L 11 KR 2654/18 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 15 KR 1266/18 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 2654/18 ER-B
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
Vollstreckt eine Krankenkasse nach dem VwVG, ist zuständige
Vollstreckungsbehörde für Geldforderungen das Hauptzollamt.
Gegen Vollstreckungsmaßnahmen des Hauptzollamtes sind die Rechtsbehelfe von Abgabenordnung und Finanzgerichtsordnung gegeben.
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 22.06.2018 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind im Beschwerdeverfahren nicht zu erstatten.

Gründe:

Der Antragsteller begehrt im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Einstellung der Vollstreckung von Beitragsforderungen durch die Antragsgegnerin in Höhe von 3.611,21 EUR.

Der Antragsteller ist als selbständiger Handelsvertreter berufstätig und bei der Antragsgegnerin freiwillig krankenversichert. Für die Zeit vom 01.01.2014 bis zum 30.06.2017 erhob die Antragsgegnerin die Beiträge auf der Basis der jeweils geltenden Beitragsbemessungsgrenze. Mit Bescheid vom 07.04.2017 setzte das Finanzamt W. die Einkommensteuer für das Jahr 2015 fest. Dieser Steuerfestsetzung legte das Finanzamt Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von 157.833 EUR zugrunde. Mit Bescheid vom 04.05.2017 setzte das Finanzamt den Gewerbesteuermessbetrag für Zwecke der Vorauszahlungen ab 2017 auf 0 EUR fest. Beide Bescheide übersandte der Antragsteller an die Antragsgegnerin, wo sie am 06.06.2017 eingingen.

Mit Bescheid vom 11.07.2017 setzte die Antragsgegnerin die Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung auf der Grundlage eines monatlichen Einkommens von 2.231,25 EUR auf 391,59 EUR fest (Krankenversicherung: 334,69 EUR, Pflegeversicherung 56,90 EUR). Sie führte ferner aus, dieser Beitragsbescheid gelte unter Vorbehalt. Sollte sich aus dem Steuerbescheid ein höheres als das geschätzte Einkommen ergeben, würden Beiträge nacherhoben. Bei geringeren Einkommen würden - unter Berücksichtigung der Mindestbeitragsbemessungsgrenze - Differenzbeträge erstattet. Für das Jahr 2017 liege das gesetzlich vorgegebene Mindesteinkommen bei 2.231,25 EUR. Gegen diesen Bescheid legte der Antragsteller Widerspruch ein und machte geltend, die neue Einstufung hätte bei zügiger Bearbeitung schon zum 01.06.2017 erfolgen müssen. Mit Widerspruchsbescheid vom 27.09.2017 wies der Widerspruchsausschuss der Antragstellerin den Widerspruch als unbegründet zurück. Rechtsbehelfe gegen diese Entscheidung wurden nicht eingelegt.

Der Antragsteller entrichtete die ab 01.07.2017 geforderten Beiträge nicht bzw nicht vollständig. Mit Bescheid vom 08.11.2017 ordnete die Antragstellerin das Ruhen der Leistungen an.

Die Antragsgegnerin setzte unter Hinweis auf die ab dem Folgejahr geltende höhere Mindestbemessungsgrundlage mit Bescheid vom 22.12.2017 die ab 01.01.2018 von ihr geforderten Beiträge für die freiwillige Krankenversicherung und die Pflegeversicherung auf monatlich 400,81 EUR fest. Sie führte aus, dieser Bescheid ergehe unter Vorbehalt und gelte bis zur Vorlage eines neuen Steuerbescheides.

Am 25.01.2018 machte der Antragsteller geltend, nach seinen Informationen würden für ihn ab 01.01.2018 neue Bedingungen zur Rückzahlung zu viel gezahlter Beiträge bestehen. Nach der Steuererklärung von 2016 – erstellt im Mai 2017 – habe er vom 01.01.2016 bis zum 01.07.2017 statt 7.054,38 EUR einen Betrag von 13.233,78 EUR, also 6.179 EUR zu viel bezahlt. Dass man ihn nun mit den rückständigen 2.600 EUR massiv unter Druck setzte und ihm ständig mit dem Ruhen des Leistungsanspruches drohe, statt ihm entgegenzukommen und zumindest auf den rückständigen Betrag zu verzichten, lasse ihn an der kundenorientierten Haltung der Antragsgegnerin zweifeln. Er bitte deshalb, seinen Fall noch einmal zu prüfen. Die Antragsgegnerin wertete diese Schreiben als Antrag gemäß § 44 SGB X auf Überprüfung der für den Zeitraum vom 01.01.2016 bis zum 30.04.2017 gezahlten Beiträge und lehnte eine Änderung ihrer Beitragsbescheide für diesen Zeitraum mit Bescheid vom 26.01.2018 und Widerspruchsbescheid vom 26.04.2018 ab. Die ab 01.01.2018 geltenden Regelungen könnten nicht rückwirkend bereits ab 2016 angewendet werden.

