S 21 KR 148/12

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Wiesbaden (HES)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
21
1. Instanz
SG Wiesbaden (HES)
Aktenzeichen
S 21 KR 148/12
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 8 KR 335/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 12 KR 15/18 R
Datum
Kategorie
Urteil
1. Die Beklagte zu 2.) wird verurteilt, an die Beigeladene 33.913,85 Euro als Arbeitgeberanteil zu zahlen.

2. Die Beklagte zu 2.) wird verurteilt, an die Beigeladene 1.176,20 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab 16.09.2011 zu zahlen.

3. Die Klage gegen die Beklagte zu 1.) wird abgewiesen.

4. Die Beklagte zu 2.) hat die außergerichtlichen Kosten des Klägers zu tragen. Der Kläger hat die außergerichtlichen Kosten der Beklagten zu 1.) zu tragen. Weitere Kosten werden nicht erstattet.

Tatbestand:

Der 1954 geborene Kläger begehrt von der Beklagten zu 2.), seiner ehemaligen Arbeitgeberin, sowie von deren Konzernmutter, der Beklagten zu 1.), die nachträgliche Zahlung eines seiner Ansicht nach ausstehenden Teils des Arbeitgeberanteils am Gesamtsozialversicherungsbeitrag auf ein auf die Deutsche Rentenversicherung Bund, die Beigeladene, übertragenes Wertguthaben.

Der Kläger war bei der Beklagten zu 2.) 38 Jahre lang als Arbeitnehmer beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde zum 31.10.2010 einvernehmlich durch Aufhebungsvereinbarung beendet. Während des laufenden Arbeitsverhältnisses hatte der Kläger die sich aus einer Konzernbetriebsvereinbarung ergebende Möglichkeit genutzt, ein Arbeitszeitwertkonto bei der Beklagten zu 2.) führen zu lassen, in das er Arbeitsentgelt einbrachte, um damit für einen späteren Zeitraum eine bezahlte Freistellung zu finanzieren (sogenanntes Wertguthaben). Bei Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses wurde in einer Ergänzung zum Aufhebungsvertrag vom 31.05.2010 vereinbart, dass der Kläger auf Antrag das angesparte Wertguthaben auf die Beigeladene übertragen lassen könne. Für den Fall, dass der Kläger den Antrag nicht oder nicht fristgerecht stellen sollte, wurde vereinbart, dass die Abwicklung des angesparten Wertguthabens nach den Vorschriften des Störfalls nach § 23b Abs. 2 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) erfolgen werde. Der Kläger entschied sich für die Übertragung des Wertguthabens auf die Beigeladene und nahm seine hierzu erforderlichen Mitwirkungshandlungen fristgerecht vor. In der Folge übertrug die Beklagte zu 2.) einen Betrag in Höhe von 312.902,58 Euro an die Beigeladene; aufgrund eines Rechenfehlers waren dies jedoch 12.655,45 Euro mehr als die Beklagte zu 2.) eigentlich übertragen wollte. Die Beklagte war von einem Gesamtbetrag des dem Kläger zustehenden Wertguthabens inklusive des Arbeitgeberanteils am Gesamtsozialversicherungsbeitrag in Höhe von 300.247,13 Euro ausgegangen, davon mache der Arbeitgeberanteil laut der Beklagten zu 2.) 1.449,05 Euro aus.

