Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 19 KR 42/98
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 KR 99/98
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 1 KR 22/00 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 24.08.1998 wird zurückgewiesen. Kosten sind nicht zu erstatten. Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Erstattung der Kosten für eine Behandlung mittels intrazytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI).
Der 1964 geborene Kläger ist Mitglied der Beklagten, seine Ehefrau ist privat versichert. Bei den Eheleuten besteht Kinderwunsch, wegen einer kombinierten Fertilitätsstörung ist ein normaler Schwangerschaftseintritt unwahrscheinlich. Dabei liegt bei dem Kläger eine Oligo-Astheno-Teratozoospermie (OAT) vor.
Unter Vorlage eines Attestes des Frauenarztes Dr. P. vom 05.07.1996 wandte sich der Kläger an die Beklagte. Dr. P. führte aus, bei der vorliegenden Störung biete sich als sinnvolle Alternative die Behandlung durch extracorporale Befruchtung in Kombination mit einer Mikroinjektion (ICSI) an. Diese Behandlung durch Mikroinjektion sei gegenwärtig nicht Bestandteil der kassenärztlichen Leistungen. Da sie jedoch die einzig sinnvolle Alternative für das Ehepaar darstelle, werde gebeten, die Kosten für die Behandlung in Höhe von ca. 2.000,-- DM zu erstatten. Die Beklagte teilte daraufhin dem Kläger mit Schreiben vom 30.07.1996 mit, nach § 27 a SGB V übernehme sie nur die Kosten der Maßnahmen, die bei ihm durchgeführt würden. Er könne dem Arzt einfach seine Krankenversicherungskarte zur Abrechnung der im Rahmen der In-vitro-Fertilisation (IVF) der Beklagten zugeschriebenen vertraglichen Positionen vorlegen.
Die Eheleute ließen die Behandlung im August 1996 durchführen. Zunächst wurde eine Abrechnung der ICSI über die private Krankenversicherung der Ehefrau versucht. Die private Krankenversicherung weigerte sich, diese Kosten zu übernehmen, da es sich um eine Behandlung des Ehemannes - also des Klägers - handele. Daraufhin erfolgte eine privatärztliche Abrechnung zu Lasten des Klägers (zunächst Rechnung vom 27.06.1997, dann berichtigte Rechnung vom 30.09.1997). Der Kläger verlangte von der Beklagten die Übernahme der Kosten der zunächst ausgestellten Rechnung vom 27.06.1997. Mit Bescheid vom 20.08.1997 lehnte die Beklagte eine Kostenerstattung ab. Die Krankenkassen übernähmen zwar "in Ausnahmefällen" die Kosten der ICSI, obwohl es sich nicht um eine vertragsärztliche Leistung handele. Nach Auffassung der Spitzenverbände sei die ICSI eine Begleitleistung zur IVF der Ehefrau, so daß die Kosten von der Versicherung der Ehefrau getragen werden müssen. Mit Widerspruchsbescheid vom 12.02.1998 wies sie den Widerspruch zurück.
Zur Begründung seiner Klage hat der Kläger vorgetragen, aufgrund der Mitteilung der Beklagten vom 30.07.1996 sei er davon ausgegangen, daß die Beklagte alle "ihm zugeschriebenen" Positionen erstatte, so daß er im Vertrauen auf diese Zusage habe die Behandlung durchführen lassen. Bei der ICSI handele es sich eindeutig um eine Behandlung des Ehemannes, denn die Methode sei ausschließlich bei hochgradigen Fertilitätsstörungen des Mannes indiziert. Unabhängig davon bestehe ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V. Der Leistungsanspruch eines Versicherten könne über die nach §§ 92, 135 SGB V anerkannten Methoden hinausgehen, da nach § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V der medizinische Fortschritt zu berücksichtigen sei. Gegen die ICSI bestünden im Hinblick auf ihre Qualität keine durchgreifenden Bedenken. Zahlreiche Fachgesellschaften hätten sich positiv zu ihrer Wirksamkeit geäußert. Die Entscheidung des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen vom 01.10.1997, die Methode noch nicht anzuerkennen, weil angeblich die Unterlagen zur Beurteilung der Fehlbildungsrate nicht ausreichten, sei fehlerhaft. Es gebe keine Evidenz für ein erhöhtes Mißbildungs- oder Krankheitsrisiko.
Mit Urteil vom 24.08.1998 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Aus anderen Verfahren sei bekannt, daß 1996 noch keine ausreichende Zahl von Geburten vorgelegen habe, um die Risiken zuverlässig beurteilen zu können. Im übrigen habe der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen nunmehr bindend am 01.10.1997 entschieden, daß die ICSI keine Leistung der GKV sei. Mit dem Schreiben vom 30.07.1996 habe die Beklagte nicht zugesagt, daß sie für die Kosten aufkommen werde. Das Schreiben habe nur der Klarstellung gedient, daß die Leistungen für die IVF, die beim Kläger anfielen, übernommen würden.
Der Kläger vertieft im Berufungsverfahren seinen erstinstanzlichen Vortrag, er betont, daß er vor Durchführung der streitigen Behandlung die Kostenerstattung beantragt habe und aufgrund des Schreibens vom 30.07.1996 davon ausgegangen sei, daß auch die Kosten der ICSI von der Beklagten übernommen würden. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts seien mit Hilfe der ICSI schon 1996 10.319 Schwangerschaften und 6.692 geborene Kinder erreicht worden, so daß Wirksamkeit und Risiken der Methode hätten beurteilt werden können. Die Fehlbildungsrate habe nur 1,9 % betragen, so daß es sich um eine ausreichend sichere Methode handele. Die dem Bundesausschuß im Oktober 1997 vorliegenden Unterlagen hätten bereits eine positive Entscheidung erlaubt. Die vom Bundesausschuß verlangte Studie für die Beurteilung der Qualität der Behandlungsmethode sei weder erforderlich noch praktisch durchführbar. Die Forderung nach einer prospektiven Studie diene nur dem Zweck, die Anerkennung der Methode zu verzögern. Die ICSI habe sich in den Fachkreisen durchgesetzt, sie entspreche dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 24.08.1998 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20.08.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.02.1998 zu verurteilen, die Kosten der intrazytoplasmatischen Spermieninjektion in Höhe von 2.392,90 DM zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, mit dem Schreiben vom 30.07.1996 habe sie keine Zusage erteilt, die Kosten der ICSI zu übernehmen, da aus dem Attest von Dr. P. vom 05.07.1996 nicht genau ersichtlich gewesen sei, welche Leistungen erbracht werden sollten. Aufgrund des Beschlusses des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen vom 01.10.1997 sei die ICSI als Leistung in der GKV ausgeschlossen.
Der Senat hat Unterlagen des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen (Arbeitsausschuß "Familienplanung") zur ICSI beigezogen; insoweit wird auf die Beiakten zu Bl. 63 GA verwiesen. Ferner sind Gutachten von Prof. Dr. D. vom 22.09.1999 und Prof. Dr. K. vom 26.11.1999, die in einem Verfahren des LSG Niedersachsen (L 4 KR 130/98) erstattet worden sind, beigezogen und im Wege des Urkundsbeweises verwertet worden; auf die Gutachten wird Bezug genommen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die ICSI.
