Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 45 V 33/00
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 V 29/02
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 09. Juli 2002 geändert und die Klage abgewiesen, soweit sie über das Teilanerkenntnis hinausgeht. Der Beklagte trägt ein Sechstel der außergerichtlichen Kosten des Klägers in beiden Rechtszügen. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Umstritten ist, ob der Kläger unter Anerkennung einer Persönlichkeitsstörung als Schädigungsfolge Anspruch auf Versorgungsrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) hat.
Der am 00.00.1930 geborene Kläger siedelte 1964 aus der damaligen CSSR in die Bundesrepublik Deutschland über. In einem Antrag von März 1998 auf Feststellungen nach dem Schwerbehindertengesetz, den der Beklagte auch als Antrag nach dem BVG bearbeitete, gab der Kläger an, er könne auf beiden Ohren schlecht hören. Es handele sich um ein Kriegsleiden, das durch russisches Trommelfeuer während seines Einsatzes bei der Hitlerjugend von Januar bis März 1945 verursacht worden sei. Er verlange bis 200,- DM mehr Rente. Im Laufe des weiteren Verfahrens nach dem BVG trug er vor, er habe bis Weihnachten 1944 die Volksschule besucht und sei im Januar 1945 von der Hitlerjugend zum Volkssturm bei Ratibor eingezogen worden. Bis Kriegsende sei er u.a. zur Verteidigung der Ratiborer Brücke eingesetzt worden. Er habe mit Panzerfaust und Maschinenpistole geschossen. Hierdurch und aufgrund des Geschützdonners, MG-Feuers, Bomben- und Granatenexplosionen habe er die Hörschädigung erlitten. Die Kriegserlebnisse hätten zudem zu seelischen Beeinträchtigungen geführt. Unter Auswertung eines beigezogenen Befundberichtes des HNO-Arzt Dr. K vom 30.09.1998 vertrat der Ltd. Versorgungsarzt Dr. U die Auffassung, dass das Vorliegen eines Schalltraumas i. S. einer Schädigungsfolge gemäß BVG nicht wahrscheinlich sei.
Daraufhin lehnte es der Beklagte mit Bescheid vom 08.09.1999 ab, Versorgung nach dem BVG zu gewähren. Zur Begründung des hiergegen am 16.09.1999 erhobenen Widerspruchs machte der Kläger im Wesentlichen geltend, dass er unter Todesängsten Deutschland verteidigt habe. Die seelischen Beeinträchtigungen, wie Angst und Schrecken, seien damals sofort eingetreten, als Panzer auf einer Brücke in Ratibor abgeschossen worden seien. Nach dem Krieg habe er über drei Monate kein Brot gesehen, nur Gerstenkaffee und Kartoffeln. Die Russen hätten das Haus seiner Eltern abgebrannt. Die Verhältnisse seien grausam gewesen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 22.03.2000 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Es habe nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden können, dass die bei dem Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen auf den Einsatz beim Volkssturm zurückzuführen seien. Schon wegen des zeitlichen Abstandes zu den schädigenden Vorgängen des Jahres 1945 ließe sich ein ursächlicher Zusammenhang nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit feststellen.
Mit der hiergegen am 03.04.2000 erhobenen Klage hat der Kläger weiterhin Versorgung nach dem BVG begehrt. Dabei hat er seinen Anspruch vornehmlich auf die Beurteilungen der vom Gericht gehörten Sachverständigen Dr. C und Priv.-Doz. Dr. C gestützt.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 08.09.1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.03.2000 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm ab März 1998 Versorgungsrente nach einer MdE um 30 v.H. nach dem BVG zu gewähren.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat, gestützt auf vorgelegte versorgungsärztliche Stellungnahmen des Dr. T, einen Versorgungsanspruch weiterhin verneint.
