Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Entschädigungs-/Schwerbehindertenrecht
Abteilung
8
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 6 SB 1429/14
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 SB 2678/16
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 16.06.2016 abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des bei der Klägerin festzustellenden Grades der Behinderung (GdB) streitig.
Die 1960 geborene Klägerin beantragte bei dem Landratsamt S. (LRA) am 20.12.2012 (Blatt 1 VA) erstmals die Feststellung eines GdB.
Das LRA holte den Befundschein des Dr. F. vom 15.05.2013 (Blatt 15/16 VA) ein, der den Befundbericht des S.-Klinikums vom 14.05.2012 (Blatt 8/11 VA – morbide Adipositas), die Befundberichte des Orthopäden B. vom 08.02.2012 (Blatt 7 VA – Adipositas, Lumbalsyndrom) und 02.01.2012 (Blatt 6 VA – Z.n. Knie-TEP beidseits) und den Befundbericht des S.-Klinikums vom 30.05.2011 (Blatt 3/5 VA – Gonarthrose links) vorlegte, sowie den Befundschein des Internisten Dr. D. vom 26.07.2013 (Blatt 41/43 VA – somatoforme Schmerzstörung, ängstlich depressive Störung, Gonarthrose, Spannungskopfschmerz, Tinnitus, Adipositas).
Weiterhin zog das LRA den Entlassungsbericht der B. Klinik Ü. vom 22.06.2011 über die vom 30.05.2011 bis 20.06.2011 durchgeführte stationäre Rehabilitation (Blatt 17/23 VA – Diagnosen: Gonarthrose beidseits, arterielle Hypertonie, Adipositas, tiefe Beinvenenthrombose rechts), den Entlassungsbericht vom 05.07.2006 der Rehaklinik Bad S. über die in der Zeit vom 06.06.2006 bis 04.07.2006 durchgeführte stationäre Rehabilitation (Blatt 27/38 VA) sowie den Entlassungsbericht der Klinik für Psychiatrie C. vom 14.07.2012 (Blatt 44/46 VA – mittelgradige depressive Episode, Anpassungsstörung, Fibromyalgie) bei.
Dr. W. erstattete die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 20.08.2013 (Blatt 48/49 VA) und führte aus, dass eine akute depressive Episode nicht zu einer höheren Anerkennung führe. 2006 habe allenfalls ein GdB von 20 vorgelegen. Empfohlen wurde die Feststellung eines GdB von 40 unter Berücksichtigung folgender Funktionseinschränkungen: - Chronisches Schmerzsyndrom (Einzel-GdB 20) - Kniegelenkstotalendoprothese beidseits (Einzel-GdB 30) - Bluthochdruck, Adipositas (Einzel-GdB 10) - Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (Einzel-GdB 10)
Gestützt hierauf stellte das LRA mit Bescheid vom 26.08.2013 (Blatt 50/52 VA) einen GdB von 40 seit dem 01.08.2010 sowie einen GdB von 20 für die Zeit vom 06.06.2006 bis 31.07.2010 fest.
Gegen den Bescheid erhob die Klägerin am 26.09.2013 (Blatt 55 VA) Widerspruch und machte geltend, dass das chronische Schmerzsyndrom, die depressive Verstimmung und die Polyarthralgien höher als mit 20 zu bewerten seien. Sie leide an einer Migräne und unter Wirbelsäulenproblemen.
Das LRA holte den Befundschein des Psychiaters Dr. G. vom 05.12.2013 (Blatt 63 VA – einmalige Behandlung am 21.11.2013) sowie des Orthopäden Dr. B. vom 08.12.2013 (Blatt 65/66 VA – chronisches Impingementsyndrom beider Schultern, Z.n. Knie-TEP beidseits, Adipositas, chron. Lumbalsyndrom, generalisiertes Fibromyalgiesyndrom) ein. Dr. D. erstattete die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 13.04.2014 (Blatt 69 VA) und führte aus, dass die degenerativen Schäden im Wirbelsäulenbereich mit 10 angemessen bewertet seien, GdB-relevante Folgen der Beinvenenthrombose seien nicht ersichtlich.
Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21.05.2014 (Blatt 71/72 VA) zurück.
Am 06.06.2014 erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG). Das SG holte die sachverständigen Zeugenauskünfte des Facharztes für Allgemeinmedizin F. vom 22.09.2014 (Blatt 17/19 SG-Akte – chronisches Schmerzsyndrom mit psychischen Faktoren, Polyarthrose, Knie-TEP, depressive Symptomatik, chronisch venöse Insuffizienz), des Psychiaters Dr. G. vom 06.11.2014 (Blatt 22/26 SG-Akte – depressives Syndrom mit zeitweilig deutlichen Rückzugstendenzen) sowie der Orthopädin Dr. R. vom 23.11.2014 (Blatt 27/29 SG-Akte – Knie-TEP beidseits, Adipositas, chronisches Lumbalsyndrom, V.a. Coxarthrose rechts, Fibromyalgiesyndrom, Somatisierungsstörungen, Depressionen) ein. Der Beklagte legte die versorgungsärztliche Stellungnahme des Dr. V. vom 12.02.2015 (Blatt 32 SG-Akte – Durchführung einer orthopädischen Begutachtung) vor.
Das SG holte das orthopädische Sachverständigengutachten des PD Dr. L. vom 28.09.2015 (Blatt 43/66 SG-Akte) ein, der einen Gesamt-GdB von 40 seit dem 01.08.2010 annahm sowie das neurologisch-psychiatrische Sachverständigengutachten des Dr. G. vom 08.02.2016 (Blatt 74/88 SG-Akte), der einen Gesamt-GdB von höchstens 40 seit dem 01.08.2010 annahm.
Mit Urteil vom 16.06.2016 änderte das SG den Bescheid des Beklagten vom 26.08.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.05.2014 ab und verpflichtete den Beklagten, ab dem 20.12.2012 einen GdB von 50 festzustellen. Im Übrigen wies es die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, dass für die beidseitige Knie-TEP ein Einzel-GdB von 30 zu berücksichtigen sei. Ein höherer GdB komme nicht in Betracht, da nach dem Sachverständigen Dr. L. ein insgesamt gutes postoperatives funktionelles Ergebnis vorliege. Auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet könne ein GdB von 30 angenommen werden, die Fibromyalgie sei immer wieder mit hohen Entzündungswerten berichtet worden, die Klägerin nehme regelmäßig Antidepressiva und Schmerzmittel vom Opiattyp ein. Für die Thrombose komme kein höherer GdB als 10 in Betracht, bei zwei GdB-Werten von 30 könne ein GdB von 50 gebildet werden, der GdB von 30 für die Kniegelenksendoprothese und von 30 für das Schmerzsyndrom überschnitten sich nicht wesentlich.
Gegen das dem Beklagtem am 11.07.2016 (Blatt 106 SG-Akte) zugestellte Urteil hat dieser am 20.07.2016 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt und macht unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahmen des Dr. W. vom 13.07.2016 (Blatt 13 Senatsakte) und 05.01.2017 (Blatt 33/34 Senatsakte) geltend, das aus zwei Einzel-GdB Werten von 30 ein Gesamt-GdB von 50 nur gebildet werden könne, wenn eine gegenseitige Verstärkung der Funktionsbeeinträchtigungen vorliege. Trotz Erhöhung des Einzel-GdB von 20 auf 30 für die psychische Funktionseinschränkung sei an dem Gesamt-GdB von 40 festzuhalten.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 16.06.2016 aufzuheben und die Klage vollumfänglich abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und legt die Entlassungsberichte der A. Kliniken vom 26.09.2016 (Blatt 26/31 Senatsakte) und 02.10.2017 (Blatt 40/46 Senatsakte) vor.
Der Senat hat das orthopädische Sachverständigengutachten des Dr. H. vom 31.08.2018 (Blatt 53/79) mit Zusatzgutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie B. vom 26.08.2018 (Blatt 80/108 Senatsakte) eingeholt.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Blatt 110/113 Senatsakte).
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Gerichtsakten ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§§ 124 Absatz 1, 153 Absatz 1 SGG), ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig und begründet. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 26.08.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.05.2014 ist nicht rechtswidrig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Das SG hat der Klage zu Unrecht teilweise entsprochen.
Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid des Beklagten vom 26.08.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.05.2014 insoweit, als das SG diesen ab dem 20.12.2012 abgeändert und den Beklagten zur Feststellung eines GdB von 50 verurteilt hat. Die davor liegenden Zeiträume sind, nachdem die Klägerin keine Berufung gegen die Klageabweisung im Übrigen eingelegt hat, bestandskräftig entschieden. Der Senat musste daher nicht entscheiden, ob die Klägerin auch die Feststellung eines GdB für Zeiten vor der Antragsstellung, mithin vor dem 20.12.2012, beanspruchen kann.
Die GdB-Bewertung richtet sich nach den Vorschriften des SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung des Bundesteilhabegesetzes vom 23.12.2016 (BGBl. I 2016, 3234), da maßgeblicher Zeitpunkt bei Verpflichtungs- und Leistungsklagen der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz ist, wobei es für laufende Leistungen auf die Sach- und Rechtslage in dem jeweiligen Zeitraum ankommt, für den die Leistungen begehrt werden; das anzuwendende Recht richtet sich nach der materiellen Rechtslage (Keller in: Meyer Ladewig, SGG, 12. Auflage, § 54 RdNr. 34). Nachdem § 241 Absatz 2 SGB IX lediglich eine (Übergangs-) Vorschrift im Hinblick auf Feststellungen nach dem Schwerbehindertengesetz enthält, ist materiell-rechtlich das SGB IX in seiner derzeitigen Fassung anzuwenden.