Entgegen der Auffassung des Klägers ergibt sich aus dem Kurzschreiben der Beklagten vom 30.07.1996 kein Anspruch auf Kostenerstattung. Mit dem Schreiben hat die Beklagte keine Zusicherung im Sinne des § 34 Abs. 1 SGB X erteilt, die streitigen Kosten zu übernehmen. Zwar ergab sich aus dem Attest von Dr. P. vom 05.07.1996 entgegen der Darstellung der Beklagten eindeutig, um welche Leistungen es dem Kläger ging. In dem Attest wird nämlich ausdrücklich nur die Erstattung der Kosten der ICSI, die als nicht kassenärztliche Leistung bezeichnet wird, angesprochen. Von daher war das Antwortschreiben der Beklagten vom 30.07.1996 insoweit unzulänglich, als die Beklagte nicht deutlich gemacht hat, daß sie die ICSI unabhängig von der Frage, ob diese überhaupt eine Leistung der GKV ist, als Behandlung der Ehefrau und daher ohnehin nicht als eine von ihr zur Behandlung des Klägers zu erbringende Leistung ansah. Auf der anderen Seite ergibt sich aus dem Schreiben der Beklagten, daß sie keine Leistung außerhalb des GKV-Systems erbringen wollte. Sie hat den Kläger unmißverständlich darauf hingewiesen, er könne zur Abrechnung der der Beklagten zugeschriebenen Abrechnungspositionen seine Krankenversicherungskarte vorlegen. Da gleichzeitig dem Kläger klar sein mußte, daß die ICSI keine mittels Krankenversicherungskarte abrechenbare vertragsärztliche Leistung war (das ging aus dem Attest von Dr. P. vom 05.07.1996 klar hervor, ansonsten wäre auch der Kostenübernahmeantrag überflüssig gewesen), konnte er aufgrund des Schreibens der Beklagten nicht davon ausgehen, die Beklagte habe (auch) die Übernahme der Kosten der außerhalb des Sachleistungssystems zu erbringenden ICSI zugesagt. Im übrigen ist es nicht glaubhaft, daß der Kläger bzw. seine Ehefrau die Behandlung im Vertrauen auf eine Zusage der Beklagten habe durchführen lassen. Die Tatsache, dass zunächst eine Abrechnung zu Lasten der privaten Krankenversicherung der Ehefrau versucht worden ist, zeigt, daß entweder der Kläger an eine eigene Belastung nicht gedacht hat oder die Eheleute unabhängig von der definitiven Klärung der Kostentragung die Behandlung durchführen wollten.
Eine Kostenerstattung aufgrund eines wegen der unzulänglichen Beantwortung des Kostenübernahmeantrages in Betracht kommenden Herstellungsanspruches scheidet aus. Das Ziel des Herstellungsanspruches ist die Erfüllung des infolge des Verwaltungsfehlers beeinträchtigten Primäranspruchs (vgl. BSG SozR 3-2600 § 58 Nr. 2; KassKomm - Seewald, Vor §§ 38 - 47 ff. SGB I, Rdnr. 43 f.). Der Kläger kann aber - wie noch näher darzulegen sein wird - die ICSI weder als Sachleistung noch im Wege der Kostenerstattung beanspruchen.
Es kann dahinstehen, ob die ICSI überhaupt entsprechend § 27 a Abs. 3 SGB V eine Maßnahme ist, die beim Kläger zur Herbeiführung einer Schwangerschaft durchzuführen ist (so die Auffassung in der privaten Krankenversicherung, vgl. Brück, Komm. zur GOÄ, 3. Aufl., Abschnitt H Nr. 1114 Anm. 3; Hoffmann, GOÄ, Komm. Geb.Verzeichnis Nr. 1095 - 1114, Rdnr. 14 aE) oder ob sie Teil der Behandlungsmaßnahmen der Frau und daher von deren Krankenversicherung zu übernehmen ist, wie die Beklagte unter Hinweis auf die Auffassung der Spitzenverbände meint.
Unabhängig davon, ob als Anspruchsgrundlage für die begehrte Kostenerstattung § 13 Abs. 2 oder Abs. 3 SGB V in Betracht kommen, scheitert ein Kostenerstattungsanspruch daran, daß die ICSI nicht zu den von der Beklagten geschuldeten Leistungen zählt.
Nach § 27 a Abs. 1 SGB V umfassen die Leistungen der Krankenbehandlung unter den dort genannten Voraussetzungen auch medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft. Die unter § 27 a Abs. 1 SGB V fallenden Maßnahmen werden vom Gesetz nicht im einzelnen festgelegt, vielmehr soll nach Abs. 4 a.a.O. der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen in den Richtlinien nach § 92 SGB V die medizinischen Einzelheiten zu Voraussetzungen, Art und Umfang der Maßnahmen regeln. § 27 a Abs. 4 SGB V überträgt also die Konkretisierung der Leistungen, die unter Abs. 1 a.a.O. fallen, dem Bundesausschuß. Diese Ermächtigung geht über die Regelung in § 92 Abs. 1 SGB V hinaus, die nur allgemein festlegt, daß die Richtlinien die Gewähr für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung schaffen sollen (BSGE 78, 70, 76 f.; Schmidt in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung - SGB V, § 27 a Rdnr. 188). Da der Bundesausschuß die "medizinischen Einzelheiten" auch zur Art der Maßnahme nach Abs. 1 festlegen soll, ist ihm damit die Kompetenz zugewiesen, über die bei der künstlichen Befruchtung einsetzbaren Methoden zu entscheiden (s. auch Schmidt, a.a.O., Rdnr. 41). Somit kann, da Leistungsansprüche der Versicherten nach § 27 a Abs. 1 SGB V nach Maßgabe der (rechtmäßigen) Richtlinien bestehen, ebenso wie im Rahmen des § 135 Abs. 1 SGB V (vgl. insoweit BSG SozR 3-2500 § 135 Nr. 4) eine Methode der künstlichen Befruchtung nur dann zu Lasten der Krankenkassen gehen, wenn sie zuvor der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen in die Richtlinien aufgenommen hat. Hierfür spricht auch, daß insoweit eine Verbindung zu § 135 Abs. 1 SGB V besteht, als eine nicht anerkannte Methode der künstlichen Befruchtung nicht im EBM enthalten und daher auch nicht abrechnungsfähig ist. Insofern handelt es sich um eine "neue" Methode im Sinne des § 135 Abs. 1 SGB V (vgl. BSG SozR 3-2500 § 92 Nr. 7 S. 49 f.; SozR 3-2500 § 135 Nr. 4 S. 12 f.), die allerdings wegen der spezielleren Ermächtigungsnorm des § 27 a Abs. 4 SGB V nicht in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V, sondern nach Nr. 10 a.a.O. zu regeln ist. Im Ergebnis kann aber eine Methode der künstlichen Befruchtung ebenso wie eine noch nicht im EBM enthaltene Behandlungsmethode erst dann zu Lasten der Krankenkasse erbracht werden, wenn der Bundesausschuß sie in die Richtlinien aufgenommen hat.
Daran fehlt es hier. Die Richtlinien über medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft vom 14.08.1990 sehen in Nr. 10 ("Methoden") neben anderen nur die IVF mit Embryo-Transfer als ärztliche Maßnahme vor. Mit Beschluss vom 01.10.1997 hat der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen eine Ergänzung der Richtlinien um die Nr. 10.5 beschlossen, wonach die ICSI derzeit nicht als Methode der künstlichen Befruchtung in Betracht kommt (BAnz Nr. 243 vom 31.12.1997).
