L 14 AL 139/98

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 58 AL 2537/98
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 14 AL 139/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. Oktober 1998 aufgehoben. Die Klage wird abgewiesen. Kosten sind für beide Rechtszüge nicht zu erstatten. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Gewährung von Arbeitslosenhilfe ohne Abzug eines Anrechnungsbetrages, weil (fiktive) Aufwendungen für eine freiwillige Krankenversicherung zu berücksichtigen sowie ein wegen Einmalzahlungen erhöhtes Arbeitsentgelt zugrunde zu legen seien.

Der 1959 geborene, verheiratete Kläger war bis zum 30. November 1996 beitragspflichtig beschäftigt. Ab dem 1. Dezember 1996 war er freigestellt; das Arbeitsverhältnis endete am 31. Dezember 1996. Er meldete sich am 7. November 1996 arbeitslos und beantragte, ihm Arbeitslosengeld zu gewähren. Die Beklagte bewilligte und gewährte ihm daraufhin Arbeitslosengeld ab dem 2. Dezember 1996 bis zur Erschöpfung des Anspruchs am 29. November 1997. Dabei legte sie ein vom Kläger in den Monaten Juni bis November 1996 in 1.016 Stunden bei einer wöchentlichen Arbeitszeit von 39 Stunden erzieltes Arbeitsentgelt in Höhe von insgesamt 27.397,32 DM (wöchentliches Arbeitsentgelt 1.051,67 DM; gerundet: 1.050,- DM) zugrunde.

Seinen am 19. November 1997 gestellten Antrag, ihm im Anschluss an die Gewährung von Arbeitslosengeld Arbeitslosenhilfe zu gewähren, lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 15. Dezember 1997 ab, da der Kläger wegen zu berücksichtigenden Vermögens für 17 Wochen nicht bedürftig sei. Widerspruch und Klage blieben erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 19. Januar 1998, Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 8. Februar 2000). Die von ihm eingelegte Berufung nahm der Kläger in der mündlichen Verhandlung vor dem Landessozialgericht Berlin am 12. Juli 2002 zurück.

Am 9. März 1998 meldete sich der Kläger erneut arbeitslos und beantragte, ihm Arbeitslosenhilfe zu gewähren. Mit Bescheid vom 25. März 1998 bewilligte die Beklagte ihm Arbeitslosenhilfe ab dem 30. März 1998 bis zum 29. März 1999 (Ablauf des Bewilligungsabschnittes) auf der Grundlage eines wöchentlichen Bemessungsentgeltes von 1.050,- DM in Höhe von 259,70 DM wöchentlich (341,67 DM abzüglich eines davon abzusetzenden wöchentlichen Anrechnungsbetrages in Höhe von 81,97 DM; Leistungsgruppe A, erhöhter Leistungssatz). Diese Bewilligung änderte sie mit Änderungsbescheid vom 25. Mai 1998 von Beginn an dergestalt, dass sie Leistungen in Höhe von 274,40 DM (341,67 DM abzüglich eines wöchentlichen Anrechnungsbetrages in Höhe von 67,27 DM) bewilligte. Ferner änderte sie die Leistungsbewilligung mit Änderungsbescheid vom 7. Januar 1999 mit Wirkung ab 1. Januar 1999 dahin, dass nunmehr eine wöchentliche Leistung in Höhe von 279,72 DM (343,63 DM abzüglich eines Anrechnungsbetrages von 63,91 DM) bewilligt wurde, sowie mit weiterem Änderungsbescheid vom 21. Januar 1999 mit Wirkung ab 28. Januar 1999 dahin, dass nunmehr 306,81 DM wöchentlich (343,63 DM abzüglich eines Anrechnungsbetrages von 36,82 DM) bewilligt wurden. Gegen sämtliche (Änderungs-)Bescheide legte der Kläger Widerspruch ein; vor allem seien von dem zu berücksichtigenden Einkommen seiner Frau die Beiträge seiner freiwilligen Krankenversicherung abzuziehen. Mit Widerspruchsbescheid vom 11. Juni 1998 änderte die Beklagte ihren Bescheid vom 25. März 1998 in der Fassung des Bescheides vom 25. Mai 1998 und bewilligte dem Kläger Arbeitslosenhilfe in Höhe von 274,40 DM wöchentlich; im übrigen wies sie den Widerspruch des Klägers zurück. Von dem zu berücksichtigenden Einkommen seiner Ehefrau seien Aufwendungen für eine Krankenversicherung des Klägers ebenso wenig zu berücksichtigen wie Beiträge zur Kraftfahrversicherung und die Hundesteuer. Ab dem 30. März 1998 sei der Kläger in der gesetzlichen Krankenversicherung pflichtversichert, so dass Beiträge für eine freiwillige Krankenversicherung nicht zu zahlen seien.