Nach § 152 Absatz 1 SGB IX (§ 69 Abs. 1 und 3 SGB IX a.F.) stellen auf Antrag des Menschen mit Behinderung die für die Durchführung des BVG zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB. Nach § 2 Absatz 1 Satz 1 SGB IX sind Menschen mit Behinderungen Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Geisteszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht, § 2 Absatz 1 Satz 2 SGB IX. Schwerbehindert sind gemäß § 2 Abs. 2 SGB IX Menschen, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt. Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt; eine Feststellung ist nur zu treffen, wenn ein Grad der Behinderung von wenigstens 20 vorliegt (§ 152 Absatz 1 Satz 6 SGB XI). Bis zum 31.12.2008 waren die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). Seit 01.01.2009 ist an die Stelle der AHP, die im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewendet wurden, die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die Bewertung des GdB maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind (§ 70 Abs. 2 SGB IX in der ab 15.01.2015 gültigen Fassung). Bis zum 14.01.2015 galten gemäß § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX (in der Fassung vom 20.06.2011) die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 16 des BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. Hiervon hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales Gebrauch gemacht und die VersMedV erlassen, um unter anderem die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG zu regeln (vgl. § 1 VersMedV). Die zugleich in Kraft getretene, auf der Grundlage des aktuellen Standes der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin erstellte und fortentwickelte Anlage "VG" zu § 2 VersMedV ist an die Stelle der bis zum 31. Dezember 2008 heranzuziehenden AHP getreten. In den VG wird der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben (BSG, Urteil vom 1. September 1999 - B 9 V 25/98 R -, SozR 3-3100 § 30 Nr. 22). Hierdurch wird eine für den Menschen mit Behinderung nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht. Anders als die AHP, die aus Gründen der Gleichbehandlung in allen Verfahren hinsichtlich der Feststellung des GdB anzuwenden waren und dadurch rechtsnormähnliche Wirkungen entfalteten, ist die VersMedV als Rechtsverordnung verbindlich für Verwaltung und Gerichte. Sie ist indes, wie jede untergesetzliche Rechtsnorm, auf inhaltliche Verstöße gegen höherrangige Rechtsnormen - insbesondere § 152 SGB IX (§ 69 a.F.) - zu überprüfen (BSG, Urteil vom 23.4.2009 - B 9 SB 3/08 R - RdNr 27, 30 m.w.N.). Sowohl die AHP als auch die VersMedV (nebst Anlage) sind im Lichte der rechtlichen Vorgaben des § 152 SGB IX auszulegen und - bei Verstößen dagegen - nicht anzuwenden (BSG, Urteil vom 30.09.2009 SozR 4-3250 § 69 Nr. 10 RdNr. 19 und vom 23.4.2009, a.a.O., RdNr 30).
Allgemein gilt, dass der GdB auf alle Gesundheitsstörungen, unabhängig ihrer Ursache, final bezogen ist. Der GdB ist ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens. Ein GdB setzt stets eine Regelwidrigkeit gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand voraus. Dies ist insbesondere bei Kindern und älteren Menschen zu beachten. Physiologische Veränderungen im Alter sind bei der Beurteilung des GdB nicht zu berücksichtigen. Erfasst werden die Auswirkungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben. Dabei sollen im Allgemeinen Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden (VG, Teil A, Nr. 2 e).
Die Feststellung des GdB erfolgt zum Zeitpunkt der Antragstellung; auf Antrag kann, wenn ein besonderes Interesse glaubhaft gemacht wird, festgestellt werden, dass ein GdB bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen hat § 152 Abs. 1 Satz 2 SGBX; (§ 69 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB IX a.F.).
Die Bemessung des Gesamt-GdB (dazu s. unten) erfolgt nach § 152 Absatz 3 SGB IX (§ 69 Abs. 3 SGB IX a.F.). Danach ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet. Insoweit scheiden dahingehende Rechtsgrundsätze, dass ein Einzel-GdB nie mehr als die Hälfte seines Wertes den Gesamt-GdB erhöhen kann, aus. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. A Nr. 3 VG). Der Gesamt GdB ist unter Beachtung der VersMedV einschließlich der VG in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3 3879 § 4 Nr. 5 zu den AHP). Es ist also eine Prüfung vorzunehmen, wie die einzelnen Behinderungen sich zueinander verhalten und ob die Behinderungen in ihrer Gesamtheit ein Ausmaß erreichen, das die Schwerbehinderung bedingt. Insoweit ist für die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft - gleiches gilt für alle Feststellungsstufen des GdB - nach den allgemeinen Beschreibungen in den einleitenden Teilen der VG als Maßstab der Vergleich zu den Teilhabebeeinträchtigungen anderer Behinderungen anzustellen, für die im Tabellenteil ein Wert von 50 - oder ein anderer Wert - fest vorgegeben ist (BSG 16.12.2014 - B 9 SB 2/13 R - SozR 4-3250 § 69 Nr. 18 = juris). Damit entscheidet nicht allein die Anzahl einzelner Einzel-GdB oder deren Höhe die Höhe des festzustellenden Gesamt-GdB. Vielmehr ist der Gesamt-GdB durch einen wertenden Vergleich dadurch zu bilden, dass die in dem zu beurteilenden Einzelfall bestehenden Funktionsbehinderungen mit den vom Verordnungsgeber in den VG für die Erreichung einer bestimmten Feststellungsstufe des GdB bestimmten Funktionsbehinderungen in Beziehung zu setzen sind - z.B. ist bei Feststellung der Schwerbehinderung der Vergleich mit den für einen GdB von 50 in den VG vorgesehenen Funktionsbehinderungen, bei Feststellung eines GdB von 60 ist der Vergleich mit den für einen GdB von 60 in den VG vorgesehenen Funktionsbehinderungen usw. vorzunehmen. Maßgeblich sind damit grundsätzlich weder Erkrankungen oder deren Schlüsselung in Diagnosemanualen an sich noch ob eine Beeinträchtigung der beruflichen Leistungsfähigkeit aufgetreten ist, sondern ob und wie stark die funktionellen Auswirkungen der tatsächlich vorhandenen bzw. ärztlich objektivierten Erkrankungen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX) anhand eines abstrakten Bemessungsrahmens (Senatsurteil 26.09.2014 - L 8 SB 5215/13 - juris RdNr. 31) beeinträchtigen. Dies ist - wie dargestellt - anhand eines Vergleichs mit den in den VG gelisteten Fällen z.B. eines GdB von 50 festzustellen. Letztlich handelt es sich bei der GdB-Bewertung nicht um eine soziale Bewertung von Krankheit und Leid, sondern um eine anhand rechtlicher Rahmenbedingungen vorzunehmende, funktionell ausgerichtete Feststellung.
Nach diesen Maßstäben konnte der Senat auf orthopädischem Gebiet Funktionsbeeinträchtigungen feststellen, die einen Einzel-GdB von 30 bedingen.
Nach VG Teil B Nr. 18.12 beträgt der GdB bei beidseitiger Totalendoprothese des Kniegelenks, wie bei der Klägerin, mindestens 30, ein höherer GdB kommt indessen nicht in Betracht. Gestützt auf das orthopädische Sachverständigengutachten des Dr. H. vom 31.08.2018 (Blatt 68 Senatsakte) konnte der Senat feststellen, dass bei der Klägerin im Bereich beider Kniegelenke reizlose Narben nach endoprothetischem Ersatz bestehen. Die Kniegelenke waren reizlos, beidseits bestand keine Kapselschwellung und kein intraartikulärer Erguss. Es bestand eine normale Position bei uneingeschränkter Beweglichkeit und unauffälliger Führung der Kniescheiben. Über den medialen Facetten und den unteren Polen ließen sich Druckschmerzen auslösen, Klopf-, Verschiebe- und Quadrizepssehnenspannungsschmerzen wurden beidseits nicht angegeben, die Wadenbeinköpfchen waren palpatorisch unauffällig, die Kniegelenke nicht eingeschränkt, Bewegungsschmerzen wurden bei stabiler Bandführung nicht angegeben. Die Beweglichkeit für Beugung/Streckung wird beidseits mit 120-0-0° angegeben, bei normaler Außen-/ und Innendrehung. In der Röntgenuntersuchung zeigten sich regelrecht einliegende Implantate ohne Hinweise auf Lockerung oder Entzündung. Das Gangbild war kurzschrittig, aber nicht entlastend oder hinkend, die Schwung- und Standphasen beider Beine unauffällig. Von diesem GdB von 30 im Funktionssystem der Beine sind auch das thrombotische Syndrom am linken Unterschenkel nach Thrombose und die trophischen Hautveränderungen im Bereich beider Unterschenkel, sowie die gering ausgeprägte Hallux-valgus-Stellung beidseits, die statisch ohne Auswirkung ist, umfasst. Aus dem Sachverständigengutachten des Dr. H. ergeben sich, ebenso wie aus dem Sachverständigengutachten des Herrn B. und den Berichten der A. Klinik, keine Funktionsbeeinträchtigungen, die aus den genannten Gesundheitsstörungen resultieren. Hinsichtlich des von Dr. G. beschriebenen postthrombotischen Syndroms und der chronisch-venösen Insuffizienz ist alleine eine Behandlung mit Kompressionsstrümpfen und Blutverdünnern berichtet, aber keine belastungsabhängigen Ödeme oder Entzündungen mehrmals im Jahr (vgl. VG Teil B Nr. 9.2.3).
Im Bereich der oberen Extremitäten konnte der Senat keine Funktionsbeeinträchtigungen feststellen, die einen Einzel-GdB bedingen würden.
Dem Sachverständigengutachten des Dr. H. vom 31.08.2018 entnimmt der Senat, dass die die Schulter bedeckende Muskulatur seitengleich ausgebildet war und keine Schmerzen angeben wurden. An den Schultergelenken bestanden keinen Schwellungen, die Beweglichkeit war weder bei der passiven noch bei der aktiven Bewegungsprüfung eingeschränkt, Nacken- und Schürzengriff wurden ohne Schmerzangaben ausgeführt, bei der Prüfung der Kraft gegen Widerstand wurden keine Schmerzen angegeben, die Beweglichkeit lag für Ab-/Anspreizung beidseits bei 140-0-40°, für Vor-/Rückhebung beidseits bei 160-0-30° und für Außen- und Innendrehung bei 80-0-70°. Die Röntgenaufnahmen der rechten und linken Schulter in zwei Ebenen ergaben jeweils Normalbefunde. Entsprechende Befunde sind bereits durch den Sachverständigen PD Dr. L. (Sachverständigengutachten vom 28.09.2016, Blatt 53 SG-Akte) erhoben worden.