Damit ist die ICSI als Leistung in der GKV ausgeschlossen. Bei den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 SGB V handelt es sich nach der neueren Rechtsprechung des BSG (grundlegend BSGE 78, 70; BSG SozR 3-2500 § 92 Nr. 7; SozR 3-2500 § 135 Abs. 4), der der Senat folgt (zuletzt Senatsurteil vom 24.01.2000 - L 5 KR 63/98), um untergesetzliche Rechtsnormen, die auch für die Versicherten verbindlich festlegen, welche Leistungen Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung sind. Ein Versicherter, der sich eine nach den Richtlinien ausgeschlossene Leistung beschafft, kann im Kostenerstattungsverfahren nicht einwenden, die Methode sei gleichwohl zweckmäßig und in seinem konkreten Fall wirksam gewesen (BSG SozR 3-2500 § 92 Nr. 7 S. 60; SozR 3-2500 § 135 Nr. 4 S. 20). Da nach dem oben Gesagten auch eine Methode der künstlichen Befruchtung erst nach Aufnahme in die Richtlinien nach §§ 27 a Abs. 4, 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 SGB V zu Lasten der Krankenkasse erbracht werden kann, ist es hier unerheblich, daß die genannte Ergänzung der Richtlinien in Nr. 10.5 erst nach Durchführung der ICSI erfolgt ist.
Ein Kostenerstattungsanspruch kommt auch nicht deshalb in Betracht, weil dem Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen Verfahrensfehler vorzuwerfen wären. Die Entscheidung des Bundesausschusses ist nicht zu beanstanden.
Da es sich bei den Richtlinien um untergesetzliche Rechtsnormen handelt, besteht für den Bundesausschuß wie für jeden Normgeber ein eigener Gestaltungs- und Beurteilungsspielraum. Die Gerichte sind auf die Überprüfung beschränkt, ob die Richtlinien in einem rechtsstaatlichen Verfahren formal ordnungsgemäß zustande gekommen sind und mit dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung in Einklang stehen. Eine darüber hinausgehende Inhaltskontrolle ist ihnen verwehrt (BSG SozR 3-2500 § 92 Nr. 7 S. 60).
Das Verfahren des Bundesausschusses begegnet keinen Bedenken. Befürworter wie Kritiker der Methode sind gleichermaßen in der den Beschluss des Bundesausschusses vorbereitenden Sitzung des Arbeitsausschusses "Richtlinien über künstliche Befruchtung" (seit 01.07.1997: "Familienplanung") am 10.05.1997 gehört worden. Neben der Frage des Drohens genetischer Anomalien bei der Anwendung der ICSI war vor allem streitig, ob ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko besteht. Zu dieser Frage hat der Arbeitsausschuß im Anschluß an die Sitzung eine schriftliche biometrische Stellungnahme von Priv. Doz. Dr. W. zu den publizierten Befunden zur Prävalenz schwerer Mißbildungen nach Verfahren der künstlichen Befruchtung durch die ICSI eingeholt. In der Sitzung am 27.09.1997 hat er sich unter Anhörung von Priv.Doz. Dr. W. mit dieser Stellungnahme befaßt. Auf der Grundlage seiner Ermittlungen ist er schließlich zum Ergebnis gelangt, daß die Datenlage gegenwärtig noch zu unsicher und unzureichend ist, um beurteilen zu können, ob ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko auszuschließen ist. Auf der Grundlage seiner Beschlussvorlage hat dann der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen seinen Beschluss vom 01.10.1997 getroffen.
Die Entscheidung des Bundesausschusses steht im Einklang mit dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung. Inhaltliche Vorgaben für die Festlegung der "medizinischen Einzelheiten" ergeben sich aus §§ 2 Abs. 1 Satz 3, 12 Abs. 1 SGB V. Die in Betracht kommenden Maßnahmen der Herbeiführung einer Schwangerschaft müssen somit hinsichtlich ihrer Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen und den medizinischen Fortschritt berücksichtigen (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V), ferner müssen sie - auch im Vergleich zu etablierten Methoden - wirtschaftlich sein (§ 12 Abs. 1 SGB V).
Die Entscheidung des Bundesausschusses beruht nicht auf Zweifeln an der Wirksamkeit der ICSI, sondern auf Bedenken wegen der mit der Anwendung der Methode verbundenen Risiken, insbesondere des Mißbildungsrisikos. Diese Berücksichtigung der "Nebenwirkungen" der Methode ist sachgerecht. Die von § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V geforderte Qualität einer Behandlungsmethode wird auch durch die mit ihrer Anwendung verbundenen Risiken bestimmt. Der therapeutische Nutzen der Methode muß die zu erwartenden bzw. möglichen Nachteile überwiegen, die Risiken müssen im Hinblick auf den zu erwartenden Nutzen vertretbar sein. Insoweit kann eine Parallele zum Arzneimittelbereich gezogen werden. Ebensowenig wie wegen unvertretbarer Nebenwirkungen bedenkliche Arzneimittel zugelassen (§ 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AMG) oder auf den Markt gebracht werden dürfen (§ 5 Abs. 1 AMG) können Behandlungsmethoden angewandt werden, deren Anwendung nicht hinnehmbare schädliche Wirkungen oder Risiken mit sich bringen.
Allerdings sehen die Vertreter der Methode, vor allem die Anwender in den reproduktionsmedizinischen Zentren, keine Anhaltspunkte dafür, daß bei einer ICSI-Behandlung von gesteigerten Risiken hinsichtlich einer genetischen Fehlbildung, einer erhöhten Fehlbildungsrate oder der mentalen Entwicklung auszugehen ist. Die Methode wird in praktisch jedem reproduktionsmedizinischen Zentrum in der Bundesrepublik eingesetzt und schon 1996 hat die Zahl der Unfruchtbarkeitsbehandlungen mit Hilfe der ICSI die Zahl derjenigen überstiegen, die durch konventionelle IVF erfolgte (s. Gutachten Prof. Dr. K.). Prof. Dr. D. hat schon im Arbeitsausschuß am 15.05.1997 darauf hingewiesen, daß die Richtlinien der AG Fortpflanzungsmedizin der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe die ICSI als ethisch vertretbare Behandlung propagierten, weil die vorliegenden Daten rechtfertigten, daß es sich um eine gefahrlose Behandlung handele. Nunmehr sehen auch die Richtlinien zur Durchführung der assistierten Reproduktion der Bundesärztekammer (DtÄrzteBl. 1998; 95: A-3166) die ICSI als medizinisch und ethisch vertretbare Behandlung an. Im Rahmen des ihm zustehenden Gestaltungs- und Beurteilungsspielraumes ist der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen aber bei seiner Entscheidung nicht an die Richtlinien medizinischer Fachgesellschaften oder der Bundesärztekammer oder die Verbreitung innerhalb der Fachkreise gebunden. Er darf berücksichtigen, daß ungeachtet der breiten Anwendung der ICSI ihre Sicherheit angezweifelt wird. In der Sitzung des Arbeitsausschusses am 15.05.1997 sind die Bedenken gegen die ICSI artikuliert worden (Prof. Dr. B., Prof. Dr. Sch., Prof. Dr. K.). Die vorliegenden Studien mögen zwar keinen Beleg dafür bieten, daß bei nach ICSI geborenen Kindern mit einer erhöhten Fehlbildungsrate zu rechnen ist. Auf der anderen Seite besteht aber ebenfalls Einigkeit, daß die vorliegenden Daten keine zuverlässige, wissenschaftlich gesicherte Aussage über das Fehlbildungsrisiko zulassen. Das hat Priv.Doz. Dr. W. in seinem biometrischen Gutachten vom 02.09.1997 für den Ausschuß im einzelnen erläutert. Auch