Auf die am 1. Juli 1998 erhobene Klage, mit der der Kläger geltend gemacht hat, dass bei der Ermittlung des zu berücksichtigenden Einkommens seiner Ehefrau Aufwendungen für seine freiwillige Krankenversicherung während der Zeit, in der ihm Arbeitslosenhilfe nicht gezahlt worden sei, zu berücksichtigen seien, hat das Sozialgericht die Beklagte durch Urteil vom 30. Oktober 1998 unter Abänderung des Bescheides vom 25. März 1998 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 25. Mai 1998, diese in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 11. Juni 1998, verurteilt, dem Kläger mit Wirkung ab 30. März 1998 ungekürzte Arbeitslosenhilfe zu bewilligen. Die Aufwendungen für eine private Kranken- und Pflegeversicherung des Klägers seien einkommensmindernd zu berücksichtigen. Die Bedürftigkeit des Arbeitslosen sei aufgrund der Lage zu beurteilen, wie sie ohne Gewährung von Arbeitslosenhilfe bestehen würde. Durch die Gewährung der Arbeitslosenhilfe solle gerade die Bedürftigkeit des Arbeitslosen abgewendet werden. Es komme daher entscheidend auf die wirtschaftlichen Verhältnisse ohne den Bezug von Arbeitslosenhilfe an. Daher entfalle die Bedürftigkeit nicht bei der Gewährung von Arbeitslosenhilfe, so dass es unerheblich sei, ob durch den Bezug der Arbeitslosenhilfe Aufwendungen erspart werden könnten. Für diese Auffassung sprächen auch Gründe der Verwaltungspraktikabilität.

Gegen das ihr am 18. November 1998 zugestellte Urteil richtet sich die am 10. Dezember 1998 eingelegte Berufung der Beklagten. Sie ist weiterhin der Auffassung, dass Aufwendungen für eine freiwillige Krankenversicherung nicht zu berücksichtigen seien. Derartige Aufwendungen entstünden nicht, da der Kläger ab dem 30. März 1998 nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 des Fünften Buchs des Sozialgesetzbuches (SGB V) aufgrund des Leistungsbezuges pflichtversichert sei. Ab dem 1. Januar 1999 habe sich der Anrechnungsbetrag aufgrund der Erhöhung des Arbeitnehmer-Pauschbetrages und ab 28. Januar 1999 deshalb vermindert, weil nach Vollendung des 12. Lebensjahres der Tochter des Klägers ein höherer Unterhaltsbetrag abzusetzen gewesen sei. Über die gegen die entsprechenden Änderungsbescheide eingelegten Widersprüche des Klägers hat die Beklagte eine Entscheidung augenscheinlich nicht getroffen.

Für andere Versicherungen des Klägers und seiner Frau seien allerdings teilweise (geringfügig) höhere Aufwendungen zu berücksichtigen. Insoweit sei sie (die Beklagte) bereit, ihre Entscheidungen zugunsten des Klägers zu ändern.

Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Mai 2000 zur Berücksichtigung von Einmalzahlungen wirke sich auf die Höhe der steuerfinanzierten Arbeitslosenhilfe nicht aus.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 30. Oktober 1998 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die seine Auffassung bestätigende Entscheidung des Sozialgerichts für zutreffend. Tatsächlich habe er Beiträge für eine freiwillige Kranken- und Pflegeversicherung ab dem 30. März 1998 nicht gezahlt. Im Übrigen seien nach der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Mai 2000 auch bei der Bemessung der Höhe der Arbeitslosenhilfe Einmalzahlungen, von denen Beiträge zur Sozialversicherung erhoben worden seien, zu berücksichtigen.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie auf die von der Beklagten vorgelegte Leistungsakte Stamm-Nr, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist, verwiesen.

Entscheidungsgründe:

Die zulässige (§§ 143, 144 Abs. 1, 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes [SGG]) Berufung der Beklagten erweist sich als begründet; das Urteil des Sozialgerichts ist dementsprechend aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Gegenstand des Berufungsverfahrens sind - nachdem beide Beteiligte übereinstimmend den Streitgegenstand dahingehend beschränkt haben - allein die Fragen, ob dem Kläger für den Bewilligungsabschnitt vom 30. März 1998 bis 29. März 1999 höhere Arbeitslosenhilfe unter Berücksichtigung von Aufwendungen für eine freiwillige Krankenversicherung und unter Zugrundelegung eines wegen Einmalzahlungen zu erhöhenden Bemessungsentgelts zusteht. Die die Höhe der Arbeitslosenhilfe für diesen Zeitabschnitt (bzw. Teile davon) regelnden Festsetzungen der Beklagten in den Änderungsbescheiden vom 25. Mai 1998 sowie vom 7. und 21. Januar 1999 sind kraft Gesetzes (§§ 86 bzw. 96 SGG) Gegenstand des seinerzeit anhängigen Widerspruchsverfahrens bzw. des darauffolgenden Klageverfahrens geworden, so dass eine (weitere) Widerspruchsentscheidung über die von dem Kläger eingelegten Widersprüche nicht zu treffen war.