An den Ellenbogengelenken stellten sich die beteiligten Ober- und Unterarmknochen beidseits inspektorisch unauffällig dar, es bestanden keine Kapselschwellungen oder Ergussbildungen. Weder über den Epicondylen, an den Gelenkspalten noch paraartikulär wurden Druckdolenzen angegeben, bei der passiven und aktiven Bewegungsprüfung waren die Gelenkbewegungen nicht eingeschränkt und wurden nicht als schmerzhaft angegeben. Bei der aktiven Bewegungsprüfung und bei Widerstandbewegungen wurden beidseits keine Schmerzen angegeben.
Die Inspektion der Handgelenke zeigte beidseits keine Auffälligkeiten, bei der Palpation wurden keine Schmerzen angegeben, beidseits ließen sich bei Druck auf das Retinaculum und beim Beklopfen des Karpaltunnels keine Schmerzen auslösen, die Ulnaköpfchen standen beidseits in normaler Position, der Tastbefund an den Handwurzelknochen war unauffällig. An beiden Handgelenken bestanden keine Ergussbildung, die beuge- und streckseitigen Sehnen und Sehnenscheiden an den Unterarmen und an den Händen waren beidseits inspektorisch und palpatorisch unauffällig, bei der aktiven und passiven Bewegungsprüfung wurden beidseits keine Schmerzen angegeben. Die Hände waren unauffällig, bei der Palpation wurden keine Schmerzen angegeben, es bestanden keine Schwellungen, Ergüsse oder Verdickungen über den Grund-, sowie den Zwischen- und Endgelenken der Langfinger. Bewegungsschmerzen wurden nicht angegeben, der Faustschluss war beidseits uneingeschränkt möglich, die Fingerkuppen berührten die Hohlhand, der Spitzgriff konnte mit allen Fingern durchgeführt werden. Die die Gelenke bewegenden Muskelgruppen waren einschließlich der Schultergürtelmuskulatur an beiden Armen seitengleich entwickelt. Hinweise für isolierte Muskelschwächen oder –lähmungen fanden sich nicht, der Muskeltonus war beidseits normal. Die Muskulatur am Ober- und Unterarm war beidseits nicht druckdolent, die Muskeleigenreflexe ließen sich seitengleich auslösen, neurologische Defizite waren nicht zu objektivieren. Hinsichtlich der Beweglichkeit teilt Dr. H. folgende Werte mit:
Schultergelenke Ab-/Anspreizung 140-0-40° beidseits Vor-/Rückhebung 160-0-30° beidseits Außen-/Innendrehung 80-0-70 ° beidseits
Ellenbogengelenke 140-0-0° beidseits (Beugung/Streckung)
Unterarme 90-0-90° (Innen-/Außendrehung)
Handgelenke Beugung/Streckung 60-0-80° beidseits Abspreizung 30-0-10° beidseits
Im Bereich der Wirbelsäule konnte der Senat keine Funktionseinschränkungen feststellen, die einen Einzel-GdB von mehr als 10 bedingen.
Nach den VG Teil B 18.9 ist bei Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurz dauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) ein Teil-GdB von 10, mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) ein Teil-GdB von 20, mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) ein Teil-GdB von 30 und mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten ein Teil-GdB von 30 bis 40 gerechtfertigt. Maßgebend ist dabei, dass die Bewertungsstufe GdB 30 bis 40 erst erreicht wird, wenn mittelgradige bis schwere funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten vorliegen. Die Obergrenze des GdB 40 ist danach erreicht bei schweren Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten (Urteil des erkennenden Senats vom 24.01.2014 - L 8 SB 2497/11 -, veröffentlicht in juris und im Internet sozialgerichtsbarkeit.de). Erst bei Wirbelsäulenschäden mit besonders schweren Auswirkungen (z. B. Versteifung großer Teile der Wirbelsäule; anhaltende Ruhigstellung durch Rumpforthese, die drei Wirbelsäulenabschnitte umfasst (z. B. Milwaukee-Korsett); schwere Skoliose (ab ca. 70° nach Cobb) ist eine GdB von 50 bis 70 und bei schwerster Belastungsinsuffizienz bis zur Geh- und Stehunfähigkeit ein GdB von 80 bis 100 gerechtfertigt, die jedoch bei der Klägerin nicht vorliegen und auch nicht geltend gemacht werden.
Der Sachverständige Dr. H. hat die Wirbelsäule als im Lot bei Schulter- und Beckengeradstand ohne Seitausbiegung und ohne Rotationszeichen beschrieben. Es zeigten sich vermehrte kyphotische und lordotische Schwingungen, die Schulterblätter lagen dem Rumpf seitlich normal an. Die Rückenstreck-, Schultergürtel-, Brust- und Bauchmuskulatur war beidseits unauffällig, Verspannungen der Muskulatur im Bereich der Hals- und Schultergürtelmuskulatur sowie der Rückenstreckmuskulatur bestanden bei ansonsten unauffälligem Muskeltonus. Bei Vorwärtsbeugung des Rumpfes mit gestreckten Kniegelenken wurde unter Angabe tieflumbaler Schmerzen ein Finger-Boden-Abstand von 22 cm erreicht, die Beweglichkeit der Rumpfwirbelsäule war geringgradig eingeschränkt, die Rechtsneigung betrug 30°, die Linksneigung ebenfalls 30°. Die Rumpfdrehung rechts und links 25°, das Zeichen nach Ott lag bei 28/30/32 cm, das Zeichen nach Schober bei 8,5/10/14 cm. Die Beweglichkeit der Halswirbelsäule wird für Streckung/Beugung mit 40-0-60°, für Seitneigen rechts/links mit 40-0-40° und für die Drehung rechts/links mit 70-0-70° angegeben. Die Röntgenuntersuchung der Hals- und Lendenwirbelsäule zeigte jeweils degenerative Veränderungen. Dr. H. führt zusammenfassend für den Senat überzeugend aus, dass sich im Bereich der Halswirbelsäule neben Muskelverspannungen radiologisch nachweisbare degenerative Veränderungen zeigten, die das altersentsprechende Maß überschritten, die Funktion bei fehlenden neurologischen Defiziten und ohne neurologische Ausfälle aber nur geringgradig einschränken. Ebenso im Bereich der Lendenwirbelsäule, sodass schwere oder mittelschwere Auswirkungen in einem oder in mehreren Wirbelsäulenabschnitten nicht angenommen werden können, und sich, auch unter Berücksichtigung der durch auf orthopädischem Fachgebiet vorliegenden Veränderungen ausgelösten Schmerzsyndrome, kein höherer Einzel-GdB als 10 begründen lässt.
Die Adipositas, der Bluthochdruck (ohne Organbeteiligung/-veränderungen), die Hyperurikämie, und die Hepatopathie, wie sie im Attest des Dr. A. vom 30.05.2016 dargelegt sind, bedingen einzeln oder zusammen keinen GdB von 10.
Auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet konnte der Senat Funktionsbeeinträchtigungen feststellen, die einen Einzel-GdB von 30 als gerade erreicht erscheinen lassen.
Nach den VG Teil B 3.7 ist bei Neurosen, Persönlichkeitsstörungen oder Folgen psychischer Traumen mit leichteren psychovegetativen oder psychischen Störungen der GdB mit 0 bis 20, bei stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) der GdB mit 30 bis 40 und bei schweren Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten der GdB mit 50 bis 70 und mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten der GdB mit 80 bis 100 zu bewerten.
Dem Sachverständigengutachten des Psychiaters B. vom 26.08.2018 entnimmt der Senat, dass die Klägerin im Kontakt adäquat gewesen ist, in der Schilderung der psychischen Beschwerden und Funktionseinschränkungen defizitär, Ressourcen wurden erst auf wiederholte Nachfrage eingeräumt, das Verhalten wird als verdeutlichend und bewusstseinsnah im Rahmen des Verfahrens beschrieben. Die Klägerin war wach, die Vigilanz über die Exploration hinweg nicht nachlassend oder schwankend, bewusstseinsklar, vollständig orientiert. Konzentration und Aufmerksamkeit waren klinisch nicht beeinträchtigt, die Gedächtnisfunktionen allenfalls diskret eingeschränkt, die Affektlage leicht zum depressiven Pol hin verlagert ohne Beeinträchtigung der Modulationsfähigkeit. Der Antrieb war allenfalls leicht, aber keinesfalls durchgängig mittelgradig oder schwer beeinträchtigt, das Denken formal bei der Exploration unauffällig, eine depressive Kognitation war in Ansätzen erkennbar. Das inhaltliche Denken war ohne Wahn, ohne spezifisch-phobische Ängste, Panik oder Zwangssymptome. Es bestand ein Insuffizienzerleben ohne Wahrnehmungsstörungen oder Ich-Beeinflussungserleben. Zusammenfassend legt der Psychiater B. dar, dass die psychopathologischen Befunde in der Gesamtschau mit der Testpsychologie auf eine derzeit leichtgradige bis allenfalls grenzwertig mittelgradige depressive Symptomatik hinweisen. Soweit Schmerzen, vorbeschrieben als Fibromyalgie, angegeben wurden, konnten diese nicht im angegebenen Umfang, beispielsweise durch vermehrte Ausgleichsbewegungen oder Einschränkungen bei der körperlichen Untersuchung, objektiviert werden. Weiter wird darauf hingewiesen, dass die Klägerin in der Beschwerdeschilderung recht defizitär wirkte, durch differenzierte Nachfragen im Hinblick auf das angegebene Rückzugsverhalten und auch bei angegebenen schmerzbedingten Einschränkungen bei den sozialen Aktivitäten durchaus deutliche Ressourcen zu erkennen waren und der angegebene vollumfängliche Rückzug, der mit der Anmerkung kumulierte, dass die Hauptbeschäftigung der Klägerin Liegen und Schlafen sei, nicht nachvollziehbar war. In den durchgeführten Tests zeigte sich die Klägerin im depressionsspezifischen Selbstbeurteilungsinstrument (BDI-II) schwer depressiv, was nicht dem klinischen Eindruck des Sachverständigen entsprach. Im depressionsspezifischen Fremdbeurteilungsinstrument (HAMD-17 und 21) wurde jeweils nur der leicht depressive Bereich erreicht, die durchgeführten Beschwerdevalidierungsinstrumente deutenden auf unauthentisches Antwortverhalten hin.
