische Erkrankung liegt nicht vor; allerdings besteht eine psychosomatische Beschwerdefixierung.

Auf anderen Fachgebieten sind ein essentieller Bluthochdruck, ein medikamentös eingestellter Diabetes II, ein Übergewicht, eine Fettleber, eine Fettstoffwechselstörung und eine geringe Verminderung des Sehvermögens, die das Tragen einer Brille erforderlich macht, festzustellen.

Unter Berücksichtigung vorstehend aufgeführter Gesundheitsstörungen ist der Kläger trotzdem noch in der Lage, leichte körperliche Arbeiten und einfache bis durchschnittliche geistige Arbeiten durchschnittlichen Verantwortungsgrades vollschichtig zu verrichten. Von einem vollschichtigen Leistungsvermögen sind bereits die erstinstanzlichen tätig gewordenen Gutachter und ist auch das Sozialgericht � grundsätzlich - ausgegangen. Bei erhaltener Wegefähigkeit (Dr. P1) vermag der Kläger noch Hebe- und Tragearbeiten mit Gewichtsbelastungen von fünf bis höchstens sieben Kilogramm zu ebener Erde im Wechsel von Gehen, Stehen und Sitzen, aber auch überwiegend im Sitzen, leisten. Überwiegendes bzw. häufiges Tragen, Heben oder Bücken, Zwangshaltungen jeder Art (z. B. Überkopfarbeiten), Akkordarbeiten sowie Arbeiten an gefährdenden Arbeitsplätzen und unter Zeitdruck sowie ausschließliche oder überwiegende Arbeiten im Freien scheiden beim Kläger aus. Betriebsunüblicher Pausen bedarf er nicht.

Soweit das Sozialgericht seine Entscheidung darauf gestützt hat, dass der Kläger trotz bestehenden vollschichtigen Leistungsvermögens nicht mehr der Lage sei, Arbeiten von wirtschaftlichem Wert zu verrichten, weil ihm der Arbeitsmarkt verschlossen sei, vermag ihm das Berufungsgericht nicht zu folgen. Das Sozialgericht begründet seine Entscheidung damit, dass der Kläger notwendigerweise während einer zumutbaren Tätigkeit nach einer Stunde (sitzender) Arbeit jeweils eines Wechsels der Körperhaltung zum Stehen bzw. Gehen von 10 bis 15 Minuten bedürfe, so dass die von dem berufskundigen Sachverständigen M. für durchführbar erachteten (leichten) Pack-, Montier- und Etikettierarbeiten nicht in Betracht kämen. Hierbei verkennt das Sozialgericht den medizinischen und berufskundlichen Sachverhalt. Zwar hat der Chirurg M. im Gutachten vom 6. Oktober 1998 ausgeführt, dass bei gehender oder stehender Tätigkeit gewährleistet sein müsse, dass im Laufe einer Stunde eine 10- bis 15- minütige sitzende Tätigkeit verrichtet werde. Bei ausschließlich sitzender Tätigkeit solle gewährleistet sein, dass innerhalb einer Stunde ein Wechsel zu einer etwa 10- minütigen gehenden oder stehenden Tätigkeit erfolgen können. Der Chirurg Dr. K. hat im Termin vom 18. Oktober 1999 gefordert, dass ein vorübergehender Wechsel der Körperhaltung bei der Arbeit erlaubt sein müsse. Der Orthopäde Dr. S1 hat einerseits bejaht, dass der Kläger bei (ausschließlich) sitzender Tätigkeit innerhalb einer Stunde zehn Minuten gehen und stehen können müsse. Das sei mit wechselnder Körperhaltung gemeint. Andererseits hat er erklärt, dass es mit dem Leistungsbild des Klägers grundsätzlich vereinbar sei, wenn dieser einmal eine Stunde sitzen müsse, ohne zehn Minuten die Körperhaltung zu wechseln. Zwar hat der berufskundige Sachverständige M. ausgeführt, bei den genannten Pack-, Montier- und Etikettiertätigkeiten seien innerhalb einer Stunde Pausen von 10 Minuten nicht möglich (wenn nach den medizinischen Voraussetzungen beim Kläger bei sitzenden Tätigkeiten innerhalb Pausen von dieser Dauer erforderlich seien). Indes werden die Pack-, Montier � und Etikettierarbeiten nicht im ausschließlichen Sitzen verrichtet. Nach der schriftlichen Feststellung des Arbeitsberaters S. vom 21. Juni 1999 werden diese leichten körperlichen Arbeiten mit nicht ständigen Gewichtsbelastungen von bis maximal 5/6 kg durch Heben, Tragen von Materialien etc. i. d. R. in überwiegend sitzender Arbeitsposition, jedoch mit der Möglichkeit zum Wechsel der Körperhaltung nach individuellem Bedarf und ohne besondere Zeitdruck- und Stressbelastungen (Akkord, Schicht-, Nachtschicht etc.) verrichtet. Der Arbeitsablauf bei diesen Tätigkeiten macht es ohnehin erforderlich, sich hin und wieder zu erheben und einige Schritte zu gehen, um Materialien zu holen oder wegzubringen, so dass hierdurch auch kleinere Stehanteile anfallen. Neben diesem Wechsel der Körperhaltung sind spezielle Pausen des Gehens oder Stehens beim Kläger nicht notwendig. So hat denn auch Dr. P1 ausgeführt, dass die vom Kläger noch zu leistenden Tätigkeiten in betriebsüblicher Art Gelegenheit bieten müssten zu einem regelmäßigen Haltungs- und Lagewechsel im Sinne von gelegentlichem Aufstehen aus dem Sitzen, Zurücklegen kurzer Wegstrecken im Betrieb, Wegtragen oder Heranbringen von Arbeitsmaterial usw. Es reiche z. B. aus, wenn der Kläger sich binnen einer Stunde fünfmal für etwa eine Minute aus dem Sitzen oder sich jede Viertelstunde einmal erheben könne. Dieses gelegentliche Aufstehen sei nicht in Sinne einer Arbeitsunterbrechung, sondern nur im Sinne eines Haltungswechsels angebracht, so dass der Kläger, falls er für ein oder zwei Minuten aufstehe, diese Zeit mit Arbeit ausfüllen könne. Auch Prof. Dr. T2 hat nur einen regelmäßig möglichen Wechsel der Körperhaltung gefordert. Dieser ist bei den genannten Verweisungstätigkeiten gegeben. Das Gericht hält die Auffassung von Dr. P1 und Prof. Dr. T2 für überzeugend und schließt sich ihr an. Demgegenüber werden die Ausführungen des Sozialgerichts den tatsächlichen Verhältnissen der genannten Arbeitsplätze nicht gerecht und sind realitätsfern.