Der Senat vermag der Entscheidung des Sozialgerichts weder in der Begründung noch im Ergebnis zu folgen. Nach § 190 Abs. 1 Nr. 5 des Dritten Buchs des Sozialgesetzbuches (SGB III) haben Anspruch auf Arbeitslosenhilfe Arbeitnehmer, die - u.a. - bedürftig sind. Bedürftig ist nach § 193 Abs. 1 SGB III ein Arbeitsloser, soweit er seinen Lebensunterhalt nicht auf andere Weise als durch Arbeitslosenhilfe bestreitet oder bestreiten kann und das zu berücksichtigende Einkommen die Arbeitslosenhilfe nicht erreicht. Schon danach ist in Höhe von tatsächlich nicht entstehenden Aufwendungen ein Arbeitsloser nicht bedürftig, denn er kann seinen Lebensunterhalt insoweit ohne Arbeitslosenhilfe bestreiten. In dem hier streitigen Zeitraum ab dem 30. März 1998 sind dem Kläger aber tatsächlich keine Aufwendungen für eine freiwillige Kranken- oder Pflegeversicherung entstanden.

Tatsächlich nicht entstehende, sondern nur fiktive Aufwendungen sind auch nicht nach § 194 Abs. 2 Satz 2 SGB III von dem Einkommen des Arbeitslosen oder dem seines von ihm nicht dauernd getrenntlebenden Ehegatten abzusetzen. Nach dieser Bestimmung sind - nur - "Pflicht-beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung sowie Beiträge zu öffentlichen oder privaten Versicherungen oder ähnlichen Einrichtungen, soweit diese Beiträge gesetzlich vorgeschrieben oder nach Grund und Höhe angemessen sind", abzusetzen. Die hier in Rede stehenden (fiktiven) Beiträge zu einer freiwilligen Krankenversicherung sind nicht gesetzlich vorgeschrieben und wären auch dem Grunde nach nicht angemessen, denn aufgrund des Leistungsbezuges war der Kläger kraft Gesetzes (§ 5 Abs. 1 Nr. 2 SGB V) pflichtversichert; die Beiträge für diese Versicherung trug der Bund (§ 251 Abs. 4 SGB V).

Die vom Landessozialgericht Rheinland-Pfalz in seinem auch vom Sozialgericht angezogenen Urteil vom 28. Januar 1997 (L 1 Ar 43/96, info also 1997, 194 = NZS 1997, 535) angestellten Erwägungen sind auf den vorliegenden Fall schon deshalb nicht zu übertragen, weil in jenem Fall der dort betroffenen Klägerin - anders als dem Kläger im vorliegenden Streit - Arbeitslosenhilfe überhaupt nicht gewährt wurde und sie demzufolge - wiederum anders als der Kläger - auch nicht aufgrund des Bezuges von Arbeitslosenhilfe pflichtversichert war, sondern sich freiwillig krankenversicherte, wofür sie (bzw. ihr Ehemann) tatsächlich Aufwendungen zu erbringen hatte. Solche Aufwendungen sind dem Kläger hier aber gerade nicht entstanden. Es ist danach nicht näher zu erörtern, ob bzw. inwieweit den Überlegungen des Landessozialgerichts Rheinland-Pfalz in einem vergleichbaren Fall zu folgen wäre.

Dem Kläger steht höhere Arbeitslosenhilfe auch nicht deshalb zu, weil das ihrer Berechnung zugrunde gelegte Bemessungsentgelt aufgrund von Einmalzahlungen zu erhöhen wäre. Abgesehen davon, dass der durch das Urteil des Sozialgerichts nicht beschwerte Kläger, der folgerichtig auch keine Berufung eingelegt hat, damit im Berufungsverfahren sein Klagebegehren auf einen neuen Sachverhalt stützt, steht dem bereits entgegen, dass nicht erkennbar ist, dass er im Bemessungszeitraum überhaupt Einmalzahlungen erhalten hat, von denen Beiträge zur Sozialversicherung abgeführt wurden und die nicht bei der Leistungsbemessung berücksichtigt worden sind. Dies ergibt sich jedenfalls aus der von seinem letzten Arbeitgeber ausgefüllten Arbeitsbescheinigung nicht. Auch hat der in der mündlichen Verhandlung dazu befragte Kläger nicht behauptet, im Bemessungszeitraum derartige Einmalzahlungen erhalten zu haben, die bei der Ermittlung des Bemessungsentgelts unberücksichtigt geblieben wären. Tatsächlich hat die Beklagte bei der Berechnung der Arbeitslosenhilfe auch dasselbe Bemessungsentgelt zugrunde gelegt, nach dem das Arbeitslosengeld zuletzt bemessen worden ist; dabei hat sie das gesamte vom Kläger im Bemessungszeitraum erzielte Arbeitsentgelt berücksichtigt. Im übrigen wäre die Nichtberücksichtigung von Einmalzahlungen bei der Ermittlung des Bemessungsentgelts für die Arbeitslosenhilfe nicht verfassungswidrig (Urteil des BSG vom 5. Juni 2003 - B 11 AL 67/02 R -, SozR 4-4300 § 434 c Nr. 3).

Die auf § 193 SGG beruhende Kostenentscheidung entspricht dem Ergebnis der Hauptsache.

Umstände, die es angemessen erscheinen ließen, dass die Beklagte dem erfolglosen Kläger gleichwohl (teilweise) Kosten zu erstatten hätte, sind nicht ersichtlich.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) sind nicht gegeben.
Rechtskraft
Aus
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