Prof. Dr. K. legt in ihrem Gutachen vom 26.11.1999 dar, daß sich die vorliegenden Studien hinsichtlich der Definition der erfaßten Fehlbildungen, der Bezugsgruppe und der Erhebungsqualität erheblich unterscheiden und keine zuverlässige Aussage zur Prävalenz von Fehlbildungen nach ICSI im Vergleich zur natürlichen Prävalenz zulassen, wobei andererseits anhand der vorliegenden Daten eine Erhöhung der Fehlbildungsrate nach ICSI bis zu einer Verdoppelung der Prävalenz sich nicht ausschließen läßt. Prof. Dr. D. widerspricht zwar in seinem Gutachten vom 22.09.1999 der Aussage einer australischen Studie (Kurinczuk/Dower, British Medical Journal 1997; 315, 1260), die in einer Re-Analyse einer belgischen Studie zu einem doppelt so hohen Mißbildungsrisiko für nach ICSI geborene Kinder als nach natürlicher Zeugung kam, weil bei der australischen Studie die Methode der Erfassung von Fehlbildungen unberücksichtigt geblieben sei und man bei einem Vergleich mit einem aktiven Fehlbildungsregister zu einer entsprechenden Fehlbildungsrate komme (kritisch zu diesem Einwand wiederum Prof. Dr. K., da schon die belgischen Autoren ihrerseits die Eurocat-Kriterien für die Fehlbildungen nicht ein gehalten haben). Er räumt aber ein, daß die australische Studie jedenfalls ("nur", so Prof. Dr D.) beweise, daß es einer prospektiven, kontrollierten und standardisierten Studie bedarf, die eine ausreichende statistische Aussagekraft hat, um zu einer endgültigen Klärung zu kommen. Daß erst eine solche Studie, die der Bundesausschuß in einer Protokollnotiz bei seiner Entscheidung vom 01.10.1997 gefordert hat (s. BKK 1998, 147), zu wissenschaftlich gesicherten Erkenntnissen führt, haben auch die Autoren der belgischen Studien in ihrer Erwiderung auf die australische Studie konzediert (Bonduelle et al., British Medical Journal 1997; 315, 1265; s. auch Mitchell, a.a.O., 1245, der auf die Notwendigkeit einer einheitlichen Definition der Fehlbildungen und der Art der Erhebungen hinweist). Engel u.a. (Deutsche DtÄrzteBl. 1998; 95 A-1902) verneinen zwar aufgrund theoretischer Überlegungen ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko nach ICSI, sofern bei den Paaren keine genetischen Ursachen für die Fertilitätsstörung gefunden werden konnten. Sie räumen allerdings ein, daß die aus den reproduktionsbiologischen Ergebnissen abgeleiteten Schlußfolgerungen nicht mit der Realität übereinstimmen müssen und daß die Information über Fehlbildungen und Chromosomenanomalien in ICSI-Schwangerschaften bescheiden seien. Die bislang vorhandenen Daten über aktive Fehlbildungsdiagnostik seien für eine abschließende Beurteilung des Risikos für Fehlbildungen in solchen Schwangerschaften nicht ausreichend; dies gelte auch für die Frage nach einem erhöhten Risiko für Chromosomenanomalien in solchen Schwangerschaften. Eine geringe Risikoerhöhung für Chromosomenanomalien nach ICSI seien nicht auszuschließen. Die Frage könne letztlich nur geklärt werden, wenn man sich auf ein gemeinsames und strukturiertes Vorgehen einige.
Die Berücksichtigung möglicher Risiken ist bei Methoden der künstlichen Befruchtung um so mehr gerechtfertigt, als es nicht um die Behandlung gravierender oder sogar lebensbedrohender Krankheiten geht, bei deren Behandlung unter Umständen auch nicht unerhebliche Nebenwirkungen in Kauf genommen werden müssen. Im Arzneimittelrecht muß durch eine Nutzen-Risiko-Abwägung entschieden werden, ob die schädlichen Wirkungen eines Arzneimittels im Hinblick auf die gewünschten Vorteile hingenommen werden können (vgl. Kloesel/Cyran, AMG, § 5 Rdnr. 31). Bei dieser Abwägung sind neben dem Schweregrad und der Häufigkeit der unerwünschten Wirkung die Behandlungsnotwendigkeit und Therapiealternativen zu berücksichtigen (vgl. im einzelnen Kloesel/Cyran, a.a.O., § 25 Rdnr. 56). Von Bedeutung ist bei der Beurteilung bedenklicher Arzneimittel ferner, welche Nachteile bei Nichtanwendung des Mittels drohen (vgl. a. BVerwG Buchholz 424.4 Nr. 1). Überträgt man diese Gesichtspunkte auf den vorliegenden Fall, ist festzustellen, daß es zwar bei schweren männlichen Infertilitätsstörungen keine adäquate Behandlungsalternative gibt (die von Prof. Dr. K. in ihrem Gutachten genannte heterologische Insemination ist nicht nur wegen der rechtlichen Unwägbarkeiten keine gleichwertige Möglichkeit), jedoch letztlich die Folgen bei Nichtbehandlung relativ geringfügig sind. Auf der anderen Seite können mögliche Mißbildungen sowohl für die geborenen Kinder wie die Eltern eine erhebliche Belastung darstellen. Die Berücksichtigung des Mißbildungsrisikos bedeutet nicht eine Minderschätzung behinderter Kinder. Es steht außer Zweifel, daß auch Behinderten das gleiche Lebensrecht und die gleiche personale Würde zusteht wie Gesunden. Eine andere Frage ist es aber, ob es sinnvoll sein kann, Kinderlosigkeit mittels medizinischer Techniken zu behandeln, die ein erhöhtes Mißbildungsrisiko in sich bergen. Es wäre kaum verständlich, wenn einerseits Mißbildungen eine Abtreibung rechtfertigen könnten (embryopathische Indikation, vgl. Schönke/Schröder-Eser, StGB, 25. Aufl., § 218 a Rdnr. 25), andererseits bei Nichterfüllung eines Kinderwunsches auf natürlichem Wege Methoden angewandt würden, die zu einer erhöhten Fehlbildungsrate (mit der Folge möglicher Abtreibungen) führen könnten. Gerade angesichts des von Prof. Dr. K. in ihrem Gutachten genannten Aspekts, daß die ICSI nicht zuvor an Tieren erprobt und hinsichtlich ihrer Risiken überprüft worden ist, so daß noch nicht einmal auf tierexperimentelle Erfahrungen zurückgegriffen werden kann, hält der Senat die Forderung des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen nach wissenschaftlich verläßlichen Daten zum Fehlbildungsrisiko zumindest für vertretbar. Soweit in der Sitzung des Arbeitsausschusses am 17.05.1997 Zweifel daran geäußert worden sind, daß es überhaupt möglich sei, eine Studie durchzuführen (Dr. Thaele), beziehen sich diese auf das Langzeitrisiko. Daß das Fehlbildungsrisiko überprüft werden kann, zeigt die im August 1998 begonnene multizentrische Studie. Ob die von Prof. Dr. K. in ihrem Gutachten genannten Bedenken wegen genetischer Defekte und der mentalen Entwicklung von nach ICSI geborenen Kindern, die nur langfristig beurteilt werden können, auch nach Klärung des Fehlbildungsrisikos die Ablehnung einer Aufnahme der ICSI in die Richtlinien rechtfertigen können, kann derzeit dahinstehen.
Da nach dem oben Gesagten auch eine Methode der künstlichen Befruchtung erst nach Aufnahme in die Richtlinien nach §§ 27 a Abs. 4, 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 SGB V zu Lasten der Krankenkasse erbracht werden kann, ist es hier unerheblich, daß die genannte Ergänzung der Richtlinien in Nr. 10.5 erst nach Durchführung der ICSI erfolgt ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der streitigen Rechtsfragen (§ 160 Abs. 2 Ziff. 1 SGG) zugelassen.
Tatbestand:
Streitig ist die Erstattung der Kosten für eine Behandlung mittels intrazytoplasmatischer Spermieninjektion (ICSI).
