L 5 RJ 558/03

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Landshut (FSB)
Aktenzeichen
S 2 RJ 798/01 A
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 5 RJ 558/03
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
I. Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 3. September 2003 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Streitgegenstand ist die Gewährung von Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit.

Der 1951 im ehemaligen Jugoslawien geborene Kläger wohnt derzeit in Serbien-Montenegro. Er hat dort Versicherungszeiten zurückgelegt von März 1970 bis September 1971, Juli 1975 bis November 1987, Februar 1988 bis März 1993 und von April 1994 bis Juli 1994.

Er erhält in seiner Heimat seit 22.12.1998 Invalidenpension.

In Deutschland hat er Versicherungszeiten im Januar 1993, vom 29.03.1993 bis 31.03.1994 und vom 06.07.1994 bis 13.07.1996 zurückgelegt.

Der Kläger hat in der Zeit von September 1967 bis September 1969 den Beruf des Anstreicher-Färbers im Baufach erlernt. Als solcher ist er laut Bescheid der Invalidenkommission von 1980 seit 23.06.1980 nicht mehr einsatzfähig. In Deutschland war er nach seinen eigenen Angaben zuletzt als Maurerhelfer beschäftigt. Laut Auskunft seines letzten Arbeitgebers vom 06.03.2001 war er vom 06.07.1994 bis 13.07.1996 mit Arbeiten beschäftigt, die im allgemeinen von angelernten Arbeitern nach einer Ausbildungsdauer von sechs Monaten verrichtet werden. Das Arbeitsverhältnis wurde mangels Duldung gemäß Ausländergesetz beendet.

Zusammen mit dem Rentenantrag vom 04.12.1998 wurde das Formulargutachten JU 207 vom 22.12.1998 übersandt. Dieses ist nach Auswertung der Krankengeschichte über einen stationären Aufenthalt vom 19.02. bis 19.03.1998 wegen eines anxiös-depressiven Syndroms, über einen stationären Aufenthalt von 1980 wegen Morbus Meniere und einen stationären Aufenthalt vom 23.06. bis 27.10.1998 wegen Depression erstellt worden. Zusammenfassend heißt es im Gutachten, aufgrund der Depressio und der Läsion des Cochlearisnerven sei ab 22.12.1998 von einem vollständigen Verlust der Arbeitsfähigkeit auszugehen.

Demgegenüber ergab die stationäre Untersuchung des Klägers vom 18. bis 20.09.2000 in Regensburg durch die Dres.S. und M. ein vollschichtiges Leistungsvermögen. Der Neurologe und Psychiater Dr.M. , der die Anamnese in der Heimatsprache des Klägers erhob, diagnostizierte lediglich reaktive depressive Verstimmungszustände. Er hielt leichte bis mittelschwere Arbeiten ohne Akkord und Nachtschicht für vollschichtig zumutbar. Daraufhin lehnte die Beklagte den Rentenantrag mit Bescheid vom 23.10.2000 (abgesandt am 26.10.2000) ab. Der Kläger sei weder erwerbsunfähig noch berufsunfähig und im Übrigen seien zum Zeitpunkt der Antragstellung die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen nicht gegeben.

Dem widersprach der Kläger am 29.01.2001 unter Verweisung auf die Pensionierung in Serbien. Wenn ihm eine der von der Beklagten genannten Verweisungstätigkeiten vermittelt werde, mache er keinen Rentenanspruch geltend. Vorgelegt wurde ein Entlassungsblatt betreffend den stationären Aufenthalt vom 11.04. bis 10.05.2000 wegen schwerer depressiver Episode mit psychotischer Symptomatologie, über einen stationären Aufenthalt vom 18.12.2000 bis 09.01.2001 wegen Dekompensation der psychiatrischen Grunderkrankung sowie Unterlagen über einen Hörschaden. Der Beratungsarzt der Beklagten Dr.D. sah darin keinen Anlass zur Änderung der Beurteilung. Seines Erachtens besteht lediglich eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit wegen reaktiver depressiver Verstimmung nach Rentenablehnung. Dementsprechend wurde der Widerspruch am 23.04.2001 zurückgewiesen.