Dem Sachverständigengutachten des Dr. G. vom 08.02.2016 (Blatt 74/88 SG-Akte) entnimmt der Senat, dass die Klägerin in der Untersuchung ausführlich und lebhaft über ihre Beschwerden berichtete, die Kontaktaufnahme erfolgte sofort und problemlos. Thematisch standen die Schmerzen, kaum jedoch depressive Symptome im Vordergrund der Klagen. Mimik und Gestik waren adäquat, Parakinesen bestanden nicht, das Bewusstsein war quantitativ wach und qualitativ ungetrübt bei intakter Auffassung. Aufmerksamkeit und Konzentrationsvermögen waren anhaltend, Hinweise auf kognitive Störungen, etwa Einschränkungen der Orientierung, des Gedächtnisses sowie des Denkens bestanden nicht. Die Denkabläufe waren intakt und geordnet. Misstrauen, Hypochondrie, Phobien und Zwangsgedanken werden verneint, Hinweise auf ein psychotisches, wahnhaftes Erleben bestanden nicht, der Realitätsbezug war uneingeschränkt gegeben. Das Selbstwertgefühl war normal, Störungen des Zeiterlebens bestanden nicht, affektiv wird die Klägerin als unzufrieden mit ihrer Situation geschildert, sie wirkte jedoch ausgeglichen und gut auslenkbar bei erhaltenem Antrieb und fehlender Selbstgefährdung. Der Sachverständige verneint vor diesem Hintergrund überzeugend Hinweise für eine manifeste psychiatrische Erkrankung und geht von einer höchstens leichten depressiven Episode aus. Ergänzend weist er darauf hin, dass die Klägerin auch im Gespräch in keinster Weise depressiv gewirkt hat, sondern eine ausgeglichene Grundstimmung bei gut erhaltener Schwingungsfähigkeit vorlag und auch nur von leichten sozialen Anpassungsschwierigkeit ausgegangen werden kann.
Zum neurologischen Befund teilt der Sachverständige B. mit, dass das Gesichtsfeld fingerperimetrisch frei war, die Pupillen rund, seitengleich, mittelweit, reagibel bei ungestörter Okulomotorik, die caudalen Hirnnerven waren frei, es bestand kein Meningismus. Die Muskeleigenreflexe waren mittellebhaft, es zeigten sich keine Parese und kein pathologisch verwertbarer Tremor, keine pathologischen Tonusveränderungen. Die Feinmotorik der Hände war nicht beeinträchtigt, die Gang- und Standvaria einschließlich Romberg und Unterberger unauffällig, der Seiltänzergang vorwärts sicher, rückwärts leicht unsicher. Bei angegebenen Schmerzangaben über dem Sulcus ulnaris blieb dieser lokal im Ellenbogenbereich, ein auffälliger sensibler Befund an den beiden ulnaren Fingern der Hände ergab sich nicht. Die gesamte Oberflächensensibilität war intakt. Eine organische Ursache des geklagten Schwindels ergab sich anhand des klinischen Befundes nicht, sodass der Sachverständigen diesen im Rahmen der somatoformen Komponente der Depression und des Schmerzsyndroms wertet.
Letztlich weist der Sachverständige B. überzeugend darauf hin, dass sich den beiden Entlassungsberichten der A. -Klinik B. eine richtungsweisende Verschlechterung der neuropsychiatrischen Gesamtsituation nicht entnehmen lässt.
Vor dem Hintergrund der zu objektivierenden Beeinträchtigungen kann ein Einzel-GdB von 30 für das neurologisch-psychiatrische Gebiet somit nur grenzwertig als erreicht angesehen werden, wobei insbesondere aus der Diagnose einer Fibromyalgie keine höhere Bewertung gerechtfertigt ist. Auch die teilweise als seltene Migräne, teilweise als Spannungskopfschmerzen bezeichneten Schmerzen sowie der Schwindel sind vom GdB 30 erfasst, wie der Sachverständige B. dargelegt und der Senat festgestellt hat.
Nach VG Teil B Nr. 18.4 sind Fibromyalgie, das Chronische Fatique Syndrom, die Multiple Chemische Sensitivität und ähnliche Syndrome jeweils im Einzelfall entsprechend der funktionellen Auswirkungen analog zu beurteilen. Vorliegend konnte der Senat feststellen, dass sich weder im orthopädischen noch im neurologischen Befund relevante Bewegungseinschränkungen oder Ausfallerscheinungen ergeben haben, sodass eine Höherbewertung hierauf nicht gestützt werden kann.
Anders als die Klägerin meint (vgl. Schriftsätze vom 28.10.2015 (Blatt 70 SG-Akte) und 14.03.2016 (Blatt 90 SG-Akte)), sind die Ausführung des Dr. G. in keiner Weise überzeugend und nachvollziehbar, sondern verkennen die Bewertungsmaßstäbe der VG. Dieser hat selbst eine mittelgradige depressive Episode beschrieben und auf eine belastungsabhängige Situation mit Verbesserungen und Verschlechterungen verwiesen, jedoch keine schwere psychische Störung mit mittelgradigen Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, wie sie die VG für einen GdB von 50 voraussetzen.
Bei der Bildung des Gesamt-GdB ist von dem Einzel-GdB von 30 für die Knietotalendoprothese auszugehen, der aufgrund des Einzel-GdB für das neurologisch-psychiatrische Gebiet auf 40 zu erhöhen ist. Eine Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft rechtfertigt sich indessen hieraus nicht. Abgesehen davon, dass der Einzel-GdB für das neurologisch-psychiatrische Gebiet nur als grenzwertig erreicht angesehen werden kann und daher im vorliegenden Einzelfall keine weitergehende Erhöhung rechtfertigt, ist auch bei Vergleich von Funktionsbeeinträchtigungen, für die nach den VG ein Wert von 50 und mehr vorgegeben ist, wie dem vollständigen Verlust von Gliedmaßen oder vollständigen Nervenausfällen (vgl. z.B. VG Teil B Nr. 18.13) aufgrund des bei der Klägerin vorliegenden Beschwerdebildes mit einer Totalendoprothese mit gutem Operationsergebnis kein Zustand gegeben, der die Schwerbehinderteneigenschaft begründet. Eine wechselseitige Verstärkung der Funktionsbeeinträchtigungen kann ebenfalls nicht festgestellt werden.
Das Urteil des SG war daher abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben.
Außergerichtliche Kosten sind in beiden Instanzen nicht zu erstatten.
Tatbestand:
Zwischen den Beteiligten ist die Höhe des bei der Klägerin festzustellenden Grades der Behinderung (GdB) streitig.
Die 1960 geborene Klägerin beantragte bei dem Landratsamt S. (LRA) am 20.12.2012 (Blatt 1 VA) erstmals die Feststellung eines GdB.
Das LRA holte den Befundschein des Dr. F. vom 15.05.2013 (Blatt 15/16 VA) ein, der den Befundbericht des S.-Klinikums vom 14.05.2012 (Blatt 8/11 VA – morbide Adipositas), die Befundberichte des Orthopäden B. vom 08.02.2012 (Blatt 7 VA – Adipositas, Lumbalsyndrom) und 02.01.2012 (Blatt 6 VA – Z.n. Knie-TEP beidseits) und den Befundbericht des S.-Klinikums vom 30.05.2011 (Blatt 3/5 VA – Gonarthrose links) vorlegte, sowie den Befundschein des Internisten Dr. D. vom 26.07.2013 (Blatt 41/43 VA – somatoforme Schmerzstörung, ängstlich depressive Störung, Gonarthrose, Spannungskopfschmerz, Tinnitus, Adipositas).
Weiterhin zog das LRA den Entlassungsbericht der B. Klinik Ü. vom 22.06.2011 über die vom 30.05.2011 bis 20.06.2011 durchgeführte stationäre Rehabilitation (Blatt 17/23 VA – Diagnosen: Gonarthrose beidseits, arterielle Hypertonie, Adipositas, tiefe Beinvenenthrombose rechts), den Entlassungsbericht vom 05.07.2006 der Rehaklinik Bad S. über die in der Zeit vom 06.06.2006 bis 04.07.2006 durchgeführte stationäre Rehabilitation (Blatt 27/38 VA) sowie den Entlassungsbericht der Klinik für Psychiatrie C. vom 14.07.2012 (Blatt 44/46 VA – mittelgradige depressive Episode, Anpassungsstörung, Fibromyalgie) bei.
Dr. W. erstattete die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 20.08.2013 (Blatt 48/49 VA) und führte aus, dass eine akute depressive Episode nicht zu einer höheren Anerkennung führe. 2006 habe allenfalls ein GdB von 20 vorgelegen. Empfohlen wurde die Feststellung eines GdB von 40 unter Berücksichtigung folgender Funktionseinschränkungen: - Chronisches Schmerzsyndrom (Einzel-GdB 20) - Kniegelenkstotalendoprothese beidseits (Einzel-GdB 30) - Bluthochdruck, Adipositas (Einzel-GdB 10) - Funktionsbehinderung der Wirbelsäule (Einzel-GdB 10)
Gestützt hierauf stellte das LRA mit Bescheid vom 26.08.2013 (Blatt 50/52 VA) einen GdB von 40 seit dem 01.08.2010 sowie einen GdB von 20 für die Zeit vom 06.06.2006 bis 31.07.2010 fest.