Das Sozialgericht hat im Wesentlichen Beweis erhoben durch Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Zusatzgutachtens des Dr. C, Oberarzt der neurologisch-psychiatrischen Klinik des Knappschaftskrankenhauses E, vom 19.02.2001 mit ergänzender Stellungnahme vom 27.09.2001 sowie eines HNO-ärztlichen Gutachtens des Priv.-Doz. Dr. C, Ltd. Oberarzt der HNO-Klinik der Städtischen Kliniken E, vom 05.03.2001. Dr. C hat als Schädigungsfolge eine "Persönlichkeitsstörung, nicht näher klassifizierbar" mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 v. H. angenommen. Es sei davon auszugehen, dass der Einsatz beim Volkssturm mit den schrecklichen Erlebnissen der entscheidende Ausgangspunkt für die Persönlichkeitsänderung gewesen sei. Priv.-Doz. Dr. C hat eine "knapp geringgradige Hochtonschwerhörigkeit beidseits" (MdE 10 v.H.) sowie einen "kompensierten Tinnitus rechts" (MdE unter 10 v. H) mit Wahrscheinlichkeit auf die wiederholten knalltraumatischen Ereignisse während des Einsatzes beim Volkssturm zurückgeführt. Unter zusätzlicher Berücksichtigung der von Dr. C als Schädigungsfolge angenommenen Persönlichkeitsstörung hat er eine schädigungsbedingte Gesamt-MdE um 25 v. H. vorgeschlagen.
Mit Urteil vom 09.07.2002 hat das Sozialgericht den Beklagten verurteilt, dem Kläger ab März 1998 eine Versorgungsrente nach einer MdE um 30 v.H. nach dem BVG zu gewähren. Dabei hat es sich auf die Beurteilungen der Sachverständigen gestützt.
Gegen dieses ihm am 19.07.2002 zugestellte Urteil richtet sich die am 12.08.2002 eingegangene Berufung des Beklagten.
Im Termin vor dem Senat hat der Beklagte eine "knapp geringgradige Schallempfindungsschwerhörigkeit mit rechtsseitigem kompensierten Tinnitus" als Schädigungsfolge mit einer MdE unter 25 v.H. anerkannt. Der Kläger hat dieses Teilanerkenntnis angenommen.
Im Übrigen ist der Beklagte weiterhin der Auffassung, dass der Kläger keinen Anspruch auf Versorgungsrente habe. Unter Hinweis auf die bereits in erster Instanz vorgelegten versorgungsärztlichen Stellungnahmen meint er, dass die von Dr. C beschriebene Persönlichkeitsstörung nicht als Schädigungsfolge anerkannt werden könne. Insoweit sieht er sich durch die Beurteilung des im Berufungsverfahren gehörten Sachverständigen Dr. W bestätigt.
Der Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 09.07.2002 zu ändern und die Klage abzuweisen, soweit sie über das heute erklärte Teilanerkenntnis hinausgeht.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen und den Tenor ergänzend so zu fassen, dass der Beklagte verurteilt wird, als Schädigungsfolge auch eine Persönlichkeitsstörung anzuerkennen.
Der Kläger hält, gestützt auf die Beurteilungen der in erster Instanz gehörten Sachverständigen, das angefochtene Urteil für zutreffend.
Im Berufungsverfahren ist Beweis erhoben worden durch Einholung eines HNO-ärztlichen Zusatzgutachtens des Prof. Dr. M, Ltd. Arzt der HNO-Klinik des B Krankenhauses F, vom 28 10.2003 sowie eines nervenärztlichen Gutachtens des Dr. W, Chefarzt des Instituts f. Neurologie und Psychiatrie der Kliniken St. B1 W, vom 02.12.2003. Nach der Beurteilung der Sachverständigen haben sich im Ergebnis keine Gesundheitsstörungen feststellen lassen, die mit Wahrscheinlichkeit ursächlich auf den Einsatz beim Volkssturm zurückzuführen sind. Nach der Auffassung des Dr. W sind die beim Kläger vorhandenen psychischen Auffälligkeiten nicht Folge einer seelischen Traumatisierung durch den Einsatz beim Volkssturm.
Zur weiteren Sachverhaltsdarstellung und bezüglich des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakten des Beklagten (B-Akte und SchwbG-Akte) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist begründet. Das Sozialgericht hat den Beklagten zu Unrecht zur Zahlung einer Versorgungsrente verurteilt. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung weiterer Schädigungsfolgen und Gewährung von Versorgungsrente.