Am 07.02.2018 stellte der Antragsteller zudem einen Antrag auf Beitragsentlastung für freiwillig versicherte Selbständige, dem die Antragsgegnerin stattgab. Mit Bescheid vom 13.02.2018 ermäßige sie ab dem 01.03.2018 den monatlich zu zahlenden Beitrag für die Kranken- und Pflegeversicherung auf 267,20 EUR.

Unter der Überschrift "Mahnung und Ruhen Ihres Leistungsanspruches" forderte die Antragsgegnerin den Antragsteller auf, einen Betrag von 3.611,21 EUR innerhalb einer Woche zu überweisen. Andernfalls sei sie gezwungen, diesen Betrag durch die zuständige Vollstreckungsbehörde einziehen zu lassen. Dem Schreiben war eine Übersicht über die rückständigen Beiträge beigefügt.

Mit einer Vollstreckungsankündigung vom 05.04.2018 wandte sich das Hauptzollamt Lörrach an den Antragsteller und forderte ihn auf, den rückständigen Betrag von 3.114,90 EUR zu zahlen.

Am 03.05.2018 hat der Antragsteller Klage beim Sozialgericht Mannheim (SG) erhoben. Er wandte sich gegen "den Bescheid vom 22.12.2017 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 26.04.2018" und machte die Rückforderung zu viel gezahlter Beiträge aus den Jahren 2016 und 2017 geltend oder zumindest die zu viel gezahlten Beiträge mit den rückständigen Beiträgen zu verrechnen.

Am 07.05.2018 stellte er beim SG den Antrag, die Vollstreckung durch die Antragsgegnerin einzustellen. Die Antragsgegnerin ist dem Antrag entgegengetreten. Der Antragsteller habe in der Vergangenheit eine Stundungsvereinbarung im Rahmen einer Ratenzahlung nicht eingehalten. Sie sehe daher ihren Anspruch als gefährdet an. Mit Beschluss vom 22.06.2018 hat das SG den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt.

Am 21.07.2018 hat der Antragsteller Beschwerde eingelegt und ausführlich seine finanzielle Situation geschildert. Seine wirtschaftliche Lage habe sich sehr verschlechtert, nachdem sein größter und nahezu einziger Auftraggeber zum Ende des Jahres 2014 die Geschäftsbeziehung beendet habe.

Der Antragsteller beantragt,

den Beschluss des Sozialgerichts Mannheim vom 22.06.2018 aufzuheben und die Vollstreckung vorläufig einzustellen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

Sie hält die Entscheidung des SG für zutreffend.

II.

Die Beschwerde des Antragstellers hat keinen Erfolg.

Der Senat entscheidet durch Beschluss (§ 176 Sozialgerichtsgesetz - SGG). Eine mündliche Verhandlung wird nicht für erforderlich gehalten (§§ 153 Abs 1, 124 Abs 3 SGG). Die form- und fristgerecht (§ 173 SGG) und auch ansonsten nach § 172 SGG statthafte Beschwerde ist zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet. Das SG hat den Antrag zu Recht abgelehnt.

Nach § 86b Abs 2 Satz 2 SGG sind einstweilige Anordnungen zur Regelung eines vorläufigen Zustands in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint. Für den Erlass einer einstweiligen Anordnung ist Voraussetzung, dass ein dem Antragsteller zustehendes Recht oder rechtlich geschütztes Interesse vorliegen muss (Anordnungsanspruch), das ohne Gewährung des vorläufigen Rechtsschutzes vereitelt oder wesentlich erschwert würde, so dass dem Antragsteller schwere, unzumutbare Nachteile entstünden, zu deren nachträglicher Beseitigung die Entscheidung in der Hauptsache nicht mehr in der Lage wäre (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund müssen glaubhaft gemacht sein (§ 86b Abs 2 Satz 4 SGG iVm § 920 Abs 2 Zivilprozessordnung [ZPO]). Glaubhaftmachung liegt vor, wenn das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs und eines Anordnungsgrunds überwiegend wahrscheinlich sind. Dabei dürfen sich die Gerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren (BVerfG 13.04.2010, 1 BvR 216/07; BVerfG, 06.08.2014, 1 BvR 1453/12, juris).