Die Beigeladene teilte nach Überprüfung der Zahlung mit Schreiben vom 02.03.2011 an die Beklagte zu 2.) wiederum mit, dass die von der Beklagten zu 2.) angenommene geschuldete Gesamtsumme in Höhe von 300.247,13 Euro ihres Erachtens nicht die Arbeitgeberanteile am Gesamtsozialversicherungsbeitrag in voller Höhe enthalte. Das zu übertragende Wertguthaben müsse auch die Arbeitgeberanteile am Gesamtsozialversicherungsbeitrag für Wertguthabenbestandteile enthalten, die aus Arbeitsentgelten oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze angespart worden seien. Eine Begrenzung der Beiträge auf die Höhe, die im Störfall anfielen, liege bei der Übertragung des Wertguthabens gerade nicht vor. Im Fall des Klägers seien zumindest Arbeitgeberanteile zur Renten- und Arbeitslosenversicherung in das Wertguthaben einzustellen. Ausgehend von einem Netto-Wertguthaben von 298.798,08 Euro seien dies 33.913,58 Euro. Die Beklagte zu 2.) müsse daher einen Gesamtbetrag in Höhe von 332.711,66 Euro übertragen, andernfalls wäre die Annahme des Wertguthabens abzulehnen.

Der Kläger hat, vertreten durch seine Prozessbevollmächtigte, am 03.06.2011 Klage vor dem Arbeitsgericht Frankfurt am Main erhoben. Am 25.01.2012 wurde der Rechtsstreit an das Sozialgericht Wiesbaden verwiesen.

Der Kläger begründet seine Klage damit, dass seit einer Gesetzesänderung im Jahr 2009 das Wertguthaben neben den Arbeitsentgelten nun auch die auf diese Arbeitsentgelte anfallenden Arbeitgeberbeitragsanteile am Gesamtsozialversicherungsbeitrag umfasse. Die Beigeladene sei als Treuhänderin des Wertguthabens verpflichtet, den fehlenden Arbeitgeberanteil nachzufordern. Er habe daher einen Anspruch auf ordnungsgemäße Übertragung des Wertguthabens und damit Anspruch auf den gesamten Arbeitgeberbeitragsanteil gemäß § 7d Abs. 1 SGB IV ohne Begrenzung auf die Beitragsbemessungsgrenze.

Aufgrund einer im Laufe des Gerichtsverfahrens angefallenen Steuerrückerstattung, die sich auch auf das Wertguthabens des Klägers auswirkte, beträgt das Netto-Arbeitsentgeltguthaben unstreitig nunmehr 299.834,38 Euro. Nach Ansicht des Klägers sowie der Beigeladenen ergebe sich hieraus ein Gesamtwertguthaben in Höhe von 333.865,58 Euro (Berechnungsaufstellung: Blatt 169 der Gerichtsakte).

Der Kläger beantragt,
1. die Beklagten zu verurteilen, an die Beigeladene 33.913,85 Euro als Arbeitgeberanteil zu zahlen,
2. die Beklagten zu verurteilen, an die Beigeladene 1.176,20 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagten beantragen beide,
die Klage abzuweisen.

Die Beklagte zu 1.) teilt mit, dass sie niemals Arbeitgeberin des Klägers gewesen sei und daher Ansprüche gegen sie weder konkret vorgetragen noch sonst ersichtlich seien.

Die Beklagte zu 2.) erwidert, dass sie ihren Arbeitgeberbeitragsanteil richtigerweise auf 1.449,05 Euro berechnet habe. Dieser sei aus der Beitragsbemessungsgrenze berechnet, denn im Falle eines Störfalls sei der Arbeitgeberbeitragsanteil bis zu dieser Grenze zu zahlen. Sowohl aus der Konzernbetriebsvereinbarung als auch aus § 7d Abs. 1 SGB IV ergebe sich, dass kein Arbeitgeberanteil anfalle, wenn die eingezahlten Arbeitsentgelte oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze lägen. Die Übertragung des Wertguthabens an einen neuen Arbeitgeber oder die Beigeladene hätten lediglich den Vorteil, dass es zunächst nicht zu einem Störfall komme, sondern die Entscheidung offen bleibe, ob zu einem späteren Zeitpunkt eine bezahlte Freistellung in Anspruch genommen werde. Hierin sei ein Unterfall eines Störfalls zu sehen, der wie ein Störfall abzuwickeln sei. Damit habe nur eine Auszahlung des Wertguthabens mit einer Verbeitragung aus der SV-Luft zu erfolgen.