Der Versorgungsanspruch setzt gemäß §§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 a BVG voraus, dass durch schädigende Einwirkungen eine gesundheitliche (Primär-) Schädigung eingetreten ist und dass Gesundheitsstörungen vorliegen, die als (Spät-) Folgen dieser Schädigung zu beurteilen sind. Geschützter Dienst, schädigende Einwirkungen, (Primär-) Schädigung und Schädigungsfolgen müssen mit an Sicherheit grenzender ernste vernünftige Zweifel ausschließender Wahrscheinlichkeit erwiesen sein (vgl. BSG SozR 3850 § 51 Nr. 9). Für den Nachweis des ursächlichen Zusammenhangs zwischen (Primär-) Schädigung und Schädigungsfolgen genügt die einfache Wahrscheinlichkeit, § 1 Abs. 3 BVG. Weitere Voraussetzung für die Zahlung einer Versorgungsgrundrente ist, dass die Schädigungsfolgen eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um mindestens 25 v.H. bedingen (§ 31 Abs. 2 BVG). Letztere Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Denn die schädigungsbedingte MdE des Klägers beträgt weniger als 25 v.H ...
Als Schädigungsfolge iSd § 1 BVG kann entsprechend dem Teilanerkenntnis des Beklagten im Termin vor dem Senat lediglich eine "knapp geringgradige Schallempfindungsschwerhörigkeit mit rechtsseitigem kompensierten Tinnitus" anerkannt werden. Diese Schädigungsfolge bedingt keine MdE um wenigstens 25 v.H. Dies folgt zur Überzeugung des Senats aus den von den Sachverständigen insgesamt erhobenen Befunden und ihren medizinisch begründeten Bewertungen. Auch unter Berücksichtigung der für den Kläger günstigsten Beurteilung des Priv.-Doz. Dr. C lässt sich lediglich eine MdE um 10 v. H. für die Schwerhörigkeit und von unter 10 v.H. für den kompensierten Tinnitus rechts in Ansatz bringen. Dies ergibt für das schädigungsbedingte Ohrenleiden entsprechend der eher großzügigen Bewertung des Priv.-Doz. Dr. C allenfalls eine MdE um 15 v. H ...
Gesichtspunkte, aus denen sich entgegen den Beurteilungen der Sachverständigen eine höhere MdE herleiten ließe, sind weder erkennbar noch vorgetragen.
Weitere Schädigungsfolgen sind nicht vorhanden. Insbesondere kann die von Dr. C beschriebene und mit einer MdE um 20 v.H. bewertete "Persönlichkeitsstörung, nicht näher klassifizierbar" entgegen der Auffassung des Sozialgerichts nicht als Schädigungsfolge anerkannt werden. Der Senat sieht unter Zugrundelegung der Angaben des Klägers (§ 15 Verwaltungsverfahrensgesetz - Kriegsopferversorgung) durchaus, dass der Kläger während des von ihm geschilderten Einsatzes beim Volkssturm ab Januar 1945 ganz erheblichen seelischen Belastungen ausgesetzt gewesen ist. Allerdings ist schon fraglich, ob hierdurch damals eine gesundheitliche - psychische - (Primär-) Schädigung eingetreten ist. Insoweit fehlt es an jeglichem Nachweis. Medizinische Unterlagen, die eine solche Schädigung belegen könnten, sind nicht vorhanden. Auch der Vortrag des Klägers enthält keine substantiierte Schilderung einer damals aufgetretenen psychischen Gesundheitsstörung. Aber selbst wenn man zu Gunsten des Klägers eine (Primär-) Schädigung unterstellt und davon ausgeht, dass die seelischen Belastungen, denen der Kläger während seines Dienstes beim Volkssturm ausgesetzt gewesen ist, damals eine psychischen Traumatisierung hervorgerufen haben, lässt es sich nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellen, dass die heute beim Kläger vorhandenen psychischen Auffälligkeiten die Folge einer solchen etwaigen Traumatisierung sind. Unter Würdigung der medizinischen Ausführungen des Dr. C und des Dr. W sprechen zur Überzeugung des Senats mehr Gründe gegen als für einen solchen ursächlichen Zusammenhang. Soweit Dr. C meint, es müsse davon ausgegangen werden, dass ein 15 Jähriger Ereignisse, wie sie der Kläger beim Volkssturm erlebt hat, nicht adäquat verarbeiten könne und vielmehr sein ganzes Leben daran denke, so rechtfertigt dies noch nicht den Schluss, dass es sich bei der von Dr. C angenommenen Persönlichkeitsstörung um die Folgen eines psychischen Traumas (vgl. hierzu Nr. 71 der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" 1996) handelt. Angesichts der an eine posttraumatische Belastungsstörung zu stellenden Anforderungen (vgl. hierzu Niederschrift über die Tagung der Sektion "Versorgungsmedizin" des Ärztlichen Sachverständigenbeirats beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung vom 12. - 13.11.1997, die den Beteiligten zusammen mit der Beweisanordnung des Senats vom 16.04.2003 zugeleitet worden ist) spricht gegen die Beurteilung des Dr. C bereits der Umstand, dass Dr. C die Persönlichkeitsstörung nicht näher klassifizieren kann.