Gegen den Bescheid erhob die Klägerin am 26.09.2013 (Blatt 55 VA) Widerspruch und machte geltend, dass das chronische Schmerzsyndrom, die depressive Verstimmung und die Polyarthralgien höher als mit 20 zu bewerten seien. Sie leide an einer Migräne und unter Wirbelsäulenproblemen.
Das LRA holte den Befundschein des Psychiaters Dr. G. vom 05.12.2013 (Blatt 63 VA – einmalige Behandlung am 21.11.2013) sowie des Orthopäden Dr. B. vom 08.12.2013 (Blatt 65/66 VA – chronisches Impingementsyndrom beider Schultern, Z.n. Knie-TEP beidseits, Adipositas, chron. Lumbalsyndrom, generalisiertes Fibromyalgiesyndrom) ein. Dr. D. erstattete die versorgungsärztliche Stellungnahme vom 13.04.2014 (Blatt 69 VA) und führte aus, dass die degenerativen Schäden im Wirbelsäulenbereich mit 10 angemessen bewertet seien, GdB-relevante Folgen der Beinvenenthrombose seien nicht ersichtlich.
Den Widerspruch wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21.05.2014 (Blatt 71/72 VA) zurück.
Am 06.06.2014 erhob die Klägerin Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG). Das SG holte die sachverständigen Zeugenauskünfte des Facharztes für Allgemeinmedizin F. vom 22.09.2014 (Blatt 17/19 SG-Akte – chronisches Schmerzsyndrom mit psychischen Faktoren, Polyarthrose, Knie-TEP, depressive Symptomatik, chronisch venöse Insuffizienz), des Psychiaters Dr. G. vom 06.11.2014 (Blatt 22/26 SG-Akte – depressives Syndrom mit zeitweilig deutlichen Rückzugstendenzen) sowie der Orthopädin Dr. R. vom 23.11.2014 (Blatt 27/29 SG-Akte – Knie-TEP beidseits, Adipositas, chronisches Lumbalsyndrom, V.a. Coxarthrose rechts, Fibromyalgiesyndrom, Somatisierungsstörungen, Depressionen) ein. Der Beklagte legte die versorgungsärztliche Stellungnahme des Dr. V. vom 12.02.2015 (Blatt 32 SG-Akte – Durchführung einer orthopädischen Begutachtung) vor.
Das SG holte das orthopädische Sachverständigengutachten des PD Dr. L. vom 28.09.2015 (Blatt 43/66 SG-Akte) ein, der einen Gesamt-GdB von 40 seit dem 01.08.2010 annahm sowie das neurologisch-psychiatrische Sachverständigengutachten des Dr. G. vom 08.02.2016 (Blatt 74/88 SG-Akte), der einen Gesamt-GdB von höchstens 40 seit dem 01.08.2010 annahm.
Mit Urteil vom 16.06.2016 änderte das SG den Bescheid des Beklagten vom 26.08.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.05.2014 ab und verpflichtete den Beklagten, ab dem 20.12.2012 einen GdB von 50 festzustellen. Im Übrigen wies es die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, dass für die beidseitige Knie-TEP ein Einzel-GdB von 30 zu berücksichtigen sei. Ein höherer GdB komme nicht in Betracht, da nach dem Sachverständigen Dr. L. ein insgesamt gutes postoperatives funktionelles Ergebnis vorliege. Auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet könne ein GdB von 30 angenommen werden, die Fibromyalgie sei immer wieder mit hohen Entzündungswerten berichtet worden, die Klägerin nehme regelmäßig Antidepressiva und Schmerzmittel vom Opiattyp ein. Für die Thrombose komme kein höherer GdB als 10 in Betracht, bei zwei GdB-Werten von 30 könne ein GdB von 50 gebildet werden, der GdB von 30 für die Kniegelenksendoprothese und von 30 für das Schmerzsyndrom überschnitten sich nicht wesentlich.
Gegen das dem Beklagtem am 11.07.2016 (Blatt 106 SG-Akte) zugestellte Urteil hat dieser am 20.07.2016 Berufung zum Landessozialgericht Baden-Württemberg eingelegt und macht unter Vorlage der versorgungsärztlichen Stellungnahmen des Dr. W. vom 13.07.2016 (Blatt 13 Senatsakte) und 05.01.2017 (Blatt 33/34 Senatsakte) geltend, das aus zwei Einzel-GdB Werten von 30 ein Gesamt-GdB von 50 nur gebildet werden könne, wenn eine gegenseitige Verstärkung der Funktionsbeeinträchtigungen vorliege. Trotz Erhöhung des Einzel-GdB von 20 auf 30 für die psychische Funktionseinschränkung sei an dem Gesamt-GdB von 40 festzuhalten.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 16.06.2016 aufzuheben und die Klage vollumfänglich abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und legt die Entlassungsberichte der A. Kliniken vom 26.09.2016 (Blatt 26/31 Senatsakte) und 02.10.2017 (Blatt 40/46 Senatsakte) vor.
Der Senat hat das orthopädische Sachverständigengutachten des Dr. H. vom 31.08.2018 (Blatt 53/79) mit Zusatzgutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie B. vom 26.08.2018 (Blatt 80/108 Senatsakte) eingeholt.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Blatt 110/113 Senatsakte).
Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Gerichtsakten ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten, über die der Senat im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheidet (§§ 124 Absatz 1, 153 Absatz 1 SGG), ist gemäß §§ 143, 144 SGG zulässig und begründet. Der angefochtene Bescheid des Beklagten vom 26.08.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.05.2014 ist nicht rechtswidrig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Das SG hat der Klage zu Unrecht teilweise entsprochen.
Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist der Bescheid des Beklagten vom 26.08.2013 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21.05.2014 insoweit, als das SG diesen ab dem 20.12.2012 abgeändert und den Beklagten zur Feststellung eines GdB von 50 verurteilt hat. Die davor liegenden Zeiträume sind, nachdem die Klägerin keine Berufung gegen die Klageabweisung im Übrigen eingelegt hat, bestandskräftig entschieden. Der Senat musste daher nicht entscheiden, ob die Klägerin auch die Feststellung eines GdB für Zeiten vor der Antragsstellung, mithin vor dem 20.12.2012, beanspruchen kann.
Die GdB-Bewertung richtet sich nach den Vorschriften des SGB IX in der ab dem 01.01.2018 geltenden Fassung des Bundesteilhabegesetzes vom 23.12.2016 (BGBl. I 2016, 3234), da maßgeblicher Zeitpunkt bei Verpflichtungs- und Leistungsklagen der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz ist, wobei es für laufende Leistungen auf die Sach- und Rechtslage in dem jeweiligen Zeitraum ankommt, für den die Leistungen begehrt werden; das anzuwendende Recht richtet sich nach der materiellen Rechtslage (Keller in: Meyer Ladewig, SGG, 12. Auflage, § 54 RdNr. 34). Nachdem § 241 Absatz 2 SGB IX lediglich eine (Übergangs-) Vorschrift im Hinblick auf Feststellungen nach dem Schwerbehindertengesetz enthält, ist materiell-rechtlich das SGB IX in seiner derzeitigen Fassung anzuwenden.
Nach § 152 Absatz 1 SGB IX (§ 69 Abs. 1 und 3 SGB IX a.F.) stellen auf Antrag des Menschen mit Behinderung die für die Durchführung des BVG zuständigen Behörden das Vorliegen einer Behinderung und den GdB. Nach § 2 Absatz 1 Satz 1 SGB IX sind Menschen mit Behinderungen Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung nach Satz 1 liegt vor, wenn der Körper- und Geisteszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht, § 2 Absatz 1 Satz 2 SGB IX. Schwerbehindert sind gemäß § 2 Abs. 2 SGB IX Menschen, wenn bei ihnen ein GdB von wenigstens 50 vorliegt. Die Auswirkungen der Behinderung auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach 10er Graden abgestuft festgestellt; eine Feststellung ist nur zu treffen, wenn ein Grad der Behinderung von wenigstens 20 vorliegt (§ 152 Absatz 1 Satz 6 SGB XI). Bis zum 31.12.2008 waren die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht" (Teil 2 SGB IX), Ausgabe 2008 (AHP) heranzuziehen (BSG, Urteil vom 23.06.1993 - 9/9a RVs 1/91 - BSGE 72, 285; BSG, Urteil vom 09.04.1997 - 9 RVs 4/95 - SozR 3-3870 § 4 Nr. 19; BSG, Urteil vom 18.09.2003 B 9 SB 3/02 R - BSGE 190, 205; BSG, Urteil vom 29.08.1990 - 9a/9 RVs 7/89 - BSG SozR 3-3870 § 4 Nr. 1). Seit 01.01.2009 ist an die Stelle der AHP, die im Interesse einer gleichmäßigen Rechtsanwendung als antizipierte Sachverständigengutachten angewendet wurden, die Anlage "Versorgungsmedizinische Grundsätze" (VG) zu § 2 der Verordnung zur Durchführung des § 1 Abs. 1 und 3, § 30 Abs. 1 und § 35 Abs. 1 BVG (Versorgungsmedizin-Verordnung; VersMedV) getreten. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales ist ermächtigt, durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrates die Grundsätze aufzustellen, die für die Bewertung des GdB maßgebend sind, die nach Bundesrecht im Schwerbehindertenausweis einzutragen sind (§ 70 Abs. 2 SGB IX in der ab 15.01.2015 gültigen Fassung). Bis zum 14.01.2015 galten gemäß § 69 Abs. 1 Satz 5 SGB IX (in der Fassung vom 20.06.2011) die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 Bundesversorgungsgesetz (BVG) und der aufgrund des § 30 Abs. 16 des BVG erlassenen Rechtsverordnung entsprechend. Hiervon hat das Bundesministerium für Arbeit und Soziales Gebrauch gemacht und die VersMedV erlassen, um unter anderem die maßgebenden Grundsätze für die medizinische Bewertung von Schädigungsfolgen und die Feststellung des Grades der Schädigungsfolgen im Sinne des § 30 Abs. 1 BVG zu regeln (vgl. § 1 VersMedV). Die zugleich in Kraft getretene, auf der Grundlage des aktuellen Standes der medizinischen Wissenschaft unter Anwendung der Grundsätze der evidenzbasierten Medizin erstellte und fortentwickelte Anlage "VG" zu § 2 VersMedV ist an die Stelle der bis zum 31. Dezember 2008 heranzuziehenden AHP getreten. In den VG wird der medizinische Kenntnisstand für die Beurteilung von Behinderungen wiedergegeben (BSG, Urteil vom 1. September 1999 - B 9 V 25/98 R -, SozR 3-3100 § 30 Nr. 22). Hierdurch wird eine für den Menschen mit Behinderung nachvollziehbare, dem medizinischen Kenntnisstand entsprechende Festsetzung des GdB ermöglicht. Anders als die AHP, die aus Gründen der Gleichbehandlung in allen Verfahren hinsichtlich der Feststellung des GdB anzuwenden waren und dadurch rechtsnormähnliche Wirkungen entfalteten, ist die VersMedV als Rechtsverordnung verbindlich für Verwaltung und Gerichte. Sie ist indes, wie jede untergesetzliche Rechtsnorm, auf inhaltliche Verstöße gegen höherrangige Rechtsnormen - insbesondere § 152 SGB IX (§ 69 a.F.) - zu überprüfen (BSG, Urteil vom 23.4.2009 - B 9 SB 3/08 R - RdNr 27, 30 m.w.N.). Sowohl die AHP als auch die VersMedV (nebst Anlage) sind im Lichte der rechtlichen Vorgaben des § 152 SGB IX auszulegen und - bei Verstößen dagegen - nicht anzuwenden (BSG, Urteil vom 30.09.2009 SozR 4-3250 § 69 Nr. 10 RdNr. 19 und vom 23.4.2009, a.a.O., RdNr 30).