Der 1964 geborene Kläger ist Mitglied der Beklagten, seine Ehefrau ist privat versichert. Bei den Eheleuten besteht Kinderwunsch, wegen einer kombinierten Fertilitätsstörung ist ein normaler Schwangerschaftseintritt unwahrscheinlich. Dabei liegt bei dem Kläger eine Oligo-Astheno-Teratozoospermie (OAT) vor.
Unter Vorlage eines Attestes des Frauenarztes Dr. P. vom 05.07.1996 wandte sich der Kläger an die Beklagte. Dr. P. führte aus, bei der vorliegenden Störung biete sich als sinnvolle Alternative die Behandlung durch extracorporale Befruchtung in Kombination mit einer Mikroinjektion (ICSI) an. Diese Behandlung durch Mikroinjektion sei gegenwärtig nicht Bestandteil der kassenärztlichen Leistungen. Da sie jedoch die einzig sinnvolle Alternative für das Ehepaar darstelle, werde gebeten, die Kosten für die Behandlung in Höhe von ca. 2.000,-- DM zu erstatten. Die Beklagte teilte daraufhin dem Kläger mit Schreiben vom 30.07.1996 mit, nach § 27 a SGB V übernehme sie nur die Kosten der Maßnahmen, die bei ihm durchgeführt würden. Er könne dem Arzt einfach seine Krankenversicherungskarte zur Abrechnung der im Rahmen der In-vitro-Fertilisation (IVF) der Beklagten zugeschriebenen vertraglichen Positionen vorlegen.
Die Eheleute ließen die Behandlung im August 1996 durchführen. Zunächst wurde eine Abrechnung der ICSI über die private Krankenversicherung der Ehefrau versucht. Die private Krankenversicherung weigerte sich, diese Kosten zu übernehmen, da es sich um eine Behandlung des Ehemannes - also des Klägers - handele. Daraufhin erfolgte eine privatärztliche Abrechnung zu Lasten des Klägers (zunächst Rechnung vom 27.06.1997, dann berichtigte Rechnung vom 30.09.1997). Der Kläger verlangte von der Beklagten die Übernahme der Kosten der zunächst ausgestellten Rechnung vom 27.06.1997. Mit Bescheid vom 20.08.1997 lehnte die Beklagte eine Kostenerstattung ab. Die Krankenkassen übernähmen zwar "in Ausnahmefällen" die Kosten der ICSI, obwohl es sich nicht um eine vertragsärztliche Leistung handele. Nach Auffassung der Spitzenverbände sei die ICSI eine Begleitleistung zur IVF der Ehefrau, so daß die Kosten von der Versicherung der Ehefrau getragen werden müssen. Mit Widerspruchsbescheid vom 12.02.1998 wies sie den Widerspruch zurück.
Zur Begründung seiner Klage hat der Kläger vorgetragen, aufgrund der Mitteilung der Beklagten vom 30.07.1996 sei er davon ausgegangen, daß die Beklagte alle "ihm zugeschriebenen" Positionen erstatte, so daß er im Vertrauen auf diese Zusage habe die Behandlung durchführen lassen. Bei der ICSI handele es sich eindeutig um eine Behandlung des Ehemannes, denn die Methode sei ausschließlich bei hochgradigen Fertilitätsstörungen des Mannes indiziert. Unabhängig davon bestehe ein Kostenerstattungsanspruch nach § 13 Abs. 3 SGB V. Der Leistungsanspruch eines Versicherten könne über die nach §§ 92, 135 SGB V anerkannten Methoden hinausgehen, da nach § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V der medizinische Fortschritt zu berücksichtigen sei. Gegen die ICSI bestünden im Hinblick auf ihre Qualität keine durchgreifenden Bedenken. Zahlreiche Fachgesellschaften hätten sich positiv zu ihrer Wirksamkeit geäußert. Die Entscheidung des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen vom 01.10.1997, die Methode noch nicht anzuerkennen, weil angeblich die Unterlagen zur Beurteilung der Fehlbildungsrate nicht ausreichten, sei fehlerhaft. Es gebe keine Evidenz für ein erhöhtes Mißbildungs- oder Krankheitsrisiko.
Mit Urteil vom 24.08.1998 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Aus anderen Verfahren sei bekannt, daß 1996 noch keine ausreichende Zahl von Geburten vorgelegen habe, um die Risiken zuverlässig beurteilen zu können. Im übrigen habe der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen nunmehr bindend am 01.10.1997 entschieden, daß die ICSI keine Leistung der GKV sei. Mit dem Schreiben vom 30.07.1996 habe die Beklagte nicht zugesagt, daß sie für die Kosten aufkommen werde. Das Schreiben habe nur der Klarstellung gedient, daß die Leistungen für die IVF, die beim Kläger anfielen, übernommen würden.
Der Kläger vertieft im Berufungsverfahren seinen erstinstanzlichen Vortrag, er betont, daß er vor Durchführung der streitigen Behandlung die Kostenerstattung beantragt habe und aufgrund des Schreibens vom 30.07.1996 davon ausgegangen sei, daß auch die Kosten der ICSI von der Beklagten übernommen würden. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts seien mit Hilfe der ICSI schon 1996 10.319 Schwangerschaften und 6.692 geborene Kinder erreicht worden, so daß Wirksamkeit und Risiken der Methode hätten beurteilt werden können. Die Fehlbildungsrate habe nur 1,9 % betragen, so daß es sich um eine ausreichend sichere Methode handele. Die dem Bundesausschuß im Oktober 1997 vorliegenden Unterlagen hätten bereits eine positive Entscheidung erlaubt. Die vom Bundesausschuß verlangte Studie für die Beurteilung der Qualität der Behandlungsmethode sei weder erforderlich noch praktisch durchführbar. Die Forderung nach einer prospektiven Studie diene nur dem Zweck, die Anerkennung der Methode zu verzögern. Die ICSI habe sich in den Fachkreisen durchgesetzt, sie entspreche dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 24.08.1998 zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 20.08.1997 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12.02.1998 zu verurteilen, die Kosten der intrazytoplasmatischen Spermieninjektion in Höhe von 2.392,90 DM zu erstatten.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie ist der Auffassung, mit dem Schreiben vom 30.07.1996 habe sie keine Zusage erteilt, die Kosten der ICSI zu übernehmen, da aus dem Attest von Dr. P. vom 05.07.1996 nicht genau ersichtlich gewesen sei, welche Leistungen erbracht werden sollten. Aufgrund des Beschlusses des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen vom 01.10.1997 sei die ICSI als Leistung in der GKV ausgeschlossen.
Der Senat hat Unterlagen des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen (Arbeitsausschuß "Familienplanung") zur ICSI beigezogen; insoweit wird auf die Beiakten zu Bl. 63 GA verwiesen. Ferner sind Gutachten von Prof. Dr. D. vom 22.09.1999 und Prof. Dr. K. vom 26.11.1999, die in einem Verfahren des LSG Niedersachsen (L 4 KR 130/98) erstattet worden sind, beigezogen und im Wege des Urkundsbeweises verwertet worden; auf die Gutachten wird Bezug genommen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsakte der Beklagten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe:
Die zulässige Berufung ist nicht begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn der Kläger hat keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die ICSI.