Demgegenüber erachtet der Senat die Beurteilung des Dr. W für nachvollziehbar und überzeugend. Dabei kann es im Ergebnis dahingestellt bleiben, ob man wie Dr. C den beim Kläger vorhandenen psychischen Auffälligkeiten eine MdE um 20 v. H. beimisst oder wie Dr. W von einer akzentuierten Persönlichkeit ohne wesentlichen Krankheitswert ausgeht. Maßgeblich ist insoweit, dass sich nach der den Senat überzeugenden Befunderhebung und Beurteilung des Dr. W jedenfalls eine einem erlebnisreaktiven bzw. einem erlebnisbedingten Persönlichkeitswandel zuzuordnende gesundheitliche Störung nicht hat feststellen lassen. Typische Symptome hierfür fehlten. Auch fanden sich keine Hinweise auf eine posttraumatische Belastungsstörung in Form von gesteigerter vegetativer Erregbarkeit und Angstbereitschaft sowie abnormen Nachhallerinnerungen und erlebnisbezogenen Angstträumen. Ebenso wenig zeigten sich Symptome eines erlebnisbedingten Persönlichkeitswandels wie Depressivität, Introvertiertheit bzw. gesteigerte affektive Labilität mit abnormer Verletzlichkeit bzw. gesteigerte Angstbereitschaft.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Satz 1 oder 2 SGG) sind nicht gegeben.
Tatbestand:
Umstritten ist, ob der Kläger unter Anerkennung einer Persönlichkeitsstörung als Schädigungsfolge Anspruch auf Versorgungsrente nach dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) hat.
Der am 00.00.1930 geborene Kläger siedelte 1964 aus der damaligen CSSR in die Bundesrepublik Deutschland über. In einem Antrag von März 1998 auf Feststellungen nach dem Schwerbehindertengesetz, den der Beklagte auch als Antrag nach dem BVG bearbeitete, gab der Kläger an, er könne auf beiden Ohren schlecht hören. Es handele sich um ein Kriegsleiden, das durch russisches Trommelfeuer während seines Einsatzes bei der Hitlerjugend von Januar bis März 1945 verursacht worden sei. Er verlange bis 200,- DM mehr Rente. Im Laufe des weiteren Verfahrens nach dem BVG trug er vor, er habe bis Weihnachten 1944 die Volksschule besucht und sei im Januar 1945 von der Hitlerjugend zum Volkssturm bei Ratibor eingezogen worden. Bis Kriegsende sei er u.a. zur Verteidigung der Ratiborer Brücke eingesetzt worden. Er habe mit Panzerfaust und Maschinenpistole geschossen. Hierdurch und aufgrund des Geschützdonners, MG-Feuers, Bomben- und Granatenexplosionen habe er die Hörschädigung erlitten. Die Kriegserlebnisse hätten zudem zu seelischen Beeinträchtigungen geführt. Unter Auswertung eines beigezogenen Befundberichtes des HNO-Arzt Dr. K vom 30.09.1998 vertrat der Ltd. Versorgungsarzt Dr. U die Auffassung, dass das Vorliegen eines Schalltraumas i. S. einer Schädigungsfolge gemäß BVG nicht wahrscheinlich sei.