Dagegen hat der Kläger am 27.07.2001 Klage erhoben und geltend gemacht, sein Gesundheitszustand habe sich nicht gebessert. Er hat medizinische Befundberichte und Atteste verschiedener Ärzte von Juli 2001 vorgelegt, wonach er weiterhin auf Dauer leistungsunfähig ist. Aus einem stationären Aufenthalt vom 06.06. bis 12.07.2001 ist er leistungsunfähig entlassen worden. Dr.D. wiederholte seine Ansicht, es handele sich um eine vorübergehende Arbeitsunfähigkeit; wegen der Einschränkung des Hörvermögens dürfe der Kläger keine Tätigkeiten mehr verrichten, die mit Lärm verbunden seien. Nachdem der Kläger weitere Kurzbefunde von November 2001 vorgelegt hatte und er zu einer fachärztlichen Untersuchung vorgeladen worden war, hat er ein HNO-ärztliches Attest vom 09.05.2003 zur Reiseunfähigkeit und einen fachärztlichen Befundbericht eines Psychiaters vom 08.05.2003 vorgelegt, worin ebenfalls Reiseunfähigkeit attestiert war. Daraufhin hat das Gericht die Ärztin für Psychiatrie/Psychotherapie Dr.M. mit der Erstellung eines Gutachtens nach Aktenlage beauftragt. Ihres Erachtens kann die Frage, in welcher Art und in welcher Ausprägung die depressive Erkrankung vorliege, aufgrund der Aktenlage nicht mit der nötigen Sicherheit beantwortet werden. Spätestens seit Ende 2000 sei eine Verschlechterung der Symptomatik durch das Hinzutreten psychotischer Merkmale eingetreten. Dennoch seien leichtere bis mittelschwere Arbeiten ohne besondere Anforderungen an die nervliche Belastbarkeit, ohne Nacht- und Wechselschicht, ohne Absturzgefahr, ohne besondere Anforderungen an das Hörvermögen vollschichtig zumutbar. Das Umstellungsvermögen reiche lediglich für einfache Arbeiten. Als Gesundheitstörungen hat sie genannt: Depressive Episoden in zum Teil schwergradiger Ausprägung mit psychotischen Symptomen Schwindelsymptomatik, Schwerhörigkeit beidseits. Zustand nach Contusio capitis 1989 Hals- und Lendenwirbelsäulenabhängige Beschwerden.

Das Sozialgericht hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 03.09. 2003 abgewiesen. Der Kläger genieße keinen Berufsschutz und sei daher auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbar. Dass der Versicherungsfall bereits im August 1998 eingetreten sei, sei nicht nachgewiesen. Die Folgen der Beweislosigkeit habe der Kläger zu tragen, der zumindest entsprechend dem Gutachten der Dr.M. in Begleitung zur Untersuchung nach Deutschland hätte reisen können.

Gegen den am 29.09.2003 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 16.10.2003 Berufung eingelegt. Er hat einen Arbeitsplatz verlangt, so wie er im Urteil beschrieben worden sei, bzw. eine Rente für den Fall, dass ihm keine entsprechende Arbeit angeboten werden könne. Auf den Hinweis der fehlenden Schlüssigkeit dieser Begründung hat der Kläger seine Begründung lediglich wiederholt.

Der Kläger beantragt sinngemäß, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 03.09. 2003 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 23.10.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.04.2001 zu verurteilen, ab 04.12.1998 Rente wegen Erwerbsunfähigkeit, hilfsweise wegen Berufsunfähigkeit zu gewähren.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 03.09.2003 zurückzuweisen.

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf den Inhalt der Beklagtenakten, der Akten des Sozialgerichts Landshut sowie der Berufungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die statthafte, form- und fristgerecht eingelegte Berufung ist zulässig, erweist sich jedoch als unbegründet. Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Landshut vom 03.09.2003 ist ebenso- wenig zu beanstanden, wie der Bescheid der Beklagten vom 23.10.2000 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.04. 2001. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit. Es ist nicht nachgewiesen, dass er bereits zu einem Zeitpunkt erwerbsgemindert war, als die besondereren versicherungsrechtlichen Voraussetzungen noch gegeben waren.

Zutreffend hat das Sozialgericht die möglichen Anspruchsgrundlagen genannt und Berufsschutz als Maler verneint. Insoweit wird von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe gemäß § 153 Abs.2 SGG abgesehen.