Allgemein gilt, dass der GdB auf alle Gesundheitsstörungen, unabhängig ihrer Ursache, final bezogen ist. Der GdB ist ein Maß für die körperlichen, geistigen, seelischen und sozialen Auswirkungen einer Funktionsbeeinträchtigung aufgrund eines Gesundheitsschadens. Ein GdB setzt stets eine Regelwidrigkeit gegenüber dem für das Lebensalter typischen Zustand voraus. Dies ist insbesondere bei Kindern und älteren Menschen zu beachten. Physiologische Veränderungen im Alter sind bei der Beurteilung des GdB nicht zu berücksichtigen. Erfasst werden die Auswirkungen in allen Lebensbereichen und nicht nur die Einschränkungen im allgemeinen Erwerbsleben. Dabei sollen im Allgemeinen Funktionssysteme zusammenfassend beurteilt werden (VG, Teil A, Nr. 2 e).
Die Feststellung des GdB erfolgt zum Zeitpunkt der Antragstellung; auf Antrag kann, wenn ein besonderes Interesse glaubhaft gemacht wird, festgestellt werden, dass ein GdB bereits zu einem früheren Zeitpunkt vorgelegen hat § 152 Abs. 1 Satz 2 SGBX; (§ 69 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB IX a.F.).
Die Bemessung des Gesamt-GdB (dazu s. unten) erfolgt nach § 152 Absatz 3 SGB IX (§ 69 Abs. 3 SGB IX a.F.). Danach ist zu beachten, dass bei Vorliegen mehrerer Beeinträchtigungen der Teilhabe am Leben in der Gesellschaft der GdB nach den Auswirkungen in ihrer Gesamtheit unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen festzustellen ist. Bei mehreren Funktionsbeeinträchtigungen sind zwar zunächst Einzel-GdB zu bilden, bei der Ermittlung des Gesamt-GdB durch alle Funktionsbeeinträchtigungen dürfen die einzelnen Werte jedoch nicht addiert werden. Auch andere Rechenmethoden sind für die Bildung des Gesamt-GdB ungeeignet. Insoweit scheiden dahingehende Rechtsgrundsätze, dass ein Einzel-GdB nie mehr als die Hälfte seines Wertes den Gesamt-GdB erhöhen kann, aus. In der Regel ist von der Behinderung mit dem höchsten Einzel GdB auszugehen und zu prüfen, ob und inwieweit das Ausmaß der Behinderung durch die anderen Behinderungen größer wird, ob also wegen der weiteren Funktionsbeeinträchtigungen dem ersten GdB 10 oder 20 oder mehr Punkte hinzuzufügen sind, um der Behinderung insgesamt gerecht zu werden. Ein Einzel GdB von 10 führt in der Regel nicht zu einer Zunahme des Ausmaßes der Gesamtbeeinträchtigung, auch bei leichten Behinderungen mit einem GdB von 20 ist es vielfach nicht gerechtfertigt, auf eine wesentliche Zunahme des Ausmaßes der Behinderung zu schließen (vgl. A Nr. 3 VG). Der Gesamt GdB ist unter Beachtung der VersMedV einschließlich der VG in freier richterlicher Beweiswürdigung sowie aufgrund richterlicher Erfahrung unter Hinzuziehung von Sachverständigengutachten zu bilden (BSGE 62, 209, 213; BSG SozR 3870 § 3 Nr. 26 und SozR 3 3879 § 4 Nr. 5 zu den AHP). Es ist also eine Prüfung vorzunehmen, wie die einzelnen Behinderungen sich zueinander verhalten und ob die Behinderungen in ihrer Gesamtheit ein Ausmaß erreichen, das die Schwerbehinderung bedingt. Insoweit ist für die Feststellung der Schwerbehinderteneigenschaft - gleiches gilt für alle Feststellungsstufen des GdB - nach den allgemeinen Beschreibungen in den einleitenden Teilen der VG als Maßstab der Vergleich zu den Teilhabebeeinträchtigungen anderer Behinderungen anzustellen, für die im Tabellenteil ein Wert von 50 - oder ein anderer Wert - fest vorgegeben ist (BSG 16.12.2014 - B 9 SB 2/13 R - SozR 4-3250 § 69 Nr. 18 = juris). Damit entscheidet nicht allein die Anzahl einzelner Einzel-GdB oder deren Höhe die Höhe des festzustellenden Gesamt-GdB. Vielmehr ist der Gesamt-GdB durch einen wertenden Vergleich dadurch zu bilden, dass die in dem zu beurteilenden Einzelfall bestehenden Funktionsbehinderungen mit den vom Verordnungsgeber in den VG für die Erreichung einer bestimmten Feststellungsstufe des GdB bestimmten Funktionsbehinderungen in Beziehung zu setzen sind - z.B. ist bei Feststellung der Schwerbehinderung der Vergleich mit den für einen GdB von 50 in den VG vorgesehenen Funktionsbehinderungen, bei Feststellung eines GdB von 60 ist der Vergleich mit den für einen GdB von 60 in den VG vorgesehenen Funktionsbehinderungen usw. vorzunehmen. Maßgeblich sind damit grundsätzlich weder Erkrankungen oder deren Schlüsselung in Diagnosemanualen an sich noch ob eine Beeinträchtigung der beruflichen Leistungsfähigkeit aufgetreten ist, sondern ob und wie stark die funktionellen Auswirkungen der tatsächlich vorhandenen bzw. ärztlich objektivierten Erkrankungen die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX) anhand eines abstrakten Bemessungsrahmens (Senatsurteil 26.09.2014 - L 8 SB 5215/13 - juris RdNr. 31) beeinträchtigen. Dies ist - wie dargestellt - anhand eines Vergleichs mit den in den VG gelisteten Fällen z.B. eines GdB von 50 festzustellen. Letztlich handelt es sich bei der GdB-Bewertung nicht um eine soziale Bewertung von Krankheit und Leid, sondern um eine anhand rechtlicher Rahmenbedingungen vorzunehmende, funktionell ausgerichtete Feststellung.
Nach diesen Maßstäben konnte der Senat auf orthopädischem Gebiet Funktionsbeeinträchtigungen feststellen, die einen Einzel-GdB von 30 bedingen.
Nach VG Teil B Nr. 18.12 beträgt der GdB bei beidseitiger Totalendoprothese des Kniegelenks, wie bei der Klägerin, mindestens 30, ein höherer GdB kommt indessen nicht in Betracht. Gestützt auf das orthopädische Sachverständigengutachten des Dr. H. vom 31.08.2018 (Blatt 68 Senatsakte) konnte der Senat feststellen, dass bei der Klägerin im Bereich beider Kniegelenke reizlose Narben nach endoprothetischem Ersatz bestehen. Die Kniegelenke waren reizlos, beidseits bestand keine Kapselschwellung und kein intraartikulärer Erguss. Es bestand eine normale Position bei uneingeschränkter Beweglichkeit und unauffälliger Führung der Kniescheiben. Über den medialen Facetten und den unteren Polen ließen sich Druckschmerzen auslösen, Klopf-, Verschiebe- und Quadrizepssehnenspannungsschmerzen wurden beidseits nicht angegeben, die Wadenbeinköpfchen waren palpatorisch unauffällig, die Kniegelenke nicht eingeschränkt, Bewegungsschmerzen wurden bei stabiler Bandführung nicht angegeben. Die Beweglichkeit für Beugung/Streckung wird beidseits mit 120-0-0° angegeben, bei normaler Außen-/ und Innendrehung. In der Röntgenuntersuchung zeigten sich regelrecht einliegende Implantate ohne Hinweise auf Lockerung oder Entzündung. Das Gangbild war kurzschrittig, aber nicht entlastend oder hinkend, die Schwung- und Standphasen beider Beine unauffällig. Von diesem GdB von 30 im Funktionssystem der Beine sind auch das thrombotische Syndrom am linken Unterschenkel nach Thrombose und die trophischen Hautveränderungen im Bereich beider Unterschenkel, sowie die gering ausgeprägte Hallux-valgus-Stellung beidseits, die statisch ohne Auswirkung ist, umfasst. Aus dem Sachverständigengutachten des Dr. H. ergeben sich, ebenso wie aus dem Sachverständigengutachten des Herrn B. und den Berichten der A. Klinik, keine Funktionsbeeinträchtigungen, die aus den genannten Gesundheitsstörungen resultieren. Hinsichtlich des von Dr. G. beschriebenen postthrombotischen Syndroms und der chronisch-venösen Insuffizienz ist alleine eine Behandlung mit Kompressionsstrümpfen und Blutverdünnern berichtet, aber keine belastungsabhängigen Ödeme oder Entzündungen mehrmals im Jahr (vgl. VG Teil B Nr. 9.2.3).