Daraufhin lehnte es der Beklagte mit Bescheid vom 08.09.1999 ab, Versorgung nach dem BVG zu gewähren. Zur Begründung des hiergegen am 16.09.1999 erhobenen Widerspruchs machte der Kläger im Wesentlichen geltend, dass er unter Todesängsten Deutschland verteidigt habe. Die seelischen Beeinträchtigungen, wie Angst und Schrecken, seien damals sofort eingetreten, als Panzer auf einer Brücke in Ratibor abgeschossen worden seien. Nach dem Krieg habe er über drei Monate kein Brot gesehen, nur Gerstenkaffee und Kartoffeln. Die Russen hätten das Haus seiner Eltern abgebrannt. Die Verhältnisse seien grausam gewesen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 22.03.2000 wies der Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Es habe nicht mit ausreichender Wahrscheinlichkeit festgestellt werden können, dass die bei dem Kläger vorliegenden Gesundheitsstörungen auf den Einsatz beim Volkssturm zurückzuführen seien. Schon wegen des zeitlichen Abstandes zu den schädigenden Vorgängen des Jahres 1945 ließe sich ein ursächlicher Zusammenhang nicht mit der erforderlichen Wahrscheinlichkeit feststellen.
Mit der hiergegen am 03.04.2000 erhobenen Klage hat der Kläger weiterhin Versorgung nach dem BVG begehrt. Dabei hat er seinen Anspruch vornehmlich auf die Beurteilungen der vom Gericht gehörten Sachverständigen Dr. C und Priv.-Doz. Dr. C gestützt.
Der Kläger hat beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 08.09.1999 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.03.2000 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm ab März 1998 Versorgungsrente nach einer MdE um 30 v.H. nach dem BVG zu gewähren.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat, gestützt auf vorgelegte versorgungsärztliche Stellungnahmen des Dr. T, einen Versorgungsanspruch weiterhin verneint.
Das Sozialgericht hat im Wesentlichen Beweis erhoben durch Einholung eines neurologisch-psychiatrischen Zusatzgutachtens des Dr. C, Oberarzt der neurologisch-psychiatrischen Klinik des Knappschaftskrankenhauses E, vom 19.02.2001 mit ergänzender Stellungnahme vom 27.09.2001 sowie eines HNO-ärztlichen Gutachtens des Priv.-Doz. Dr. C, Ltd. Oberarzt der HNO-Klinik der Städtischen Kliniken E, vom 05.03.2001. Dr. C hat als Schädigungsfolge eine "Persönlichkeitsstörung, nicht näher klassifizierbar" mit einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um 20 v. H. angenommen. Es sei davon auszugehen, dass der Einsatz beim Volkssturm mit den schrecklichen Erlebnissen der entscheidende Ausgangspunkt für die Persönlichkeitsänderung gewesen sei. Priv.-Doz. Dr. C hat eine "knapp geringgradige Hochtonschwerhörigkeit beidseits" (MdE 10 v.H.) sowie einen "kompensierten Tinnitus rechts" (MdE unter 10 v. H) mit Wahrscheinlichkeit auf die wiederholten knalltraumatischen Ereignisse während des Einsatzes beim Volkssturm zurückgeführt. Unter zusätzlicher Berücksichtigung der von Dr. C als Schädigungsfolge angenommenen Persönlichkeitsstörung hat er eine schädigungsbedingte Gesamt-MdE um 25 v. H. vorgeschlagen.
Mit Urteil vom 09.07.2002 hat das Sozialgericht den Beklagten verurteilt, dem Kläger ab März 1998 eine Versorgungsrente nach einer MdE um 30 v.H. nach dem BVG zu gewähren. Dabei hat es sich auf die Beurteilungen der Sachverständigen gestützt.
Gegen dieses ihm am 19.07.2002 zugestellte Urteil richtet sich die am 12.08.2002 eingegangene Berufung des Beklagten.
Im Termin vor dem Senat hat der Beklagte eine "knapp geringgradige Schallempfindungsschwerhörigkeit mit rechtsseitigem kompensierten Tinnitus" als Schädigungsfolge mit einer MdE unter 25 v.H. anerkannt. Der Kläger hat dieses Teilanerkenntnis angenommen.
Im Übrigen ist der Beklagte weiterhin der Auffassung, dass der Kläger keinen Anspruch auf Versorgungsrente habe. Unter Hinweis auf die bereits in erster Instanz vorgelegten versorgungsärztlichen Stellungnahmen meint er, dass die von Dr. C beschriebene Persönlichkeitsstörung nicht als Schädigungsfolge anerkannt werden könne. Insoweit sieht er sich durch die Beurteilung des im Berufungsverfahren gehörten Sachverständigen Dr. W bestätigt.