Entgegen der Auffassung des Klägers ergibt sich aus dem Kurzschreiben der Beklagten vom 30.07.1996 kein Anspruch auf Kostenerstattung. Mit dem Schreiben hat die Beklagte keine Zusicherung im Sinne des § 34 Abs. 1 SGB X erteilt, die streitigen Kosten zu übernehmen. Zwar ergab sich aus dem Attest von Dr. P. vom 05.07.1996 entgegen der Darstellung der Beklagten eindeutig, um welche Leistungen es dem Kläger ging. In dem Attest wird nämlich ausdrücklich nur die Erstattung der Kosten der ICSI, die als nicht kassenärztliche Leistung bezeichnet wird, angesprochen. Von daher war das Antwortschreiben der Beklagten vom 30.07.1996 insoweit unzulänglich, als die Beklagte nicht deutlich gemacht hat, daß sie die ICSI unabhängig von der Frage, ob diese überhaupt eine Leistung der GKV ist, als Behandlung der Ehefrau und daher ohnehin nicht als eine von ihr zur Behandlung des Klägers zu erbringende Leistung ansah. Auf der anderen Seite ergibt sich aus dem Schreiben der Beklagten, daß sie keine Leistung außerhalb des GKV-Systems erbringen wollte. Sie hat den Kläger unmißverständlich darauf hingewiesen, er könne zur Abrechnung der der Beklagten zugeschriebenen Abrechnungspositionen seine Krankenversicherungskarte vorlegen. Da gleichzeitig dem Kläger klar sein mußte, daß die ICSI keine mittels Krankenversicherungskarte abrechenbare vertragsärztliche Leistung war (das ging aus dem Attest von Dr. P. vom 05.07.1996 klar hervor, ansonsten wäre auch der Kostenübernahmeantrag überflüssig gewesen), konnte er aufgrund des Schreibens der Beklagten nicht davon ausgehen, die Beklagte habe (auch) die Übernahme der Kosten der außerhalb des Sachleistungssystems zu erbringenden ICSI zugesagt. Im übrigen ist es nicht glaubhaft, daß der Kläger bzw. seine Ehefrau die Behandlung im Vertrauen auf eine Zusage der Beklagten habe durchführen lassen. Die Tatsache, dass zunächst eine Abrechnung zu Lasten der privaten Krankenversicherung der Ehefrau versucht worden ist, zeigt, daß entweder der Kläger an eine eigene Belastung nicht gedacht hat oder die Eheleute unabhängig von der definitiven Klärung der Kostentragung die Behandlung durchführen wollten.
Eine Kostenerstattung aufgrund eines wegen der unzulänglichen Beantwortung des Kostenübernahmeantrages in Betracht kommenden Herstellungsanspruches scheidet aus. Das Ziel des Herstellungsanspruches ist die Erfüllung des infolge des Verwaltungsfehlers beeinträchtigten Primäranspruchs (vgl. BSG SozR 3-2600 § 58 Nr. 2; KassKomm - Seewald, Vor §§ 38 - 47 ff. SGB I, Rdnr. 43 f.). Der Kläger kann aber - wie noch näher darzulegen sein wird - die ICSI weder als Sachleistung noch im Wege der Kostenerstattung beanspruchen.
Es kann dahinstehen, ob die ICSI überhaupt entsprechend § 27 a Abs. 3 SGB V eine Maßnahme ist, die beim Kläger zur Herbeiführung einer Schwangerschaft durchzuführen ist (so die Auffassung in der privaten Krankenversicherung, vgl. Brück, Komm. zur GOÄ, 3. Aufl., Abschnitt H Nr. 1114 Anm. 3; Hoffmann, GOÄ, Komm. Geb.Verzeichnis Nr. 1095 - 1114, Rdnr. 14 aE) oder ob sie Teil der Behandlungsmaßnahmen der Frau und daher von deren Krankenversicherung zu übernehmen ist, wie die Beklagte unter Hinweis auf die Auffassung der Spitzenverbände meint.
Unabhängig davon, ob als Anspruchsgrundlage für die begehrte Kostenerstattung § 13 Abs. 2 oder Abs. 3 SGB V in Betracht kommen, scheitert ein Kostenerstattungsanspruch daran, daß die ICSI nicht zu den von der Beklagten geschuldeten Leistungen zählt.
Nach § 27 a Abs. 1 SGB V umfassen die Leistungen der Krankenbehandlung unter den dort genannten Voraussetzungen auch medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft. Die unter § 27 a Abs. 1 SGB V fallenden Maßnahmen werden vom Gesetz nicht im einzelnen festgelegt, vielmehr soll nach Abs. 4 a.a.O. der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen in den Richtlinien nach § 92 SGB V die medizinischen Einzelheiten zu Voraussetzungen, Art und Umfang der Maßnahmen regeln. § 27 a Abs. 4 SGB V überträgt also die Konkretisierung der Leistungen, die unter Abs. 1 a.a.O. fallen, dem Bundesausschuß. Diese Ermächtigung geht über die Regelung in § 92 Abs. 1 SGB V hinaus, die nur allgemein festlegt, daß die Richtlinien die Gewähr für eine ausreichende, zweckmäßige und wirtschaftliche Versorgung schaffen sollen (BSGE 78, 70, 76 f.; Schmidt in: Peters, Handbuch der Krankenversicherung - SGB V, § 27 a Rdnr. 188). Da der Bundesausschuß die "medizinischen Einzelheiten" auch zur Art der Maßnahme nach Abs. 1 festlegen soll, ist ihm damit die Kompetenz zugewiesen, über die bei der künstlichen Befruchtung einsetzbaren Methoden zu entscheiden (s. auch Schmidt, a.a.O., Rdnr. 41). Somit kann, da Leistungsansprüche der Versicherten nach § 27 a Abs. 1 SGB V nach Maßgabe der (rechtmäßigen) Richtlinien bestehen, ebenso wie im Rahmen des § 135 Abs. 1 SGB V (vgl. insoweit BSG SozR 3-2500 § 135 Nr. 4) eine Methode der künstlichen Befruchtung nur dann zu Lasten der Krankenkassen gehen, wenn sie zuvor der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen in die Richtlinien aufgenommen hat. Hierfür spricht auch, daß insoweit eine Verbindung zu § 135 Abs. 1 SGB V besteht, als eine nicht anerkannte Methode der künstlichen Befruchtung nicht im EBM enthalten und daher auch nicht abrechnungsfähig ist. Insofern handelt es sich um eine "neue" Methode im Sinne des § 135 Abs. 1 SGB V (vgl. BSG SozR 3-2500 § 92 Nr. 7 S. 49 f.; SozR 3-2500 § 135 Nr. 4 S. 12 f.), die allerdings wegen der spezielleren Ermächtigungsnorm des § 27 a Abs. 4 SGB V nicht in den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 SGB V, sondern nach Nr. 10 a.a.O. zu regeln ist. Im Ergebnis kann aber eine Methode der künstlichen Befruchtung ebenso wie eine noch nicht im EBM enthaltene Behandlungsmethode erst dann zu Lasten der Krankenkasse erbracht werden, wenn der Bundesausschuß sie in die Richtlinien aufgenommen hat.
Daran fehlt es hier. Die Richtlinien über medizinische Maßnahmen zur Herbeiführung einer Schwangerschaft vom 14.08.1990 sehen in Nr. 10 ("Methoden") neben anderen nur die IVF mit Embryo-Transfer als ärztliche Maßnahme vor. Mit Beschluss vom 01.10.1997 hat der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen eine Ergänzung der Richtlinien um die Nr. 10.5 beschlossen, wonach die ICSI derzeit nicht als Methode der künstlichen Befruchtung in Betracht kommt (BAnz Nr. 243 vom 31.12.1997).