Mit Schreiben vom 08.02.2016 lehnte die Beigeladene die zuvor durch den Kläger in Anspruch genommene Auszahlung aus dem Wertguthaben für die Zeit ab dem 01.03.2016 mit der Begründung ab, dass es sich bei dem verbleibenden Guthaben nicht um ein Wertguthaben im Rechtssinne handle, solange nicht die Arbeitgeberanteile am Gesamtsozialversicherungsbeitrag in voller Höhe eingestellt würden. Verbleibe es bei dem Netto-Wertguthaben, sei dies an die Beklagte zu 2.) zur Störfallabrechnung zurückzuüberweisen.

Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten sowie der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist als echte Leistungsklage zulässig und gegen die Beklagte zu 2.) auch begründet. Ansprüche gegen die Beklagte zu 1.) bestehen mangels Rechtsbeziehung zwischen ihr und dem Kläger nicht.

Der Kläger hat gegen die Beklagte zu 2.) einen Anspruch auf ordnungsgemäße Übertragung des angesparten Wertguthabens inklusive des darauf anfallenden Arbeitgeberanteils am Gesamtsozialversicherungsbeitrag auch für angesparte Arbeitsentgeltanteile, die oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze lagen. Das heißt, er hat Anspruch auf die weitere Übertragung von Wertguthaben in Höhe von 35.090,05 Euro nebst den beantragten Zinsen.

Dass das Wertguthaben neben dem Arbeitsentgeltguthaben auch den daraus anfallenden Arbeitgeberanteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag enthalten muss, ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz (§ 7d Abs. 1 S. 1 SGB IV) sowie – zwischen den Beteiligten – für den hier eingetretenen Fall der Übertragung des Wertguthabens auch aus der Konzernbetriebsvereinbarung, Ziffer 10: "Das Arbeitsentgeltguthaben wird, sofern gesetzlich gefordert, inklusive des auf das Arbeitsentgeltguthaben entfallenden Arbeitgeberanteils am Gesamtsozialversicherungsbeitrag übertragen." Dass vorliegend auch für Arbeitsentgeltanteile, die oberhalb der Beitragsbemessungsgrenze liegen, der Arbeitgeberanteil am Gesamtsozialversicherungsbeitrag geschuldet wird, ergibt sich aus folgenden Erwägungen:

Bei der – wie hier – vom Berechtigten regelmäßig in Anspruch genommenen Auszahlung des Wertguthabens zur Bestreitung des Lebensunterhalts nach Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses und nach Übertragung des Wertguthabens auf die Beigeladene muss nach Ansicht des Gerichts so verfahren werden, wie es für den Fall des Fortbestehens des Beschäftigungsverhältnisses und der Inanspruchnahme einer bezahlten Freistellungsphase zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 2.) gesetzlich sowie vertraglich vorgesehen war. Denn die ursprünglich geplante bezahlte Freistellungsphase im bestehenden Arbeitsverhältnis und die dann tatsächlich eingetretene Situation, nämlich die Inanspruchnahme des Wertguthabens zur Bestreitung des Lebensunterhalts während einer beschäftigungsfreien Zeit nach Ende des Arbeitsverhältnisses, sind durchaus vergleichbar. Sie unterscheiden sich lediglich dadurch, dass an die Stelle der Beklagten zu 2.) als Arbeitgeberin nun die Beigeladene als Quasi-Arbeitgeberin getreten ist.

Im Fall der ungestörten, planmäßig in Anspruch genommenen Freistellung während des laufenden Arbeitsverhältnisses sind nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts Beiträge zur Sozialversicherung unabhängig davon zu erheben, ob dieses Wertguthaben aus Arbeitsentgelt herrührt, das in der sogenannten Ansparphase die Beitragsbemessungsgrenze überschritt (Urteil des Bundessozialgerichts vom 20.03.2013 – B 12 KR 7/11 R). Würde man dies anders handhaben, hieße das, dass der Berechtigte in der Freistellungsphase zwar gegen die Risiken wie Krankheit, Pflegebedürftigkeit und Arbeitslosigkeit und ggf. auch Invalidität und Alter umfassend versichert wäre, aber für diesen Versicherungsschutz (weitere) Beiträge nicht gezahlt werden müssten. Dies würde zum einen die Versichertengemeinschaft unangemessen belasten und zum anderen wäre der zeitliche Zusammenhang zwischen dem bestehenden Versicherungsschutz und der Beitragszahlung gestört (BSG, a.a.O.).