Im Bereich der oberen Extremitäten konnte der Senat keine Funktionsbeeinträchtigungen feststellen, die einen Einzel-GdB bedingen würden.
Dem Sachverständigengutachten des Dr. H. vom 31.08.2018 entnimmt der Senat, dass die die Schulter bedeckende Muskulatur seitengleich ausgebildet war und keine Schmerzen angeben wurden. An den Schultergelenken bestanden keinen Schwellungen, die Beweglichkeit war weder bei der passiven noch bei der aktiven Bewegungsprüfung eingeschränkt, Nacken- und Schürzengriff wurden ohne Schmerzangaben ausgeführt, bei der Prüfung der Kraft gegen Widerstand wurden keine Schmerzen angegeben, die Beweglichkeit lag für Ab-/Anspreizung beidseits bei 140-0-40°, für Vor-/Rückhebung beidseits bei 160-0-30° und für Außen- und Innendrehung bei 80-0-70°. Die Röntgenaufnahmen der rechten und linken Schulter in zwei Ebenen ergaben jeweils Normalbefunde. Entsprechende Befunde sind bereits durch den Sachverständigen PD Dr. L. (Sachverständigengutachten vom 28.09.2016, Blatt 53 SG-Akte) erhoben worden.
An den Ellenbogengelenken stellten sich die beteiligten Ober- und Unterarmknochen beidseits inspektorisch unauffällig dar, es bestanden keine Kapselschwellungen oder Ergussbildungen. Weder über den Epicondylen, an den Gelenkspalten noch paraartikulär wurden Druckdolenzen angegeben, bei der passiven und aktiven Bewegungsprüfung waren die Gelenkbewegungen nicht eingeschränkt und wurden nicht als schmerzhaft angegeben. Bei der aktiven Bewegungsprüfung und bei Widerstandbewegungen wurden beidseits keine Schmerzen angegeben.
Die Inspektion der Handgelenke zeigte beidseits keine Auffälligkeiten, bei der Palpation wurden keine Schmerzen angegeben, beidseits ließen sich bei Druck auf das Retinaculum und beim Beklopfen des Karpaltunnels keine Schmerzen auslösen, die Ulnaköpfchen standen beidseits in normaler Position, der Tastbefund an den Handwurzelknochen war unauffällig. An beiden Handgelenken bestanden keine Ergussbildung, die beuge- und streckseitigen Sehnen und Sehnenscheiden an den Unterarmen und an den Händen waren beidseits inspektorisch und palpatorisch unauffällig, bei der aktiven und passiven Bewegungsprüfung wurden beidseits keine Schmerzen angegeben. Die Hände waren unauffällig, bei der Palpation wurden keine Schmerzen angegeben, es bestanden keine Schwellungen, Ergüsse oder Verdickungen über den Grund-, sowie den Zwischen- und Endgelenken der Langfinger. Bewegungsschmerzen wurden nicht angegeben, der Faustschluss war beidseits uneingeschränkt möglich, die Fingerkuppen berührten die Hohlhand, der Spitzgriff konnte mit allen Fingern durchgeführt werden. Die die Gelenke bewegenden Muskelgruppen waren einschließlich der Schultergürtelmuskulatur an beiden Armen seitengleich entwickelt. Hinweise für isolierte Muskelschwächen oder –lähmungen fanden sich nicht, der Muskeltonus war beidseits normal. Die Muskulatur am Ober- und Unterarm war beidseits nicht druckdolent, die Muskeleigenreflexe ließen sich seitengleich auslösen, neurologische Defizite waren nicht zu objektivieren. Hinsichtlich der Beweglichkeit teilt Dr. H. folgende Werte mit:
Schultergelenke Ab-/Anspreizung 140-0-40° beidseits Vor-/Rückhebung 160-0-30° beidseits Außen-/Innendrehung 80-0-70 ° beidseits
Ellenbogengelenke 140-0-0° beidseits (Beugung/Streckung)
Unterarme 90-0-90° (Innen-/Außendrehung)
Handgelenke Beugung/Streckung 60-0-80° beidseits Abspreizung 30-0-10° beidseits
Im Bereich der Wirbelsäule konnte der Senat keine Funktionseinschränkungen feststellen, die einen Einzel-GdB von mehr als 10 bedingen.
Nach den VG Teil B 18.9 ist bei Wirbelsäulenschäden mit geringen funktionellen Auswirkungen (Verformung, rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität geringen Grades, seltene und kurz dauernd auftretende leichte Wirbelsäulensyndrome) ein Teil-GdB von 10, mit mittelgradigen funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität mittleren Grades, häufig rezidivierende und über Tage andauernde Wirbelsäulensyndrome) ein Teil-GdB von 20, mit schweren funktionellen Auswirkungen in einem Wirbelsäulenabschnitt (Verformung, häufig rezidivierende oder anhaltende Bewegungseinschränkung oder Instabilität schweren Grades, häufig rezidivierende und Wochen andauernde ausgeprägte Wirbelsäulensyndrome) ein Teil-GdB von 30 und mit mittelgradigen bis schweren funktionellen Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten ein Teil-GdB von 30 bis 40 gerechtfertigt. Maßgebend ist dabei, dass die Bewertungsstufe GdB 30 bis 40 erst erreicht wird, wenn mittelgradige bis schwere funktionelle Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten vorliegen. Die Obergrenze des GdB 40 ist danach erreicht bei schweren Auswirkungen in zwei Wirbelsäulenabschnitten (Urteil des erkennenden Senats vom 24.01.2014 - L 8 SB 2497/11 -, veröffentlicht in juris und im Internet sozialgerichtsbarkeit.de). Erst bei Wirbelsäulenschäden mit besonders schweren Auswirkungen (z. B. Versteifung großer Teile der Wirbelsäule; anhaltende Ruhigstellung durch Rumpforthese, die drei Wirbelsäulenabschnitte umfasst (z. B. Milwaukee-Korsett); schwere Skoliose (ab ca. 70° nach Cobb) ist eine GdB von 50 bis 70 und bei schwerster Belastungsinsuffizienz bis zur Geh- und Stehunfähigkeit ein GdB von 80 bis 100 gerechtfertigt, die jedoch bei der Klägerin nicht vorliegen und auch nicht geltend gemacht werden.
Der Sachverständige Dr. H. hat die Wirbelsäule als im Lot bei Schulter- und Beckengeradstand ohne Seitausbiegung und ohne Rotationszeichen beschrieben. Es zeigten sich vermehrte kyphotische und lordotische Schwingungen, die Schulterblätter lagen dem Rumpf seitlich normal an. Die Rückenstreck-, Schultergürtel-, Brust- und Bauchmuskulatur war beidseits unauffällig, Verspannungen der Muskulatur im Bereich der Hals- und Schultergürtelmuskulatur sowie der Rückenstreckmuskulatur bestanden bei ansonsten unauffälligem Muskeltonus. Bei Vorwärtsbeugung des Rumpfes mit gestreckten Kniegelenken wurde unter Angabe tieflumbaler Schmerzen ein Finger-Boden-Abstand von 22 cm erreicht, die Beweglichkeit der Rumpfwirbelsäule war geringgradig eingeschränkt, die Rechtsneigung betrug 30°, die Linksneigung ebenfalls 30°. Die Rumpfdrehung rechts und links 25°, das Zeichen nach Ott lag bei 28/30/32 cm, das Zeichen nach Schober bei 8,5/10/14 cm. Die Beweglichkeit der Halswirbelsäule wird für Streckung/Beugung mit 40-0-60°, für Seitneigen rechts/links mit 40-0-40° und für die Drehung rechts/links mit 70-0-70° angegeben. Die Röntgenuntersuchung der Hals- und Lendenwirbelsäule zeigte jeweils degenerative Veränderungen. Dr. H. führt zusammenfassend für den Senat überzeugend aus, dass sich im Bereich der Halswirbelsäule neben Muskelverspannungen radiologisch nachweisbare degenerative Veränderungen zeigten, die das altersentsprechende Maß überschritten, die Funktion bei fehlenden neurologischen Defiziten und ohne neurologische Ausfälle aber nur geringgradig einschränken. Ebenso im Bereich der Lendenwirbelsäule, sodass schwere oder mittelschwere Auswirkungen in einem oder in mehreren Wirbelsäulenabschnitten nicht angenommen werden können, und sich, auch unter Berücksichtigung der durch auf orthopädischem Fachgebiet vorliegenden Veränderungen ausgelösten Schmerzsyndrome, kein höherer Einzel-GdB als 10 begründen lässt.
Die Adipositas, der Bluthochdruck (ohne Organbeteiligung/-veränderungen), die Hyperurikämie, und die Hepatopathie, wie sie im Attest des Dr. A. vom 30.05.2016 dargelegt sind, bedingen einzeln oder zusammen keinen GdB von 10.
Auf neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet konnte der Senat Funktionsbeeinträchtigungen feststellen, die einen Einzel-GdB von 30 als gerade erreicht erscheinen lassen.