Ob der auf den allgemeinen Arbeitsmarkt verweisbare Kläger noch vollschichtig leistungsfähig ist, ist für die Zeit ab Rentenantragstellung im Dezember 1998 zweifelhaft. Mit dieser Beurteilung stützt sich der Senat auf die Ausführungen der im Klageverfahren gehörten Sachverständigen Dr.M. , die die vorhandenen Vorbefunde sorgfältig ausgewertet hat. Einwände gegen ihr Gutachten vom 05.07.2003 wurden von keiner Seite erhoben. Die Zweifel an der Leistungsfähigkeit des Klägers rühren daher, dass der von der Beklagten gehörte Sachverständige Dr.M. lediglich reaktive depressive Verstimmungszustände festgestellt und den Kläger nach immerhin dreitägiger stationärer Untersuchung für vollschichtig einsatzfähig sowohl im erlernten Beruf als auch für Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt gehalten hat. Besonderes Gewicht verleiht diesem Gutachten Dr.M. der Umstand, dass die bei der Art der Gesundheitsstörung besonders bedeutsame Anamnese in der Muttersprache des Klägers erhoben worden ist. Im Widerspruch dazu steht die Leistungseinschätzung der Invalidenkommission vom 22.12.1998, die sich auf eine mehrfache stationäre psychiatrische Behandlung im selben Jahr stützen konnte, wobei überwiegend die Diagnose einer schweren depressiven Episode mit psychotischen Symptomen festgestellt wurde. Auch während des stationären Aufenthalts vom 11.04. bis 10.05.2000, also vor der Untersuchung durch Dr.M. , wurde wegen Bestehens von paranoiden Denkstörungen eine schizoaffektive Störung diagnostiziert. Der Bericht hierüber hat Herrn Dr.M. vorgelegen. Ebenso wenig diskutierte er die seit 1980 bestehende Schwindelsymptomatik, die offensichtlich Ursache für die Aufgabe des erlernten Berufs als Maler im Jahr 1980 war. Schließlich ist der Kläger nach der Untersuchung durch Dr.M. erneut zweimal stationär psychiatrisch behandelt worden. Die Entlassung aus den stationären psychiatrischen Behandlungen erfolgte jeweils mit Besserung, aber noch weiter bestehenden depressiven Symptomen. Gewissheit über den Zustand hätte die im sozialgerichtlichen Verfahren verweigerte Untersuchung ergeben.

Die nachweislich vorhandenen Gesundheitsstörungen sind nicht so schwerwiegend, dass sie Berufsunfähigkeit, geschweige denn Erwerbsunfähigkeit begründen könnten. Depressive Episoden, Schwindelsymptomatik, Schwerhörigkeit beidseits, Zustand nach Contusio capitis im Juli 1989, und hals- und lendenwirbelsäulenabhängige Beschwerden haben lediglich qualitative Einschränkungen, hingegen keine quantitativen zur Folge. Ausgeschlossen sind demnach besondere Anforderungen an die nervliche Belastbarkeit, Nacht- und Wechselschicht, Arbeiten auf Treppen, Leitern und Gerüsten und besondere Anforderungen an das Hörvermögen. Unter Berücksichtigung dieser Beschränkungen können leichtere bis mittelschwere Arbeiten noch vollschichtig verrichtet werden. Mit diesem Restleistungsvermögen kann der Kläger noch eine Vielzahl von Tätigkeiten verrichten, wie sie üblicherweise von ungelernten Arbeitern des allgemeinen Arbeitsmarktes erwartet werden. Auch wenn der Kläger nur noch in der Lage ist, sich auf einfache Arbeiten umzustellen, erscheinen angesichts der vollen Gebrauchsfähigkeit der Arme und Beine übliche Verrichtungen wie Sortieren, Verpacken, Kontrollieren und Transportieren möglich. Die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit erübrigt sich daher.

Die obengenannten Zweifel an der vollschichtigen Leistungsfähigkeit können für den maßgeblichen Zeitraum auch durch die von Dr.M. geforderte ambulante Untersuchung nicht beseitigt werden. Nachdem über fünf Jahre verstrichen sind und nach Dezember 1998 zudem offensichtlich eine Verschlimmerung eingetreten ist, kann das Leistungsvermögen im Jahr 1998 nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit durch eine aktuelle persönliche Untersuchung festgestellt werden. Die Folgen hiervon hat - wie das Sozialgericht zutreffend festgestellt hat - der Kläger zu tragen.