Die vom Kläger geklagten, bei raschem Lagewechsel und bei raschem Aufblick auftretenden, bei Unwohlsein verstärkenden Schwindelerscheinungen haben kein solches Ausmaß, dass sie bei alltäglichen Bewegungsabläufen ins Gewicht fallen. Der Schwindel, der weder eine neurologische noch hno-ärztliche Ursache hat und das Gangbild unbeeinträchtigt lässt, ist nicht so ausgeprägt, dass er eine Tätigkeit im beschriebenen Leistungsumfang und die genannten Pack-, Montier- und Etikettierarbeiten ausschließt, zumal diese nicht an gefährdenden Arbeitsplätzen verrichtet werden. Auch hierin folgt das Gericht den Ausführungen Dr. P1s.

Das Gericht hat zudem keinen Zweifel, dass der Kläger das ihm verbliebene Leistungsvermögen auch noch realisieren kann. Durch seine deutliche Versagenshaltung und Aggravationsneigung, eine depressive Stimmung und eine gewisse Antriebsminderung ist der Kläger nicht gehindert, eine zumutbare Arbeit, falls sie ihm angeboten wird, aufzunehmen. Schließlich hat er auch während des Rentenverfahrens bis in das Jahr 2001 hinein � seit Ende 2001 bezieht er nach seinen Angaben Arbeitslosengeld - mit Unterbrechungen noch bei seiner früheren Arbeitgeberin, der Freien und Hansestadt Hamburg, als Handwerkerhelfer/Schlosser gearbeitet und damit zumindest gezeigt, dass er Hemmungen gegenüber einer Arbeitsaufnahme aus eigener Kraft überwinden kann. Ob durch diese Tätigkeiten ein vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte körperliche Arbeiten der hier dem Kläger für zumutbar erachteten Art belegt worden ist, bedarf keiner Entscheidung.

Das Gericht braucht auch nicht zu entscheiden, ob bei dem Kläger eine Summierung vielfältiger Leistungseinschränkungen oder eine spezifische Leistungsbehinderung vorliegt. Jedenfalls ist er auf die von dem berufskundigen Sachverständigen aufgeführten Pack-, Montier � und Etikettierarbeiten verweisbar. Diese Berufe kommen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt vor, werden teilweise in Tarifverträgen aufgeführt und bedürfen je nach Anstelligkeit einer Einarbeitung von zwei bis zu zehn Wochen. Dies ist dem Gericht aus einer ganzen Reihe von berufskundigen Sachverständigenvernehmungen der letzten Zeit bekannt. Entsprechende Arbeitsplätze sind in einer nennenswerten Anzahl eingerichtet. Sie werden zum Teil der Arbeitsverwaltung zur Besetzung gemeldet, aber auch über Zeitungsanzeigen bekannt gegeben, die Personalbeschaffung erfolgt allerdings überwiegend durch eigene betriebliche Bemühungen. Dass die tatsächlichen Vermittlungschancen aufgrund der verschärften Konkurrenzsituation auf dem Arbeitsmarkt hierfür erheblich beeinträchtigt sind, lässt eine dem Kläger günstige Entscheidung nicht zu. Denn nach § 44 Abs. 2 Satz 2 SGB VI a. F. ist die jeweilige Arbeitsmarktlage bei einem vollschichtigen Leistungsvermögen nicht zu berücksichtigen.

Ein Anspruch auf Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI nF. besteht ebenfalls nicht, weil hierfür noch schärfere Voraussetzungen zu erfüllen sind, die bei einem vollschichtigen Leistungsvermögen nicht erfüllt werden.

Nach alledem hat die Berufung der Beklagten Erfolg, ist das erstinstanzliche Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen, soweit die Verurteilung zur Gewährung von Rente wegen Erwerbsunfähigkeit erfolgt ist.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG in der bis zum 1. Januar 2002 geltenden Fassung. Das Gericht hat der Beklagten die Kosten der ersten Instanz zu zwei Dritteln auferlegt, weil sie dem Kläger die Rente wegen Berufsunfähigkeit rückwirkend ab 26. September 1996 gewährt hat. Außergerichtliche Kosten des Klägers im Berufungsverfahren hat die Beklagte zu einem Fünftel zu tragen, weil sie erst vier Monate nach Berufungseinlegung den Anspruch des Klägers auf Rente wegen Berufsunfähigkeit anerkannt hat.

Das Gericht hat die Revision gem. § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG nicht zugelassen, weil die Voraussetzungen hierfür fehlen.
Rechtskraft
Aus
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