Die Voraussetzungen für den Erlass einer einstweiligen Anordnung sind nicht erfüllt. Mit Bescheid vom 26.01.2018 und Widerspruchsbescheid vom 26.04.2018 lehnte die Antragsgegnerin einen Antrag des Antragstellers nach § 44 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) auf Änderung der für den Zeitraum vom 01.01.2016 bis zum 30.04.2017 gezahlten Beiträge ab. Diese Entscheidung kann von der Antragsgegnerin nicht vollstreckt werden, da die Ablehnung eines Antrages keine vollziehbare und vollstreckbare Regelung beinhaltet. Die Vollstreckung durch die Antragsgegnerin erfolgt auch nicht aus dem Bescheid vom 26.01.2018.

Einer Krankenkasse stehen gemäß § 66 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) zwei Vollstreckungsmöglichkeiten zur Verfügung. Sie kann die Vollstreckung gemäß § 66 SGB X nach den jeweils einschlägigen Verwaltungsvollstreckungsgesetzen des Bundes und der Länder oder nach § 66 Abs 4 Satz 1 SGB X in entsprechender Anwendung der Vorschriften der Zivilprozessordnung vornehmen. Als Vollstreckungstitel kommt bei einer Vollstreckung in entsprechender Anwendung der Zivilprozessordnung nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) nur der Verwaltungsakt (Leistungsbescheid) selbst in Betracht (BGH 25.02.2016, V ZB 25/15, MDR 2016, 751). Auch für die Verwaltungsvollstreckung bedarf es als Voraussetzung der Vollstreckung eines Leistungsbescheides (§ 3 Abs 2 Buchst a) VwVG). Das VwVG ist hier anwendbar, da es sich bei der Antragsgegnerin um eine bundesunmittelbare Körperschaft handelt.

Wählt die Krankenkasse – wie hier die Antragsgegnerin – die Vollstreckung nach dem VwVG, ist die zuständige Vollstreckungsbehörde für Geldforderungen das Hauptzollamt (§ 4 VwVG iVm § 249 Abs 1 S 3 Abgabenordnung – AO). Dieses wird im Wege der Amtshilfe tätig. Wendet sich der Schuldner (hier: der Antragsteller) gegen Vollstreckungsmaßnahmen des Hauptzollamtes, sind die Rechtsbehelfe von AO und Finanzgerichtsordnung (FGO) gegeben. Die Gewährung von vorläufigem Rechtsschutz erfolgt durch Aussetzung der Vollziehung auf der Grundlage von § 361 AO und § 69 FGO (zum Ganzen Becker SGb 2018, 456, 463).

Der Antragsteller macht ausschließlich materiell-rechtliche Einwendungen (rechtswidrige Beitragserhebung) geltend. Dabei bemängelt er nicht die Höhe der ab 01.07.2017 geforderten Beiträge, die im Übrigen nach seinem Vorbringen und nach Lage der Akten auch bestandskräftig festgesetzt wurden. Er ist der Ansicht, dass diese Beiträge - zumindest teilweise - durch die von ihm erklärte Aufrechnung mit Ansprüchen auf Rückzahlung von Beiträgen für das Jahr 2016 bereits erloschen sind bzw erfüllt wurden (§ 389 BGB analog). In diesem Fall wäre die Vollstreckung nach § 257 Abs 1 Nr 3 Abgabenordnung (AO) einzustellen. Danach müsste hier zunächst das Hauptzollamt als Vollstreckungsbehörde entscheiden (§ 361 Abs 2 AO; hierzu Becker SGb 2018, 456, 464). Eine solche Entscheidung ist bislang nicht ergangen. Unabhängig davon ist der Senat der Ansicht, dass die vom Antragsteller geltend gemachten Rückforderungsansprüche gar nicht bestehen. Der Senat geht davon aus, dass die Beitragsbescheide der Antragsgegnerin für die Zeit vom 01.01.2016 bis zum 30.06.2017 rechtmäßig sind. Die Antragsgegnerin hat zutreffend darauf hingewiesen, dass die ab 01.01.2018 geltende Regelung, wonach Beiträge zunächst vorläufig und erst nach Vorliegen eines Einkommensteuerbescheides für das betreffende Jahr endgültig festgesetzt werden (§240 Abs 4a SGB V) nicht für die Beitragserhebung vor dem Jahr 2018 gilt. Nach dem bis zum 31.12.2017 hier noch maßgeblichen Recht werden die Beiträge auf der Grundlage eines Einkommensteuerbescheides nicht nur vorläufig, sondern endgültig festgesetzt und diese endgültige Festsetzung bis zum Erlass bzw der Vorlage eines neuen Einkommensteuerbescheides beibehalten. Daran hat sich die Antragsgegnerin orientiert.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).
Rechtskraft
Aus
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