Der Beklagte beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 09.07.2002 zu ändern und die Klage abzuweisen, soweit sie über das heute erklärte Teilanerkenntnis hinausgeht.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen und den Tenor ergänzend so zu fassen, dass der Beklagte verurteilt wird, als Schädigungsfolge auch eine Persönlichkeitsstörung anzuerkennen.
Der Kläger hält, gestützt auf die Beurteilungen der in erster Instanz gehörten Sachverständigen, das angefochtene Urteil für zutreffend.
Im Berufungsverfahren ist Beweis erhoben worden durch Einholung eines HNO-ärztlichen Zusatzgutachtens des Prof. Dr. M, Ltd. Arzt der HNO-Klinik des B Krankenhauses F, vom 28 10.2003 sowie eines nervenärztlichen Gutachtens des Dr. W, Chefarzt des Instituts f. Neurologie und Psychiatrie der Kliniken St. B1 W, vom 02.12.2003. Nach der Beurteilung der Sachverständigen haben sich im Ergebnis keine Gesundheitsstörungen feststellen lassen, die mit Wahrscheinlichkeit ursächlich auf den Einsatz beim Volkssturm zurückzuführen sind. Nach der Auffassung des Dr. W sind die beim Kläger vorhandenen psychischen Auffälligkeiten nicht Folge einer seelischen Traumatisierung durch den Einsatz beim Volkssturm.
Zur weiteren Sachverhaltsdarstellung und bezüglich des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakten des Beklagten (B-Akte und SchwbG-Akte) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist begründet. Das Sozialgericht hat den Beklagten zu Unrecht zur Zahlung einer Versorgungsrente verurteilt. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung weiterer Schädigungsfolgen und Gewährung von Versorgungsrente.
Der Versorgungsanspruch setzt gemäß §§ 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 a BVG voraus, dass durch schädigende Einwirkungen eine gesundheitliche (Primär-) Schädigung eingetreten ist und dass Gesundheitsstörungen vorliegen, die als (Spät-) Folgen dieser Schädigung zu beurteilen sind. Geschützter Dienst, schädigende Einwirkungen, (Primär-) Schädigung und Schädigungsfolgen müssen mit an Sicherheit grenzender ernste vernünftige Zweifel ausschließender Wahrscheinlichkeit erwiesen sein (vgl. BSG SozR 3850 § 51 Nr. 9). Für den Nachweis des ursächlichen Zusammenhangs zwischen (Primär-) Schädigung und Schädigungsfolgen genügt die einfache Wahrscheinlichkeit, § 1 Abs. 3 BVG. Weitere Voraussetzung für die Zahlung einer Versorgungsgrundrente ist, dass die Schädigungsfolgen eine Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) um mindestens 25 v.H. bedingen (§ 31 Abs. 2 BVG). Letztere Voraussetzung ist hier nicht erfüllt. Denn die schädigungsbedingte MdE des Klägers beträgt weniger als 25 v.H ...
Als Schädigungsfolge iSd § 1 BVG kann entsprechend dem Teilanerkenntnis des Beklagten im Termin vor dem Senat lediglich eine "knapp geringgradige Schallempfindungsschwerhörigkeit mit rechtsseitigem kompensierten Tinnitus" anerkannt werden. Diese Schädigungsfolge bedingt keine MdE um wenigstens 25 v.H. Dies folgt zur Überzeugung des Senats aus den von den Sachverständigen insgesamt erhobenen Befunden und ihren medizinisch begründeten Bewertungen. Auch unter Berücksichtigung der für den Kläger günstigsten Beurteilung des Priv.-Doz. Dr. C lässt sich lediglich eine MdE um 10 v. H. für die Schwerhörigkeit und von unter 10 v.H. für den kompensierten Tinnitus rechts in Ansatz bringen. Dies ergibt für das schädigungsbedingte Ohrenleiden entsprechend der eher großzügigen Bewertung des Priv.-Doz. Dr. C allenfalls eine MdE um 15 v. H ...
Gesichtspunkte, aus denen sich entgegen den Beurteilungen der Sachverständigen eine höhere MdE herleiten ließe, sind weder erkennbar noch vorgetragen.