Damit ist die ICSI als Leistung in der GKV ausgeschlossen. Bei den Richtlinien nach § 92 Abs. 1 SGB V handelt es sich nach der neueren Rechtsprechung des BSG (grundlegend BSGE 78, 70; BSG SozR 3-2500 § 92 Nr. 7; SozR 3-2500 § 135 Abs. 4), der der Senat folgt (zuletzt Senatsurteil vom 24.01.2000 - L 5 KR 63/98), um untergesetzliche Rechtsnormen, die auch für die Versicherten verbindlich festlegen, welche Leistungen Bestandteil der vertragsärztlichen Versorgung sind. Ein Versicherter, der sich eine nach den Richtlinien ausgeschlossene Leistung beschafft, kann im Kostenerstattungsverfahren nicht einwenden, die Methode sei gleichwohl zweckmäßig und in seinem konkreten Fall wirksam gewesen (BSG SozR 3-2500 § 92 Nr. 7 S. 60; SozR 3-2500 § 135 Nr. 4 S. 20). Da nach dem oben Gesagten auch eine Methode der künstlichen Befruchtung erst nach Aufnahme in die Richtlinien nach §§ 27 a Abs. 4, 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 SGB V zu Lasten der Krankenkasse erbracht werden kann, ist es hier unerheblich, daß die genannte Ergänzung der Richtlinien in Nr. 10.5 erst nach Durchführung der ICSI erfolgt ist.
Ein Kostenerstattungsanspruch kommt auch nicht deshalb in Betracht, weil dem Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen Verfahrensfehler vorzuwerfen wären. Die Entscheidung des Bundesausschusses ist nicht zu beanstanden.
Da es sich bei den Richtlinien um untergesetzliche Rechtsnormen handelt, besteht für den Bundesausschuß wie für jeden Normgeber ein eigener Gestaltungs- und Beurteilungsspielraum. Die Gerichte sind auf die Überprüfung beschränkt, ob die Richtlinien in einem rechtsstaatlichen Verfahren formal ordnungsgemäß zustande gekommen sind und mit dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung in Einklang stehen. Eine darüber hinausgehende Inhaltskontrolle ist ihnen verwehrt (BSG SozR 3-2500 § 92 Nr. 7 S. 60).
Das Verfahren des Bundesausschusses begegnet keinen Bedenken. Befürworter wie Kritiker der Methode sind gleichermaßen in der den Beschluss des Bundesausschusses vorbereitenden Sitzung des Arbeitsausschusses "Richtlinien über künstliche Befruchtung" (seit 01.07.1997: "Familienplanung") am 10.05.1997 gehört worden. Neben der Frage des Drohens genetischer Anomalien bei der Anwendung der ICSI war vor allem streitig, ob ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko besteht. Zu dieser Frage hat der Arbeitsausschuß im Anschluß an die Sitzung eine schriftliche biometrische Stellungnahme von Priv. Doz. Dr. W. zu den publizierten Befunden zur Prävalenz schwerer Mißbildungen nach Verfahren der künstlichen Befruchtung durch die ICSI eingeholt. In der Sitzung am 27.09.1997 hat er sich unter Anhörung von Priv.Doz. Dr. W. mit dieser Stellungnahme befaßt. Auf der Grundlage seiner Ermittlungen ist er schließlich zum Ergebnis gelangt, daß die Datenlage gegenwärtig noch zu unsicher und unzureichend ist, um beurteilen zu können, ob ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko auszuschließen ist. Auf der Grundlage seiner Beschlussvorlage hat dann der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen seinen Beschluss vom 01.10.1997 getroffen.
Die Entscheidung des Bundesausschusses steht im Einklang mit dem Zweck der gesetzlichen Ermächtigung. Inhaltliche Vorgaben für die Festlegung der "medizinischen Einzelheiten" ergeben sich aus §§ 2 Abs. 1 Satz 3, 12 Abs. 1 SGB V. Die in Betracht kommenden Maßnahmen der Herbeiführung einer Schwangerschaft müssen somit hinsichtlich ihrer Qualität und Wirksamkeit dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse entsprechen und den medizinischen Fortschritt berücksichtigen (§ 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V), ferner müssen sie - auch im Vergleich zu etablierten Methoden - wirtschaftlich sein (§ 12 Abs. 1 SGB V).
Die Entscheidung des Bundesausschusses beruht nicht auf Zweifeln an der Wirksamkeit der ICSI, sondern auf Bedenken wegen der mit der Anwendung der Methode verbundenen Risiken, insbesondere des Mißbildungsrisikos. Diese Berücksichtigung der "Nebenwirkungen" der Methode ist sachgerecht. Die von § 2 Abs. 1 Satz 3 SGB V geforderte Qualität einer Behandlungsmethode wird auch durch die mit ihrer Anwendung verbundenen Risiken bestimmt. Der therapeutische Nutzen der Methode muß die zu erwartenden bzw. möglichen Nachteile überwiegen, die Risiken müssen im Hinblick auf den zu erwartenden Nutzen vertretbar sein. Insoweit kann eine Parallele zum Arzneimittelbereich gezogen werden. Ebensowenig wie wegen unvertretbarer Nebenwirkungen bedenkliche Arzneimittel zugelassen (§ 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 AMG) oder auf den Markt gebracht werden dürfen (§ 5 Abs. 1 AMG) können Behandlungsmethoden angewandt werden, deren Anwendung nicht hinnehmbare schädliche Wirkungen oder Risiken mit sich bringen.
Allerdings sehen die Vertreter der Methode, vor allem die Anwender in den reproduktionsmedizinischen Zentren, keine Anhaltspunkte dafür, daß bei einer ICSI-Behandlung von gesteigerten Risiken hinsichtlich einer genetischen Fehlbildung, einer erhöhten Fehlbildungsrate oder der mentalen Entwicklung auszugehen ist. Die Methode wird in praktisch jedem reproduktionsmedizinischen Zentrum in der Bundesrepublik eingesetzt und schon 1996 hat die Zahl der Unfruchtbarkeitsbehandlungen mit Hilfe der ICSI die Zahl derjenigen überstiegen, die durch konventionelle IVF erfolgte (s. Gutachten Prof. Dr. K.). Prof. Dr. D. hat schon im Arbeitsausschuß am 15.05.1997 darauf hingewiesen, daß die Richtlinien der AG Fortpflanzungsmedizin der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe die ICSI als ethisch vertretbare Behandlung propagierten, weil die vorliegenden Daten rechtfertigten, daß es sich um eine gefahrlose Behandlung handele. Nunmehr sehen auch die Richtlinien zur Durchführung der assistierten Reproduktion der Bundesärztekammer (DtÄrzteBl. 1998; 95: A-3166) die ICSI als medizinisch und ethisch vertretbare Behandlung an. Im Rahmen des ihm zustehenden Gestaltungs- und Beurteilungsspielraumes ist der Bundesausschuß der Ärzte und Krankenkassen aber bei seiner Entscheidung nicht an die Richtlinien medizinischer Fachgesellschaften oder der Bundesärztekammer oder die Verbreitung innerhalb der Fachkreise gebunden. Er darf berücksichtigen, daß ungeachtet der breiten Anwendung der ICSI ihre Sicherheit angezweifelt wird. In der Sitzung des Arbeitsausschusses am 15.05.1997 sind die Bedenken gegen die ICSI artikuliert worden (Prof. Dr. B., Prof. Dr. Sch., Prof. Dr. K.). Die vorliegenden Studien mögen zwar keinen Beleg dafür bieten, daß bei nach ICSI geborenen Kindern mit einer erhöhten Fehlbildungsrate zu rechnen ist. Auf der anderen Seite besteht aber ebenfalls Einigkeit, daß die vorliegenden Daten keine zuverlässige, wissenschaftlich gesicherte Aussage über das Fehlbildungsrisiko zulassen. Das hat Priv.Doz. Dr. W. in seinem biometrischen Gutachten vom 02.09.1997 für den Ausschuß im einzelnen