Selbst wenn angesichts der Rentenantragstellung, der Feststellung der Invalidenkommission und der mehrfachen stationären psychiatrischen Aufenthalte nach der Rentenantragstellung als wahr unterstellt wird, dass der Kläger ab Dezember 1998 nicht mehr in der Lage war, einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, ist ein Rentenanspruch zu verneinen. Nach altem wie nach neuem Recht muss der Versicherte in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (§ 43 Abs.1 Ziff.2 SGB VI, § 43 Abs.1 Ziff.2 und § 44 Abs.1 Ziff.2 SGB VI a.F.). Ausgehend vom Eintritt des Versicherungsfalls entsprechend der Feststellung der Invalidenkommission am 22.12.1998 ist der Zeitraum vom 21.12.1993 bis 21.12.1998 maßgebend. Darin hat der Kläger statt der geforderten 36 lediglich 32 Monate mit Pflichtbeiträgen belegt. Der letzte Pflichtbeitrag wurde im Juli 1996 entrichtet. Die daran anschließende Zeit der Arbeitslosigkeit in Serbien ist mangels Gleichstellung im deutsch-jugoslawischen Sozialversicherungsabkommen keine sogenannte Aufschubzeit, so das sich der Fünfjahreszeitraum nicht weiter verlängert.

Eine Vorverlegung des Versicherungsfalls bis August 1998, zu einem Zeitpunkt also, als die besonderen versicherungsrechtlichen Voraussetzungen noch gegeben waren, kommt nicht in Betracht. Die Invalidenkommission hat in Kenntnis der Berichte über die stationären Aufenthalte 1998 die Aufhebung der Leistungsfähigkeit erst ab dem Zeitpunkt ihrer Untersuchung bejaht. Der Kläger hat selbst auch erst im Dezember 1998 Rente beantragt. Und schließlich hat Dr.M. nach Aktenlage keine hinreichende Gewissheit darüber gewinnen können, dass überhaupt Erwerbsunfähigkeit vorliegt. Das letzte Arbeitsverhältnis 1996 ist auch nicht wegen Krankheit, sondern aus aufenthaltsrechtlichen Gründen beendet worden.

Die Ausnahmevorschrift des § 241 SGB VI findet keine Anwendung. Der Kläger hat nicht jeden Kalendermonat vom 1. Januar 1984 bis zum Kalendermonat vor Eintritt der Erwerbsminderung mit Anwartschaftserhaltungszeiten belegt. Insbesondere kann er die im Versicherungsverlauf bestehende Lücke im Dezember 1987 und Januar 1988 nicht schließen. Die Zahlungsfristen des § 197 SGB VI sind längst abgelaufen und das Recht des Heimatstaats sieht eine Beitragsleistung nach Rentenbeginn nicht vor.

Die Argumentation des Klägers, im Fall einer Rentenverweigerung sei ihm ein Arbeitsplatz zu vermitteln, geht fehl. Das Risiko der Arbeitsplatzvermittlung ist von der gesetzlichen Arbeitslosenversicherung, nicht von der gesetzlichen Rentenversicherung zu tragen (vgl. unter anderem BSG in SozR 3-2200 § 1246 Nr.50). Insoweit muss sich der im Ausland wohnhafte Kläger wie ein in der Bundesrepublik Deutschland lebender Versicherter behandeln lassen. Entscheidend ist, dass der Kläger vollschichtige Tätigkeiten unter betriebsüblichen Bedingungen erbringen kann, weil zusätzliche Pausen nicht erforderlich sind, und dass die Anmarschwege zur Arbeit problemlos zurückgelegt werden können. Nach Aktenlage kann sich der Kläger auch noch auf eine andere als die zuletzt ausgeübte Tätigkeit umstellen, so dass ihm der Arbeitsmarkt offen steht.

Aus diesen Gründen war die Berufung als unbegründet zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe, die Revision war zuzulassen, sind nicht ersichtlich.
Rechtskraft
Aus
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