Weitere Schädigungsfolgen sind nicht vorhanden. Insbesondere kann die von Dr. C beschriebene und mit einer MdE um 20 v.H. bewertete "Persönlichkeitsstörung, nicht näher klassifizierbar" entgegen der Auffassung des Sozialgerichts nicht als Schädigungsfolge anerkannt werden. Der Senat sieht unter Zugrundelegung der Angaben des Klägers (§ 15 Verwaltungsverfahrensgesetz - Kriegsopferversorgung) durchaus, dass der Kläger während des von ihm geschilderten Einsatzes beim Volkssturm ab Januar 1945 ganz erheblichen seelischen Belastungen ausgesetzt gewesen ist. Allerdings ist schon fraglich, ob hierdurch damals eine gesundheitliche - psychische - (Primär-) Schädigung eingetreten ist. Insoweit fehlt es an jeglichem Nachweis. Medizinische Unterlagen, die eine solche Schädigung belegen könnten, sind nicht vorhanden. Auch der Vortrag des Klägers enthält keine substantiierte Schilderung einer damals aufgetretenen psychischen Gesundheitsstörung. Aber selbst wenn man zu Gunsten des Klägers eine (Primär-) Schädigung unterstellt und davon ausgeht, dass die seelischen Belastungen, denen der Kläger während seines Dienstes beim Volkssturm ausgesetzt gewesen ist, damals eine psychischen Traumatisierung hervorgerufen haben, lässt es sich nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellen, dass die heute beim Kläger vorhandenen psychischen Auffälligkeiten die Folge einer solchen etwaigen Traumatisierung sind. Unter Würdigung der medizinischen Ausführungen des Dr. C und des Dr. W sprechen zur Überzeugung des Senats mehr Gründe gegen als für einen solchen ursächlichen Zusammenhang. Soweit Dr. C meint, es müsse davon ausgegangen werden, dass ein 15 Jähriger Ereignisse, wie sie der Kläger beim Volkssturm erlebt hat, nicht adäquat verarbeiten könne und vielmehr sein ganzes Leben daran denke, so rechtfertigt dies noch nicht den Schluss, dass es sich bei der von Dr. C angenommenen Persönlichkeitsstörung um die Folgen eines psychischen Traumas (vgl. hierzu Nr. 71 der "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertengesetz" 1996) handelt. Angesichts der an eine posttraumatische Belastungsstörung zu stellenden Anforderungen (vgl. hierzu Niederschrift über die Tagung der Sektion "Versorgungsmedizin" des Ärztlichen Sachverständigenbeirats beim Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung vom 12. - 13.11.1997, die den Beteiligten zusammen mit der Beweisanordnung des Senats vom 16.04.2003 zugeleitet worden ist) spricht gegen die Beurteilung des Dr. C bereits der Umstand, dass Dr. C die Persönlichkeitsstörung nicht näher klassifizieren kann.
Demgegenüber erachtet der Senat die Beurteilung des Dr. W für nachvollziehbar und überzeugend. Dabei kann es im Ergebnis dahingestellt bleiben, ob man wie Dr. C den beim Kläger vorhandenen psychischen Auffälligkeiten eine MdE um 20 v. H. beimisst oder wie Dr. W von einer akzentuierten Persönlichkeit ohne wesentlichen Krankheitswert ausgeht. Maßgeblich ist insoweit, dass sich nach der den Senat überzeugenden Befunderhebung und Beurteilung des Dr. W jedenfalls eine einem erlebnisreaktiven bzw. einem erlebnisbedingten Persönlichkeitswandel zuzuordnende gesundheitliche Störung nicht hat feststellen lassen. Typische Symptome hierfür fehlten. Auch fanden sich keine Hinweise auf eine posttraumatische Belastungsstörung in Form von gesteigerter vegetativer Erregbarkeit und Angstbereitschaft sowie abnormen Nachhallerinnerungen und erlebnisbezogenen Angstträumen. Ebenso wenig zeigten sich Symptome eines erlebnisbedingten Persönlichkeitswandels wie Depressivität, Introvertiertheit bzw. gesteigerte affektive Labilität mit abnormer Verletzlichkeit bzw. gesteigerte Angstbereitschaft.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Satz 1 oder 2 SGG) sind nicht gegeben.
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