Nach den VG Teil B 3.7 ist bei Neurosen, Persönlichkeitsstörungen oder Folgen psychischer Traumen mit leichteren psychovegetativen oder psychischen Störungen der GdB mit 0 bis 20, bei stärker behindernden Störungen mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit (z. B. ausgeprägtere depressive, hypochondrische, asthenische oder phobische Störungen, Entwicklungen mit Krankheitswert, somatoforme Störungen) der GdB mit 30 bis 40 und bei schweren Störungen (z. B. schwere Zwangskrankheit) mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten der GdB mit 50 bis 70 und mit schweren sozialen Anpassungsschwierigkeiten der GdB mit 80 bis 100 zu bewerten.
Dem Sachverständigengutachten des Psychiaters B. vom 26.08.2018 entnimmt der Senat, dass die Klägerin im Kontakt adäquat gewesen ist, in der Schilderung der psychischen Beschwerden und Funktionseinschränkungen defizitär, Ressourcen wurden erst auf wiederholte Nachfrage eingeräumt, das Verhalten wird als verdeutlichend und bewusstseinsnah im Rahmen des Verfahrens beschrieben. Die Klägerin war wach, die Vigilanz über die Exploration hinweg nicht nachlassend oder schwankend, bewusstseinsklar, vollständig orientiert. Konzentration und Aufmerksamkeit waren klinisch nicht beeinträchtigt, die Gedächtnisfunktionen allenfalls diskret eingeschränkt, die Affektlage leicht zum depressiven Pol hin verlagert ohne Beeinträchtigung der Modulationsfähigkeit. Der Antrieb war allenfalls leicht, aber keinesfalls durchgängig mittelgradig oder schwer beeinträchtigt, das Denken formal bei der Exploration unauffällig, eine depressive Kognitation war in Ansätzen erkennbar. Das inhaltliche Denken war ohne Wahn, ohne spezifisch-phobische Ängste, Panik oder Zwangssymptome. Es bestand ein Insuffizienzerleben ohne Wahrnehmungsstörungen oder Ich-Beeinflussungserleben. Zusammenfassend legt der Psychiater B. dar, dass die psychopathologischen Befunde in der Gesamtschau mit der Testpsychologie auf eine derzeit leichtgradige bis allenfalls grenzwertig mittelgradige depressive Symptomatik hinweisen. Soweit Schmerzen, vorbeschrieben als Fibromyalgie, angegeben wurden, konnten diese nicht im angegebenen Umfang, beispielsweise durch vermehrte Ausgleichsbewegungen oder Einschränkungen bei der körperlichen Untersuchung, objektiviert werden. Weiter wird darauf hingewiesen, dass die Klägerin in der Beschwerdeschilderung recht defizitär wirkte, durch differenzierte Nachfragen im Hinblick auf das angegebene Rückzugsverhalten und auch bei angegebenen schmerzbedingten Einschränkungen bei den sozialen Aktivitäten durchaus deutliche Ressourcen zu erkennen waren und der angegebene vollumfängliche Rückzug, der mit der Anmerkung kumulierte, dass die Hauptbeschäftigung der Klägerin Liegen und Schlafen sei, nicht nachvollziehbar war. In den durchgeführten Tests zeigte sich die Klägerin im depressionsspezifischen Selbstbeurteilungsinstrument (BDI-II) schwer depressiv, was nicht dem klinischen Eindruck des Sachverständigen entsprach. Im depressionsspezifischen Fremdbeurteilungsinstrument (HAMD-17 und 21) wurde jeweils nur der leicht depressive Bereich erreicht, die durchgeführten Beschwerdevalidierungsinstrumente deutenden auf unauthentisches Antwortverhalten hin.
Dem Sachverständigengutachten des Dr. G. vom 08.02.2016 (Blatt 74/88 SG-Akte) entnimmt der Senat, dass die Klägerin in der Untersuchung ausführlich und lebhaft über ihre Beschwerden berichtete, die Kontaktaufnahme erfolgte sofort und problemlos. Thematisch standen die Schmerzen, kaum jedoch depressive Symptome im Vordergrund der Klagen. Mimik und Gestik waren adäquat, Parakinesen bestanden nicht, das Bewusstsein war quantitativ wach und qualitativ ungetrübt bei intakter Auffassung. Aufmerksamkeit und Konzentrationsvermögen waren anhaltend, Hinweise auf kognitive Störungen, etwa Einschränkungen der Orientierung, des Gedächtnisses sowie des Denkens bestanden nicht. Die Denkabläufe waren intakt und geordnet. Misstrauen, Hypochondrie, Phobien und Zwangsgedanken werden verneint, Hinweise auf ein psychotisches, wahnhaftes Erleben bestanden nicht, der Realitätsbezug war uneingeschränkt gegeben. Das Selbstwertgefühl war normal, Störungen des Zeiterlebens bestanden nicht, affektiv wird die Klägerin als unzufrieden mit ihrer Situation geschildert, sie wirkte jedoch ausgeglichen und gut auslenkbar bei erhaltenem Antrieb und fehlender Selbstgefährdung. Der Sachverständige verneint vor diesem Hintergrund überzeugend Hinweise für eine manifeste psychiatrische Erkrankung und geht von einer höchstens leichten depressiven Episode aus. Ergänzend weist er darauf hin, dass die Klägerin auch im Gespräch in keinster Weise depressiv gewirkt hat, sondern eine ausgeglichene Grundstimmung bei gut erhaltener Schwingungsfähigkeit vorlag und auch nur von leichten sozialen Anpassungsschwierigkeit ausgegangen werden kann.
Zum neurologischen Befund teilt der Sachverständige B. mit, dass das Gesichtsfeld fingerperimetrisch frei war, die Pupillen rund, seitengleich, mittelweit, reagibel bei ungestörter Okulomotorik, die caudalen Hirnnerven waren frei, es bestand kein Meningismus. Die Muskeleigenreflexe waren mittellebhaft, es zeigten sich keine Parese und kein pathologisch verwertbarer Tremor, keine pathologischen Tonusveränderungen. Die Feinmotorik der Hände war nicht beeinträchtigt, die Gang- und Standvaria einschließlich Romberg und Unterberger unauffällig, der Seiltänzergang vorwärts sicher, rückwärts leicht unsicher. Bei angegebenen Schmerzangaben über dem Sulcus ulnaris blieb dieser lokal im Ellenbogenbereich, ein auffälliger sensibler Befund an den beiden ulnaren Fingern der Hände ergab sich nicht. Die gesamte Oberflächensensibilität war intakt. Eine organische Ursache des geklagten Schwindels ergab sich anhand des klinischen Befundes nicht, sodass der Sachverständigen diesen im Rahmen der somatoformen Komponente der Depression und des Schmerzsyndroms wertet.
Letztlich weist der Sachverständige B. überzeugend darauf hin, dass sich den beiden Entlassungsberichten der A. -Klinik B. eine richtungsweisende Verschlechterung der neuropsychiatrischen Gesamtsituation nicht entnehmen lässt.
Vor dem Hintergrund der zu objektivierenden Beeinträchtigungen kann ein Einzel-GdB von 30 für das neurologisch-psychiatrische Gebiet somit nur grenzwertig als erreicht angesehen werden, wobei insbesondere aus der Diagnose einer Fibromyalgie keine höhere Bewertung gerechtfertigt ist. Auch die teilweise als seltene Migräne, teilweise als Spannungskopfschmerzen bezeichneten Schmerzen sowie der Schwindel sind vom GdB 30 erfasst, wie der Sachverständige B. dargelegt und der Senat festgestellt hat.
Nach VG Teil B Nr. 18.4 sind Fibromyalgie, das Chronische Fatique Syndrom, die Multiple Chemische Sensitivität und ähnliche Syndrome jeweils im Einzelfall entsprechend der funktionellen Auswirkungen analog zu beurteilen. Vorliegend konnte der Senat feststellen, dass sich weder im orthopädischen noch im neurologischen Befund relevante Bewegungseinschränkungen oder Ausfallerscheinungen ergeben haben, sodass eine Höherbewertung hierauf nicht gestützt werden kann.
Anders als die Klägerin meint (vgl. Schriftsätze vom 28.10.2015 (Blatt 70 SG-Akte) und 14.03.2016 (Blatt 90 SG-Akte)), sind die Ausführung des Dr. G. in keiner Weise überzeugend und nachvollziehbar, sondern verkennen die Bewertungsmaßstäbe der VG. Dieser hat selbst eine mittelgradige depressive Episode beschrieben und auf eine belastungsabhängige Situation mit Verbesserungen und Verschlechterungen verwiesen, jedoch keine schwere psychische Störung mit mittelgradigen Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, wie sie die VG für einen GdB von 50 voraussetzen.
Bei der Bildung des Gesamt-GdB ist von dem Einzel-GdB von 30 für die Knietotalendoprothese auszugehen, der aufgrund des Einzel-GdB für das neurologisch-psychiatrische Gebiet auf 40 zu erhöhen ist. Eine Zuerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft rechtfertigt sich indessen hieraus nicht. Abgesehen davon, dass der Einzel-GdB für das neurologisch-psychiatrische Gebiet nur als grenzwertig erreicht angesehen werden kann und daher im vorliegenden Einzelfall keine weitergehende Erhöhung rechtfertigt, ist auch bei Vergleich von Funktionsbeeinträchtigungen, für die nach den VG ein Wert von 50 und mehr vorgegeben ist, wie dem vollständigen Verlust von Gliedmaßen oder vollständigen Nervenausfällen (vgl. z.B. VG Teil B Nr. 18.13) aufgrund des bei der Klägerin vorliegenden Beschwerdebildes mit einer Totalendoprothese mit gutem Operationsergebnis kein Zustand gegeben, der die Schwerbehinderteneigenschaft begründet. Eine wechselseitige Verstärkung der Funktionsbeeinträchtigungen kann ebenfalls nicht festgestellt werden.
Das Urteil des SG war daher abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben.
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Aus
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