erläutert. Auch Prof. Dr. K. legt in ihrem Gutachen vom 26.11.1999 dar, daß sich die vorliegenden Studien hinsichtlich der Definition der erfaßten Fehlbildungen, der Bezugsgruppe und der Erhebungsqualität erheblich unterscheiden und keine zuverlässige Aussage zur Prävalenz von Fehlbildungen nach ICSI im Vergleich zur natürlichen Prävalenz zulassen, wobei andererseits anhand der vorliegenden Daten eine Erhöhung der Fehlbildungsrate nach ICSI bis zu einer Verdoppelung der Prävalenz sich nicht ausschließen läßt. Prof. Dr. D. widerspricht zwar in seinem Gutachten vom 22.09.1999 der Aussage einer australischen Studie (Kurinczuk/Dower, British Medical Journal 1997; 315, 1260), die in einer Re-Analyse einer belgischen Studie zu einem doppelt so hohen Mißbildungsrisiko für nach ICSI geborene Kinder als nach natürlicher Zeugung kam, weil bei der australischen Studie die Methode der Erfassung von Fehlbildungen unberücksichtigt geblieben sei und man bei einem Vergleich mit einem aktiven Fehlbildungsregister zu einer entsprechenden Fehlbildungsrate komme (kritisch zu diesem Einwand wiederum Prof. Dr. K., da schon die belgischen Autoren ihrerseits die Eurocat-Kriterien für die Fehlbildungen nicht ein gehalten haben). Er räumt aber ein, daß die australische Studie jedenfalls ("nur", so Prof. Dr D.) beweise, daß es einer prospektiven, kontrollierten und standardisierten Studie bedarf, die eine ausreichende statistische Aussagekraft hat, um zu einer endgültigen Klärung zu kommen. Daß erst eine solche Studie, die der Bundesausschuß in einer Protokollnotiz bei seiner Entscheidung vom 01.10.1997 gefordert hat (s. BKK 1998, 147), zu wissenschaftlich gesicherten Erkenntnissen führt, haben auch die Autoren der belgischen Studien in ihrer Erwiderung auf die australische Studie konzediert (Bonduelle et al., British Medical Journal 1997; 315, 1265; s. auch Mitchell, a.a.O., 1245, der auf die Notwendigkeit einer einheitlichen Definition der Fehlbildungen und der Art der Erhebungen hinweist). Engel u.a. (Deutsche DtÄrzteBl. 1998; 95 A-1902) verneinen zwar aufgrund theoretischer Überlegungen ein erhöhtes Fehlbildungsrisiko nach ICSI, sofern bei den Paaren keine genetischen Ursachen für die Fertilitätsstörung gefunden werden konnten. Sie räumen allerdings ein, daß die aus den reproduktionsbiologischen Ergebnissen abgeleiteten Schlußfolgerungen nicht mit der Realität übereinstimmen müssen und daß die Information über Fehlbildungen und Chromosomenanomalien in ICSI-Schwangerschaften bescheiden seien. Die bislang vorhandenen Daten über aktive Fehlbildungsdiagnostik seien für eine abschließende Beurteilung des Risikos für Fehlbildungen in solchen Schwangerschaften nicht ausreichend; dies gelte auch für die Frage nach einem erhöhten Risiko für Chromosomenanomalien in solchen Schwangerschaften. Eine geringe Risikoerhöhung für Chromosomenanomalien nach ICSI seien nicht auszuschließen. Die Frage könne letztlich nur geklärt werden, wenn man sich auf ein gemeinsames und strukturiertes Vorgehen einige.
Die Berücksichtigung möglicher Risiken ist bei Methoden der künstlichen Befruchtung um so mehr gerechtfertigt, als es nicht um die Behandlung gravierender oder sogar lebensbedrohender Krankheiten geht, bei deren Behandlung unter Umständen auch nicht unerhebliche Nebenwirkungen in Kauf genommen werden müssen. Im Arzneimittelrecht muß durch eine Nutzen-Risiko-Abwägung entschieden werden, ob die schädlichen Wirkungen eines Arzneimittels im Hinblick auf die gewünschten Vorteile hingenommen werden können (vgl. Kloesel/Cyran, AMG, § 5 Rdnr. 31). Bei dieser Abwägung sind neben dem Schweregrad und der Häufigkeit der unerwünschten Wirkung die Behandlungsnotwendigkeit und Therapiealternativen zu berücksichtigen (vgl. im einzelnen Kloesel/Cyran, a.a.O., § 25 Rdnr. 56). Von Bedeutung ist bei der Beurteilung bedenklicher Arzneimittel ferner, welche Nachteile bei Nichtanwendung des Mittels drohen (vgl. a. BVerwG Buchholz 424.4 Nr. 1). Überträgt man diese Gesichtspunkte auf den vorliegenden Fall, ist festzustellen, daß es zwar bei schweren männlichen Infertilitätsstörungen keine adäquate Behandlungsalternative gibt (die von Prof. Dr. K. in ihrem Gutachten genannte heterologische Insemination ist nicht nur wegen der rechtlichen Unwägbarkeiten keine gleichwertige Möglichkeit), jedoch letztlich die Folgen bei Nichtbehandlung relativ geringfügig sind. Auf der anderen Seite können mögliche Mißbildungen sowohl für die geborenen Kinder wie die Eltern eine erhebliche Belastung darstellen. Die Berücksichtigung des Mißbildungsrisikos bedeutet nicht eine Minderschätzung behinderter Kinder. Es steht außer Zweifel, daß auch Behinderten das gleiche Lebensrecht und die gleiche personale Würde zusteht wie Gesunden. Eine andere Frage ist es aber, ob es sinnvoll sein kann, Kinderlosigkeit mittels medizinischer Techniken zu behandeln, die ein erhöhtes Mißbildungsrisiko in sich bergen. Es wäre kaum verständlich, wenn einerseits Mißbildungen eine Abtreibung rechtfertigen könnten (embryopathische Indikation, vgl. Schönke/Schröder-Eser, StGB, 25. Aufl., § 218 a Rdnr. 25), andererseits bei Nichterfüllung eines Kinderwunsches auf natürlichem Wege Methoden angewandt würden, die zu einer erhöhten Fehlbildungsrate (mit der Folge möglicher Abtreibungen) führen könnten. Gerade angesichts des von Prof. Dr. K. in ihrem Gutachten genannten Aspekts, daß die ICSI nicht zuvor an Tieren erprobt und hinsichtlich ihrer Risiken überprüft worden ist, so daß noch nicht einmal auf tierexperimentelle Erfahrungen zurückgegriffen werden kann, hält der Senat die Forderung des Bundesausschusses der Ärzte und Krankenkassen nach wissenschaftlich verläßlichen Daten zum Fehlbildungsrisiko zumindest für vertretbar. Soweit in der Sitzung des Arbeitsausschusses am 17.05.1997 Zweifel daran geäußert worden sind, daß es überhaupt möglich sei, eine Studie durchzuführen (Dr. Thaele), beziehen sich diese auf das Langzeitrisiko. Daß das Fehlbildungsrisiko überprüft werden kann, zeigt die im August 1998 begonnene multizentrische Studie. Ob die von Prof. Dr. K. in ihrem Gutachten genannten Bedenken wegen genetischer Defekte und der mentalen Entwicklung von nach ICSI geborenen Kindern, die nur langfristig beurteilt werden können, auch nach Klärung des Fehlbildungsrisikos die Ablehnung einer Aufnahme der ICSI in die Richtlinien rechtfertigen können, kann derzeit dahinstehen.
Da nach dem oben Gesagten auch eine Methode der künstlichen Befruchtung erst nach Aufnahme in die Richtlinien nach §§ 27 a Abs. 4, 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 10 SGB V zu Lasten der Krankenkasse erbracht werden kann, ist es hier unerheblich, daß die genannte Ergänzung der Richtlinien in Nr. 10.5 erst nach Durchführung der ICSI erfolgt ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der streitigen Rechtsfragen (§ 160 Abs. 2 Ziff. 1 SGG) zugelassen.
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