Etwas anderes kann auch in der hier vorliegenden Situation des Klägers Inanspruchnahme des Wertguthabens zur Bestreitung des Lebensunterhalts in Zeiten, in denen er keine Beschäftigung ausübt, nach Übertragung des Wertguthabens an die treuhänderisch handelnde Beigeladene (siehe hierzu § 7d Abs. 2 SGB IV) – nicht gelten. Einziger relevanter Unterschied zur Situation einer planmäßig in Anspruch genommenen Freistellung bei einem fortbestehenden Arbeitsverhältnis ist, wie oben bereits angesprochen, dass nun die Beigeladene als Quasi-Arbeitgeberin an die Stelle der ehemaligen Arbeitgeberin tritt, treuhänderisch das Wertguthaben verwaltet und die daraus resultierenden Pflichten, wie z.B. die Abführung der Sozialversicherungsbeiträge, erfüllt (§ 7f Abs. 1 S. 2 SGB IV).

Vor allem lässt sich diese Lösung aber auch auf den Willen des Gesetzgebers zurückführen: Aus der Begründung des Gesetzentwurfes der Bundesregierung zur Verbesserung der Rahmenbedingungen für die Absicherung flexibler Arbeitszeitregelungen vom 22.09.2008 (BT-Drucks. 16/10289) ergibt sich, dass die Einführung der Möglichkeit der Übertragung des Wertguthabens auf einen neuen Arbeitgeber oder die Deutsche Rentenversicherung Bund gerade das Ziel hatte, den zuvor häufig eingetretenen Störfall bei Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses zu vermeiden. Auch die gleichzeitig mit dieser Übertragungsmöglichkeit zum 01.09.2009 eingeführte Fiktion der Beschäftigung nach Ende des früheren Beschäftigungsverhältnisses für die Dauer der Entnahme aus dem der Deutschen Rentenversicherung Bund übertragenen Wertguthaben nach § 7 Abs. 3 S. 2 SGB IV zeigt, dass in dieser Situation, anders als die Beklagte zu 2.) meint, gerade kein Störfall bzw. Unterfall eines Störfalls gegeben sein soll, sondern die aus dem Wertguthaben finanzierte Freistellungsphase nun lediglich durch die Deutsche Rentenversicherung Bund als Treuhänderin administrativ gestaltet und begleitet wird. Dies ergibt sich schließlich auch aus der zwischen dem Kläger und der Beklagten zu 2.) getroffenen Ergänzung zum Aufhebungsvertrag vom 31.05.2010, die dem Kläger ja gerade die Möglichkeit eröffnete, zwischen der Abwicklung des Wertguthabens als Störfall nach den für diesen Fall vorgesehenen gesetzlichen Vorschriften oder – zur Vermeidung des Störfalls – der Übertragung an die Beigeladene zu wählen.

Der Klage gegen die Beklagte zu 2.) war daher stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.

Die Berufung gegen das Urteil ist gemäß § 143 SGG zulässig.

Die Sprungrevision zum Bundessozialgericht wird nicht zugelassen, weil das Gericht keine der in § 160 Abs. 2 SGG aufgezählten Zulassungsgründe für gegeben hält. Die Kammer kann in dem vorliegenden Rechtsstreit insbesondere weder einen Fall der Abweichung von der höchstrichterlichen Rechtsprechung noch einen Fall erblicken, der eine ungeklärte Rechtsfrage grundsätzlicher Art aufwirft.
Rechtskraft
Aus
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